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Erben der Zeit
Teil 1 - Fernweh
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Informationen
- Story: Erben der Zeit
- Autor: Bastet
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Fantasy und Mystery
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel: Fernweh
Meine Familie hatte nie besonders viel Geld, allerdings störte meine Geschwister und mich das zu keiner Zeit. Es war nicht so, dass wir hungern mussten. Es war von allem genau so viel da, dass wir gut leben konnten. Ich hatte nie ein Problem damit die Kleider meiner älteren Geschwister aufzutragen. Für mich war das einfach normal.
Mein Vater war ein kleiner Bauer in den Länderein von Shandar. Wir mussten nur wenig unserer Erträge als Steuern an den Staat abgeben, das meiste verkauften wir auf dem Markt, von wo aus es in die ganze Welt gebracht wurde. Shandar galt als Ernährer der restlichen Länder. Ohne unsere Ernten und Viehzuchten hätte es wohl große Hungersnöte auf der Welt gegeben.
Heute nehme ich an, dass die Familienplanung meiner Eltern eigentlich bereits mit meinem älteren Bruder abgeschlossen war. Thalamar war immerhin schon dreizehn Jahre alt, als ich geboren wurde. Meine Schwester Leisaka war sogar siebzehn Jahre älter als ich. Ich war somit wirklich das Nesthäkchen in unserer Familie. Ich wurde von allen umsorgt und verwöhnt. Ich musste trotzdem immer auf unserem kleinen Hof mithelfen und tat das auch sehr gerne, ich liebte es auf dem Land zu arbeiten. Als ich jedoch älter wurde spürte ich, dass dies nicht alles in meinem Leben sein sollte. Ich spürte, dass ich anders war als meine Geschwister. Ich sah meine Erfüllung einfach nicht als Bauer oder Viehwirt. Ich sah diese Berufe als nichts Schlechtes an, aber ich merkte, dass die Welt mehr für mich bereithielt. Allerdings wusste ich nicht, wie ich es meinen Eltern beibringen sollte, dass ich weggehen wollte. Für sie war ich immer noch ihr Baby, auch wenn ich inzwischen fünfzehn Jahre alt war. Zu dieser Zeit machte ich mir immer wieder Gedanken darum wohin ich gehen und was mir die Welt für Möglichkeiten offenbaren könnte. Ich bemerkte nicht, dass ich mich veränderte, bis mein Bruder mich eines Tages darauf ansprach.
“Was ist mit dir los Thiran?”
Ich sah meinen Bruder einfach nur an. In meinen Augen wahr wohl meine Frage zu sehen, denn er sprach sofort weiter.
“Ich sehe doch, dass dir irgendetwas im Kopf herumspukt. Nicht nur ich habe es bemerkt, Mutter und Vater machen sich auch Sorgen um dich. Sie hoffen allerdings, dass sich alles von selbst regelt, aber ich glaube, du würdest dich nur noch mehr zurückziehen, wenn du nicht bald mit jemandem darüber redest, was in deinem hübschen Köpfchen vor sich geht. Also, ich höre.”
“Habe ich mich wirklich zurückgezogen?”
Thalamar nickte. “Du bist ruhiger geworden und immer wieder sieht man dich irgendwo rumsitzen und du tust nichts anderes als Löcher in die Luft starren.”
“Thalamar, hast du dich schon jemals gefragt, was uns erwarten würde, wenn wir von hier weggingen?”
Mein Bruder riss vor Schreck seine Augen auf. “Thiran! Wie kommst du auf so etwas? Wir werden nie aus Shandar fort müssen. Es ist ein wirklich großes Glück für uns, hier geboren zu sein. Wir müssen nicht hungern und für unsere Nahrung betteln gehen. In Shandars Händen liegt das Schicksal unserer ganzen Welt.”
“Ich glaube allerdings, mein Schicksal liegt nicht in Shandars Händen. Ich habe das Gefühl, dass es irgendwo anders etwas gibt, dass darauf wartet, dass ich komme. Ich weiß auch nicht, es ist so eine Unruhe in mir.”
“Soll das heißen du willst von hier weg? Wo willst du hin?”
“Ich weiß auch nicht wohin. Vielleicht erst mal nach Brasun. Von dort stehen mir dann alle Wege offen und ich kann mich immer noch entscheiden wohin ich will.”
Thamalar schüttelte den Kopf. “Ich kann dich einfach nicht verstehen Bruder, du könntest hier so glücklich werden.”
“Das kann ich eben nicht. Ich weiß, dass ich nicht ruhig weiterleben könnte, wenn ich diesem Drang fort zugehen nicht folgen würde. Es muss ja auch nicht bedeuten, dass ich für immer weg sein werde. Vielleicht werde ich ja auch wiederkommen.”
“Du machst schon wieder den dritten Schritt vor dem ersten, Thiran. Bevor du ans Zurückkehren denkst, solltest du lieber erst einmal überlegen, wie du es unseren Eltern sagst, dass du von ihnen weg möchtest.”
Ich nickte. Mir war klar, dass es nicht einfach werden würde meine Eltern zu überzeugen mich ziehen zu lassen, für sie war ich eben immer noch ihr kleines Baby.
“Kannst du bitte dabei sein, wenn ich es ihnen sage?”
Thamalar legte mir seinen Arm um die Schulter. “Natürlich kleiner Bruder. Sag mir einfach Bescheid, wenn es soweit ist. Ich werde dir beistehen.”
“Danke.”
Eine Weile saßen wir noch schweigend da und starrten zusammen Löcher in die Luft. Nach einiger Zeit erhob sich Thamalar und wuselte mir kurz durch meine Haare.
