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5Mose32

Vengeance is mine

Teil 2

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Heiko

"Hallo, mein Schatz, bist Du heute Abend auch im 'Club', oder haben Dich Deine Eltern wieder zur Fronarbeit eingeteilt?"

Ich kichere ins Telefon in Gedanken an Kevin's Eltern. Seine Mom ahnt wohl etwas von unserer gemeinsamen schwulen 'Neigung' und versucht, ihren Sohn durch Dauerbeschäftigung von seinen Gefühlen abzulenken.

Mann, Mann, was manche Leute für komische Vorstellungen haben …

Der arme Kevin darf kaum noch einen Schritt ohne Beaufsichtigung machen; dauernd im Haushalt helfen, Botengänge, einkaufen – aber hauptsächlich den recht großen Garten der Lehmann's pflegen. Er tut mir richtig leid.

Kevin und ich sind seit Anbeginn der Menschheit schon zusammen. Zuerst im Kindergarten, dann Grundschule, und jetzt sind wir zusammen in der letzten Gymnasialklasse und stehen kurz vor dem Abitur.

Wir haben etwa zur gleichen Zeit unsere gleichgeschlechtlichen Ambitionen entdeckt – und natürlich auch gegenseitig ausprobiert.

Ich hatte eine Zeit lang gedacht, dass ich mich in den schmächtigen kleinen Blondschopf verliebt hätte, mußte dann aber feststellen, dass uns zur 'großen Liebe' wohl doch so einiges fehlt.

Kevin sieht das genauso. Nach einer großen Aussprache vor über einem Jahr ist uns beiden klar geworden, dass wir die dicksten Freunde bleiben können, ohne dass Liebe mit im Spiel ist.

Sicher, wir haben viele Nächte zusammen verbracht, allerdings nur zusammen geschlafen - nicht miteinander. Das machen wir ab und zu auch heute noch, wenn es einem von uns mal schlecht geht. Einfach zusammen kuscheln, einschlafen und zusammen am nächsten Morgen aufwachen. Und meist ist dann beim gemeinsamen Frühstück der Frust verraucht.

Im Gegensatz zu mir hatte Kevin schon eine 'feste' Beziehung mit einem netten Jungen, die hat sich allerdings nach zwei Monaten als Fehler herausgestellt. Die beiden haben sich dann ohne Streit getrennt. Durch diesen Jungen haben wir den 'It's Me' – einen Schwulentreff – kennengelernt, und nun gehen wir am Wochenende oft dahin, um Gleichgesinnte zu sehen und zu tanzen.

Ich habe dort beim letzten Mal einen hübschen Boy gesehen, der einsam an einem Tisch im hinteren Bereich saß und eine Cola vor sich stehen hatte. Er machte einen traurigen Eindruck und tat mir augenblicklich leid. Er wirkte irgendwie zu zart und zerbrechlich für diese Welt.

Ich bin dann noch zur Toilette gegangen, um mich etwas frisch zu machen und wollte mich danach zu ihm setzen. Vielleicht ließ er sich ja etwas von mir trösten.

Als ich in den Gastraum zurückkam, war der Junge aber nicht mehr da. Seine Cola stand noch auf dem Tisch und war nicht mal angerührt. Ich habe dann noch den ganzen Abend bis in die Nacht hinein auf ihn gewartet, aber er kam nicht mehr.

Die darauf folgende Nacht habe ich nur von ihm geträumt – und war morgens völlig fertig.

Ich mache mir also jetzt Hoffnungen, diesen süßen Typ heute Abend wieder zu sehen.

"Ach, hallo, Heiko. Yo, ich kann heute mitgehen, habe meine Beschäftigungstherapie für dieses Wochenende hinter mir. Meine Mom hat für mich keine Arbeit mehr gefunden", bekomme ich von Kevin zur Antwort. Und dann schockt er mich, als er noch hinzufügt: "Dann hat sie mir sogar noch ein zusätzliches Taschengeld gegeben und gesagt, ich soll mir davon Kondome kaufen, von wegen 'Safer' und so ..."

