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Go West

Teil 2

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

So, hier nun der zweite und letzte Teil der Story. Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich durch ihr Feedback dazu ermuntert haben, weiter zu schreiben. Ganz besonderer Dank an Kathi fürs erste Mal lesen. Hab dich lieb und nen dicken Knutscher für meinen kleinen Rocker. Ich wünsch euch allen viel Spaß!! Bastet

Matt

Gott, was für ein Morgen. Ich hab gestern keinen einzigen Tropfen Alkohol angerührt und trotzdem fühle ich mich, als hätte mein Kopf die doppelte Größe als normal.

Als ich gerade dabei war, aufzustehen, kam Seth in sein Zimmer.

“Na du, auch schon wach? Und wie geht‘s dir heute?”

“Ich fühl mich, als hätte mich ein Zug überfahren.”

Seth grinste. “Und, wann willst du nach Hause?”

“Ich hab eigentlich versucht, das zu verdrängen. Ich will meiner Mutter noch nicht über den Weg laufen. Ich glaube, sie wird es nicht so einfach abtun, dass ich Lukas und Lara einfach hier hab stehen lassen. Ich schätze, ich kann mich auf einiges gefasst machen.”

“Ich habe es dir gestern schon gesagt, auch wenn es um etwas anderes ging: Du kannst nicht davor weglaufen. Irgendwann musst du dich der Sache stellen. Außerdem glaub ich, dass es bei Kaitlyn nur noch schlimmer wird, je länger du das alles heraus schiebst.”

“Ich befürchte, du hast Recht. Außerdem erwartet mich Dad auch noch. Irgendwas stimmt auf einer Weide nicht. Ich glaube, es lässt sich nicht länger hinauszögern. Also, lass uns fahren.”

Mit diesen Worten stand ich dann endgültig auf, ging an Seths Schrank und suchte mir ein paar Klamotten raus. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass das eine ganz normale Sache bei uns war. Seth und ich waren befreundet, seitdem ich vor ca. acht Jahren hierher gezogen bin. Na ja, und so kam es halt mit der Zeit, dass wir, wenn wir beieinander übernachteten, halt am nächsten Morgen Klamotten vom anderen anzogen. Das war halt einfacher, als immer eigene Sachen mitzuschleppen. Vor allem, da die meisten Übernachtungsaktionen bei uns spontan kamen.

Ich schnappte mir also die Klamotten und zog ins Bad ab. Unter der Dusche fiel mir dann wieder ein, dass ich mich nicht nur meiner Mutter stellen musste, sondern auch Lara und Lukas.

Ich schätze, ich bin den beiden schon eine Erklärung schuldig. Ich schätze, der Tag wird noch ziemlich ereignisreich werden.

Als ich dann in der Küche ankam, hielt mir Seth auch schon eine Tasse Kaffee entgegen.

“Danke.” Ich nahm einen Schluck. “Wo sind deine Eltern?”

Seth grinste mich an. “Bei der Arbeit. Es ist immerhin schon kurz vor elf.”

Ich verzog das Gesicht. “Und warum hast du mich nicht geweckt. Ich kann doch nicht den ganzen Tag verschlafen. Ich schätze, jetzt bekomm ich nicht nur mit Mom, sondern auch mit Dad Ärger, weil ich noch nicht auf der Farm aufgetaucht bin. Ich glaube, der Tag heute könnte den gestrigen noch übertreffen.”

“Soll ich mitkommen?”

“Ich würde mich freuen, wenn du bei mir wärst. Ich glaube, ich muss mich heute auch noch Lara und Lukas stellen. Obwohl ich eigentlich noch gar nicht weiß, was ich den beiden sagen soll. Ich meine, ich kann doch nicht einfach zu den beiden hingehen und sagen: Hey Leute, Mary hatte gestern Recht, ich bin schwul.”

“Und warum nicht? Hör mal, wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Vielleicht sehen die beide das Ganze gar nicht so schlimm, wie du. Außerdem besteht ja immer noch die Chance, dass dein Traumprinz auch schwul ist.”

“Seth, versuch nicht, mir Hoffnungen zu machen.”

“Wenn du meinst. Na komm, dann lass uns los zu dir.”

Ich nickte, stellte meine leere Kaffeetasse in die Spülmaschine und ging zusammen mit Seth zu meinem Wagen.

“Willst du mitfahren oder mit deinem Wagen hinterher fahren?”

“Ich fahr mit dir. Ich würde heute eigentlich noch gerne bei dir bleiben, nur wenn du willst natürlich.”

Ich nickte.

“Na dann komm. So schlimm wird das schon nicht. Ich bin doch bei dir.”

“Woher nimmst du eigentlich deinen ganzen Optimismus?”

Seth grinste mich nur an und zuckte mit den Schultern. Na ja, was anderes war von ihm eigentlich auch nicht zu erwarten. Somit fuhren wir zu mir nach Hause und ich machte mir die ganze Zeit darüber Gedanken, wovor ich mich mehr fürchtete. Vor meiner Mom oder davor, was Lara und Lukas zu der ganzen Sache gestern sagen würden. Wenn ich ehrlich war, war mir Lara eigentlich nicht so wichtig. Ok, jetzt einfach tief durchatmen und ins kalte Wasser springen. Immerhin war die ganze Sache ja kein Weltuntergang. Leider konnten mich meine Gedanken absolut nicht beruhigen. Je näher ich der Ranch kam, desto flauer wurde es mir im Magen.

Lukas

Langsam wurde ich wach und drehte mich in Laras Bett auf den Rücken. Nach gestern Abend wollte ich lieber bei ihr schlafen. Ich ließ mir noch mal durch den Kopf gehen, was eigentlich passiert war: Nachdem ich meinen Eltern gesagt hatte, dass ich schwul bin, war meine Mom aufgestanden und hatte mich einfach in den Arm genommen und ich hatte angefangen zu heulen, wie ein kleines Kind. Ich war einfach nur froh gewesen, dass alles raus war. Na ja, danach haben wir alle zusammen noch in der Küche gesessen und über alles gesprochen. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass alles so gut verlaufen würde. Je länger ich darüber nachdachte, desto euphorischer wurde ich. Vielleicht sollte ich doch versuchen, etwas offener zu leben. Ok, ich schätze, ich sollte erst einmal damit anfangen, mich bei dem restlichen Teil meiner Familie zu outen.

Mit richtig guter Laune stand ich dann auf und ging ins Bad, um mich fertig zu machen. Lara hatte ich bis jetzt noch nicht gesichtet. Ich musste grinsen. Wahrscheinlich war sie schon draußen und suchte sich einen Cowboy, den sie mit ihrer Anwesenheit beglücken konnte. Im ganzen Haus war niemand zu sehen. In der Küche schnappte ich mir kurz eine Wasserflasche, ich gehöre zu den Leuten, die eigentlich nie frühstücken, und ging damit dann auf die Veranda. Irgendwie konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass ich erst gestern hier angekommen war.

“Hallo Lukas! Freut mich, dich endlich begrüßen zu dürfen.”

Erschrocken drehte ich mich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Ich sah einen ziemlich großen Mann mit einem Lächeln im Gesicht auf mich zukommen. Natürlich, mein Onkel, wer auch sonst. Ich ging auf ihn zu und wurde von zwei kräftigen Armen umschlungen.

“Hey, lass noch was von mir übrig”, versuchte ich die Wiedersehensfreude meines Onkels doch etwas zu dämpfen. Der Mann war wirklich sehr, sehr kräftig.

Mit einem leicht verlegenen Lächeln ließ er von mir ab. “Sorry, ich schätze, ich hab mich von meiner Freude etwas überrollen lassen.”

“Schon gut, ich habe nur einen Augenblick um mein Leben gefürchtet, aber ich freu mich auch, dich endlich zu sehen. Wo warst du gestern Abend eigentlich?”

“Wir waren gestern in der Stadt, weil einige von unseren Maschinen uns ein paar Probleme machen. Du kannst dir sicher vorstellen, dass das kurz vor der Ernte nicht so passend ist. Wo ich jetzt schon mal beim Thema Arbeiten bin: Hast du Matt heute schon gesehen?”

Ich schüttelte den Kopf. Eigentlich hatte ich versucht, das unausweichliche Zusammentreffen mit Matt zu verdrängen. “Er hat heute Nacht nicht hier geschlafen. Er ist bei Seth geblieben.”

“Und hat Matt auch gesagt, wann er vorhat, hier wieder aufzutauchen?”

“Ja nee, nicht so wirklich.” Langsam wurde mir das hier echt unangenehm.