“Du kannst auf mich zählen.”
Ich sah ihm noch kurz nach, bevor ich mich auch erhob. Ich wollte meine Schwester suchen. Ich hatte das Gefühl, dass es besser wäre, sie auch bei dem Gespräch mit meinen Eltern dabei zu haben und ich wusste auch genau, wo ich sie finden konnte. Ich ging an dem kleinen Garten, der am Haus lag vorbei, direkt auf den Wald zu. Ich lief keine fünf Minuten, als ich auch schon auf der Lichtung ankam, wo ich Laisaka vermutete. Ich wurde nicht enttäuscht, sie saß auf einem Felsen am Rande der Lichtung und war mit kleinen Handarbeiten beschäftigt.
“Ich wusste, dass ich dich hier finden würde.”
Laisaka sah mir entgegen und lächelte. “Ich glaube aber nicht, dass du hierher gekommen bist um mir das zu sagen.”
Ich setzte mich neben sie und begann zu reden. “Ich habe gerade mit Thalamar gesprochen. Vielleicht hast du ja auch mitbekommen, dass mich in letzter Zeit etwas beschäftigt.” Laisaka nickte, ließ mich aber weiter reden. “Weißt du, ich spüre, dass mich irgendwo etwas anderes erwartet als hier, etwas, dass sehr wichtig ist und ich glaube es ist einfach meine Bestimmung aus Shandar fort zugehen.”
“Und du möchtest, dass Thalamar und ich dir bei dem Gespräch mit unseren Eltern beistehen?”
Ich nickte. “Du weißt wie sie sind. Ich glaube sie werden nie einsehen, dass ich irgendwann auch mal erwachsen werden kann. Sie werden mich immer wie ein Kind behandeln, dass vor allem in der Welt geschützt werden muss.”
“Du weißt, dass du ihnen das Herz brechen wirst, wenn du von hier weggehst.”
“Ja, aber bitte glaub mir, wenn es nicht wirklich wichtig für mich wäre, würde ich mich gar nicht für diesen Weg entscheiden. Ihr wisst, dass ich euch alle liebe und euch auch nicht verletzten möchte, doch ich denke, dass ich mich selbst verlieren würde, wenn ich diesen Schritt nicht wage.”
“Dir ist es wirklich ernst damit? Ich hoffe, du bist dir darüber im Klaren, dass du immer zu uns zurückkommen kannst.”
“Ja und ich bin wirklich froh, dass ich euch habe.”
“Wann möchtest du mit Mutter und Vater reden.“ „Ich weiß auch nicht so genau. Erst einmal muss ich den Mut dafür zusammenkratzen, aber ich habe das Gefühl je ehr desto besser. Ich würde uns wohl alle unglücklich machen, wenn ich es zu lange herauszögere.”
“Ich bin dabei Bruderherz.”
Es tat wirklich gut solche Geschwister zu haben. Ich war froh, dass sie sich einfach mit meiner Entscheidung von hier fort zugehen abfanden und nicht versucht hatten mich umzustimmen, denn das hätte bestimmt dazu geführt, dass wir uns gestritten hätten und so etwas wollte ich tunlichst vermeiden. Ich wollte nicht im Streit mit meiner Familie auseinander gehen, denn eins stand für mich fest: Ich würde Shandar verlassen und selbst meine Familie könnte mich nicht davon abbringen.
Ich nahm mir fest vor noch an diesem Abend mit meinen Eltern zu reden. Beim Abendbrot konnte ich nicht richtig essen, die Nervosität nahm mir einfach jeden Appetit.
“Thiran, ist alles in Ordnung mit dir? Du isst ja gar nichts.”
“Ja, mir geht es gut Mutter. Ich habe nur einfach keinen Hunger, mach dir bitte keine Sorgen.”
“Nicht das du krank wirst mein Schatz.”
Ich schaffte es ein Augenrollen zu unterdrücken. Hatte ich ihr nicht gerade gesagt, sie braucht sich keine Sorgen zu machen. Aber solche Reaktionen waren bei Müttern wohl normal. Ich sagte also nichts, starrte weiter auf den Teller vor mir und wartete darauf, dass alle mit dem Essen fertig wurden. Thalamar sah mich mit fragenden Augen an und ich nickte ihm zu. Ja, ich wollte es jetzt nicht mehr hinauszögern. Durch die positiven Reaktionen meiner Geschwister war ich in meiner Entscheidung noch bestärkt worden. Als meiner Mutter damit beginnen wollte den Tisch abzuräumen, begann ich zu reden.
“Mutter, kannst du damit bitte noch etwas warten und dich wieder setzen? Ich würde mit dir und Vater gerne etwas bereden.”
Meine Mutter sah mich sofort mit weit aufgerissenen Augen an. “Es ist also doch etwas geschehen. Thiran, warum hast du uns nicht sofort davon erzählt?”
“Nein Mutter, beruhige dich. Es ist nichts geschehen. Ich wollte nur mit euch über mein weiteres Leben reden. Wisst ihr, ich habe mir Gedanken darüber gemacht, was das Leben für mich bereithält.”
“Aber Schatz, du hast doch hier alles, was du brauchst. Worüber hast du dir dann noch Gedanken gemacht?” Man merkte meiner Mutter an, dass sie sich bei diesem Gespräch ganz und gar nicht wohl fühlte.
“Norida, jetzt lass den Jungen doch erst einmal ausreden.” Ich sah meinen Vater dankbar an.