Mir fällt fast mein Handy herunter. Was ist das denn jetzt?

"Kevin Lehmann, hast Du Dich etwa geoutet? Wie kommt denn so was so plötzlich?"

"Na, Mom hatte ja eh schon geahnt, dass ich mit Mädels nix am Hut habe. Und dann hat sie mich einfach nach dem Frühstück darauf angesprochen. Ich hab's ihr dann gesagt, wollte sie nicht anlügen. Lügen bringt ja auf Dauer auch nix außer Ärger."

"Dann herzlichen Glückwunsch, mein Schatz. Ich freu mich schon auf einen lustigen Abend heute Abend."

"Du Heuchler, ich weiß genau, auf wen Du Dich freust! Hast letzten Samstag den hübschen Ron ja fast mit den Augen ausgezogen!" Jetzt fängt Kevin auch noch an zu kichern.

Ich bin einfach platt! "Wie, Du kennst dieses Schnuckelchen? Woher, wieso, weshalb? Komm, erzähl schon!"

"Yo, Heiko, ich kenne ihn aus dem Judo-Dojo. Naja, kennen ist wohl zuviel gesagt. Er hat da eine Zeit lang trainiert, ist aber irgendwann nicht mehr gekommen. Genaues weiß ich auch nicht, aber Du kannst ihn ja vielleicht heute Abend selbst ausfragen. Ich finde ihn übrigens auch ganz niedlich, obwohl er nicht so ganz mein Typ ist." Er kichert wieder schmutzig.

"Ja, mal sehen, ob er überhaupt kommt. Jedenfalls freue ich mich auf uns. Bis heute Abend dann. CU, Kev."

"Yo, ich freue mich auch schon. Bis dann. CU2, Heiko!"


Nachdem ich den ganzen Nachmittag 'Hummeln im Hintern' hatte und von hier nach da und wieder zurück geirrt bin, habe ich mich irgendwann ins Bad begeben, geduscht und mich dann partyfertig gestylt. Die Wahl der richtigen Klamotten ist mir heute besonders schwer gefallen. Ich habe mich dann dabei ertappt, dass ich vor dem Spiegel stehend 'Posing' geübt habe.

'Ker, Heiko, getz isset wohl soweit, getz könn'se Dich bald abholen und inne geschlossene Kolonne stecken', denke ich und muß über mich selbst lachen. Ich habe mich wohl schon in diesen 'Ron' verknallt, ohne ein Wort mit ihm gewechselt zu haben.

Ich mache mir noch eine TK-Pizza fertig und hole mir ein Malzbier aus dem Kühlschrank. Jaja, ich weiß – Getränk für werdende Mütter, aber ich mag das halt auch gern. Im Lokal würde ich mir allerdings um nichts in der Welt die Blöße geben, so was zu bestellen. Kann mir das dämliche Grinsen von Kevin schon lebhaft vorstellen. Der Gedanke daran lässt mich auch grinsen, und meine Laune bessert sich zusehends.

Dann setze ich mich an den Küchentisch und kaue gedankenverloren auf dem Mafiagebäck herum. Wie soll ich Ron bloß ansprechen? Und vor allem, worüber soll ich mich mit ihm unterhalten?? Mann, ich bin doch sonst nicht so schüchtern. Aber der Kleine sah so zart und zerbrechlich aus. Ich will ihn beim ersten Kennenlernen ja auch nicht verschrecken ... ach, was soll's, mir wird dann schon was einfallen.

Ich esse zu Ende, räume das Geschirr und das 'Werkzeug' in den Spüler und gehe dann in die Diele, um mich ausgehfertig anzuziehen. Ein letzter Blick in den Spiegel, kleine Korrektur der Frisur – yo, so kann ich unter Menschen gehen. Dann mache ich mich auf zum 'It's Me'.


Ich stehe also vor dem 'Club' und warte auf Kevin. Es sind kaum Leute da, auch im Lokal noch nicht.

Mir fällt ein, dass ja heute irgendein wichtiges Fußballspiel im TV übertragen wird. Genaues weiß ich nicht, da mich Fußball so überhaupt nicht interessiert. Na, dann wird das ja heute eine recht einsame Veranstaltung hier.

