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Philipp

Teil 2

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[Greeneyes] hi tris :-)

[Tristan18] seas grüni, wie gehts da?

[Greeneyes] schule, weißt eh, da matheprof geht ma am zeiga :-(

[Tristan18] jo eh, aba 2 tag no, dann is weekend, a longs no dazu :-)

[Greeneyes] jo, der lichtblick. 2 tage noch, dann 3 tag frei ^^

[Tristan18] machst was am we? fahrst fort oda party?

[Greeneyes] na, leider, mein onkel kann nicht, und allein machts keinen spass. alle andern sind ja weg am wochenende.

[Tristan18] *tröst* i werd am land sein und grillen oda so, wenns wetta passt

[Greeneyes] dangge. du, heut hab ich wieder den schnuggel gesehn, der is sowas von geil, sag ich dir, den würd ich sofort... *sabber*, weisst eh, der in der 8., aba bei meinem glück is das sicher ne hete *seufz*

[Tristan18] sprich ihn doch endlich an

[Greeneyes] damit er mir eins aufs maul haut? naaa

[Tristan18] na komm, so schlimm wirds sicha ned, trau di, red mit ihm

[Greeneyes] und ich mach mich in der ganzen schule lächerlich? naaa im nebel nich. und wenn, der will mich sicher nich :-(((

[Tristan18] bist so schiach? *fg*

[Greeneyes] hey!! na, der is 18, und so wie er ausschaut, kann der jede/n haben, meinst, dann nimmt der ausgerechnet mich???

[Tristan18] oke oke. du, i muss, mei mutta schreit, essen is fertig

[Greeneyes] oh, danke das du mich erinnerst, muss noch einkaufen, hoffentlich geht sich das noch aus. guten hunger tris, baba

[Tristan18] cya grüni

Ich stieg also aus dem Chat aus und zog mir die Schuhe an. Weit war es ja nicht zum Supermarkt. Stefan und ich wohnten relativ zentral in Wien. Vier Supermärkte im Umkreis von wenigen hundert Metern, und der zweitnächste war unser Lieblingsmarkt, weil die alles hatten, was wir so brauchten. Außerdem nahmen die an der Feinkosttheke Bestellungen auf. Sprich Stefan, mein Onkel, sagte denen in der Früh, was wir abends essen wollten und ich brauchte das Zeugs nachmittags nur abholen. Ich musste mich nur immer beeilen, dass ich's vor 19 Uhr schaffte in den Laden zu kommen – und ihr wißt, dass das manchmal schwierig sein kann, wenn man Hausaufgaben hat, chatten will, online spielt und sonst so einiges im Haushalt (oder auch nicht... pssst, nicht verraten) erledigt. Na ja, ich schaffte es gerade noch so knapp vor 19 Uhr.

»Hallo Renate, ich wollt die Bestellung abholen.«

»Hi Philipp, heut bist aber wieder spät dran. Hier, bittschön. Du, mir sind da sechs Semmerl übriggeblieben, magst welche? Ich geb Dir die sechs und bonier bloß fünf, sonst müsst ich's weghaun.«

»Ja, Dank Dir, die back ich dann fürs Frühstück morgen auf. Heut Abend gibt's Spaghetti, hat der Stefan Dir gesagt, dass wir zehn deka Faschiertes brauchen?« (Für Euch deutsche Leser: zehn deka (dag) Faschiertes sind 100 Gramm Hackfleisch.)

»Ist im Sackerl mit drinnen.«

»Danke schön, Du, ich muss, schönen Abend noch!«

»Dir auch, grüß zu Hause.«

Mit den Einkäufen voll bepackt – klar, bei Faschiertem, Wurst, Käse, Semmerl war es nicht geblieben, da kamen noch Cola Light und Almdudler dazu und keine Ahnung was sonst noch alles - ging's dann wieder nach Hause, wo ich dann auch bald darauf anfing, das Abendessen zu kochen.

Ihr habt richtig gelesen, ich war fürs Abendessen zuständig.