“Weißt du Mutter, ich glaube eben nicht, dass ich hier alles habe, was ich brauche. Ich fühle mich seit einiger Zeit so, als würde mir etwas fehlen, etwas das ich hier in Shandar auch nicht finden kann. Ich bin mir sicher, dass irgendwo ein ganz bestimmtes Schicksal auf mich wartet.”
“Soll das etwa bedeuten, dass du uns verlassen willst? Thiran, das kannst du nicht tun. Du wirst hier gebraucht. Ich würde vor Sorge um dich umkommen, wenn ich dich nicht jeden Tag sehen würde.” Ich sah wie sich die Augen meiner Mutter langsam mit Tränen füllten. Es fiel mir nicht leicht weiterzureden.
“Seien wir doch mal ehrlich: Vater und Thalamar haben keine Probleme die anfallenden Arbeiten auf dem Hof zu erledigen. So hart es sich auch anhört, es ist nicht unbedingt nötig, dass ich hier lebe. Was deine Sorge um mich angeht, ich kann dich natürlich verstehen. Jede Mutter und auch jeder Vater sorgt sich um sein Kind, aber ihr müsst auch akzeptieren, dass ich kein Kleinkind mehr bin. Ich kann auf mich allein achten. Ihr habt mich immer dazu erzogen, dass ich selbstständig bin. Vielleicht habt ihr dies ja auch nicht bewusst getan, aber ich bin jetzt soweit, dass ich mich auch alleine durchschlagen kann. Ich muss in die Welt um mich selber zu finden.”
Meine Mutter konnte ihre Tränen nun nicht länger zurückhalten. Langsam rollten sie über ihre Wangen um dann jäh in die Tiefe zu stürzen.
“Und wo möchtest du hin, wenn ich fragen darf.” Mein Vater hatte bis jetzt noch nicht wirklich etwas zu unserem Gespräch beigetragen, was mich sehr wunderte. Eigentlich war er kein Mensch, der seine Gedanken verschwieg, er redete immer offen heraus.
“Ich weiß auch nicht so richtig. Erst einmal nach Brasun und dann dahin wo ich hingetrieben werde.”
“Und du bist dir wirklich sicher, dass es so sein soll?”
“Ich hätte nicht mit euch darüber gesprochen, wenn es mir nicht ernst wäre. Ich habe diesen Gedanken schon eine zeitlang, aber bisher hatte ich nicht den Mut gefunden mit euch darüber zu sprechen. Ich wusste, dass es euch schwerfallen würde mich gehen zu lassen.”
Mein Vater nickte und schwieg dann einige Sekunden lang. Diese kurze Zeit kam mir länger vor als das gesamte bisherige Gespräch. Ich wusste, diese Sekunden würden über den weiteren Weg meines Lebens entscheiden.
“Ich denke, wir können dich von deiner Entscheidung nicht abbringen. Ich möchte nicht, dass du mit dem Gefühl von uns gehst, dass wir dich nicht in allen Situationen unterstützen. Ich möchte dir nur sagen, dass du jederzeit wieder hier willkommen bist.”
Nachdem mein Vater das gesagt hatte, konnte meine Mutter einen Schluchzer nicht mehr unterdrücken. Sie sprang auf und lief laut weinend aus dem Haus. Ich sah ihr geschockt nach und wollte hinterher, doch mein Vater hielt mich an der Schulter fest und schüttelte den Kopf.
“Deine Mutter wusste, dass so etwas geschehen würde. Wir haben uns vor einer Woche erst darüber unterhalten, dass sie spürt, dass du nicht so tief mit Shandar verwurzelt bist wie deine Geschwister. Sie hat nur gehofft, dass der Zeitpunkt, an dem du uns verlassen würdest noch etwas auf sich warten lassen würde.”
“Es tut mir leid Vater. Ich wollte sie und natürlich auch dich nicht verletzten.”
“Ich weiß, mein Sohn, aber du musst verstehen, dass das Herz immer blutet, wenn man von einem Kind verlassen wird. Ich werde nach deiner Mutter sehen. Macht hier bitte etwas Ordnung.” Mit diesen Worten nahm mein Vater den gleichen Weg, wie zuvor meine Mutter.
Ich blieb noch einige Zeit sitzen und hing meinen Gedanken nach. Deswegen schrak ich kurz zusammen, als mein Bruder mich ansprach.
“Das ist ja besser gelaufen als gedacht, Kleiner.”
“Aber es tut weh zu wissen, dass es meine Schuld ist, dass es Mutter so schlecht geht. Ich wollte sie nicht verletzten.”
“Sie hätte noch mehr gelitten, wenn du diese Entscheidung nicht getroffen hättest. Dann hätte sie jeden Tag vor Augen gehabt, wie unwohl du dich hier fühlst. Es ist zwar hart, aber ich denke es ist besser so.”
“Wann möchtest du deine Reise beginnen, Thiran”, fragte jetzt meine Schwester.
“Je ehr desto besser. Wenn ich es jetzt noch zu lange hinauszögern würde, würde es wie ein Damoklesschwert über unserer Familie schwingen. Es ist besser, wenn ich das ganze schnell hinter mich bringe. Am besten am Ende der Woche, dann ziehen die Marktleute weiter nach Brasun, vielleicht kann ich bei jemandem mitfahren.”
Mein Bruder nickte. “Du hast Recht. Es wird Mutter zwar schwerfallen, dich schon so bald gehen zu lassen, aber es ist die beste Lösung für alle. Vielleicht solltest du schon anfangen ein paar Sachen zusammen zu packen. Du hast nur noch zwei Tage bis zur Abreise.”