Ob Ron auch ein Fußball-Fan ist? Hoffentlich nicht. Aber zum Quatschen, Tanzen und ein bisschen Knutschen ist Kevin ja auch noch für mich da, falls sich mein heimlicher Schwarm heute nicht blicken lässt.

Ich lasse mir die gute Laune nicht verderben und pfeife leise vor mich hin, als Kevin mit einem Super-Schnuckelchen im Arm um die Ecke kommt und auf mich zuhält. So, wie die beiden sich an den Händen halten, ist mir sofort klar, dass da ein – zugegebenermaßen sehr ansehnliches – Liebespaar antrabt.

Die Begrüßung fällt entsprechend stürmisch aus. Kev und ich fallen uns um den Hals, Küßchen hier und Küßchen da. Ich gratuliere ihm nochmal für sein glücklich ausgefallenes Outing, dann stellt mein Kumpel mir sein 'Mitbringsel' vor.

"Heiko, das ist Benny, seit vorhin mein Schatzi. Benny, das ist Heiko, seit Ewigkeiten mein bester Freund und Kumpel." Er deutet dabei jeweils einen leicht tuntigen Hofknicks mit der entsprechenden Handbewegung an und grinst über alle vorhandenen Backen.

Benny paßt zu meinem Kumpel wie der sprichwörtliche 'Arsch auf den Eimer'; beide eher schmächtig, etwa gleich groß (also eher klein), blond und verwuschelte Frisur, blaue Augen mit dem gewissen Strahlen – jedenfalls im Moment. Man könnte sie durchaus für Brüder halten.

Aber auch wieder nicht, denn es ist ja wohl nicht üblich, dass sich Brüder dermaßen verliebte Blicke zuwerfen und sich ununterbrochen verstohlen streicheln

"Ich habe Benny heute Nachmittag in der U-Bahn gesehen – und schon war es um mich geschehen!", beginnt Kevin die weitere Vorstellung mit theatralischen Worten. "Ich hatte sofort ein unbeschreibliches Kribbeln im Magen. Also bin ich zu ihm hin und habe ihn einfach angesprochen. Und – als wenn er nur auf mich gewartet hätte ..."

Benny zieht ihn an sich und schließt ihm den Mund mit einem zärtlichen Kuß, dann löst er sich wieder von seinem Freund und bemerkt trocken: "Kevin, Du quatscht immer entschieden zu viel. Heiko kann sich den Rest sicher selbst zusammenreimen." Damit lächelt er mich so süß an, dass ich mich einfach nur für die beiden freue.

Meine 'Hintern-Hummeln' sind auch wieder da, ich umarme beide gleichzeitig, drücke ihnen nacheinander ein Küßchen auf, schnappe sie an den Händen und ziehe sie zum Eingang.

"Dann laßt uns mal schauen. ob wir da drin noch einen schönen Platz finden", rufe ich überschwänglich und halte den Jungverliebten die Tür auf.


Mein erster Bilck fällt auf die Theke und das leicht erhöht aufgebaute Pult für den DJ. Heute legt Joschka – seines Zeichens Pächter und 'Nummero Uno' des Clubs – selbst auf. Also ist Top-Mucke angesagt. Joschka ist stockschwul und kann sich deshalb wohl unglaublich in die jeweilige Stimmung im Saal hineinversetzen.

'Ein Abend mit Joschka' ist immer wieder ein gelungenes Event.

Mein zweiter Blick geht zu dem Tisch, an dem der mysteriöse 'Ron' am vergangenen Samstag gesessen hat, es ist aber dort niemand zu sehen, und der Tisch ist noch frei. Ich ziehe meine beiden Begleiter mit und belege diesen Tisch für uns, in der stillen Hoffnung, dass Ron – wenn er denn heute noch kommt – sich zu uns gesellt.