Stefan konnte nicht kochen, der ließ Wasser anbrennen oder wunderte sich, wenn Eier nach 20 Minuten immer noch nicht weich waren. Er hatte seinen Job, ging morgens gegen acht aus dem Haus und kam abends zwischen 18 und 20 Uhr heim. Ich war auf dem Gymnasium, hatte nachmittags in der Regel nach 15 Uhr keinen Unterricht mehr und machte dann Haushaltskram. Wäsche waschen, einkaufen, Abendessen kochen und so was. Zum Putzen hatten wir beide keine Lust, dafür gab's alle zwei Wochen eine Putzfrau. Ein reiner Männerhaushalt eben. Seit fast zwei Jahren lebte ich nun bei meinem Onkel Stefan in Wien. Eigentlich eher ein großer Bruder als ein Onkel. Stefan war elf, als ich geboren wurde; der kleine Bruder meiner Mutti.

Wo meine Mutter war, wollt ihr wissen? Die steckte mit ihrem Ekelpaket von Mann in Kenia. Hoteldirektor war der dort, Mutti musste mit, ob sie wollte, oder nicht. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte sie den nie heiraten dürfen, aber mich hatte ja keiner gefragt.

John hieß das Ekel, Mitte 40, Amerikaner aus dem Bible Belt, dem südlichen Mittelwesten, und genauso hatte er sich aufgeführt. Der Ehemann war King und was er sagte, wurde gemacht. Wenn etwas nicht nach seinem Willen ging, dann gab's Theater, manchmal handgreiflich oder mit dem Gürtel.

Was meint Ihr, was das für ein Aufstand war, als er bei mir ins Zimmer reinplatzte. Ich war gerade mit Daniel... na ja, geküsst habe ich ihn halt... und abschließen durfte ich ja nicht, die Schlüssel hatte John eingesammelt. Wir lebten noch in Deutschland, 14 war ich damals, und so blau und grün geschlagen hatte er mich noch nie, wie an dem Tag. Daniel hatte er einen Fußtritt verpasst, ihn am Genick gepackt und vor die Tür gesetzt, dann war er brüllend auf mich losgegangen. Wenn ich braun gebrannt bin, kann man heute noch die Narben von der Gürtelschnalle auf meinem Rücken sehen.

Irgendwann hatte ich Mutti dann mit ihm schreien gehört, so ganz bekam ich das aber nicht mehr mit, und am selben Tag hatte mich Mutti zu meiner Oma gebracht. Von Oma und Opa wurde ich dann ein paar Wochen verhätschelt. Das Thema John und Afrika war nach diesem Tag für mich jedenfalls gestorben. Ich hätte ja auch mitsollen, wäre vielleicht auch schön geworden. Welcher deutsche Junge darf schon in Afrika leben? Aber Mutti wollte nicht riskieren, dass mich ihr »Göttergatte« kaputtschlägt, nachdem er herausgefunden hatte, dass ich schwul war. Mit Mutti hatte ich zwar nie darüber geredet, aber ich glaub, sie hatte etwas geahnt. Onkel Stefan ist ja auch schwul.

Ich sollte also in Deutschland bleiben, bei Oma und Opa. Nur, so ganz glücklich war ich darüber halt nicht. Wer will schon auf nem Dorf leben? Ich sag Euch: Remlingrade! Kennt Ihr nicht? Kein Wunder. Ganze 62 Einwohner, gehört zu Radevormwald. Sagt Euch auch nichts? Naja, wie erklär ich's Euch... Radevormwald liegt schätzomativ 20 Kilometer wupperaufwärts von Wuppertal, viel hügelige Landschaft, einige Stauseen, aber sonst nichts. Remlingrade wiederum befindet sich etwa sieben Kilometer außerhalb von Rade.