Ja, ich sollte mich wirklich beeilen. Wie in Trance stand ich auf und ging in mein Zimmer. Ich konnte nicht glauben, dass es wirklich schon losgehen sollte. Plötzlich ging alles so schnell. Dieser ganze Plan hatte eine Eigendynamik entwickelt und schien nun nicht mehr zu stoppen zu sein. Als ich über alles nachdachte, spürte ich langsam und ganz schwach ein Gefühl von Vorfreude in mir wachsen. Es war so weit, ich würde endlich meinem Schicksal entgegentreten. Ich konnte nicht verhindern, dass sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht legte.
2. Kapitel: Die Reise beginnt
Diese zwei Tage vergingen rasend schnell. Immer wenn ich mit meiner Mutter zusammenkam, sah ich wie ihr die Tränen in die Augen traten. Es fiel mir wirklich unendlich schwer meine Meinung nicht doch noch zu ändern und zu Hause zu bleiben, aber ich hatte mir fest vorgenommen diese Reise anzutreten. Thalamar und Laisaka unterstützten mich so gut sie konnten. Aber viel war für mich eh nicht zu tun. Mitnehmen wollte ich nicht viel, je weniger Last desto besser. Von meinen Freunden hatte ich mich nur kurz verabschiedet. Keiner von ihnen verstand, warum ich überhaupt aus Shandar wegwollte, für sie lag hier die Erfüllung ihres Lebens. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass man aus Shandar wegwollte.
Der Tag des Abschieds war wirklich schwer für mich. Meine Mutter nahm mich nur kurz in die Arme, bevor sie wieder verschwand. Ich hörte sie laut aufschluchzen. Laisaka drückte mich fest und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
“Viel Glück kleiner Bruder. Ich werde dich vermissen.”
Mein Bruder nahm mich nur kurz in den Arm.
“Wir warten hier auf dich, vergiss das nicht.”
Dann kam mein Vater. Während der letzten beiden Tage hatten wir nicht über meine Pläne gesprochen. Eigentlich ist alles wie immer gelaufen, wäre da nicht diese seltsam gedrückte Stimmung gewesen.
“Ich hoffe du findest wonach du suchst. Das ward dir vielleicht anfangs etwas helfen.”
Er überreichte mir einen kleinen Beutel aus Leder. Als ich ihn in die Hand nahm, spürte ich, dass sich einige Münzen darin befanden.
“Das…”, ich sah dem Blick meines Vaters an, dass es keinen Sinn hätte sich gegen diese Geste zu wehren. Er würde das Geld nicht wider zurücknehmen. “Danke.”
“Pass auf dich auf Junge und denk daran, dass hier immer jemand sein wird, der auf dich wartet.”
Ich nickte und sah ihn, Thalamar und Laisaka noch einmal an, bevor ich mich umdrehte und den Weg von Haus weg nahm. Thalamar hatte mir angeboten mich zum Markt zu fahren, aber ich wollte das nicht. Ich brauchte einen kurzen und klaren Schnitt. Mit jedem Schritt den ich mich vom Hof entfernte ging es mir etwas besser. Ich konnte wieder freier atmen und fing an die Umgebung zu genießen. Es war ein völlig neues Gefühl für mich, und dabei hatte ich mich erst wenige Kilometer von meinem Elternhaus entfernt.
Nach ungefähr einer Stunde war ich in Dhalab angekommen. Mir wurde bewusst, dass ich noch nie alleine in der Stadt war. Entweder war ich mit meiner Familie da gewesen, wenn wir unsere Erträge verkauften, oder ich hatte die Stadt mit meinen Freunden besucht. Auf einmal wirkte alles viel größer. Ich bemerkte wie sich ein leicht flaues Gefühl in meinen Magen schlich. In diesen Moment wäre es noch nicht zu spät gewesen, mein ganzes Vorhaben noch einmal zu überdenken, doch mein Stolz verhinderte, dass ich umkehrte und wieder zum Hof meiner Eltern ging. Dies war die Chance, auf die ich immer gewartet hatte und ich würde sie nicht einfach so wegwerfen. Langsam führten mich meine Schritte durch die Straßen von Dhalab, dem Markt entgegen.
Auf dem Markt angekommen, sah ich kurze Zeit dem regen Treiben zu. Ich erblickte einige meiner Nachbarn, die mit den Kaufleuten verhandelten. Ich sah mich um und suchte mir einige Stände heraus, an denen nicht so viel Betrieb war. Einmal atmete ich noch tief durch, bevor ich mich in Bewegung setzte um die Händler zu fragen, ob sie mich nach Brasun mitnehmen könnten. Ich wollte dafür kein Geld ausgeben, denn ich war der Meinung, dass ich dies später noch brauchen würde. Der erste Stand war gleich ein voller Reinfall, da der Händler gar nicht nach Brasun fahren wollte, sein Weg führte ihn genau in die entgegengesetzte Richtung. Ich versuchte mich von diesem Misserfolg nicht entmutigen zu lassen und ging sofort zur nächsten Bude.
“Was kann ich für dich tun, mein Junge?”
Der Verkäufer schien nett zu sein. Er war schon älter, er lächelte mir mit einem lückenhaftem Gebiss entgegen.
“Eigentlich wollte ich Ihnen meine Hilfe anbieten.” Ich hatte mich dazu entschieden nicht sofort mit der Tür ins Haus zu fallen. Ich fand, dass es sehr unhöflich klang, wenn ich sofort danach fragte, ob man mich mit nach Brasun nehmen könnte.
“Und wie gedenkst du mir zu helfen?”
“Ich dachte ich könnte Euch heute Abend beim Zusammenräumen und beim Verladen Eurer Ware helfen.”
