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Bund
Teil 3 - Farbe
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Informationen
- Story: Bund
- Autor: Carsten
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out
Platsch... Pause. Platsch... Pause. Platsch...
Decken anstreichen war doch ganz schön schwierig. Das hatten wir nicht gelernt. Entweder, man nahm zu wenig auf die Rolle, und dann kam man mal gerade 40 cm weit, bevor die Deckkraft nachließ, oder man nahm zu viel auf die Rolle, und dann tropfte es. Gut, dass wir die Planen bekommen hatten. Wir hatten sie reichlich verteilt: in Vorahnung unseres Geschicks im Deckenstreichen hatten wir sie zum Teil doppelt und dreifach gelegt. Genug mitbekommen hatten wir ja.
Ich habe jetzt eine Woche übersprungen. Eine Woche voller normaler täglicher Routine, aber auch voller vieler kleiner netter Gesten und guter Gespräche. Wir hatten uns gut eingearbeitet in unseren Job, und unser Leutnant war mit uns mehr als zufrieden. Wir mussten ihn schon bremsen, dass er das nicht gar zu laut hinausposaunte, denn wir wollten vor den anderen ja nicht als Streber gelten. Dens detektivischer Spürsinn hatte sich schon einmal voll entfalten dürfen: Der Leutnant war unzufrieden mit einer Abrechnung, weil die Menge zu klein war. So wenig bestellte man doch nicht. Aber ein Vergehen war das ja auch nicht direkt. Normalerweise war das Problem umgekehrt: Es wurde mehr bestellt als benötigt, und dann davon abgezweigt. Aber wenn eine Einheit zuwenig bestellt? Als der Leutnant damit zum Oberst ging, telefonierte Den mit verschiedenen anderen Einheiten (die Telefonnummern hatte er sich schon vorher am Computer rausgesucht) und holte unter fadenscheinigen Ausreden Erkundigungen ein. Als der Leutnant wiederkam und immer noch nicht wusste, woran er war, klärte Den ihn auf: Die fragliche Einheit war eigentlich überhaupt nicht von diesem Zeug abhängig. Während die meisten vergleichbaren Einheiten dies bestellen mussten (und zwar in größeren Quantitäten), war hier die Situation ausnahmsweise anders, und eigentlich hätte so eine Bestellung überhaupt nicht erfolgen dürfen. Die zu geringe Menge, die den Verdacht des Leutnants erregt hatte, resultierte wohl daher, dass die Beschaffungsstelle mit derartigen Bestellungen keinerlei Erfahrung hatte und daher nicht wusste, was eine normale Menge war. Sicherheitshalber hatten sie mal lieber niedrig gepokert, aber das war auch falsch gewesen. ... Nun, der Leutnant würde erst einmal prüfen müssen, ob tatsächlich böse Absicht vorlag. Oft lag es an Dummheit, und wir mussten ja auch im Sinne der Verteidigung recherchieren, und das hieß jetzt: auf Dummheit plädieren. Aber ohne Den hätte der Leutnant gar nicht gewusst, wonach er schauen soll. Seit diesem Vorfall band der Leutnant uns mehr und mehr in seine Untersuchungen ein. Ein so spektakulärer Fall war nicht mehr dabei, aber hier und da konnten wir ihm schon etwas helfen.
Und diese Woche war er nun auf einer Fortbildung. Zumindest die ersten beiden Tage, und da konnten wir loslegen. Die Fahrbereitschaft hat uns voll unterstützt: mit all den Planen wäre der Weg vom Materiallager zur Baracke auch etwas schwer geworden. Wir hatten uns gedacht, dass wir als erstes die Decke streichen, da die Wand dann später fehlerloser aussehen würde. Wir durften in grün antreten, und zusätzlich hatte man uns in der Kleiderkammer Overalls gegeben.
