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Auf der Tour
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Informationen
- Story: Auf der Tour
- Autor: cdwgrisu
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Lovestory
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Chris: Eine außergewöhnliche Besprechung
- Fynn: Luc und Stef
- Chris: Ein ungewöhnliches Training
- Fynn: Eine bittere Diagnose
- Chris: Es geht los, leider ohne Dustin
- Fynn: Eine unangenehme Erkenntnis
- Chris: Erste Erfolge und schwierige Situationen
- Luc: In München kommt die Arbeit am Camaro voran.
- Chris: Ein überraschender Stopp in München
- Fynn: Chris lässt uns ordentlich schwitzen
- Chris: Abend mit den Geigers und Marc
- Luc: Schöne Tage gehen zu Ende
Vorwort
Liebe Leser,
diese Geschichte ist eine Fortsetzung der „Second Serve“ und „Lucien“ Geschichten. Wer also „Second Serve“ und „Lucien“ nicht gelesen hat, dem wird empfohlen, diese Stories zuerst zu lesen, damit ein besseres Verständnis der Zusammenhänge gegeben ist.
Diese Geschichte beginnt einige Wochen nach dem Turnier in München.
Chris: Eine außergewöhnliche Besprechung
Für heute hatte sich tatsächlich Marc Steevens mit Luc, Stef und seinen ältesten Söhnen Lukas und Mick angekündigt. Marc hatte sein Versprechen wahrgemacht und kam nach Halle in die Base.
Wer Marc Steevens noch nicht kennen sollte, das war einer der weltbesten Rennfahrer aller Zeiten. Er hatte so ziemlich alles gewonnen, was es zu gewinnen gab.
Kennengelernt hatte ich ihn und seine Söhne Luc und Stef in München anlässlich der BMW-open, wo meine Jungs in der Qualifikation spielten. Marc hatte sich sehr für die Geschichte von Dustin und Fynn interessiert. Er hat viel Erfahrung mit seinen homosexuellen Söhnen gemacht und war spontan bereit gewesen, mir und meinen Jungs mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Heute sollte ein Gespräch in der Base mit Thorsten, Jan und mir stattfinden. Ich hatte so eine Vorahnung, um was genau es gehen könnte. Allerdings hatte sich Marc noch nicht in die Karten schauen lassen. Leider hatte Jan diesen Termin absagen müssen. Er hing in Montreal bei einem Turnier fest. Gilles war im Halbfinale und deshalb konnte Jan dort nicht weg.
Stef und Luc hatten sich bereits bei Dustin, Fynn und Maxi am Platz eingefunden, während ich noch mit Lukas und Mick über die Anlage spazierte und ihnen die Möglichkeiten zeigte, die hier geboten wurden. Marc war bereits mit Thorsten im Büro verschwunden. Irgendetwas bahnte sich hier an. Mal abwarten, was passieren würde.
In den Wochen nach München hatten wir viel trainiert und keine weiteren Turniere gespielt. Ich hatte einige Dinge weiterentwickeln können, aber für die nächste Woche stand wieder eine Reise an. Die Zeit in der Base hatten die Jungs auch für einige Klausuren nutzen können. Somit hatten wir etwas mehr Luft für die nächste Turnierreise. Es sollte zuerst nach Norddeutschland auf ein ITF-Future Turnier gehen und anschließend nach Österreich und in die Schweiz. Das waren Challenger-Turniere. Drei Wochen am Stück würden wir unterwegs sein.
Seit der Begegnung in München hatten sich Dustin und Fynn regelmäßig mit Luc und Stef geschrieben. Sie schienen sich gut zu verstehen. Luc hatte zurzeit Ferien, war mit Stef in München und arbeitete bei Karl Geiger. Luc würde in wenigen Wochen sein Abitur machen und wollte dann bei Karl Geiger eine Ausbildung beginnen.
Dass Luc der älteste der Jungs war, trat deutlich zu Tage. Er war der ruhigste und abgeklärteste der Truppe.
Es gab hier in der Base jetzt allerdings ein kleines Problem. Wir hatten nicht daran gedacht, dass die anderen Kinder und Spieler Marc als Superstar ansehen und entsprechend für Unruhe sorgen würden. Ich kam vom Trainingsplatz und ging über die Anlage, als mich Carlo aufgeregt ansprach:
„Hi Chris. Sag mal, stimmt das wirklich, dass Marc Steevens heute in Halle ist? Kann ich vielleicht ein Autogramm von ihm haben? Mein Papa würde sich tierisch darüber freuen.“
„Du musst da schon selbst fragen. Aber es stimmt, er ist heute hier auf der Anlage. Allerdings kann ich dir nicht sagen, wie lange er bleiben wird und ob er für Autogramme Zeit hat.“
Mick und Lukas schmunzelten, als ich das gesagt hatte. Carlo hatte natürlich keine Ahnung, dass die beiden die Söhne von Marc waren.
Carlo war etwas enttäuscht, dass ich ihm das nicht abgenommen hatte, aber ich wollte mich damit jetzt nicht beschäftigen. Nach der letzten Trainingseinheit und der Führung von Mick und Lukas über unsere Anlage sollte ich zum Gespräch mit Marc und Thorsten dazukommen. Dustin und Fynn waren mit Luc und Stef bereits in Richtung Wohnung verschwunden. Da hatte sich offenbar eine Freundschaft entwickelt, die für alle Beteiligten wohl sehr positiv war. Dustin und Fynn schienen sehr an Selbstständigkeit gewonnen zu haben und Luc und Stef hatten Gleichgesinnte gefunden. Insbesondere für Stef schien das sehr von Vorteil zu sein. Er hatte eine ähnliche Odyssee mit seiner Familie hinter sich wie Dustin.
Als ich das Büro betrat, saß Marc mit Thorsten in einer regen Unterhaltung. Marc begrüßte mich dennoch sofort und auch Thorsten nickte mir zu, als ich mich zu ihnen setzte.
„Hast du den Gästen unsere Anlage gezeigt?“
„Ja, Mick und Lukas wissen nun ungefähr, wo sie hier sind. Sie wollten jetzt zu Luc und Stef in die WG zu den anderen Jungs gehen. Ich soll Ihnen ausrichten, dass Sie sie bitte dort nachher abholen möchten.“
Marc nickte mir zu und erwiderte: „Klar, vielleicht könnten wir ja auch gemeinsam dort hinfahren? Ich würde gern mit Ihnen noch etwas besprechen.“
Das erstaunte mich etwas. Marc hatte sich zwar auch in München immer sehr interessiert gezeigt, aber so wirklich nahe waren wir uns nicht gekommen. Für mich war das Sie in der Anrede auch eher ungewöhnlich. Ich bevorzugte das Du. Klar, wir kannten uns nicht wirklich und er war eine lebende Legende, da war das Sie sicher erst einmal angebracht.
„Äh ja, können wir gern machen. Haben Sie eigentlich einen Leihwagen bekommen oder wie sind sie hierher gekommen?“
„Ja, wir haben einen Chevy Van gemietet. Damit können wir alle zusammen fahren. Aber wir sollten jetzt über das eigentliche Thema sprechen.“
„Ja bitte, gern, dann erzählen Sie doch einmal, was Sie sich überlegt haben.“
Thorsten schien genauso neugierig zu sein wie ich.
„Ich habe in München drei sehr engagierte Jungs kennengelernt und mit Dustin und Fynn ein gleichgesinntes Paar wie Luc mit seinem Stef. Sie können sich vorstellen, dass ich bereits einiges an Erfahrungen gemacht habe mit der Homosexualität der beiden. Leider hatte Stef bislang nie einen gleichaltrigen Freund gefunden, der eine ähnliche Geschichte erlebt hat wie er selbst. Wenn Sie gesehen oder gehört hätten, wie Stef von Dustin berichtet hatte, dann könnten Sie sich das vorstellen. Mir ist klar geworden, dass es für Fynn und Dustin auf der Profitour sehr schwer werden wird und dies langfristig nur funktionieren wird, wenn sie eine gute Unterstützung bekommen. Chris ist diese Unterstützung, aber er kann sich nicht um alles kümmern. Dustin hat mir bereits in München erklärt, dass im Wesentlichen Sponsoren dieses Projekt finanzieren. Insbesondere Gerhard Weber. Ist das so korrekt?“
„Ja, das ist erst einmal so korrekt. Im Detail kommen aber noch Markensponsoren hinzu. Diese versorgen die Spieler mit Schlägern und Bekleidung. Außerdem haben wir ein Förderprogramm mit der Lufthansa. Für die drei Nachwuchsspieler hat sich Gerhard Weber bereit erklärt, die Finanzierung zu übernehmen, bis ein anderer Geldgeber gefunden wird. So eine Saison im Nachwuchsbereich ist teuer. Das kann kein Spieler selbst finanzieren.“
Marc nickte bei Thorstens Erklärungen und schaute dabei zu mir. Er fragte:
„Wie ist das mit Ihrem Gehalt? Bekommen Sie nur beim Erfolg der Spieler eine Prämie oder ein festes Gehalt?“
„Ein festes Gehalt. Im Nachwuchsbereich würde es sonst gar nicht finanzierbar sein. Dafür sind die Preisgelder noch nicht hoch genug. Wenn die Jungs jetzt auf der Tour spielen, könnte es vielleicht eher gehen. Allerdings noch nicht zu Beginn. Außerdem hat es für mich den Vorteil, ich kann unabhängig arbeiten. Aber darf ich mal fragen, warum sich ein Superstar wie Sie, für ein Ihnen vollkommen unbekanntes Tennis-Team interessiert?“
Jetzt begann er zu lachen und ließ Thorsten und mich etwas ratlos am Tisch sitzen.
„Keine Sorge, ich erkläre es sofort. Allerdings möchte ich vorab etwas klarstellen. Ich bin hier, weil es mich interessiert, wie Sie mit jungen Leistungssportlern arbeiten. Hier wird nicht nur auf den Sport geachtet. Es geht auch um die Entwicklung der Persönlichkeit. Jetzt zu Ihrer Frage. Luc hat mich darauf gebracht. Er hatte mir von der Begegnung in München erzählt und mich gefragt, ob ich Stef auch geholfen hätte, wenn er nicht der Freund meines Sohnes gewesen wäre. Diese Frage hat mich nachdenklich gestimmt. Ich war immer davon ausgegangen, dass er gewusst hatte, wie ich mit Problemen umgehe. Ich habe ein langes Gespräch mit beiden gehabt und mein Sohn hatte mich dann zum Abschluss daran erinnert, dass ich vor einigen Jahren mal versprochen hatte, auch seinen Freunden zu helfen, wenn es erforderlich sein sollte. Dieses Versprechen werde ich einhalten. Deshalb möchte ich Dustin und Fynn unter die Arme greifen. Da sie ja vermutlich mit Maxi ein Team bilden, schließe ich Maxi mit ein. Ich möchte erst einmal für ein Jahr die Finanzierung ihrer Karriere übernehmen. Mit allem was dazugehört und noch nicht fremdfinanziert wird.“
Das war Hammer. Da saß ein Weltstar in unserem Büro und sagte uns gerade ohne große Umschweife und Emotionen, dass er die Jungs finanziell unabhängig machen wollte, ihre Ausbildung und Karriere fördern möchte. Und wir hatten überhaupt keine Ahnung gehabt, dass er so etwas geplant hatte. Entsprechend perplex waren Thorsten und ich.
„Puh, das ist jetzt etwas überraschend und ich frage einfach mal, was für eine Gegenleistung Sie dafür erwarten.“
„Keine. Dass heißt doch, ich erwarte, dass Sie die Jungs optimal unterstützen und dafür sorgen, dass sie hart arbeiten für den Erfolg. Ich möchte die Unterstützung abhängig machen von dem Einsatz der Jungs, nicht vom Erfolg. Erfolg lässt sich nicht planen, aber Einsatz und Engagement schon.“
Diese Aussage imponierte mir ganz gewaltig. Sie entsprach genau meiner Philosophie über Sport und Erfolg. Thorsten stellte noch ein paar Fragen zur Sache und nach einer guten Stunde hatten wir uns über eine Summe geeinigt, die mir ein recht sorgenfreies Arbeiten ermöglichen würde. Das erste Jahr auf der Tour war vollkommen abgesichert. Marc verlangte nur Diskretion. Er wollte unter allen Umständen verhindern, dass sein Name mit dem Projekt in Verbindung gebracht wird. Das würde den Jungs nur schaden, war seine Meinung. Selbst Luc und Stef sollten über die Details nicht Bescheid wissen. Das erstaunte mich allerdings, aber er konnte es uns sehr plausibel erklären. Somit waren die Dinge geklärt und Thorsten wollte den fertigen Vertrag in den nächsten Tagen in die Schweiz schicken.