“Und was erhoffst du dir als Lohn dafür? Ich kann mir nicht vorstallen, dass du nichts anderes zu tun hast, als einem alten Mann deine Hilfe anzubieten.”
“Na ja, ich hatte gehofft, Sie würden mich vielleicht mit nach Brasun nehmen. Ich könnte Euch dort auch wieder beim Abladen helfen.”
Der Händler schwieg ein paar Sekunden, dann nickte er.
“In Ordnung, aber ich breche erst morgen früh auf. Ich kann dir leider kein Quartier für die Nacht anbieten, du müsstest dich selber darum kümmern. Sei heute abend gegen sieben hier, dann packe ich alles zusammen und morgen geht es im Morgengrauen los. Ich kann leider nicht auf dich warten, falls du nicht da sein solltest.”
“Ich verspreche Ihnen, dass ich pünktlich sein werde. Ich danke Ihnen, sie werden es nicht bereuen.” Ich wollte mich gerade abwenden, als mir plötzlich etwas einfiel. “Mein Name ist übrigens Thiran.”
Der Händler lächelte mich wieder an.
“Und ich bin Sadalon. Freut mich dich kennen zu lernen, Thiran. Bis heute abend dann.”
Ich hob meine Hand zum Gruß und machte mich auf den Weg mir eine Unterkunft für die Nacht zu suchen. Ich war mir sicher, dass mich jetzt nichts mehr aufhalten konnte. Ich war von dem schnellen Erfolg beflügelt. Mit einem Lächeln zog ich durch die Straßen und sah mich um. Ein Gasthaus wäre zu teuer gewesen. Ich musste mein Geld zusammen halten, es war ungewiss, was mich auf meinem Weg noch erwarten würde. Ich überlegte, ob ich vielleicht für diese eine Nacht im Armenhaus schlafen könnte. Vielleicht würde man es mir erlauben, wenn ich den Tag über dort helfen würde. Ich machte mich also auf den Weg. Als ich vor dem Haus ankam, sah ich wie sich eine Schlange vor der Essensausgabe gebildet hatte. Ich atmete noch einmal tief durch und trat dann durch die Tür in das Gebäude. Drin herrschte reges Treiben. Überall rannen Menschen hektisch durch die Gegend. Ich sah kurz zu und versuchte zu erkennen, wer zu den Arbeitern hier gehörte. Nach kurzer Zeit ging ich zu einem jungen Mädchen, dass das Geschirr zusammen räumte.
“Hallo, kannst du mir sagen, wo ich hier den Aufseher finde? Ich würde gerne mit ihm reden.”
Das Mädchen sah mich kurz erstaunt an, zuckte dann aber mit den Schultern.
“Kein Aufseher, eine Aufseherin. Sie ist dort hinten.” Ihr Finger deutete auf einen Durchgang, der mit einem Tuch zugegangen war.
“Ich danke dir.” Mit diesen Worten ging ich in die Richtung in die der Durchgang lag. Dort angekommen klopfte ich etwas zaghaft an das Holz des Rahmens. Sofort rief mich eine barsche Stimme zu sich. Unsicher schob ich den Vorhang beiseite und trat in das dunkle Zimmer. Meine Augen brauchten einige Augenblicke um sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen.
“Was willst du?”
Ich drehte meinen Kopf in die Richtung aus der die Stimme kam. Eine hagere Frau saß hinter einen Tisch und blickte mir mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen.
“Ich wollte Sie fragen, ob Sie für heute vielleicht meine Hilfe brauchen könnten und ob ich dann dafür die Nacht hier verbringen kann.” Bei dem Händler hatte es auf diese Wiese geklappt, warum nicht auch hier.
“Deine Hilfe kann ich gebrauchen, aber du darfst dir von einem Nachtlager hier nicht zu viel versprechen, du weißt, dass es ein Armenhaus ist.”
Ich nickte. “Ja, aber ich möchte auch nur eine Nacht hier bleiben. Leider kann ich Ihnen auch nur bis kurz vor sieben helfen. Ich hoffe Sie sind damit einverstanden?”
“Das hört sich sehr gut an. Wann kannst du anfangen?”
“Sofort.”
“Gut, geh nach draußen und räume das Geschirr mit ab. Malida schafft es alleine kaum.”
“Gerne.”
Mit einem Lächeln auf den Lippen ging ich wieder aus dem Raum und gesellte mich zu dem Mädchen, mit dem ich vorhin kurz gesprochen hatte.”
“Hallo Malida, ich bin Thiran. Wir werden für heute zusammenarbeiten.”
Malida sah zu mir auf und lächelte kurz. “Gut, dann lass uns schnell weitermachen, bevor der Küche das Geschirr ausgeht.”
Die Arbeit war nicht so einfach wie ich es mir vorgestellt hatte. Die ganze Zeit rannte ich zwischen Küche und Essraum hin und her und trug dabei kiloschwere Geschirrtürme durch die Gegend. So langsam spürte ich, wie meine Arme anfingen zu schmerzen, doch ich riss mich zusammen um meinen Teil der Abmachung einzuhalten. Leider hatte ich nicht viele Möglichkeiten mit Malida zu reden, sie schien sehr nett zu sein. Kurz vor sieben Uhr packte ich meine Sachen und machte mich auf den Weg in Richtung Markt. Dort angekommen sah ich, dass die ersten Kaufleute schon begonnen hatten ihre Stände abzubauen. Auch Sadalon hatte schon kleinere Sachen zusammengepackt.
“Hallo, hier bin ich. Es tut mir leid, wenn ich zu spät bin.”
