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Es begann mit einem Kuss

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Informationen

Vorwort

Die Handlung dieser Geschichte und die Personen, die darin vorkommen, sind ein Produkt meiner Phantasie.

Ich freue mich über jede email, die ich bekomme – seien es Anregungen, Kritik oder einfach nur so.

Ach ja: Diese Geschichte darf ohne meine Genehmigung nirgendwo anders als in Nickstories veröffentlicht werden.

Da es mein erster Roman ist, fehlt ihm sicher noch die Professionalität von anderen Autoren hier bei Nick`s Stories. Ich wünsch Euch aber trotzdem viel Spaß beim Lesen.

 

Stefan lächelte ihn ganz süß an. Sein Gesicht kam näher und näher. Tobias spürte den warmen Hauch seines Atems auf seiner Haut. Er schloss die Augen und fühlte Stefans Lippen auf seinen. Es war ein vorsichtiger aber sehr gefühlvoller Kuss.

Pieep Pieep Pieep

»Wa... Was ist?« Es dauerte ein wenig, ehe Tobias merkte, dass er in seinem Bett lag und alles nur ein wunderschöner Traum war.

Pieep Pieep Pieep

»Ja doch« grummelte er und brachte das nervige Geräusch zum Schweigen.

Tobias wünschte sich, dass dieser Traum endlich Wirklichkeit werden würde. Doch große Hoffnungen hatte er nicht. Er war einfach zu feige, Stefan direkt anzusprechen. Und noch dazu war Stefan ganz sicher hetero. Oder war er nur ein Frauenschwarm und in Wirklichkeit schwul?

Tobias stellte sich vor, dass Stefan gerade mit ihm im Bett läge. Ganz eng würden sie sich aneinander kuscheln. Tobias presste sein Gesicht auf das Kopfkissen und fühlte Stefans Lippen auf seinen. Mit dem linken Arm umklammerte er das Kissen und streichelte Stefans blondes Haar. Mit der rechten Hand wanderte er in seine Hose. Ganz sanft massierte er seinen steifen Schwanz. In seiner Phantasie tat dies Stefans warme, samtweiche, zärtliche Hand.

»Aufstehen du Schlafmütze!« hörte er seine Mutter rufen. Sie pochte einige Male an seine Zimmertüre.

»Ja, ja« antwortete er ihr. »Ich steh gleich auf.«

Aber erst nachdem ich hier fertig bin.

Er schob seine Hose bis zu den Knöcheln hinab. Um verräterische Spuren zu verhindern, legte er den Bettbezug mit ein paar Taschentüchern aus.

Er schloss die Augen und gab sich ganz seinen sexuellen Gefühlen hin.

Tobias probierte einen Zungenkuss auf seinem Kopfkissen. In seiner Phantasie konnte er Stefans Zunge in seinem Mund spüren. Schneller – immer schneller fuhr seine rechte Hand auf und ab.

»Stefan .... Stefan« flüsterte er.

Explosionsartig wurde sein Samen herausgeschleudert. Tobias stöhnte in sein Kissen.

»Boa – Eh.« Tobias atmete erleichtert und zufrieden mit sich und der Welt auf.

Er öffnete die Augen und blickte auf seinen Wecker. Zehn vor sieben.

»Was? So spät schon?«

Er zog die Hose wieder nach oben, knüllte die nassen Taschentücher zusammen und schwang sich aus dem Bett. Ehe er ins Badezimmer ging, entsorgte er sein Werk im Abfalleimer. Im Bad angekommen entkleidete er sich und hüpfte unter die Dusche.

Nachdem er mit dem Brausen fertig war und sich abgetrocknet hatte, betrachtete er sich im mannshohen Spiegel.

Tobias fand sich im Großen und Ganzen recht hübsch. Wenn auch nicht makellos – da störte ihn schon die in seinen Augen etwas zu groß geratene Nase sowie ein paar Pickel an Stirn, Wange und Kinn.

Mit 1,83 Meter war der 16jährige einer der Größten in seiner Klasse.

Leider hatte er keinen so durchtrainierten Körper wie Stefan. Immer wieder nahm er sich vor, mehr Sport zu betreiben. Aber mehr als ein wenig Radfahren und Schwimmen war nicht drinnen. Er war ganz einfach zu faul.

Mit einer Hand streichelte er seine glatte Brust. Mit der anderen fuhr er an seinen leicht behaarten Oberschenkeln entlang. Klein Toby reckte sich neugierig in die Höhe.

»Wir haben leider keine Zeit mehr.« Mitleidig sah Tobias auf seinen Schwanz herab.

Tobias fand, dass er genau zu ihm passte. Auch wenn er wenn er mit ca. 12 Zentimetern Größe etwas unter dem in der »Bravo« angegebenen Durchschnitt lag.

Hauptsache er ist groß genug, dass ihn meine Hand oder die eines anderen Jungen – Stefan - umfassen kann.

Tobias fuhr am zarten Flaum, der sich von den Schamhaaren bis zum Nabel hoch schlängelte, entlang. Dabei verspürte er eine leichte Gänsehaut. Er seufzte. Klein Toby, der mittlerweile zu voller Pracht ausgefahren war, würde sich bis zum Abend gedulden müssen.

Tobias trat ganz nahe an den Spiegel heran und betrachtete sein Gesicht.

Dunkelgrüne Augen blitzten ihn an. Er fragte sich, ob Stefan seine für einen Jungen ungewöhnlich langen Wimpern gefielen und berührte sie leicht mit dem Zeigefinger. Dann fuhr er seine leicht geschwungenen Augenbrauen nach. Er musste grinsen. Dabei zeigten sich Lachfalten an Augen, Wangen und Mund sowie ein Grübchen am Kinn. Er tat etwas Wet-Gel in seine Hände und strich es in seine schwarzen, kurzen Haare. Ihm gefiel es, wenn seine Haare wild durcheinander standen. Er fand so was auch bei anderen Jungs sehr sexy. Doch Stefan gefiel ihm auch so – er kämmte sich immer einen Mittelscheitel in seine blonden halblangen Haare, was ihm total gut stand. Tobias wusch sich die Hände und schlich sich nackig in sein Zimmer, wo er sich anzog. Wie üblich hatte er nicht daran gedacht, dass man sich die Haare erst dann stylt, nachdem man sich das T-Shirt übergezogen hat. So blieb ihm nichts anderes übrig, als noch mal ins Bad zu gehen, um seine Haare erneut in Form zu bringen.

»Möchtest du dich nicht ein bisschen beeilen?« fragte seine Mutter, als Tobias in der Küche aufkreuzte. »In zwanzig Minuten geht dein Bus. Und ob du den schaffst, das bezweifle ich.«

»Hallo Toby.« strahlte ihn Christian an.

»Morgen Christian. Morgen Mama.« Tobias streichelte seinem kleinen Bruder die Haare. »Klar schaff ich den«, wandte er sich an seine Mutter und setzte sich an den Tisch. Er bestrich sich eine Scheibe Brot mit Butter und tat zwei Scheiben Käse drauf.

»Dann iss mal etwas schneller.«

»Tu ich doch«, mampfte Tobias.

»Christian, jetzt lass das!«, schimpfte seine Mutter, als er ein paar Brotkrümel nach Tobias warf.

Tobias grinste den Fünfjährigen an, pulte einige Krümel aus seinem Brot und schmiss sie nach ihm.

»Christian. Tobias. Hört auf damit!«

Tobias zuckte mit den Schultern. Christian lachte aus vollem Halse.

»Du hast gehört, was Mama gesagt hat.«

»Bllll.« Zur Antwort streckte ihm der Kleine die Zunge heraus.

»Christian! So was tut man nicht.«

»Lass ihn doch.« Tobias blickte den Kleinen, eine witzige Grimasse schneidend an.

Christian lachte so stark, dass ihm das gerade hineingeschobene Essen aus dem Mund fiel.

»Statt euch so kindisch zu benehmen, solltet ihr euch lieber beeilen.«

»Christian ist noch ein Kind«, entgegnete ihr Tobias.

»Genau«, meldete sich Christian zu Wort.

Ihre Mutter seufzte. »Ja, ja. Aber dein Bus wartet trotzdem nicht auf dich und wir zwei müssen um acht im Kindergarten sein.«

»Bin schon unterwegs. Tschüss ihr beiden.« Tobias stand auf und ging zur Tür.

»Und nimm dir eine Jacke mit«, rief ihm seine Mutter hinterher.

»Ja – a.«

Wenig später verließ er das Haus schlenderte zur Haltestelle. Er hatte sein Ziel schon fast erreicht, als plötzlich der Bus an ihm vorbeirauschte.

Oha. Jetzt aber schnell.

Er rannte was das Zeug hielt.

Keuchend erreichte er den Bus.

»Nächstes mal warte ich nicht so lange«, schimpfte der Fahrer.

»Tut mir leid«, murmelte Tobias und ging nach hinten, um sich auf einen leeren Platz zu setzen. Nach gut 15 Minuten erreichten sie die Haltestelle, die direkt an der Realschule lag.

»Morgen Lang«, keuchte ihm Markus, ein leicht untersetzter Junge mit jeder Menge Sommersprossen im Gesicht, entgegen.

»Morgen Mühlberger.« Tobias lag ein leichtes Grinsen auf dem Gesicht. »Na – hast wohl wieder einen neuen Rekord beim Radfahren aufgestellt?«

»Klar«, antwortete Markus und atmete schon wieder etwas leichter. Sein Gesicht war rot wie nach einem Sonnenbrand. An Stirn und Wangen glänzten zahlreiche Schweißperlen. »Sieben Minuten. Das soll mir erst mal einer nachmachen.«

»Markus du bist einfach der Beste«, meinte Tobias scherzhaft, woraufhin beide lachen mussten.

Doch gleich darauf wurde Markus Gesicht ernst.

»Sieh mal dort.«

Tobias drehte sich um und sah zwei Gestalten auf ihn zukommen.

»Gehen wir lieber rein«, hörte er Markus sagen.

»Wen haben wir denn da?« Peter grinsten hämisch. »Das kleine Arschloch und den fetten Schwulberger.«

Fragt sich nur, wer hier klein und fett ist.

Mit leicht zusammengekniffenen Augen blickte Tobias Peter ins Gesicht.

»Macht euch wohl Spaß andere zu ärgern?« Tobias gab seiner Stimme einen energischen Klang.

»Eh Mann. Willst du stänkern oder was?« Peter, der mindestens einen Kopf kleiner war als Tobias, trat näher an ihn heran.

»Könnt ihr mich nicht in Ruhe lassen?« Tobias dachte an seine blauen, mittlerweile grünen Flecken an Schulter, Arm und Schienbein, die er allesamt Peter und Georg zu verdanken hatte.

Peter kam noch näher auf ihn zu und blies Tobias seinen stinkenden Atem ins Gesicht.

»Pfui«, entkam es Tobias.

»Was meinst du, kleiner Pisser?« Ehe sich Tobias versah, schlug ihn Peter mit der Faust ans Brustbein.

»Aua«, schrie Tobias und taumelte rückwärts – direkt in die Hände von Georg.

»Kannst du nicht aufpassen wo du hinläufst«, schnauzte dieser und stieß ihn nach vorne. Tobias taumelte zu Boden.

»Noch eine kleine Erinnerung«, hörte er Peter sagen und verspürte im nächsten Moment einen stechenden Schmerz in seinem Unterschenkel.

»Aua«, wimmerte Tobias. Viel hätte nicht gefehlt und er hätte zu heulen begonnen.

»Seht euch diesen Schlappschwanz an«, tönte Peter hämisch.

Boshaft lachend entfernten sich die beiden von ihm.

Tobias rappelte sich hoch, packte seine Schultasche und humpelte in das Gebäude.

Er wünschte, sich gegen körperliche Angriffe besser zur Wehr setzen zu können. Doch er hatte nicht den Mut dazu. Und im Grunde seines Herzens wollte er sich auch gar nicht wehren. Er wollte wieder ein kleines Kind sein, frei von solchen Sorgen, frei von so manchen Gedanken und Gefühlen, die ihn anders machten. Anders als alle um ihn herum. Denn wenn es herauskommen würde, dass er, Tobias Lang, schwul war, dann würden nicht nur Peter und Georg ihre Aggressionen an ihm auslassen.

Auch der größte Teil aus seiner Klasse und Schule würde über ihn herziehen, ihn fertigmachen – seelisch und körperlich. Ob ihm jemand helfen würde? Wohl kaum.

Und was würden die Leute in Lehberg mit ihm machen? In dieser extrem konservativen bayerischen Kleinstadt lebten eh nur lauter Spießer. Sie würden ihre Nase rümpfen und sich über so etwas Abartiges wie er es war das Maul zerreißen. Und seine lieben Verwandten? Mama und Papa? Tobias erinnerte sich an so manchen Kommentar gegen Schwule und Lesben aus dem Mund seines Vaters. Und erst Tante Claudias blöde Witze über die »Warmen Brüder«. Am liebsten hätte er sie angeschrien. Aber statt dessen hat er mit den anderen gelacht. Total mies kam er sich vor dabei.

Lustlos und mit gesenktem Kopf betrat Tobias das Klassenzimmer der 10c.

»Hallo Toby«, Sabine grinste ihn an.

»Hi«, entgegnete er ihr tonlos.

»Was ist los mit dir?«

»Nichts.« Tobias setzte sich.

»Mach mir doch nichts vor. Ich kenn dich viel zu gut. Peter und Georg?«

»Ja«, entgegnete er seiner Banknachbarin leise und mit gesenktem Kopf.

»Das sind doch Idioten. Wieso lassen die ihre Wut immer an schwächeren aus?«

Tobias zuckte mit den Schultern.

»Kopf hoch«, ermutigte ihn Sabine.

Tobias kramte seine Mathesachen hervor und legte sie auf den Tisch.

»Hi Tobias«, grüßte ihn Stefan, der wohl gerade zur Tür hereingekommen war.

Tobias blickte hoch.

»Hallo.« Er lächelte seinen Schwarm verlegen an. Die Schmetterlinge in seinem Bauch tanzten wild durcheinander. Das leicht Grinsen, das ihm der 16jährige zuwarf, genügte, um sie in völlige Aufruhr zu bringen. Stefans freches verschmitztes Jungengesicht mit den tiefblauen Augen brachte wohl so manches Mädchenherz und ganz sicher das von Tobias zum Schmelzen. Immer wieder malte sich Tobias aus, wie es wohl sei, Stefan einen ganz langen Kuss auf seine schmalen, leicht geschwungenen Lippen zu geben. Wie würde er wohl riechen und schmecken? Es musste fantastisch sein, mit diesem Jungen einen Zungenkuss auszutauschen.

»He. Traumtänzer. Ich hab dich was gefragt.« Sabine stieß ihn leicht in die Seite.

»W... Was?«

»Wie dein Wochenende war.«

»Och, ganz nett.«

»Ich dachte du warst in München.« Sabine sah ihn mit leicht geneigtem Kopf an. »Eine tolle Stadt, nicht? Irgendwann werde ich dort hinziehen.«

Typisch Sabine dachte sich Tobias. München hier, München da. Außer vielen süßen Jungs kann ich nicht so viel daran finden. Aber wenn ich's mir recht überlege – einfacher hätte ich es da schon.

»Und? Warst du jetzt in M.?«

»Mhm. Aber von der Stadt habe ich nicht allzu viel mitbekommen. Wir waren die meiste Zeit in Tante Claudias Haus.«

»Nicht so der Hit.«

»Langweilig.«

»Guten Morgen, meine Damen und Herren«, rief Herr Berger, ein Mann mittleren Alters mit leicht ergrautem Haaransatz der Klasse zu. Er war deren Klassenleiter und unterrichtete Mathematik und Physik. Und er war Tobias Lieblingslehrer. Zum einen waren Mathe und Physik seine beiden besten Fächer und zum anderen verschaffte sich Herr Berger allein mit seinem durchdringenden Blick Respekt.

Das wenn er auch gekonnt hätte, dann würden Peter und Georg nicht so mit ihm umspringen.

Während Herr Berger bereits damit beschäftigt war, ein Dreieck zur weiteren Vertiefung der sinus- und cosinus Funktionen auf die Tafel zu skizzieren, warf Tobias einen verstohlenen Blick in Richtung Fenster. In Gedanken küsste er seinen Traumprinzen ganz sanft auf die Stirn und fuhr ihm mit den Händen zärtlich durch die blonden Haare. Tobias seufzte leise und wandte sich wieder dem Unterrichtsgeschehen zu. Es war eine ereignislose Stunde. Herr Berger gab seinen Schülern relativ leicht zu verdauende Kost. Wer in der 9. Klasse einigermaßen aufgepasst hatte, tat sich wohl sehr leicht zu verstehen, wie man aus gegebenen Winkeln die Seitenlängen eines Dreiecks bestimmen kann.

In der nächsten Stunde hatten sie Geschichte – eine Einführung in Art und Wesen der Kolonialherrschaften. Tobias träumte vor sich hin. Geschichte interessierte ihn nicht sonderlich. Vor allem nicht bei Frau Weber, einer kleinwüchsigen alten Dame, die ihre Haare zu einem Dutt hochgebunden hatte. Ihre monotone emotionslose Stimme hatte etwas Einschläferndes an sich. Tobias fragte sich, ob es irgendjemanden gab, der ihrem Unterricht von Anfang bis Ende konzentriert verfolgen konnte. Er gehörte ganz sicher nicht dazu.

Erleichtert atmete er auf, als der Gong den Beginn der 1. Pause verkündete.

»Du Toby?« Sabine lächelte ihn an.

»Ja? Was gibt's?«

»Hast du heute Nachmittag schon was vor?«

»Hm? Ich wollte `Die Augen des Drachen` von Stephen King fertig lesen. Es ist gerade sehr spannend.«

»Schade. Wir fahren heute nach Dinkersheim ins Wellenbad.«

»Wer wir?«

»Gerd, Lukas, Stefan und ich.«

Stefan.

Tobias zog die Augenbrauen hoch. Das war natürlich was anderes. Die Drachenaugen konnten warten.

Stefan, der süßeste Junge auf diesem Planeten, wollte etwas mit ihm unternehmen.

»Klar komme ich mit«, strahlte Tobias.

»Jetzt auf einmal. Ich dachte du wolltest lesen.«

»Ich will aber lieber schwimmen.«

»Das hat nicht zufällig einen bestimmten Grund?«

»N.... Nein. Wieso?«

»Nichts. Ich mein nur«, sagte sie und grinste ihn dabei an.

»War das wieder mal öde«, stöhnte Stefan in Tobias und Sabines Richtung.

»Kannste laut sagen.« Tobias versuchte seiner Stimme einen festen Klang zu geben. Innerlich zitterte er.

Heute mit ihm ins Bad ..... Schmelz.

»Hast du Lust heute mit uns ins Bad zu gehen?«

Wow. Diese Stimme. Süüüüß ...

Tobias war hin und weg.

»Hmm?«, legte Stefan nach.

»W... Ach so.« Tobias räusperte sich. »Klar hab ich Zeit. Ich freu mich schon drauf.«

Stefan grinste. »Musst aber aufpassen, dass ich dich nicht tauche.«

»Keine Angst. Ich weis mir schon zu helfen.«

»Heut um fünf am Bahnhof?«, fragte Stefan, während sie durch die Aula gingen.

»Geht klar«, sagte Tobias. Gemeinsam betraten sie den Pausenhof.

Hier trennten sich ihre Wege. Stefan ging auf eine kleine Gruppe zu, die Tobias größtenteils nur vom Sehen her kannte. Tobias seilte sich ab. Er schlurfte in eine stille Ecke des Hofes, wo er sein Pausenbrot verspeiste und Milch dazu trank. Nicht ohne immer wieder einen sehnsüchtigen Blick in Richtung Stefan zu werfen.

»Mildchbubi«, neckte ihn Markus.

»Schmeckt mir halt. Und von Cola bekommt man Pickel. Sieht man an dir.«

»Willst wohl Schläge?«

»Hilfe. Nein«, entgegnete ihm Tobias mit gespielter Ängstlichkeit.

»Hmm. Apropos Schläge. Schau mal, wer uns da besuchen kommt.«

»Oh nein. Nicht schon wieder diese Arschlöcher.«

»Komm, wir verschwinden.« Markus stupste Tobias leicht in die Seite.

Ohne ein Wort zu sagen schlenderten sie zu einer größeren Gruppe Mitschüler, die sich gerade angeregt über das gestrige Fernsehprogramm unterhielten.

Gefahr gebannt dachte Tobias. Im Schutz der anderen traute sich keiner der Stänker ihm was zu tun. Hoffte er zumindest.

Bald war es auch schon wieder an der Zeit, ins Klassenzimmer zu gehen.

Der Rest des Vormittags verlief ziemlich ruhig. Die Lehrer waren gefühlsmäßig wohl auch noch in den großen Ferien. Um ein Uhr läutete die Glocke das Ende dieses Schultags ein. Gemächlich packte Tobias Mappe, Bücher und Schreibsachen in seine Tasche. Er war alleine im Klassenzimmer. Seine Schulkameraden waren bereits alle verschwunden. Tobias war häufig der Letzte. Aber wieso sollte er sich auch beeilen. Sein Bus ging ohnehin erst in gut einer viertel Stunde.