Mit mir nicht! So schön es war, die Großeltern zu besuchen; leben wollte ich dort sicher nicht. Blieb als Alternative Muttis kleiner Bruder, den hatte ich zwar seit Jahren immer nur zu Weihnachten gesehen, weil er in Wien lebte... Aber Wien: knapp 2 Millionen Einwohner – im Vergleich zu den 360.000 in Wuppertal eine riesige Stadt. Wenn ich schon nicht bei Mutti bleiben konnte, dann wollte ich nach Wien. Außerdem war Stefan voll in Ordnung. Schwul, 25, fährt Motorrad – nen Chopper mit Beiwagen, wie cool kann man sein? - und seine Wohnung war auch groß genug für zwei. Als er noch in Deutschland gelebt hatte, war er meistens mein Babysitter gewesen, wenn Mutti abends hatte fortgehen wollen und da hatten wir uns immer prima verstanden.

Also wurde ich in den Sommerferien mit Sack und Pack in den Zug gesetzt. Zehn Stunden später war ich in Wien. Ich hatte nicht gewusst, dass die in Österreich so komisch reden. Das hat ne ganze Weile gedauert, bis ich mich an die Sprache gewöhnt hatte. Auch heute gibt's ab und zu noch mal nen Ausdruck oder ne Redewendung, die ich noch nie gehört hab, aber so im Großen und Ganzen hatte ich mich recht schnell eingelebt. Im selben Haus wie wir wohnte eine chinesische Familie mit einer Tochter, die auch 14 war und wohl in dieselbe Schule ging, die ich auch besuchen sollte. Wu Jialan hatte mir dann, wenn Stefan keine Zeit hatte, Wien gezeigt. Für ein Mädchen war sie ganz in Ordnung.

Kaum waren Sauce und Spaghetti fertig, tauchte Stefan dann zu Hause auf.

»Hi Fips.«, sagte er, umarmte mich und wuschelte mir durch die Locken. Also wenn jemand mich Fips nannte, dann zuckte ich aus, nur Stefan durfte das. Das hatte ich ihm leichtsinnigerweise mal erlaubt, als ich vier war oder so. Dafür nannte ich ihn »Dicker«, nicht gerade zartfühlend, aber bei seinem Übergewicht musste er das aber abkönnen. Mutti nannte ihn ja auch so, und er war nun mal gut zehn Zentimeter kleiner als ich, dafür aber mindestens 20 Kilo schwerer.

»Nabend Dicker, Essen ist fertig.«

»Prima, riech ich Spaghetti Bolognese?«

»Ja, hatten wir doch heute früh so besprochen.«

»Was gibt's Neues in der Schule?«

»Den Schnuckel hab ich heute wieder gesehen. Jetzt weiß ich auch, wie er heißt. Hannes!«

»Ach, hast endlich mit ihm geredet?«

»Nein,« Mann, ich hasste das, wenn ich rot wurde, aber mir wurde allein beim Gedanken daran, den Typen anzusprechen, immer ganz anders. »Ich hab mitbekommen, dass einer seiner Klassenkameraden ihn Hannes genannt hat.«

»Fips, Du bist zu schüchtern. So kriegst Du nie nen Mann ab, wenn Du ihn nicht ansprichst. Du kannst nicht immer drauf warten, dass Du angequatscht wirst, vor Allem nicht, wenn Du nen bestimmten Mann willst.«

Ja, Stefan hatte ja Recht, aber was sollte ich machen? Ich hatte halt Angst davor, ihn anzusprechen. Was, wenn er hetero war? Oder nichts von mir wollte? Und er mich in der Schule outete? Aber so viel besser schien es Stefan ja auch nicht zu gehen... der letzte feste Freund war ausgezogen, kurz nachdem ich eingezogen war. Naja, wenigstens hatte der Ex vorher die komplette Wohnung verkabelt und wir hatten Internetanschluss in jedem Zimmer.

»Ich weiß, aber das ist nicht so einfach...« Inzwischen war der Tisch gedeckt und wir hatten uns beide die Teller vollgepackt.