Kev grinst mich vielsagend an und sagt: "Na, das habe ich mir schon fast gedacht, dass wir heute Abend hier sitzen. Aber die Aussicht in den Saal ist hier genau so gut wie überall, also – warum auch nicht?" Wie schon so oft, hat er wiedermal meine Gedanken gelesen; oder wie kommt es, dass er meistens weiß, in welche Richtung ich denke?

Er gibt mir einen freundschaftlichen Rippenstoß und fügt noch hinzu: "Ich gehe mal Getränke holen, wartet ihr hier mal auf Ron – oder wer sonst noch alles kommt. Und lasst euch nicht von bösen Männern ansprechen!" Damit grinst er mich wieder frech an und verschwindet in Richtung Theke.

Meine Augen haben sich mittlerweile an das Dämmerlicht im Saal gewöhnt, und ich sehe mich genauer um. Einige flüchtige Bekannte stehen teils gelangweilt, teils in Gespräche versunken oder knutschend an der Theke, an den Wänden oder auch im Eingangsbereich zu den Toiletten und zum 'Kennenlern-Raum' herum. Die Stimmung ist noch nicht wirklich da. Es ist ja auch noch früh am Abend, also kann das noch was werden.

Etwas zurückgelegen neben dem Eingang ist ein kleiner Zwei-Mann-Tisch, der normalerweise nicht besetzt ist, da man von dort nicht besonders gut die Tanzfläche sehen kann. Als mein Blick sich dahin verirrt, bemerke ich einen einzelnen jungen Mann, der dort sitzt und ein – Mineralwasser (!?) – vor sich stehen hat.

Meine Güte, was ist denn das für einer? Wasser hier im Club ist eher eine Seltenheit. Wie auch immer – ich sehe mir diesen Vogel nun etwas genauer an, soweit das von meinem Platz aus möglich ist. Und was ich sehe, ist schon beeindruckend:

Etwa Mitte zwanzig, groß gewachsen und sportlich, soweit man das unter seinen dunkelgrauen Klamotten überhaupt erkennen kann. Ich sage Benny Bescheid, stehe betont lässig auf und schlendere etwas näher zum Eingang, um den Fremden besser abchecken zu können. Mir fällt an ihm noch so einiges Merkwürdiges auf. Er hat die Haare weiß gefärbt – oder ist das etwa Natur? Ich kenne einen jungen Mann aus meiner Nachbarschaft, der vor Jahren mal einen Betriebsunfall mit radioaktiver Strahlung hatte. Der hat seitdem auch so eigenartig weiße Strähnen im Haar.

Aber hier – bei dem Fremden – sieht das irgendwie doch anders aus; aber auch nicht gefärbt. Dann bemerke ich, dass die Augenbrauen ebenfalls weiß sind – mhh, seltsam. Und er hat ein sehr interessantes, fast hübsches Gesicht. Ich beschließe, mir das mal noch mehr aus der Nähe anzusehen.

Ich schlendere also wie zufällig noch näher und stolpere natürlich über meine eigenen Füße, so dass ich dem Fremden fast um den Hals falle, um nicht der Länge nach hinzuknallen.

Hallo, Ungeschick lässt grüßen...

Im letzten Moment kann ich mich an der Tischkante fangen und lächle ihn entschuldigend an.

Der Dunkle mit den weißen Haaren lächelt belustigt zurück und sagt mit überraschend sanfter Stimme und in einem Tonfall, der mir sofort einen wohligen Schauer über den Rücken jagt: "Und? Wie ist Deine Fernmusterung ausgefallen? Du hast mich ja fast mit den Augen ausgezogen."

Dabei zeigt er mir ein entwaffnendes Lächeln mit zwei Reihen strahlend weißer Zähne.

Nun passiert etwas, das nur ganz, ganz selten passiert: Ich bin absolut sprachlos!

Ob es an der Wirkung seiner Stimme oder an seinen bernsteingelben Augen mit kleinen goldenen Fünkchen darin liegt, kann ich nicht sofort beurteilen. Also starre ich ihn weiter an und sage erstmal nichts.

Wow, ob der Typ 'Perlaugen' – also farbige Kontaktlinsen – drin hat? So eine Augenfarbe habe ich noch nie gesehen, und ich habe schon manchem Jungen in die Augen gesehen ... aber zu ihm passt das irgendwie, macht ihn noch ein wenig interessanter.