»Na du Scheißer – auch schon fertig?«, schnauzte er ihn Peter an.

Wo kommt der denn plötzlich her?

»Lass mich in Ruhe. Ich hab dir nichts getan«, sagte Tobias in einem ruhigen Tonfall. An seinen Händen jedoch begann er zu schwitzen. So gut es ging, versuchte er ein leichtes Zittern zu unterdrücken.

»Was hältst du davon, wenn ich deine Tasche nehme und sie wieder ausleere?«

Im ersten Moment bekam Tobias gar nicht mit, wie ihm geschah, als Peter fies grinsend seine Tasche packte, den Reisverschluss aufriss, sie umdrehte. Sogleich fiel alles, was sich in ihr befunden hatte, zu Boden.

»Spinnst du?«, schrie Tobias.

»Pass auf was du sagst. Oder willst du, dass ich dir die Fresse poliere?«

»Räum es gefälligst wieder ein«, brüllte ihn Tobias an.

»Einen Dreck werde ich tun. Ist ja schließlich dein Zeug, das da rum liegt.«

Beide standen sich Auge in Auge gegenüber. Hasserfüllt starrten sie sich an.

»Du hast es hingeschmissen. Du räumst es wieder ein«, traute sich Tobias in einem heftigen Tonfall sagen.

»Das da kannst du haben!« Peter schlug Tobias in den Magen.

Keuchend klappte dieser zusammen. »Aua«, stöhnte er.

»Und so was will ein Mann sein?«, spottete Peter und verpasste ihm noch einen Tritt in die Hüften.

Tobias lag hilflos auf dem Boden.

»So ein Arsch«, schluchzte er leise vor sich hin, als die Schmerzen wieder nachließen. Er schnäuzte sich und begann damit, seine Sachen wieder einzuräumen. Einige Stifte und sein Spitzer waren im Umkreis von etwa fünf Meter verstreut. Der Rest lag unter der Tasche, die Peter nach Beendigung seines Werkes hatte fallen lassen.

Irgendwie kam er sich klein und mies vor, als er das Zimmer und schließlich die Schule verließ.

Den regulären Bus hatte er ohnehin schon verpasst. Jetzt musste er locker zwanzig Minuten auf den nächsten warten. Er setzte sich auf die Bank und blickte traurig auf die Straße.

Tobias erinnerte sich an jene Zeit, als er und Peter noch dick befreundet waren. Sie waren Nachbarskinder und wuchsen zusammen auf.

Doch als Peters Vater vor ein paar Jahren arbeitslos wurde, musste seine Familie in eine Sozialwohnungssiedlung ziehen. Peter hatte die Freundschaft zu Tobias daraufhin schnell einschlafen lassen. Tobias glaubte, er wäre neidisch auf ihn, weil seine Familie in einem der schönsten Viertel von Lehberg geblieben war, während für Peters Familie der soziale Abstieg kam. Vielleicht aber schämte er sich ganz einfach und traute sich nicht mehr zu ihm. Tobias fand das doof. Schließlich kam es nicht darauf an, wie viel Geld jemandes Eltern verdienten sondern wie gut man sich mit dieser Person verstand. Und mit Peter hatte er sich bis dahin wirklich gut verstanden.

Wie dem auch sei – Peter verhielt sich immer rücksichtsloser gegenüber Tobias. Und als dann auch noch der sitzengebliebene Georg in der 9. in ihre Klasse kam, hatte Peter jemanden gefunden, mit dem er Schwächere, insbesondere Tobias, fertigmachen konnte.

Noch während Tobias vor sich hingrübelte fuhr der Bus in die Haltestelle ein.

Ein süßer Junge, der schräg vor ihm saß, vertrieb seine depressive Gedanken.

Der Anflug eines Lächelns huschte über Tobias Gesicht. Er beobachtete den Jungen, er mochte etwa in seinem Alter gewesen sein und träumte vor sich hin.

Leider stieg er an der übernächsten Station aus.

Wenig später verließ auch Tobias den Bus und machte sich auf den Heimweg. Zu Hause wurde er von seiner Mutter mit sorgenvoller Miene begrüßt.

»Wo warst du so lange?«

»Mir ist der Bus davongefahren.«

»Dass du aber auch immer so trödeln musst.«

Gemeinsam gingen sie in das Haus hinein. Es gehörte Tobias Großeltern, die den hinteren Teil des Gebäudes bewohnten. Kaum hatte sie den Flur betreten, lief ihnen auch schon ein putziges kleines Ding mit flatternden Ärmchen entgegen. Im nächsten Moment prallte Christian mit Tobias zusammen.

»Hallo Toby.« schallte es fröhlich aus dem Mund des Kleinen.

»He. Na das ist ja eine stürmische Begrüßung.« Tobias lachte und hob seinen kleinen Bruder an den Achseln hoch, stemmte ihn über seinen Kopf hinweg und ließ ihn los, so dass er ein paar Zentimeter nach unten fiel. Er fing ihn auf und das Spiel begann von neuem. Christian schrie und jauchzte. Aus den Augenwinkeln heraus sah Tobias wie seine Mutter dastand und grinste. Bald schon jedoch schwanden Tobias Kräfte. Er nahm Christian in den Arm und ging mit ihm in die Küche.

»Du warst auch schon mal leichter«, sagte Tobias und setzte ihn auf dem Boden ab.

Christian strahlte seinen Bruder an.

»Der Kleine wird langsam ein richtig Großer«, sagte Tobias und wuschelte dabei die Haare seines Bruders durcheinander. »Mama, was gibt's heute zum Essen?«

»Für dich nichts mehr«, rief sie ihm zu.

»Du willst mich auf den Arm nehmen?«

»Ne du. Das mach ich schon lange nicht mehr. Dafür bist du mir eindeutig zu schwer.«

»Mama!« Gespielter Ernst lag in seiner Stimme.

»OK. Also ausnahmsweise bekommst du noch was. Es gibt Züricher Geschnetzeltes. In fünf Minuten ist es warm.«

»Gut. Ich trage schnell meine Sachen hoch.« Und weg war er.

In seinem Zimmer schmiss er die Tasche in die Ecke und zog sich um. Er entschied sich für ein oranges T-Shirt und eine halblange, beige Hose. Bevor er wieder nach unten ging, hatte er noch schnell eine Kleinigkeit im Bad zu erledigen.

Christian war regelrecht beleidigt, dass seine Mutter nur für Tobias auftischte.

»Aber wir haben doch schon gegessen«, versuchte sie ihm zu erklären.

»Christan will aber auch mit Toby essen«, sagte der Kleine trotzig.

»Hat da schon noch was Platz in deinem kleinen Bäuchlein?« Tobias grinste ihn an und führte sich die erste Gabel zum Mund.

»Christan hat Hunger«, verkündete dieser.

»OK«, sagte seine Mutter. »Aber wehe wenn dir schlecht wird.«

Kurze Zeit später saßen die Geschwister am Küchentisch und verspeisten die leckeren Sachen. Wobei sich Christian mit nur zwei oder drei Bissen begnügte. Mehr schaffte er nicht.

»Willst du mit mir spielen?« Christian sah seinen Bruder treuherzig an.

»Wenn ich meine Hausaufgaben gemacht habe, dann spielen wir. OK?«

Christian tat so als ob er angestrengt überlegen müsste.

»Na gut«, sagte er schließlich mit traurigem Unterton in seiner Stimme.

»Spielst halt derweil mit der Mama.«

»Ich mag aber lieber mit dir spielen.«

»In einer halben Stunde bin ich eh fertig.«

»Ist das lange?«

»Gar nicht lange«, erklärte ihm Tobias und verließ die Küche um nach oben in sein Zimmer zu gehen. Dort setzte er sich an den Schreibtisch und öffnete seine Tasche. Der Anblick der durcheinander liegenden Schulsachen erinnerte ihn wieder an die Geschehnisse im Klassenzimmer. Er zwang sich, nicht mehr daran zu denken.

Just im selben Augenblick, als er nach Beendigung seiner Hausaufgaben den Stift aus der Hand legte, pochte es leise an seiner Zimmertür.

Exaktes Timing.

»Hereinspaziert.«

Völlig außer Atem trat der Kleine in sein Zimmer. Mit beiden Händen schleppte er eine Alu-Box voll mit Legosteinen.

»Sag mal ...«

Christian setzte die Schachtel auf dem Boden ab.

»Ja?«

»Ist dir das nicht zu schwer?«

»Nein«, verkündete er voller Inbrunst.

Tobias grinste. »Bauen wir heute wieder ein Raumschiff?«

»Nein. Christan mag ein Auto bauen.«

»Uh. Das wird aber schwer.« Tobias kratzte sich mit seinem Zeigefinger an der Stirn. »Aber wir schaffen das«, fügte er im nächsten Atemzug hinzu.

Und schon befanden sich die zwei mitten im schönsten Legospielen. Beide waren sie mit großer Begeisterung dabei – Christian, weil er mit seinem großen Bruder an einem sehr wichtigen Projekt beteiligt war und Tobias, weil er für kurze Zeit dem Alltag entfliehen konnte.

Plötzlich klopfte es an der Tür.

»Ja?«, riefen beide gleichzeitig.

Die Tür ging auf und ihre Mutter kam herein.

»Wollt ihr nicht draußen spielen?«

Die zwei blickten sie fragend an.

»Schönes Wetter draußen«, erklärte die Mutter.

»Ach so«, sagte Tobias. »Wir sind gleich fertig mit unserem Auto. Dann könnten wir ja ein bisschen mit dem Rad fahren.«

»Schau Mama ... Brumm Brumm«, machte Christian und ließ das Legogebilde im Zimmer herumschweben.

»Toll«, rief seine Mutter. »Aber ein Auto fährt doch auf dem Boden, oder?«

»Unseres kann auch fliegen«, klärte sie Tobias auf. Seine Stimme klang dabei wie die eines Lehrers, der seinen Schülern gerade einen komplizierten Sachverhalt näher bringen möchte.

»So.« Seine Mutter machte ein erstauntes Gesicht.

»Fliegen. Brumm. Brumm.«

»Also ihr zwei Ingenieure. Ich lass euch mal alleine«, sagte sie und verließ das Zimmer.

Wenige Minuten später stürmten Christian und Tobias in die Küche.

»Erster!«, rief Christian und strahlte dabei übers ganze Gesicht.

»Du bist ganz schön schnell«, lobte ihn Tobias.

»Na, ihr seid aber stürmisch«, kam es aus dem Mund einer blondhaarigen Dame, Mitte sechzig. Sie saß neben Tobias und Christians Mutter am Küchentisch.

»Oh. Hallo Omi«, begrüßte sie Tobias.

»Hallo«, stimmte Christian mit ein und lächelte sie dabei an.

»Wir fahren eine kleine Runde mit dem ...«, Tobias sah auf die Küchenuhr. »Ups. Vier Uhr schon. Um fünf muss ich am Bahnhof sein.«

»Was tust du denn am Bahnhof?«, fragte ihn seine Mutter.

»Wir fahren nach Dinkersheim in Wellenbad. Das heißt ein paar aus meiner Klasse und ich.«

»Viel Spaß«, sagte seine Oma. »Vielleicht lernst du ja ein nettes Mädchen kennen. Oder bist du noch mit Sabine zusammen?«

»Mit Sabine? Äh ja«, sagte Tobias. »Wir fahren dann. Tschüss.«

»Willst du selber fahren, Christian?«

Der Kleine zögerte einen Moment. »Darf ich bei dir mitfahren?«

»Klaro.«

Tobias ging, dicht gefolgt von Christian, in den Schuppen um sein Rad zu holen. Er montierte noch schnell den Kindersitz, schob es ins Freie, hob Christian in das Sitzchen und ließ das Rad langsam die Einfahrt hinabrollen.

Die nächste halbe Stunde fuhren sie in ihrem Viertel – einem Randgebiet von Lehberg – hin und her. Christian war begeistert – Tobias erschöpft und außer Atem. Als sie wieder zu Hause waren, verräumte Tobias sein Fahrrad, lief mit Christian ins Haus und packte so schnell es ging seine Badesachen zusammen. Er verabschiedete sich noch schnell von seiner Mama und Oma, gab Christian ein Küsschen auf die Wange und fetzte zur Bushaltestelle. Wie schon am Morgen erreichte er den Bus erst im allerletzten Moment.

Um kurz nach fünf kam er am Bahnhof an. Seine Klassenkameraden standen schon an den Gleisen. Tobias winkte ihnen zu und ließ sich in der Schalterhalle noch eine Fahrkarte für 3,50 DM heraus.

»Was hast du heute so gemacht?«, fragte ihn Lukas.

»Essen, Hausaufgaben, Kindermädchen spielen.«

»Kindermädchen?«, Lukas verzog das Gesicht.

»Ich habe den halben Nachmittag mit meinem fünfjährigen Bruder gespielt.«

»Also das wär nichts für mich – das ist Mädchenarbeit.«

»Pah – Mädchenarbeit. Eine Beschäftigung mit kleinen Kindern täte euch Jungs ganz gut«, verteidigte Sabine Tobias. »Dann habt ihr wenigstens schon ein bisschen Erfahrung, wenn ihr euch um euere eigenen Kinder kümmern müsst.«

»Weiß nicht«, sagte Lukas kleinlaut.

»Achtung Fahrgäste. Auf Gleis 3 fährt ein der Stadtexpress von Mühldorf nach München. Nächster Halt Ihres Zuges ist Dinkersheim.«

Während der Fahrt unterhielten sich die fünf über belanglose Themen, vor allem über die Schule. Tobias schielte einige Male unauffällig zu Stefan. Sein Blick wurde immer wieder von Stefans nackten Armen angezogen. Sie machten einen kräftigen, muskulösen Eindruck und waren mit einem Saum feiner Härchen bedeckt. Tobias träumte davon, mit seiner Zunge ganz sanft und zärtlich darüber zu lecken.

Nach zehn Minuten erreichten sie Dinkersheim. Das Wellenbad war vom Bahnhof aus schon zu sehen. Nur noch ein kleiner Fußmarsch und sie hatten das Gebäude erreicht. Sie betraten es und stellten sich an der Kasse an.

Nebenan stand ein Junge, mit dem es die Natur besonders gut gemeint hatte, was sein Aussehen betraf. Groß – mindestens 1,90 - schlank aber nicht zu dürr, dunkelblonde kurze Haare und ein leicht kantiges Gesicht mit smaragdgrünen Augen. Tobias musste sich regelrecht dazu zwingen, nicht andauernd hinzustarren. Mit Freude dachte er daran, diesen Adonis in wenigen Minuten nur mit einer Badehose bekleidet genießen zu können.

»Wie lange?« schnauzte ihn die ältere Dame im Kassenhäuschen an.

»Wie ...? Ach so. Eineinhalb Stunden«, entgegnete er ihr.

»Fünf Mark.« sagte sie in einem unfreundlichen Tonfall. Offenbar war sie heute schon länger im Dienst und dementsprechend gestresst. Tobias gab ihr das Geld und bekam dafür eine kleine Karte. Diese führte er in einen Drehkreuz Automaten ein. Nachdem er ihn passiert hatte, konnte er die Karte wieder entnehmen. 17. 34 war darauf zu lesen. Nach wenigen Metern stand Tobias in einem langen Korridor. Auf der linken Seite befanden sich Schließfächer für die Wertsachen. Rechts verliefen mehrere Gangreihen, welche zu den Umkleidekabinen führten. Dazwischen waren immer wieder große Spiegel und Föns angebracht.

»Sodala. Gleich sind wir vollzählig«, verkündete Gerd.

Kaum hatte er dies gesagt, stieß Lukas als Letzter zur Gruppe.

Nach wenigen Minuten waren sie alle umgezogen, hatten ihre Utensilien in den jeweiligen Schränken verstaut und waren bereit für das große Vergnügen.

Tobias blickte sehnsüchtig zu Stefan. Es war ein seltener Genuss für ihn, seine heimliche Liebe fast nackt zu sehen. Im Geiste streichelte und küsste er Stefans glatten Oberkörper ... Gerade als er dabei war zärtlich an Stefans Brustwarzen zu saugen, wurde er von Lukas in die Realität zurückgeholt.

»Willst du warten, bis wir wieder zurückkommen oder willst du auch mit schwimmen gehen?«

»Ich komme schon«, sagte Tobias leise und trabte hinter Lukas her zur Dusche.

Hoffentlich hat er nicht nach unten geguckt. Wäre peinlich gewesen.

In dem Raum befanden sich links und rechts jeweils 5 Duschen. Direkt gegenüber der Tür war noch mal eine angebracht.. Duschzellen gab es keine, so dass jeder jeden sehen konnte.

Momentan brausten sich neben Stefan und Gerd noch zwei ältere Herren. Einer von ihnen verrieb sich gerade ein Shampoo auf seinem Kopf. Stefan und Gerd alberten herum. Auch Lukas, der sich neben Gerd stellte, feixte ein wenig mit. Tobias nahm eine der Duschen auf der gegenüberliegenden Seite. So konnte er ab und an einen kurzen Blick auf Stefan werfen. Und er ging der Gefahr aus dem Weg, von ihm berührt zu werden. Hätte er sich doch aufgrund von Platzmangel direkt neben seine heimliche Liebe stellen müssen, was zwar toll und prickelnd aber auch sehr erregend gewesen wäre. Zu solch einer peinlichen Situation wollte er es gar nicht erst kommen lassen.

Tobias genoss den warmen Wasserstrahl auf seinen Haaren und auf seiner Haut. Er schloss die Augen und lehnte den Kopf etwas zurück, so dass das Wasser an seinem Gesicht abperlen konnte. Er hätte stundenlang duschen und vor sich hinträumen können.

Als er die Augen wieder geöffnet hatte, waren Lukas, Gerd und Stefan bereits verschwunden. Auch die beiden Herren hatten sich fertig geduscht. Tobias zögerte noch einen Augenblick und ging dann zur Tür. Er öffnete sie. Plötzlich stand er vor ihm – der gut aussehende Junge, der ihm bereits im Eingangsbereich aufgefallen war. Ganz perplex starrte Tobias ihn an. Er sah einfach umwerfend aus. Seine Haut hatte einen hellbraunen Teint. An seiner athletischen Brust schimmerten einige goldene Härchen, was ihn noch anziehender machte.

»Willst du raus oder bleibst du drinnen?« Der hochgewachsene Junge grinste Tobias an.

»Äh... Raus«, stammelte Tobias. Als er sich an ihm vorbei schlich, berührten sich ihre Unterarme. Tobias lief ein Schauer über den Rücken. Im nächsten Moment fiel auch schon die Tür zur Dusche zu und durch die Milchglasscheiben war ihm der Blick nach innen verwehrt.

Wenn ich wieder reingehe, denkt er sonst was von mir. Und wenn ich nicht reingehe, entgeht mir die Chance, ihn vielleicht ganz nackt zu sehen, grübelte Tobias. Er zögerte kurz und entschied sich für die Schwimmhalle.

Er sah sich um. Von seinem Platz aus konnte er das große Schwimmbecken, in dem alle halbe Stunde der Wellenbetrieb stattfand, sowie ein kleineres Becken, welches über eine dicke Isolierfolie mit dem Freien verbunden war, sehen. In diesem war gerade ein Wasserfall in Betrieb.

Tobias betrat das kleine Becken – es war angenehm warm – und erhielt gleich darauf einige Spritzer Wasser auf Gesicht und Oberkörper.

»Da bist du ja endlich«, rief ihm Lukas mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht zu.

»Wie du siehst«, entgegnete ihm Tobias lächelnd. »Wo sind die anderen zwei?«

»Hmm?«, überlegte Lukas. »Sabine ist ins Freie abgetaucht und Stefan habe ich vorhin im Schwimmerbecken gesehen.«

»Aha«, sagte Tobias beiläufig.

»Auch schon da?#171; Gerd hatte ein schelmisches Funkeln in den Augen. Plötzlich und ohne Vorwarnung packte er Tobias von hinten an dessen Oberarmen. Wie auf Kommando ergriff Lukas die Unterschenkel des Opfers.

»He. Spinnt ihr? Lasst mich los!«, schrie Tobias halb wütend halb lachend.

»Gleich«, rief Gerd.

Sie hoben ihn hoch – immer höher. Tobias zappelte und schrie. Er wollte um sich schlagen. Doch die beiden hatten ihn fest im Griff. Als Tobias knapp einen Meter über der Wasseroberfläche war, ließen sie ihn fallen.

Platsch. Tobias Körper tauchte unter Wasser.

Prustend kam er wieder hoch. Gerd und Lukas schüttelten sich vor Lachen.

»Hilflose Menschen so rücksichtslos zu überfallen.« Tobias grinste die beiden an.

Gleich darauf stand er auch schon wieder aufrecht im bauchtiefen Wasser.

»Sorry«, sagte Gerd. »Aber wir konnten es uns nicht verkneifen.«

»Es sah aber auch zu komisch aus, wie du rumgezappelt bist.« Lukas konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

»Kindsköpfe«, murmelte Tobias und stellte sich unter den Wasserfall.

»Hi Toby!«, rief Sabine. Sie war zwar nur wenige Meter von ihm entfernt, aber das Tosen war so laut, dass man sich nur schreiend unterhalten konnte.