»Ok, ok, eigentlich wollt ich ja auch wissen, wie es sonst in der Schule so läuft. Alles im grünen Bereich?«

»Hmmm, ja...« - Das war jetzt nicht so ganz die Wahrheit. Der Professor Zeilberger ging mir mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung gehörig auf den Zeiger. Zwei von den drei Schulaufgaben hatte ich schon ziemlich vergeigt, aber das brauchte Stefan nicht unbedingt zu wissen. Gut, ich würde keinen Fleck oder Fünfer bekommen, aber ein schwacher Vierer in Mathe würde mir den ganzen Schnitt versauen. In den meisten anderen Fächern stand ich auf Zwei, in Englisch mit ein bissi Glück auf Eins. Die nächste Schulaufgabe würde das entscheiden. Einen Einser und einen Zweier hatte ich bis jetzt.

»Ich geh später noch zu Jialan rauf, um ihr mit Englisch zu helfen. Oder brauchst Du mich heut Abend für irgendwas? Wäsche hängt auf dem Balkon, wenn Du die vielleicht abnehmen kannst, bevor Du ins Bett gehst?« Schnell einen Themenwechsel... und eigentlich wollte ich zu Jialan, weil sie in Mathe um Häuser besser ist als ich und sie mir die Hausaufgaben erklären sollte.

»Null Problemo, schau, dass Du bis Mitternacht wieder herunten bist, morgen ist Schule, ok?«

»Was machst Du heute Abend noch, Stefan?«

»Ich werd ein wenig mit den Leuten von Nickstories chatten, da gibt's in der Redaktion noch was zu besprechen, bevor die nächste Woche nach Ulmen aufs Treffen fahren. Sag mal, willst Du zum Herbsttreffen mit? Dann schick ich dem Björn ein »Mehl« und meld uns beide an.«

»Weiß nicht. Wenn, dann geht's eh bloß am Wochenende, ich hab ja Schule. Können wir das irgendwann später entscheiden? Ist doch noch ne Weile hin, bis zum Herbst.«

»Also, das mit der Schule kriegen wir schon irgendwie hin, ich würd Dir, wenn Dein Zeugnis entsprechend ausfällt, ne Entschuldigung schreiben. Notfalls holen wir uns für Dich nen 'Rosa Urlaubszettel'.«

Rosa Urlaubszettel hörte sich nicht schlecht an... unser Hausarzt, übrigens auch schwul, war mit Krankschreibungen, na ja, sagen wir mal recht großzügig. Wenn man hinging und sagte, man fühlt sich nicht wohl, bekam man ne Woche frei. Und die ärztliche Krankmeldung in Österreich ist ein rosa Formular, deshalb rosa Urlaubsschein. Nur zu oft durfte man das halt nicht machen, sonst fiel das irgendwann auf.

»Hmm, ich denk drüber nach. Ich geh dann mal zu den Wus rauf. Bis später.«

»Bis dann.«

Also die Familie von Jialan wohnte genau drei Stockwerke über uns. Deren Wohnung war genauso groß wie unsere, drei Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küche, Bad und WC. Nur, während wir Teppichboden hatten, das kleinste Schlafzimmer als Arbeits- und Gäste- und Gerümpelzimmer nutzten, im Bad einen Whirlpool hatten und unsere Wohnung eher spärlich möbliert war, gab es oben Parkett und die ganze Wohnung war mit bunt lackierten Möbeln im chinesischen Stil vollgestellt. Jialans Zimmer war das, was bei uns das Arbeitszimmer war, und in den anderen beiden Zimmern schliefen ihre Eltern und Großeltern. Wir machten an dem Abend natürlich kein Englisch und auch nicht viel Mathe, vielmehr hörten wir Musik und redeten über Jungs. Jialan war die einzige außerhalb meiner Familie, die wusste, dass ich schwul war. Sie hatte sich einmal gewundert, warum ich nie eine Freundin hatte und mich dann gefragt. Nachdem ich ihr wahrheitsgemäß geantwortet hatte, waren wir, glaube ich, noch enger befreundet und sie ging, wenn sie abends fortgehen durfte, ab und zu mit Stefan und mir gemeinsam fort. Anscheinend hatte Stefan früher auch für sie den Babysitter gespielt und ihre Eltern vertrauten ihm, dass er sie unbeschadet heimbringen würde. Als er den Beiwagenchopper noch hatte, hatte sie sogar im Beiwagen mitfahren dürfen. Ich in der Anfangszeit übrigens auch, aber als ich ein paar Monate hier war, verkaufte Stefan das Gespann und schaffte die alte BMW an.