Den stand auf der Leiter. Die war aus dem Keller der Baracke und ein wenig wackelig. Also hielt ich die Leiter fest, während er sich reckte, um möglichst viel Decke zu erreichen. Es tropfte, aber ich passte schon auf, dass mich das nicht traf. Ich hatte es ja vorhin auch nicht besser hinbekommen. Ich hielt die Leiter von hinten, so dass ich Den ins Gesicht sehen konnte, wenn er rauf- und runterstieg. Er hatte den Eimer oben eingehängt, und gerade war er wieder einen Schritt herunter gekommen, um ein sorgfältig abgewogenes Maß Farbe auf die Rolle zu bekommen. Er wollte nun endlich wissen, wieviel es genau sein muss, damit es nicht tropft, aber doch eine gute Bahn ergibt. Also wieder einen Schritt rauf, um an die Decke zu kommen... halt, was hakt denn da an seinem Knie? Platsch. Da hatte er auch schon den halben Farbeimer über mich ausgeleert. Mitten ins Gesicht. Ich sah die Katastrophe zwar kommen, aber irgendwie hatte ich reflexartig die Leiter mit beiden Händen festgehalten, und konnte sie einfach nicht loslassen. Das hätte ich aber gemusst, um einen Schritt zurückzutreten, oder auch nur die Hände schützend vors Gesicht zu halten. So blieb mir nur, rechtzeitig die Augen zu schließen (na, den Reflex hat man ja drauf), und dann spürte ich auch schon lauwarm wie unter der Dusche, nur zugleich seltsam weich, wie sich zwei Liter Farbe auf meinem Gesicht verteilten. Ich hörte ein erschrockenes scharfes Lufteinziehen von Den, aber gleichzeitig breitete sich ein breites Grinsen über mein Gesicht. Mir machte die Sache Spaß. Noch. Aber das Grinsen bewirkte keine Entspannung: Den sah es nicht. Zuviel Schminke... (weiß). Als erstes wischte ich mir mit dem Finger den Mund frei, so dass ich atmen (und lachen) konnte. Dann die Augen... vorsichtig, aber ja, ich konnte sie öffnen. Und sah eine Tomate. So einen roten Kopf habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Das muss ein Bild für die Götter gewesen sein: der eine weiß, der andere rot.
„Oh Gott, was hab ich ... Das wollte ich nicht... Tut mir leid, tut mir sooo leid...“
„Hmmmpf, he he he, ha ha, mach dir nichts draus, ha ha ha, aber mach doch mal schnell die Tür zu, hi hi hi.“
Den war immer noch zu verwirrt, um mitzulachen, aber er verstand, was ich meinte, und stieg schnell von der Leiter und machte die Tür zu. Ich mäßigte mich mit meinem Lachen, denn ich wollte ja nicht die ganze Baracke zusammenlachen, aber ich kriegte mich noch immer nicht ein. Bei Den wich die Verunsicherung allmählich auch einer gedämpften Heiterkeit, und dann griff er zum Handtuch und reichte es mir, damit ich mich säubern konnte. Gut, dass wir ein Waschbecken im Zimmer hatten. Das Handtuch musste mehrmals herhalten, wurde ausgewaschen und wieder benutzt, und am Ende kam mein unverschämtes Grinsen wieder unverfälscht ans Tageslicht. Das Haar hatte nicht viel abbekommen, nur der Haaransatz, und den konnte ich auch gut auswaschen. Der Overall hatte ordentlich was abbekommen, was wir auch abgetupft hatten, aber die Uniform darunter war nur am Hemdkragen betroffen. Gut, dass wir die Tür geschlossen hatten. Keiner hatte was gemerkt. Vielleicht hatten sie was gehört, aber das war ja klar, dass zwei Rekruten ohne ihren Chef etwas Spaß hatten. Wir beschlossen, erst einmal weiterzumachen. Eine halbe Stunde nach dem Unfall waren wir auch wieder voll bei der Sache, und nur ein genauer Beobachter hätte Spuren bemerkt (wobei ein wenig Farbe in den Haaren wohl als normal durchgegangen wäre). Glücklicherweise hatte man uns zwei Farbeimer mitgegeben; die Farbe würde also auch reichen.
Eine halbe Stunde vor dem Mittagessen war die Decke fertig, und ich begann, eine Wand zu streichen. Den hingegen lief rasch zur Unterkunft und holte mir ein frisches Hemd. Wir hatten beschlossen, dass ich schon zum Mittagessen wieder vorzeigbar sein sollte. Er brachte auch noch ein frisches Handtuch und Shampoo mit, und so war ich pünktlich zum Mittagessen wieder vollständig hergerichtet. Am Nachmittag schafften wir tatsächlich alle anderen Wände, inklusive Abrücken der Regale. Morgen könnten wir dann die Planen wegnehmen, und die Regale wieder an Ort und Stelle rücken.