»Hi Sabine«, rief er zurück.

Lukas watete auf Sabine zu und unterhielt sich mit ihr.

Tobias schloss die Augen und genoss das warme, rauschende Wasser an seinen Haaren, Gesicht und Oberkörper.

Etwas später trat er aus dem Wasserfall heraus und lehnte sich mit dem Rücken an einen schwachen Massagestrahl. Von dieser Position aus hatte er einen recht guten Überblick. So entging ihm auch nicht, dass der Junge, mit dem er am Eingang der Dusche beinahe zusammengestoßen wäre, in das Becken stieg. Er watete durch das Wasser, hob die Isolierung hoch und verschwand ins Freie. Tobias verfolgte jede seiner Bewegungen, wurde aber von dem Objekt seiner Begierde nicht beachtet. »Stimmt was nicht mit dir?« Lukas sah Tobias mit besorgter Miene an.

»Wieso?«, fragte Tobias unschuldig.

»Warum hast du diesen Typen so angestarrt?«

Scheiße, dachte Tobias. Ich kann mich aber auch nie zurückhalten.

»Blödsinn. Du träumst wohl.«

Lukas zuckte die Schultern und entfernte sich wieder von ihm.

Beim nächsten Mal muss ich vorsichtiger sein.

Tobias wollte dem unbekannten Jungen zwar ins Freie folgen, hielt es aber in der gegenwärtigen Situation für besser, dies bleiben zu lassen. Nicht dass Lukas noch misstrauisch werden würde. Am Ende dachte er noch, dass er – Tobias – schwul sei.

Er schüttelte sich bei dem Gedanken daran, dass irgendjemand sein dunkles Geheimnis aufdecken und öffentlich machen würde.

Plötzlich ertönte eine laute Hupe, welche den Start des Wellenbetriebes in zwei Minuten ankündigte. Tobias stieg aus dem kleinen Becken und trabte auf das Große zu. Er betrat es vorne von der Nichtschwimmerseite her. Hinten im tiefen Bereich des Beckens konnte er Sabine, Lukas und Gerd entdecken. Wo war Stefan?

Gerade als er sich diese Frage stellte, stupste ihn jemand an die Schulter.

»Hi«, grinste er Stefan an.

Dieser lächelte zurück. »Kommst du mit vor?« Stefan deutete in Richtung Schwimmerbecken, von wo aus schon die ersten kleinen Wellen kamen.

»Klar«, sagte Tobias und schwamm gleich darauf hinter dem Jungen, der ihm Vorlage für so manch feuchtes Erlebnis lieferte, her. Verträumt blickte er Stefan nach.

Einmal meinen Kopf an seine Schulter lehnen. Ihn einmal ganz nah spüren.

Sofort wurde er von einer mittelgroßen Welle geschaukelt. Schon kam die Nächste, eine größere. Tobias hatte Mühe, sich zu Stefan und den anderen durchzukämpfen. Schließlich erreichte er sie. Die fünf hatten riesigen Spaß. Bei jeder neuen Welle jauchzten sie.

»Schade«, rief Tobias den anderen zu, als das Spektakel nach fünf Minuten zu Ende war.

»Ja. Wirklich schade«, pflichtete ihm Gerd bei.

Tobias fühlte, dass sich hinter ihm jemand näherte.

Schnell drehte er sich um.

Stefan hatte seine Hände schon ausgestreckt und hätte ihn wohl gleich getaucht.

»Mit mir nicht.« Er grinste Stefan an und versuchte seinerseits, ihn zu tauchen. So kam es, dass sie sich beide gegenseitig unter Wasser drückten. Gleich darauf stießen Gerd und Lukas zu den beiden. Und schon war eine große Wasserschlacht im Gange, bei der jeder gegen jeden kämpfte. Wenig später war der Kampf vorbei. Die anderen verließen das Becken. Tobias wollte noch ein paar Runden schwimmen.

Er lächelte still vor sich hin. Immer wieder hatte er es darauf angelegt von Stefan berührt und wenn es sich nicht vermeiden ließ, getaucht zu werden.

Stefans Nähe törnte ihn an. Tobias strotzte nur so voll Energie.

In dem Getümmel hatte sicher niemand mitbekommen, dass es ihm schon sehr eng in der Hose geworden war.

Tobias Blick fiel auf einen Jungen mit leichten blonden Locken und einem niedlichen Gesicht. Er stand direkt an der Absperrung zwischen Schwimmer- und Nichtschwimmerbecken. Das Wasser reichte ihm bis zum Oberbauch. Tobias fand ihn süß. Der Junge drehte den Kopf etwas zur Seite und lächelte in Richtung Beckenrand. Kurz darauf betrat ein schlankes, hochgewachsenes Mädchen das Wasser. Sie strahlte den blondhaarigen Jungen regelrecht an.

Sie näherte sich ihm und ...

Was für eine Verschwendung.

Das Mädchen und der Junge tauschten einen leidenschaftlichen Zungenkuss aus. Tobias stellte sich vor, an der Stelle des Mädchens zu sein. Klein Toby fand das auch sehr erregend und drückte gegen die Badehose. Um sich abzulenken, schwamm Tobias noch eine Runde. Und siehe da – klein Toby beruhigte sich wieder. Über eine der Leitern verließ Tobias das Becken und machte sich auf die Suche nach den anderen und vor allem Stefan. Langsam wurde er etwas mutiger. Hatte er während des bisherigen Aufenthalts im Schwimmbad versucht, seinem großen Schwarm mehr oder weniger aus dem Wege zu gehen, so wollte er die letzte halbe Stunde so oft es ging in seiner Nähe sein. Nur wo war er? Weder Stefan noch Gerd, Lukas oder Sabine waren irgendwo zu sehen. Tobias stieg in das Warmwasserbecken mit dem Wasserfall und verließ die Schwimmhalle über die Folie. Ganz hinten im Freiluftbecken erspähte er sie. Stefan und Lukas lümmelten faul am Rand des Beckens herum. Gerd und Sabine standen ein paar Meter abseits und unterhielten sich.

»Hi Leute«, rief ihnen Tobias zu.

»Tach«, rief Stefan. Lukas sagte nichts. Genießerisch hatte er die Augen geschlossen.

Sabine und Gerd winkten Tobias lächelnd zu.

Er stellte sich neben Stefan, schloss die Augen und genoss das Leben. Zweimal hatte er das Gefühl, ganz leicht und sanft von Stefan berührt zu werden – sicher hatte er das nur geträumt.

»He du Schlafmütze. Aufwachen!« Stefan klopfte Tobias auf die Schulter. »Oder willst du das letzte Wellenvergnügen verpassen?«

»Schon wieder so weit?« Tobias blinzelte Stefan an. »Habs gar nicht hupen gehört.«

Bald darauf tollten sich die fünf im Schwimmerbecken und ließen sich von den Wellen auf- und abtragen. Viel zu schnell war der Spaß wieder vorbei.

»Kinder wir müssen«, warf Gerd in die Runde.

»Schon?«, kam es etwas ungläubig von Lukas.

»Zwanzig vor sieben«, erklärte Tobias nach kurzem Blick zur großen Uhr an der Stirnseite des Beckens.

»Tja. Dann heißt es wohl duschen gehen. Nicht dass wir noch was nachzahlen müssen.« sagte Sabine.

»Genau. Also Leute – Abflug«, befahl Stefan und schwamm auf die Leiter zu, um das Becken zu verlassen.

Tobias holte sein Handtuch, das auf einem der Stühle lag und folgte den drei Jungs in die Männerdusche, in der sich außer ihnen niemand mehr befand. Tobias stellte sich neben Lukas. Stefan und Gerd standen ihnen gegenüber.

»Kannst du mir bitte ein wenig von deinem Duschgel abgeben?«, fragte Tobias Lukas. Dieser war gerade dabei, sich seine Haare einzuschäumen. »Klar. Nimm dir so viel du brauchst.«

»Danke.« Tobias drückte ein wenig von dem Gel in seine Hand und verschmierte es an seinem Körper. Während er sich abbrauste, bemerkte er, dass Gerd gerade seine Badehose auszog. Tobias schluckte. Gerd war zwar nicht unbedingt sein Typ aber er musste sich trotzdem zwingen, nicht zu auffällig auf seinen großen, schöngeformten Schwanz zu starren. Sein Sack machte auch einen sehr verlockenden Eindruck. »Und was ist mit euch?«, wandte sich Gerd, der seine schwarz-weiße Badehose mittlerweile auf eine kleine Ausbuchtung neben der Dusche gelegt hatte, an die anderen.

Tobias zitterte. Seine Erregung ließ sich fast nicht mehr verstecken. Als Stefan seine Badeshort langsam nach unten schob, drohte Tobias Hose zu platzen. Stefans Schwanz war unglaublich schön. Er hatte genau die richtigen Proportionen. Tobias spürte er das brennende Verlangen, sich vor Stefan hinzuknien und ganz zärtlich an dessen Schwanz und Eiern zu lecken. Tobias ließ seinen Blick über Stefans Körper gleiten. Stefan drehte sich leicht auf die Seite, wodurch Tobias seine beiden wunderschönen, vollen Pobacken sehen konnte. Tobias war so hingerissen, dass er sich nicht zu atmen traute.

»Und was ist mit dir?«, wurde er von Lukas, der sich ebenfalls entkleidet hatte, in die Realität zurückgeholt. Ein breites Grinsen lag ihm auf dem Gesicht.

Was sollte Tobias nun tun? Wenn er sich auch ausziehen würde, käme es zu einer extrem peinlichen Situation. Würde er aber die Dusche vorzeitig verlassen, täten ihn alle schief ansehen und mit Fragen löchern.

Warum kam in diesem Augenblick kein ekliger, fetter alter Mann herein? Auf diesen würde er sich konzentrieren und klein Toby würde sehr schnell wieder schlapp werden. Tobias zögerte.

»Mach schon«, feuerte ihn Stefan an. »Oder schämst du dich?«

Shit.

Mit stark zitternden Händen schob er seine Hose langsam nach unten. Er vermied es, dabei irgendjemanden anzuschauen. Dann war es so weit. Sein Schwanz schnellte hoch. Er war so megasteif geworden, dass er ihm bis zum Bauch stand. Tobias bückte sich und zog seine neue, dunkelblaue Badehose aus. Im Zeitlupentempo stand er wieder auf. Sein Schwanz war immer noch hart wie ein Brett.

»He Lang«, hörte er Lukas neben sich. »Bist du etwa ne Schwuchtel?«

Tobias schluckte. Er tat so als hätte er es nicht gehört.

Er sah, wie Stefan ungläubig auf seinen steifen Schwanz starrte. Er zog eine ernste Miene und schüttelte den Kopf. Dann schloss er die Augen und brauste sich ab. Einzig Gerd schien es nicht zu stören. Teilnahmslos seifte er sich ein.

Tobias Kopf fühlte sich extrem heiß an. Offenbar war er schon feuerrot. Aber klein Toby machte keinerlei Anstalten sich wieder zurückzuziehen.

Die Tür ging auf und der Junge, der Lukas knapp eine Stunde zuvor Anlass für wilde Spekulationen geliefert hatte, betrat den Duschraum. Auch ihm blieb Tobias Erregung nicht verborgen. Er verzog sein Gesicht zu einem schwachen Grinsen, stellte sich neben Tobias und entledigte sich seiner Badeshort. Sein großer, dicker, beschnittener Schwanz stand bereits im 45° Winkel von ihm ab.

»Noch so eine Schwuchtel«, entkam es Lukas.

Jetzt wurde es Tobias zu viel. »Arschloch«, schrie er Lukas an, packte seine Badehose und stampfte ärgerlich zum Ausgang. Klein Toby wippte dabei mit jedem Schritt hin und her. Zornig riss Tobias die Tür auf, eilte aus der Dusche, packte sein Handtuch und band es sich um die Hüften. Wütend öffnete er seinen Spind, griff nach seinen Sachen und sperrte sich in einer Umkleidekabine ein. Sein Schwanz war mittlerweile wieder kleiner geworden. Tobias setzte sich auf die Bank.

Tränen voll Zorn aber auch voller Traurigkeit liefen über seine Wangen hinab. Er vergrub sein Gesicht in den Händen. Er wusste nicht, wie lange er schon so dagesessen war, als er Sabine seinen Namen rufen hörte.

»Komme gleich«, zwang er sich zu sagen.

»Wir warten am Ausgang auf dich«, rief Sabine zurück.

Traurig und mit einem beklemmenden Gefühl in der Magengegend trocknete er sich den Rest Nässe ab. Dann zog er sich an, holte seine Geldbörse und Eintrittskarte und schob diese durch das Drehkreuz. Tobias hatte Glück – trotzdem dass er knapp fünf Minuten zu spät dran war, brauchte er nichts nachzuzahlen.

»Endlich«, wurde er von Gerd nach Verlassen des Bades begrüßt.

»Unser Zug geht in 10 Minuten«, warf Lukas in die Runde ein. Sogleich setzten sich die fünf in Richtung Bahnhof in Bewegung. Tobias ging einige Schritte hinter den anderen her und ließ den Kopf hängen.

»He. Was'n los mit dir?«, fragte ihn Stefan.

»Nichts«, gab Tobias mürrisch zur Antwort.

»Bist du immer noch beleidigt wegen dem, was Lukas in der Dusche gesagt hat?«

»Kann schon sein.« Tobias hatte den Blick immer noch zu Boden gerichtet.

»Er hat's nicht so gemeint. Nur weil manchmal die Hormone etwas verrückt spielen, ist man noch lange nicht schwul.«

»Und wenn ich's doch wäre?«, fauchte ihn Tobias an.

»Bist du aber nicht«, entgegnete ihm Stefan. »Meinst du ich würde mich mit einem perversen, dreckigen Schwanzlutscher unterhalten?«

Kaum hatte er dies gesagt, setzten Tobias Gedanken aus. Ihm war, als ziehe in etwas mitten in den Schlund der Hölle. Seine Brust schnürte sich zu und das Atmen fiel ihm schwerer und schwerer. Tobias war drauf und dran zusammenzubrechen. Nur mit größter Mühe schaffte er es weiterzugehen.

»Schwule gehören vergast«, hörte er Lukas feststellen während sie den Zug nach Lehberg betraten.

Tobias wäre am liebsten in ein anderes Abteil gegangen. Er musste seine ganze Kraft einsetzen, um nicht loszuheulen. Stefan – sein Traum vieler einsamer Stunden, seine absolute Lieblings-Wichs-Phantasie, sein ein und alles - entpuppte sich als Schwulenhasser.

Tobias starrte teilnahmslos aus dem Fenster.

»Was'n los?«, wurde er von Stefan gefragt, der ihm schräg gegenüber saß.

»Nichts. Lass mich in Ruhe.« antwortete Tobias gereizt.

»Aha. Sind wir bockig«, sagte Stefan und begann sich mit Sabine, die neben ihm saß zu unterhalten. Gerd, der den Platz neben Tobias besetzte, plauderte mit Lukas, der auf einer der gegenüberliegenden Bänke saß. Es dauerte nicht lange und der Regionalexpress hielt in dem kleinen, leicht heruntergekommenen Bahnhof von Lehberg. Tobias verließ als Letzter von den fünfen den Zug. Wortlos, nur mit einer kurzen Geste verabschiedete er sich von seinen Klassenkameraden und ging los. Er hatte kein Ziel. Er wollte nur weg – weg von Stefan – weg von sich selbst?

Seine Füße trugen ihn direkt in den Stadtpark. Er setzte sich auf eine Bank und ließ seinen Tränen freien Lauf.

Er wusste nicht, wie lange er dagesessen hatte. Es war schon dunkel und merklich kälter als tagsüber. Da er sehr luftig angezogen war, fröstelte ihn mehr und mehr. Er erwachte aus seiner Lethargie und zwang sich aufzustehen. Seine Beine waren weich wie Pudding und wollten unter ihm zusammenklappen. Mit Mühe schaffte er es, das kurze Stück bis zur nächsten Haltestelle zu gehen. Er musste nicht lange auf seinen Bus warten. Das war Glück, denn am Abend fuhren sie nur im Stundentakt – wenn sie überhaupt fuhren.

Nach gut 20 Minuten stieg Tobias aus. Wie ein geschlagener Hund schlich er sich nach Hause. Dort angekommen kramte er umständlich den Schlüssel aus einem Seitenfach seiner Sporttasche hervor. Kaum hatte er die Tür aufgesperrt, kam ihm auch schon seine Mutter entgegen.

»Wo warst du so lange?«, fragte sie ihn mit sorgenvoller Miene.

»Unterwegs«, antwortete Tobias knapp und wollte sich an ihr vorbei zur Treppe schleichen.

»Moment junger Mann.« Seine Mutter packte ihn am T-Shirt. »Jetzt ist es fast halb elf. Meinst du nicht, dass du uns wenigstens hättest anrufen können?«

»Mathilde.« Sein Vater guckte zur Wohnzimmertür heraus. »Der Junge ist alt genug. Er kann auch mal später nach Hause kommen.« Er warf seinem Sohn einen aufmunternden Blick zu. Ein schwaches Grinsen huschte über Tobias Gesicht. Seine Mutter ließ ihn wieder los.

»Ich bin in deinem Alter öfter spät nach Hause gekommen. ... Die hübschen Frauen haben mich halt einfach nicht gehen lassen.« Sein Vater zwinkerte Tobias zu.

»Mhm«, murmelte dieser.

»Aber ich habe mir trotzdem Sorgen um dich gemacht«, warf seine Mutter ein.

»Tschuldigung«, sagte Tobias müde und schlich sich die Treppe hoch.

Nach dem er sich mehr schlecht als recht die Zähne geputzt hatte, ging er in sein Zimmer, kramte dort seine nassen Badesachen aus der Tasche und hängte diese über einen Stuhl. Er zog seine Klamotten aus und legte sich nackt ins Bett.

»Stefan«, schluckte er. »Ich hab dich doch so lieb.«

Er vergrub sein Gesicht im Kopfkissen und ließ seinen Tränen freien Lauf.

»Stefan .... Stefan ...«, schluchzte er immer wieder.

Er sah das Gesicht seines Angebeteten. Er wollte es berühren, es streicheln, es küssen. Doch Stefan wandte sich mit hasserfüllten, zusammengekniffenen Augen von ihm ab.

»Nein! Bitte bleib hier!«, schrie Tobias in sein Kissen.

Wie ein Baby rollte er sich zusammen und lutschte an seinem Daumen.

Es war aus und vorbei. Sein Leben hatte jeglichen Sinn verloren.

Es dauerte sehr lange bis Tobias in jener Nacht einschlafen konnte.

Immer wieder kreisten seine Gedanken um Stefans Worte, die ihm jedes Mal aufs neue wie qualvolle Stiche mitten ins Herz vorkamen.

Tobias wurde von schlimmen Alpträumen heimgesucht. Immer wieder tauchten wunderschöne Jungs vor ihm auf. Doch jedes Mal wenn er sich ihnen näherte, verwandelten sie sich in zähnefletschende Monster.

Tobias wachte in jener Nacht mehr als einmal schweißgebadet auf.

Mit dem Piepsen des Weckers fand der Spuk ein Ende.

Trotzdem dass er müde und abgeschlagen war, stand er gleich auf. Im Bad hatte er Mühe, sich im Spiegel zu erkennen. Irgendetwas faltiges, käseweißes guckte ihn aus violett unterlaufenen Augen an. Erst nach einer erfrischenden Dusche bekam dieses Wesen wieder Ähnlichkeit mit Tobias Lang.

Er zog sich an und schlurfte langsam die Treppe hinab.

»Du schon so früh?«, fragte ihn sein Vater, der gerade dabei war das Haus zu verlassen.

»Mhm«, nickte Tobias. »Die Ausnahme von der Regel.«

»Ich wünsch dir einen schönen Tag«, sagte sein Vater und öffnete die Eingangstür.

»Danke«, sagte Tobias leise. »Wünsch ich dir auch«, fügte er etwas lauter hinzu.

Er ging in die Küche und bereitete sich sein Frühstück zu.

Tobias zwang sich, die Geschehnisse vom Vortag zu vergessen. Es gelang ihm nicht. Immer wieder tauchte Stefans Gesicht in seinem Kopf auf, als er ihm sagte, was er von Schwulen halte.

»Guten Morgen Tobias«, hörte er seine Mutter sagen. »Wunder geschehen immer wieder«, fügte sie leicht zynisch hinzu.

»Morgen.«

Sekundenbruchteile nachdem er den ersten Schluck Milch getrunken hatte, stürmte ein kleines schwarzhaariges Kerlchen in das Zimmer.

»Morgen Christian.«

»Hallo Toby.« Der Kleine strahlte.

»Christian. Ich hab dir doch extra was zum Anziehen hingelegt. Warum trägst du schon wieder die alten Sachen?«, tadelte ihn seine Mutter. Doch konnte sie ein schwaches Grinsen nicht unterdrücken. Christian sah einfach zu komisch aus: Das T-Shirt verkehrt herum mit der Schrift nach innen, nur an einer Seite in die Hose gesteckt, die Haare vom Schlaf zersaust.

»Will aber das anhaben«, sagte er trotzig zu seiner Mutter.