Herr Steevens war bereits im Begriff das Büro zu verlassen, als er mich fragte:
„Chris, Sie kennen die Jungs am besten. Wie sehen Sie die Freundschaft zu Luc und Stef. Als Luc und Stef mit Ihren Jungs in München unterwegs waren, hatte das negative Einflüsse auf die Leistung gehabt? Oder wie ist das jetzt hier. Auch heute waren Dustin und Fynn recht schnell mit meinen Jungs verschwunden. Ich möchte nicht, dass das die Trainingsarbeit beeinträchtigt. Es ist die Arbeit der Jungs und das muss Vorrang haben.“
„Das ist schon in Ordnung. Sie sind ja nicht so oft hier. Betrachten Sie es als besonderen Besuch. Ich habe nicht das Gefühl gehabt, dass die drei ihr Training vernachlässigt hätten. Machen Sie sich keine Gedanken darüber. Da passe ich schon auf.“
„Dann ist es ja gut. Ich möchte auf keinen Fall, dass meine Jungs hier stören. Sie sind nur sehr neugierig und ich muss sagen, Stef habe ich selten so freudig nach einer Begegnung erlebt, wie nach dem Kennenlerntreffen in München. Er hat sich tierisch auf dieses Treffen hier gefreut.“
„Ich denke, das beruht auf Gegenseitigkeit. Fynn und Dustin waren genauso erfreut und genau darum geht es doch. Also machen wir wohl einiges richtig.“
Wir verließen gemeinsam das Büro und als wir an den Plätzen standen, auf denen die Bundesligaspiele stattfanden, fragte mich Marc:
„Meine beiden großen Jungs spielen sehr gut Tennis. Ich würde sie gern einmal von einem professionellen Trainer begutachten lassen. Sie sagen mir ständig, dass sie es nur als Hobby ansehen, dennoch sind sie extrem ehrgeizig, falls sie sich mal bei einem Turnier anmelden.“
„Hm, warum eigentlich nicht. Sie fahren heute schon wieder zurück oder bleiben Sie noch einige Tage?“
„Wir bleiben bis übermorgen hier in der Gegend. Ich wollte noch einen privaten Besuch machen im Ruhrgebiet.“
„Gut, dann schlage ich Ihnen vor, schicken Sie die beiden morgen um neun Uhr hier auf die Anlage. Sie können mit Dustin, Fynn und Maxi bei mir trainieren. Ich baue sie für einen Tag mit ein. Abends unterhalten wir uns über das Ergebnis, wenn Ihnen das Recht ist.“
Er war von meinem Vorschlag sowohl überrascht, als auch angetan. Somit einigten wir uns darauf. Jetzt stand für ihn noch ein Besuch in der WG an. Deshalb wollte ich mich verabschieden, aber das hatte sich Marc anders vorgestellt.
„Ich würde es gut finden, wenn Sie mit mir kämen. Ich habe da noch einige Dinge, die ich mit Ihnen und Ihren Jungs gern besprechen möchte.“
Ich fragte bei Thorsten kurz nach, ob noch etwas anlag. Er gab mir grünes Licht und so fuhr ich mit Marc in unsere WG. Auf dem Weg dorthin erzählte er mir einige Dinge aus Stefs Vergangenheit und dass Luc bald in München seine Ausbildung bei den Geigers beginnen würde.
„Ist das nicht für Ihre Frau schwierig, wenn Luc und Stef beide nach München gehen?“
„Nicht nur für Sabine, auch für mich ist das nicht so einfach abzuhaken. Sie werden uns fehlen, allerdings ist Luc bei den Geigers sehr gut aufgehoben. Das Ziel wird sein, sobald Luc volljährig ist, dass er mit Stef eine Wohnung bezieht. Ich werde das unterstützen, wo ich nur kann. Er braucht diese Selbstständigkeit.“
„Er legt auch keinen großen Wert auf die Bekanntheit von Ihnen, oder?“
„Richtig, er versucht, das immer so lange wie möglich zu verheimlichen. Manchmal übertreibt er das in meinen Augen auch etwas. Ich lasse ihn das aber selbst entscheiden. Damit haben wir in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht.“
„Ich finde es gut, dass er zuerst einmal versucht, sich seine Freundschaften durch seine Persönlichkeit zu erarbeiten und nicht durch seinen prominenten Vater. Ich bin mal sehr gespannt, ob die anderen in der WG überhaupt ahnen, wer heute dort zu Besuch ist.“
„Nun“, erwiderte Marc, „spätestens wenn wir gleich zusammen dort auftauchen, wird es wohl nicht mehr zu verheimlichen sein.“
Wir mussten beide schmunzeln. Auf der Einfahrt stellte Marc den Motor ab und wir stiegen aus dem Van. Draußen war bereits Carlo mit Tim im Garten zu hören. Es schien dort lebhaft her zu gehen. Ich beschloss, mit Marc direkt in den Garten zu gehen. Dort spielten sowohl Marcs Söhne als auch meine Jungs gemeinsam Rundlauf an der Tischtennisplatte.
Luc und Dustin waren mit Carlo und Tim noch im Rennen, während die anderen bereits ausgeschieden waren und um die Platte herum standen.
Erst als Stef uns bemerkt hatte, wurde es interessant. Dustin spielte den Ball zurück und Carlo hatte Marc erkannt. Die Folge war, dass er den Ball natürlich vor Schreck nicht mehr spielen konnte. Dustin freute sich diebisch, dass Carlo ausgeschieden war. Carlo war mit Abstand der beste Spieler an der Tischtennisplatte.
„Hi Chris, wen hast du uns denn da mitgebracht?“, rief Tim überrascht, „Wenn Carlo deswegen den Ball nicht trifft.“
Es entstand für einen ganz kurzen Moment Stille, dann brach lautes Gelächter los und Marc und ich mussten ebenfalls lachen.
Luc und Stef hatten sich etwas zurückgehalten, aber Mick und Lukas kringelten sich vor Lachen. Marc schüttelte seinen Kopf und als wieder etwas Ruhe eingekehrt war, sagte Luc:
„Darf ich euch meinen Papa vorstellen. Marc Steevens.“
Marc spielte das Spiel seines Sohnes mit und sagte:
„Hallo zusammen, ich dachte eigentlich, ich müsste mich nicht mehr vorstellen.“
Das führte bei Carlo und Tim fast zu einer Schockstarre, denn jetzt realisierten sie, wer ihnen da gerade gegenüber stand.
„Ich glaube, Marc, jetzt haben es auch Carlo und Tim begriffen.“, frotzelte ich.
Marc grinste und Luc fing an zu lachen.
In diesem Moment kam Martina aus der Terrassentür in den Garten und wunderte sich über die plötzliche Stille. Sie erkannte mich und begrüßte mich lachend. Sie hatte ebenfalls Marc erkannt und gab ihm die Hand.
„Herzlich Willkommen in unserer Jungs-WG, Herr Steevens. Möchten Sie einen Kaffee oder einen Tee?“
Sie machte das einzig richtige und behandelte Lucs Vater genauso normal wie jeden anderen Gast. Carlo hingegen verstand das nicht und fragte entgeistert:
„Weißt du, wer das ist? Das ist eine lebende Rennfahrerlegende.“
Martina drehte sich um und konterte: „Klar weiß ich das, dennoch kann ich ihm doch einen Kaffee oder Tee anbieten. Vielleicht hat auch eine Legende Lust auf sowas.“
Marc blieb sehr locker und reagierte mit: „Ich trinke gern einen schwarzen Tee.“
Martina nickte und bevor sie wieder hinein ging, fragte sie mich noch:
„Chris, du nimmst doch bestimmt eine Fassbrause?“
„Immer doch, das weißt du ja.“
„Fassbrause? Was ist das denn?“, fragte Marc.
Meine Jungs fingen sofort an zu lachen. Das irritierte wiederum Luc und Stef. Mick und Lukas schauten genauso ratlos.
„Bring einfach mal genug mit und lass den Tee weg.“
Marc zuckte mit den Schultern und ließ sich auf diese Sache ein. Martina lief lachend und kopfschüttelnd ins Haus. Tim erklärte den Steevens den Zusammenhang und damit war geklärt, wie man mich bestechen konnte.
„Scheint ja sowas wie Nervennahrung zu sein.“, bemerkte Luc.
„Richtig. Gut erkannt. Wenn die Jungs mich mal wieder richtig genervt haben, dann stellen sie mir eine Fassbrause hin und meistens haben sie mich damit schnell wieder beruhigt.“
Marc schien unseren Umgang miteinander gut zu finden, denn er lächelte immer wieder über unsere Frotzeleien.
Als Martina mit einem Korb voller Flaschen mit Fassbrause herauskam, fragte ich Marc:
„Wollen wir mal einen Rundgang durch das Haus machen?“
„Ja gern.“
Ich gab ihm eine Fassbrause und nahm mir auch eine Flasche und dann machte ich mit ihm einen Rundgang und erklärte ihm das Haus und wer von den Jungs in welchem Zimmer wohnte. Ich hatte mir die Erlaubnis von Dustin und Fynn geholt, Marc ihr Zimmer zu zeigen.
„Sehr schön eingerichtet. Haben die Jungs das selbst gemacht oder wurde das vom Team schon so fertig eingerichtet?“
„Nein, das haben die beiden komplett selbst zusammengestellt und auch renoviert und gestrichen.“
Marc nickte anerkennend.
Mir brannten zwei Fragen auf der Zunge.
„Darf ich fragen warum Sie sich so für unsere Jungs engagieren? Was finden Sie so außergewöhnlich an diesem Projekt?“
Wieder war sein mir bereits bekanntes Lächeln zu sehen.
„Ich glaube, wir sollten vom „Sie“ zum „Du“ wechseln. Das ist praktischer und unter Sportlern auch eher üblich, oder?“
„Sehr gern, ja, eigentlich ist das so, aber…“
„Vergiss doch einfach meine Bekanntheit. Ich bin hier Marc Steevens und nicht der Rennfahrer. Für meine Jungs ist das sehr wichtig, dass sie Normalität erleben. Für Mick und Lukas war das damals so bitter, als ich noch gefahren bin und nur das nächste Rennen im Kopf hatte. Ich habe daraus viel gelernt.“
„Na schön. Aber warum gerade das Breakpoint-Team?“
„Das ist eigentlich ganz einfach.“
In diesem Moment stießen Mick und Lukas zu uns.
„Hi Jungs, habt ihr von dem wilden Treiben genug?“
„Eigentlich nicht, aber wir haben uns gedacht, du heckst wieder einen deiner verrückten Pläne aus und da wollten wir besser dabei sein.“
Ich zog etwas die Augenbraue hoch, weil ich das provozierend empfand, was Mick da seinem Vater an den Kopf warf. Marc hingegen lachte und ging direkt auf unser Thema ein, ohne ein Wort darüber zu verlieren.