Am Abend sortierten wir dann Poster. Jeder von uns hatte einen ganzen Stapel mitgebracht. Wir wollten insgesamt sechs Poster aufhängen. Die einfachste Lösung wäre gewesen, jeder sucht seine drei Lieblingsposter aus. Aber so einfach wollten wir es uns nicht machen. Wir schauten beide Stapel gemeinsam durch, und machten Vorschläge auch (nein: überwiegend) aus dem Stapel des jeweils anderen. Am Ende hatten wir die engere Auswahl auf zehn Poster eingeschränkt. Dabei berücksichtigten wir nicht nur, was uns gefällt, sondern auch, ob die Bilder zueinander passten, und wie sie sich wohl im Büro machen würden. Wir beschlossen, diese zehn Poster morgen mitzunehmen und vor Ort zu entscheiden, welche davon wir aufhängen würden.
Am nächsten Morgen traten wir wieder in grün an. Wir rollten die Planen zusammen: das hatte prima funktioniert, nur ein, zwei kleine Farbspritzer hatten den Weg auf den Holzfußboden gefunden, die hatten wir rasch beseitigt. Dann zogen wir die Abklebebänder ab, schoben die Regale an ihre Stelle, und als wir ein wenig aufgeräumt hatten, konnten wir unser Œuvre begutachten. Wir waren hin und weg. Das war ein Unterschied wie Tag und Nacht. Dann bestellten wir die Fahrbereitschaft, die uns wieder beim Abtransport der Materialien half. Anschließend überließ ich Den die Aufgabe, die Poster auszuwählen und aufzuhängen, und ging in die Werkstatt. Ich hatte schon Maß genommen, konnte also sofort loslegen. Die Werkstatt war wirklich gut ausgerüstet. Es war alles da, was man brauchte, und in gutem Wartungszustand. Die Zivilbediensteten, die dort arbeiteten, hatten gerade wenig zu tun und hätten den Auftrag auch sicher selbst ausführen können, aber es machte mir Spaß, es selbst zu tun, und sie ließen mir freie Hand. Nicht nur die Werkzeuge waren gut sortiert, auch das Materiallager, und schnell hatte ich zwei geeignete Fichtenbretter ausgesucht. Sie waren zwar schon gehobelt, aber nicht allzu gut, also hobelte ich sie erst mal ordentlich nach. Das Zuschneiden war die geringste Arbeit. Eigentlich wäre das schon genug gewesen, und ich hätte ans Lackieren gehen können. Aber ich wollte es gründlich machen. So rundete ich die Kante ordentlich ab, und dann stach ich auf der Unterseite nahe der Vorderkante auch noch eine Rille aus, die das Ablaufen von Verschüttetem auf die Vorderkante des Fensterbretts beschränken sollte. Früher hätte man auf der Oberseite hinten noch eine Mulde für Kondenswasser von den Fenstern eingearbeitet, aber das waren gute Doppelglasfenster, das einzige, was in die Renovierung dieser Baracke investiert worden war. Da lief nichts mehr ab, und also brauchte es diese Mulde nicht. Eigentlich hatte ich vorgehabt, die Bretter weiß zu lackieren, aber das Holz war sehr schön, und so entschied ich mich für einen stoßfesten transparenten Lack (alles war da). Nach dem Abstauben kam also eine Grundierung mit einem verdünnten Lack, die sollte erst mal eine Stunde antrocknen.
Ich nahm verschiedene Stechbeitel und ein Brecheisen mit, da ich nicht wusste, wie gut die alten Fensterbretter rausgehen würden. Unser Büro hatte eine weitere Wendung zum Guten genommen. Das waren nicht sechs Poster, das war eine Gesamtkomposition. Nahe dem Fenster hing eine fast schon romantische Landschaftsansicht, die passte sowohl zur Aussicht als auch zu den hoffentlich bald wieder aufgefrischten Blumentöpfen. Verschiedene Kunstposter waren farblich und von der Größe her aufeinander abgestimmt. Hinter dem Schreibtisch des Leutnants hing « Ceci n’est pas une pipe » von Magritte: das würde ihm gefallen. Denn wir wussten, dass er gerne Pfeife rauchte, wenn auch nie im Dienst. Ein farbenfroher Miro bildete den Blickfang, wenn man ins Zimmer hereinkam: richtig knallbunt, das machte sich gut auf der weißen Wand.
