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Kampf der Engel

Teil 1

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Informationen

Vorwort:

Dies ist meine erste Geschichte, ich hoffe sie gefällt euch. Für Kritik als auch Lob bin ich dankbar. Die Geschichte ist frei erfunden, beinhaltet aber einige Anlehnungen an verschiedenste Glaubensrichtungen.

Erster Teil

Eine Lärche wiegte sich leicht im Wind, als dieser den Nebel aus dem idyllischen Tal wehte. Der Luftzug verursachte ein Rascheln in ihren sattgrünen Blättern, das sich wie ein leises, kaum hörbares Flüstern anhörte. Die ersten Sonnenstrahlen erklommen ihren Weg über die noch mit Schnee bedeckten Gipfel der umliegenden Gebirgskette und vermittelten den Eindruck eines bevorstehenden Sommertages. Dies war schon immer der Zeitpunkt, an dem sich Lokthar zur Ruhe begab. Wie gewohnt suchte er den Friedhof des kleinen Dörfchens auf, welches sich im Aufwachen befand. Schnell wie ein Schatten, an der Grenze von Licht und Dunkelheit, huschte Lokthar in die Krypta, gerade noch rechtzeitig, um nicht von einem der todbringenden Strahlen getroffen zu werden, welche die Kälte der Nacht allmählich vertrieben.

Die Sonne stieg immer höher und nun fanden ihre hellen Strahlen auch den Weg durch ein Fenster im ersten Stock eines gemütlichen Hauses. Die rote Fassade erwärmte sich langsam aber beständig, während der blaue Vorhang die Strahlen nicht mehr am Eindringen zu hindern vermochte. Ein Strahl fiel schon auf das Bett. Nun ein zweiter. Der dritte kitzelte dann den schlafenden Jungen in der Nase und weckte diesen durch ein kräftiges Niesen. Schlaftrunken drehte er den Kopf zum Fenster und sah die Ursache für sein Erwachen. Der Tag war angebrochen und es war höchste Zeit aufzustehen. Mühsam erhob er sich. Man sah ihm deutlich an, dass er sich zurück ins Bett sehnte und lieber weitergeträumt hätte, statt zur Schule zu gehen. Aber immerhin war heute der letzte Tag vor den Ferien. Daniel, so hieß der Junge, hatte schon einige Pläne für seine freie Zeit, wobei die meisten aus langem Schlafen bestanden. Ja, er war ein Morgenmuffel und wurde erst abends richtig munter, was natürlich kontraproduktiv für seine schulischen Leistungen war. Aber das war ihm egal. Er wusste, dass er sobald wie möglich in eine große Stadt wollte. Denn hier hielt ihn nichts und er hatte auch keine sonderlich große Lust in das Familienunternehmen einzusteigen. Eine Bäckerei. Niemals. Da muss man viel zu früh aufstehen, fand zu mindestens Daniel.

Der Tag neigte sich dem Ende zu. Die Schatten der Grabsteine wurden länger und länger. In der Krypta flatterte ein pechschwarzer Rabe aufgeregt mit den Flügeln. Er hatte Hunger. Schließlich hatte er seit gestern Abend nichts mehr zu fressen gehabt. Aber noch durfte er seinen Platz auf dem steinernen Sims in der Krypta nicht verlassen. Noch nicht. Es würde nicht mehr lange dauern und sein Herr würde erwachen. Ein leises Knarzen ertönte. Der Rabe blickte zum Sarg hinunter, welcher direkt vor seinen Krallen lag. Das Knarzen wurde lauter und mit einem Ruck flog der steinerne Deckel des Sargs beiseite. Aus seinen rabenschwarzen Augen blinzelte der Vogel erwartungsvoll zu Lokthar.

Mit einem leichten Nicken entließ Lokthar den Raben aus seinen Diensten. Auch er hatte Hunger. Großen Hunger. Die streunende Katze von vorgestern hielt nicht lange an. Seine Unsterblichkeit hatte einen großen Preis. Dennoch versuchte er solange wie möglich den Hunger niederzukämpfen, aber die Bestie, die tief in ihm schlummerte, war nicht zu besiegen. Irgendwann musste er nachgeben und das wusste Lokthar. Er stieg aus dem Sarg und zog sich seine Kleider an, die er am Vorabend noch säuberlich zusammengelegt hatte. Erinnerungen an eine Zeit, in der man mit Perücke und schmuckvoll verzierten Westen unterwegs war, stiegen in ihm auf, als er die blaue Jeans und die schon leicht abgegriffene Lederjacke anzog. Dieser Stil sagte ihm schon viel mehr zu. Schließlich war es damals seine Zeit gewesen. Die Erinnerungen an die altertümliche Kleidung waren nicht seine. Lokthar besaß unglaublich viele Erinnerungen. Es war wie ein kollektives Gedächtnis. Jede Erfahrung, die jemals einer ihrer Art gemacht hatte, konnte von jedem abgerufen werden. Dies war manchmal ein Segen, aber viel öfters auch ein Fluch. Er schüttelte die Gedanken an den Orden ab und verließ die Krypta, um seinen Hunger zu stillen. Das Dorf war schließlich nahe.

Es war zwar schon spät, aber Daniel wusste, dass er morgen ausschlafen konnte. Also beschloss er die Nacht zu nutzen und schlich sich aus dem Haus. Er musste schleichen, da er mit siebzehn für seine Eltern nicht als volljährig galt. Er sah das anders. Nachdem sein Verhältnis zu seinen Erzeugern nicht das Beste war und er lieber einem Konflikt aus dem Weg ging, kletterte er zu seinem Fenster hinaus. Dies war nicht so ganz einfach, da es immerhin über drei Meter in die Tiefe ging. Höhenangst kannte Daniel nicht und es war auch nicht das erste Mal, dass er diesen Weg wählte. Der Ast des nahegelegenen Baumes diente ihm als Greifstange, mit dessen Hilfe er sich zu dem Gartenhäuschen hangeln konnte. Dort ließ er sich aufs Dach fallen und kroch zur Dachrinne, an der er sich runter baumeln ließ. Daniel löste den Griff von der Rinne und kam leise auf dem Boden auf. Er blickte sich um. Es brannte kein Licht im Haus. Seine Flucht wurde nicht bemerkt. Er machte sich auf, um sein Dorf bei Nacht zu erkunden. Eine seiner Lieblingstätigkeiten. Viel anderes konnte man hier eh nicht machen. Vor allem nicht zu so später Stunde.