„Schau mal, ich weiß wie schwer es Lukas und Mick damals im Internat hatten. Dann lernte ich Luc kennen und ich heiratete seine Mutter. Jetzt ist es halt so, dass auch Luc schwul ist und mit Stef einen Freund hat, der ebenfalls sehr viel Negatives erlebt hat. Ihr habt einfach gesagt, Fynn und Dustin haben außergewöhnliches Talent und ihr kümmert euch um sie. Homosexualität im Leistungssport ist immer noch ein Tabu. Da wird es auch mit Sponsoren nicht einfach sein. Ich vertraue auf das Gespür von Luc und Stef. Sie waren der Meinung, dass es richtig wäre, euch zu unterstützen. Die beiden hier“, damit zeigte er auf Mick und Lukas, „haben mich darin sofort bestärkt und gesagt, dass ich das tun sollte. Bislang habe ich es nicht bereut, auf meine Kinder gehört zu haben. Außerdem, was ich von dir bislang mitbekommen habe, machst du deinen Job nicht, weil du dafür bezahlt wirst, sondern weil du diesen Beruf liebst. Luc hat mir übrigens bereits gesagt, dass du auch schwul bist. Ich möchte, dass wir klare Verhältnisse haben. Ich stehe voll hinter deinem Konzept, wie du mit den Jungs arbeitest. Ich möchte, dass diese Jungs die Möglichkeit bekommen, das Maximum aus ihren Anlagen und Begabungen herauszuholen. Sie werden es schwerer als andere in ihrem Alter haben. Ich habe so viel Glück gehabt und muss mir nun wirklich keine Gedanken über Geld machen. Also löse ich mein Versprechen gern ein, was ich mal meinen Kindern gegeben habe.“
Es beeindruckte mich, dass ein so berühmter Sportler sich einfach so für andere, weniger bemittelte Kinder einsetzte. Vor allem ohne den sonst so üblichen Medienrummel. Das war anders als bei den meisten Prominenten, die sich für etwas engagierten. Hier bestritt Marc seine Unterstützung ausschließlich aus privaten Mitteln.
„Papa hat sich immer schon für unsere Freunde interessiert. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als Luc Stef kennengelernt hatte. Das waren sehr stressige und unruhige Zeiten für unsere Familie. Dennoch haben wir alle zusammengehalten. Es war bislang immer richtig, was er gemacht hat.“
„Na, das ist ein Kompliment, was man als Vater nicht oft bekommt.“, musste ich einfach dazu sagen. Ich hatte schon viele Familien kennengelernt, in der die Kinder meistens nur gemeckert hatten.
Marc schien es auch zu genießen, dass seine ältesten Söhne so über ihn sprachen. Denn er nahm sie beide in den Arm und ergänzte:
„Ich bin mit diesen Kindern so unfassbar glücklich. Ich möchte einfach anderen Kindern eine sichere Zukunft ermöglichen. Mehr will ich dazu gar nicht sagen.“
Fynn: Luc und Stef
Es war eine absolut schöne Überraschung, dass Luc und Stef uns besuchten. Ich hatte nicht so wirklich daran geglaubt, dass eine so berühmte Familie zu uns nach Halle kommen würde. Lucs Auftreten war genauso dezent wie damals in München. Niemand der anderen Jungs hatte eine Ahnung, dass hier der jüngste Sohn einer lebenden Motorsportlegende zu Besuch war.
Allerdings wurde ich doch etwas unruhig als klar wurde, dass sein Vater und auch Mick und Lukas uns in der WG besuchen würden. Da würde Carlo bestimmt der Ohnmacht nahe sein.
Dustin war ebenfalls sehr nervös, gerade als er erfuhr, dass Chris und Marc sich auf den Weg gemacht hatten.
Überhaupt war Dustin wie ausgewechselt seit er Stef kennengelernt hatte. Er wurde immer selbstbewusster. Auch auf dem Platz legte er einen Elan an den Tag, der mich doch etwas überraschte. Immer wieder holte er die letzten Reserven beim Training heraus und Chris schien mehr als zufrieden zu sein. Immer wieder hatte Dustin mir gesagt, dass es für ihn wie eine Erlösung war, Stef getroffen zu haben. Damit wusste er, dass er nicht der einzige Junge war, dem so ein Schicksal widerfahren war.
Wir spielten Rundlauf und wie so oft war Carlo als einer der letzten an der Platte. Dort war er einfach kaum von uns zu schlagen. Luc war allerdings ein ernsthafter Gegner für ihn und er hatte Carlo auch schon besiegt.
Die Ankunft von Chris mit Marc hatte allerdings eine durchschlagende Wirkung auf Carlo und Tim. Sie hatten ja noch nicht mitbekommen, wer heute unsere Gäste waren. Luc hatte sich mit dem Namen seiner Mutter vorgestellt. Wie er das immer tat, wenn er auf fremde Leute traf.
Mittlerweile war Chris mit Marc auf einem Rundgang durch unser Haus. Natürlich nicht ohne eine Fassbrause in der Hand. Wir saßen draußen auf der Terrasse und Tim und Carlo waren mächtig aufgeregt und erst als Dustin klare Worte fand, beruhigten sie sich einigermaßen.
„Leute, kriegt euch mal wieder ein. Wir haben doch nicht zum ersten Mal hier Besuch. Fynns Eltern waren schon hier und auch Carlos Eltern waren schon hier. Nur weil Luc seinen Vater mitgebracht hat, müsst ihr hier nicht den Ausnahmezustand ausrufen.“
Carlo bekam große Augen und auch Tim war verwirrt, aber es kehrte Ruhe ein. Martina stand immer noch auf der Terrasse und fing an zu lachen. Luc und Stef verdrehten die Augen und selbst Mick und Lukas mussten grinsen.
„Aber du weißt schon, dass Lucs Vater eine Legende ist?“
„Man, Carlo. Er ist keine Legende. Legenden sind in der Regel tot. Lucs Vater ist aber, wie wir sehen, lebendig und außerdem noch sehr nett. Also benehmt euch und fangt nicht an, hier am Rad zu drehen.“
„Danke Fynn. Jetzt versteht ihr vielleicht, warum ich immer so lange wie möglich verheimliche, wer mein Vater ist. Ich möchte einfach Luc sein und mit meinen Freunden ein normales Verhältnis haben. Mein Vater bemüht sich auch, so normal wie möglich zu sein.“
„Er bemüht sich nicht nur, er ist normal.“, sagte ich sehr bestimmt.
Plötzlich hörte ich Dustin, der einwarf: „Nein, das stimmt nicht. Normal, wie die meisten Väter ist er nicht. Er interessiert sich nämlich viel mehr für die Freunde seiner Kinder, als es andere Väter tun.“
Plötzlich hörte ich Applaus. Verwundert drehte ich mich um und sah, wie Lukas und Mick spontan klatschten und lachten.
Wir beendeten unsere Partie Rundlauf und setzten uns auf den Rasen. Mick und Lukas verließen uns in Richtung Haus. Sie wollten sich zu Chris und Marc gesellen. Wir blieben in der Runde auf dem Rasen sitzen und Luc und Stef erzählten Tim und Carlo ihre Geschichte. In Kurzform. Damit hatten sie Tim und Carlo sichtlich beeindruckt und Tim fragte etwas schüchtern:
„Äh, also seid ihr auch ein schwules Paar wie Fynn und Dustin?“
„Richtig, wir haben uns in München kennengelernt und waren uns von Beginn an sympathisch. So ist dieser Kontakt entstanden.“
Tim schaute zu seinem besten Freund Carlo und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass wir etwas verpasst hatten. Carlo wurde nämlich sogar etwas rot, als Luc diesen Satz gesagt hatte.
Tim hingegen überspielte diese Situation mit seinen üblichen Frotzeleien und schnell kamen wir wieder auf das Thema Rennsport. Allerdings war das Luc und Stef gar nicht recht und Dustin und ich nahmen die beiden einfach mal mit, um mit ihnen einen Weg um die WG zu machen. Wir zeigten ihnen die Umgebung. Das Gelände für das Fitnesstraining und die Physio waren ja nicht weit entfernt.
„Habt ihr eigentlich keine Schwierigkeiten mit der Schule? Ich stelle mir das total schwierig vor. Ihr seid manchmal tagelang unterwegs und nicht in der Schule. Dennoch sollt ihr dort gute Leistungen bringen. Wie macht ihr das?“
„Das ist eine sehr gute Frage, Stef. Ohne die Hilfe von Chris würde das mega schwierig sein. Er kann uns aber fast überall helfen und bei Fragen zum Unterrichtsstoff vieles erklären. Wir bekommen ja immer den aktuellen Lehrstoff per Email geschickt und müssen auch während der Turniere lernen.“
„Ihr müsst während der Turniere lernen? Krass, wie schafft ihr das denn?“
„Nun ja“, versuchte Dustin mir zu helfen, „wenn wir ehrlich sind, ist das oft gar nicht machbar. Dafür müssen wir in der Zeit wo wir hier sind umso mehr tun. Glücklicherweise ist das Team aber auch hier immer dabei, uns zu unterstützen. Ohne diese Hilfe wäre das für mich nicht zu schaffen.“
„Nicht nur für dich. Ich kann das nur bestätigen. Chris ist auch hier unsere größte Hilfe. Er hat immer wieder Ideen wie man Probleme lösen kann. Für ihn gibt es kein 'geht nicht' oder 'unmöglich'.“
Wir waren mittlerweile wieder an der WG angekommen und als wir im Garten zurück waren, sagte Carlo:
„Da seid ihr ja wieder. Chris möchte euch gern sprechen. Ich glaube, er ist mit Martina und Lucs Vater in der Küche.“
Carlo spielte mit Tim an der Tischtennisplatte und mir fiel erneut auf, dass die beiden immer gemeinsam unterwegs waren. Die Freundschaft der beiden war in den letzten Wochen sehr eng geworden. Gerade als Carlo verletzt war, hatte sich Tim sehr um ihn gekümmert.
Überhaupt war Tim richtig nett geworden. Er hat sich toll entwickelt und auch da hatte Chris viel Einfluss genommen. Der Trainerwechsel war die Initialzündung für Tim. Seit er spürte, dass Chris ihm in allen Fragen als Ansprechpartner zur Verfügung stand, hing er sich bei jedem Training voll rein und auch sein Teamgeist war richtig gut geworden. Mittlerweile mochte ich ihn sehr. Das war nicht immer so.
Wir gingen ins Haus und hörten bereits die Stimmen aus der Küche auf dem Flur. Martina erklärte Marc gerade unseren Tagesablauf, als wir die Küchentür öffneten.
„Da seid ihr ja wieder. Hat Carlo euch hergeschickt?“
„Ja, Chris. Was liegt denn an? Wir sollten herkommen hat er gesagt.“
„Genau. Marc hat ein paar Fragen an euch und außerdem möchte ich euch bitten, morgen früh Mick und Lukas an der Anlage in Empfang zu nehmen. Sie werden mit euch eine Trainingseinheit absolvieren.“
„Ok, Geht klar. Wann soll das morgen sein? Wir fangen ja schon früh an.“
„Wir möchten gern von Beginn an dabei sein und die ganze Einheit mitmachen. Sofern das überhaupt geht.“
Mick schien sich sehr sicher zu sein, dass sie das schaffen würden. Nun gut, dachte ich, Chris wird schon wissen was er tut.
„Dann seid bitte um halb neun an der Anlage. Wir werden euch in Empfang nehmen. Habt ihr Schläger dabei?“
Lukas nickte und lachte.
„Klar, wir haben ja gehofft, dass wir ein wenig spielen dürfen. Dass wir sogar mit euch trainieren dürfen ist toll. Danke.“
„Wartet besser bis morgen nach dem Training mit dem Dank. Wer weiß, ob ihr dann immer noch so erfreut seid. Chris scheucht uns immer ganz ordentlich.“
Ich wusste natürlich, dass Chris entsprechend trainieren würde. Er würde dafür sorgen, dass Mick und Lukas immer gut aussehen würden. Allerdings wollte ich auch andeuten, dass es schon anstrengend sein könnte. Chris allerdings machte ein anderes Gesicht. Er schüttelte den Kopf und erwiderte:
„Seid froh, dass ihr bei mir trainiert und nicht bei Charles. Der würde euch zeigen, was es heißt, gescheucht zu werden.“
„Hey, Charles ist unser Konditrainer, das zählt also nicht.“, rief Dustin dazwischen.
Chris begann zu lachen und auch Luc und Stef lachten. Mick und Lukas hingegen waren unsicher, wie sie das aufnehmen sollten. Egal, morgen würde sich zeigen, wie gut Mick und Lukas sein würden.
Leider mussten die Steevens wieder aufbrechen. Es war allerdings auch schon spät genug, um den Tag langsam zu beenden. Wir verabschiedeten uns von Luc und Stef. Sie wollten natürlich am Morgen dabei sein, wenn Mick und Lukas mit uns auf den Platz gehen würden.
Ich zog mich mit Dustin auf unser Zimmer zurück. Ich wollte noch etwas Zeit mit meinem Freund allein verbringen. Dort saßen wir in unserem Wohnzimmer bei einer kalten Apfelschorle und sinnierten noch etwas über diesen Tag.