Die alten Fensterbretter gingen ganz leicht heraus: der Schwund hatte sie so schrumpfen lassen, dass sie schon fast locker in ihrer Fassung lagen. Natürlich machte das wieder etwas Dreck, den wir schnell beseitigt hatten. Nach dem Mittagessen ging ich wieder in die Werkstatt, um den Fensterbrettern einen Zwischenschliff und dann ihren finalen Anstrich zu geben. Als ich davon zurückkam, war Den ausgeflogen. Ich räumte noch ein wenig rum. Ah, über der Tür hing jetzt ein schlichtes Holzkreuz, das hatte vorhin noch nicht gehangen. Auch das hatte einen Bezug zu den Postern: das Poster, das der Tür am nächsten hing, zeigte eine Parodie auf das Abendmahl von Leonardo da Vinci, einen kahlen, leeren, sterilen Raum, der Tisch steht auch da, aber kein Mensch auf dem Bild, und die perspektivischen Linien laufen ins Leere. Ich war eigentlich fertig und überlegte, was ich als nächstes tun sollte, da kam Den, mit sechs neu bepflanzten Blumentöpfen.
„Alles von der Sandgrube.“
Den hatte sich eine Schubkarre und ein Schäufelchen ausgeliehen und war mit den Ruinen ehemaliger Blumentöpfe in die Sandgrube gefahren. Man würde meinen, da wäre nichts, was sich ins Zimmer zu holen lohnt, aber das hieße, einen eifrigen Absolventen eines Bio-Leistungskurses zu unterschätzen. Da gab es kleine Bäumchen („alles langsam wachsende, die müssen nicht gleich nächstes Jahr wieder raus“), einen winzigen blühenden Ginster, Heidekraut, ein kleiner Beerenstrauch mit leuchtend roten Beeren, aber auch das, was man so landläufig unter Blumen versteht: Gänseblümchen, eine wilde Anemone, und eine Staude, die er mir als „Dost“ identifizierte. Den hätte sofort als Florist arbeiten können: eine Ausbildung war dazu bei ihm offensichtlich nicht mehr nötig. Ein Stück Rinde mit einem Baumpilz drauf, ein Büschel Gras mit harten, langen Halmen, etwas Moos und ein paar strahlend weiße Kiesel, und die Kompositionen waren perfekt. Den hatte seine Werke zunächst auf seinen Schreibtisch gestellt, denn die Fensterbretter waren ja noch nicht eingebaut. Wir gossen sie (Den hatte Markierungen angebracht, welche Töpfe viel und welche wenig Wasser brauchen würden), und dann hatten wir nichts zu tun. Die Bretter würde ich erst kurz vor Dienstschluss einbauen, und so las ich etwas in meinem mitgebrachten Krimi, und Den surfte im Internet. Dann ging ich die Bretter holen, und etwas Dichtungsband. Denn die Bretter waren eine Kleinigkeit dünner als ihre Vorläufer und würden klappern, aber mit Dichtungsband konnte man das verhindern und zugleich dafür sorgen, dass kein Wasser dorthin drang, wo es nicht hingehörte. Die Bretter waren schnell montiert - das saubere Einpassen der Dichtungsbänder war noch die meiste Arbeit. Wir stellten die Blumentöpfe noch nicht drauf, damit der Lack noch etwas Zeit zum vollständigen Austrocknen hatte. Später in der Kantine stießen wir dann auf unser frisch vollbrachtes Werk an.
Tack... Pause. Tack...
Diesmal sollte ich Den leise wecken. Wir wollten beide vor dem Leutnant im Büro sein, um seine Reaktion zu sehen. Außerdem standen die Blumentöpfe noch nicht in ihrer Endposition. Den verzichtete also auf seine morgendliche Lesung und verschwand mit mir in Richtung Bad. Das war das erste Mal, dass ich nicht alleine duschte. Allerdings hatte ich bei Den sicher keine bösen Bemerkungen zu befürchten. Und insgeheim freute ich mich natürlich darauf, ihn vollständig nackt zu sehen. Das war aber auch ein schöner Anblick. Den hatte wirklich keine Blicke zu scheuen. Er war nicht kräftig, aber seine Muskeln zeichneten sich deutlich ab, denn da war kein Gramm Fett, wo es nicht hingehörte. Natürlich wollte ich nicht aufdringlich starren, aber so ganz glückte mir das nicht. Den bemerkte meinen Blick, und lächelte mich freundlich an. Wow, er hatte nichts dagegen. Dann drehte er mir den Rücken zu.