“Na gut, falls er doch noch auftauchen sollte, dann sag ihm, dass ich bei der Nordweide bin, und er nachkommen soll.”

“Ja, mach ich. Aber warte mal, hast du Lara irgendwo gesehen? Das Haus war wie ausgestorben, als ich aufgestanden bin.”

“Tja, ich schätze, du musst dich daran gewöhnen, dass wir hier auf dem Land nach einer anderen Zeit leben. Der Tag fängt bei uns schon etwas früher an. Aber nach dem Frühstück hab ich sie auch nicht mehr getroffen. Vielleicht solltest du dich einfach in der Nähe des Hauses etwas umschauen. Ich schätze mal, sie wird hier irgendwo sein.”

Mit diesen Worten drehte er sich von mir weg und ging in Richtung seines Pick Ups. Ich schätze, ich sollte mal mit meinen Eltern reden, damit Lara und ich unseren Führerschein machen können und ich mir auch so einen Wagen besorgen kann. Ich hab sowieso eine Schwäche für Geländewagen.

Als mein Onkel den Motor anließ, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Also los, Lara suchen. Schon nach kurzer Zeit bemerkte ich, dass ‘in der Nähe des Hauses’ ein sehr dehnbarer Begriff war. Matt hatte wohl etwas untertrieben, als er gesagt hatte, dass sie etwas angebaut hatten. Nicht nur das Wohnhaus war größer geworden, es kam mir auch so vor, als ob die Ställe und die Unterkünfte der Cowboys sich auch um einiges erweitert hatten. Die Farm schien ziemlich gut zu laufen. Als ich mir also gerade überlegte, wo ich meine Suche beginnen sollte, kam mir mit einem Mal ein Geistesblitz. Ich ging also zu einem der Stallgebäude. Drinnen angekommen, musste ich mich erst einmal an das Dämmerlicht gewöhnen. Nach wenigen Augenblicken fand ich dann, wonach ich suchte. Ich stieg also die Leiter zur ersten Ebene hoch, um gleich darauf die nächste zum Heuboden zu erklimmen. Nachdem ich oben war, sah ich, dass ich mit meinen Vermutungen richtig gelegen hatte. Lara saß an dem großen Fenster, das im Dach der Scheune war und von dem man das Wohnhaus und die Zufahrtsstraße sehen konnte.

“Ich hab eigentlich gedacht, du hast dich unter die Leute gemischt, anstatt hier so allein vor dich hinzugrübeln.” Ich bemerkte, wie sie zusammenzuckte, als ich das sagte.

“Und ich glaub, ich hab dir schon mal gesagt, du sollst dich nicht immer so anschleichen, das könnte dir noch mal zum Verhängnis werden.”

Ich setzte mich neben Lara und gemeinsam sahen wir eine Weile schweigend aus dem Fenster.

“Was ist mit dir los, Lara? Das letzte Mal, als du hier saßt und vor dich hingestarrt hast, war vor neun Jahren und du warst todunglücklich, dass wir vorhatten, nach Deutschland zu ziehen.”

“Ich weiß, deswegen ist die ganze Sache hier auch etwas abstrus. Im Augenblick bin ich todunglücklich, dass wir nicht mehr in Deutschland sind.”

Ich rückte näher an Lara heran und nahm sie in den Arm. “Hey Kleine, das wird schon wieder. Ich weiß, wie du dich fühlst, aber das Wichtigste ist doch, dass wir beide zusammen sind.”

“Hörst du dir eigentlich manchmal selber zu? Du klingst so was von schnulzig.”

“Du weißt genau, wie ich das meine.”

“Ja weiß ich. Trotzdem ist es im Augenblick nicht ganz so einfach. Außerdem, versuch nicht immer mich aus meinen melancholischen Phasen rauszuholen. Ab und zu braucht das jeder mal.”

Ich nickte und wir sahen noch eine Weile einfach so aus dem Fenster. Als wir noch kleiner waren, hatte sich Lara immer hierher verzogen, wenn sie traurig oder wegen irgendetwas wütend war. Allerdings waren unsere Eltern damit nicht wirklich einverstanden, da sie es für zu gefährlich hielten, wenn Lara so weit hoch kletterte und sich dann an das Fenster setzte, das im Sommer meist auch noch offen stand. Daran gehindert, hier hoch zu kommen, hatte sie das jedoch nie.

Irgendwann kam ein Auto die Straße zum Haus lang gefahren.

“Das ist Matts Wagen.” Damit sprach Lara das aus, was ich gedacht hatte. “Willst du nicht runter und mit ihm reden?” Und damit sprach sie das aus, wovor ich mich doch etwas fürchtete.

“So wie du dich im Augenblick fühlst, bleibe ich wohl doch besser bei dir. Das ist mir jetzt wirklich wichtiger.”

“Lukas, nur weil ich grad ein kleines Tief habe, bin ich noch lange nicht selbstmordgefährdet, dazu häng ich viel zu sehr an meinem Leben und das weißt du auch. Also schieb mich nicht als Grund vor, wenn du nicht mit Matt reden willst. Die Wahrheit ist, dass du im Moment einfach zu feige bist, oder?”

Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass Lara Recht hatte. “Ich liebe es, wie du die Sachen so treffend auf den Punkt bringst. Lass mir einfach noch etwas Zeit.”

Ich hörte Lara noch etwas, das sich sehr nach ‘Feigling’ anhörte, nuscheln, als sie sich wieder zum Fenster drehte und wir beide Matts Auto beobachteten, was jetzt vor dem Wohnhaus zum Stehen kam.

Matt

Kein Weg dauert ewig. So konnte ich es auch nicht verhindern, dass wir irgendwann auf der Farm ankamen. Ich zog langsam den Zündschlüssel ab und versuchte, es so lange wie möglich hinauszuzögern, aus dem Wagen zu steigen.

“Willst du jetzt dein Lager hier drin aufschlagen? Matt, jetzt komm schon, du kannst nicht ewig in deinem Auto rum sitzen.”

“Ich könnte es wenigstens versuchen.”

Schweren Herzens machte ich dann doch die Tür auf und sah noch mal zu Seth. “Kommst du mit rein?”

“Natürlich du Nuss, deswegen bin ich doch überhaupt erst mit hierher gefahren.”

Als ich mich dann endlich dazu überwinden konnte, zum Haus zu gehen, kam der Wunsch in mir auf, ich hätte diese Entscheidung nicht getroffen. Als ich dann die Küche betrat, in der sich bei uns eigentlich das ganze Leben abspielte, musste ich feststellen, dass niemand hier war. Ok, einmal tief durchatmen und langsam wieder runter kommen.

“Mom, ich bin wieder zu Hause.” Kurz die Luft anhalten und auf Antwort warten, aber es kam keine.

“Sieht so aus, als wird dir noch eine Gnadenfrist gewährt.”

“Scheint so. Ich sollte dann wohl mal zu Dad fahren. Willst du mitkommen oder soll ich dich noch zurück bringen?”

Seth grinste. “Ich komm mit, etwas körperliche Arbeit könnte mir auch mal wieder gut tun.”

Alles, was mir dazu einfiel, war, den Kopf zu schütteln. Wenn es jemanden gab, der es nicht nötig hatte, etwas für seinen Körper zu tun, dann war es Seth. Der Kerl spielte seit seinem sechsten Lebensjahr Soccer, was man ihm auch deutlich ansah.

“Na dann komm mit, bevor du noch zu sehr in die Breite gehst.”

Somit ging ich mit Seth wieder raus zum Auto und wir fuhren zur Nordweide. Als wir uns der Weide näherten, sah ich Aiden, den Vorarbeiter der Cowboys. Der Mann war schon länger auf der Farm als ich und eigentlich hatte ich in ihm so etwas wie einen Zweitvater gefunden.

“Hey Aiden, wie geht’s?”

“Morgen Matt. Seth. Muss ja, oder? Falls du deinen Dad suchst, der ist weiter oben an der Weide. Ich an deiner Stelle würde etwas vorsichtig sein. Er ist etwas mürrisch, weil du bis jetzt noch nicht aufgetaucht bist.”

“Und ich wette ‘etwas mürrisch’ ist noch milde ausgedrückt. Ich werd mich zurückhalten. Bis dann.” Mit diesen Worten fuhr ich weiter und Aiden hob die Hand zum Abschied.

“Scheint so, als würde das mit deinem Dad jetzt noch spannend werden.”

“Ach komm, Seth, du kennst ihn doch. Er wird mir jetzt zwei Minuten Vorhaltungen machen, dann tut er die nächsten zehn Minuten so, als wäre er sauer auf mich und danach läuft dann alles so, als wenn nie etwas passiert wäre.”