***

Ein paar Wochen später hatte ich dann Ärger in der Schule und weinte mich bei Tristan aus. Tris und ich chatteten eigentlich regelmäßig miteinander und ich konnte ihm, obwohl oder vielleicht weil wir uns nie gesehen hatten, alles erzählen.

[Greeneyes] hi tris

[Tristan18] seas grüni, wie gehts da?

[Greeneyes] nich gut, der matheprof macht trouble. stefan soll in seine sprechstunde kommen :-((((

[Tristan18] blede g'schicht. wasn los?

[Greeneyes] weiss nich, vielleicht hab ich die dritte schularbeit auch vergeigt. irgendwie hat der prof was gegen mich, ständig ruft er mich zur tafel und blattelt mich auf :-(

[Tristan18] so ein schwachoni. kannst da nix machen? hattst nich verzählt, ihr habts schonmal in der schul an wirbl gschlagn?

[Greeneyes] ja, aber damals wars die schulbehörde, da sind wir von a nach b gerannt, nur um mich in der schule anzumelden, und die haben sich blöd gestellt. erst wolltens die unterlagen vom

carl duisberg gymnasium wuppertal nicht akzeptieren, dann hams gezickt, weil stefan nicht mein vater sondern mein onkel ist und meine eltern in afrika, und ein jahr zurückstufen wolltens mich auch. ein glück, dass wir denselben nachnamen haben, sonst wär denen da auch noch was eingefallen... stefans boss hat da dann wohl ein paar beziehungen spielen lassen und die bagage war plötzlich scheissenfreundlich.

[Tristan18] kann stefans cheffe da nich wieda?

[Greeneyes] na, diesmal bin ich ja selber schuld

[Tristan18] ??

[Greeneyes] ich kapier den scheiss halt nicht – zumindest nich so, wie der prof das erklärt

[Tristan18] *knuddel & tröst* was tut sich ander schnuggelfront?

[Greeneyes] dangge. das alte speil, ich trau mich nich, der ist doch 100 pro hetero. ich seh ihn ständig und muss dauerdn an ihn denken. hilft natürlich toll bei mathe, wenn ich an schnuggel denk und nich zuhör, was der pausenclown da vorn verzapft :-(

[Tristan18] LOL

[Greeneyes] mir is nich zum lachen, sorry

[Tristan18] mal was anders...

[Greeneyes] ja?

[Tristan18] was machstn mittwoch

[Greeneyes] mittwoch? was ist denn mittwoch?

[Tristan18] der mittwoch ist der erste mittwoch im monat

[Greeneyes] ja und?

[Tristan18] mann bist du heut bled, denkst immer noch an schnuckel? jeden ersten mittwoch is chattertreffen in der x-bar. hast lust? könntn uns endlich mal kennenlernen

[Greeneyes] hmmm, weiss nich

[Tristan18] na geh, i werd di schon ned fressn

[Greeneyes] ok, wann?

[Tristan18] 20 uhr?

[Greeneyes] bissi später. halb 9?