„Kannst du mir mal den Rücken einseifen?“
Und ob ich das konnte. Mir war richtig kribbelig zumute, aber ich ging sofort und so ungezwungen wie möglich ans Werk. Etwas peinlich war, dass sich mein Glied regte. Nun, er drehte mir ja den Rücken zu und sah es nicht. Leider war sein Rücken viiiieeel zu klein. Nach kurzer Zeit war er eben einfach eingeseift. Und mehr war nicht bestellt, und mehr tat ich also auch nicht. Er bedankte sich. Ach ja, er würde sich jetzt sicher gleich umdrehen... Oh, was tun? Ich drehte mich also selbst rasch um und bat ihn, nun auch mir den Rücken einzuseifen. Das tat er auch, und das trug natürlich nicht dazu bei, dass sich mein Erregungszustand milderte. Könnte er nicht ewig so fortfahren? Und er war schon gründlich, gründlicher als ich mich bei ihm getraut hatte. Als er fertig war, bedankte ich mich, drehte mich aber nicht um. Nun, ewig dauert so ein Erregungszustand nicht, besonders, wenn man kaltes Wasser zum Abduschen hat. Und dann war der schöne Spuk auch schon vorbei: Wir streiften Unterhose und T-Shirt über, und gingen daran, uns zu rasieren.
Wir hatten uns vom morgendlichen Appell abgemeldet, „aus dienstlichen Gründen“, und waren direkt nach dem Frühstück ins Büro gegangen. Dort waren wir erst mal mächtig beeindruckt von unserer eigenen Leistung. Den arrangierte die Blumentöpfe auf den Fensterbänken, und dann setzten wir uns an unsere Schreibtische und taten beschäftigt. Nicht lange danach kam der Leutnant frisch und gut gelaunt ins Büro gestürmt... um wie angewurzelt stehen zu bleiben. Seine Kinnlade fiel in der Tat mächtig runter.
„Wow... Jungs... Ich glaub's nicht. Was habt ihr da bloß gemacht.... Nee, das geht so nicht. Das müssen wir rückgängig machen, zumindest zum Teil. Ich kann ja unmöglich in einem schöneren Zimmer sitzen als mein Chef.“
Jetzt war es an uns, die Kinnladen fallen zu lassen. Allerdings nur einen kurzen Augenblick, dann sahen wir das verschmitzte Lächeln auf seinem Gesicht, und wir alle drei lachten prustend los. Dann ging er erst mal langsam durch das Zimmer, drehte sich in alle Richtungen, um auch alles in sich aufzunehmen. Beim Magritte blieb er aufmerksam stehen, drehte sich dann halb zu uns um und sagte: „So, so...“ Nicht gerade ein Intelligenzausbruch, aber doch eine Geste, die zeigte, dass er verstanden hatte, warum wir dieses Bild hinter seinen Platz gehängt hatten.
Am Vormittag bekamen wir viel Besuch. Zunächst ging der Leutnant zum Oberst und kam mit ihm wieder. Der Oberst war zum ersten Mal in unserem Büro. Wir standen sofort auf, aber er sagte, wir sollten uns setzen, und auch zukünftig keinen Aufstand machen, wenn er ins Zimmer käme. Dann bestaunte er erst mal gehörig unsere Leistung.
„Sag mal, brauchst du die eigentlich ständig? Kannst du die mir nicht mal ausleihen?“
Wir mussten alle lachen. Aber in der Tat: er hatte ein Problem: Wenn die anderen Rekruten uns nacheifern würden, wäre sein Zimmer bald das schäbigste von allen. Es war allerdings auch von vornherein besser in Schuss, aber gegen ein frisch renoviertes Zimmer fiel es doch deutlich ab. Aber er konnte ja jederzeit eine Malertruppe bestellen.
Dann kamen Abordnungen aus den anderen Büros. Alle waren begeistert. Es war eine klare Sache: Alle drei anderen Büros würden bald einer Renovierung unterzogen. Allerdings traute sich niemand, Fensterbretter zu machen. Mein Leutnant gestattete mir freimütig, den anderen anzubieten, das für sie zu übernehmen. Natürlich nur, wenn es der Dienstplan hergab. Und auch ansonsten würden wir ihnen zumindest mit Rat (Tat sollten die ja schon weitestgehend selbst vollbringen) beiseite stehen. Zum Beispiel, wie man eine Decke streicht, ohne dabei... nein, das hatten wir keinem erzählt.