“Jaja, der Mann ist einfach viel zu weich. Obwohl, so wie er da gerade steht, würde ich ihm nicht entgegentreten wollen.”

Mein Dad hatte mein Auto anscheinend kommen sehen, denn er hatte aufgehört zu arbeiten und war ein paar Schritte von den beiden Cowboys, die bei ihm waren, weg gegangen. Mit gespreizten Beinen und vor der Brust verschränkten Armen sah er uns nun unter seinem Hut grimmig entgegen.

“Alles nur Show”, versuchte ich mich selbst zu überzeugen, was mir allerdings nicht ganz gelang. Er sah wirklich ziemlich wütend aus. “Seth, ich glaube es ist besser, wenn du dich da mal nicht reinhängst. Geh am besten gleich zu den beiden da drüben.” Mit einem Kopfnicken deutete ich auf die Cowboys, die immer noch dabei waren, den Zaun zu flicken und dabei versuchten, nicht zu auffällig zu Dad zu schauen. “Ich glaub, ich muss das hier alleine mit ihm regeln.”

Seth nickte, als ich gerade mit dem Wagen zum Stehen kam. “Hals- und Beinbruch, Kleiner.”

Ich stieg aus und ging langsam auf Dad zu, der Seth nebenbei mit einem Nicken grüßte. Ich wartete, bis Seth bei den Cowboys angekommen war, bevor ich endgültig zu meinem Vater trat.

“Hallo Dad.”

“Hast du mir nicht etwas mehr zu sagen als nur ‘Hallo’?”

“Sorry, dass ich jetzt erst komme, aber es ist gestern Abend etwas später geworden und ich bin heute nicht eher aus dem Bett gekommen. Ich weiß, dass das keine Entschuldigung dafür ist, dass ich zu spät komme, aber du weißt, dass ich normalerweise sehr zuverlässig bin und das heute nur eine Ausnahme war.”

“Ok, darum ging es mir eigentlich auch nicht wirklich. Was ich wissen wollte ist, warum du Lara und Lukas nicht wieder auf die Farm gefahren hast? Du hättest deine Mutter heute früh mal erleben sollen, als sie davon erfahren hat.”

“Na ja, sagen wir es mal so: Es gab gestern auf der Party einen kleinen Zwischenfall, der mich etwas aus der Bahn geworfen hat. Als ich dann nach einiger Zeit wieder zur Ruhe gekommen bin und mir eingefallen ist, dass die beiden ja keine Möglichkeit hatten, wieder nach Hause zu kommen, war es schon zu spät und sie waren schon nicht mehr da. Glaub mir, ich hab mir selber die halbe Nacht Vorwürfe gemacht. Ich bin es halt noch nicht gewohnt, dass die beiden jetzt hier wohnen, aber ich verspreche dir, dass so etwas nie wieder vorkommen wird.”

“Es ist ja noch mal alles gut gegangen und die beiden sind heil hier angekommen. Aber du solltest wissen, dass die ganze Sache bei deiner Mom nicht so einfach überstanden ist, wie bei mir, und bei Lara und Lukas solltest du dich auch entschuldigen. ”

“Ich war vorhin schon im Haus, um mich der ganzen Sache gleich zu stellen, aber es war niemand da.”

“Deine Mom ist mit deiner Tante Einkaufen gefahren. Die beiden wollen noch ein paar Möbel besorgen. Wo Lara ist, weiß ich auch nicht, aber Lukas hab ich, kurz bevor ich hierher gefahren bin, noch gesehen. Und, wie geht es dir so?”

Ich sah meinen Dad fragend an. Wie kam er jetzt auf einmal darauf?

“Du hast doch gesagt, dass es einen Zwischenfall gab, der dich aus der Bahn geworfen hat. Hat sich das wieder geregelt?”

“Na ja, so mehr oder weniger. Aber ich denke, mit der Zeit wird das schon.”

“Du weißt, dass du zu uns kommen kannst, wenn du Probleme hast.” Ich nickte. “Und nun geh und fang endlich an zu arbeiten. Wir müssen hier heute noch fertig werden.”

Ich musste mir krampfhaft ein Grinsen verkneifen und ich sah, dass es Seth nicht anders ging. Ich hatte also doch Recht, was die Reaktion meines Dads anging. Na ja, immerhin kannte ich ihn jetzt ja auch schon acht Jahre, nun, manchmal glaube ich, er hat sich damals nicht nur in meine Mom verliebt, sondern auch ein bisschen in mich. Ich versuchte, etwas reumütig auszusehen und machte mich dann mehr oder weniger schweigend an die Arbeit.

Lukas

Nachdem Lara und ich schweigend mit angesehen hatten, wie Matt und Seth ins Haus gegangen waren und nach kurzer Zeit schon wieder raus kamen und in den Wagen stiegen, fiel mir wieder was ein.

“Wo sind eigentlich Kaitlyn und Mom? Das Haus war wie ausgestorben, als ich aufgestanden bin.”

“Was so ungefähr gegen Mittag war. Mom ist mit Kaitlyn los, um noch ein paar Möbel zu kaufen, und Dad ist schon auf Arbeit. Onkel Rob hast du ja getroffen. Um ehrlich zu sein, hab ich mir schon überlegt, ob ich nicht zu deiner Rettung eilen soll. Ich hatte schon Angst, du wirst von ihm zerquetscht. Ach übrigens, auf mich musst du nachher auch noch verzichten.”

“Wie jetzt?”

“Als ich gestern Dad angerufen hab, wurde ich vom Vorstand der offiziellen Girlie Clique der Umgebung angesprochen und zu einem Treffen eingeladen. Ich denke, ich sollte mir die ganze Sache mal ansehen, auch wenn ich wohl nicht ‘beitreten’ werde. Die beiden, die mich eingeladen haben, hatten mehr Make up im Gesicht, als ich im ganzen Jahr benutze, und um ehrlich zu sein, sie waren noch nicht einmal interessant genug, um mir ihren Namen zu merken.”

“So wie ich dich kenne, schmeißen die dich nach einer halben Stunde wieder raus. Du hast es noch nie geschafft, das, was du denkst, für dich zu behalten.”

“Schon möglich, aber vielleicht find ich ja dann irgendwo ein paar Girlie Group- Gegner, denen ich mich anschließen kann.

Ach übrigens, unser Mittag steht schon fix und fertig im Kühlschrank, wir müssen es nur noch aufwärmen. So wie es jetzt aussieht, werden wir wohl alleine essen müssen. Kaitlyn hat mir gesagt, dass Onkel Rob und Matt immer was zum Essen dabei haben, wenn sie draußen bei der Arbeit sind und die Cowboys essen sowieso meistens in ihrer Unterkunft.”

Ich sah auf meine Uhr, allerdings musste ich feststellen, dass ich noch nicht daran gedacht hatte, sie umzustellen.

“Wie spät haben wir es eigentlich?”

“Wenn du mich nicht hättest, wärst du schon längst in dieser Welt verloren gegangen. Es ist inzwischen viertel eins. Und ja, wir gehen jetzt ins Haus und machen unser Mittag warm.”

Lara grinste mich an. Sie wusste ganz genau, an was ich gedacht hatte, denn ich spürte so langsam, dass mein Magen Aufmerksamkeit für sich forderte. Wir kletterten also runter und versuchten uns dann, so gut es ging, vom Staub zu befreien.

Beim Essen redeten wir dann weiter über unsere ersten Eindrücke, die uns hier überrannt hatten.

“Wie kommst du nachher eigentlich zu deinem Treffen? Im Augenblick ist ja keiner da, der dich fahren kann.”

“Ich werde abgeholt. Aber ich hab heute früh schon mit Mom und Dad über das Problem gesprochen, dass wir ja hier festsitzen und immer auf andere angewiesen sind, wenn wir mal weg wollen. Na ja und Mom hat gesagt, dass sie eigentlich fest davon ausgegangen sind, dass wir unseren Führerschein machen, solange wir noch nicht in die Schule müssen. Also dürfte das Problem dann ziemlich schnell gelöst sein.”

Ich nickte äußerst zufrieden. So in etwa hatte ich mir das auch vorgestellt.

“Wann wirst du abgeholt?”

“Kannst es wohl nicht erwarten, mich loszuwerden?”

“Ja klar, und dann geh ich hoch in dein Zimmer und zieh deine Klamotten an, um damit dann vor dem Spiegel hin und her zu tanzen.”

“Spinner. Die wollten mich so gegen halb drei abholen. Ich hab also noch genug Zeit, dir auf die Nerven zu gehen und meine Klamotten wegzuschließen.”