»Daraus wird nichts«, entgegnete sie ihm. »Nach dem Essen ziehst du dich um.«

»Nein«, maulte Christian.

»Doch doch«, sagte sie beiläufig während sie ein Brot mit Butter bestrich.

Tobias guckte dem Treiben kauend und grinsend zu. »Aber wenn er es doch unbedingt tragen möchte«, versuchte er seine Mutter umzustimmen.

»Klar. Und im Kindergarten lachen sie ihn aus, weil er immer das Gleiche anhat.«

»Seit Vorgestern« schmatzte Tobias.

»Nichts da. Und wenn du noch eine halbe Stunde auf mich einredest.«

»Und Christians treuherziger Blick kann dich auch nicht umstimmen?«

»Nein«, antwortete sie knapp und führte sich den ersten Bissen zum Mund.

»Tja.« Tobias blickte in Christians trauriges Gesicht und zuckte dabei leicht mit den Schultern. Kurz darauf stand er auf, räumte sein gebrauchtes Geschirr weg und machte sich fertig für diesen Schultag. Eigentlich hätte er so tun sollen, als ob er krank sei, dann wäre ihm die Konfrontation mit Stefan erspart geblieben. Für diesen Tag zumindest.

Tobias verabschiedete sich von seiner Mutter und Christian, der bockig auf seinem Stuhl saß.

Wenn ich mich ein wenig beeile, dann schaffe ich sogar noch einen Bus früher.

Er hetzte zur Haltestelle. Kurz nachdem er sie erreicht hatte kam der Bus.

Er ging nach hinten und ließ sich auf einen freien Platz fallen. Am nächsten Stop stieg ein bildschöner Junge ein. Tobias hatte ihn noch nie vorher gesehen. Er schätzte ihn so auf 14/15. Der Junge grinste Tobias verlegen an und setzte sich neben ihn. Normalerweise hätte er glücklich sein können einen so guten Start in den Tag erwischt zu haben. Doch Tobias konnte die Anwesenheit dieses unbekannten Jungen nicht genießen. Er kam ins Grübeln. Was würde ihm dieser Tag bringen? Wie sollte er sich Stefan gegenüber verhalten? Hatten sich die Geschehnisse im Bad und auf dem Weg zum Zug wirklich so abgespielt, wie er dachte? Oder beruhte alles auf einem Missverständnis seinerseits? Gedankenverloren starrte Tobias zum Fenster hinaus.

»Musst du nicht auch aussteigen?« Der schwarzhaarige Junge neben ihm lächelte ihn schüchtern an.

»Sind wir etwa schon da?« Tobias überkam ein leichter Schauer, als er in das Gesicht des Jungen blickte. Er wollte zurücklächeln, was ihm jedoch nicht gelang.

Schon war der Junge verschwunden. Während Tobias aus dem Bus ausstieg, überlegte er, woher der Junge wissen konnte, dass er in diese Schule ging? Tobias blickte sich um. Angestrengt suchte er die nähere Umgebung der Haltestelle ab. Doch das Schnuffy war spurlos verschwunden.

Tobias hängte sich die Tasche um und schritt gemächlich auf das Schulgebäude zu.

»Guten Morgen Toby«, kam es von hinten.

Diese Stimme konnte nur einer gehören. Tobias drehte sich um und grinste in Sabines Gesicht.

»Morgen.«

Tobias wartete, bis Sabine neben ihm war. Gemeinsam gingen sie in die Schule hinein.

»Hast du gut geschlafen?«, fragte sie und sah ihn dabei aus den Augenwinkeln heraus an.

»So einigermaßen.«

»Warum bist du eigentlich gestern so schnell abgehauen?«

Tobias blickte zu Boden. Er sagte nichts.

»Ich glaub ich weiß warum.«

Tobias schreckte hoch. »Was?«

»Du bist schwul oder?«

»Blödsinn«, fuhr er sie an.

»Entschuldigung. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.«

Wortlos betraten sie das Klassenzimmer. Zu dieser frühen Stunde saßen nur eine Handvoll Leute in diesem. Stefan war einer davon. Demonstrativ sah er weg, als sich sein Blick mit dem von Tobias traf. Ein weiterer Stich in Tobias wundes Herz.

Traurig setzte er sich auf seinen Stuhl und starrte die leere Bank vor ihm an.

»Toby«, flüsterte ihm Sabine ins Ohr. »Egal was ist. Du bleibst immer mein Freund.«

Ein schwaches Lächeln erschien auf Tobias Gesicht. Er überlegte, ob er ihr sagen sollte, dass er schwul sei und sich unglücklich in Stefan verliebt hatte.

Umständlich kramte er seine Stifte und einen Notizblock hervor und legte sie auf seine Bank.

»Du wirkst so traurig«, sagte Sabine leise zu ihm. »Wenn ich dir irgendwie helfen kann ...«

»Danke. Aber das kannst du nicht«, entgegnete er ihr. »Niemand kann mir helfen«, fügte er kaum hörbar hinzu und kritzelte einige Muster in seinen Notizblock.

Zwischenzeitlich füllte sich das Klassenzimmer.

»Hallo Sabine«, sagte Lukas. Tobias würdigte er dabei keines Blickes.

Dem war das egal. Er hatte Lukas ohnehin von der Liste seiner Freunde gestrichen.

»Neben mir wäre noch ein Platz frei. Also wenn du neben einem echten Mann sitzen möchtest ...«

»Danke – kein Bedarf.«

»Dann bleib bei diesem Schwanzlutscher«, sagte er verächtlich und ging nach hinten.

Wenig später kamen Peter und Georg herein. Peter grinste Tobias diabolisch an.

»So so. Der kleine Wichser ist auch schon da.«

»Verpiss dich«, flüsterte Tobias unhörbar..

Als die Uhr über der Tür 08:03 anzeigte, kam Frau Miedaner, bei der sie die nächsten zwei Stunden Deutsch hatten, herein. Tobias hatte Glück, dass er die ganze Zeit nichts sagen musste. So abwesend wie er an diesem Morgen war, hätte jeder Beitrag von ihm eher zur allgemeinen Belustigung als zur konstruktiven Mitarbeit gedient.

Während der Pause versuchte er seine Traurigkeit zu überspielen. Er unterhielt sich mit Markus über den gestrigen Tag im Schwimmbad, wobei er die wesentlichsten Geschehnisse wegließ.

»Hi Tobias. Hi Markus«, rief Gerd und gesellte sich zu den beiden. Die drei quatschten über alles Mögliche, vor allem über die Schule und die Lehrer.

Nach dem Ende der Pause gehörten Gerd, Markus und Tobias zu den Letzten, die das Klassenzimmer betraten. Wenig später stürmte Herr Winkler, ein Energiebündel von Lehrer herein. Erdkunde und Sport hatten sie bei ihm.

»Guten Morgen«, tönte er mit lauter Stimme. »Heute beginnen wir mit dem ersten großen Thema dieses Schuljahres – den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.«

Herr Winkler klappte die Tafel auf. Für einen kurzen Moment blieb er mit dem Gesicht zur Tafel stehen. »TOBIA......UL« konnte man lesen. Der Rest war von Herrn Winkler verdeckt. Er schüttelte den Kopf und ging weg.

»TOBIAS LANG IST SCHWUL« stand in großen Lettern geschrieben.

Tobias Mund klappte auf. Ein heißer Stich durchfuhr seine Eingeweiden. Fassungslos starrte er zur Tafel.

Eine Ewigkeit später wurde sein Geheimnis weggewischt. Ein Geheimnis, in das nun 29 Menschen eingeweiht waren. Bald schon würde es die ganze Schule und dann der ganze Ort wissen.

Tobias war kurz davor zusammenzubrechen.

Gedämpft nahm er eine Stimme, sie mochte zu Peter gehören, wahr.

»Ich habs doch gewusst, dass das so eine verdammte Schwuchtel ist.«

»Lass ihn in Ruhe. Er kann doch nichts dafür«, hörte er eine weibliche Stimme sagen.

»Diskutiert das ein andermal weiter. Ich würde jetzt nämlich gerne mit meinem Unterricht beginnen«, vernahm er Winklers Stimme aus einem anderen Universum.

»Tobias?« Sabine klopfte ihm leicht auf die Schulter.

Er drehte seinen Kopf zur Seite und blickte in Sabines Gesicht. Es erschien ihm verschwommen und verzerrt. Erst einen Augenblick später realisierte er, dass es seine eigenen Tränen waren, die ihm den Blick trübten.

»Du kannst auf mich zählen.« Ganz leicht drückte sie ihm die Hand und lächelte ihn an. Ein schwaches Grinsen umspielte seinen Mund. Dann drehte er sich wieder weg.

Tobias Stimmung war im Keller. Seine Eingeweide verkrampften sich. Er hatte einen salzigen Geschmack im Mund. Als Rotz aus seiner Nase auf das Erdkundeheft tropfte, kramte er ein Taschentuch hervor, schnäuzte sich und wischte die Tränen aus seinem Gesicht.

Später, Herr Winkler hatte das Zimmer bereits verlassen, kamen einige Mitschüler auf Tobias zu.

»Stimmt das, was da vorhin auf der Tafel zu lesen war?«, fragte Markus.

Tobias starrte auf das Lehrerpult. Er wollte Markus nicht ansehen, er wollte niemanden ansehen.

»Sag schon«, warf Bianca ein. »Also ich find Schwule geil.«

Tobias sagte nichts. Regungslos starrte er das Klassenbuch auf dem Pult an.

»Ist schon in Ordnung wenn du schwul wärst. Ich hab da nichts dagegen«, versuchte ihn Markus aufzumuntern.

»Ach lasst mich doch in Ruhe«, fuhr ihn Tobias an.

Er verschränkte seine Arme auf der Bank und vergrub seinen Kopf darin.

»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Herr Berger Tobias, der wohl wie ein Häufchen Elend ausgesehen haben musste.

»Mhm«, kam es dem Jungen leise. Er vermied es, den Lehrer mit seinen rotgeweinten Augen anzusehen. Herr Berger murmelte etwas Unverständliches in seinen Bart hinein und wandte sich der Tafel zu. Tobias versuchte krampfhaft, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Unbarmherzig pochten die Worte »TOBIAS LANG IST SCHWUL« durch sein Gehirn. Bald würde er laut schreiend aus diesem Alptraum aufwachen.

Als es zur zweiten Pause läutete, stand Tobias wie in Trance auf und verließ als Erster das Klassenzimmer. Die nächsten 15 Minuten wollte er niemanden sehen und niemanden hören. Mit schnellen Schritten steuerte er auf das erstbeste Jungenklo zu, öffnete eine der Türen und sperrte sich ein. Er setzte sich auf den Deckel, vergrub die Hände im Gesicht und schluchzte leise.

Viel später, die Pause war längst vorüber, schlich er mit gesenktem Kopf aus dem Klo. In den Biologiesaal, wo sie momentan Erziehungskunde hatten, wollte er nicht gehen. Erziehungskunde war sowieso sinnlos für ihn – er würde eh keine Kinder bekommen.

Tobias ging in das leerstehende Klassenzimmer und überlegte, ob er die Schule an diesem Tag frühzeitig verlassen sollte. In der letzten Stunde hatten sie Englisch und das gehörte nicht unbedingt zu seinen Lieblingsfächern. Er räumte seine Sachen in die Tasche. Doch er hatte nicht den Mut zu gehen. Er setzte sich auf seinen Stuhl, legte die Hände vors Gesicht und versuchte sich zu entspannen.

Später hörte er Stimmen auf dem Gang.

Nach und nach kamen seine Klassenkameraden herein. Ein Teil beachtete ihn nicht. Ein anderer Teil betrachtete ihn sehr interessiert, wodurch sich Tobias vorkam, als sei er ein unbekanntes Insekt. Einige wenige – es waren nur Mädchen - lächelten ihn sogar an.

»Ich dachte, du wärst schon heimgegangen«, wandte sich Sabine an ihn.

»Wollt ich auch. Habs mir dann aber anders überlegt.« Tobias lächelte.

»Du siehst schon wieder viel besser aus.«

»Das was vorhin auf der Tafel stand«, begann er.

»Ja?«

»Ich glaube dass das ...«, Tobias zögerte, »stimmt«, fügte er leise hinzu.

Im ersten Moment sagte sie nichts. Sie sah ihn nur ganz lieb an und drückte leicht seine Hand. »Und? War das jetzt so schwer?«, sagte sie leise zu ihm.

»Nein, eigentlich nicht.« Zum ersten mal an diesem Tag strahlten seine Augen.

»Danke«, fügte er kaum hörbar hinzu. Tobias fühlte sich erleichtert und war glücklich. »Du hast es schon länger geahnt, oder?«

»Ja. Du siehst supersüß aus. Du könntest fast jedes Mädchen aus der Klasse haben. Und Tobias – es gibt einige, die alles dafür geben würden, mit dir gehen zu dürfen.«

Tobias schmunzelte.

»Ich hab mich auch ein wenig in dich verliebt gehabt.«

»Letzten Februar.« Ihm lag ein verschmitztes Grinsen auf dem Gesicht.

»Die Geschichte mit dem Kuss. Ja. Da dachte ich, dass das zwischen uns beiden was werden könnte, aber ...«

»Ich hab nichts dabei gespürt.«

»Du hast sehr abweisend reagiert. Ich hab geglaubt, du magst mich nicht.«

»Klar mag ich dich.«

»Weiss ich.« Sabine hauchte ihm einen leichten Kuss auf die Backe.

»Nicht rot werden.« Sie grinste breit. »Hätte natürlich auch sein können, dass ich nicht der Typ Frau bin, auf den du stehst.«

Jetzt grinste Tobias.

»Und dann merkte ich etwas eigenartiges.«

»Was denn?«

»Ich habe dich genau beobachtet. Und als ich sah, wie glücklich du in Stefans Nähe warst, die verstohlenen Blicke, die du ihm zugeworfen hast. Da war es für mich klar, dass du schwul bist.«

»Hast recht. Ich war in ihn verliebt.«

»Jetzt nicht mehr?«

»Stefan ist ein Arsch. Ein Schwulenhasser.«

»Mhm.« Sie nickte leicht mit dem Kopf. »Aber du findest schon noch den richtigen«, versuchte sie ihn zu ermutigen.

»Vielleicht. Wenn ich denn wirklich so gut aussehe, dürfte es ja ein Leichtes für mich sein, jemanden abzukriegen«, witzelte er.

»Klar. Musst dich nur trauen.«

»Schwierig.«

Im gleichen Moment ging die Tür auf und Herr Dr. Schultes, der Englischlehrer kam herein. Wie so oft hatte er einige Minuten Verspätung. Das war verständlich, da er als Rektor immer viel um die Ohren hatte.

Die Stunde verlief in Tobias Augen besser als erwartet. Er meldete sich sogar einige Male zu Wort und hatte dabei meist die richtigen Antworten bereit. Nach dem Ende des Unterrichts packte Tobias in aller Ruhe seine Sachen zusammen. Da Peter und Georg in der letzten Stunde gefehlt hatten, brauchte er sich keine Sorgen zu machen, dass es erneut zu einer Konfrontation mit den beiden Streithähnen kommen würde. Am Ausgang des Klassenzimmers warteten Markus und Sabine auf ihn. Gemeinsam gingen sie den Korridor in Richtung Eingangstür entlang.

Plötzlich wurde Tobias unsanft an der Schulter gepackt.

»Schwanzlutscher. Wir machen dich alle!«, hörte Tobias eine gehässige Stimme sagen.

Peter dieser Arsch, dachte er und drehte sich um. Er wollte Peter einmal so richtig die Meinung sagen, auch auf die Gefahr hin, dass es zu einem Handgemenge kommen würde.

Erschrocken realisierte er, dass nicht nur Peter bei ihm stand. Vier andere, ziemlich finster dreinblickende Gesellen waren nur wenige Schritte von ihm entfernt.

Einer davon war Georg. Die anderen drei kannte er nicht. Springerstiefel, Bomberjacken, kahlgeschorene Köpfe – das sagte alles. Der, welcher neben Georg stand, ließ seine Fingern genüsslich über eine Art Baseballschläger gleiten.

»Scheiße.« Blitzschnell drehte sich Tobias um und begann zu rennen.

»Schnappt euch das schwule Schwein«, hörte er einen der fünf rufen.

Tobias rannte – er rannte um sein Leben. Mit aller Kraft stieß er die Eingangstüre auf und sprang die Treppen hinab. Hinter sich hörte er die Schreie des Mobs.

Tobias schleuderte seine Tasche, die ihn am Laufen hinderte, zu Boden.

»Gleich haben wir dich«, meinte er zu hören.

Das Trampeln kam näher und näher.

Tobias rannte auf die Straße zu. Auf der anderen Seite fuhr gerade ein Bus an die Haltestelle. Wenn er den erreichen würde, dann wäre er gerettet.

Tobias vernahm das laute Quietschen von Bremsen.

Dann hörte er einen dumpfen Knall.

Jemand hatte das Licht ausgemacht.

Was sollte das jetzt? Eben war doch noch Mittag und die Sonne stand hoch am Himmel?

Alles war dunkel.

Aus der Ferne drangen Stimmen an sein Ohr. Lautes Gemurmel. Er verstand kein Wort.

Er verstand gar nichts mehr. Er fühlte, dass er jeden Moment ohnmächtig werden würde. Oder war er es schon? Tobias kämpfte. Er kämpfte dagegen an. Er wollte nicht ohnmächtig werden. Er wollte die Kontrolle behalten. Kontrolle behalten.

»Alles wird wieder gut«, seine Mutter strich ihm sanft und zärtlich durchs Haar.

»Ma...« Tobias konnte nicht weitersprechen. Gesicht und Kiefer taten ihm höllisch weh.

»Na junger Mann«, hörte er eine fremde Stimme, sie schien sich rechts von ihm zu befinden, sagen.

»Aufwachen. Nicht wieder einschlafen.« Über seinem Gesicht schwebte der Kopf eines Mannes mit schwarzen Locken und Vollbart.

War er schon tot?

Ihm fielen die Augen zu.

»....Zeit....«, hörte er eine Stimme.

»Wieder wach?«

Was heißt hier wieder wach? Ich bin doch gar nicht eingeschlafen.

Tobias fühlte etwas an seinem linken Arm. Es war die Hand seiner Mutter. Vorsichtig drehte er seinen Kopf. Mama lächelte ihn an. Sie sah sehr müde und erschöpft aus.

Was war geschehen? Wenn er sich denn nur erinnern könnte. Er wusste nur, dass er in die hässliche Fratze eines Nazis gestarrt hatte. Was hatte er doch gleich wieder in seiner Hand? Einen Baseballschläger? Oder war es ein Springermesser?

Hatten die ihm das zugefügt? Wurde er zusammengeschlagen und lag deshalb hier.

Kopf und Gesicht schmerzten, sein rechter Arm tat ihm von oben bis unten weh und bei jedem Atemzug stach etwas in seine Brust. Tobias versuchte, die Beine zu bewegen. Das gelang glücklicherweise. Sie schmerzten zwar, taten aber noch lange nicht so weh wie andere Bereiche an seinem Körper.

Tobias hatte ein komisches Gefühl zwischen seinen Schenkeln. Fast so als wenn klein Toby steif wäre. Aber es fühlte sich anders an. Irgendwie seltsam.

»Können Sie mich hören?«

»Ja«, flüsterte Tobias. Er sah in das Gesicht eines älteren, Mannes mit leicht ergrauten Haaren.

»Ich heiße Matthias Bauer und bin Oberarzt im Lehberger Kreiskrankenhaus.

Sie hatten gestern Mittag einen schweren Verkehrsunfall. Vor knapp 36 Stunden.»

Tobias schluckte – ohne Speichel. Eineinhalb Tage lag er hier schon rum? Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Wie gut, dass in diesem Augenblick seine Mutter bei ihm war. Sonst wäre er in Tränen ausgebrochen.

»Also erst mal das wichtigste«, fuhr der Arzt fort. »Sie haben keine schweren inneren Verletzungen davongetragen. Demzufolge ist Ihr Zustand nicht lebensbedrohlich. Dass Sie fast zwei Tage im Koma lagen, ist nach so einem schweren Trauma nichts Ungewöhnliches. So kann sich der Körper regenerieren. Momentan befinden Sie sich noch auf der Intensivstation, aber ich denke, dass man Sie morgen früh auf die Normalstation verlegen kann.«

Tobias starrte den Arzt an. Er wurde wieder müde, wollte aber unbedingt hören, was dieser ihm sagte.

»Sie hatten eine gerissene Milz, die wir wieder zusammengeflickt haben. Zwei Ihrer Rippen sind gebrochen. Das ist der Grund, warum Ihnen das Atmen momentan noch etwas schwer fällt. Aber das gibt sich wieder. Ihr rechter Arm ist an mehreren Stellen gebrochen. Auch der Mittelhandknochen ist leicht in Mitleidenschaft gezogen. Es war keine leichte Aufgabe Ihren Arm im OP zu schienen.«

Horrorgeschichten, dachte Tobias. Irgendwann muss ich doch aufwachen aus diesem Alptraum.