"Na komm, setz Dich einen Moment zu mir, dann können wir uns kennenlernen." Wieder diese sanfte, fast erotische Stimme. Mir wird plötzlich ganz anders. Wie hypnotisiert setze ich mich ihm gegenüber an den kleinen Tisch, was zur Folge hat, dass mein Gesicht nur einen knappen halben Meter von seinem entfernt ist. Unwillkürlich fallen mir 'Schlange und Kaninchen' ein ...

Er blickt mir direkt in die Augen; die seinen scheinen kleine goldene Blitze zu versprühen, und diese Stimme lässt meine Nackenhaare aufsteigen. Und noch etwas irritiert mich: Sein linker Arm hängt irgendwie unbeteiligt an seiner Seite herab, fast so, als gehöre er ihm gar nicht.

Kevin kommt an den Tisch und stellt mir eine Cola hin.

"Hier, Heiko, und viel Spaß noch." Er kichert, grinst mich vielsagend an, zieht sich wieder zu 'unserem' Tisch zurück und setzt sich dicht neben seinen Schatz. Er schlingt einen Arm um Benny's Schultern, und dann scheinen die beiden sich flüsternd zu unterhalten. Wahrscheinlich ja über mich und meine dämliche Unsicherheit.

Mein Gegenüber hebt sein Glas und prostet mir zu: "So, nun weiß ich wenigstens schon Deinen Namen. Ich bin Tony. Auf Dein Wohl!" Er stößt mein Glas an und trinkt einen Schluck. Mechanisch nehme ich meine Cola und erwidere stumm das Trinkritual. Dann stelle ich das Glas zurück und höre mich schüchtern sagen: "Ja, ... ääh ... Heiko. Ich heiße also Heiko, und Du bist Tony ... ääh ... ich meine ..." mein Gestammel ist mir so was von peinlich, doch er legt seine Hand auf meine und sagt einfach: "Du bist nicht der Erste – und wirst wohl auch nicht der Letzte sein - der mich so überrascht anstarrt. Ich hatte einen Unfall, deswegen sehe ich jetzt so aus. Mach Dir nichts draus, ich habe mich auch daran gewöhnen müssen. Es tut nicht mehr weh, auch hier nicht mehr." Dabei zeigt er auf seine Herzgegend. Plötzlich ist das Bernsteinfeuer in seinen Augen erloschen und er wirkt irgendwie traurig und abwesend.

So plötzlich, wie mein Verstand ausgesetzt hat, funktioniert er auch wieder. Ich setze ein gewinnendes Lächeln auf, proste ihm noch mal zu und versuche, ein halbwegs intelligentes Gespräch zustande zu bringen.

Eine halbe Stunde läuft unser Smalltalk, aber alle meine versteckten Versuche, etwas mehr über meinen Gesprächspartner herauszubekommen, scheitern. Er bemerkt sofort alle 'Fallen', lächelt nur und stellt so geschickt Gegenfragen, dass ich bald nichts Neues mehr über mich erzählen kann, über ihn aber rein gar nichts erfahren habe.

Ein letzter Versuch: "Tony, ich habe Dich hier noch nie gesehen. Bist Du zum ersten Mal im 'It's Me'?"

Das Funkeln in seinen Augen ist wieder da. Er lacht leise und sieht mich wieder so seltsam an: "Nein, mein kleiner Heiko, ich bin fast jeden Samstag hier, nur hast Du mich noch nie richtig bemerkt. Naja, ist besser so, es braucht auch nicht jeder wissen, dass es mich gibt. Trotzdem bekomme ich fast alles mit, was sich hier so tut. Ich bin halt lieber der stille Beobachter. Und ein lieber Freund im eigentlichen Sinne kommt für mich nicht mehr in Frage. Nix für ungut, ich fühle mich wohl auf meinem selbstgewählten Posten."

Tony fasziniert mich dermaßen, dass ich fast nicht mitbekomme, dass Ron – scheinbar genauso bedrückt, wie ich ihn am vergangenen Samstag gesehen habe – den Saal betritt und sich wie suchend umschaut.