Der Vormittag verging wie im Flug. Zwar gab es routinemäßige Arbeit, aber immer wieder nette Bemerkungen, Fragen, und andere Unterbrechungen, die mit unserer Renovierungsaktion zu tun hatten. Am Nachmittag kehrte dann allmählich der Alltag ein. Es gab aber auch viel zu tun, da der Leutnant zwei Tage nicht da gewesen war und die Rückstände möglichst bald aufarbeiten wollte. Aber der Alltag war einfach netter in einem schönen Büro.
Zwei Wochen sind nun vergangen, und noch immer freue ich mich jeden Morgen aufs Büro. Wegen Den? Oder weil das Büro so schön ist? Vermutlich eher wegen Den, aber die Renovierung hat doch auch erheblich dazu beigetragen, dass man sich dort auch wohlfühlen kann.
„Nun komm schon, wir müssen los.“
Wir hatten zum ersten Mal einen Auftrag außer Haus. Nein, kein Überfallkommando, das eine unangekündigte Razzia in einer Beschaffungsstelle ausführen sollte, sondern einfach ein Riesen Aktentransport. Viele verstaubte Akten (die kamen uns so nicht in unser schönes Büro! Die würden wir vorher außerhalb des Hauses mit dem Handbesen traktieren) aus einer anderen Dienststelle in unsere Abteilung überführen. Uns war nicht ganz klar, ob es sich noch um aktuelle Fälle handelte, oder ob wir einfach eine Art Archivfunktion für andere Abteilungen übernehmen würden, aber das mussten wir ja auch nicht wissen. Eigentlich hätte es gereicht, einen von uns mit der Fahrbereitschaft hinzuschicken, aber da Den einen Führerschein hatte, und da es aber zwei Leute zum Anpacken brauchte, hatte der Leutnant uns beide geschickt, wohl weil er wusste, dass wir uns darüber freuen würden.
Zwei Stunden Fahrt hin, Akten einsammeln, und wieder zwei Stunden Fahrt zurück, viel Zeit füreinander. Keinen Führerschein zu haben hatte auch mal was Gutes: so konnte ich die ganze Zeit Den beobachten. Den fuhr definitiv verantwortungsvoll, so wie man sich das von einem angehenden Priester auch vorstellt ;-) Ich war ein toleranter (oder ignoranter?) Beifahrer, mir machte es nichts, wenn einer die Sau raus ließ. Aber bei Den fühlte ich mich richtig gut aufgehoben. Ich hatte ihm auf einem unserer Spaziergänge erzählt, dass ich nun wieder ab und zu zur Messe ging.
„Aber doch nicht meinetwegen?“
„Na, ganz ausschließen kann ich das nicht.“
„Auch egal. Wenn's dir gefällt...“
Jetzt erzählte ich ihm von dem Bibelspruch, der mir dabei besonders nahe gegangen war: „Denn wenn das Herz uns auch verurteilt - Gott ist größer als unser Herz.“
„Und? Verurteilt dich dein Herz?“
„Na ja, ist ja schon irgendwie nicht normal...“
„...dass du mich magst?“
Ich musste grinsen.
„Doch, das find ich total normal. Wer könnte dich nicht mögen?“
Er lächelte, und riskierte einen Blick von der Fahrbahn weg direkt in mein Gesicht.
„Du bist süß. Ich mag dich auch. Das weißt du ja. ... “ und wieder zur Fahrbahn gerichtet: „Aber was ist dann nicht normal?“
Ich erzählte ihm von meinen anderen Hobbys: Windeln, und Bondage.
„Aber du machst es nicht, gell?“
„Wie kommst du darauf?“
„Du machst es ja auch nicht mit Jungs.“
„Stimmt. Na ja, zweimal habe ich schon das mit den Windeln probiert. War schon nett... Und Bondage, da hatte ich mal so eine Phase, wo ich das recht intensiv im Internet gesucht hab, und dann hatte ich was für meine Phantasie.“
„Aber du machst nicht weiter damit. Warum?“
„Ich weiß nicht. Irgendwie läuft sich das tot. Das macht Spaß, aber dann ist es auch irgendwie zu einfach. Irgendwie ist das nicht befriedigend... Na ja, das ist schon eine Befriedigung, ich meine, wenn man es macht. Aber irgendwie ist Befriedigung nicht befriedigend...“
„Wow. Ich glaub's nicht. Willst du nicht auch Theologie studieren?“
„Was?“
„Na, was du da gesagt hast, ist perfekte Theologie. Der eine sucht Geld, der andere Sex, der dritte Ruhm, aber irgendwie ist das alles nicht befriedigend. Eigentlich ist das alles nur Ersatz.“
„Ersatz? Wofür?“
„Sinn. Echtes Leben. Gottesbeziehung. Oder sag einfach nur ‚Liebe‘ dafür. Du willst doch mal ein kluger Philosoph sein, gell? Na, dann denk an Paulus: ‚Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.‘ “
Da hatte er Recht. Windeln und Bondage waren Selbstbeschäftigung.