So ähnlich ging es dann weiter, bis Lara sich dann noch etwas fertig machen wollte (“Die müssen ja nicht sofort an meinem Outfit sehen, dass wir nicht wirklich auf einer Wellenlänge sind” war ihr Kommentar dazu). Als sie endlich fertig war und wieder zu mir kam, saß ich etwas gelangweilt vorm Fernseher und zappte durch die Programme.

“Das ist jetzt nicht dein Ernst”, kam es empört von Lara, die im Türrahmen stand. “Lukas, du bist hier auf einer Farm, du kannst genug andere Sachen hier machen, als vor der Kiste zu hocken.”

Genervt drückte ich den Aus-Knopf. “Ja, du hast ja Recht. Kommt sowieso nichts Interessantes.”

Kaum hatte ich das gesagt, als auch schon ein Hupen von draußen zu hören war.

Lara grinste mich an. “Sieht so aus, als müsste ich mich jetzt dem Feind stellen. Wünsch mir Glück.”

“Hals- und Beinbruch.”

Lara umarmte mich, schnappte sich ihre Umhängetasche und verschwand aus dem Haus. Toll, und ich saß jetzt alleine hier rum. Eigentlich etwas trostlos, aber bei mir war es immer so, dass ich einige Zeit gebraucht habe, bis ich mich irgendwo richtig eingelebt hatte. An die Umgebung musste ich mich zwar nicht gewöhnen, immerhin kannte ich ja so gut wie alles von früher, aber das war halt doch schon einige Zeit her. Im Augenblick war es sowieso am wichtigsten, dass ich mich erst einmal mit Matt aussprach. Aber dass musste wohl warten, bis er heute mal wieder hier auftauchte. Bevor ich wirklich noch hier auf dem Sofa versauerte, stand ich auf und ging raus auf die Veranda. Diese Kulisse lud richtig dazu ein, sich mit einem guten Buch hinzusetzen und zu entspannen. Aber die Kulisse würde morgen auch noch da sein, und im Moment verspürte ich auch nicht wirklich sehr große Lust zu lesen. Ich starrte also noch eine Weile vor mich hin, bevor ich einen Entschluss fasste, was ich jetzt tun konnte. Ich machte mich langsam auf den Weg zu den Koppeln, die in der Nähe des Wohnhauses lagen. Bevor wir nach Deutschland gezogen waren, hatte ich praktisch auf Pferden gelebt. Das mit dem Reiten hatte ich dann allerdings etwas schleifen lassen. In Deutschland angekommen, hatte ich erst mal genug damit zu tun, Anschluss zu finden. Die Leute, mit denen ich mich zu Anfang etwas angefreundet hatte, waren zum großen Teil in einem Schwimmverein und so kam es dann halt dazu, dass ich auch beigetreten bin. Das Reiten ist dabei in den Hintergrund geraten.

Bei der Koppel angekommen, sah ich mich in Ruhe um. Pferde sind einfach wunderschöne Tiere. Während ich meinen Blick noch etwas schweifen ließ, kam eine junge Fuchsstute auf mich zugetrabt.

“Hallo meine Hübsche.” Vorsichtig streckte ich ihr meine Hand entgegen.

Ebenso vorsichtig näherte sie sich. Erst spürte ich ihren warmen Atem und Sekunden später stupste sie mit ihren weichen Nüstern gegen meine Hand. Es schien, als hätte sie genauso viel Respekt vor mir, wie ich vor ihr. Ich stieg ganz langsam, ohne hastige Bewegungen, um sie nicht zu erschrecken, auf den Zaun und setzte mich dann auf ihn. Die Stute beobachtete mich die ganze Zeit über skeptisch und hatte sich wieder einige Schritte von mir entfernt. Nachdem sie mich wieder etwas aus der Ferne beobachtet hatte, ging sie mir wieder entgegen.

“Na siehst du, ich tu dir doch gar nichts. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.”

Ich redete mit ruhiger Stimme auf sie ein. Nach einiger Zeit schien die Neugier über ihre Skepsis zu siegen und sie kam wieder auf mich zu.

“Ich hab doch gleich gewusst, dass wir beide uns verstehen.”

So saß ich eine Weile an der Koppel und redete mit der Stute, die nach und nach immer zutraulicher wurde.

Plötzlich scheute eines der Pferde auf der Koppel, wodurch auch meine Stute aufgeschreckt wurde und panisch aufstieg. Ich wurde von dieser ganzen Aktion so überrascht, dass ich das Gleichgewicht verlor und rückwärts vom Zaun fiel. Ich stöhnte auf, als ich spürte, wie mein Rücken aufschrammte und sich kleine Steinchen durch das T-Shirt in meine Haut bohrten. Ich schloss die Augen und versuchte, tief durchzuatmen, da es mir im Moment unmöglich schien, mich zu bewegen. Wohl eher vor Schreck, als vor Schmerzen.

Matt

Als es Zeit zum Mittag war, hatten wir schon einiges an Arbeit geschafft. Ich spürte allerdings auch, dass meine Arme langsam wehtaten. Mein Dad schenkte mir heute wirklich nichts. Aiden und die anderen Cowboys kamen zum Essen zu uns. Seth spielte mit ein paar von ihnen Karten. Ich setzte mich etwas abseits und ging meinen Gedanken nach.

“Na Kleiner, alles in Ordnung mit dir?” Ich schreckte hoch, als ich Aidens Stimme neben mir hörte.

“Klar, was sonst.”

Er setzte sich neben mich. “Du scheinst etwas abwesend zu sein.”

“Es gibt einiges, über das ich nachdenken muss. Es gab gestern auf Seths Party ein kleines Problem, das mich noch beschäftigt.”

“Und das Problem hat nicht zufälligerweise etwas mit deinem Desinteresse am weiblichen Geschlecht zu tun?”

Meine erste Reaktion auf diese Worte war, mich geschockt umzusehen, ob irgendjemand die Worte von Aiden gehört hatte. Meine zweite Reaktion war, ihn mit weit aufgerissenen Augen anzusehen und irgendwelche zusammenhanglose Wortfetzen vor mich hinzustottern.

“Keine Angst, ich habe niemandem davon erzählt und keiner von den anderen Cowboys hat eine Ahnung darüber. Jedenfalls hat nie jemand etwas in der Richtung gesagt.”

“Aber wie… woher?” So richtig konnte ich die ganzen Gedanken, die durch meinen Kopf rasten, immer noch nicht in Worte fassen. Irgendwie war das gerade alles etwas zu viel für mich.

“Woher ich es weiß? Junge, ich kenne dich, seitdem du mit deiner Mutter hierher gezogen bist.”

“Wissen Mom und Dad es auch?” Ich spürte einen leichten Druck auf meinem Magen.

“Das weiß ich nicht. Ich habe mit niemandem darüber gesprochen.”

“War ich so auffällig?”

Aiden schüttelte leicht grinsend seinen Kopf. “Nein, keine Angst. Mein Neffe ist schwul, er hat sich vor fünf Jahren bei einer Familienfeier geoutet und einfach so seinen Freund vorgestellt. Du kannst dir bestimmt vorstellen, was für ein Schock das war. Das gab damals ein ganz schönes Durcheinander, aber das gehört jetzt auch gar nicht hierher. Jedenfalls ist er schwul und ich hab ein relativ langes Gespräch mit den beiden geführt. Immerhin liebe ich meinen Neffen und ich wollte ihn verstehen. Erst war es für mich nicht so einfach, zu akzeptieren, dass er auf Männer steht. Die beiden haben mir erzählt, wie es bei ihnen angefangen hat und wie sie anfangs damit gelebt haben, dass sie verstecken mussten, dass sie schwul sind.

Irgendwann hab ich dann mitbekommen, wie du angefangen hast, dich zurückzuziehen und ich hab wieder an das Gespräch mit den beiden gedacht. Na ja, daraus hab ich dann halt geschlussfolgert, dass du ebenso fühlst, wie mein Neffe.”

“Ich weiß nicht, was ich sagen soll.”

“Was geht denn mit euch beiden hier?” Seth kam auf uns zu und setzte sich neben mich.

“Aiden weiß es.”

Seth sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. “Du meinst…?” Seine Augen wurden noch größer, als ich nickte. “Und?”

Aiden sah mich an. “Von meiner Seite aus hat sich nichts geändert. Ich hoffe du weißt, dass du mir immer sehr wichtig sein wirst. Egal, ob schwul oder hetero.”

Als er das sagte, versuchte ich krampfhaft, meine Tränen zu unterdrücken. Das war doch alles etwas zu viel für mich.

“Ich glaube, du hast für heute genug gearbeitet. Fahrt ihr beide am besten nach Hause. Ich rede mit deinem Vater.”