Er setzt sich schließlich an einen kleinen Seitentisch, ganz in der Nähe von Kevin und Benny. Mein Gegenüber hat die Situation wohl sofort richtig gecheckt und legt mir wieder die Hand auf meine.

"Da kommt Dein heimlicher Schwarm, geh einfach hin und versuche, ihn etwas zu trösten. Er hat es momentan nicht leicht. Sein unfreiwilliges Outing ist voll in die Hose gegangen – sowohl bei seinen so genannten Freunden als auch bei seinen Eltern. Und einen Schatz hat er auch nicht, also – worauf wartest Du noch?" Er nickt mir aufmunternd zu und bedeutet mir, aufzustehen und zu Kevins Tisch zu gehen.

"Tony, woher weißt Du das alles ... ich meine ... über Ron und überhaupt ... alles hier?" stottere ich etwas verlegen.

Er lächelt mich wieder umwerfend an, berührt leicht meine Wange und schmunzelt: "Mach Dir keinen Kopf darüber, Heiko. Ich beobachte halt dies und das – und ziehe meine Schlüsse daraus. Und wenn mir etwas unklar bleibt, kann ich immer noch irgend jemanden fragen. Ich bin ja schließlich nicht schüchtern."

Dann schaut er mich auffordernd an und fügt noch hinzu: "Viel Erfolg bei Ron, und noch was: Ich passe etwas auf euch alle hier auf. Es wird schon alles gut."

Ich stehe auf, drücke ihn kurz an mich und gebe ihm spontan einen Kuß auf die Wange.

"Danke, Tony, und Dir auch noch einen netten Abend. Ich bin wirklich froh, dass ich Dich kennengelernt habe."

Er gibt mir ebenfalls einen kleinen Kuß auf die Wange und sieht mir noch einmal tief – ich glaube fast, traurig - in die Augen. Dann verlasse ich den kleinen Tisch und gehe rüber zu meinem Kumpel und seinem Schatz.


Zurück bei Kevin und Benny setze ich mich – noch ganz im Bann der goldgelben Augen – zu den beiden. Ich weiß nicht, ob Kev die ganze Szene mit Tony mitbekommen hat, aber ich glaube es eher nicht. Benny und er sind wohl zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Mein Blick geht zu Ron; zufällig schaut er in diesem Moment auch in meine Richtung, und unsere Augen versinken wie selbstverständlich ineinander. Der Boden scheint unter mir zu schwanken und ein Kribbeln zieht durch meinen ganzen Körper.

Wenn es so was wie 'Liebe auf den ersten Blick' wirklich gibt, dann ist das in diesem Moment ein Paradebeispiel dafür. Ohne bisher ein Wort mit ihm gesprochen zu haben, habe ich mich genau in diesem Augenblick in diesen hübschen Jungen verliebt!

Ich erhebe mich wie in Trance, gehe zu ihm und frage, ob er gern mit mir tanzen möchte.

Ron sieht mich überrascht an, nickt dann entschlossen und lässt sich von mir zur fast leeren Tanzfläche ziehen. Joschka reagiert spontan und spielt Schmusesongs ein.

Die leichten Berührungen des mir noch unbekannten Körpers, die schüchternen Bewegungen zur Musik und Ron's Gesicht an meinem Hals erfüllen mich mit einem nie gekannten Glücksgefühl. Innerhalb von Sekunden habe ich den Rest der Welt vergessen und gebe mich ganz diesem Gefühl hin. Ron scheint es genauso zu gehen.

Wir schweben zusammen durch Zeit und Raum – meine Güte, wie kitschig. Aber genauso fühlt es sich an. Ron beginnt, leise an meinem Hals zu weinen. Seine Tränen laufen in mein Shirt.

Ich sage nichts, lege ihm eine Hand auf den Rücken und drücke ihn nur etwas fester an mich, und das scheint genau die richtige Therapie für ihn zu sein. Er lässt sich völlig auf mich ein, obwohl wir uns erst seit ein paar Minuten kennen. Es gibt wohl doch so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Nach einer kurzen Zeit hört er auf zu weinen und umarmt mich auch ganz fest.