„Und Liebe zu Jungs?“
„Ist Liebe. Oder?“
Und wieder so ein entwaffnendes Lächeln, direkt in mein Gesicht. Ich war happy. Ich liebte ihn, und er ... doch, ich denke, er liebte mich auch, und das war o.k. Liebe war o.k. Wow, war ich froh, so einen Freund zu haben. Wir fuhren einen Augenblick schweigend weiter. Dann:
„Den, halt mal an.“
Da vorne war eine Haltebucht. Meine Bitte kam recht unverfänglich, und so ahnte Den nicht, was jetzt kam. Er brachte den Wagen zum Halten, wohl in der Annahme, ich müsste mal raus, und ich löste auch meinen Gurt. Dann aber beugte ich mich zu ihm rüber, zog ihn an mich, und drückte ihm einen festen Kuss auf die Lippen. Eigentlich ein harmloser Kuss, sowas wie ein Bruderkuss, nur etwas herzlicher, und auf den Mund, aber ansonsten. ... Haaalt, was war das? So ein Bruderkuss dauert doch nur eine halbe Sekunde. Aber dieser Kuss ging weiter. Ich hatte mich sofort zurückziehen wollen, aber da waren auch schon Dens Hände hinter meinem Kopf. Da war nichts mit zurückziehen. Und das versuchte ich auch nicht mehr. Ich war Wachs. Null Kontrolle. Der Kuss küsste weiter. Und dann spürte ich, wie seine Zunge sich zwischen meine Lippen drängte. Theoretisch wusste ich, was das war. Aber jetzt wusste ich nichts. Ich ließ geschehen. Da lebte was in meinem Mund, wie ein kleiner Vogel in der Hand. Nur nicht wehtun. Dann war es auch schon vorbei.
Wir hatten uns noch in den Armen, die Gesichter waren vielleicht 10 cm auseinander. Wärme war zwischen uns. Nach einer kurzen Pause fragte er:
„Und du?“
Ich wusste, was er meinte. Ich war beim Zungenkuss total passiv geblieben. Ich hatte nicht versucht, in seinen Mund vorzudringen. Ein spitzbübisches Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Dann streckte ich ihm die Zunge raus. Fehlte nur noch, dass ich ‚Bäääh‘ sagte. ... Da war nicht viel mit Rausstrecken. Meine Zunge war eben nicht lang. Vielleicht 1 cm kam so über die Lippen hinaus, mehr war da nicht. Zungenkuss? Na, zum Zähneputzen hätte es vielleicht gereicht. Von außen. Aber so kurz sie war: Den war schnell genug, und verpasste mir noch ein Küsschen auf meine rausgestreckte Zunge. Dann löste er sich grinsend aus meiner Umarmung und widmete sich wieder den Innereien des Autos. Gut, dass er fuhr. Ich hätte jetzt nicht einmal die Kraft gehabt, den Zündschlüssel umzudrehen. Rrrrrrratatata... so ein startender Jeep konnte ganz schön erotisch klingen. Oder lag das nur an meiner Stimmung?
Irgendwie kamen wir in die Kaserne. Wir, also Den und ein Zombie. Aber der Anblick anderer Menschen, und der Auftrag, wegen dessen wir hier waren, brachten mich langsam wieder zur Besinnung. Wir luden die Akten auf, und machten uns auf den Rückweg. Wir sagten nicht viel. Bemerkungen zum Weg, und „Schau mal, ein Silberreiher“, da kam eben der Naturfreund in ihm wieder durch.
„Na, hat's euch gefallen?“ fragte der Leutnant, als wir den ersten Stoß Akten reinbrachten. Wir schauten uns an und grinsten. Dann sagte Den zum Leutnant:
„Müsste man öfter mal machen“, und ich fügte hinzu: „War mal was anderes.“
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