Ich nickte und wir standen alle drei auf. Aiden strich mir zum Abschied durch meine Haare und sah mich noch einmal aufmunternd an, bevor er in Richtung meines Dads ging. Ich stand auf und ging, Seth zog mich zum Wagen.

„Matt, geht es dir gut?” Seth sah mich besorgt an.

„Das war grad alles etwas zu viel für mich. Seth, würde es dir was ausmachen, wenn ich dich jetzt nach Hause bringe? Ich brauch grad ein bisschen Zeit für mich.”

„Klar, kein Problem. Du weißt ja, wo ich bin, falls du mich brauchen solltest.”

Ich nickte und startete den Wagen. Während der Fahrt versuchte ich, meine Gedanken etwas zu ordnen. Seth schien zu merken, dass ich nicht in der Stimmung war, zu reden, er ließ mich die ganze Zeit über in Ruhe. Als ich vor Seths Haus anhielt, drehte er sich zu mir.

„Mach keine Dummheiten, ok?”

Er umarmte mich noch mal kurz und stieg aus. Ich machte mich zurück auf den Weg nach Hause.

Mein Leben verlief wirklich nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich hoffte wirklich, dass sich das mit der Zeit wieder einrenken würde. Auf dem Weg zur Farm versuchte ich weiter, meine Gedanken zu ordnen. Ich fuhr gerade auf das Wohnhaus zu, als ich Lukas sah, der auf dem Zaun der Koppel saß und Storm, meine Stute, streichelte. Ich musste lächeln. Lukas musste wirklich etwas Besonderes sein. Storm war eigentlich ein ziemlich scheues Tier. Dad und ich waren die einzigen, die sie an sich ranließ, normalerweise. Als ich Lukas zusah, fiel mir wieder ein, dass mit ihm und Lara auch noch ein Gespräch ausstand. Eine Entschuldigung war ich den beiden mindestens schuldig. Obwohl die Sache so einfach nicht erledigt sein würde.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Storm plötzlich panisch wieherte. Als ich meinen Kopf in ihre Richtung drehte, sah ich, wie sie aufstieg. Lukas schien wohl genauso überrascht wie ich. Er verlor das Gleichgewicht und fiel rückwärts den Zaun runter. Geschockt beobachtete ich das Ganze und fuhr so schnell wie möglich zu der Koppel. Lukas hatte sich immer noch nicht bewegt und lag mit geschlossenen Augen und schwer atmend da. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich ihn so daliegen sah.

„Lukas?” Ich sprach ihn leise an und strich ihm über die Haare.

Seine Lider zuckten kurz, bevor er seine Augen vorsichtig öffnete.

„Wie geht´s dir? Kannst du aufstehen?”

Lukas versuchte sich zu bewegen, doch er verzog schmerzhaft sein Gesicht.

„Ich glaube, du musst mir helfen. Mein Rücken scheint doch etwas mehr abbekommen zu haben, als ich dachte.”

Es tat mir weh, Lukas so zu sehen. Als er mit meiner Hilfe endlich auf seinen Beinen stand und ich einen Blick auf seinen Rücken werfen konnte, zog ich scharf Luft ein. Das sah wirklich ziemlich schlimm aus.

„Ich bring dich am besten hoch ins Bad, wenn wir das nicht sauber machen, wird sich dein ganzer Rücken entzünden.”

Lukas sagte nichts, er nickte nur langsam. Schritt für Schritt gingen wir zum Haus. Das mit dem Treppensteigen war auch nicht so einfach. So richtig konnte ich Lukas nicht stützen, weil ich dazu meinen Arm über seinen Rücken hätte legen müssen. Alleine fiel es ihm aber auch sehr schwer. Nach einiger Zeit sind wir dann doch im Bad angekommen und ich setzte ihn erst einmal auf der Toilette ab, um etwas Wasser in die Wanne einzulassen.

„Lukas, kannst du dein Shirt ausziehen, oder soll ich es lieber durchschneiden?”

„Ich bin für Durchschneiden. Ich bezweifle, dass ich meine Arme soweit bewegen kann, um es auszuziehen.”

Mit der Schere aus dem Erste-Hilfe-Kasten schnitt ich vorsichtig sein T-Shirt an den richtigen Stellen durch. Es wäre sowieso nicht mehr zu retten gewesen, die Rückseite wurde von einigen kleinen Löchern und Rissen geziert.

„Hock dich am besten in die Wanne, dann kann ich alles besser sehen.”

Lukas

Ich bin mir nicht so sicher, ob ich alles, was hier gerade passiert, auch so will. Ich hocke halbnackt in der Badewanne und Matt streichelt mir gerade sehr zärtlich über den Rücken. Wenn selbiger nicht höllisch brennen würde, könnte ich das alles auch genießen. Die letzten Minuten sind irgendwie an mir vorbeigegangen. Das Letzte, an was ich mich erinnern kann, ist Matts Gesicht, das vollkommen geschockt über mir erschien und dass, vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, er Tränen in den Augen hatte.

Bei dem Gedanken musste ich grinsen. Es machte mich nicht glücklich, dass Matt weinte, allerdings stiegen meine Hoffnungen durch diese Reaktion von ihm auf meinen Unfall wieder um einiges. Allerdings wurde ich für meine Freude auch direkt bestraft, als Matt einen Stein aus meinem Rücken zog.

„Ahh...“

„Sorry, ich wollte dir nicht wehtun, aber das muss alles raus, sonst entzündet sich das alles noch.“

Ich nickte und biss die Zähne zusammen. So schlimm war das alles auch nicht. Als meine Schmerzen dann etwas nachließen, versuchte ich sofort wieder, mich etwas mehr darauf zu konzentrieren. Seine Berührungen hatten mit der Zeit nicht nur die Auswirkung, dass mein Rücken weniger wehtat. Sie bewirkten auch, dass sich bei mir etwas regte.

„Ich glaub, ich bin dann jetzt fertig. Ich muss deinen Rücken dann nur noch mal einkremen.“

So was Ähnliches hatte ich schon befürchtet. Ich meine, unter anderen Umständen gerne, mit der Voraussetzung, dass zwischen uns alles geklärt ist, aber so... Aber anscheinend blieb mir gar nichts anderes übrig. Matt hatte sich schon von mir weggedreht und wühlte wieder im Erste-Hilfe-Kasten rum.

„Ich glaub, es ist am besten, wenn du erst mal aus der Wanne rauskommst.“

Mit diesen Worten zog er mich auch schon an den Armen hoch. Ich war froh, dass ich meine Jeans noch anhatte, sonst wäre es für mich etwas peinlich geworden. Matt hatte sich schon wieder meinem Rücken zugewandt. Nur mit allergrößter Selbstbeherrschung gelang es mir, mich zurückzuhalten und nicht einfach über Matt herzufallen.

„So, das wäre es dann. Ich hol dir neue Klamotten.“

Ich versteh langsam wirklich nicht mehr, was mit dem Jungen los ist. Es scheint so, als hätte er absolut keine Ruhe mehr in sich.

Ich setzte mich erst mal aufs Klo, um mich etwas zu beruhigen. Ich war noch nicht einmal zwei volle Tage hier und schon steht meine halbe Welt Kopf. Ich kam nicht wirklich dazu, nachzudenken, weil Matt schon wieder ins Bad stürmte. Über seinem Arm lagen ein paar Klamotten von mir.

„Soll ich dir beim Anziehen helfen?“

Ok, jetzt fing es wirklich an, mir etwas unangenehm zu werden.

„Lass mal. Ich denke, das schaffe ich schon alleine.“ So sicher war ich mir zwar nicht, aber das Problem war, wenn Matt mir beim Anziehen helfen würde, würde er mir vorher auch beim Ausziehen helfen.

„Aber kannst du mir vielleicht was zu Trinken holen?“

Matt nickte, sagte jedoch nichts weiter. Er sah mir noch nicht einmal in die Augen. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, machte ich mich sofort daran, mich umzuziehen, was allerdings gar nicht so einfach war. Das größte Problem bestand darin, meine nasse Jeans auszuziehen. Nach einer kleinen Ewigkeit hatte ich diese Hürde aber überwunden und der Rest schien danach nicht mehr ganz so schwer. Als ich dann fertig war, wunderte ich mich darüber, dass Matt noch nicht wieder aufgetaucht war. Ich ging los, um mich auf die Suche nach ihm zu machen, was ich allerdings gar nicht lange brauchte. Als ich aus dem Bad kam, sah ich Matt durch die offene Zimmertür auf seinem Bett liegen.