Irgendwann merke ich, dass wir mittlerweile die Einzigen auf der Tanzfläche sind. Die übrigen Tänzer stehen im Kreis um uns herum und klatschen begeistert. Ron nimmt seinen Kopf zurück, schaut mir verliebt in die Augen und flüstert dann dicht an meinem Ohr: "Danke. Ich bin übrigens Ron."

Ich kann nicht anders, nehme seinen Kopf in beide Hände und drücke ihm einen ganz kleinen zärtlichen Kuß auf den Mund und flüstere genauso leise: "Ich danke Dir auch. Ich bin Heiko und glaube, ich habe mich gerade in Dich verliebt."

Noch einen Klammertanz gönnt Joschka uns, dann macht die Musik eine Pause, und Ron und ich wollen gerade verliebt lächelnd und Händchen haltend zu Kev und Benny an den Tisch gehen, als die Eingangstür plötzlich auffliegt und drei widerliche Gestalten hereinstürmen.

Sie sind mit Army-Klamotten und im Gesicht mit Bandanas vermummt, tragen Springerstiefel, und haben sich die flachstirnigen Schädel rasiert. Das typische 'Glatzen-Klischee' also. Laut grölend und offensichtlich angetrunken wollen sie wohl die wenigen Gäste anpöbeln und wanken auf die Tanzfläche. Ron und ich ziehen uns ängstlich zur Theke zurück, bis wir mit dem Rücken gegen den Handlauf stoßen. Auch die Umstehenden weichen von der freien Fläche rückwärts.

Die meisten Leute an den Tischen und der Theke sind starr vor Schreck, ein paar von ihnen verdrücken sich zur Toilette und in den Kennenlern-Raum. In mir macht sich plötzlich eine unbestimmte Angst breit, Ron klammert sich instinktiv an meinem Arm fest.

Es ist schließlich hinlänglich bekannt, dass zur rechten Szene auch Schwulenhasser gehören, die keine Gelegenheit auslassen, ihren eigenen Frust an Minderheiten – und das sind wir hier halt – abzureagieren. Hoffentlich geht das gut aus ...


Fast genauso schnell, wie die Skins in den Saal stürmten, ist Joschka hinter seinem DJ-Pult hervorgesaust, schwingt einen langstieligen Holzhammer, wie er zum Anschlagen von Bierfässern benutzt wird, in der Hand und stellt sich den Eindringlingen entgegen.

"Hömma, ihr Scheißtypen, hier is mein Territorium. Und ich hab euch nich zur Party eingeladen. Wenn ihr Stunk wollt, dann nurma los, dann is hier gleich Achterbahn. Sonst haut ab und lasst uns hier in Ruhe!" Dabei schwingt der Holzhammer bedrohlich über seinem Kopf.

Die Skins stutzen, hatten wohl nicht mit Gegenwehr gerechnet und sich ihren Auftritt einfacher vorgestellt. Der erste, offensichtlich der Anführer, grinst Joschka dämlich an, schwankt etwas auf seinen Gegner zu und grölt: "Wir machen getz den Schwuppenverein hier platt, Du Wichser. Und mit dein' klein Hämmerken kannße uns doch nich aufhalten. Mach dammit besser ma 'n neuet Fäßken auf!" Dann kichert er über den eigenen Witz und dreht sich Beifall heischend zu seinen Kumpanen um.

Mir fällt auf, dass keiner der drei den obligatorischen Baseball-Schläger dabei hat.

Der Wortführer dreht sich wieder um und macht noch einen Schritt auf Joschka zu. Der versteht das als Angriff und schlägt einmal kurz und trocken mit dem Hammer zu.