[Tristan18] ok, mittwoch halb neun dann :-)) gfrei mi scho drauf

Am Mittwoch Abend bekam ich dann den Schock meines Lebens. In der X war ich ja kein Fremder, bin mit Stefan ja hin und wieder dort gewesen und die Kellner kannten mich. Thomas fragte auch sofort, ob ich zufällig da wäre, oder wegen des Chattertreffens. Alle Besucher des Chattertreffens würden nämlich einen Gratis-Cocktail bekommen, man musste sich nur bei Ernst oder Jutta einen Aufkleber mit dem Chatnick drauf holen. Dann stellte er mir die beiden vor. Jutta hatte mir ein Namensschild mit [Greeneyes] drauf verpasst und ich hatte gerade von Thomas den rainbow-Begrüßungscocktail bekommen, als Schnuckel Hannes zur Tür reinkam. Kennt Ihr die X-Bar? Also so groß, als dass man da jemandem aus dem Weg gehen könnt, ist die nicht. Im Gegenteil, wenn man an einem Ende der Bar stand und nicht gerade blind war, konnte man das Namensschild von jemandem, der am andern Ende stand, noch entziffern.

Hannes kam rein, ging sofort auf Ernst und Jutta zu und begrüßte die beiden mit Bussi-links-Bussi-rechts. Er schien sie also schon recht gut zu kennen. Dann bekam auch er ein Namensschild verpasst, womit klar war, dass er Chatter war. Ich dachte mir dann noch, wenn wer auf rainbow chattet, bei dem ist's unwahrscheinlich, dass derjenige hetero ist, aber so ganz eingesunken war die Erkenntnis dann doch noch nicht, als sich Hannes zur Bar umdrehte und seinen Begrüßungscocktail in Empfang nahm.

Dabei wurde allerdings sein Namenspickerl verdeckt. Er schaute sich um und grinste mich an.

Und dann sah ich es!

Sein Namensschild!

Schnuckel Hannes war T R I S T A N 1 8 !!!

Mir wurden die Knie weich, alles drehte sich und ich musste mich krampfhaft an der Bar festhalten, um nicht in Ohnmacht zu fallen.

Tristan18, mein bester Chatfreund.

Hannes, der Gott, den ich seit fast einem halben Jahr aus der Ferne anschmachtete.

Tristan = Hannes!

Ich hab dann nur noch gedacht: ,Scheiße, was mach ich jetzt?' als er plötzlich neben mir stand und mich frech angrinste: »Ich glaub, wir kennen uns.«

»...« Ich war zu keinem Ton fähig.

»Du bist Greeneyes, oder?« Offensichtlich konnte er lesen. Sehr geübt im Anquatschen von Jungs konnte er allerdings auch nicht sein, den Sprüchen nach zu urteilen, mit denen er mich ansprach, schoss es mir durch den Kopf.

»...« Sprachlos war gar kein Ausdruck, ich fühlte mich mehr als nur sprachlos.

»Klar bist Du Greeneyes, sonst hättest Du ja nicht das Pickerl. Aber ich kenn Dich von wo. Gehst Du nicht auch aufs BRG7 in die Kandlgasse?«

Bundesrealgymnasium Kandlgasse, Gymnasium mit Schwerpunkt Biologie, Ökologie und Informatik, meine Schule... Na klar ging ich aufs BRG7, sonst hätte ich mich ja nie in ihn vergucken können... Aus der Nähe war er ja noch viel süßer, ein wenig größer als ich, irgendwo zwischen 185 und 190, dunkelblond, fast braun, leichte Stupsnase... und sein Lächeln...

»Ja.«, flüsterte ich und lief bis unter die rotblonden Haarspitzen knallrot an. Mann war das peinlich. Da stand ich neben meinem Gott und brachte keinen gescheiten Ton über die Lippen, sondern hielt mich krampfhaft an Theke und Cocktail fest und hatte eine Gesichtsfarbe, dass ich mich in jedem holländischen Gewächshaus hinter den Tomatenpflanzen hätte verstecken können.

»Also, wie Du sicher schon gemerkt hast, bin ich Tristan. Hannes im richtigen Leben. Eigentlich Johannes, aber untersteh Dich! Und Du?«

»Fips.« Scheiße, was machte ich da? Redete ich mit ihm? Und warum stellte ich mich als Fips vor? »Na ja, Philipp, aber Du darfst Fips sagen.« Der Typ hatte mich total verwirrt.