„Hey, ich wollte gerade los, um dich zu suchen.“

Matt hielt mir eine Wasserflasche hin. „Hier. Ich wollte dich nicht stören.“

Kann mir mal bitte einer erklären, was jetzt mit ihm los ist?

„Matt, ist alles in Ordnung mit dir?“

Er sah mich mit einem ironischen Grinsen an. „Was sollte nicht in Ordnung sein?“

„Hör mal zu. Ich hab echt keine Lust, mich von dir verarschen zu lassen. Wenn du irgendein Problem hast, dann kannst du mit mir reden. Wenn du nicht willst, auch gut, aber hör auf damit, mich hier blöd von der Seite anzumachen.“

„Wie kommst du auf die Idee, ich würde dich anmachen?“

Oh mein Gott, so langsam wurde mir bewusst, warum Matt hier so ein Theater machte.

„Matt, bevor du dich noch weiter in irgendwas hineinsteigerst, sollten wir vielleicht mal miteinander reden.“

Ich wollte mich gerade aufs Sofa setzten, als Matt plötzlich aufsprang.

„Ja, ich bin ´ne Schwuchtel, und wenn du damit ein Problem hast, dann ist mir das so was von scheißegal. Ich hab euch ja nicht gezwungen, hierher zu kommen.“

Bevor ich irgendetwas dazu sagen konnte, rannte Matt auch schon aus dem Zimmer.

Hab ich schon erwähnt, dass der Junge mich schafft?

Ich brauchte einige Momente, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Als ich mich dann wieder einigermaßen gesammelt hatte, rannte ich ihm hinterher. Aber es war schon zu spät, als ich vor dem Haus war, konnte ich Matt nicht mehr sehen. So langsam ging mir das echt auf den Geist.

Ich schätze, ich muss ihn an einem Stuhl festbinden, um mal in Ruhe mit ihm reden zu können.

Ich setzte mich auf die Stufen der Veranda und sah etwas umher, immer mit der Hoffnung, Matt irgendwo zu sehen. Allerdings war es nicht Matt, den ich nach kurzer Zeit sah, sondern das Auto meiner Mom. Als der Wagen hielt, ging sofort die hintere Tür auf und Lara kam auf mich zugestürmt.

„Hey, komm mal mit, ich muss dir unbedingt etwas erzählen.“

„Ja, ich dir auch.“

Lara stutzte. „Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Mit mir schon. Aber komm, wir gehen am besten in dein Zimmer. Ich will das hier nicht bereden.“

Lara nahm meine Hand und zog mich ins Haus. Ich konnte noch eben im Vorbeigehen Mom und Kaitlyn begrüßen, bevor ich auch schon die Treppe hochgezogen wurde. In Laras Zimmer angekommen, erzählte ich ihr von den paar Stunden, in denen sie nicht hier war.

„Lukas, kaum lässt man dich mal kurz alleine und schon stellst du alles auf den Kopf.“

„Ja mag sein, das hilft mir jetzt aber auch nicht weiter. Ich würde ja gerne mit Matt reden, aber ich hab keine Ahnung, wo er ist. Außerdem will ich hier nicht durch die Gegend irren, du kennst meinen Orientierungssinn.“

„Wie gut, dass du mich hast. Lass uns Seth anrufen, ich schätze, er weiß eher, wo Matt sein könnte.“

Ich wollte gerade noch etwas sagen, als Lara auch schon das Telefon in den Händen hatte und es mir gleich darauf entgegenhielt. Zögernd nahm ich es entgegen und hörte auf das Tuten am anderen Ende.

„Ja?“

„Hallo Seth, hier ist Lukas. Wir haben uns gestern Abend kennen gelernt.“

„Ja klar, ich weiß schon wer du bist, Matts Cousin.“

„Und wegen Matt rufe ich dich auch an. Als ich vorhin mit ihm reden wollte, hat er mich nur angeschrieen und ist dann einfach davon gestürmt.“

„Was hast du zu ihm gesagt?“ Seths Stimme war auf einmal sehr aggressiv geworden.

„Beruhige dich. Ich hab überhaupt nichts gesagt. Er hat mich schon stehen lassen, bevor ich überhaupt dazu kam, etwas zu sagen.“ Ich hörte, wie Seth am anderen Ende der Leitung tief durchatmete. Wahrscheinlich, um sich zu beruhigen.

„Ok, bleibt da, wo ihr seid. Ich komme sofort zu euch.“

Als er das sagte, hatte er auch schon aufgelegt. Lara sah mich mit großen Augen an.

„Er kommt hierher. Wir sollen auf ihn warten.“

Lara nickte. Wir gingen zusammen runter und setzten uns auf die Verandatreppe, um auf Seth zu warten.

Matt

Irgendwie lief bei mir in der letzten Zeit überhaupt nichts mehr so, wie es sollte. Ich hatte wirklich die feste Absicht, mich mit Lukas anzufreunden. Aber niemand kann von mir verlangen, dass ich ständig mit einem Typen rumhänge, der ein Problem damit hat, dass ich schwul bin. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht wirklich an Freundschaft gedacht hatte, als er vor mir in der Wanne hockte. Ich hatte aber gemerkt, dass es ihm wohl nicht so angenehm war. Ganz klar war mir das aber erst, als er mich mit weitaufgerissenen Augen angesehen hatte, als ich ihn fragte, ob ich ihm beim Umziehen helfen sollte. Ist ja auch klar, wer will sich schon von einem Schwulen begrabschen lassen. Er hatte sich lieber selber damit abgequält, anstatt sich helfen zu lassen. Ich hatte gemerkt, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Ich war fast froh darüber gewesen, dass er mich runter geschickt hatte, um etwas zu trinken für ihn zu holen. Warum musste unbedingt ich mich in meinen Cousin verlieben? Eigentlich bin ich ja gar nicht der Typ, der einfach so zu schreien anfängt, aber als Lukas mit dem Spruch ‚Wir müssen miteinander reden’ kam, war mir das echt zuviel. Was bildet er sich eigentlich ein? Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass Lukas so ein Arsch ist. Leider half es mir überhaupt nicht, ihm irgendwelche ‚netten’ Namen zu geben. Nachdem ich Lukas angeschrieen hatte, bin ich einfach davon gestürmt. Es verlangt wohl niemand von mir, dass ich mir auch noch anhören muss, was er von sich gibt. Ich bin zu dem Baumhaus gerannt, dass Dad für mich gebaut hatte, kurz nachdem er Mom geheiratet hatte. Hier war ich immer, wenn ich irgendwelche Probleme hatte. Als ich mich gerade in der Phase befand, in der ich merkte, dass ich schwul bin, hatte ich mir hier auch ein kleines Lager eingerichtet. Es war zu der Zeit keine Seltenheit, dass ich mal einen ganzen Tag hier oben saß.

Ich zog meine Beine noch näher an mich heran.

Mein Leben entwickelte sich in eine sehr komplizierte Richtung. Wie sollte ich es schaffen, weiter mit ihm zusammen zu wohnen? Vielleicht wäre es passend, mir ein College zu suchen, das am anderen Ende des Landes lag. Dann müsste ich Lukas wenigstens nur in den Ferien sehen und wenn ich Glück habe, ist er dann selber nicht da, weil er irgendwo Urlaub macht.

Ich schüttelte den Kopf.

Eigentlich ist es gar nicht meine Art, vor Problemen davonzurennen. Außerdem würde Seth es nicht zulassen, dass ich mich einfach so vertreiben lassen würde.

Ich versuchte weiter, Lösungen für meine Situation zu finden. Je länger ich nachdachte, desto absurder wurden die Ideen.

Ich schätze, mir bleibt nichts anderes übrig, als mein Leben hier irgendwie zu organisieren und Lukas, so gut es geht, aus dem Weg zu gehen. Aber im Augenblick bin ich einfach noch nicht so weit, mich damit zu befassen.

Lukas

Die Zeit verging nur schleppend, während wir auf Seth warteten. Ich konnte mich nicht wirklich beruhigen. Um ehrlich zu sein, fing ich langsam an, mir Sorgen um Matt zu machen.

„Woher hast du eigentlich die Nummer von Seth?“ wandte ich mich an Lara.