Die Nacht war sternenklar und die Temperaturen waren stark gefallen. Völlig lautlos flog Lokthar über die Wipfel der Bäume hinweg, Richtung seiner Nahrungsquelle. Selbst die aufmerksamen Augen der Eulenvögel konnten den schwarzen Schatten, der über sie hinweg flog, nicht wirklich wahrnehmen. Die braune Lederjacke flatterte im Flugwind als Lokthar noch einen Gang zulegte. Er hatte tierischen Hunger. Er wusste, dass er in dieser Nacht das Blut eines Menschen brauchte. Dieses Mal konnte er die Bestie in sich nicht zügeln. Zu lange hatte er sie unterdrückt. Sie war seit seiner Verwandlung ein Teil von ihm und er war auf sie angewiesen, schließlich ist sie die Quelle seiner Macht.

Die Häuser ruhten friedlich. Eines neben dem anderen. So bei Dunkelheit empfand er das Dorf nicht mehr so erdrückend wie sonst. Auch die Spießbürgerlichkeit war gesunken. Dank des Mondlichts konnte Daniel fast alles erkennen. Der Brunnen auf dem Marktplatz lag direkt vor ihm. Er beschloss sich an dessen Wasser zu erfrischen. Die goldene Marienstatue glänzte im weißen Mondlicht. Aufmerksam betrachtete Daniel das Lichtspiel auf der goldenen Oberfläche. Er fand, dass so das Dörfchen sogar eine gewisse Schönheit hatte, welche aber mit dem Tageslicht und den starrköpfigen Menschen, die dann den Platz bevölkerten, verschwand. Er beugte sich vor, um einen Schluck Wasser zu sich zu nehmen. Auch im Wasser spiegelte sich der Mond wieder. Ein schwarzer Schatten durchschnitt das Spiegelbild. Erschrocken drehte sich Daniel um und blickte angestrengt in die Nacht. Er konnte nichts erkennen, aber er wusste, dass sich etwas verändert hatte. Wissen ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Er spürte es. Eine tiefe urmenschliche Angst schlich langsam in seinem Verstand nach vorn. Was war das? Hatte sich da nicht eben was bewegt? Er ermahnte sich zur Vernunft. Er war alleine hier. Alle Menschen im Dorf schliefen. Ja, alle Menschen, aber was ist mit dem Rest? Dieser Gedanke durchfuhr ihn wie ein Blitz und lähmte ihn vollständig. Doch sein Verstand kämpfte die Angst nieder und hieb die Lähmung allmählich wieder auf. Ein paar Spritzer Wasser ins Gesicht vertrieben den Gedanken vollständig, aber ein seltsam beklemmendes Gefühl blieb. Ein Schatten, der sich über seine Seele gelegt hatte und nicht mehr von ihm wich.

Lokthar war zutiefst beunruhigt. Dieser Junge. Er hatte ihn wahrgenommen. Dabei können Menschen Vampire nicht wahrnehmen, solange diese es nicht wollen. Die mentale Aura, welche sie umgibt, benebelt die Wahrnehmung ihrer Opfer. Sollte er so ausgehungert sein, dass seine Kräfte nachließen? Nein, das konnte Lokthar ausschließen. Aber wieso konnte dieser unscheinbare Junge dann seine Gegenwart spüren? Er versuchte die Gedanken des Jungen zu lesen, aber allein der Versuch verursachte bei ihm Übelkeit. Tief in ihm spürte er etwas. Er konnte es nicht beschreiben. Sowas hatte er noch nie gespürt. Angst. Lokthar verspürte zum ersten Mal in seinem langen Leben als Vampir Angst. Sein Leben als Mensch lag viel zu weit zurück, als dass er sich noch wirklich an die Emotionen von damals erinnern könnte. Warum bereitete ihm dieser Junge Angst? Lokthar wusste es nicht. Er beschloss der Sache auf den Grund zu gehen. Doch zuvor musste er seinen Hunger stillen, sonst würde er gänzlich die Kontrolle über sich verlieren. Er stieg in die Dunkelheit der Nacht empor und flog zum nächstbesten Haus, um sich Zugang zu einer Mahlzeit zu verschaffen. Zuvor jedoch baute er eine mentale Brücke zu dem Jungen auf, um ihn jederzeit aufspüren zu können.

Daniel zog weiter durch die Straßen, immer mit dem seltsamen Gefühl, welches er schon beim Brunnen empfunden hatte. Eisern nahm dieses Gefühl Besitz von ihm. Alle seine Bemühungen, diese Beklommenheit wieder los zu werden, scheiterten maßlos. Ohne es zu merken hatte er sich wieder auf den Heimweg gemacht. Als er jedoch an der Kirche vorbei kam, blieb er plötzlich stehen. Er wusste selbst nicht warum, aber eine Kraft zog ihn an wie einen Magneten. Seine Schritte erfolgten ganz automatisch und ehe er sich versah, stand er direkt vor dem Kirchentor. Er blickte sich noch einmal um und machte sich dann am Tor zu schaffen. Die Kirche war offen. Verwirrt über diesen Zustand betrat er das Gotteshaus. Das fahle Mondlicht fiel durch ein Seitenfenster im gotischen Stil genau auf den Altar. Ein Frösteln überkam Daniel bei diesem Anblick.

Er konnte nie viel mit der Kirche anfangen. Dennoch glaubte er an Gott. Aber die Institution der Kirche missfiel ihm zutiefst. Seit er seine Vorliebe für Jungs entdeckt hatte sogar noch mehr als zuvor. Für ihn war der Gedanke, dass Gott einen Menschen weniger lieben konnte als einen anderen einfach unvorstellbar. In der Schale mit Weihwasser, die sich mittig auf dem steinernen Altar befand, spiegelte sich das Mondlicht wieder. Daniel trat einen Schritt näher und als er dies tat, flackerte das Licht im Weihwasser auf. Kleine Wellen kräuselten die Wasseroberfläche. Daniels Spiegelbild war verzerrt. Für einen Augenblick sah Daniel nicht sich im Wasser, sondern etwas anderes. Ein Schimmer, der eine unglaubliche Wärme ausstrahlte, schien ihn zu umgeben. Er kniff die Augen zu und sah nochmals hin. Die Wellen waren abgeebbt und die Oberfläche wieder ganz glatt. Hatte er sich das alles eingebildet? Er drehte auf dem Absatz um und ließ auch diese seltsame Erfahrung hinter sich. Er war plötzlich hundemüde und seine Beklommenheit vermischte sich mit einem Gefühl von Bestimmtheit, das er sich nicht erklären konnte.