„Schon krass, dass sich Marc Steevens hierher begibt, um mit uns über Tennis zu sprechen. Irgendwie habe ich das Gefühl, das war nur ein Teil der Geschichte. Hast du mitbekommen worüber die im Büro gesprochen haben?“
„Nein, Dustin. Wenn sie das gewollt hätten, wären sie nicht ins Büro gegangen. Auch Luc hatte keine Ahnung, was sein Vater vorhat.“
Dustin kuschelte sich an mich und wir saßen noch einige Minuten schweigend auf dem Sofa als es bei uns klopfte.
Ich schaute Dustin an und er schien auch keine Ahnung zu haben, wer das noch sein könnte. Ich stand auf und ging zur Tür, öffnete sie und schaute in das Gesicht von Carlo.
„Hey, was machst du denn noch hier? Was liegt an?“
„Sorry, störe ich? Ich habe ein Problem und brauch mal euren Rat.“
Dass Carlo zu uns kam war nichts Ungewöhnliches, aber dass er uns direkt um Hilfe bat, schon.
„Klar, komm rein. Wir sitzen im Wohnzimmer. Du kannst schon mal vorgehen. Ich geh grad noch mal auf die Toilette.“
Carlo ging vor und als ich einige Minuten später hinzu kam, saß er im Sessel gegenüber von Dustin. Carlo machte überhaupt keinen lockeren Eindruck mehr. Ganz ungewöhnlich für unseren Spaßvogel. Was war hier wohl los?
„Möchtest du etwas trinken?“
Carlo reagierte erst mit einer kleinen Verzögerung.
„Äh, wie? Ja, gern. Ne Cola vielleicht.“
Wieder eine ungewöhnliche Reaktion für Carlo. Irgendetwas schien ihn enorm unter Druck zu halten. Ich brachte ihm eine Cola und setzte mich zu Dustin auf das Sofa.
„Schieß los. Was hast du auf dem Herzen? Aber sag nicht, dass es wieder mit Marc Steevens zu tun hat.“
Dustin hatte überhaupt noch nicht registriert, wie angespannt Carlo war. Entsprechend war Carlos empfindliche Reaktion.
„Blödmann, wenn ich nerve, kann ich ja auch gleich wieder gehen.“
Carlo stand genervt auf und wollte sofort gehen. Ich hingegen reagierte direkt, so wie ich es bei Chris schon mehrfach erlebt hatte.
„Setz dich wieder hin und Dustin hält einfach mal seine Klappe.“
Mein Freund schaute mich total entsetzt an, aber bemerkte nun endlich, dass es Carlo nicht gut ging.
„Sorry Carlo, ich wollte dich nicht dumm anmachen. Bitte setz dich wieder zu uns.“
Carlo zögerte und überlegte einen Augenblick, setzte sich aber wieder zu uns.
„So, und nun mal ganz in Ruhe. Was hast du auf dem Herzen?“
„Danke Fynn. Ich weiß echt nicht mehr, was ich machen soll. Es geht um Tim. Wir verstehen uns richtig gut, aber vor einigen Tagen ist da was passiert, was ich so nicht erwartet hatte und jetzt weiß ich nicht mehr, wie ich mich verhalten soll.“
„Was ist denn passiert?“, fragte mein Schatz.
Carlo wurde sehr verlegen und ich ahnte, dass es mit der Entwicklung der ganzen Situation mit Tim zu tun haben würde.
„Versprecht ihr mir, dass ihr es für euch behaltet? Ich möchte einfach noch nicht offen darüber sprechen.“
Ich schaute Dustin an und seine Mimik war eindeutig. Ich antwortete für uns beide:
„Du hast unser Ehrenwort. Es bleibt so lange unter uns, wie du das möchtest.“
Carlo holte tief Luft und wollte beginnen uns etwas zu erzählen, aber es klappte nicht. Er musste aufstehen und lief aufgeregt umher. Erst, nachdem er sich etwas gefangen hatte, setzte er sich wieder zu uns.
„Also gut. Folgendes. Seit einigen Wochen verstehe ich mich mit Tim wieder richtig gut und wir machen ganz viel zusammen. Neulich haben wir sogar mal über die Mädchen bei uns in Halle gesprochen. Er hatte mich gefragt, ob ich schon mal eine ganz nett finden würde. Da war ich so gar nicht drauf vorbereitet. Außerdem interessieren mich Mädchen irgendwie noch gar nicht. Ich will viel lieber Tennis spielen und trainieren.“
Ich musste innerlich schmunzeln, denn das kam mir bekannt vor. Dustin schien mich zu verstehen, denn er nahm meine Hand und drückte sie leicht. Dabei nickte er Carlo zu und ermutigte ihn weiterzusprechen.
„Naja, danach haben wir erst eine Weile noch Tischtennis gespielt und nach dem Abendessen wollte ich duschen gehen. Tim wollte noch etwas draußen bleiben, bevor auch er duschen wollte. Als ich dann in mein Zimmer ging, sah ich, wie Tim sich auf den Weg in die Dusche machte.“
Bis hierhin war das alles nichts Besonderes. Dustin blieb ruhig, während ich langsam etwas ungeduldig wurde. Warum erzählte er uns das?
Allerdings hatte ich von Chris bereits gelernt, die Leute immer ausreden zu lassen. Manchmal kam das dicke Ende eben zum Schluss.
„Ähm, also wie soll ich das erklären. Ganz ehrlich, ich habe mir manchmal vorgestellt, wie Tim unten aussieht. Er geht nie nackt durch die WG oder duscht im Club. Irgendwie habe ich das Gefühl, er versteckt seinen Körper. Allerdings ist er andererseits selbst immer neugierig, wenn ich mich umziehe oder duschen gehe.“
Dustin und ich schauten uns an und fanden das etwas eigenartig, allerdings wollten wir die ganze Geschichte auch hören. Aber ich wollte Carlo eine Frage stellen:
„Sag mal, wie nah steht ihr euch? Du magst Tim sehr, oder? Kann es sein, dass du vielleicht ein wenig mehr von Tim möchtest als wir bislang bemerkt haben?“
Carlo wurde rot und ich ärgerte mich bereits über meine so direkte Bemerkung.
„Du musst dich nicht dafür schämen. Es ist doch ok. Allerdings bist du dir nicht wirklich sicher, ob er das auch für dich empfindet, oder?“
Carlo nickte nur. Ich stellte ihm keine Fragen mehr, sondern ließ ihn in seinem Tempo erzählen. Chris hatte mir mal erklärt, wie wichtig das für die Kinder ist, die etwas Unangenehmes erzählen möchten.
„Ja, das stimmt. Also ehrlich gesagt, beim Wichsen stelle ich mir oft vor, wie Tim wohl unten aussieht und ob er sich auch schon so oft einen runterholt.“
„Okee“, sagte Dustin etwas überrascht.
Für mich war das mittlerweile keine große Überraschung mehr. Allerdings war diese deutliche Aussage von Carlo für mich erstaunlich. Ich hätte mich damals keinesfalls getraut, das einem Freund so zu sagen.
„Wo ist dabei jetzt dein Problem? Also bis hierhin ist das für mich alles noch gar nichts Ungewöhnliches. Ich kann mich gut an meine ersten Erfahrungen beim Wichsen erinnern. Mir war es auch total unangenehm, mir einzugestehen, dabei nur an süße Jungs zu denken.“
Ich wollte Carlo eine Brücke bauen, damit er seine Angst und Hemmung verliert. Carlo schaute mich aufmerksam an und fragte sofort:
„Heißt das, du hast schon von Anfang an gewusst, dass du schwul bist?“
„Oh nein. Ganz bestimmt nicht. Das kam erst viel später. Dennoch habe ich mir oft gewünscht, einem Klassenkameraden mal Wichsen zuzusehen.“
Dustin musste lachen und ergänzte: „Das kommt mir irgendwie bekannt vor.“
Ich schaute zu Carlo, der mittlerweile nicht mehr ganz so verkrampft erschien. Dann fragte er mich:
„Hast du es denn auch mal tun können, einem anderen dabei zuzusehen?“
Ich zögerte für einen Augenblick, aber dann erwiderte ich:
„Ja, in der siebten Klasse war das. Auf unserer Klassenfahrt. Da habe ich einmal Björn aus der Parallelklasse erwischt. Das war für mich schon ziemlich geil. Zum einen, weil er mich nicht bemerkte und ich bis zum Schluss zugeschaut habe und zum anderen, weil ich damit die Bestätigung hatte, dass ich nicht mehr der einzige Junge war, der wichste.“
„Hast du nur zugeschaut oder auch gleich mit gewichst?“, fragte mich Carlo.
„Nur zugeschaut, alles andere war viel zu gefährlich. Allerdings habe ich danach dann auf dem Klo ordentlich Druck abgelassen.“
Das brachte meinen Schatz richtig zum Lachen und auch Carlo fing an zu lächeln.
Carlo entspannte sich immer mehr und schon bald waren wir bei einem anderen Thema angelangt. Nämlich unserer ersten großen Turnierreise. Klar, wir hatten mit dem ganzen Team schon solche Reisen gemacht, aber jetzt würden wir nur mit Chris und Maxi losziehen.
Es wurde langsam richtig spät und Carlo war wieder der lustige Junge, so wie wir ihn kannten. Als er sich verabschieden wollte, hakte Dustin doch noch einmal nach:
„Sag mal, was ist nun mit dir und Tim?“
„Ich weiß es nicht. Manchmal denke ich, es wäre schön, auch mal zu kuscheln, aber mehr möchte ich noch nicht. Ich traue mich aber nicht. Was ist, wenn er nur auf Mädchen steht? Ich habe Schiss, dass unsere Freundschaft dann kaputt geht.“
„Also, das wissen wir natürlich auch nicht, aber ich glaube, er würde ein offenes Gespräch mit dir sicher verstehen. Vielleicht bekommst du dann eine klare Antwort, aber du solltest diese dann auch akzeptieren und nichts weiter versuchen, falls er auf Mädchen stehen sollte.“
„Danke, ich hatte gehofft, ihr würdet mich verstehen und mich nicht auslachen.“
„Dafür nicht. Du kannst uns immer ansprechen, aber solltest du wirklich ernsthafte Probleme haben, rede mit Chris. Der hat sicher immer ein offenes und vertrauliches Ohr für dich.“
„Danke Fynn, ich weiß das zu schätzen, ehrlich. Ihr seid die ersten gewesen, mit denen ich über das Thema gesprochen habe. Ich geh jetzt aber besser mal schlafen. Bis morgen dann.“
Chris: Ein ungewöhnliches Training
Am nächsten Morgen klingelte bereits um kurz nach sieben mein Handy.
„Hi Chris. Marc hier. Sorry, dass ich dich so früh stören muss. Aber ich habe gestern vollkommen vergessen, dass ich ja schon unterwegs bin und meine Jungs gar kein Auto hier haben. Kannst du die vier nachher vielleicht abholen? Ich habe Mick gebeten, sich dann hier einen Leihwagen zu nehmen.“
„Moin Marc. Ja klar, kein Problem. Ich kann die vier mitnehmen. Sie sollen bitte um kurz nach acht bereitstehen. Dann lade ich sie ein.“
„Toll, danke. Ich wünsche euch eine gute Turnierreise und wenn ihr in der Schweiz seid, meldet euch bitte.“
„Ok, danke und ja, mache ich dann.“
Ich legte das Handy wieder auf den Tisch und ging ins Bad. Vorher hatte ich schon Teewasser aufgesetzt.
Als ich zurück in der Küche war, gingen mir doch einige Gedanken durch den Kopf. Für mich war es mittlerweile schon Alltag geworden, dass ich mich nur noch um Dustin, Fynn und Maxi kümmerte. Sozusagen Coach round the clock. Ich hatte meinen Beruf aufgegeben und war seit einigen Wochen bei meinem Bruder als Mitarbeiter eingestiegen. Mit jedem weiteren Tag wurde ich sicherer im Auftreten und erstaunlicherweise kam ich mit Jan sehr gut aus. Er akzeptierte meine Art zu arbeiten und gab mir volle Unterstützung. Das hätte ich mir vor einem Jahr überhaupt nicht vorstellen können. Wobei ich zugeben musste, er war eh kaum anwesend. Wir telefonierten oder schrieben Emails. Allerdings war er immer persönlich anwesend, sollte es wichtige Entscheidungen geben.