Es knackt leicht, als das Hartholz den kahlen Holzkopf trifft, der Gesichtsausdruck des Skins verzieht sich zu einem ungläubig-schwachsinnigen Grinsen; dann geht er wie in Zeitlupe auf die Bretter. Seine Kumpane stehen etwas unschlüssig herum und können die plötzliche Wende der Situation wohl nicht so schnell verdauen. Sie schauen sich noch überfordert an, als Joschka sie schon anschnauzt:

"Guckt nich so blöde, ihr Mistviecher, schnappt euch lieber den kaputten Arsch hier und verzieht euch, aber dalli! Der versaut mir mit sein' Blut noch den ganzen Palast!"

Der Hammer schwingt schon wieder bedrohlich über ihren Köpfen. Die Skins haben begriffen, schnappen sich den Bewußtlosen und zerren ihn zum Ausgang.

Ich bemerke noch, dass Tony plötzlich neben der Tür steht – wie ein Panther auf dem Sprung – und den Skins seine ganze Aufmerksamkeit widmet.

Seine Worte fallen mir ein: 'Ich passe etwas auf euch auf. Es wird schon alles gut.'

Ich weiß augenblicklich, das war nicht nur so dahergesagt, sondern tödlich ernst gemeint. Mir fällt ein Stein vom Herzen.

Kurz bevor die drei komischen Heiligen den Club verlassen können, steht Tony in der Tür, versperrt ihnen den Weg und zischt ihnen zu: "Wenn ihr auf den Gedanken kommt, diese Nummer noch mal irgendwo abzuziehen, dann bin ich da und vermiese Euch die Tour. Verlaßt Euch darauf! Und dann ist es mir egal, ob ihr zu dritt oder mit zwanzig Mann antretet. Merkt Euch meine Warnung gut."

Ich kann nicht fassen, dass sich seine eben noch so sanfte Stimme völlig verändert hat: Statt lieb und erotisch plötzlich eiskalt und hart, dass es mir die Nackenhaare aufstellt.

Auf die beiden Schergen wirkt es wohl ähnlich, denn sie starren ihn entsetzt an, und einer fragt scheu: "Mann, wer bist Du?"

Unvermittelt ignoriert Tony die Glatzen völlig, gibt den Weg frei und die drei verschwinden schwankend in die Nacht hinaus. Mir ist aufgefallen, dass der 'Chef' – noch halb benommen - sich wohl in die Hose gepißt hat ...

Ich schaue von der Tür zu Tony hinüber, aber der sitzt schon wieder wie unbeteiligt bei seinem Mineralwasser und beobachtet den Saal.

Da erst bemerke ich die Gänsehaut, die meinen ganzen Körper überzieht. Ich bin froh, dass ich nicht sein Gegner oder sogar Feind bin, sondern so was wie ein Freund.

Wieder zurück an unserem Tisch schweigen wir vier uns in Gedanken versunken an.

Mann, das hätte auch ganz anders ausgehen können. Und bestimmt nicht erfreulich!

Ron setzt sich – am ganzen Körper zitternd - auf meinen Schoß, hält mich fest umklammert und weint hemmungslos. Die Spannung fällt langsam von ihm ab, und er sucht meine Nähe. Ich streichle zärtlich seinen Rücken und flüstere beruhigende, verliebte Worte in sein Ohr. Dabei merke ich, dass ihm das gut tut. Also hatte diese unerfreuliche Situation doch auch ihr Gutes.

Ich bin froh, Tony kennengelernt zu haben und bin glücklich mit meinem Ron.

(c) by Tony 05/2009

Ein Nachwort:

Da ich einige Anfragen bezüglich des Titels dieser Geschichte bekommen habe, hier ein Hinweis:

Leider ist der englische Untertitel (VENGEANCE IS MINE) beim Einstellen der Story verloren gegangen.

Hier also der Text des Bibelverses 5Mose32,35: Die Rache ist mein; ich will vergelten...

Noch was: Ich freue mich natürlich über Feedbacks, habe aber noch kaum welche erhalten. Ich weiß ja nicht, wie die Story bei Euch ankommt, deshalb - bitte - ein kurzes Mehl an

Big.T [ät] t-online dot de

Auch wenn Ihr mich kritisiert - es kann nur konstruktiv sein!

In diesem Sinne: Eine schöne Zeit Euch allen.

BigT.

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