Lokthar hatte sein Opfer gefunden und versetzte es in einen künstlichen Schlaf. Dies tat er nur zur Vorsicht. Einmal ist ihm ein Opfer aufgewacht, als er es biss. Seitdem schläferte er auch schlafende Opfer zusätzlich ein. Seine Fangzähne wuchsen, je näher er seinen Kopf Richtung Halsschlagader bewegte. Seine Augen färbten sich eisblau, wodurch er in der Lage war den Blutfluss besser zu sehen. Vorsichtig rammte er seine Zähne in den Hals und begann gierig den Lebenssaft aus seinem Opfer zu saugen. Eine ungewohnte Gier überkam ihn. Die Bestie in ihm wollte anscheinend immer mehr. Beinahe wäre es Lokthar nicht gelungen, sie zu zügeln. Dann wäre sein Opfer definitiv gestorben. Widerwillig lockerte er seinen Biss und zog seinen Kopf etwas zurück. Durch das speichelartige Sekret, welches beim Beißen mit injiziert wurde, verlangsamte sich die Blutgerinnung. Ein Blutstropfen ran aus der Bisswunde und schlängelte sich den Hals entlang. Bevor es auf das Laken tropfte, leckte Lokthar es mit der Zunge auf.

Sein Opfer wird morgen einen ordentlichen Kater haben, beziehungsweise wird es sich so fühlen. Ein ähnliches Gefühl durchfloss Lokthar gerade. Diese Übelkeit, wie man sie auch nach zu viel Alkohol empfand, kam für Lokthar völlig überraschend. Sie bereitete ihm Kopfschmerzen. Was ist nur los mit mir? Eine weitere Welle Übelkeit breitete sich in Lokthars Körper aus. Instinktiv sondierte Lokthar die Umgebung mental nach Ungewöhnlichem ab. Aber das Einzige, was er orten konnte, war der Junge von vorhin. Lokthar konzentrierte sich noch mehr und stellte fest, dass sich dieser in einer Kirche aufhielt. Daran dürfte es aber nicht liegen, dachte er sich. Er hatte schon öfters mentale Brücken aufgebaut und ein Kirchenbesuch bereitet ihm niemals Übelkeit. Aber dieser Junge war anderes, das spürte er. Doch damit konnte er sich heute Nacht nicht mehr befassen. Die Sonne würde bald aufgehen.

Lokthar stieg zum Fenster hinaus und stieß sich von der Fensterbank ab und entschwand in die Nacht. An der Krypta angekommen, rief er seinen Raben zu sich. Er war sein treuester Wächter. Angesichts der Unruhen im Orden war er auf ihn mehr denn je angewiesen. Kurz nach dem Signal erschien der Rabe auch und Lokthar bettete sich zur Ruhe.

Es war kühl und dicke Nebelwolken hingen im Tal. Noch war die Kraft der Sonne zu gering, um den Nebel aufzulösen. Aber es war auch früh am Morgen und das Licht würde mit jeder Stunde stärker und stärker werden. So ein Sonnenaufgang spiegelte den ewigen Kampf von Gut und Böse wieder. Das Licht, ein Symbol des Guten, wurde mit Beginn des Tages immer stärker und verlieh den Geschöpfen des Lichts Leben. Doch auch die Geschöpfe der Nacht waren auf die Sonne und ihre Kraft angewiesen. Die Unterteilung in Gut und Böse war jeher eher ein fließender Übergang, doch dies war den wenigsten Wesen bewusst. So auch den Menschen des Dorfes nicht, welche allmählich erwachten und ihrem täglichen Treiben entgegen frönten.

Der Marktplatz, der in der Nacht noch menschenleer war, füllte sich immer mehr. Es herrschte schon bald ein buntes Treiben. Jeden Samstag war Wochenmarkt und das war für das kleine Kaff ein wichtiger Bestandteil des öffentlichen Lebens. Man mag verleitet sein und denken, dass es nur Verhaltensprotokolle in Adelshäusern und ähnlichem gibt, aber dies stimmte nicht. Auch auf diesem kleinen Markt gab es Verhaltensregeln für die einzelnen gesellschaftlichen Schichten und wer gegen sie verstieß wurde mit Verachtung gestraft. Daniel kannte zwar diese Regeln, aber er hielt nichts von ihnen, was für seine Eltern öfters mal ein Problem darstellte, wenn der Sohnemann mal wieder ihre Ehre beschmutzt hatte.

Seine Eltern genossen ein hohes Ansehen im Dorf, auch wenn es eine Bäckerfamilie war. Ihre Bäckerei war seit Jahrzehnten im Familienbesitz der Mathier und jede Generation trug etwas zum Erfolg und zum Ansehen bei. So auch Daniels Eltern. Mit einem neuen Rezept backten sie sich in die Herzen der Dorfleute und ihr alljährliches Bäckerfest war eines der wenigen großen gesellschaftlichen Ereignisse, welche das Dorfleben so bereicherten. Allmählich erreichte die Sonne ihren Zenit und Daniel erwachte langsam. Er war noch hundemüde. Die Ereignisse der letzten Nacht hatten ihn anfangs am Einschlafen gehindert. Mit seinen bleiernen Augenlidern schleppte er sich erst mal ins Badezimmer. Er hoffte, dass eine warme Dusche die Schwere in seinen Gliedern vertreiben würde und ihn wieder munter machen konnte. Das warme Wasser perlte an seinem Körper herunter. Allmählich schienen seine Lebensgeister zurück zu kehren.

Nach geschlagenen zwanzig Minuten verließ er die Duschkabine wieder und stand nun, nur mit einem Handtuch um die Hüften, vor dem Spiegel. Er musterte sich mal wieder. Sein blondes Haar war verwuschelt und ein paar Strähnen hingen ihm über die Augen. Er erschrak. Seine Augen. Sie waren smaragdgrün. Dies erschreckte ihn weniger als die Tatsache, dass er tiefe Augenringe besaß. Die Nacht war wohl doch anstrengender als er vermutet hatte. Er schloss kurz die Augen und rieb sich mit seinen Fingern über die Lider. Ein warmes Gefühl breitete sich in den Augen aus. Er öffnete sie wieder und diesmal war er geschockt. Im Spiegel sah er ein Leuchten in seinen Augen. Er blinzelte und auf einmal war das Leuchten verschwunden. Daniels Starre löste sich erst allmählich. Ich muss eindeutig mehr schlafen, nahm er sich felsenfest vor, davon überzeugt, dass er müdigkeitsbedingte Halluzinationen hatte. Völlig automatisch schlug er den Weg zur Küche ein, um sich eine Tasse Tee zu machen. Daniel liebte Tee, was eventuell auch daran lag, dass er Kaffee nicht mochte. Dieser war ihm zu bitter. Bei einer Schale Müsli und seinem heißgeliebten Tee versuchte er seine Gedanken über letze Nacht zu sortieren. Es wollte ihm aber nicht wirklich gelingen, etwas Sinn darin zu erkennen. Er beschloss etwas Zerstreuung auf dem Markt zu suchen. Er zog sich schnell eine Jeans an und streifte sich ein T-Shirt über.