Mittlerweile saß ich in meinem Dienstwagen, einem 3 er Touring von BMW. Ausnahmsweise war mir heute mal nach lauter Musik und offenem Fenster. Die frische Morgenluft strömte durch den Innenraum und als ich am Treffpunkt ankam, standen die vier Jungs bereits draußen und warteten auf mich. Sie winkten kurz und ich öffnete von innen die Heckklappe. Nachdem die Taschen verstaut waren, stiegen die Jungs ein und Mick setzte sich auf den Beifahrersitz. Ich drehte die Musik etwas leiser und sagte:
„Moin zusammen. Seid ihr fit?“
„Klar, bei der Mucke immer.“, erwiderte Lukas von hinten.
Ich drehte mich um und fragte erstaunt:
„Ihr mögt auch so etwas? Ich dachte immer, die Jugend hört leider keine gute Musik mehr.“
Das führte zu einer angeregten Diskussion über die Musik aus den siebziger und achtziger Jahren.
Als dann während der Fahrt das Lied „Lady in Black“ von Uriah Heep kam, fingen Mick und Lukas an, laut mitzusingen. Da ich ebenfalls den Text auswendig konnte, waren wir drei dabei, laut zu singen, während Luc und Stef uns etwas irritiert beobachteten. Ich fand das total cool.
Als wir auf dem Parkplatz des Tennisclubs ankamen und ausstiegen, grinsten Mick und Lukas und meinten unisono:
„Also, so eine Fahrt macht Laune. Gerade am frühen Morgen.“
„Stimmt, allerdings muss ich zugeben, dass das nicht so oft vorkommt. Aber heute war mir einfach danach. War lustig oder nicht?“
Luc und Stef fingen an zu lachen und Luc musste natürlich einen drauf setzen:
„Ich werde Papa fragen, ob ihr nicht eine CD aufnehmen solltet.“
„Untersteh dich“, fauchte Mick sofort seinen kleinen Bruder an.
Ich musste lachen, denn das würde Luc vielleicht sogar machen, aber Marc würde diesen Spaß sofort bemerken.
Wir marschierten auf die Terrasse, wo bereits Fynn, Dustin und Maxi auf uns warteten.
„Guten Morgen. Auch so gut gelaunt wie wir?“, fragte ich die drei.
„Klar, hoffentlich sind Mick und Lukas das nachher auch noch.“
„Bestimmt, Fynn. Wir sind fit und können was ab“, entgegnete Lukas.
„Ok, dann macht euch fertig und geht euch aufwärmen. Die drei wissen, was angesagt ist und werden euch anleiten. Wir treffen uns in einer halben Stunde auf dem Center eins.“
Damit machten sich die fünf auf den Weg in die Umkleide. Luc und Stef blieben bei mir.
„Trainieren Carlo und Tim nicht mit?“, fragte mich Luc.
„Nein, die haben andere Trainingszeiten. Sie sind noch nicht so gut wie Fynn, Dustin und Maxi. Seit klar ist, dass die drei auf der ITF-Tour spielen und auf der Challenger-Tour, haben wir das Programm erweitern müssen. Das ist für Tim und Carlo noch zu viel.“
Ich holte meine Trainingsutensilien und zog mich ebenfalls um. Luc und Stef gingen ein wenig auf der Anlage spazieren.
Eine Stunde später stand ich auf dem Platz und wir waren mitten im Training. Mick und Lukas waren in der Tat nicht schlecht. Klar, das Niveau von meinen drei Jungs hatten sie nicht, aber sie konnten recht gut mithalten. Konditionell waren sie absolut fit. Nur mit der Intensität der Übungen hatten sie ihre Probleme.
„Ok, kurze Pause. In zehn Minuten geht es weiter.“
Meine Jungs setzten sich auf die Bank und nahmen ihre Getränkeflaschen. Ich nutzte die kleine Pause, um kurz bei Thorsten reinzuschauen. Ich hatte ihn schon vor einigen Minuten gesehen, als er auf die Anlage kam.
„Hi Chris. Wie läuft es denn mit den beiden Gästen?“
„Erstaunlich gut. Sie halten recht gut mit. Technisch sind sie nicht so weit, aber das macht ja nichts. Sie haben jedenfalls genug Biss, meine Jungs etwas zu ärgern.“
„Klasse, das freut mich. So, ich habe hier für euch die Reisetickets und den Turnierplan ausgedruckt. Es geht übermorgen früh nach St. Peter-Ording. So könnt ihr noch nachmittags eine Trainingseinheit vor Ort machen.“
„Sehr gut. Gibt es bereits eine Auslosung?“
„Nein, es gibt bei den ITF-Turnieren ein Sign-In vor der Auslosung. Also wird erst vor Ort ausgelost.“
Das war mir nicht bekannt, hatte für mich aber das Problem, dass ich im ungünstigsten Fall keine Zeit hätte, meine Jungs auf ihre Gegner vorzubereiten. Gut, das Problem hätten dann die anderen Spieler auch, dennoch gefiel mir das nicht sonderlich. An dieser Stelle wollte ich immer gern die Fäden in der Hand halten und meine Spieler optimal vorbereiten.
„Ok, danke. Ich geh wieder auf den Platz. Lass uns anschließend noch die Details besprechen.“
Thorsten war einverstanden und so machte ich mich wieder auf den Weg zum Platz.
Dort saßen Fynn und Maxi noch auf der Bank, während Dustin mit Mick und Lukas am Aufschlag arbeiteten.
„Hey, was ist los? Warum trainiert ihr nicht weiter?“
„Du hast doch gesagt, wir können Pause machen. Lukas wollte unbedingt etwas zum Aufschlag erklärt haben. Deshalb hat Dustin schon weiter gemacht.“
Fynn hatte mir zum ersten Mal komplett widersprochen. Mir gefiel das richtig gut, dass er mir deutlich gesagt hatte, dass ich nicht im Recht war.
„Alles klar. Gut gekontert. Also wie sieht es aus, können wir weitermachen?“
Die beiden nahmen ihre Schläger wieder auf und das Training ging weiter. Wir arbeiteten noch zwei Stunden hart auf dem Platz. Bei Mick und Lukas ließen jetzt doch deutlich die Kräfte und vor allem die Konzentration nach.
„Ok, für Mick und Lukas ist es genug für heute. Maxi und Dustin können noch einen Satz spielen und Fynn kommt mit mir auf den Nebenplatz.“
Mick und Lukas bedankten sich freudig für die Einheit und gingen in Richtung Umkleide.
Fynn hatte in letzter Zeit Probleme mit seinem Aufschlag. Das wollte ich heute etwas genauer bearbeiten.
„So, wir beiden werden uns heute den Aufschlag vornehmen. Du hast in den letzten Matches immer wieder Phasen gehabt, wo der erste Aufschlag sehr selten kam. Ist dir das auch aufgefallen?“
„Oh ja. Und ich habe mich immer darüber geärgert, denn ich habe eigentlich einen guten ersten Aufschlag.“
„Da stimme ich zu. Hast du eine Idee, warum das in letzter Zeit so ausgeprägt auftritt?“
Fynn schüttelte den Kopf, entwickelte aber eine Idee.
„Vielleicht hat es ja doch etwas mit der Technikumstellung zu tun. Wir haben ja den Ballwurf leicht verändert.“
„Das glaube ich kaum. Schau mal, ich habe hier eine Statistik über deine Aufschlagspiele und deren Verläufe. Fällt dir etwas auf?“
Er schaute sich alle Daten auf meinem Laptop an und überlegte einige Augenblicke.
„Nicht wirklich. Nur, dass ich fast immer in einer guten Situation war und mich dadurch immer wieder unter Druck gebracht habe.“
„Gut beobachtet, ich habe dazu auch eine Vermutung. Ich habe dir eine Übung vorbereitet, dann sehen wir mal weiter.“
Luc und Stef hatten unser Gespräch verfolgt und waren sehr gespannt, was ich mir für Fynn überlegt hatte.
Ich erklärte ihm, was ich mir ausgedacht hatte und er schaute für einen Moment ungläubig, entschloss sich aber, mir zu vertrauen und begann das umzusetzen.
Es war eine Übung, bei der er sich zusätzlich noch mit einer anderen Aufgabe auseinandersetzen musste. Einer Rechenaufgabe. Immer, wenn er eine Aufgabe gelöst hatte, durfte er aufschlagen.
Das Ergebnis war eindeutig. Er hatte nahezu die neunzig Prozent Quote erreicht.
„Du solltest mir immer eine Aufgabe reinrufen, dann geht das.“
Das kam so trocken rüber, dass ich erst stutzte und dann wir beide laut lachen mussten.
Leider wurde unser Lachen durch einen lauten Aufschrei gestoppt. Wir schauten uns an und ich war mir sehr sicher, dass dieser Aufschrei von Dustin gekommen war. Die beiden spielten ja auf dem anderen Center Court. Der war durch Tribünen von unserem Platz getrennt, so dass wir nicht sehen konnten, was dort vor sich ging.
„Ich glaube, das war Dustin. Komm, wir gehen mal rüber und schauen, was da los ist.“
Bevor wir losgehen konnten, kam uns schon Lukas entgegen gelaufen. Er war sehr aufgeregt.
„Chris, komm bitte schnell. Dustin ist ganz böse gestürzt. Er ist wohl auf einen Ball getreten.“
Sch…., dachte ich sofort. Das war der Alptraum eines jeden Tennisspielers. Fynn rannte natürlich sofort los. Ich hielt ihn im letzten Moment noch fest.
„Warte, du läufst ins Clubhaus und holst den Sanikoffer und ein Kühlpack. Ich geh zu Dustin.“
Ich sprintete die Treppen hoch und von oben sah ich, wie Dustin hinter der Grundlinie auf dem Platz lag und Maxi sich um ihn kümmerte. Dustin schien starke Schmerzen zu haben. Maxi hatte ihn auf den Rücken gelegt und sprach beruhigend auf ihn ein. Ich beeilte mich, auf den Platz zu kommen. Maxi war gerade dabei den Schuh zu öffnen.
„Warte, lass Fynn erst mit dem Kühlpack kommen. Sonst schwillt der Knöchel sofort sehr stark an.“
Maxi reagierte und öffnete nur die Schnürsenkel, um etwas Druck zu nehmen.
Jetzt kam Fynn mit Koffer und Kühlpack.
„Den Kühlpack sofort auf das Sprunggelenk drücken, wenn Maxi den Schuh auszieht. Aber den Socken am Fuß lassen.“
„Willst du nicht den Knöchel anschauen?“, fragte mich Maxi.
„Ist jetzt nicht nötig. Wichtiger ist die Kühlung.“
Ich konnte sehen, wie sich Fynn versuchte zu konzentrieren. Er wollte seine Gefühle nicht zeigen, aber seine Hände zitterten. Er drückte seinem Freund den Kühlakku auf den Knöchel und Dustin atmete tief durch.
„Ahh, das tut gut. Boah, endlich lassen die Schmerzen nach.“
Dustin wollte schon aufstehen, aber das wollte ich überhaupt nicht.
„Du bleibst noch liegen. Nicht, dass dein Kreislauf jetzt auch noch Probleme macht. Ich rufe Christoph an. Hoffentlich ist er noch in der Praxis.“
Fynn blieb bei seinem Freund während ich Maxi bat, die Bank von den Taschen zu befreien und sie mit mir neben Dustin zu stellen. Erst, nachdem ich mit Christoph telefoniert hatte, setzten wir Dustin auf die Bank. Ich zog ihm den Socken aus und konnte die Schwellung deutlich erkennen. Das sah nicht gut aus. Vor allem so kurz vor unserer Turnierreise auf der Profitour. Dustin fühlte ebenfalls, dass er ein größeres Problem haben würde.
„So eine Scheiße. Ausgerechnet heute passiert mir sowas. Ich fürchte, ihr müsst ohne mich fahren. So kann ich nicht spielen.“
„Wir fahren nicht ohne dich. Kommt überhaupt nicht in Frage. Du kommst natürlich mit.“
Fynn hatte verständlicherweise große Sorge um seinen Freund und auch keine Lust, allein auf die Tour zu gehen. Allerdings war das für mich gerade vollkommen unwichtig. Dustin musste so schnell wie möglich ärztlich versorgt werden. Plötzlich klingelte mein Handy.