„Ich hab ihn in der Stadt getroffen.“

„Wolltest du dich nicht mit diesen Schnepfen treffen?“

„Nachdem die dann nach einer Stunde angefangen haben, über Matt herzuziehen, hab ich sie angepflaumt und bin dann einfach aus dem Cafe raus. Ich meine, was denken die sich dabei, ihn runterzumachen, wenn ich dabei bin? Na ja, jedenfalls bin ich dann halt noch etwas durch die Stadt gelaufen. Dort habe ich Seth getroffen. Nachdem wir uns etwas unterhalten haben, hat er mir halt seine Nummer gegeben.“

„Mein Schwesterherz will doch nicht etwa was mit dem besten Freund unseres Cousins anfangen?“

Lara wollte gerade etwas darauf sagen, als wir einen Wagen sahen, der sehr schnell die Einfahrt entlang kam. Wie nicht anders zu erwarten, stieg Seth aus und kam sofort auf uns zu. Man sah ihm an, dass er sich nur schwer beherrschen konnte.

„Ok, erzählt mir genau, was passiert ist.“

Ich erzählte die ganze Story also noch mal, nur dass ich diesmal wegließ, was ich bei Matts Berührungen gefühlt hatte.

„Und, hast du ein Problem damit, dass Matt schwul ist?“ So wie er mich dabei ansah, hing von meiner Antwort mein Leben ab.

„Natürlich nicht. Eher im Gegenteil.“

Ich weiß, das kam auch für mich relativ überraschend, dass ich mich einfach so vor Seth geoutet hatte. Aber wenn er damit klar kam, dass Matt schwul war, wieso sollte er es dann nicht auch bei mir akzeptieren? Ich konnte in den Augenwinkeln sehen, wie Lara mich erstaunt von der Seite ansah und wenn ich Seths Blick richtig deuten konnte, hatte ich ihm mit dieser Aussage den Wind aus den Segeln genommen.

„Soll das heißen...?“

„Ja, ich bin schwul, und um es noch konkreter zu machen: Ich habe mich auf den ersten Blick in Matt verliebt.“

Und was machte Seth, als ich das gesagt hatte? Er begann zu lachen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich darauf reagieren sollte. Lara allerdings schon. Seth konnte sich gerade noch vor ihrer Hand in Sicherheit bringen. Die nächste Attacke von ihr versuchte er abzuwehren, indem er Laras Handgelenke festhielt. Was allerdings ein Fehler war, denn im nächsten Augenblick hatte er damit zu tun, sich vor ihren Füßen in Sicherheit zu bringen.

„Hey, kannst du mir mal bitte erklären, warum du auf einmal so daran interessiert bist, mir Schmerzen zuzufügen?“

„Wer über meinen Bruder lacht, hat es nicht anders verdient.“

„Hey Lara, beruhig dich. Ich habe nicht über Lukas gelacht. Eigentlich hab ich mehr über die Situation gelacht.“

Lara sah ihn mit großen Augen an und hielt still.

„Versprichst du mir, mich nicht gleich wieder anzugreifen, wenn ich dich loslasse? Ich erklär euch die ganze Sache dann auch, jedenfalls soweit es mir möglich ist.“

Lara nickte und setzte sich wieder neben mich, nachdem Seth sie losgelassen hatte.

„Ok. Durch Mary“, er sprach den Namen aus, als würde es sich um etwas Widerwärtiges handeln, „wisst ihr ja, dass Matt schwul ist. Mary wusste das nicht wirklich, bei ihr spielte da immer eine Menge gekränkter Stolz mit, weil Matt sie hat abblitzen lassen. Es war auch nicht das erste Mal, dass sie Matt so was anhängen wollte. Diesmal hat es ihn aber ziemlich getroffen und der Grund dafür bist du.“

Seth sah mir bei diesen Worten direkt in die Augen.

„Aber ich habe ihm doch gar nichts getan.“

„Musstest du auch nicht. Matt hat sich schon in dich verschossen, als er dein Foto das erste Mal sah. Na ja, und am Flughafen hat es ihn dann total erwischt.“

„Schön und gut, dann versteh ich aber nicht, warum er mich so angeschrieen hat, als ich mit ihm reden wollte?“

„Das kann ich dir auch nicht genau sagen, aber du musst daran denken, dass Matt nicht weiß, dass du schwul bist. Vielleicht dachte er, du hattest vor, ihn irgendwie blöd anzumachen.“

Ich atmete tief durch, langsam fing die ganze Sache an, anstrengend zu werden.

„Und wie soll ich das jetzt wieder in Ordnung bringen? Ich weiß ja noch nicht einmal, wo Matt im Augenblick ist?“

„Ich glaube, ich weiß, wo ich ihn finden kann. Aber lasst mich am besten erst mal alleine mit ihm reden. Ich versuche, ihn etwas runterzuholen, sonst endet euer nächstes Gespräch wieder in einer Katastrophe.“

Ich nickte nur und verfolgte Seth mit meinem Blick, bis er hinter der Scheune verschwand. Lara legte ihren Arm um mich.

„Bei dir kann auch nie etwas einfach ablaufen, Bruderherz.“

„Du wüsstest doch gar nicht, was du tun solltest, wenn du mich nicht immer trösten könntest.

„Möglicherweise.“

„Und, wie sieht es nun mit dir und Seth aus?“

„Er ist nett.“

„Aha?“

„Und er sieht ganz gut aus.“

„Und?“

„Es hat irgendwie nicht geknistert. Ehrlich, ich würde mich freuen, ihn als Freund zu haben, aber ich bezweifle, dass das lange gut gehen würde.“

„Also, immer noch auf der Suche nach der großen Liebe.“

„Nicht jeder kann es so gut haben wie du und so schnell sein Herzblatt finden.“

„Für dich gibt es hier irgendwo bestimmt auch einen Traummann, und wenn nicht“, an dieser Stelle verzog ich mein Gesicht zu einem fiesen Grinsen, „kannst du dir ja wenigstens einen Typen zum Poppen besorgen.“

Kurz bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte, hatte ich mich schon aus der Reichweite von Laras Ellenbogen gebracht.

„Und so was muss ich mir aus dem Mund einer eisernen Jungfrau anhören.“

Matt

Ich war immer noch dabei, mein Leben wieder in geregelte Bahnen zu bringen, jedenfalls theoretisch, als ich merkte, dass sich jemand neben mich setzte.

„Du hast einen Hang zum Dramatischen, oder?“

„Wie kommst du hier her?“

Nicht sehr freundlich, aber ich wollte mich lieber allein in meinem Selbstmitleid suhlen und Seth hat nun mal die Angewohnheit, mich immer ganz schnell da rauszuholen.

„Lukas hat mich angerufen. Er war völlig durch den Wind, weil du ihn so angefahren hast.“

„So ein Arschloch. Ich wette, der wollte nur sein Gewissen beruhigen und sichergehen, dass ich mir wegen ihm nicht irgendetwas antue.“

„Matt, ich glaube, du tust Lukas Unrecht.“

„Ach ja, wenn du dabei gewesen wärst, würdest du das nicht sagen. Hat er dir erzählt, was passiert ist?“

Seth nickte.

„Ich wollte ihm beim Umziehen helfen. So wie sein Rücken aussah, muss er noch Schmerzen gehabt haben. Als ich ihn dann gefragt habe, ob ich ihm helfen soll, hat er mich total entsetzt angesehen, als ob ich ihm etwas antun wollte. Ich geb ja offen zu, dass es mich nicht völlig kalt gelassen hat, ihn so vor mir zu sehen, aber ich bin doch nicht irgendeine notgeile Schwuchtel, die sich nicht beherrschen kann.“

„Hast du vielleicht schon mal überlegt, dass Lukas nicht deswegen so geschockt ausgesehen hat, weil er dachte, du willst ihm an die Wäsche gehen, sondern weil du, wenn du ihm beim Umziehen geholfen hättest, vielleicht bemerkt hättest, was er versuchte, vor dir zu verbergen?“

„Und was bitte soll das sein?“

„Vielleicht ging es Lukas ja so ähnlich wie dir und die ganze Situation vorhin hat ihn auch nicht so kalt gelassen.“

Das erste Mal während unseres Gesprächs sah ich Seth an.

„Was meinst du damit?“

„Ich meine damit, dass du noch mal in aller Ruhe mit Lukas reden solltest, ohne ihn gleich anzuschreien.“

„Ich weiß auch nicht, was vorhin mit mir los war, aber es hat einfach so wehgetan.“

Seth legte seine Arme um mich und ich konnte einfach nicht mehr anders und fing an zu heulen.

„Versprichst du mir, dass du mit Lukas redest?“

Ich nickte. „Aber jetzt noch nicht. Ich brauch noch etwas Zeit.“

Seth saß noch eine Weile bei mir, bis ich merkte, dass er seine Umarmung löste.