Draconia war zutiefst beunruhigt. Sie war eine sehr mächtige Seherin, aber das, was gestern Nacht geschehen ist, hätte nicht passieren dürfen. Ihre Visionen prophezeiten zwar einen bevorstehenden Krieg, aber normalerweise erfüllten sie sich nicht so schnell. Die vampirischen Zeitbegriffe enthielten normalerweise keine Tage oder Wochen. Nicht einmal Monate wurden verwendet. Umso mehr war sie beunruhigt. Die Ereignisse begannen sich zu beschleunigen und zu überschlagen. Sie musste unbedingt dem König davon berichten. Dies war ein sehr ungünstiger Zeitpunkt. Es herrschte Unruhe im Orden. Das Machtgefüge war nicht mehr stabil und wurde immer mehr von Intrigen unterwandert. Draconia hoffte zutiefst, dass es noch nicht zu spät war und noch Hoffnung für ihre Spezies bestand.

Eine weitere Komponente bereitete ihr zusehends Kopfschmerzen. Die Menschen. Sie hasste sie nicht. Sie liebte sie nicht. Aber ein Krieg von solchem Ausmaß wird auch bei den Menschen nicht ohne Spuren vorüberziehen. Sie wusste, dass sie auf die Menschen angewiesen waren. Schließlich ernährten sie sich von ihnen. Genauso gut wusste sie aber auch, dass der Feind auch auf die Menschen angewiesen war. Schmerz durchfuhr sie. In ihrem Kopf fing es an zu brennen. Es fühlte sich an wie heißes Blei, dass durch ihre Adern fließt. Vor ihren Augen verschwand das Bild des Raumes, in dem sie sich eben noch befand. Alles drehte sich und wurde dann schwarz. Schwarz wie die Nacht, die sie so liebte. Dann wurde es hell und ihre Augen fingen an vor Schmerz zu tränen. Als die Tränen nachließen und das Bild nicht mehr durch einen Schleier verdeckt war, sah sie den Marktplatz eines kleinen Dorfes. Ein junger Mann lief gerade über eben diesen und kaufte sich einen Apfel.

Daniel setzte sich an den Rand des Brunnens und biss herzhaft in den frischen Apfel, den er sich eben gekauft hatte. Seine Beklommenheit hatte über den Tag nachgelassen, dennoch fühlte er sich seit dem Obststand beobachtet. Aber es schien niemand von ihm Notiz zu nehmen. Die Zerstreuung, die er ursprünglich gesucht hatte, war ihm wohl nicht vergönnt. So beschloss er nochmal zur Kirche zu gehen und sich diese bei Tageslicht genauer anzusehen.

Der junge Mann mit den blonden Haaren und den grünen Augen stand vom Brunnen auf und lief weiter durch die Stadt. Er bog von der Marktgasse in eine kleine Seitenstraße ab, welche auf einen kleinen Platz führte. Hier herrschte nicht so viel Treiben wie auf dem Marktplatz. Der junge Mann schritt auf die Kirche zu, die direkt vor ihm lag. Es war eine kleine Kirche mit gotischen Fenstern und einem Glockenturm, der nicht sonderlich hoch war. Es war eine unscheinbare Kirche, so wie man sie in vielen Dörfern fand. Nur das Eingangstor schien etwas ungewöhnlicher zu sein, denn den Torbogen zierte eine Engelsstatue mit sechs Flügeln und einem Schwert. Dieser gegenüber stand ein Götze. Sie schien einen Dämon mit Fledermausflügeln darzustellen. Auch dieser hielt ein Schwert in der Hand. Der junge Mann betrat das Gebäude und in diesem Moment verschwamm das Bild wieder vor Draconias Augen.

In der Kirche war es deutlich kühler als auf dem kleinen Platz, der sich vor dem Gotteshaus erstreckte. Dieses Mal schien kein Mondlicht auf den Altar, sondern die Strahlen der Sonne verliehen dem Altar einen goldenen Schein. Daniel stand etwas unschlüssig im Eingangsbereich. Er wusste nicht, was er hier sollte, dennoch fühlte er, dass er hier sein sollte.

Ein Räuspern in seinem Rücken ließ ihn erschrocken zusammenfahren. „Oh entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“

Daniel drehte sich um und sah einen jungen Mann von ungefähr 30 Jahren ins Gesicht. Er hatte kurzes, hellbraunes Haar und einen kleinen Ziegenbart. Aber Daniel fielen vor allem seine grünen Augen auf. Sie schienen irgendwie zu glänzen. Dieser Mann strahlte eine Wärme und Zuversicht aus, die Daniel sofort Vertrauen fassen ließ.

„Ich bin übrigens Uriel, aber alle nennen mich Uri. Und wer bist du?“

„Ich heiße Daniel“, stotterte dieser vor sich hin.

„Freut mich dich kennen zu lernen. Soll ich dir ein wenig über die Kirche erzählen? Es ist nämlich eine besondere Kirche.“ Erst jetzt fiel Daniel auf, dass der junge Mann ein Pfarrer zu sein schien. Er musste neidlos eingestehen, dass ihm der Talar sehr gut stand und seine Ausstrahlung unterstrich. „Öhm ja, sehr gerne“, antwortete er.