„Thorsten, du rufst grade unpassend an…“
„Ganz ruhig. Bleibt wo ihr seid. Christoph ist unterwegs zu euch. Das ist einfacher. Also versorgt Dustin, bis er dort ist.“
Woher Thorsten schon Bescheid wusste, keine Ahnung. Allerdings war dies das Beste, was passieren konnte. Also schickte ich Maxi los, dass er Christoph am Parkplatz in Empfang nehmen würde. Stef und Luc blieben bei Dustin und Fynn.
Ich beruhigte die zurückgebliebenen Jungs. Insbesondere Fynn war sehr aufgewühlt und fast panisch. Erst, als ich deutliche Worte fand, beruhigte er sich.
„Mensch, Fynn. Es ist doch nichts Lebensbedrohliches. Also komm mal runter.“
Ich legte aber dennoch meinen Arm um ihn und das führte schnell zu einer Entspannung bei ihm.
„Ok, Sorry. Du hast recht. Ich werde mich beruhigen.“
Sein Freund saß neben ihm und gab ihm einen Kuss. Da mussten wir doch lachen. Was so ein Kuss alles bewirken kann. Gerade Luc und Stef waren sichtlich erleichtert, dass die Stimmung sich etwas entspannte.
Einige Minuten später saß Christoph bei Dustin auf der Bank und untersuchte den Knöchel. Leider war das recht schmerzhaft, als er den Fuß in alle möglichen Richtungen drehte und schließlich sagte Christoph:
„Also es gibt eine gute und eine weniger gute Nachricht.“
Insbesondere die Jungs schauten sehr erwartungsvoll zu ihm. Ich ahnte bereits, dass Dustin nicht mit uns mitfahren würde.
„Es ist nichts gebrochen. Das Sprunggelenk ist vermutlich heil geblieben. Aber die Außenbänder dürften beschädigt sein. Ob sie gerissen sind, kann ich hier nicht genau sagen. Wir fahren sicherheitshalber in die Praxis. Dort werde ich das genau untersuchen können.“
„Also ist die Turnierreise gestrichen?“
„Kann ich noch nicht sagen, Chris. Lass uns abwarten. Ihr fahrt übermorgen oder wann?“
„Ja, richtig.“
„Lass uns später darüber sprechen. Ich nehme Fynn und Dustin jetzt mit. Oder möchtest du hier bleiben, Fynn?“
„Auf keinen Fall. Ich komme natürlich mit. Ist doch ok, Chris?“
„Schön, dass du mich wenigstens noch fragst, nachdem du dich entschieden hast. Nein, Spaß. Klar kannst du mitfahren. Aber nur, wenn du Dustin wieder gesund nach Hause bringst.“
Das führte zu einem erneuten Lachanfall von allen. Es tat den Jungs gut und ich konnte mich jetzt schon mal mit dem Gedanken beschäftigen, ohne Dustin die Reise zu beginnen.
Luc schaute Dustin und Fynn hinterher, als sie in Richtung Parkplatz verschwanden. Stef war ebenfalls sichtlich angeschlagen.
„Wie schlimm wird das sein, Chris?“
„Ich weiß es nicht, Luc. Das kann von einer Bänderdehnung und Kapselverletzung bis zum Bänderriss alles sein. Wir müssen die Untersuchung abwarten.“
Der Zeitpunkt war denkbar ungünstig, aber was sollte ich machen. Ich beschloss, das Training abzubrechen und Maxi duschen zu schicken. Luc und Stef blieben mit mir zurück.
„Leute, macht nicht so ein Gesicht. Davon geht die Welt nicht unter. Verletzungen gehören leider auch zum Leistungssport. Allerdings wird er bald wieder fit sein. Ganz sicher.“
„Aber die Turnierreise kann er abhaken. Dabei hatte er sich so darauf gefreut.“
Zur Aufheiterung lud ich die beiden zu einer Fassbrause ein. Wir konnten jetzt eh nur warten.
Fynn: Eine bittere Diagnose
Christoph war mit uns direkt in seine Praxis gefahren und hatte sogar noch eine Mitarbeiterin aus dem Wochenende geholt. Das war mir etwas unangenehm. Unseretwegen noch eine Mitarbeiterin anzurufen. Aber als Christoph mit der Untersuchung begann und Dustin auf den Röntgentisch legte, war klar, dass hier Unterstützung durch eine Fachkraft nötig war.
Wir saßen mittlerweile wieder im Wartezimmer und Dustin hatte doch Schmerzen im Fuß. Ich hatte aber das Gefühl, dass seine Angst, nicht mit auf die Tour kommen zu können, viel mehr Schmerzen erzeugte. Deshalb hatte ich seine Hand und ihn ganz fest in den Arm genommen. Dustin kämpfte mit den Tränen.
„Hey, Chris hat gesagt,es ist nicht so schlimm, dass die Welt untergeht. Bislang hatte er nie unrecht.“
In diesem Moment betrat Christoph den Raum und bat uns mitzukommen. Dustin fiel jeder Schritt schwer. Ich stützte ihn, aber dennoch tat jede Bodenberührung sichtlich weh. Christoph drehte sich um und sagte:
„Wartet bitte einen Augenblick. Ich bin gleich wieder da. So geht es anscheinend nicht.“
Zwei Minuten später kam Christoph mit einem Rollstuhl zurück. Das war für Dustin jetzt zu viel. Seine Beherrschung war dahin. Ich ließ mich aber nicht aus der Fassung bringen und half Dustin einfach in den Rollstuhl und dann schob ich ihn hinter Christoph her.
Im Besprechungszimmer hatte er bereits die Aufnahmen aufgehängt und erklärte uns diese:
„Also, das Sprunggelenk ist weitgehend heil geblieben, aber die Kapsel ist doch schwerer verletzt. Außerdem ist das Außenband zwar nicht ganz gerissen, aber angeschlagen. Du musst mindestens zwei Wochen Pause machen. Wenn es gut läuft, kannst du nach einer Woche mit einem guten Tapeverband wieder trainieren.“
Dustin nickte und uns war jetzt klar, diese Turnierreise wird ohne Dustin stattfinden. Wir waren sehr niedergeschlagen, als wir von Christoph verabschiedet wurden. Erfreulicherweise hatte er dafür gesorgt, dass uns Chris vor der Praxis bereits erwartete. Er brachte uns zurück in die WG.
Unterwegs fiel mir ein: „Was ist mit unseren Sachen? Wir haben doch noch unsere Taschen im Club.“
„Alles schon erledigt. Stef und Luc waren so nett und haben eure Taschen gepackt und mir ins Auto gelegt. Die beiden habe ich bereits ins Hotel gebracht. Ihr könnt euch jetzt ausruhen und du kannst Dustin etwas pflegen.“
„Wow, das ist echt cool. Danke. Die beiden sind richtig nett, oder?“
„Ja, ich finde sie sehr sympathisch. Genau wie ihren Vater. Tolle Familie.“
Chris hielt direkt vor der WG und stieg auch mit aus, um Dustin beim Aussteigen zu helfen. Auch Carlo und Tim waren bereits herausgekommen und nahmen sofort unsere Taschen aus dem Auto. Das fand ich richtig toll. Ich spürte wieder diesen Teamgeist. Es war eine weitere Bestätigung, damals die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Chris hatte noch kurz mit Martina gesprochen und sich dann verabschiedet. Dustin hatte sich auf unser Sofa gelegt mit einem Kühlpack auf dem Fuß. Ich holte uns etwas Kaltes zu trinken und setzte mich zu meinem niedergeschlagenen Freund. Die Diagnose hatte uns beide getroffen. Mir war ziemlich klar, dass er nicht mit auf die Tour fahren würde. Was sollte ich jetzt machen? Ihn mit einem anderen Thema ablenken oder über genau das sprechen?
„Ich finde das so beschissen, dass ihr jetzt ohne mich fahren werdet. Wofür habe ich so hart trainiert? Ich könnte kotzen.“
„Ich kann dich sehr gut verstehen, aber komm mal wieder runter. Es hätte doch noch viel schlimmer kommen können. Du bist doch in zwei bis drei Wochen wieder voll dabei. Es ist doch viel sinnvoller, du gehst jetzt bei Charles und Christoph in die Reha, als bei uns rumzuhängen.“
Mein Freund schaute mich böse an. Er war ganz und gar nicht zu beruhigen und wollte schon wieder lospoltern, als es plötzlich klopfte.
„Herein“, sagte ich.
Die Tür öffnete sich und Martina stand bei uns in der Tür. Sie hatte für uns einige belegte Scheiben Brot auf einem Tablett dabei. Dies stellte sie auf den Tisch und verkündete:
„Damit ihr euch stärken könnt. Und, Dustin, nicht aufregen. Es hilft doch nichts. Spar die Energie für die Reha. Je mehr du da arbeitest, desto schneller bist du wieder bei Fynn.“
Dabei lächelte sie uns an und Dustin musste lachen. Er begann so heftig zu lachen, dass ich nicht anders konnte als mitzulachen.
„Ok, ok. Du hast mich überredet. Ich werde mich anstrengen, um schnell wieder fit zu sein.“
Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten und Martina noch etwas bei uns geblieben war, legten wir uns zeitig schlafen.
Am nächsten Tag blieb mir nichts anderes übrig, als allein zum Training zu gehen. Chris hatte sich auch erkundigt und uns mitgeteilt, dass Dustin leider nicht mitfahren wird. Diese Turnierreise würde ich ohne meinen Freund machen müssen. Das tat mir sehr leid für Dustin. Aber auch ich fühlte mich nicht gut bei diesem Gedanken. Allerdings war es sicher die einzig richtige Entscheidung. Er konnte so viel mehr für seine Genesung tun, als bei uns auf der Reise.
Ich hatte uns bereits am Freitag in der Schule für die nächsten drei Wochen abgemeldet und meine Klasse hatte mir zu meiner Überraschung einen Korb mit lauter Leckereien geschenkt. Mittlerweile war ich voll in meiner Klasse integriert und akzeptiert. Die einzigen, die manchmal etwas enttäuscht wirkten, waren die Mädchen. Zuhause teilte ich den Korb für Dustin und mich auf und packte mir ein paar leckere Sachen mit in meine Reisetasche.
Heute würden auch die Steevens wieder abreisen. Luc und Stef waren mittlerweile richtige Freunde für uns geworden und entsprechend schwer fiel der Abschied. Dustin war eh nicht in bester Stimmung. Allerdings gelang es Stef sehr schnell, wieder gute Laune zu verbreiten. Als sie sich mit Lukas und Mick von uns verabschiedeten, hatte er für Dustin etwas vorbereitet. Er gab Dustin einen Umschlag und sagte:
„Das bekommst du von uns. Damit du schnell wieder gesund wirst. Du darfst den Umschlag aber erst öffnen, wenn du heute Abend ins Bett gehst. Sonst bringt das Unglück. Fynn, du bist dafür verantwortlich.“
Ich war total perplex und nickte nur wortlos. Dabei grinsten alle vier Steevens so vielsagend, dass es eigentlich nur eine schweinische Sache sein konnte.
„Wann treffen wir uns mal wieder?“, fragte Dustin etwas traurig.
„Kommt uns doch einfach mal besuchen. Entweder in der Schweiz bei meinen Eltern oder eben in München bei den Geigers. Vielleicht passt das ja mal in euren Turnierplan. Sagt einfach Bescheid. Wir freuen uns auf euch.“
Mick und Lukas drängten jetzt auf die Abfahrt, denn sie mussten pünktlich am Flughafen sein. Also stiegen Luc und Stef nach einer herzlichen Umarmung in den Leihwagen und nach einer kurzen Huporgie fuhren die vier Steevens um die Ecke und wir waren wieder allein.
„Hey, ich versteh ja, dass du traurig und enttäuscht bist. Denk aber mal daran, was jetzt wäre, wenn du dir die Kreuzbänder gerissen hättest. Also komm, das wird wieder.“
Ich nahm meinen Freund in den Arm und stützte ihn beim Hineingehen. Ich legte den Umschlag auf unseren Schreibtisch, während wir gemeinsam duschen gingen.