„Kann ich dich allein lassen, Kleiner? Ich sollte wieder zu Lara und Lukas. Die beiden machen sich wirklich Sorgen um dich.“

„Sag Lukas, dass ich heute noch mit ihm rede, ich muss mich nur noch etwas beruhigen.“

„Geht klar. Pass auf dich auf, ja?“

Seth drückte mich noch mal kurz und stieg dann wieder aus dem Baumhaus. Ich musste über das, was Seth gesagt hatte, nachdenken. Eigentlich hatte er ja nicht wirklich etwas verraten, aber die Andeutungen, die er gemacht hatte, ließen mich wieder etwas hoffen.

Lukas

Ich bin der Meinung, Seth könnte langsam mal wieder hier auftauchen. Es kommt mir so vor, als würden Lara und ich hier schon eine Ewigkeit sitzen, seitdem er weggegangen ist.

„Bleib ruhig, immerhin müssen die beiden erst mal miteinander reden, das wird etwas dauern.“

Na toll. Lara hat ja auch leicht reden. Das mit dem Ruhigbleiben ist gar nicht so einfach. Ich hoffe wirklich, dass Seth Matt davon überzeugen kann, noch mal mit mir zu reden.

Ich musste grinsen, als ich daran dachte, was Seth vorhin gesagt hatte.

Matt hat sich in mich verliebt. Ich meine, das ist einfach... ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich darüber bin. Ich hätte wirklich nicht gewusst, wie ich mit Matt hätte zusammenleben sollen, wenn sich nicht alles so entwickelt hätte, wie es jetzt ist. Na ja, im Augenblick hat sich noch nichts entwickelt. Immerhin musste ich vorher noch mal mit Matt reden.

„Hey Lukas, Seth kommt wieder.“

Ich wandte meinen Blick zu der Stelle, an der Seth vorhin verschwunden war und stand auf, um ihm ein Stück entgegen zu gehen. Lara folgte mir.

„Und, wie geht es ihm? Will er mit mir reden?“

„Langsam. Also, Matt geht es soweit ganz gut und ja, er will mit dir reden“, bei diesen Worten atmete ich aus. Ich hatte wohl unbewusst die Luft angehalten, weil ich Angst vor Seths Antwort gehabt hatte. „Aber er will jetzt noch nicht mit dir reden, er hat gesagt, dass er noch etwas Zeit für sich braucht, um sich zu beruhigen. Matt kommt dann zu dir.“

„Danke, Seth. Ich will gar nicht dran denken, was passiert wäre, wenn du nicht gekommen wärst.“

„Wahrscheinlich gar nichts, oder ihr hättet nur etwas länger gebraucht, um die ganze Sache zu klären. Aber wenn ihr wieder mal ein Problem haben solltet, dann meldet euch. Es würde mich wirklich freuen, wenn wir Freunde werden können.“

Ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich bin heute aber auch sentimental. Zum Glück übernahm Lara das Sprechen für uns beide.

„Danke, Seth.“

Bei diesen abschließenden Worten nickte Seth Lara und mir zu und fuhr dann wieder mit seinem Wagen davon.

Ich grinste Lara an. „Du hast Recht, er ist nett.“

„Und was willst du jetzt machen?“

„Warten, was sonst.“

„Willst du lieber alleine sein?“

Lara kannte mich wirklich zu gut.

„Ja, ich gehe hoch in Matts Zimmer, falls er mich dann irgendwann mal suchen sollte.“

Ich ging also hoch ins Zimmer und setzte mich aufs Sofa, um auf Matt zu warten. Aber Warten kann manchmal echt anstrengend sein. Die Zeit schien dahin zu schleichen und ich war noch nie der besonders geduldige Typ. Ich befand mich aber in einer Situation, in der mir nichts anderes übrig blieb, als meine Geduld etwas zu trainieren.

Matt

So langsam müsste ich mich mal der Sache stellen und mit Lukas reden. Um ehrlich zu sein, würde ich allerdings lieber hier sitzen bleiben.

Ein bisschen Bammel hatte ich schon vor dem Gespräch mit Lukas. Trotzdem nahm ich meinen Mut zusammen und ging auf das Wohnhaus zu. Den ganzen Weg über versuchte ich mir schon, die Worte zurecht zulegen, wobei ich aber auch scheiterte. Gerade als ich durch die Haustür hereinkam, lief Lara vom Wohnzimmer in die Küche. Als sie mich sah, blieb sie stehen. Bevor ich meine Frage stellen konnte, antwortete sie mir schon.

„Er wartet oben, in deinem Zimmer.“

Ich nickte ihr dankend zu und ging langsam die Treppe hoch. Vor meinem Zimmer blieb ich noch mal kurz stehen und atmete tief durch. Dann klopfte ich kurz, wartete jedoch nicht auf eine Antwort, sondern ging sofort ins Zimmer. Lukas saß im Schneidersitz auf dem Sofa, als er mich jedoch sah, sprang er sofort auf und blickte mir unsicher entgegen.

„Hey Lukas. Seth hat mir gesagt, wir sollten mal miteinander reden.“

Für einen Augenblick sah er so aus, als wüsste er nicht, was er sagen sollte.

„Matt, falls ich dich vorhin irgendwie beleidigt haben sollte, dann tut es mir leid, das wollte ich nicht.“

Ich nickte. Warum musste das auch so schwierig sein?

„Lukas“, er sah mir direkt in die Augen. „Wollen wir uns vielleicht hinsetzen?“

Diesmal war er es, der nickte. Wir setzten uns beide auf das Sofa und drehten uns so, dass wir uns ansehen konnten.

„Weißt du, Matt, ich habe kein Problem damit, dass du schwul bist.“

„Das hat Seth auch schon angedeutet.“

„Was hat Seth sonst noch so gesagt?“

„Eigentlich nicht viel. Er hat mehr Andeutungen gemacht. Allerdings haben mich diese Andeutungen wieder etwas hoffen lassen. Ich dachte wirklich, du willst nichts mehr mit mir zu tun haben, weil ich schwul bin. Aber so ist es nicht, oder?“

„Nein, absolut nicht. Um ehrlich zu sein, bin ich sogar froh darüber. Matt, ich muss dir etwas sagen. Als du mich am Flughafen angesprochen hast, da... Mann, warum muss das eigentlich so schwer sein? Ok, vielleicht anders rum. Matt, ich bin auch schwul.“

Ich bemerkte, wie sich langsam Tränen in meinen Augen sammelten. Genau darauf hatte ich nach dem Gespräch mit Seth gehofft, aber es jetzt aus Lukas` Mund zu hören, war doch etwas ganz anderes.

„Ja, so etwas hat Seth angedeutet.“

„Aber das ist noch nicht alles. Weißt du noch, als du mich geweckt hast, als wir zur Party von Seth wollten. Du hast mich auf meinen Traum angesprochen.“

Ich nickte und Lukas´ Gesicht überzog ein rötlicher Schimmer. Als er weiter sprach, sah er mir tief in die Augen.

„Weißt du, ich habe von dir geträumt. Ich hab mich am Flughafen auf den ersten Blick in dich verliebt und wenn du mir vorhin beim Umziehen geholfen hättest, dann hättest du gesehen, dass ich absolut nichts dagegen habe, dass du schwul bist. Die ganze Situation kam allerdings etwas zu plötzlich für mich.“

Er hatte ganz schnell gesprochen und sah mich etwas nervös an. Langsam rutschte ich zu ihm heran und seine Hände in meine.

„Ich bin froh, dass du mir das gesagt hast. Ich hab mich schon in dich verknallt, als ich das erste Foto von dir gesehen hab, und als du dann am Flughafen real vor mir standest, da war es endgültig um mich geschehen. Lukas, ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch.“

Langsam näherten wir uns einander und als sich unsere Lippen endlich trafen, glaubte ich zu schweben. Mein Traum war endlich in Erfüllung gegangen.

Lukas

Matt und ich waren zusammen. Und das inzwischen schon seit einem Jahr. Lara und ich haben während dieser Zeit unser letztes Jahr Schule hinter uns gebracht. Matt hat das Jahr über auf der Ranch gearbeitet und jetzt gehen wir dann zusammen auf die Uni. Nach ein paar Wochen haben wir es dann auch Matts Eltern gesagt. Sie waren anfangs zwar etwas geschockt, aber das hat sich schnell gegeben und die beiden haben sich für uns gefreut. Lara hat natürlich einen Freund gefunden. Nicht wirklich verwunderlich, meine Schwester ist nun mal eine Traumfrau, und ich als ihr Bruder darf das sagen, auch wenn ich schwul bin. Seth ist hier einer meiner besten Freunde geworden. Im Großen und Ganzen habe ich mich sehr gut hier eingelebt und ich freue mich schon auf die gemeinsame Zeit mit Matt auf der Uni.

ENDE

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