„Nun denn, Daniel. Dein Wunsch sei mein Befehl. Diese Kirche existiert seit Anbeginn der Zeit. Natürlich ist das Gebäude nicht so alt. Dieses wurde ungefähr 1884 errichtet. Bald hat es seine 125 Jahre auf dem Rücken und dafür hat es sich gut gehalten, findest du nicht auch? Sind dir die zwei Statuen am Eingang aufgefallen? Die eine stellt einen Seraphim dar. Die Engelskrieger Gottes. Es handelt sich dabei nicht um einen einfachen Seraphim, sondern um den Erzengel Michael. Er war die rechte Hand Gottes, bis er im Kampf mit dem gefallenen Engel Luzifer, welchen die andere Statue darstellt, starb. Dennoch war sein Opfer nicht vergebens, denn damit verbannte er Luzifer und seine Gefolgsleute in die ewige Nacht. Diese Kirche hier ist auf dem letzten Ruheplatz von Erzengel Michael erbaut worden. Alle Kulturen, die jemals hier waren, verehrten instinktiv diesen Platz als heilig. Unabhängig von ihrer Religion. Spürst du auch die heilige Präsenz, die hier zugegen ist?“

Er hatte Recht. Die Kirche schien für ihr Alter in einem guten Zustand zu sein. Aber das war nicht das Einzige womit dieser Mann Recht hatte. Daniel hatte hier etwas gespürt. Gestern und auch heute. Er spürte es immer noch. „Sie existiert seit Anbeginn der Zeit? Pater, das können sie doch gar nicht wissen. Aber das die Kirche etwas Besonderes hat, das könnte stimmen. Die Geschichte mit den Seraphim ist aber ziemlich unglaubwürdig. Pater, ich respektiere ihren Glauben, aber ich teile ihn nicht ganz. Die Kirche allgemein hat in meinen Augen den Blick für den wahren Glauben verloren.“ Habe ich das gerade wirklich gesagt? Was ist denn in mich gefahren.

„Daniel, das ist eine sehr gute Einstellung. Auch ich bin der Meinung, dass Gott alle Menschen liebt, auch wenn sie, so wie du, lieber Männer lieben. Doch dies tut hier nichts zur Sache. Daniel, du warst gestern schon mal hier, habe ich Recht?“

Dieser Mann faszinierte mich unglaublich. Aber er war auch sehr unheimlich. Woher wusste er, dass ich schwul bin. Aber was noch viel interessanter war, woher wusste er, dass ich gestern schon einmal hier war.

„Du fragst dich bestimmt, woher ich weiß, dass du schwul bist und du gestern hier warst, oder?“ Es war eine rein rhetorische Frage. „Daniel, du bist hier aufgewachsen. Dir ist sicher bewusst, dass ich nicht von hier komme. Da, wo ich herkomme, ist schwul sein nichts Schlimmes. Die Liebe ist das wichtigste Geschenk Gottes an euch Menschen. Er würde nie jemanden verachten, weil er liebt. Als du gestern Nacht unterwegs warst, sind dir seltsame Sachen widerfahren oder nicht? Wenn du willst, kann ich sie dir erklären, aber dazu musst du mir absolut vertrauen.“

Ja spinnt der jetzt total? „Pater, wer sind sie? Halt, ich sollte lieber fragen: Was sind sie? Kein Pater würde von “euch Menschen“ sprechen. Wie soll ich Ihnen vertrauen können, wenn sie nicht ehrlich zu mir sind.“ Daniel drehte sich zum Gehen um. Er wollte hier weg. Dieser Mann war ihm unheimlich. Andererseits war er fasziniert und er wollte die Antworten auf seine Fragen.

„Warte, Daniel, du hast ja Recht. Nur bin ich mir nicht sicher, ob ich dir absolut vertrauen kann. Viele Anzeichen sprechen dafür, aber wenn ich mich irre, könntest du zwischen die Fronten eines sehr alten Krieges geraten.“

„Wovon zum Teufel reden Sie verdammt noch mal?“

„Daniel Michael Mathier, du solltest in diesem Haus nicht fluchen. Du weißt, Gott mag das nicht so gerne.“ Wie konnte dieser Mann in so einer Situation noch Scherze machen.

„Woher wissen Sie wie ich heiße? Was wollen Sie von mir? Was sind Sie?“

„Ich weiß, du hast viele Fragen, aber die Antworten sind etwas kompliziert. Fangen wir der Reihe nach an. Woher ich weiß, wie du heißt? Ich war bei deiner Geburt dabei, bin dir seitdem immer gefolgt und habe über dich gewacht. Mein Auftrag war und ist es immer noch, dich zu beschützen und herauszufinden, ob du die Person bist, für die wir dich halten. Damit klärt sich auch die zweite Frage. Ich will nichts von dir, beziehungsweise wollte ich bis gestern nichts von dir. Es ist alles nicht so einfach zu erklären.“

„Ihr Auftrag? Mich beschützen? Wovor denn?“, fragte ich etwas ärgerlich. Allmählich wurde mir das Spiel hier doch etwas zu blöd. Ich wollte endlich wissen, was der ganze Scheiß soll. Anscheinend ließ meine aggressive Art auch mein Gegenüber nicht kalt.

„Ihr Menschen seid alle so naiv. Wovor man euch beschützen muss? Ohne uns würdet ihr nicht wirklich alt werden. Wie oft habe ich dich schon gerettet? Viel zu oft. Du träumst dauernd vor dich hin und achtest nicht wirklich auf deine Umgebung. Erst gestern habe ich dich gerettet, in dem ich dich hierher gelotst habe. Und was war letzte Woche? Auf dem Schulweg wärst du beinahe überfahren worden, hätte ich dich nicht in allerletzter Sekunde stolpern lassen. Aber euch Menschen fällt das natürlich nicht auf. Ihr sprecht dann von Glück. Aber dass es harte Arbeit ist, euch zu beschützen, das ahnt ihr nicht mal ansatzweise. Wie ich bereits sagte, ohne uns Schutzengel würdet ihr nie so alt werden.“

Draconia verfluchte innerlich die Kirche. Warum musste er auch in die Kirche gehen? Dort hatte sie keine Macht und ihre Vision endete abrupt. Allerdings wusste sie nun, wo man nach dem Jungen suchen musste. Diese Kirche war einzigartig. Jeder, der sich ein wenig mit der Geschichte ihrer Herkunft befasste, wusste, wo sie zu finden war. Die Sonne war noch nicht untergegangen, aber die Zeit eilte. Sie hoffte, dass ihr König Gnade erwies, angesichts der besonderen Umstände. Normalerweise hasste Dracor es vor Sonnenuntergang geweckt zu werden. Jeder der dies bisher wagte, bezahlte diesen Frevel mit seinem Leben. Draconia ging schnellen Schrittes den Korridor der Burg entlang. Tagsüber wurden die Fenster verhangen, so dass man sich auch bei Sonnenlicht in der Burg frei bewegen konnte. Entlang des Ganges standen einige glänzende Ritterrüstungen, weswegen dieser Korridor auch der Ritterflur genannt wurde.