Dieser Umschlag sollte noch für Furore sorgen.
Chris: Es geht los, leider ohne Dustin
St. Peter-Ording. Ein Ort, der sicher den meisten nur als Urlaubsort der Wohlhabenden bekannt ist. Gestartet waren wir zu dritt. Dustin musste aufgrund seiner Verletzung zu Hause bleiben, um möglichst schnell wieder fit zu werden. Für Fynn war das jetzt eine Bewährungsprobe, ohne seinen Freund eine gute Leistung zu zeigen. Sehr schön war die Reaktion der anderen aus der WG. Beim Abschied heute Morgen waren alle extra früher aufgestanden und haben uns verabschiedet. Das war eine tolle Geste, gerade für Fynn.
Wir hatten ein Abteil für uns und anhand der frühen Abfahrtzeit hatten die Jungs die meiste Zeit geschlafen. Fynn war dabei sehr unruhig. Mir war bewusst, dass es für mich hier nicht so einfach sein würde, ihn ausschließlich auf Tennis zu fokussieren.
Als wir vor unserem Zielbahnhof standen, organisierte ich uns ein Taxi, das uns zum Hotel brachte. Die Zimmer dort waren sehr schön eingerichtet und die Tennisanlage war für uns fußläufig zu erreichen. Das vereinfachte vieles: Wir brauchten keinen Fahrdienst und jeder konnte eigenständig zurück ins Hotel, sollten Wartezeiten aufkommen.
„So Leute, können wir uns dann zur Anlage aufmachen? Wir sollten noch eine Trainingseinheit absolvieren und heute Mittag gemeinsam essen, bevor es dann zum Sign-in geht.“
Maxi und Fynn holten ihre Taschen und wir machten uns auf den Weg. Es ging mitten durch den Ort und bereits nach zehn Minuten standen wir vor dem Eingang der Tennisanlage.
Beide Jungs waren erstaunlich ruhig und in sich gekehrt. Ich ließ sie auch bewusst in Ruhe, denn ich spürte, dass sie deutlich angespannter waren als sonst. Von mir hatten und sollten sie keinen zusätzlichen Druck erhalten. Es war mir bewusst, dass beide immer ihr Maximum geben würden. Allerdings war ich doch sehr gespannt, wie sich das Fehlen von Dustin für Fynn auswirken würde.
Es war bereits reger Betrieb auf der Anlage und ich machte mich direkt auf den Weg ins Turnierbüro, um dort unsere Ausweise entgegenzunehmen und einen Trainingscourt zu reservieren.
Als ich zurückkam, konnte ich meine beiden Jungs nicht sofort finden. Sie standen etwa fünfzig Meter weiter in Richtung Platz eins. Allerdings standen sie dort nicht allein, sondern mit einem anderen Spieler. Sie unterhielten sich rege, als ich zu ihnen stieß.
„Ah, da bist du ja wieder. Chris, erinnerst du dich noch an Markus Westphal?“
Ein genauer Blick und ja, ich hatte ihn erkannt.
„Natürlich, so eine Begegnung vergesse selbst ich nicht, trotz meines fortgeschrittenen Alters.“
Ich gab ihm lachend die Hand, welche er mit einem Grinsen nahm.
„Hallo Chris, schön dass ich euch mal wieder treffe, aber wo habt ihr Dustin gelassen? Und sagt bitte nicht, dass er nicht mehr bei euch ist.“
„Nein, nein. Keine Sorge. Dustin ist immer noch bei uns und hat sich toll entwickelt. Und bevor du auf komische Ideen kommst, er ist auch immer noch Fynns Freund und Partner. Er hat sich aber leider vor zwei Tagen verletzt und kann deshalb nicht spielen.“
Markus machte ein schmerzverzerrtes Gesicht und erwiderte: „Das tut mir echt leid. Sorry, Fynn. Wie ist das für dich?“
„Beschissen, wenn ich ehrlich bin. Ich vermisse ihn einfach. Ich habe bislang selten ohne meinen Freund ein Turnier gespielt. Hoffentlich ist er bald wieder gesund.“
Die Enttäuschung und Verunsicherung war mir nicht entgangen. Ich wollte aber vermeiden, dass er sich jetzt in etwas hineinsteigert, was ihn negativ beeinflussen würde.
„Kommt Jungs. Er wird bald wieder fit sein und außerdem ist es jetzt Zeit, sich beim Sign-in einzufinden.“
Maxi und Fynn gingen zum Turnierbüro und ich hatte so einige Minuten, um mit Markus zu sprechen. Er war in guter Form und hatte Semesterferien. Also spielte er wieder ein paar Turniere. Er hatte mich gefragt, ob ich einverstanden wäre, mit einem der beiden Doppel zu spielen. Mir gefiel das und erlaubte das gern. Er sollte aber beide Jungs fragen und das mit ihnen klären.
„Ich geh noch etwas laufen. Wir sehen uns dann später, ok?“
„Ja, gern. Bist du wieder mit dem Wohnmobil unterwegs?“
„Klar, das ist für mich sehr entspannend. Ich habe immer meine Ruhe und kann Geld sparen.“
Mein Weg ging auch in Richtung Turnierbüro. In fünfzehn Minuten sollte die Auslosung stattfinden.
Vor dem Raum, wo das Sign-in stattfand, hatte sich bereits eine kleine Schlange gebildet und meine Jungs waren gerade wieder heraus.
„Na, wie ist die Lage? Hat alles geklappt?“
Fynn nickte und Maxi meinte: „Ja, alles bestens. Die Auslosung wird gleich bekanntgegeben. Wir müssen nur noch einen Moment warten. Übrigens habe ich schon ein paar bekannte Gesichter gesehen.“
„Na, das ist doch auch nicht verwunderlich. Das wird euch noch häufiger passieren. Wie ist deine Stimmung, Fynn?“
„Es geht. Je früher es losgeht, desto weniger muss ich an Dustin denken. Er fehlt mir.“
„Ja, kann ich verstehen. Aber wir können es jetzt nicht ändern. Je früher er in Halle mit der Reha beginnen kann, desto eher ist er wieder dabei. Sieh es doch mal von der Seite.“
Die beiden schickte ich jetzt zum Trainingsplatz. Die Auslosung würde ich miterleben und ihnen dann mitteilen. Sie sollten sich an die Gegebenheiten gewöhnen und für das erste Match am Abend fit sein.
Als dann endlich die Auslosung kam, war ich überhaupt nicht begeistert. Beide hatten direkt einen gesetzten Spieler als Gegner zugelost bekommen. Also könnte es sein, dass wir bereits morgen schon auf dem Weg zum nächsten Turnier sein würden. Allerdings war das im professionellen Tennis so üblich.
Einige Zeit später hatte ich ein letztes, gutes Training der Jungs gesehen und wir saßen etwas abseits der anderen Spieler auf dem Rasen und sprachen über die kommenden Gegner. Sowohl Fynn, als auch Maxi waren beeindruckt von ihren Gegnern. Das konnte ich anhand ihrer wenigen Worte zu meinen Ausführungen spüren.
„Du denkst, wir haben eine Chance?“, fragte Maxi.
„Sicher. Solange das Match noch nicht beendet ist, ist immer eine Chance vorhanden. Ob man sie nutzen kann, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Geht raus und spielt einfach gutes Tennis. Die Strategie ist klar und dann schauen wir einfach was passiert. Macht euch nicht verrückt. Die kochen auch alle nur mit Wasser.“
Etwa zehn Minuten später waren beide Matches vom Turnierleiter aufgerufen worden und ich auf dem Weg zu meinem Platz an Fynns Court. Er hatte mich gebeten, bei ihm zuerst zu schauen. Maxi war damit einverstanden.
Die ersten Spiele hatten einen furchtbaren Verlauf genommen und Fynn lag sehr schnell mit 0:3 zurück, als ich neben mir Besuch bekam. Markus Westphal hatte sich neben mich gesetzt und wir schauten uns gemeinsam Fynns Match an. Nachdem es 1:4 stand und Fynn beim Seitenwechsel zu mir schaute, fühlte ich so etwas wie Ratlosigkeit bei ihm. Unsere Strategie ging vollkommen ins Leere. Ich überlegte bereits seit Minuten, wie ich ihm vermitteln könnte, dass er komplett anders spielen müsste.
Plötzlich sagte Markus: „Holst du ihn in der Satzpause vom Platz?“
Erst hatte ich überhaupt nicht begriffen, was Markus damit gemeint hatte. Dann machte es „Klick“ bei mir.
„Man, danke dir. Dass ich da nicht selbst drauf gekommen bin.“
Ich gab Fynn ein Zeichen, dass er nach dem ersten Satz den Platz für eine Toilettenpause verlassen sollte. Ich könnte dann mit ihm sprechen. Er stutzte zwar für einen Augenblick, hatte mich allerdings dann schnell verstanden und nickte mir zu.
Nachdem der Satz mit 1:6 an Fynn vorbei lief, trafen wir uns in der Umkleide.
„Was geht da vor? Ich halte mich genau an deine Strategie und dennoch bekomme ich kein Bein an die Erde. Was mache ich falsch? Kannst du mir das sagen?“
„Du machst nichts falsch. Du machst es genau so, wie wir es besprochen hatten. Ich habe nur nicht geahnt, dass dein Gegner anders spielt als erwartet. Versuche also, offensiver zu werden und löse dich von unserer Strategie. Du musst in sehr kurzer Zeit einen Plan B entwickeln. Es ist meine falsche Strategie. Spiele aggressiver und geh häufiger ans Netz. Er muss dann mehr selbst tun.“
Fynn hörte mir aufmerksam zu. Bis zu dem Moment, als ich sagte, dass es mein Fehler sei. Da konnte ich sofort sehen, dass er das nicht akzeptierte. Ich reagierte aber nicht darauf und schickte Fynn zurück auf den Platz.
Markus sah mich erwartungsvoll an, als ich zurück kam. Mir ging es nicht sonderlich gut. Ich hatte das Gefühl, versagt zu haben. Meine Strategie war komplett falsch und ich musste mir eingestehen, dass ich seinen Gegner nicht korrekt analysiert hatte.
„Und? Konntest du ihm helfen?“
„Vielleicht, aber es ist nicht seine Schuld, dass er so böse verhauen worden ist. Er hat sich ganz exakt an meine Strategie gehalten. Es ist meine Verantwortung. Hoffentlich kann er sich davon jetzt frei machen.“
„Er ist doch kein Anfänger. Er hätte doch merken müssen, dass er mehr tun muss. Also mach dich nicht so allein dafür verantwortlich. Ich als Spieler kann doch selbst entscheiden, was ich auf dem Platz tue.“
„Du vielleicht, Fynn ist noch nicht so weit. Er verlässt sich immer total auf meine Vorbereitung. Ist ja auch mein Job als Coach. Allerdings könnte etwas mehr Eigenständigkeit auf dem Platz von Vorteil sein.“
Der zweite Satz hatte begonnen und Fynn startete grandios. Viel offensiver und aggressiver. Er führte schnell mit 3:0. Sein Gegner wurde unruhiger, fing sich aber leider schnell wieder und Fynns Vorteil war recht bald aufgebraucht. Hier zeigte sich die fehlende Erfahrung bei meinen Jungs. Fynn spielte gut weiter, hatte allerdings keine realistische Chance mehr auf einen Sieg. Das musste ich akzeptieren. Als der Matchball gespielt war, stand ich auf und ging nach unten auf den Platz.
„Guter zweiter Satz. Da hast du alles gegeben. Mach dir keine Vorwürfe. Ich gehe zu Maxi rüber und du gehst auslaufen und dann zur Massage. Danach kannst du gern zu Maxi an den Platz kommen.“
Er nickte und ich machte mich auf den Weg. Bei Maxi erwartete mich allerdings ein komplett anderes Match. Erstaunlicherweise führte er im zweiten Satz deutlich mit 4:1. Er hatte leider den ersten Satz mit 6:7 denkbar unglücklich verloren, aber war auf dem guten Weg, sich den zweiten Satz zu holen.
Markus hatte mich noch zum Platz begleitet, musste jetzt aber selbst spielen. Auf dem gleichen Platz, wo Fynn gerade verloren hatte.