So langsam kam ein Gespräch in Gang, wobei ich nicht mehr sagen könnte, worüber wir sprachen. Der ganze Abend ist mir irgendwie nur nebelhaft in Erinnerung und das lag nicht am Alkohol. Ich trank selten und wenig Alkohol. Ein einziger gewaltiger Kater vor einiger Zeit hatte mich davon geheilt. Stefan hatte mich gewarnt, dass Jägermeister sehr lecker ist, aber schreckliche Kopfschmerzen verursachen würde; ausprobieren musste ich es natürlich trotzdem und kaum kam ich aus dem Lokal – Debakel hieß es und ein Debakel war der nächste Morgen – gab mir die Frischluft den Rest.

Ich weiß nur noch, dass ich gegen Mitternacht vom Chattertreffen nach Hause kam, auf Wolke 7 schwebend, und am nächsten Morgen wohl sehr komisch aus der Wäsche geschaut haben musste. Stefan sah mich ein wenig seltsam an, musste aber dann schnell fort. Irgendwoher nahm ich dann den Mut, Tristan am Freitag im Chat zu sagen, dass er der Schnuckel war, von dem ich ihm die ganze Zeit vorgeschwärmt hatte.

[Greeneyes] du hast richtig gehört, du bist der Schnuckel

[Tristan18] ich?wow

[Greeneyes] ja, du. seit monaten schau ich dir nach – aber das weisst du ja, hab ich dir ja oft genug erzählt, als ich noch nicht wusste, wer du bist

[Tristan18] cool. ich find dich auch irgendwie

[Greeneyes] was?

[Tristan18] sympathisch, liab, i weiss ned, auf jeden fall will ich dich näher kennenlernen

[Greeneyes] ich dich auch

[Tristan18] i bin am land draussen, magst herkommen, was grillen oder so?

[Greeneyes] jetzt?

[Tristan18] klar, heut ist freitag, keine schule morgen... zwölfaxing, wart, i mehl dir ne wegbeschreibung

[Greeneyes] *froi*

[Tristan18] bis gleich dann

Zwölfaxing... raus bis Schwechat und dann seitlich in die Pampas. Dass da öffentlich abends fast nichts zu machen ist, war mir nach einem kurzen Check der VOR-Fahrplanauskunft klar. Hin wäre ich gerade noch gekommen, zurück am Abend allerdings nie. Der Mopedtank war fast leer, außerdem war's auch fürs Moped ein wenig weit draußen.

Ich schnappte mir die Schlüssel von Stefans BMW, darauf vertrauend, dass er das eh nicht merken würde. Bis er nach Hause käme, wollte ich auch schon wieder zu Hause sein. Fahren konnte ich das Teil. Zumindest dachte ich das. Zwei Räder sind zwei Räder, war die Überlegung, also das Grundprinzip nicht anders, als mein Moped. Dachte ich, bis ich die Maschine vom Ständer schob. 95 Moped-Kilos fühlten sich dann doch etwas anders an, als die 220 oder so kg, die ich nun zwischen den Beinen hatte. Noch schlimmer: mein Moped hatte 3 PS, die BMW 65... Wow, das Ding ging ab wie ein Zäpfchen. Jedenfalls war ich in Rekordzeit bei Tristan/Hannes.

Beim Grillen kamen wir uns schnell näher, wir quatschten, dann knutschten wir und lernten uns kennen, sehr gut kennen. Nein, so gut auch wieder nicht, die Hosen blieben zu. Na ja, fast zu, und wenn irgendwer irgendwem ein Sterbenswörtchen steckt, dass wir fast ne halbe Küchenrolle brauchten, um hinterher die Spuren zu beseitigen, dann streite ich alles ab und erzähle Euch keine Silbe mehr!

Irgendwann schaute ich auf die Uhr. Mitternacht war längst vorbei, es ging auf Zwei zu.