“Keine Sorge Thiran, du bist nicht zu spät. Als kaum noch Kunden gekommen sind, habe ich nur schon etwas beiseite geräumt.”
Ich machte mich schweigend an die Arbeit. Sadalon gab mir hier und da Anweisungen wie ich etwas zu machen hatte, ansonsten verlief diese Arbeit recht ruhig. Nach knapp einer Stunde war alles auf dem Wagen verstaut.
Sadalon nickte zufrieden. “Wie ich sehe, kannst du hart und ehrlich arbeiten. Ich bin froh, dass mich mein Gefühl nicht getäuscht hat. Wir treffen uns dann morgen früh hier.”
Ich nickte und war froh, dass ich mich von ihm verabschieden konnte. Dieser Tag hatte mich doch mehr geschafft, als ich zugeben wollte. Auf dem Weg zum Armenhaus konnte ich mich kaum noch auf den Beinen halten. Dort angekommen zeigte mir Malida gleich, wo ich schlafen konnte. Ich lächelte sie dankbar an und legte mich auch gleich hin. Kurz dachte ich noch darüber nach, was an diesem ersten Tag schon alles geschehen war. Ich konnte es kaum erwarten weiterzureisen. Zufrieden und geschafft schlief ich nach kurzer Zeit ein.
3. Kapitel: Zeichen
Am nächste Morgen wachte ich sehr früh auf. Ich konnte vor Aufregung einfach nicht mehr schlafen. Nach einem kurzem Frühstück verabschiedete ich mich von allen und machte mich so schnell wie möglich in Richtung Markt auf. Als ich dort ankam war Sadalon gerade dabei die Ochsen vor den Wagen zu spannen.
“Morgen Sadalon.” Ich legte meine Sachen sogleich auf den Wagen und machte mich daran ihm zur Hand zu gehen.
“Morgen. Ich freue mich, dass du gekommen bist. Eigentlich habe ich aber auch nichts anderes von dir erwartet. Du siehst nicht aus wie jemand, der bis in den Tag hinein schläft.”
“Um ehrlich zu sein, war ich einfach viel zu aufgeregt, um noch länger schlafen zu können. Ich bin so froh, dass meine Reise endlich beginnt.”
“Ich hoffe, du läufst vor nichts davon Thiran. Man sollte sich seinen Problemen immer stellen.”
Schnell schüttelte ich den Kopf. Ich wollte nicht, dass Sadalon seine Entscheidung wieder änderte und mich doch nicht mit nach Brasun nahm.
“Nein, ich bin ehr auf der Suche nach etwas. Ich kann Ihnen aber auch nicht sagen, wonach. Ich spüre nur, dass es mich aus Shandar fortzieht.”
Sadalon nickte und machte sich wieder an die Arbeit. Da er nichts weiter zu mir sagte, tat ich es ihm nach. Schon bald waren wir mit allem fertig und setzen uns nebeneinander auf den Kutschbock. Die Fahrt verlief relativ ruhig. Sadalon erzählte mir von seinem Leben als Händler und seinen Erfahrungen, die er während seiner Reisen gesammelt hatte. Ich sog das alles in mich auf, wie ein Schwamm. Soviel hatte ich noch nie über die fremden Länder unserer Welt gehört. Es schien Sadalon zu gefallen so viel erzählen zu können. So ein Leben als fahrender Kaufmann schien doch recht einsam zu sein.
Um die Mittagszeit machten wir eine kurze Rast an einem kleinen Bach. Es tat gut, sich mit dem frischen Wasser zu erfrischen, nachdem man die ganze Zeit auf diesen staubigen Straßen entlang gefahren war. Nachdem wir uns gestärkt hatten ging die Reise weiter. Nun war ich an der Reihe zu erzählen, über mein bisheriges Leben und über meine Familie.
“Sadalon, habt Ihr keine Familie, die irgendwo auf Euch wartet?”
Sein Blick wurde sehr traurig. “Nein, leider nicht. Es gibt nicht viele Frauen, die dazu bereit sind, ein Leben lang immer auf die Heimkehr ihres Mannes zu warten.”
“Das tut mir wirklich leid. Was wird dann aus Eurem Geschäft werden, wenn Ihr einmal nicht mehr reisen könnt?”
“Darüber habe ich mir auch schon öfter Gedanken gemacht. Entweder ich verkaufe alles, oder ich suche mir einen Lehrling, dem ich dann alles vermachen kann. Es ist allerdings schwer, jemanden zu finden, der so ein Leben führen möchte. Ich habe keinen festen Wohnsitz und es wartet auch nirgendwo jemand auf mich.”
Dazu konnte ich nichts mehr sagen. Plötzlich überkam mich eine Welle Heimweh. Ich lebte mit der Gewissheit, dass immer jemand auf mich warten würde. Sadalon schien unter seinem Leben wirklich zu leiden. Aber warum hatte er sich dann dazu entschieden es zu führen. Ich wollte ihn jedoch nicht danach fragen, da ich keine alten Wunden aufreißen wollte. Die nächsten Stunden saßen wir schweigend nebeneinander. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Für mich war es ein unglaubliches Gefühl auf diesem Wagen zu sitzen und zu wissen, dass ich nach Brasun fahre. Soweit, wie zu diesem Zeitpunkt, hatte ich mich noch nie von zu Hause entfernt. Es kam mir so vor, als ob alles anders aussah, selbst der Vogelgesang klang anders in meinen Ohren.
“Wann werden wir in Brasun sein, Sadalon?” Ich wollte mein neues Leben so schnell wie möglich beginnen und das konnte ich erst richtig, wenn ich in Brasun war und mir die Türen zur Welt offen standen.