»Außerdem haben Sie eine schwere Gehirnerschütterung und Prellungen am Unterkiefer. Das wird Ihnen das Sprechen in nächster Zeit erschweren. Aber glauben Sie mir - in wenigen Tagen werden Sie von den Prellungen nichts mehr spüren und wieder normal reden können.«

»Un-ten?«, brachte Tobias hervor.

»Ach ja. Der Katheter. Den können wir entfernen.« Der Arzt grinste. »Herr Lustig. Helfen Sie mir mal bitte.«

Trotz seiner misslichen Lage und Schmerzen am ganzen Körper, schämte sich Tobias. Da fuchtelten zwei Wildfremde Menschen an seinem Schwanz rum und seine Mutter sah zu.

»Ahh.«

»Schon vorbei.« Der Mann mit den schwarzen Locken und dem Vollbart und lächelte ihn freundlich an. »Lustig ist mein Name. Auch wenn mein Beruf meistens nicht ganz so lustig ist.«

»Ich bin Nachtpfleger auf der Intensivstation«, hörte er ihn nach kurzer Pause sagen.

»Die erste Zeit wird Ihnen das Wasserlassen noch leichte Schmerzen bereiten. Aber das geht bald vorbei.« Der Arzt nickte bedächtig. »Wie ist es momentan mit den Schmerzen? Haben Sie welche?«

Wie auf Kommando wurde Tobias Kopf in eine Schraubzwinge gepresst. Gequält verzog er das Gesicht.

»Ich gebe Ihnen gleich was dagegen.«

Der Arzt sagte ein unverständliches lateinisches Wort. Bald darauf bückte sich Herr Lustig über sein Bett und lächelte ihn aufmunternd an. Tobias konnte fühlen, wie jemand den Schraubstock um seinen Kopf etwas lockerte und schließlich ganz öffnete. Tobias blinzelte. Er wurde müde. Langsam fielen ihm die Augen zu.

»An Ihren Beinen konnten wir erstaunlicherweise nichts ernstes feststellen. Nur Schürfwunden und Prellungen«, hörte er den Arzt noch sagen.

Als er wieder wach wurde, war der Platz links und rechts neben ihm leer. Seine Mutter und der Arzt waren offenbar wieder gegangen. Tobias hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Er wusste nicht ob es Nacht oder Tag war, er wusste, nicht wie lange er geschlafen hatte. Er war durstig. Wusste aber nicht wie er sich bemerkbar machen sollte. Er konnte niemanden im Umkreis seines Bettes sehen. Traurigkeit machte sich in ihm breit. Er kam sich einsam und hilflos vor. Und er fühlte sich schlecht, verdammt schlecht. Es waren nicht nur die körperlichen, sondern vielmehr die seelischen Schmerzen, die ihm zu schaffen machten. Dass er hier war, hatte er der Gesellschaft zu verdanken, der Gesellschaft die keine Schwulen brauchen kann. Wieder und wieder spürte er den Hass. Den Hass, den ihm Stefan entgegenbrachte, den Hass den ihm Peter und seine Nazifreunde entgegenschlugen. Tobias merkte, dass seine Backen feucht wurden. Er geriet in leichte Panik. Blutete er etwa? Erst nachdem er mit der linken Hand etwas von der Flüssigkeit auf seine Zunge brachte, wusste er, dass es Tränen waren. Tränen eines Verzweifelten. Der nicht so sein durfte, wie er war. Sicher – es gab auch ein paar, die mit seinem Schwulsein umgehen konnten. Doch der größte Teil, mit denen er zu tun hatte, täte es nicht.

In diesem Moment fasste er einen Entschluss – er wollte nicht mehr schwul sein. Nie wieder wollte er einem Jungen hinterher starren, nie wieder von einem Jungen träumen, nie wieder für einen Jungen schwärmen.

NEIN! schrie irgendwas in seinem Kopf. Tobias schluchzte. Die Tränen schossen nur so aus ihm heraus.

Als er seine Gefühle wieder unter Kontrolle hatte, überlegte er angestrengt, wie es wohl wäre, auf Mädchen zu stehen. Er stellte sich vor, mit Sabine im Bett zu sein.

Das erschien ihm so absurd, dass er unwillkürlich schmunzeln musste.

Nein. Sabine war es nicht. Aber es gab sicher genügend andere Frauen, mit denen er sexuell was anfangen könnte. Schließlich war er erst 16. Da konnte er noch locker auf den Zug in die Heterowelt springen.

Jawohl. Das Schwulsein kann mir gestohlen bleiben. Ich finde ein nettes Mädchen und werde glücklich mit ihr, dachte er.

Genauso wie es die Gesellschaft will, meldete sich eine leise Stimme in seinem Kopf zu Wort.

Während er grübelte, fiel ihm ein rot leuchtender Knopf zu seiner Linken auf. Darüber war ein Strichmännlein zu sehen. Sollte wohl eine Schwester darstellen.

Aha.

Tobias versuchte, den Knopf zu erreichen. Kurz darauf drückte er ihn.

»Herr Lang? Sie sind schon wieder wach?« Die Stimme gehörte zu dem Pfleger den er schon mal gesehen hatte. Wie hieß er doch gleich wieder? Ach ja – Lustig.

»...urst«, versuchte sich Tobias verständlich zu machen.

»Ich hole Ihnen gleich was zu Trinken. Haben Sie Schmerzen?«

Tobias nickte schwach.

Herr Lustig entfernte sich und kam bald darauf mit einem Glas Wasser zurück. Er klappte das Kopfende von Tobias Bett vorsichtig um ein Stück nach oben, damit dieser leichter trinken konnte.

»Hier.« Herr Lustig reichte ihm das Glas bis an seine Lippen. Tobias nippte erst ein wenig. Schließlich schluckte er den Inhalt vorsichtig hinunter. Das tat wirklich gut.

»Ich gebe Ihnen noch mal ein Schmerz- und Beruhigungsmittel. Das wird Ihnen helfen, zu schlafen,«, sagte Herr Lustig, während er an einem Gerät, welches rechts von Tobias stand, herumhantierte. Tobias Körper wurde wieder schwerer und schwerer. Die Augenlieder fielen ihm zu.

Er schwebte über einen dunkelgrünen Wald. Oben war strahlendblauer Himmel und die Sonne schien auf ihn herab. Nebenan zogen einige Vögel des Weges. Tobias fühlte sich unendlich frei.

Er blickte nach unten und sah er auf eine saftige grüne Wiese. In der Ferne konnte er jemanden erkennen. Dieser saß auf einem kleinen Hügel, aus einem Meer von roten und gelben Blumen umgeben. Im nächsten Moment fand sich Tobias in inmitten dieser vielen Blumen wieder. Er drehte sich nach links und blickte in das Gesicht von Stefan.

Stefan grinste. An seinem Augen und Wangen zeigten sich süße Lachfältchen. Tobias starrte in das Gesicht. Alles was er wollte, war es zu berühren, es zu streicheln, es zu küssen.

Doch nein. Er durfte es nicht. Er musste seiner Gefühle Herr werden.

»Kleiner Dummkopf«, hauchte Stefan.

Diese wunderbare Stimme ... Nein! Ich will nicht.

»Du weißt, wo du hingehörst. Du kannst nichts daran ändern.«

»NEIN!«, schrie Tobias.

»Herr Lang!« Jemand schüttelte ihn leicht an der linken Schulter.

Benommen schlug er die Augen auf.

»Sie hatten wohl eine Art Fiebertraum«, lächelte ihn Herr Lustig an.

»Mhm«, kam es Tobias.

»Aber da Sie jetzt schon mal wach sind, können Sie ja gleich die Visite über sich ergehen lassen«, sagte der Pfleger und grinste dabei.

Visite?

Ach so, er war ja im Krankenhaus. Schlimmer noch – auf der Intensivstation.

Tobias ließ seinen Blick an der Decke entlangschweifen.

»Guten Morgen Herr Lang«, wurde er plötzlich aus seiner Entspannungsübung gerissen. »Mein Name ist Martin Meyer. Chefarzt Dr. Schröder, Dr. Bauer und ich haben Sie gestern Mittag operiert. Wie fühlen Sie sich heute?«

Tobias verzog das Gesicht.

»Ich denke, dass es Ihnen schon bald wieder besser gehen wird.« Der Arzt lächelte Tobias aufmunternd an.

»Wir machen noch ein paar Untersuchungen. Danach werden wir Sie wahrscheinlich in die Obhut der chirurgischen Station geben können«, sagte ein älterer Herr mit Brille. Das musste wohl Dr. Schröder, der Chefarzt gewesen sein. Tobias erinnerte sich an letztes Jahr, wo er von eben diesem Dr. Schröder ambulant behandelt worden war. Seine Hand hatte damals unliebsame Bekanntschaft mit der Autotür gemacht.

Nach endlosen Minuten war das Ärzteteam mit seinen teilweise schmerzhaften Untersuchungen fertig. »Alles OK.« Dr. Meyer lächelte ihn an. »Einer Verlegung in die Normalstation steht nichts mehr im Wege.«

»Gute Besserung«, wünschte ihm eine der Krankenschwestern. Schließlich entfernte sich der Trupp wieder von seinem Bett.

Tobias schloss die Augen. Die erste Hürde hatte er übersprungen. Denn hier auf der Intensivstation rumzuliegen war alles andere als toll.

»Geht's Ihnen schon wieder besser?«, hörte er eine weibliche Stimme.

Tobias blickte in das freundliche Gesicht eines knapp 20 jährigen hübschen Mädchens. Er lächelte sie zaghaft an und überlegte gleichzeitig, ob er sich was mit ihr vorstellen könnte. Doch irgendwie mochte ihm der Gedanke, ihren nackten Körper zu spüren, nicht recht behagen.

Egal. Es gibt mehr Mädchen. Bei einer wird's schon funken, versuchte er sich zu überzeugen.

Niedlich war sie ja. Aber das Kribbeln, welches er beim Anblick von so manchem Jungen der ihm über den Weg lief, verspürte, fehlte völlig.

»Ich heiße Rita und mache auf Station 1/2 mein Praktikum. Jetzt werde ich Sie mitsamt Ihrem Bett dorthin entführen.«

Tobias musste unwillkürlich grinsen.

Rita stöpselte einige Kabel von ihm ab und drückte auf irgendwelche Knöpfe an den Gerätschaften neben ihm. Nach einem klackenden Geräusch, scheinbar von den Bremsen des Bettes verursacht, wurde er zuerst vorsichtig und langsam, aber nachdem sie die Intensivstation verlassen hatten, doch ziemlich schnell und gezielt durch das Krankenhaus geschoben. Nach kurzer Zeit waren sie in einem Krankenzimmer angelangt. Seine Wohnung für die nächsten Wochen vermutete Tobias. Schwester Rita schob Tobias an den leeren Platz neben das Fenster.

Am Tisch gegenüber stand ein Fernseher. Tobias ließ seinen Blick durch das Zimmer gleiten. Auf dem Nachttisch nebenan konnte er ein paar Flaschen, ein Glas, einen Stapel Zeitungen sowie ein schwarzes Telefon ausmachen. Wer wohl sein Zimmernachbar war? Ob es vielleicht ein hübscher ... Gleich darauf verwarf er den Gedanken wieder. Schließlich war er gerade dabei, Hetero zu werden.

»Frühstück gibt's heut noch keins«, sagte Rita.

»Mm.«

»Schmerzen?«

Tobias nickte vorsichtig.

»Warten Sie einen Moment. Ich gebe Ihnen ein Schmerz- und Beruhigungsmittel.«

Sie reichte ihm einen Becher Wasser. Unter einigen Mühen gelang es ihm, den Inhalt – er schmeckte scheußlich – zu trinken.

Rita verabschiedete sich.

Tobias blickte aus dem Fenster. Es war ein sonniger Tag.

Ihm fielen die Augen zu.

Als er sie wieder öffnete, hörte er Stimmen. Er brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, dass jemand den Fernseher eingeschaltet hatte. Rechts im Nachbarbett sah er einen älteren Herrn im hellblauen Pyjama. Tobias schätzte ihn auf gute 50. Der Alte saß aufrecht und hatte seinen Blick in Richtung Fernseher gerichtet.

Offenbar eine Talkshow, realisierte Tobias. Gerade war ein recht ansehnlicher Junge im Großformat zu sehen. Sein Gesicht war mit niedlichen Sommersprossen übersäht.

Es war alles andere als leicht, hetero zu werden.

Tobias Kehle war wie ausgetrocknet. Doch er konnte sich nicht bewegen, um mal eben schnell ein Glas Wasser oder Saft zu holen. Was sollte er tun? Irgendwie versuchen, an den Alarmknopf zu gelangen? In seinem linken Arm befand sich zwar noch eine Kanüle, in die stetig eine klare Flüssigkeit tropfte. Doch würde er den Nachttisch mit dem roten Knopf sicher erreichen können. Andererseits wollte er aber auch nicht unbedingt großes Aufsehen um seine Person veranstalten.

Tobias wartete.

Doch bald schon fasste er sich ein Herz.

»Ha...allo...Sie«, flüsterte er.

Keine Antwort. Der Fernseher war aber auch zu laut eingestellt.

Tobias sah zu dem Mann hinüber. Er wünschte, dass sich dieser endlich zu ihm herdrehen würde. Doch statt dessen blickte der Mann stur auf den Bildschirm. Noch einmal versuchte Tobias auf sich aufmerksam zu machen. Doch mehr als ein heiseres Krächzen brachte er nicht heraus. Just in dem Moment, als er der Schwester Bescheid geben wollte, hörte er eine raue Stimme.

»Ach du bist schon wach? Hab ich jetzt gar nicht gemerkt. Ich darf dich doch duzen, oder?«

Tobias nickte vorsichtig. »Ha..e..ust«, brachte er mühsam hervor.

Der Alte lächelte. »Ich hol dir gleich ein Glas Wasser. Ach übrigens. Ich heiße Graf. Ferdinand Graf. Aber du kannst ruhig Ferdl zu mir sagen. So nennen mich alle meine Freunde.« Er schaltete den Fernseher aus und ging weg. Wenig später kam er mit einem halbvollen Glas Wasser zurück.

»Hier bitte.« Ferdl reichte es ihm.

Tobias schaute ihn mit einem entschuldigenden Blick an.

»Du kannst es nicht alleine nehmen? Warte ich helf dir.«

Das tat gut. Trotzdem dass er nur vorsichtig schlucken konnte, hatte er es bald geleert. Dankbar sah er Ferdl an.

»Keine Ursache Tobias.«

Woher wusste der Mann wie er hieß? Klar. Vor jedem Bett war ein Schild angebracht, auf dem der Name des Patienten zu lesen war.

Ferdl erzählte von sich. Seiner Frau, seinen Kindern und Lisa seiner zwei Jahre alten Enkelin. Und er erzählte von seinem Unfall mit der Leiter. Pflaumen wollte er pflücken, vor knapp zwei Wochen. Er war ausgerutscht und einige Meter tief gefallen. Die Folge waren mehrere Knochenbrüche und eine Gehirnerschütterung.

Tobias hörte stumm zu. Ab und an nickte er vorsichtig.

Später, Ferdl war zum Rauchen in die Cafeteria gegangen, klopfte es an der Tür.

Sie öffnete sich und Tobias blickte in Christians grinsendes Gesicht.

»Hallo Toby«, strahlte ihn der Kleine an.

Tobias grinste leicht zurück.

»Hallo mein Schatz«, sagte seine Mutter, als sie an sein Krankenbett trat.

Schließlich kamen auch seine Großeltern ins Zimmer. Sein Opa trug eine Sporttasche mit sich. Vermutlich waren in dieser wichtige Dinge für den täglichen Überlebenskampf im Krankenhaus.

»Tobias«, hörte er seinen Opa mit dunkler Stimme sagen. »Du machst Sachen.« Er drückte ihm vorsichtig die unverletzte Hand.

»Das wird schon wieder«, sagte seine Oma und lächelte.

»Hab dir was mitgebracht«, schallte Christian und kramte etwas aus dem Tütchen, das er bei sich trug, hervor. Tobias grinste, als er die beiden Lego Auto-Raumschiffe sah.

»Spielen wir?«

»Aber Christian. Tobias kann heute nicht mit dir spielen«, erklärte ihm seine Mutter. »Aber das habe ich dir doch zu Hause schon gesagt.«

Traurig sah Christian zu Tobias.

»..ald....ieder«, krächzte dieser und lächelte seinen Bruder dabei an.

In Christians Gesicht stand ein großes Fragezeichen geschrieben.

»Tobias kann momentan nicht so gut reden, weißt du«, klärte ihn Oma auf und strich ihm mit der Hand durchs Haar.

»Mhm«, machte Christian.

»Ich glaube Tobias hat gemeint, dass er bald wieder mit dir spielen kann«, sagte seine Mutter. Tobias nickte schwach. Auf Christians Gesicht zeichnete sich ein zaghaftes Lächeln ab.

»Wie geht's dir heute?«

Tobias sah seine Mutter an und verzog die Mundwinkel nach unten.

»Können wir irgendwas für dich tun?«

Tobias schüttelte den Kopf.

»Wir haben dir übrigens was mitgebracht«, sagte sein Opa und öffnete eine der beiden Schranktüren. »Hier können wir es rein tun.«

Tobias Mutter öffnete den Reisverschluss der Sporttasche und räumte zusammen mit ihrem Vater etliche Kleidungsstücke in den Spind. Tobias hatte ein seltsames Gefühl dabei, als er ihr zusah. Ihm wurde so richtig bewusst, dass er wohl noch eine lange Zeit hier verbringen musste.

Trotzdem dass alle versuchten fröhlich zu sein, lag eine gedämpfte Stimmung im Raum. Christian war unruhig und quengelte. Es dauerte nicht mehr lange und Tobias Verwandtschaft fuhr nach Hause. Auch wenn sich sein Opa wohl gerne noch etwas länger mit Ferdl unterhalten hätte. Soviel Tobias verstanden hatte, kamen sie beide aus dem gleichen Ort, waren sich aber nie über den Weg gelaufen.

»Heute Abend kommt dich Papa besuchen«, sagte seine Mutter und streichelte ihn mit dem Handrücken an der Wange. Ein leichtes Grinsen lag auf Tobias Gesicht.

»Schü...«, flüsterte er.

»Tschüss Tobias.«, sagte sie.

»Wiedersehen und gute Besserung«, kam es aus Richtung Tür.

Christian war schon am Gang verschwunden.

Den Rest des Nachmittags döste Tobias vor sich hin.

Alles kam ihm wie ein surrealer Traum vor.

Tobias spürte ein leichtes Klopfen auf seinem gesunden Arm. Verschlafen blinzelte er in das Gesicht seines Vaters.

»Tobias«, flüsterte dieser. »Wie geht's dir?«

»Mm.« Tobias verzog das Gesicht.

»Verstehe. Aber du schaffst das schon. Wirst sehen – in ein paar Wochen lachst du darüber.«

Tobias lächelte schwach.

»Ich frage mich dauernd, wieso du vor dieses Auto gelaufen bist. Weißt du es?«

»Nei...«, krächzte Tobias.

»Schon OK. Ich möchte dir auch keinen Vorwurf machen. Hauptsache ist, dass du wieder gesund wirst.« Sein Vater lächelte ihn an und strich ihm ganz sanft durch die Haare. Tobias bekam eine leichte Gänsehaut dabei. Aber es gefiel ihm. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte er sich wieder richtig geborgen.

Es war viele Jahre her, dass ihn sein Vater zum letzten Mal so liebevoll berührt hatte. Tobias versuchte sich an diese Zeit zu erinnern – es gelang ihm nicht.

Eine Welle der Gefühle brach über ihn herein und er konnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Leise schluchzte er.

»Alles wird wieder gut«, flüsterte sein Vater. Auch seine Augen waren leicht gerötet.

Wie sehr hatte Tobias diesen Moment herbeigesehnt. Endlich spürte er wieder, was er lange Zeit verloren geglaubt hatte – die Liebe seines Papis.

Dieser kramte ein Taschentuch hervor und wischte die Tränen aus Tobias Gesicht. Dann gab er ihm einen sanften Kuss auf die Stirn und richtete sich auf.

»Ich hol mir schnell einen Stuhl. Dann können wir uns besser unterhalten.«

Wenig später saß er links von Tobias und drückte ihm leicht die Hand. Tobias wünschte er würde sie nie mehr loslassen.

»Hab ich dir eigentlich schon mal erzählt, dass ich ungefähr in deinem Alter einen ziemlich schweren Unfall hatte und fast einen Monat im Krankenhaus verbringen musste?«

Tobias schüttelte den Kopf. Nein, darüber hatten sie nie gesprochen. Er wusste nicht einmal, dass sein Vater überhaupt jemals krank gewesen war.

»Es war windig und regnerisch in jener Nacht. Ich bin mit dem Moped von der Disco oder was man damals eben so Disco nannte, heimgefahren.«

Sein Vater machte eine kurze Pause und richtete seinen Blick in die Ferne.

»Irgendwie muss ich ins Schleudern geraten und mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammengestoßen sein. Als ich damals im Krankenhaus aufwachte und alleine im Zimmer lag, bekam ich schreckliche Angst.« Er schluckte hörbar.

»Es dauerte lange, bis ich mich wieder in den Griff bekommen hatte ... Man hat mir gesagt, ich hätte großes Glück gehabt. Wäre das andere Fahrzeug nur etwas schneller unterwegs gewesen, dann ...«

Jetzt war es Tobias, der schlucken musste.