,Verfluchter Mist' dachte ich ,ich muss nach Hause, hoffentlich hat Stefan nix gemerkt.' Gedacht, getan, rein in die Klamotten, ab aufs Bike und los ging's, und bis kurz vor Schwechat ging's auch gut. Dann die Kurve. Rollsplitt? Ölspur? Schotter? Keine Ahnung! Die Maschine rutschte mir unterm Hintern weg und ich landete mit lautem Scheppern im Graben. Glück im Unglück, ich machte keine Asphaltbremse sondern eher einen Köpfer in die Wiese, sonst wär's vermutlich böse ausgegangen. Die Jacke hatte ich nämlich offen gelassen, weil ich den Fahrtwind spüren wollte. Das Motorrad kam halb auf meiner Jacke zu liegen, aber ich konnte mich herauswinden und stellte dabei fest, dass mir mein linkes Bein verflixt weh tat. Aufstehen konnte ich zwar, fiel aber sofort wieder hin, als ich das Bein belasten wollte. Hilfe rufen konnte ich auch nicht, mein Handy steckte in der Jacke unterm Motorrad, und wie sich dann herausstellte, hatte das Handy den Sturz nicht überlebt, sondern war zwischen Jacke und Bike zerquetscht worden. Nach etwa 5 Minuten kam zuerst die Gendarmerie und dann die Rettung, und ich hatte die ganze Zeit eine Urangst, dass mich die Gendarmen nach meinen Papieren fragen würden. Zum Glück wurde ich abtransportiert, bevor die Frage gestellt wurde.

Stefan führte dann, nachdem ich aus der Notaufnahme in ein Zimmer gebracht wurde, ein Heidentheather auf. So wütend hatte ich ihn noch nie gesehen – ich musste aber zugeben, so eine Aktion hatte ich mir auch noch nie geleistet.

Nachmittags tauchte dann Hannes im Spital auf und blieb bis abends. Dreimal dürft Ihr raten, was wir machten... Richtig... Das ganze Wochenende war er eigentlich bei mir im Spital, und als ich am Montag entlassen wurde, kam er mit Stefan um mich abzuholen. Jialan versorgte mich mit Hausaufgaben und als ich dann ab Mittwoch mit Gips und Krücken wieder in die Schule musste, war Hannes zur Stelle, um mir meine Tasche die paar hundert Meter von und zur Schule zu tragen.

In den Wochen, in denen ich mit Gips gehandicapt war, lernten wir uns in- und auswendig kennen. Na ja, eher auswendig als inwendig, wenn ihr versteht, was ich meine. Der Gips wirkte auch ein wenig als Verhüterli, nicht alles war mit Gips möglich. Das Schönste war jeden Abend die Generalreinigung... Der Gips durfte ja nicht nass werden, und um das zu verhindern, kletterte Hannes mehr als nur einmal mit mir in den Whirlpool. Hmmm, so barfuss bis zum Hals sah er fast noch leckerer aus, als in Klamotten. Und das Gefühl, wenn seine Hand in einem Waschlappen steckte und mir den Rücken einseifte... oder von hinten um mich herumgriff, und meine Brust- und Bauchmuskeln wusch...

Eines Abends, nach erfolgreicher Waschung, Hannes und ich kamen gerade nur mit Gips und Handtuch bekleidet aus dem Bad, ging plötzlich die Wohnungstür auf. Hannes war mir ein paar Schritte voraus und meinte:

»Hallo Stefan, Du bist heut aber pünktlich dran.«

»Nabend Hannes, ja, ich hab wen zum Abendessen mitgebracht. Habt Ihr schon was gekocht?«

»Fips hat Lasagne gemacht, die steckt im Backrohr und sollte jede Minute fertig sein.«

»Prima.«, und dann, nach hinten gewandt, »ich hoffe, Du magst Lasagne? Philipp ist ein sehr guter Küchenchef und seine Lasagne ist Weltklasse.«

In dem Moment bog ich um die Ecke, blieb schlagartig stehen und fiel fast aus den Pantoffeln, während sich das Handtuch langsam von meiner Hüfte löste.

»Herr 'Fessor, was...?«

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