“Wenn alles gut geht, werden wir morgen früh da sein. Wir müssen über Nacht Rast machen. Die Ochsen sind leider nicht so schnell wie Pferde, aber dafür können sie eine größere Last ziehen. Mit einem Pferdegespann bräuchte ich zwei Wagen um alles fort zu bekommen und das könnte ich mir nicht leisten. Ochsen sind in der Pflege sehr viel anspruchsloser als Pferde.”
Ich nickte. Mein Vater hatte mir das auch des Öfteren gesagt, deswegen benutzten wir für unsere Feldarbeit auch nur Ochsen, sie waren genügsamer und auch kräftiger. Ich fragte mich, ob mein Vater wohl gerade auf dem Feld war und natürlich auch, wie es Mutter ging. Es machte mich traurig, dass sie sich nicht richtig von mir verabschiedet hatte, immerhin wusste niemand von uns, wie lange wir uns nicht sehen würden. Leisaka würde bestimmt wieder auf der kleinen Waldlichtung sitzen und sich mit Handarbeit ablenken. Bei Thalamar wusste man nie so genau was er machte. Vielleicht reparierte er das Loch in Zaun, oder er deckte die undichte Stelle im Stall ab. Vater hatte sich schon immer drüber aufgeregt, dass Thalamar nie mit einer bestimmten Vorgehensweise an seine Arbeit ging. Aber für meinen Bruder war es das Wichtigste, dass die Arbeit gemacht wurde, in welcher Reihenfolge dies geschah spielte für ihn keine Rolle. Mein Vater würde es jetzt auch nicht mehr schaffen Thalamar zu ändern und er war ja auch nicht unzufrieden mit dessen Arbeit.
Langsam setzte die Dämmerung ein und Sadalon sah sich nach einem geeigneten Rastplatz um. Durch die große Hitze, die an diesem Tag herrschte, waren wir nicht so gut vorangekommen wie erhofft, da sich die Ochsen bei diesem Wetter leicht überanstrengten. Wir fanden eine kleine Wiese, die durch eine Hecke aus Haselnusssträuchern von der Straße getrennt war. Ich nahm etwas von dem Brot, welches ich mir als Proviant eingepackt hatte und bot Sadalon etwas davon an.
“Lass mal mein Junge, wer weiß wofür du es noch brauchen wirst. Heb dir deine Vorräte auf und nimm von mir.” Ich wollte gerade etwas sagen, als ich auch schon wieder unterbrochen wurde. “Keine Widerrede. Es ist lange her, dass ich etwas mit jemandem teilen konnte. Es wäre mir eine Freude, wenn du mein Angebot annehmen würdest.”
Was sollte ich dagegen noch sagen. Ich packte meine Sachen wieder zusammen und griff nach dem, was Sadalon mir anbot. Feuer hatten wir keins gemacht, um niemanden auf uns aufmerksam zu machen. Sadalon erzählte mir, dass in dieser Gegend in letzter Zeit Räuber ihr Unwesen trieben und schon oft fahrende Kaufleute ausgeraubt wurden. Als ich das hörte wurde mir doch etwas flau im Magen. Am liebsten hätte ich Sadalon dazu gedrängt weiterzufahren und unsere Rast auf einen anderen Ort zu verlegen, doch ich dachte mir, wenn er diese Stelle gewählt hatte, konnte das Risiko ausgeraubt zu werden nicht so groß sein.
Wir saßen noch einige Zeit zusammen und redeten leise miteinander, bevor Sadalon aufstand und ein paar Decken holte.
“Es ist das beste, wenn wir uns jetzt schlafen legen. Wir müssen morgen früh beim ersten Sonnestrahl weiter.” Er reichte mir eine der Decken und legte sich neben den Wagen.
Ich sah noch einige Zeit in die Dunkelheit, bevor ich mich auch hinlegte. Ich kam meinem Ziel Brasun immer näher. Morgen würde ich dort sein und endlich den eigentlichen Teil meiner Reise antreten. Ich würde Shandar den Rücken zukehren, für eine gewisse Zeit jedenfalls.
Ich schlief in dieser Nacht sehr unruhig. Bei dem kleinsten Geräusch schreckte ich auf. Diese Geschichte mit den Räubern hatte mich doch sehr beunruhigt. Ich bildete mir immer ein, dass ich irgendwo Menschen atmen hörte oder einzelne Worte eines Gesprächs erhaschte. Ich versuchte tief durchzuatmen und die Furcht zu vertreiben, doch eine gewisse Unruhe blieb die ganze Nacht über. Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen, als ich die ersten hellen Streifen am Horizont sah, die das Ende der Nacht ankündigten.
Ich setzte mich auf, legten meine Decke zusammen und nahm einen Schluck aus dem Wasserschlauch. Die beiden Ochsen begrüßten mich mit einem leisen Schnauben.
“Guten Morgen ihr beiden. Bald geht es weiter mit unserer Reise. Ihr werdet bald an eurem Ziel angekommen sein.” Sie sahen mich mit großen Augen an und wendeten sich dann wieder dem Grass zu.
Ich liebte die Natur, wenn sie gerade am Erwachen war. Alles war noch so still, nur ganz vereinzelt hörte man einen Vogel mit seinem Gesang den neuen Tag begrüßen. Ich setzte mich auf einen Stein und sah in die Ferne, wo aus einem Tal der Dunst emporstieg. In diesem Augenblick schien alles perfekt zu sein.
Nach wenigen Minuten hörte ich, wie Sadalon sich bewegte. Ich wendete meinen Blick von dem Tal und begrüßte ihn mit einem Kopfnicken. Er streckte sich und stand auch gleich auf.