»Schädelbasisbruch. Helmpflicht gab es damals ja noch keine.«

Seine Hand drückte etwas fester in die von Tobias.

Dieser sah ihn mit großen Augen an.

»Wie dem auch sei. Ich bin sehr schnell wieder gesund geworden.«

Tobias Vater schmunzelte.

»Das lag sicher auch an Sylvia.«

Sylvia?

»Sylvia war die Schwester meines Zimmernachbarn«, fuhr er nach kurzer Pause fort.

»Später, als ihr Bruder schon lange entlassen war, hat sie mich jeden Tag besucht.«

Und dann?

Als hätte er die Gedanken seines Sohnes gelesen, sagte er:

»Wir sind fast zwei Jahre miteinander gegangen.«

Nach einer langen Pause ließ er Tobias los und legte sich die Hände auf seine Oberschenkel. Wieder starrte er in die Ferne.

»Ich habe sie damals wegen Mathilde verlassen.«

Erneut brach sein Redefluss ab.

»Aber ich habe es nie bereut. Mathilde ist eine wunderbare Frau. Und mit ihr habe ich zwei ganz tolle Kinder.«

Tobias sah Tränen im Gesicht seines Vaters. Sie glitzerten im Schein der Lampe.

»Weißt du, dass ich euch beide ganz, ganz fest lieb habe?«

Jetzt war es Tobias, der weinen musste. Sein Vater lächelte ihn an und strich ihm noch einmal zärtlich durch das Haar. Tobias wünschte sich, er täte ihn in den Arm nehmen. Doch erstens würde ihm das sicher weh tun und zweitens traute er sich nicht, ihn zu fragen. Sein Vater lächelte ihn an und nahm ihn wieder ganz sanft an der Hand. Mit der anderen wischte er zuerst Tobias, dann sich selbst die Tränen weg. Lange Zeit sahen sie sich schweigend an. Tobias fühlte die Wärme und Geborgenheit, die ihm sein Vater vermittelte. Er wünschte sich, dieser Moment würde nie vergehen.

Plötzlich ging die Tür auf.

Erschrocken ließ sein Vater Tobias los.

»Sie müssen Herr Lang sein, nicht wahr?«, tönte es von der Tür.

Tobias Vater nickte. »Und Sie sind Herr, Herr ...«

»Graf. Ferdinand Graf. Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Er trat auf die beiden zu und reichte Tobias Vater die Hand.

»Die Freude ist ganz meinerseits«, sagte dieser und erhob sich von seinem Stuhl. Im nächsten Moment stand er Tobias Zimmernachbarn gegenüber.

Ferdl grinste. »Er wird bald wieder rumlaufen und mit den Mädchen flirten.«

»Ja.« Tobias Vater lächelte seinen Sohn an. »Wer weiß?«

Ferdl und Herr Lang unterhielten sich noch kurz über das aktuelle Zeitgeschehen.

»Ich muss dann mal wieder heim. Mein Jüngster wartet noch auf seine Gute Nacht Geschichte.« Er schmunzelte.

»Wiedersehen«, sagte Ferdl.

»Wiedersehen«, sagte Tobias Vater. Er trat noch einmal auf Tobias Bett zu und drückte ihm die Hand.

»Tchau«, flüsterte Tobias und lächelte zaghaft.

»Tschüss Großer. Machs gut.«

Tobias fühlte sich mit einem Mal wieder traurig und verlassen. Noch lange, nachdem sein Vater gegangen war, blickte er zur Tür.

In den nächsten Tagen dachte er viel über sich und sein Leben nach. Es gelang ihm immer mehr, sich mit dem Gedanken hetero zu sein, anzufreunden. Schließlich gab es jetzt noch etwas, was ihn dazu veranlasste, auf Frauen stehen zu müssen – er wollte seinen Vater nicht enttäuschen.

Etwas mehr als eine Woche nach seinem Unfall durfte er endlich von seinem Bett aufstehen. Das war ihm sehr recht. Nun musste er nicht zehnmal am Tag nach der Schwester läuten, wenn er mal pissen oder kacken musste.

Täglich sahen seine Mutter und Christian vorbei. So oft es ging besuchten ihn auch seine Großeltern. Sein Vater konnte wegen diverser Geschäftsreisen nur jeden dritten oder vierten Tag nach ihm sehen. Dann jedoch verbrachten sie mehrere Stunden zusammen. Doch es war nie mehr so wie an jenem ersten Abend im Krankenzimmer. Das lag wohl auch daran, dass Tobias nicht mehr so hilflos war.

Es dauerte nicht lange und er konnte er erste Spaziergänge unternehmen. Zunächst noch auf die Station beschränkt. Doch nach und nach traute er sich zu längeren Ausflügen im ganzen Krankenhaus sowie im angrenzenden Park. In diesem setzte er sich meistens auf dieselbe Bank, sah in den kleinen Weiher und hörte den Vögeln zu.

In seinem Kopf fühlte er eine große Leere, die sich in ihm breitmachte, seid er sich zwang nicht mehr an Jungs zu denken. Tobias spürte sehr wohl, dass dies der Grund für seine latente Traurigkeit war. Er versuchte es aber durchzustehen – wie ein richtiger Mann.

Es war Montag Nachmittag – der zweite Montag, den er im Krankenhaus verbringen musste. Tobias sah sich gerade eine Wiederholung von »Star Trek – The next Generation« an, als es an der Tür klopfte.

»Herein.«

»Hallo«, sagte Sabine. »Muss doch mal sehen, wie es dir so geht.«

»Hi.« Tobias grinste Sabine an. »War schon mal schlimmer aber auch schon wesentlich besser.« Er schaltete den Fernseher aus.

»Hat bös ausgesehen, als du so dagelegen bist. Wir haben schon befürchtet, du wärst tot.«

»Ne ne. Ich bleib euch schon noch einige Zeit erhalten.« Er grinste.

»Entschuldige bitte, dass ich dich erst jetzt besuche. Aber deine Mutter hat gemeint, wir sollen noch warten, bis du wieder einigermaßen auf dem Damm bist.«

»Kein Problem. Letzte Woche noch hätte ich mich noch nicht einmal mit dir unterhalten können.«

»Wieso?«

»Kieferprobleme.«

»Aha. Übrigens soll ich dir von der ganzen Klasse gute Besserung ausrichten. Hier.« Sabine reichte ihm eine Packung edler Pralinen.

»Aber, aber das wär doch nicht nötig gewesen.« Tobias guckte verlegen.

»Jetzt nimm schon. Sie schmecken übrigens sehr lecker.«

»Hast du schon probiert?«

»Ne. Aber meine Mutter hat die gleichen zu ihrem Geburtstag vor vier Wochen geschenkt bekommen.«

»Von wem sind sie eigentlich.« Tobias öffnete die Schleife. Einhändig und demzufolge etwas umständlich entfernte er das durchsichtige Geschenkpapier.

»Spende von deinen Mitschülern.«

»Danke«, grinste Tobias. Er öffnete die Schachtel und reichte sie Sabine. »Hier. Die erste ist für meine beste Freundin.«

»Oh«, tönte sie schrill und nahm sich eine Praline heraus.

Tobias musste lachen. Sabine sah in diesem Moment einfach zu komisch aus.

»Wie haben die Leute in der Klasse auf mein unfreiwilliges Outing reagiert? Weis es etwa die ganze Schule schon?«, fragte er, nachdem er eine leckere, mit Marzipan gefüllte weiße Schokolade genüsslich verspeist hatte.

»Ich glaube nicht, dass irgendwas davon nach außen gedrungen ist. Und was die Leute in unserer Klasse betrifft – von denen glaubt es wohl eh keiner, bevor du es ihnen nicht direkt ins Gesicht sagst. Du musst also keine Angst haben, dass es sich rumsprechen könnte.«

»Sabine?«

»Toby?«

»Ich bin nicht mehr schwul.«

»Echt?«

»Das heißt, ich will es nicht mehr sein. Das bringt viel zu viele Probleme mit sich. Sieh mich nur an. Wäre ich nicht schwul, würde ich jetzt nicht im Krankenhaus liegen.«

»Find ich prima. Dann geht mein Traum, dich zu kriegen vielleicht doch noch in Erfüllung«, sagte sie mit leicht verstellter Stimme.

»Mm.« Tobias verzog den Mund.

»Schade«, kam es ihr mit gespielter Enttäuschung.

»Ich mag dich wirklich gern. Du bist echt hübsch ...«

»Aber?«

Tobias überlegte.

»Ich bin eine Frau.«

Tobias blickte zur Decke. Darauf hatte er keine Antwort mehr parat. Sabine lächelte.

»Toby, Toby. Du wirst dich nie in eine Frau verlieben. Du und ich – wir werden uns immer nur in Jungs und Männer vergucken.«

Tobias schluckte. In seinem Inneren wusste er, dass sie damit absolut recht hatte. Auch wenn er es nicht wahrhaben wollte.

»Toby. Du bist schwul. Steh endlich dazu!«, sagte sie energisch.

»Ich will aber nicht«, sagte er trotzig. »Wie läuft es eigentlich in der Schule?«

»Langweilig wie immer. In Geschichte haben wir eine Ex geschrieben.«

»Und?«

»Zwei oder drei schätze ich mal. War eigentlich ganz simpel. Da hättest du locker eine gute Note erreicht.«

Tobias grinste. »Das bezweifle ich.«

»Wer hatte denn letztes mal eine Eins?«

»Das war eine Ausnahme.«

»So so.« Sabine verzog das Gesicht.

»Möchtest du ein wenig spazieren gehen. Immer diese stickige Luft in diesem Zimmer ...«

»Klar. Darfst du schon aufstehen?«

»Aber sicher meine Süße.« Er kicherte.

Als er mit ihr den Flur von der Station bis zur Cafeteria entlang ging, kamen ihnen eine junge Krankenschwester und ein noch jüngerer Pfleger, vermutlich ein Zivi entgegen. Tobias zwang sich, ausschließlich die Frau anzusehen und irgendwas an ihr zumindest ansatzweise erotisch zu finden. Doch statt dessen wanderten seine Blicke immer wieder zu dem jungen Mann. Tobias fand, dass er niedlich aussah – wuschelige braune Haare, Stupsnase und fein geschwungene Lippen. Die weiße Kleidung betonte seinen, zumindest im Gesicht und an den Armen hellbraunen Körper. Er grinste Tobias schelmisch an. Tobias konnte nicht anders – er musste zurücklächeln.

»So so. Du willst also Hetero sein?«, sagte Sabine, als sie in der Cafeteria saßen. »Schwer zu glauben. So wie du den Zivi vorhin angestarrt hast.«

»Hmm«, kam es Tobias. Er merkte, wie sein Gesicht warm wurde.

»Sieht süß aus, wenn du rot wirst.«

»Blödsinn.«

»Nein, echt.«

»Frauen ...«

»Och, ich denke Männer fänden das auch süß.«

»Kannst du jetzt endlich mal damit aufhören. Ich bin nicht schwul.«

»Entschuldigung. Ich vergaß.«

»Auch wenn du so manchem Schwulen sicher sehr gut gefallen würdest«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.

»Meinst du?« Tobias schlürfte an seinem Capuccino.

»Klarer Fall. Die fänden es bestimmt Jammerschade, dass du hetero bist.«

»Worüber sich viele Frauen freuen dürften«, grinste Tobias.

»Genau. Ich zum Beispiel.«

»Ja, ja.«

Abends, als er wieder im Bett lag, dachte er noch lange über seine Unterhaltung mit Sabine nach. Es war wirklich nicht einfach für ihn, seine Gefühle Jungs gegenüber so einfach abzuschalten – besser gesagt es war unmöglich. Immer wieder ertappte er sich bei eindeutigen sexuellen Gedanken. Sie drehten sich ausschließlich um Jungs und Männer. Nicht immer gelang es ihm, sie bei einer seiner Lieblingsbeschäftigungen, der er ab und zu, wenn Ferdl aus dem Zimmer war, nachging, auszuschalten.

Die nächsten Tage verliefen unspektakulär. Seine körperliche Genesung schritt immer weiter fort. Die Ärzte waren sehr zufrieden mit ihm.

In ein paar Wochen würde er wieder nach Hause dürfen.

Doch die seelischen Wunden, die von Hass und Intoleranz gerissen wurden, waren noch lange nicht verheilt. Immer wieder richtete er Aggressionen gegen sich selbst. Er wollte – koste es was es wolle – hetero sein.

Mit Gewalt, dachte er, würde er es schon schaffen.

Es war Dienstag Nachmittag, genau drei Wochen nach seiner Einlieferung.

Seit Ferdl entlassen wurde, war er alleine auf dem Zimmer.

Dass es ihm nicht so langweilig wurde, hatte ihm sein Opa einen kleinen Fernseher, er stand normalerweise im elterlichen Schlafzimmer, mitgebracht.

Tobias sah sich gerade eine Dokumentation über den Regenwald an, als Claudia, eine der Stationsschwestern, ein leeres Bett in sein Zimmer schob.

»Bekomme ich etwa einen Zimmernachbarn?« Er klang nicht sonderlich erfreut. Zu sehr hatte er sich schon an ein Einzelzimmer gewohnt. Nicht nur, dass er ungestört wichsen konnte, er wurde auch nicht vom Schnarchen anderer vom Schlafen abgehalten.

»Ja«, sagte Claudia. »Er ist noch im Röntgen. Wird aber in der nächsten halben Stunde sein neues Quartier beziehen.«

»Aha«, kam es Tobias. Er vermutete einen älteren Herrn, der von der Treppe gefallen war und sich den Oberschenkel gebrochen hat. Kommt ja häufig vor, wenn man alt ist, dachte er.

»Ich glaube, ihr werdet euch gut verstehen«, sagte Claudia und verschwand aus dem Zimmer.

Gut verstehen?

Mal sehen. Hoffentlich schnarcht er nicht zu sehr.

Tobias schaltete den Fernseher aus, holte die »Bravo« aus seiner Schublade und blätterte darin. Er fühlte, dass etwas in der Luft lag. Er konnte aber nicht deuten, ob es sich dabei um ein gutes oder um ein schlechtes Zeichen handelte. Alle paar Minuten fiel sein Blick auf den Taschenwecker. Was war er nur so aufgeregt? Die Wahrscheinlichkeit, dass es jemand in seinem Alter war, lag sowieso nur bei wenigen Prozent. Und andererseits – selbst wenn dieser unbekannte Jemand hübsch wäre – würde es für ihn keine Bedeutung haben. Schließlich empfand er nichts mehr für Männer.

Die Worte der Krankenschwester - »Ihr werdet euch gut verstehen.« – gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwie hatte sie so ein Grinsen auf ihrem Gesicht. Oder bildete er sich das nur ein.

Tobias sah dem Sekundenzeiger zu. Ganz langsam arbeitete sich dieser voran.

Jetzt sind schon fast vierzig Minuten vergangen. Wo bleibt er nur?

Aufgeregt blätterte er die Zeitschrift von vorne nach hinten und von hinten nach vorne durch, ohne achtzugeben, was drinnen stand.

Plötzlich klopfte es an der Tür.

»Ja?«, rief Tobias.

»Darf ich reinkommen?«, hörte er jemanden sagen. Diese Stimme gehörte ganz gewiss nicht zu einem alten Opa.

Die Tür ging auf und ein blondhaariger Junge hoppelte etwas unbeholfen auf zwei Krücken gestützt herein.

Wow!

Es machte »Klack«, und irgendwo in Tobias Kopf schmolz eine Sicherung durch.

Er war unfähig irgendwas zu sagen. Ein paar Meter von ihm entfernt stand ein absolutes Mega Schnuffy.

Der Junge vor ihm war etwas kleiner als Tobias und ungefähr in seinem Alter. Er hatte leicht zersauste, kurze blonde Haare. Aus seinem feinen, leicht feminin wirkenden Gesicht strahlten Tobias zwei blaue Äuglein an. Eine niedliche Stupsnase und ein Mund mit leicht geschwungenen, schmalen Lippen rundeten das Ganze ab. Ein enges schwarzes T-Shirt ließ einen muskulösen Oberkörper erahnen. Von einer beigen Jacke zwar verdeckt, konnte man dennoch erkennen, dass er eine schöne schmale Taille und einen flachen Bauch hatte.

»Hi«, grinste er Tobias schüchtern an.

Ein Lächeln in dem Tobias am liebsten versunken wäre.

»Ich heiße Sebastian. Und du?«

Sebastian.

Tobias war wie verzaubert vom Klang seiner sonoren Stimme.

»Hm?«

»Was? Oh. Entschuldigung. Ich war grad in Gedanken.«

Sebastian grinste.

»To-Tobias Lang«, stotterte Tobias.

»Cool. Mein kleiner Bruder heißt auch Tobias«, sagte Sebastian, hüpfte auf sein Bett zu und ließ sich hineinplumpsen.

»Endlich«, schnaufte er. »Tut gut, wieder zu sitzen.«

Tobias richtete sich auf. Er konnte nicht anders. Sein Blick wurde von Sebastian, der ihm gerade den Rücken zugewandt hatte, magisch angezogen. Im Geiste glitt er mit seiner Hand ganz sanft über dessen Wirbelsäule hoch zum Haaransatz. Sebastians Haare waren hinten spitz zulaufend ausrasiert, was ihn in Tobias Augen noch erotischer machte. Sebastian zog seine Jacke aus. Tobias sah zwei bronzefarbene Arme. Durch das hereinfallende Sonnenlicht konnte man auf ihnen einen Saum feinster Härchen glitzern sehen.

Tobias konnte nicht anders – er träumte davon, diesen Jungen zu umarmen, ihn ganz nah zu spüren.

Sebastian drehte sich um und sah ihm offen lächelnd ins Gesicht. Wieder blitzten Tobias diese wunderschönen, tiefgründigen Augen an.

»Woran denkst du?«

»Ich? Wieso?«

»Du scheinst gerade in einer anderen Welt zu sein, so wie du aussiehst.« Sebastian grinste über beide Ohren.

»Delta Centauri Ypsilon«, gab Tobias zurück, woraufhin beide losprusteten.

»Weshalb bist du eigentlich hier?«, fragte Tobias, als er sich von seinem Lachanfall erholt hatte.

»Ich bin von der Schultreppe gestolpert.«

»Ha. Ich hatte recht«, stieß Tobias hervor.

»Versteh ich nicht.« Sebastian stand auf, hinkte um sein Bett herum und setzte sich direkt gegenüber von Tobias wieder hin.

»Ich hab mir vorhin gedacht, dass mein neuer Zimmernachbar von der Treppe gefallen ist. Ich war allerdings der Meinung, es wäre ein alter Opa.«

»Bist du jetzt sehr enttäuscht, dass ich kein alter Opa bin?«

»Nei-in.«

Sebastian lag ein verschmitztes Grinsen auf dem Gesicht.

»Hab mir dabei irgend so einen Knochen gebrochen und das Sprunggelenkband gerissen. Blöde Sache. Jetzt kann ich nur noch rumhoppeln.«

»Kleinigkeiten«, sagte Tobias.

»Find ich gar nicht. Es nervt mich.«

»Na ja. Wie lange musst du hierbleiben?«

»Wenn alles gut geht mit der Operation, dann darf ich am Wochenende wieder heim.«

»Du hast ´s gut.« Tobias stieß einen pfeifenden Ton aus.

»So gesund wie du aussiehst darfst du sogar noch eher nach Hause als ich.«

»Glaub ich nicht. Zwei Wochen muss ich mir das hier noch antun«, seufzte Tobias.

»Happig. Wie lange bist du schon hier?«

»Auf den Tag genau drei Wochen.«

»Und warum?«

»Bin angeblich vor ein Auto gelaufen. Kann mich aber nicht mehr daran erinnern.«

»Oh. Schlimme Sache.«

»Na ja. Die ersten paar Tage war ich ans Bett gefesselt. Doch nach und nach sind meine Kräfte wieder zurückgekehrt. Und außer diesem Arm hier ...«, Tobias deutete auf den Gipsverband, »und einem leichten Ziehen im Brustkorb, bin ich schon fast wieder der Alte.«

»Jetzt hätte ich fast was vergessen«, murmelte Sebastian.

Tobias legte den Kopf leicht schief. »Und das wäre?«

»Ich muss mal kurz telefonieren. Geht das?«

»Klar. Warum nicht.« Tobias reichte seinem Nachbarn das Telefon mitsamt Telefonkarte.

»Danke.«

»Hi. Ich bins. Du, ich kann heute nicht kommen ... Nein. Ich bin im Krankenhaus ... Nichts Schlimmes. Nur ein gerissenes Band ... Mhm ... Klar freu ich mich .. Ja, scheint ganz nett zu sein ... Was weiß ich ... Klar. Und wie ... Gut. Bis gegen sieben ... Ciao.«

»Du bekommst Besuch?«

»Ja. Freunde von mir. Ein etwas seltsamer Haufen. Aber sie sind voll in Ordnung.«

»Hm?« Tobias kratzte sich an der Schläfe.

Gleich darauf wurde die Tür aufgerissen und eine ältere Krankenschwester stürmte herein. »Sie sollten doch schon im Bett liegen«, sagte sie in einem gereizten Tonfall.