Die Burg von Dracor war groß. Das Haus Dracul war mächtig und reich. Dracor, als direkter Nachfahre Draculas, hatte die Königswürde mit seiner Geburt in die Wiege gelegt bekommen. Allerdings war das Haus Dracul nicht das einzige Haus. Die Hierarchie der Vampire ist seit jeher kompliziert. Es gibt drei Häuser, wobei sich jedes auf einen anderen Ursprung beruft. Das Haus Dracul stammt von Dracula ab, der oft als der Ursprung der Vampire angesehen wird. Die Nosferatu, ein weiteres, sehr altes Geschlecht, berufen sich, wie der Name schon andeutet, auf den Vampir Nosferatu. Dieses Haus sympathisiert ein wenig mit dem Geschlecht der Dracul, hat aber in einigen Punkten entscheidend andere Ansichten. Dennoch gelang es Dracor auch dort Einfluss zu nehmen und so zum König gewählt zu werden. Eine Wahl zum König? Ja die Vampire sind alt und haben seltsame Riten. Ein König der Vampire wird gewählt, muss aber gleichzeitig ein Geburtsrecht auf die Krone haben. So können nur reine Vampire, die Stammväter der Häuser, König werden.

Das dritte Haus und wohl das älteste ist das Haus des Apophis. Die Wurzeln dieses Hauses gehen bis ins Reich der Pharaonen zurück und laut Sage sind es Abkömmlinge des Gottes Apophis höchstpersönlich. Die Vampire des Hauses Apophis sehen sich als die einzig wahren Vampire an. Dass sie nicht herrschen, liegt unter anderem an dem Einfluss Dracors und an der unbewiesenen Herkunft ihrer Blutlinie. Gleichzeitig aber sind sie auch die spirituellsten unter den Vampiren, worunter ihr Ruf als wahre Vampire stark gelitten hatte.

Draconia blieb vor den Gemächern des Königs stehen. Zwei Wächtervampire versperrten den Zugang zu Dracors Kammer und seinem prunkvollen Sarg. Sie würde niemand Unbefugten durchlassen. Das wusste Draconia. Aber sie wusste auch, dass sie dringend mit Dracor sprechen musste. Zu ihrer Erzürnung ließen die Wächter Draconia nicht passieren. Auch unter Androhung unbändigen Zorns von Dracor behielten sie ihre Position bei. Sie musste sich schließlich geschlagen geben und den Sonnenuntergang in einigen Stunden abwarten. Sie zog sich wieder in ihre Bibliothek zurück und durchforstete die alten Bücher nach Aufzeichnungen einer uralten Prophezeiung.

„Schutzengel?“, Daniel sah Uriel ungläubig an.

„Ja Daniel, auch wenn es unglaublich klingt. Ich bin dein Schutzengel und mein Auftrag als solcher ist es, dich zu beschützen.“

„Pater, haben sie heute schon ihre Tabletten genommen? Sie sind ja nicht ganz dicht!“ Daniel drehte sich wieder um und ließ den Mann einfach stehen. Plötzlich dröhnte eine gewaltige Stimme durch die Kirche. „Bleib stehen!“

Unwillkürlich blieb Daniel stehen. Er wollte eigentlich weiter gehen und Distanz zwischen sich und Uriel bringen, aber er konnte sich nicht bewegen. „Oh Scheiße, was ist hier los? Wieso kann ich mich nicht bewegen?“

„ Es tut mir Leid Daniel, aber ich musste eben deinen freien Willen blockieren. Sieh mich an.“

Daniel drehte sich um und sah Uriel direkt in die Augen. Sie glänzten. Nein, sie strahlten vielmehr. Nicht nur seine Augen, auch sein ganzer Körper wurde in goldenes Licht getaucht. In diesem Licht schienen ihm tatsächlich Flügel zu wachsen. So richtige Engelsflügel mit strahlend weißen Federn. Daniel konnte seinen Blick nicht von ihm lassen. Gleichzeitig aber fühlte er sich zu ihm hingezogen. Er, oder vielmehr sein Anblick, erregte ihn.

Er lächelte Daniel verschmitzt an. „Glaubst du mir nun? Daniel, wir sollten reden. Wenn meine Vermutung richtig ist, haben wir sehr bald ein riesiges Problem.“

Daniel war einfach sprachlos. Der Anblick und diese gewaltige Stimme hielten ihn in ihrem Bann. „Oh entschuldige, ich habe vergessen deinen Willen wieder frei zu geben.“

Mit einem Mal verschwanden seine Flügel, seine Augen verloren an Glanz und seine Stimme war wieder ganz normal. Daniel war vollends verwirrt. Uriel schien ein Engel zu sein. Besser gesagt sein Schutzengel. Aber das wollte nicht alles in Daniels Kopf. Sein Verstand blockierte ihn und auch den Gedanken an die Existenz von Engeln. Aber was er gesehen und erlebt hatte, ließ sich nicht so einfach von der Hand weisen.

„Habe ich denn eine andere Wahl, als dir zu glauben?“

„Nein, nicht wirklich. Es ist wichtig, dass du erst alle Informationen bekommst. Danach hast du natürlich eine Wahl. Von dieser wird aber das Überleben der Menschheit und noch viel, sehr viel mehr abhängen.“

„Das Überleben der Menschheit? Von mir? Was habe ich denn damit zu tun?“

„Nun ich will es dir erklären. Erzengel Michael bezwang damals Luzifer in einem epischen Kampf der Engel. Da Luzifer aber ein Engel war, konnte Michael ihn mit seinem Flammenschwert nicht töten. Michael gebot zwar über die Elemente, aber Luzifer war auch mächtig. Als ein Wesen, welches aus Licht geboren worden war und aus Licht bestand, war er immun gegen das Schwert der Flammen. Es gelang aber Michael, Luzifer aus dem Himmel zu stürzen. Somit war Luzifer ein gefallener Engel und der Kampf im Himmel war beendet. Leider gab sich Luzifer damit nicht zufrieden. Da es ihm aber als gefallener Engel nicht mehr möglich war, ins Himmelreich zurückzukehren, führte er den Krieg auf der Erde weiter. Er verführte die Menschen mit seinen himmlischen Fähigkeiten und brachte sie dazu, statt Gott ihm zu folgen. Gott konnte diesen Frevel natürlich nicht dulden und sendete seine Engelsscharen zur Erde, um Luzifer ein für alle Mal Einheit zu gebieten. Michael führte Gottes Armee an, hatte aber nicht mit der überragenden Menge von Luzifers Anhängern gerechnet. Für Luzifer und seine Anhänger war die Vorstellung den Menschen zu dienen unerträglich. Ihrer Meinung nach stehen sie über den Menschen, da Engel aus Licht erschaffen sind, Menschen hingegen nur aus Lehm. Mit seinen Verführungskünsten schwächte er den Glauben der Menschen an Gott und somit seine Macht auf Erden. Aus diesem Grund gelang es auch dieses Mal Michael nicht, Luzifer zu vernichten. Aber es gelang ihm, Luzifer zu verbannen. Genau wie seine Anhänger verbannte er sie mit Gottes Macht zu einem Leben in ewiger Finsternis. Ursprünglich sollte diese Verbannung Luzifer und seine Gefolgsleute in die Unterwelt verbannen, wo ewige Dunkelheit herrscht. Aber Luzifer hatte eine Verbindung zur Menschheit hergestellt, indem er von ihrem Blut getrunken hatte. Im Blut jedes Menschen ist die Essenz Gottes enthalten. Ohne sie zerfallen die Menschen wieder zu Lehm.