“Guten Morgen, mein Junge. Ich hoffe du hattest einen angenehmen Schlaf.”
“Es ging schon, auch wenn ich etwas unruhig war. Ich bin es nicht gewohnt im Freien zu schlafen. Die Geräusche der Tiere haben mich etwas beunruhigt.” Ich wollte mir nicht die Blöße geben und ihm sagen, dass ich mich vor einem Überfall der Räuber gefürchtet hatte. Es reichte schon, dass ich dies selber wusste.
Wir packten alles zusammen, womit wir schnell fertig waren und spannten die Ochsen wieder vor den Wagen. Kurze Zeit später zogen uns die beiden wieder über die Straße. Dank des morgendlichen Taus war diese im Augenblick auch nicht so staubig. Ich befürchtete allerdings, dass dieser Zustand nicht lange anhalten würde. Die Sonne in Shandar stieg schnell und strahlte sehr warm. Es war geplant, dass wir gegen Mittag in Brasun ankommen sollten. Danach wollte ich Sadalon noch helfen seine Ware abzuladen und den Stand aufzubauen, bevor ich mich auf die Suche nach einer weiteren Reisemöglichkeit machen wollte.
Doch soweit sollte es nie kommen.
Mit lautem Gebrüll stürzten plötzlich vermummte Männer auf die Straße. Mein erster Gedanke war: Räuber!! Zwei von ihnen erfassten die Geschirre der Ochsen, um diese so zum anhalten zu bewegen. Ich sah nicht was sie mit Sadalon machten. Ich wurde von zwei Händen gepackt und vom Kutschbock gezogen. Da meine Arme festgehalten wurden, war es mir nicht möglich den Sturz abzufangen und ich landete mit dem Gesicht auf der Straße. So schnell ich konnte versuchte ich mich aufzusetzen, doch als ich meinem Blick hob, sah ich auch schon eine Schwertschneide auf mich niederfallen. Aus Angst hob ich meine Hand um so mein Gesicht zu schützen. Ich wartete auf den unausweichlichen Aufprall des Schwertes auf meinem Körper.
“Stopp!”
Das war das erste Wort, dass man aus dem Mund eines der Räuber hörte. Es war der, welcher das Schwert gegen mich erhoben hatte. Jetzt ließ er es locker neben seinen Beinen hängen und zog meinen Arm näher zu seinen Augen um mir dann den Ärmel meines Hemdes wegzuziehen.
“Kommt her! Seht euch dass an.”
Die anderen Räuber blickten genauso ungläubig wie ich, setzten sich aber langsam in Bewegung. Einer von ihnen zog Sadalon hinter sich her. Als alle Räuber vor mir standen, zerrte der mit dem Schwert sehr schmerzhaft an meinem Arm. Es erforderte meine ganze Selbstbeherrschung nicht laut zu schreien. Doch als ich die plötzliche Verblüffung in den Augen der anderen Räuber sah, war jeder Schmerz vergessen.
“Woher hast du das Junge?” Ich wusste nicht, was er von mir wollte, doch als er mein Handgelenk losließ und ich es zu mir drehte verstand ich auf einmal. Mein Muttermal. Es hatte die Form eines Pfeils, welcher in Richtung der Handfläche zeigte.
“Sprich!”
“Es ist ein Muttermal. Ich habe es von Geburt an.”
Der Räuber mit dem Schwert, den ich für den Anführer hielt, schien kurz zu überlegen. “Last den Alten ziehen und gebt allen anderen Bescheid, dass er passieren darf. Der Junge kommt mit.”
Mir gefror das Blut in den Ader, als ich das hörte. Einer führte Sadalon wieder zu seinem Wagen und sorgte dafür, dass er wieder losfuhr. Ich sah, wie er mir noch einen mitleidigen Blick zuwarf. Nach kurzer Zeit war er schon hinter der nächsten Kurve verschwunden. Der Anführer zog mich auf die Beine.
“Komm mit!”
Ich hatte wirklich Angst und sah mich nach einer Fluchtmöglichkeit um, doch es war ausweglos, die Räuber hatten mich umstellt. Ich wurde weiter in den Wald hineingezogen. Nach einem kurzen Fußmarsch kamen wir bei ein paar Pferden an. Ich wurde auf eines gehoben, doch bevor ich in irgendeiner Weise handeln konnte, saß der Anführer auch schon hinter mir, umfasste mich mit beiden Armen und gab dem Pferd die Sporen. Anfangs versuchte ich mir noch den Weg zu merken, doch die Landschaft zog viel zu schnell vorüber, als dass ich etwas bewusst registrieren konnte.
Ich atmete einmal tief durch und versuchte mich zu beruhigen. Ich wäre schon längst tot, wenn sie mich hätten töten wollen. Das bedeutete, sie hatten etwas anderes mit mir vor. Allerdings schaffte ich es nicht, mir einzureden, dass es besser wäre als zu sterben. Ich schloss die Augen und betete, dass es einfach schnell vorbei sein sollte. In diesem Augenblick spürte ich auch schon, wie das Pferd gezügelt wurde. Man zog mich vom Pferd und ich öffnete meine Augen wieder.
Ich stand vor einem riesigen Haus, dass in die Bäume hineingebaut war. Überall herrschte ein reges Durcheinander. Doch was ich dann sah, ließ mir den Atem stocken.
Auf dem Giebel des Hauses war eine Fahne mit einem roten Pfeil zu sehen. Dieser Pfeil hatte haargenau die gleiche Form wie mein Muttermal. Was hatte das alles zu bedeuten?
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