»Oh. Verzeihung. Mach ich sofort«, antwortete Sebastian und zwinkerte Tobias zu.

Als er sich hingelegt hatte, half ihm die Schwester aus seiner Hose.

Muskulöse, leicht gebräunte, mit goldenen Härchen übersäte Beine kamen zum Vorschein.

Tobias blieb für einen Moment der Mund offen stehen. Schnell richtete er seinen Blick an die Zimmerdecke. Klein Toby regte sich neugierig.

»Kann ich mein T-Shirt noch anbehalten?«

»Von mir aus.« Sie hob einen weißen Gegenstand in Sebastians Bett.

»Den rechten Fuß hier rein«, befahl sie und half gleich selber nach.

»Autsch«, schrie Sebastian.

»Jetzt haben Sie sich nicht so.«

»Tat aber trotzdem weh.«

»Junges Volk«, sprach sie, deckte ihn bis zum Hals zu und ging wieder zur Tür hinaus.

»Alte Schachtel«, kam es Sebastian.

»Das hätte sie jetzt nicht hören dürfen«, sagte Tobias grinsend.

»Why?«

»Mit der wirst du noch öfter zu tun haben. Das ist die Oberschwester.«

»Oha.«

»Aber wenn du dich gut mit ihr stehst, kann sie ganz nett sein.«

»Wenn du es sagst.«

»Du Sebastian?«

»Ja?«

»Du wohnst in Lehberg?«

»Ja. Wieso?«

»Ich hab dich noch nie vorher gesehen.«

»Lehberg ist groß.«

»Knapp fünfzehntausend Einwohner«, sagte Tobias.

»Du gehst noch zur Schule, oder?«

»Ja. Realschule letzte Klasse. Und du?«

»11. Klasse Gymnasium.«

»Dann bist du ... hmm ...«

»16. Aber nicht mehr lange. In eineinhalb Wochen werde ich 17.«

»Na hoffentlich kannst du deinen Geburtstag draußen feiern.«

»Hoff ich auch. Wie alt bist du eigentlich?«

»Auch 16. Seit Juni.«

Wieder blickten Tobias diese dunkelblauen sanften Augen an. Sie zogen ihn förmlich hinein.

»Wenn du willst, kannst du von mir einen Schlafanzug haben«, lenkte sich Tobias ab. »Wir scheinen beide in etwa die gleiche Größe zu haben.«

»Danke für das Angebot. Aber meine Mutter müsste jeden Augenblick kommen und mir meine Sachen bringen.«

»Gut. Bevor es das Abendessen gibt, gehe ich noch ein wenig spazieren.«

»Ich würde dich ja gerne begleiten, aber ...« Gequält verzog Sebastian das Gesicht.

Tobias grinste. »Macht nichts. Gibt eh nicht viel zu sehen. Bis dann.«

Tobias öffnete die Tür und wäre beinahe mit Schwester Claudia zusammengestoßen.

»Wieder mal auf Gedankenreise?« Sie lachte herzhaft.

»Möglich.« Er grinste sie an und ging weiter.

Was war bloß los mit ihm. Hatte er denn alle guten Vorsätze einfach über Bord geworfen. Er wollte doch unter allen Umständen Hetero werden. Und jetzt das. Kaum war ein süßer Junge in seiner Nähe, schon setzte sein Verstand aus.

Tobias war verzweifelt. Auf der einen Seite war der Wunsch mit einem Mädchen an seiner Seite glücklich zu werden. Auf der anderen Seite war er drauf und dran sich in Sebastian zu verknallen.

Tobias ging in den Krankenhauspark. Ein eng umschlungenes verliebtes Pärchen kam ihm entgegen. Sie lächelten Tobias an.

»Wunderschönes Wetter, nicht wahr?«, sagte der Mann.

»Ja«, antwortete Tobias

»Ich liebe diesen Garten«, sagte die junge Frau. »Er lenkt mich immer von dieser negativen Atmosphäre da drinnen ab.«

»Find ich auch. Wiedersehen«, sagte Tobias und ging weiter.

Nach wenigen Schritten gelangte er zu seinem Lieblingsplatz. Er setzte sich auf die Bank und ließ seine Gedanken wie die Blätter im Teich treiben.

Nach einiger Zeit bekam er eine Gänsehaut auf seinen nackten Armen. Die Sonne war bereits hinter den Bäumen verschwunden. Bald würde sie untergehen.

Jetzt aber los. Nicht dass mir Sebastian alles wegfuttert.

Langsam führte ihn sein Weg zurück. In der Eingangshalle des Krankenhauses traf er wieder auf das Pärchen von vorhin. Diesmal jedoch sahen sie ihn nicht. Sie waren viel zu sehr mit sich selber, mit Schmusen beschäftigt. Tobias befiel bei dem Anblick eine leichte Traurigkeit. Er fragte sich, ob er jemals so etwas erleben durfte. Wollte er es überhaupt?

»Hi. Hier bin ich wieder«, rief er als er die Tür zu seinem Zimmer öffnete.

»Hi. Du hast leider Pech gehabt«, antwortet ihm Sebastian.

»Wieso?«

»Tja. Abendessen gibt's heute keins mehr.«

»Scheiße. Echt?«

Sebastian grinste.

»Nein. War nur ein Scherz. Es ist noch da. Ich hab mich zurückgehalten und nichts von deinem gegessen.«

»Danke.« Tobias ließ sich auf den Stuhl neben dem Tisch auf dem der Fernseher stand fallen und öffnete den Deckel des Tabletts.

»Lecker,«, kam es ihm und er tat gleich etwas von der Bratensülze auf die Gabel.

»Dir schmeckt so was?« Großes Erstaunen lag in Sebastians Stimme.

»Klar«, mampfte Tobias. »Dir etwa nicht?«

»Iiihhh.«

Tobias grinste und schob sich eine weitere volle Gabel in den Mund.

Kaum hatte er den letzten Bissen hinuntergeschluckt, trat ein Pfleger ins Zimmer.

»Jetzt aber zackig«, sagte er. »Du bist mal wieder der Letzte.«

»Gleich. Nur noch den Joghurt.«

»Die Schale und den Löffel kannst du morgen beim Frühstück dazu legen«, sagte der Pfleger und nahm das Tablett an sich.

»Lecker«, kam es Tobias. Voller Genuss verspeiste er den Nachtisch.

Sebastian blickte ihm interessiert zu.

»Was ist?«

»Nichts. Ich finde es nur ulkig, wie man bei diesem Fraß so tun kann, als sei man in einem Feinschmeckerlokal.«

»Och. Das Essen hier ist wirklich gut.«

»Meinst du das im Ernst?«

»Klar.«

Tobias erhob sich vom Stuhl und ging auf sein Bett zu. Dort wechselte er sein T-Shirt und zog seine Hose aus. Ihm war, als würde Sebastian zu ihm herüberschielen. Tobias tat es als Einbildung ab. Sebastian war nicht schwul. Oder etwa doch? Und wenn schon. Er würde nicht auf so einen wie ihn stehen.

Jetzt machte er sich schon wieder Gedanken über eine verbotene Welt. Hörte das denn nie auf?

Tobias legte sich ins Bett und deckte sich bis zum Hals hin zu.

»Süß«, hörte er Sebastians Stimme.

»Wie bitte?«

»Nichts. Ich mein nur, dass das irgendwie na ja ein wenig niedlich aussieht, wenn du bis oben hin zugedeckt bist.«

Niedlich? – Süß?

Die Gedanken in Tobias Kopf machten Purzelbäume.

»War deine Ma schon da?« versuchte er sich abzulenken.

»Ja. Mit Tobias Zwei.«

»Tobias Zwei?«

»Mein 12jähriger Bruder.«

»Und wer ist Tobias Eins?«

»Du.«

Tobias merkte, wie sein Kopf heiß wurde.

Sebastian grinste ihn an.

»Mama hat mir übrigens was mitgebracht.« Er lupfte die Decke ein wenig hoch.

»Mhm. Hübsch«, sagte Tobias. Wobei er jedoch nicht den Schlafanzug an sich, sondern Sebastians Körper meinte.

»Kann ich den Fernseher einschalten?«, fragte Tobias.

»Klar. Warum nicht.«

Die nächsten Minuten verbrachten die beiden damit, sich über das qualitativ schlechte Frühabendprogramm zu unterhalten.

Es klopfte an der Zimmertüre.

»Herein«, riefen beide gleichzeitig.

»Tagchen.« Ein rothaariger Junge mit Igelfrisur lugte herein.

»Hallo Maik.« Sebastian grinste breit.

Dem Rotschopf folgten noch drei andere Jungs, alle etwa in Tobias und Sebastians Alter, ins Zimmer.

»Hallo«, sagte Tobias schüchtern und schaltete den Fernseher aus.

»Kaum lässt man ihn mal ein wenig allein, schon knackst er sich den Fuß an«, sagte einer, dessen Haare blond gefärbt waren. Schwarze Strähnen schimmerten hindurch.

Tobias fand, dass ihm das ziemlich gut stand.

schuldbewusst zuckte Sebastian mit den Schultern.

»Ui. Seht mal da«, kam es schrill von Maik. »Das is aber ein süßer. Wie heißt du?«

»To-to-Tobias«, stotterte dieser.

»Mensch Sebastian. Hast du ein Glück mit so einem jungen Gott das Zimmer teilen zu dürfen.« Maik blickte Tobias eindringlich in die Augen. Diesem war die Situation leicht peinlich.

»Hör nicht auf ihn. Manchmal spinnt er ein wenig. Übrigens ich heiße Flo. Und das da ist Daniel«, sagte einer der beiden schwarzhaarigen Jungen zu Tobias.

»Aber süß ist er doch«, kam es von Maik.

Tobias spürte regelrechte Hitzewallungen in seinem Gesicht.

»Tut mir leid«, kam es von Sebastian. »Aber Maik ist nun mal so. Kaum sieht er einen hübschen Jungen, schon ist er ganz aus dem Häuschen.«

»Ich verliebe mich eben sehr schnell.«

»Genau. Und schnell lässt du deine Eroberungen wieder fallen«, kam es von dem Blondhaarigen. »Hat es bei dir schon jemals zu mehr als einer Dreitagesbeziehung gereicht?«

»Weißt du, dass du ein Arsch bist, Torsten.«

»Danke.«

Tobias lag regungslos da. Er wusste nicht, ob er sich freuen oder ärgern sollte. Der Junge, der vor seinem Bett stand war eindeutig schwul. Vor langer, langer Zeit hatte er sich immer wieder schwule Freunde gewünscht, mit denen er über seine Gefühle Jungs gegenüber reden konnte. Doch jetzt empfand er die Situation als unangenehm. Maik ging mit seinem Schwulsein so selbstverständlich um als sei es das normalste von der Welt. Während er selbst mehr oder weniger erfolglos gegen seine eigene schwule Seite ankämpfte.

»Wie lange musst du noch hierbleiben?«, wurde Sebastian von Daniel gefragt.

»Wahrscheinlich bis zum Wochenende.«

»Super. Dann kommst du nächste Woche wieder in den Club.«

»Klaro.«

»Und nimm Tobias mit. Bitte bitte«, kam es von Maik.

»Maik. Tobias ist nicht schwul«, sagte Sebastian.

»Hast du ihn schon gefragt?«, entgegnete ihm Maik.

»Nein.«

»Und? Bist du`s?« Maik wippte aufgeregt von einem Fuß zum andern.

Noch ehe Tobias was sagen konnte, merkte er, dass sich Flo und Daniel an den Händen hielten.

Die beiden also auch.

In seinem Inneren brodelte es. Wenn jemand seine Bettdecke hochgehoben hätte, wäre ihm aufgefallen, dass er am ganzen Körper zitterte.

»Ich denke. Ich weiß nicht«, stammelte Tobias vor sich hin.

»Siehst du. Er ist nicht«, kam es von Sebastian.

»Er hat nur gesagt, er wüsste es nicht«, entgegnete ihm Maik energisch.

Daniel und Flo sahen sich verliebt in die Augen. Dann gaben sie sich einen kurzen aber sehr zärtlichen Zungenkuss.

Tobias schloss die Augen. Er fühlte etwas, das stärker war als alle Kraft, die er dagegen aufbringen konnte. Er hatte Sehnsucht – totale Sehnsucht nach einem Freund. In diesem Moment wollte er einen anderen Jungen, am liebsten Sebastian, ganz nah bei sich spüren.

Er öffnete die Augen wieder.

Die fünf waren in irgendein Gespräch verwickelt. Keiner nahm mehr Notiz von ihm.

Es ist so verdammt schwer.

Wieso kann ich es nicht einfach abschalten?

Warum muss ich diese Gefühle in mir tragen?

Ich will nicht. Ich will nicht schwul sein.

Tobias fühlte heiße Tränen aus seinem rechten Auge hervorquellen. Er drehte sich auf die Seite, damit es keiner sehen konnte. Mit einem Taschentuch tupfte er sie von seinem Gesicht.

Stille erfüllte den Raum, als Sebastians Freunde wieder gegangen waren. Die nächsten Minuten sagte niemand etwas.

»Bist du sehr geschockt«, brach Sebastian endlich das Schweigen.

»Äh ... Nein.«

»Du kannst also damit leben einen schwulen Zimmernachbarn zu haben?«

»Du, du bist auch schwul?«

»Klar. Ich dachte mir, das hättest du gerade eben mitbekommen.«

»Ich dachte nur Maik, Flo und Daniel.«

»Nicht nur die. War übrigens der größte Teil unserer Jugendgruppe.«

»Jugendgruppe?«

»Ja. Die schwule Jugendgruppe unseres Landkreises.«

»Gibt's so was?«

»Seit knapp einem Jahr. Daniel und ich haben sie via Internet ins Leben gerufen.«

»Wow. Ich bin sprachlos. Ich dachte nur größere Städte hätten so was.«

»Auch auf dem Land gibt es uns.« Sebastian lächelte.

»Wann und wo trefft ihr euch?«

»Jeden Dienstag Abend im ´Alten Teehaus´. Meistens treffen wir uns dort nur und gehen dann weg. Wir ziehen durch die Stadt, gehen ins Kino, verbringen einen gemütlichen Abend bei einem von uns zu Hause und und und«, antwortete ihm Sebastian.

»Wissen es deine Eltern?«

»Schon seit zwei Jahren.«

»Boa«, machte Tobias. »Mit 14 schon zu Hause geoutet.«

»War aber unfreiwillig. Mama hat Matthias und mich in eindeutiger Position im Bett erwischt.«

Tobias musste schmunzeln.

»Und dann?«

»Nun ja. Wir haben fast drei Stunden mit ihr und Dad geredet. Ich glaube, dass sie es ziemlich schnell akzeptiert hatten. Es gab auch nie irgendwelche Probleme, wenn Matthias mal bei mir oder ich bei ihm übernachten wollte.«

»Toll. Das nenn ich verständnisvolle Eltern.«

»Sind sie auch.«

»Seid ihr noch zusammen, du und Matthias?«

Sebastian antwortete nicht. Statt dessen hörte ihn Tobias leise schluchzen.

»Weinst du?«

»Mhm«, kam es leise von Sebastian.

»Wegen Matthias, oder?«

»Wir sind fast zwei Jahre zusammen gewesen und dann ... und dann ... letztes Jahr hatte er einen Unfall.«

Sebastian schluchzte immer lauter. Tobias wusste nicht genau wieso, aber auch ihm liefen vereinzelt Tränen die Backen hinab.

Es dauerte lange, bis sich Sebastian wieder ein wenig unter Kontrolle hatte.

»Seine ganze Familie saß in dem Auto. Alle kamen sie mit leichten Verletzungen davon. Matthias aber ...« Sebastian stockte. »Matthias wurde mit dem Rettungshubschrauber in eine Münchner Uniklinik geflogen. Drei Tage später ist er gestorben.«

Tobias sah, dass Sebastian seinen Kopf ins Kissen drückte. Leise Wimmertöne drangen an sein Ohr.

Viel später setzte sich Sebastian auf. Im Zimmer war es mittlerweile völlig dunkel. Er knipste seine Leseleuchte an und sah zu Tobias hinüber. Die blauen, strahlenden Augen hatten in jenem Moment jeglichen Glanz verloren. Rotgeweint und unendlich traurig blickten sie Tobias an.

Tobias wusste nicht, was er sagen sollte. »Mein Beileid« oder »Es tut mir leid.« hätte in dem Fall mehr als doof geklungen. Statt dessen machte er etwas, von dem er glaubte es sei in diesem Moment das einzig richtige. Er stand auf, setzte sich an den Rand von Sebastians Bett und nahm ihn in den Arm.

Minute um Minute verging. Nur das Ticken des Weckers und das Geräusch von irgendwelchen Wägen am Gang waren zu hören.

»Danke«, sagte Sebastian schließlich und löste sich von Tobias.

Viel hätte nicht gefehlt und Tobias hätte ihm einen Kuss gegeben. Doch jener Teil in ihm, der nicht schwul sein wollte, hielt ihn davon ab.

»Ist schon in Ordnung«, sagte er, stand auf und ging zu seinem Bett hinüber.

»Hast du schon wieder einen Freund?«, fragte Tobias, als er sich hingelegt hatte.

»Nein«, antwortete Sebastian. »Ich weiß nicht, wann ich je wieder dazu bereit bin.«

»Gib dir Zeit«, sagte Tobias. »Gute Nacht.«

»Gute Nacht Tobias. Schlaf gut.«

»Du auch.«

Sebastian schaltete die Lampe aus.

Tobias lag in jener Nacht noch lange wach. Zu viel war in den letzten Stunden auf ihn eingestürmt. Erst Sebastian, den er trotz seines eisernen Willens Hetero zu werden, supersüß fand, dann die vier von der Jugendgruppe, dann Sebastians outing und schließlich diese traurige Geschichte.

Tobias wusste nicht, wie ihm geschah, aber in ihm wuchs ein Gefühl, stärker noch als er es bei seiner Schwärmerei für Stefan hatte. Er war, ob er wollte oder nicht, total in Sebastian verliebt.

Am nächsten Morgen bekam nur Tobias was zu essen. Sebastian musste hungern. Gegen Mittag sollte er operiert werden.

»Bist du schon aufgeregt?«, fragte ihn Tobias.

»Ein wenig. Aber ich werde es schon überleben.«

»Hoffentlich«, kam es Tobias.

Sebastian richtete sich auf und grinste zu Tobias hinüber. Verschämt sah dieser weg.

Die nächsten Stunden unterhielten sie sich über Gott und die Welt. Nur das Thema »Schwulsein« ließen sie aus.

Gegen ein Uhr kamen zwei Pfleger herein. Sie schoben Sebastian hinaus.

»Viel Glück«, rief ihm Tobias nach.

»Danke«, hörte er Sebastian.

Tobias holte eine Zeitschrift aus seiner Schublade hervor und blätterte sie durch. Doch es gelang ihm nicht, sich zu konzentrieren. Er war immer noch viel zu aufgewühlt. Er schaltete den Fernseher ein und zappte sich durch die einzelnen Programme. Doch auch das mochte ihn nicht ablenken. In den Garten konnte er nicht, da es eben wolkenbruchartig regnete. So fasste er den Entschluss, nach vorne in die Cafeteria zu gehen. Er trank einen Cappuccino und beobachtete die Leute.

Schließlich ging er noch eine Runde im Haus spazieren. Er hielt sich lange in der Säuglingsstation auf. Er fand Babys und Kinder im Allgemeinen total süß. Es machte ihn traurig, wenn er daran dachte, selbst nie Papa werden zu können.

Such dir eine Frau, tönte es in seinem Kopf.

»Genau. Das werde ich. Schluss mit diesen schwulen Schwärmereien«, flüsterte er.

Als er sein Zimmer betrat, sah er Sebastian in dessen Bett liegen.

Er schlief.

Gott ist der süß, dachte er im ersten Moment.

Hör auf mit diesen Verfehlungen, schrie eine andere Stimme.

Tobias legte sich ins Bett, tat eine CD in seinen Walkman, schloss die Augen und ließ sich von Abba berieseln.

Jemand stupste ihn an.

»Ja?« Tobias blinzelte seinen Besucher an. »Ach du bist es. Hallo.« Tobias schaltete den Walkman aus.

»Pst. Leise. Dein Zimmernachbar schläft noch«, flüsterte seine Mutter.

»Ja. Er ist heute operiert worden«, flüsterte Tobias.

»Dacht ich mir.«

»Übrigens hab ich dir gleich dein Essen mitgebracht. Eine Schwester hat es mir untergejubelt.«

»Prima. Mein Magen knurrt eh schon.« Tobias setzte sich auf und ging zum Tisch um sein Abendbrot zu verspeisen.

»Christian ist nicht dabei?«

»Der ist zu Hause bei Omi und Opa.«

»Aha.«

Mathilde setzte sich auf Tobias Bett und sah ihm beim Essen zu.

»Durst«, krächzte Sebastian.

Mathilde wollte bereits aufstehen und ein Glas Wasser holen.

»Ich mach das schon«, sagte Tobias und ging zur Toilette. Dann trat er an Sebastians Bett und half ihm zu trinken. Dankbar blickte ihn Sebastian an.