Somit wurde Luzifer nur des Tageslichts verbannt und führte seit dem ein Leben in der Nacht. Er und seine Geschöpfe der Nacht hatten allerdings von Gottes Essenz gekostet und wurden von dieser abhängig. Seitdem ernähren sie sich vom Blut der Geschöpfe Gottes. Wenn sie dies nicht tun, schwinden ihre Kräfte und sie zerfallen auch zu Staub. Da Erzengel Michael der mächtigste der Erzengel war und bei der Verbannung Luzifers sein Leben ließ, wurde ein zerbrechlicher Frieden geboren. Luzifer war nun abhängig von den Geschöpfen, die er am meisten verachtete, und im Himmelsreich war die alte Ordnung wiederhergestellt. Zwar widerstrebte es Gott, dass Luzifer von den Menschen trank und er einige Anhänger hatte, allerdings waren die Verluste auf beiden Seiten während des Krieges so immens, dass die Menschheit darunter gelitten und fast ausgerottet worden wäre.“

„Was aber hat das nun mit mir zu tun?“

„Das ist eine sehr gute Frage. Die Vampire, so wie ihr Luzifers Geschöpfe nennt, sind mächtig geworden. Das Himmelsreich hat sich aber nicht so gut erholt, da es schwieriger ist, Engel zu rekrutieren, als Vampire zu erschaffen. Ein weiterer Nachteil war der Verlust vom Erzengel Michael. Sein Tod schwächte die Stellung Gottes immens. Nun haben sich die Gerüchte gehäuft, dass Luzifer einen Weg gefunden haben soll, sich als Reinkarnation wiederzubeleben. Wenn dies geschieht und niemand ihn aufhält, sind das Reich Gottes und die Menschheit verloren. Nun ist aber nicht alle Hoffnung verloren. Angesichts dieser schlimmen Entwicklungen hat Gott beschlossen, Michaels Seele zurück zur Erde zu schicken und ihn sozusagen auch wiederzubeleben.“

„Warum kämpft Gott denn nicht persönlich gegen Luzifer? Er müsste doch mächtig genug sein um ihn zu vernichten.“

„Ja das wäre er. Allerdings hat die Sache einen Haken. Luzifer ist der Erstgeborene Gottes. Wenn Gott Luzifer, welchen er aus seiner Essenz erschaffen hat, vernichten würde, würde er sich selbst mit vernichten. Deswegen hat Gott ja Michaels Seele wieder zurückgeschickt. Das war vor ungefähr siebzehn Jahren.“

„Ja aber dann dürfte es ja kein Problem mehr geben. Wenn Michael wieder unter uns weilt, kann er doch Luzifer bekämpfen.“

„Das ist nicht so ganz einfach. Dazu muss erst mal die Hülle seiner Seele gefunden werden. Außerdem benötigt er auch noch eine Waffe. Sein Schwert ging damals auch verloren.“

„Ihr wisst nicht, wo Michaels Seele ist? Das kann nicht dein Ernst sein.“

„Ich habe da eine starke Vermutung.“

„Ja dann solltest du ihn schnell aufsuchen und ihm seine Waffe wiederbesorgen. Dann wird alles wieder gut.“

„Daniel, wie lautet dein zweiter Vorname?“

„Michael… ach du scheiße. Soll das heißen…“

„Ja ich vermute, dass du die Wiedergeburt des Erzengels Michael bist.“

Draconia hatte ihrer Meinung nach lange genug gewartet. Sie eilte wieder zu den Gemächern des Königs und fragte erneut nach einer Audienz. Da Dracor nicht mehr schlief, ließen die Wächtervampire sie gewähren. Denn nun war es nicht mehr ihr Leben, dass ausgelöscht werden wäre, sondern nur noch Draconias, sollte sie den König erzürnen. Draconia hatte eben erst den Raum betreten, aber schon spürte sie ein gewisses Unbehagen von ihr Besitz ergreifen. Sie hatte Angst. Pure Todesangst. Ihre Nachrichten waren wohl die schlechtesten, die man sich überhaupt vorstellen konnte und Dracor ließ öfters seinen Unmut über schlechte Nachrichten am Überbringer aus. Allerdings war ihre Angst vor der Zukunft um einiges stärker.

Dracor saß auf seinem vergoldeten Thron. An den Armlehnen befanden sich kleine goldene Fledermausflügel. Die Rückenlehne bildete mit der Sitzfläche ein Maul, welches je zwei Fangzähne oben und unten aufwies. So sah es aus, als ob Dracor mitten im Mund einer Fledermaus oder besser eines Vampirs saß. Der blutrote Bezug des Throns unterstrich diesen Eindruck zusätzlich. Draconia blieb direkt hinter der Tür stehen, so wie es das Protokoll für eine Audienz vorsah und verbeugte sich tief.

„Ah geliebte Draconia. Was verschafft mir die Ehre, dich hier zu empfangen und vor allem zu so früher Stunde. Dir dürfte bewusst sein, dass ich nicht lange wach bin und dementsprechend hungrig.“

„Eure Majestät, ich entschuldige mich vielmals für diese frühe Störung. Aber wäre es nicht von solch wichtiger Bedeutung, wäre ich nicht hier.“

„Ja eine Audienz der Seherin ist wahrlich selten. Umso wichtiger müssen die Nachrichten sein.“

„Ja Sire, wenn mich nicht alles täuscht, sind die Nachrichten entscheidend über Tod und Leben unserer Spezies.“

„Dich täuscht? Unsere Spezies? Du sprichst wie immer in Rätseln. Nun stell meine Geduld nicht weiter auf die Probe und berichte, was du meinst zu wissen.“

„Wie ihr wünscht, Majestät. Die Streitigkeiten der Häuser müssen sofort beigelegt werden. Uns steht Schlimmes bevor. Wie ihr sicher wisst, stammt unsere Spezies von Luzifer ab. Eben dieser scheint sich wiederbeleben zu wollen.“