»Gern geschehen«, sagte Tobias und lächelte. Schließlich ging er zurück zu seinem Platz, wo ein Käsebrot noch darauf wartete, von ihm verschlungen zu werden.

Satt ließ er sich ins Bett plumpsen.

»Ich verstehe nicht, wieso sie dich noch zwei Wochen hierbehalten wollen.«

»Zur Kontrolle«, entgegnete er ihr.

»Vermutlich.«

Die beiden unterhielten sich noch ein wenig in gedämpfter Lautstärke. Schließlich begleitete er seine Mutter zum Eingang. Als er wieder zurück im Zimmer war, wurde er von einem schwachen Lächeln auf Sebastians Lippen begrüßt. »Tut mir leid, dass ich heute nicht recht gesprächig bin«, sagte er heiser.

»Das ist doch völlig in Ordnung. Mir an deiner Stelle würde es genau so gehen.«

»Habe Durst. Kannst du mir ...« Treuherzig schaute er Tobias an.

»Klar doch«, sagte dieser und holte ihm ein Glas Wasser.

Anschließend schaltete er den Fernseher ein. Nach einem spannenden Film machte er ihn gegen halb elf wieder aus. Er betätigte den Lichtschalter, und das Zimmer war nur noch von einer schummrigen Notbeleuchtung, die sich unten neben der Tür befand, erhellt. Sebastian war schon eingeschlafen, wie er aus den gleichmäßigen Atemgeräuschen hören konnte.

Tobias schloss die Augen und träumte vor sich hin. Sanft und zärtlich berührte er jede einzelne Stelle an Sebastians Körper. Er fühlte, wie dieser es genoss.

Doch wieder kamen diese dunklen Gedanken. Sie redeten ihm ein, dass er diese Gefühle zu unterdrücken habe. Tobias war hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen nach Sebastian und der scheinbaren Vernunft, die ihn immer wieder dazu ermahnte, sich besser unter Kontrolle zu halten.

Irgendjemand pochte heftig an die Tür.

Ohne eine Antwort abzuwarten, trat eine kleine, rundliche Krankenschwester in das Zimmer.

»Was´n jetzt los?«, murmelte Sebastian verschlafen.

»Das ist bloß Schwester Stefanie.« Tobias gähnte herzhaft.

»Muss das sein? So früh am Morgen«, hörte er Sebastian mit belegter Stimme sagen.

»Reine Gewohnheitssache.«

»Haltet keine langen Diskussionen.« Stefanie zog Tobias die Bettdecke weg.

»Heh.«

»Hopp. Raus mit dir«, befahl sie.

»Ich geh ja schon«, grummelte Tobias. Er stand auf und blickte zu Sebastian. Dieser hatte die Augen wieder geschlossen und tat so, als ob er schliefe.

Hilft dir gar nichts. Du kommst auch noch dran.

So war es denn auch. Als er von der Toilette zurückkam, war Stefanie bereits damit beschäftigt, Sebastians Bett zu machen. Amüsiert sah Tobias den beiden zu.

Stefanie wirbelte um Sebastian herum und dieser ließ die Prozedur genervt über sich ergehen. Was wäre ihm auch anderes übriggeblieben.

»Wie geht es dir heute?«, fragte Tobias, als Stefanie wieder gegangen war.

»Besser als gestern.« Er lächelte Tobias an, was die Schmetterlinge in dessen Bauch in arge Aufruhr brachte. »Aber es würde mir noch viel besser gehen, wenn man mich hier nicht dauernd zu Nachtschlafender Zeit aufwecken würde.«

»Daran musst du dich gewöhnen.«

»Bin eben ein Langschläfer«, murmelte Sebastian und schloss die Augen.

»Ich auch«, sagte Tobias und grinste ihn an.

Wir würden gut zusammenpassen.

An Einschlafen war nicht mehr zu denken. Abgesehen davon musste das Frühstück jeden Augenblick kommen. Er blätterte ein wenig in der Fernsehzeitung. Ab und zu sah er zu Sebastian hinüber. Süß wie er da lag. Wie ein Engel.

»Bist du wirklich wieder eingeschlafen?«, fragte Tobias, während er vor seinem Frühstück saß.

»Hab nur ein wenig gedöst.« Teilnahmslos starrte Sebastian auf sein Essen.

»Schmeckt es dir nicht oder hast du keinen Hunger.«

»Brei. Ich hätte lieber was Vernünftiges.«

»Wenn du willst, kannst du was von mir haben«, sagte Tobias.

»Krieg ich?« Sebastian klang begeistert.

»Klar. Aber beschwer dich hinterher nicht, dass dir schlecht ist.«

»Von dem Fraß hier würde mir schlecht werden.« Abfällig blickte er auf seinen Brei.

So bekam Sebastian zwei halbe Marmeladensemmeln und Tobias ein leckeres Breichen.

»Hattest recht. War bäh«, entkam es Tobias nach dem Mahl.

Sebastian grinste. »Dafür haben mir deine Semmeln um so besser geschmeckt.« Er schleckte sich mit der Zunge über die Lippen.

»Was tut man nicht alles für ...« ´seinen Geliebten.´ hätte Tobias beinahe gesagt. »... einen armen Kranken.«

Ein zartes Lächeln lag auf Sebastians Gesicht. Tobias spürte einen Stich in seinem Herzen. Sein Verlangen nach diesem blonden Jungen wurde immer stärker.

Doch auch die Angst – die Angst vor dem Schwulsein wuchs und wuchs.

Es tat alles so verdammt weh.

»Ich geh zum Zähneputzen«, lenkte er sich ab.

Er stützte sich aufs Waschbecken und starrte in den Spiegel.

Seine Augen waren leicht gerötet.

Schwule Sau! dröhnte es in seinem Kopf.

Wir machen dich alle!

»Lasst mich in Ruhe«, wimmerte er. »Lasst mich doch endlich in Ruhe.«

»Hat aber lang gedauert«, entkam es Sebastian als Tobias wieder ins Zimmer trat.

»Mhm.« Mit leicht gesenktem Kopf schlich er sich zu seinem Bett. Er vermied es, Sebastian anzusehen. Schweigend saß Tobias da, seinen Blick aus dem Fenster in die Ferne gerichtet.

»Bedrückt dich irgendwas?«, fragte ihn Sebastian nach einer Weile. Seine Stimme klang leise und einfühlsam.

»Nein«, kam es tonlos von Tobias.

»Du siehst so traurig aus.«

Tobias sagte nichts. Er presste seine Lippen aufeinander und starrte ins Leere.

»Das nimmt mich auch ein bisschen mit, wenn du so traurig bist.«

Seine Stimme klang so lieb. Viel hätte nicht mehr gefehlt und Tobias hätte heulen müssen. Er schluckte und drehte sich um zu Sebastian. Dieser lächelte ihn an.

Tobias lächelte schüchtern zurück.

»Wollen wir spielen?«

»Klar«, antwortete Sebastian. »Was denn?«

»Karten. Ferdl hat mir seine dagelassen.«

»Ferdl?«

»Dein Vorgänger. Ein älterer Mann, mit dem ich ab und zu gespielt habe. Karten.«

»Gut.« Sebastian schmunzelte. »Aber erst muss ich mich noch waschen.«

Tobias nickte.

»Könntest du mir bitte ...«

Noch ehe Sebastian diesen Satz zu Ende sprechen konnte, stand Tobias auf und grinste schelmisch. »Klar hol ich dir dein Waschzeug ans Bett.«

Beide amüsierten sich prächtig während des Spiels. Tobias wunderte sich, wieso er so häufig verlor.

»Tja. Pech im Spiel, Glück in der Liebe«, entkam es Sebastian.

»Irgendwann vielleicht«, murmelte Tobias. Seine gute Laune hatte einen kleinen Dämpfer bekommen. Glück in der Liebe. Glücklichsein mit Sebastian. Das war sein Traum. Aber die dunklen Mächte in seinem Kopf würden schwer etwas dagegen haben.

»Du hast keine Freundin, oder?«, fragte Sebastian beiläufig.

»Nein«, antwortete Tobias knapp.

»Hättest du denn gerne eine?«

Tobias zögerte einen Moment.

»Na ja. Im Augenblick nicht so«, sagte er schließlich.

Ein verstohlenes Lächeln huschte über Sebastians Gesicht.

»Entschuldige bitte wenn ich dir zu nahe treten sollte, aber ...«

»Ja?«

»Könntest du dir vorstellen, dich in einen Jungen zu verlieben?«

Tobias bebte. Es kam ihm vor, als würde ihn irgendwas mitten in ein Schwarzes Loch ziehen.

»Hab ich dich jetzt so geschockt?« Sebastians Stimme klang leise und belegt.

»Wie – wieso?«

»Mit der Frage, ob du dir was mit einem Jungen vorstellen könntest.« Sebastian hielt seinen Kopf leicht schief.

»Hab ich noch nicht darüber nachgedacht«, log Tobias. In Sebastians Gesichtsausdruck konnte er genau erkennen, dass dieser ihm kein Wort glaubte. Allerdings hakte dieser nicht nach. Einzig ein tonloses »Aha.« kam über seine Lippen.

Den Rest des Vormittags unterhielten sie sich über Gott und die Welt und spielten Brettspiele wie Dame und Mühle. Einige Male glaubte Tobias einen sehr verträumten, wenn nicht gar verliebten Blick in Sebastians Augen zu erkennen.

»Wollen Sie mal versuchen, aufzustehen?«, wurde Sebastian am Nachmittag von einem jungen Pfleger gefragt.

»Hmm? Ich weis nicht, ob ich es mir schon zutrauen kann.«

»Klar kannst du das«, kam es von Tobias.

Sebastian lächelte schwach.

»Fassen Sie sich ein Herz«, sagte der Pfleger. »Sie werden sehen, dass es gar nicht so schlimm ist. Und je eher Sie sich wieder ans Laufen gewöhnen, desto schneller wird die Heilung vorangehen.«

»OK. Ich will es versuchen.« Er ging mit dem Oberkörper hoch und drehte sich vorsichtig auf die Seite. Erst ließ er den gesunden Fuß über die Kante gleiten, dann den Kranken. »Autsch«, rief er. Doch trotz Schmerzen war er willens, aufzustehen. Er stützte sich mit den Krücken, die ihm der Pfleger gereicht hatte, am Boden ab.

»Warten Sie. Ich helfe Ihnen«, sagte der Pfleger und griff Sebastian unter die Arme.

»Das kann ich doch machen«, entkam es Tobias. War er etwa eifersüchtig?

Sebastian grinste. »Ja bitte«, forderte er Tobias auf.

Der Pfleger zeigte Tobias, was er machen musste, um Sebastian zu unterstützen und verließ das Zimmer wieder.

»Wir sind schon zwei«, sagte Tobias. »Mir tut der Brustkorb weh und dir der Fuß.«

Sebastian lachte. »Du hast recht. Wir sind ein echt tolles Team.«

Tobias spürte die Wärme, die von diesem Jungen ausging. Er fühlte sich so unendlich geborgen.

Doch bald machten sich die negativen Gedanken wieder in seinem Kopf breit.

»Ich glaube, für die ersten Versuche reicht es schon«, sagte Tobias.

»OK. Dann werde ich wieder zurück humpeln«, meinte Sebastian.

Hoffentlich hat er nicht auf meine Hose geguckt. Lauf ich da mit einem Halbsteifen durch die Gegend, dachte Tobias, als er wieder im Bett lag.

»Danke.« Liebevoll lächelte Sebastian Tobias an.

»Gern geschehen«, sagte dieser und schaltete den Fernseher ein.

Gegen fünf kam Frau Huber, Sebastians Mutter.

Sie und Tobias waren sich auf Anhieb sympathisch. Sie hätten sich stundenlang unterhalten können.

»Mama. Ich bin auch noch da«, kam es von Sebastian.

»Entschuldige bitte Schatz. Aber dein Zimmernachbar hat mir wohl den Kopf verdreht«, witzelte sie.

Tobias und Sebastian bekamen einen Lachanfall, in den auch Frau Huber mit einstimmte.

Toll. Auch mit meiner eventuellen Schwiegermutter würde ich mich gut verstehen.

Tobias zwang sich, diesen Gedanken so schnell wie möglich wieder zu vergessen.

Etwa um halb sechs wurde die Bude richtig voll.

Tobias Mutter und Bruder gesellten sich hinzu. Es wurde viel gelacht und gescherzt.

Sebastian zeigte, dass er schon im Stande war, alleine zu gehen. Was von allen mit Applaus gefeiert wurde. Tobias war zwar ein klein wenig traurig, dass er ihm nicht mehr helfen durfte, aber andererseits war es ihm doch ganz recht so. Was hätte wohl seine Mama gesagt, wenn seine Hose plötzlich vorne gewachsen wäre?

Christian war hin und her gerissen zwischen seinem Bruder und Sebastian, den er wohl mindestens genau so toll fand.

»Was? Halb acht ist es schon?«, rief Tobias Mutter.

»Die Zeit vergeht«, sagte Frau Huber.

»Christian. Wir fahren.«

»Jetzt schon? Will aber noch bei Toby und Sebastian bleiben«, sagte Christian trotzig.

»Wir kommen ja morgen wieder«, entgegnete ihm seine Mutter und strich ihm liebevoll durchs Haar.

»Bist du dann schon noch da?«

»Klar«, sagten Sebastian und Tobias gleichzeitig. Woraufhin sie beide lachen mussten.

»Super«, freute sich Christian und hüpfte ein paar mal aufgeregt auf und ab.

»Tschüß ihr zwei. Machts gut«, sagte Sebastians Mutter und verließ mit den anderen beiden das Zimmer.

»Tolle Frau, deine Mutter«, sagte Tobias.

»Deine aber auch«, entgegnete ihm Sebastian. »Und deinen Bruder find ich süß.«

»Klar. Ist ja auch mein Bruder«, Tobias grinste.

Sebastian sah ihn mit strahlenden Augen an. »Oh ja. Tobias 1 ist echt süß«, sagte er leise und nickte.

Tobias merkte ein Gefühl des Hasses in ihm hochsteigen. Er konnte nichts dagegen tun. Er hasste sich und seine Empfindungen. Er hasste Sebastian.

Doch er ließ sich nichts anmerken.

»Mal sehen, was in der Glotze kommt«, sagte er und schaltete ein.

Nach dem Film, es war schon weit nach zehn, beschlossen die beiden, es für diesen Tag gut sein zu lassen und das Licht auszumachen. Sie redeten noch ein wenig über belanglose Sachen und wünschten sich schließlich eine gute Nacht.

Als sie einige Minuten schweigend da gelegen waren, meldete sich Sebastian zu Wort. »Du Tobias?«

»Ja«, antwortete dieser leise. Er war schon halb eingeschlafen.

»Ich, ich glaube ich ...«

Sebastians Stimme zitterte.

»Ich habe mich in dich verliebt.«

»Scheiße«, schrie Tobias. »Was hast du gesagt?« Wütend knipste er das Licht an.

»Dass ich, ich mich in dich verliebt habe.« Ängstlich starrte er Tobias an.

»Lass mich in Ruhe mit deiner Schwulenscheiße.« Tobias Stimme war so laut, dass man sie sicher noch im Nachbarzimmer hören konnte.

»Aber, aber ...« Sebastians verdeckten sein Gesicht mit den Händen. »Es, es tut mir leid«, stammelte er. »Ich, ich kann nichts dafür.« Man merkte, dass er mit den Tränen kämpfte.

Tobias stand auf. »Schwule Sau«, stieß er hervor.

Schnellen Schrittes stampfte er zur Tür, stieß sie auf und stürmte nach draußen.

Die Schwester, die gerade Dienst hatte, machte ein erschrockenes Gesicht, als der vor Wut schnaubende Tobias an ihr vorbeirannte.

Er konnte nichts mehr denken, nichts mehr fühlen. Er wollte nur noch eins. Raus hier.

Tobias lief hinaus in die Nacht.

Erst als er in der Nähe seines Lieblingsplatzes am Weiher war, kam er wieder halbwegs zu sich.

Er setzte sich auf die Bank und starrte auf den Boden.

In seinem Kopf liefen noch einmal die Geschehnisse der letzten Minuten ab. Wieder und wieder hörte er Sebastians Stimme.

Er sah noch einmal in das Gesicht des Nazis und hörte

Schwanzlutscher. Wir machen dich alle!

Noch einmal hörte er Stefans Worte, die sich so stark in sein Herz gebrannt hatten:

Meinst du, ich würde mich mit einem perversen, dreckigen Schwanzlutscher unterhalten?

Schwule Sau!

Arschficker!

Du gehörst vergast!

In den Dreck mit dir, wo du hingehörst!

»NEEEEEEIIIIIIIIIIN!!!!« schrie er aus Leibeskräften.

Tobias weinte hemmungslos. Die Tränen flossen in wahren Sturzbächen über sein Gesicht.

»Sebastian. Sebastian«, flüsterte er immer wieder. »Es tut mir so leid.«

Tobias kauerte sich zusammen.

»Es tut mir so leid«, wiederholte er unzählige Male.

Er blickte zu den Sternen.

»Ich hab mich doch auch in dich verliebt.«

Lange hockte er noch da. Er wusste nicht ob es Minuten oder Stunden waren. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren.

Irgendwann stand er auf und ging langsam und schweren Schrittes ins Gebäude zurück. Vor der Tür zu seinem Zimmer blieb er stehen und hielt inne. Ob Sebastian überhaupt noch drinnen war. Tobias hätte gut verstehen können, dass er sich in ein anderes Zimmer verlegen ließ. Wer wollte schon mit so einem Arschloch, wie er es war, zusammen sein?

Leise öffnete er die Tür. Durch den düsteren Schein der Notlampe konnte er erkennen, dass Sebastian in seinem Bett lag. Tobias ging auf ihn zu.

»Sebastian. Bitte wach auf«, flüsterte er.

Dieser regte sich nicht.

»Sebastian. Ich muss mit dir reden.« Er versuchte seiner Stimme einen festen Ton zu verschaffen, was ihm aber nicht so recht gelingen wollte.

»Was willst du?«, kam es barsch von Sebastian.

»Ich ...« Tobias schluchzte. »Es, es tut mir so leid.«

»Schon gut«, hörte er Sebastian genervt sagen. »Ich bin eben mal schwul. Ich kann auch nichts dafür.«

»Sebastian ...« Tobias berührte die Schulter des Jungen.

»Fass mich nicht an«, schnaubte dieser.

Erschrocken zog Tobias seine Hand weg.

Sebastian drückte auf Knopf seiner Nachttischlampe.

»Damit du den Weg in dein Bett findest«, sagte er zu Tobias.

»Ich, ich, ich ...« Tobias sah in die rotgeweinten Augen von Sebastian.

»Ich war so blöd. Ich konnte es nicht. Ich war so feige.«

Tobias schluchzte leise.

»Sebastian«, rief er mit tränenerstickter Stimme. »Ich habe mich doch auch in dich verliebt.«

Ganz langsam, fast wie in Zeitlupe hellte sich Sebastians Gesicht auf.

»Weißt du, dass du ein riesengroßer Dummkopf bist?«

»Mhm«, kam es Tobias. Er starrte auf den Boden neben Sebastians Bett.

»Aber der süßeste und liebste, den ich kenne.« Sebastian strahlte vor Freude.

»Das heißt, du magst mich immer noch?« Vorsichtig sah Tobias Sebastian ins Gesicht.

»Ja.« Sebastian nickte. »Seit Matthias Tod ist es mir nie so gut gegangen wie in diesen beiden Tagen, seit ich mit dir zusammen bin.«

»Wirklich?« Tobias blickte Sebastian ungläubig an.

»Wirklich.«

Auf Tobias Gesicht zeichnete sich ein schwaches Lächeln ab.

Sebastian nahm Tobias Hand und zog leicht an ihr. Tobias verstand und setzte sich an den Rand von Sebastians Bett. Er spürte warme, ganz zärtliche Hände in seinem Gesicht.

»Heute ist ein so schöner Tag«, sagte Sebastian und strahlte Tobias an. »Da soll man nicht traurig sein.« Mit seinen Fingern verwischte er Tobias Tränen.

Ein wohliger Schauer lief diesem über den Rücken hinab, als Sebastian ganz sanft an seinen Nasenflügeln entlang strich.

Tobias strahlte. Er war so unendlich glücklich.

Und er fühlte, dass es Sebastian genau so ging.

Ganz langsam zog Sebastian Tobias Kopf zu sich heran.

Der ließ es geschehen. Er schenkte seinem Freund das süßeste Lächeln auf Erden.

Ganz zart berührten sich ihre Lippen.

Tobias schloss die Augen.

Davon hatte er immer und immer wieder geträumt.

Doch es war noch viel, viel schöner als in seinen Träumen – dies war die Wirklichkeit.

Er nahm Sebastians Duft in sich auf. Er roch gut – total gut.

Er spürte eine Zunge, die ganz vorsichtig über seine Lippen fuhr.

Tobias öffnete seinen Mund.

Ganz zärtlich und sanft spielten ihre Zungen miteinander.

Tobias lag in den Armen seines Freundes und träumte den Traum der Liebe.

Endlich hatte er gefunden, wonach er schon so lange gesucht hatte.

Tobias spürte das Leben in sich und er wusste – endlich beginnt es.

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