„Das sind wahrlich keine guten Nachrichten, aber an sich auch keine schlechten. Luzifers Wiedergeburt könnte zwar unsere Gesellschaft umstürzen, aber nicht unsere Spezies bedrohen. Eher im Gegenteil. Wenn unser Schöpfer wieder lebt, können wir die Menschheit endgültig unterjochen und niemand kann uns mehr aufhalten.“

„Fast niemand, Sire.“

„Was willst du damit sagen?“

„Nun eure Majestät, wie ihr sicher wisst, wurde Luzifer damals von Erzengel Michael verbannt und dadurch zu dem, was wir nun sind, einem Vampir. Laut einer uralten Prophezeiung war dies aber nicht der letzte Kampf zwischen ihm und Michael.“

„Ja auch ich kenne die Prophezeiung.“

„Ja aber ich befürchte eure Kenntnis ist etwas eingerostet. Es wird noch eine Schlacht folgen und diese wird über die Zukunft von Luzifers Anhängern, den Engeln und den Menschen entscheiden. Eine dieser drei Mächte wird in dieser Schlacht vernichtet werden. Dies bedeutet, dass wir keine so guten Karten haben. Denn wenn die Menschen vernichtet werden, gehen auch wir zwangsweise unter.“

„Ja da hast du wohl recht. Aber ich denke nicht, dass du gekommen bist, um meine Kenntnisse der alten Schriften aufzufrischen oder?“

„Nein, natürlich nicht, aber sie bilden die Basis der Ereignisse, die eben geschehen. Nicht nur Luzifer will wieder auferstehen. Auch Michaels Seele weilt wieder unter uns.“

„Was? Unser Erzfeind mobilisiert seine Streitkräfte? Das bedeutet nichts Gutes.“

„Ihr habt Recht, allerdings ist es momentan eher ein Wettrüsten. Beide Seiten holen ihre besten Kämpfer zurück. Unsere Streitmacht ist zahlenmäßig weit überlegen. Allerdings gibt es noch die Menschen. Wir sollten ihre Rolle in diesem Krieg nicht unterschätzen. Aber wir könnten einen Präventivschlag verüben. In einer meiner Visionen habe ich die menschliche Hülle von Michaels Seele gesehen. Er hält sich in dem kleinen Dorf auf, wo auch Michaels Grabstätte liegt. Ich befürchte dies ist kein Zufall. Gottes Engel wollen ihn wiederbeleben. Noch ist es ihnen anscheinend nicht möglich. Deswegen sollten wir versuchen, diesen Jungen auszuschalten.“

Dracor sprang aus seinem Thron auf. Sein schwarzer Umhang flatterte wild und seine Augen quollen vor Wut aus ihren Höhlen. Seine Fangzähne waren zur vollen Länge ausgefahren und Geifer lief aus seinen Mundwinkeln. „Töten. Wir müssen ihn töten. Sofort.“

„Aber, eure Majestät..“

„Wachen!“ Die zwei Wächtervampire stürmten den Saal und wollten sich auf Draconia stürzen, die noch etwas überrascht über den Ausbruch ihres Königs war. Doch als die Wächter sie ergreifen wollten, löste sie sich in einer schwarzen Rauchwolke auf und erschien an anderer Stelle wieder.

„Meine Herren. Dracor ließ euch nicht wegen mir rufen“, sprach sie und wieder verschwand sie in einer dunklen Wolke.

„Bringt mir sofort diesen Jungen!“ Die beiden Wächter sahen sich etwas dumm an und dann fragend zu ihrem König. „SOFORT!“ Die Wächter verließen eilig die Gemächer, denn schließlich hangen sie an ihrem untoten Leben. Dank des verbalen Befehls machten sie sich auf den Weg, aber nur dank des mentalen Untertons, der eine Beschreibung des Jungen beinhaltete, wussten sie überhaupt, wohin sie aufbrachen.

Draconia rematerialisierte sich in sicherem Abstand zu Dracor wieder. „Mein König, denkt ihr nicht, dass wir diesen Präventivschlag nicht besser planen sollten, statt wie wilde Tiere einfach loszustürzen?“

Dracors Zähne waren zwar wieder eingefahren, aber seine Augen waren immer noch blau gefärbt. Diese Blaufärbung war ein untrügliches Zeichen seiner Blutgier. Durch die eingelagerten Cyanpartikel färbt sich die Iris blau und das Rot des Hämoglobins im Blut erscheint so den Vampiren sehr leuchtend. Dies erleichtert ihre Nahrungsaufnahme ungemein, aber verrät auch immer deren Identität und spiegelt ihre Gefühlswelt wider. In diesem Fall spiegelten Dracors blaue Augen Wut wider. Draconia vermeinte aber auch etwas Angst in ihnen zu erkennen.

„Die Entscheidung ist gefallen. Nun zieh dich zurück und halte mich auf dem neusten Stand, falls du wieder eine Vision haben solltest. Und nun geh!“ Elegant und mit einem Hauch von Mystik drehte sich Draconia um, wobei ihr schwarzblauer Umhang wie Flügel zu flattern schien. In dem seidigen Stoff spiegelten sich noch die blauen Augen des Königs wieder, bis Draconia aus dem Thronsaal getreten war.

Lokthars Wächter war unruhig. Der kluge Rabe spürte die herannahende Gefahr. So stieß er sich mit einem kräftigen Stoß vom steinernen Sims ab und flog zum kleinen, runden Fenster im Giebel der Krypta hinaus. In immer größer werdenden Kreisen stieg er in den Himmel empor. Seine wachsamen Augen glitten über den Friedhof und die umherliegenden Wiesen und Felder. Nahe einem der Grabsteine entdeckte er eine junge Frau sitzen. Ihr schwarzes, schulterlanges Haar umrandete ihr blasses Gesicht mit den eisblauen Augen und verlieh ihr einen neugierigen Eindruck. Der Rabe flatterte ein paar Mal über sie hinweg, wobei er sie nicht aus den Augen ließ. Aber auch der Rabe wurde von ihr aufmerksam gemustert. Er flog einen leichten Bogen und kehrte zu seinem Sims in der Krypta zurück. Er wusste, dass er seinen Meister warnen musste. In der Krypta angekommen landete er auf dem Sargdeckel und klopfte mit seinem spitzen Schnabel darauf herum. Tock. Tock. Tock. Lokthar erwachte durch das Klopfen. Sofort war er alarmiert. Sein Wächter würde ihn nie ohne Grund wecken. Er schob den Sargdeckel beiseite und richtete sich auf. Mit seinen grünen Augen blickte Lokthar zum Raben.

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