Maxi spielte ein tolles Match und erst, nachdem er den Satz gewonnen hatte, realisierte er meine Anwesenheit. Er gab mir mit einer Geste zu verstehen, dass er mich gesehen hatte.
Ich hatte mir etwas zu trinken geholt und in der Satzpause mit Maxi nonverbal kommuniziert. Er fühlte sich gut und war guten Mutes für den dritten Satz. Fynn war mittlerweile zu mir gestoßen und hatte sich neben mich gesetzt. Während ich das Spiel beobachtete, schrieb er fleißig auf seinem Handy. Vermutlich mit Dustin.
Maxi musste sich im dritten Satz richtig quälen, um mithalten zu können. Allerdings hatte sich sein Gegner noch mehr verausgabt und brach beim Stand von 5:5 komplett ein. Maxi nutzte dies und gab in den letzten beiden Spielen keinen Punkt mehr ab. Er gewann 7:5. Das war unser erster Sieg auf der ITF-Tour. Maxi hatte sein erstes Profi-Match gewonnen und weitere Weltranglistenpunkte im Herrenbereich bekommen.
Ich ging mit Fynn hinunter zur Bank, wo uns ein strahlender Maxi entgegen kam.
„Na Chris, bist du zufrieden mit meiner Leistung?“
Dabei hatte er ein fieses Grinsen im Gesicht und musste lachen, bevor ich antworten konnte. Er war sehr glücklich und für mich besonders erfreulich, auch Fynn freute sich für ihn, obwohl er selbst verloren hatte.
„Das war sehr gut gespielt und ich hoffe, du merkst jetzt, warum wir so viel Wert auf Fitness und Kondition legen. Du hast genau wegen deiner guten Kondition die letzten Spiele recht einfach gewonnen.“
„Jaja, das stimmt schon. Ich mag die Konditionsarbeit dennoch nicht sonderlich. Hoffentlich muss ich nicht gleich wieder morgen früh spielen. Ein wenig mehr Zeit zum Relaxen wäre gut.“
„Stell dich bloß nicht so an, du bist doch noch gar nicht alt. Wenn Chris so etwas sagen würde, ok. Aber du bist doch fit und dynamisch. Da fällt das doch gar nicht ins Gewicht.“
Fynn zwinkerte mit den Augen und Maxi fing direkt an, Fynn zu kitzeln. Da wir noch auf dem Platz standen, bekamen die Zuschauer das natürlich mit. Fynn war das unangenehm und er flüchtete schnell vom Platz.
„Na, sonst ist er doch auch nicht so empfindlich.“, stichelte Maxi.
„Komm, lass gut sein. Er ist nicht gerade in bester Stimmung. Er hat verloren, seinen Freund nicht dabei und jetzt auch noch einen nervenden Teamkollegen. Da kann es einem schon mal zu viel werden.“
Maxi musste lachen und er hatte ja auch gut lachen. Schließlich hatte er sein Match gewonnen und Fynn nicht.
Markus gewann sein Einzel sehr souverän. Fynn hatte die ganze Zeit mit dem Handy geschrieben.
„Schöne Grüße soll ich dir von Dustin ausrichten. Er war heute richtig fleißig.“
„Oh, danke. Das hört sich doch gut an. Vielleicht haben wir ja Glück und er kann das letzte Turnier schon wieder mitspielen. Gibt es sonst noch neue Nachrichten?“
Wir redeten sehr leise, denn auch andere Spiele liefen weiter.
Fynn zeigte mir ein Bild, das Dustin über Whatsapp geschickt hatte. Es war ein Brief abgebildet und ich zoomte auf den Schriftverlauf. Was ich dort zu lesen bekam, ließ mir den Atem für einen Augenblick stocken. Dieser Brief war in dem Umschlag, den Stef bei ihrer Abreise Dustin überreicht hatte.
„Das ist aber nicht wirklich ernst gemeint, oder?“, fragte ich vollkommen konsterniert.
„Ähm, ich denke schon. Stef und Luc machten nicht den Eindruck, dass das als Scherz gemeint ist.“
Ich atmete tief aus und mir wurde bewusst, dass ich diese Freundschaft wohl unterschätzt hatte. Stef hatte uns vier in die Schweiz eingeladen. Wir sollten für eine Woche dort Urlaub machen und uns von dem Tourstress erholen. Der Termin stand bereits fest und ich war schon erstaunt, denn diese Woche lag genau in einer Trainingswoche zwischen zwei Turnieren. Er hatte weiter geschrieben, dass ich keine Sorge haben müsste, dass Maxi, Dustin und Fynn nicht genug Sport machen würden. Marc hätte dafür gesorgt, dass wir ausgelastet seien.
Fynn: Eine unangenehme Erkenntnis
Nachdem ich Chris die Nachricht gezeigt hatte, spürte ich wieder dieses Gefühl des Alleinseins. Dustin fehlte mir sehr. Ich hing meinen Gedanken nach und bemerkte überhaupt nicht, dass Markus den ersten Satz gewonnen hatte und Maxi mittlerweile bei uns saß. Chris schaute aufmerksam dem Match zu und selbst Maxi ließ mich in Ruhe. Mir wurde bewusst, dass ich in den letzten Wochen sehr auf Dustin fixiert war. War das richtig? Hätte ich mich mehr um meine Teamkollegen kümmern sollen?
Es waren viele Fragen, die mir durch den Kopf gingen und die mich davon abhielten, mich mit meinem schlechten Spiel erneut zu beschäftigen. Normalerweise hätte mich Chris schon längst zu einem Gespräch gebeten. Er hatte es nicht getan. Warum nicht?
Bevor ich mich weiter über mein schlechtes Spiel ärgern konnte, schaute Maxi zu mir herüber und fragte:
„Stimmt das, was Chris mir gesagt hat? Luc und Stef haben uns in die Schweiz eingeladen.“
Nickend erwiderte ich:
„Jap, und sie haben den Termin sogar schon passend in eine turnierfreie Woche gelegt. Ich frage mich, wer ihnen das wohl gesteckt hatte.“
Dabei schaute ich zu Chris, der aber gar nicht mitbekommen zu haben schien, über was wir gerade sprachen.
So unterbrachen wir unsere Unterhaltung und schauten wieder dem Match zu. Leider schweiften meine Gedanken immer wieder zu meinem Freund. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich war hier ohne ihn und sollte gute Leistungen bringen und bemerkte immer stärker, wie sehr Dustin mir fehlte und Einfluss auf meine Gedanken hatte.
Markus spielte sein Match souverän zu Ende. Jetzt stand nur noch mein Doppel mit Markus an. Das spielte ich erfreulicherweise viel lockerer. Dank Markus konnte ich auch gut mitspielen und wir verloren nur ganz knapp. Chris war sehr zufrieden, das beruhigte mich.
Damit war für uns der Tag auf der Anlage beendet. Chris gab uns noch zehn Minuten und dann sollten wir uns am Ausgang treffen. Er wollte noch den Spielplan für morgen abholen und dann zu uns stoßen.
Ich stand mit Maxi am Ausgang und plötzlich fragte er mich:
„Was ist los mit dir? Du bist schon die ganze Zeit so still. Haben wir dir was getan, oder weshalb redest du nicht mehr mit uns?“
„Sorry Maxi. Ich bin etwas verpeilt. Ich muss ständig an Dustin denken. Ist mir ja auch peinlich, aber ich kann dagegen irgendwie nichts machen.“
Maxi schaute mich an und fing plötzlich an zu lachen. Das fand ich total blöd und war richtig genervt.
„Hey, bleib locker. Wir haben schon gedacht, du merkst aber auch gar nichts mehr. Vielleicht sprichst du mal mit Chris darüber, wenn wir wieder im Hotel sind.“
Mist. Ich dachte Chris hätte es vielleicht doch nicht bemerkt. Maxi hatte mir einen Hinweis gegeben, aber mir war das total unangenehm.
Chris stieß zu uns und wir machten uns auf den Weg in unser Hotel. Chris hatte einen Zettel in der Hand auf den er immer wieder schaute.
„So Jungs, hört mal einen Moment zu. Maxi muss morgen um zehn spielen. Das ist die erste Runde vom Tage. Also, wir treffen uns um halb acht zum Frühstück und anschließend wird sich Maxi mit Fynn einschlagen.“
Ich schaute Chris an und nickte. Maxi war gar nicht begeistert, denn er war eher ein Spätstarter in den Tag. Er spielte lieber später. Mir war das ganz recht. Allerdings fiel mir auf, dass Chris sehr schweigsam war. Auf dem restlichen Weg sprachen wir nicht mehr viel miteinander. Kurz vor dem Hotel fragte Maxi:
„Was steht heute noch an? Kann ich noch zur Massage gehen?“
Chris schüttelte etwas unverständlich den Kopf und erwiderte: „Natürlich holst du dir noch eine Massage. Der Turnierphysio ist ja bei uns im Hotel. Wir gehen um acht Uhr zum Essen und danach bereiten wir uns auf deinen Gegner vor. Fynn kann sich um Dustin kümmern.“
Dabei grinste er mich an und zwinkerte mit den Augen.
Eine halbe Stunde später hatte ich mir erneut eine Dusche gegönnt und saß in unserem Hotelzimmer und chattete mit Dustin. Dieser Chat wurde sehr schnell sehr anregend. Wir hatten beide Sehnsucht nach dem anderen und so kam es wie es kommen musste. Wir mussten Druck ablassen. Wie gut, dass ich bereits ein Handtuch bereitgelegt hatte, um die Folgen aufzuwischen. Ich war gerade fertig, als Maxi von der Massage zurück kam.
Er grinste mich an, sagte aber nichts. Hatte er doch etwas mitbekommen? Ich ließ meinen Blick nervös umherschweifen und dann sah ich, was er auch gesehen haben musste. Das Handtuch mit den eindeutigen Spuren lag noch neben mir auf dem Sofa. Mist.
Maxi sagte aber jetzt gar nichts dazu, sondern fragte: „Wie geht es Dustin? Du hast doch bestimmt mit ihm gechattet.“
„Äh, ja klar. Es geht ihm soweit gut. Sein Fuß macht Fortschritte. Er kann schon wieder mit leichtem Lauftraining auf dem Laufband beginnen.“
„Das hört sich doch gut an. Vielleicht ist er in der Schweiz ja doch schon wieder dabei.“
Das konnte ich mir zwar wirklich nicht vorstellen, aber wer weiß. In diesem Moment klopfte es an unserer Tür.
„Herein“, rief Maxi und die Tür öffnete sich.
Chris betrat unser Zimmer.
„Wie weit seid ihr? Können wir zum Essen gehen?“
Ich nahm noch mein Handy schnell vom Tisch und dann ging es zum Essen in das Hotelrestaurant. Heute wurde mir besonders bewusst, dass unser Team einen großen Aufwand betrieb, um uns so optimal zu fördern. Auch die Hotelkosten, die sicher nicht gerade gering waren, wurden bezahlt. Klar, sollten wir irgendwann einmal größere Preisgelder erzielen, würden wir davon auch einen Teil abgeben müssen.
Chris hatte sich bereits für uns um das Menü gekümmert und das war der einzige Punkt, den ich in diesem Moment nicht ganz so gut fand. Ich konnte, obwohl ich nicht mehr im Turnier war, mein Essen nicht frei wählen.
„Warum kann ich mir nicht ein Kräutersteak mit Kroketten bestellen? Ich bin doch schon aus dem Turnier ausgeschieden.“
„Damit du dafür auch noch belohnt wirst? Nein, Spaß beiseite. Ernährung bezieht sich immer auf eine langfristige Perspektive. Natürlich könntest du heute das bestellen. Allerdings wird sich das auch auf deine Regeneration und Leistungsfähigkeit auswirken. Daher haben wir uns ja Gedanken gemacht und euch einen Ernährungsplan gegeben. Daran möchte ich mich auch halten.“
Das leuchtete mir ein und somit war ich mit der Pasta und dem großen Salatteller auch einverstanden. Für Maxi war das natürlich noch wichtiger, denn er hatte am kommenden Morgen wieder ein sehr schweres Match.
Wir saßen im Speiseraum und neben uns saßen auch andere Spieler mit ihren Trainern und Betreuern. Gegen neun waren wir mit dem Essen fertig und Chris entließ mich ins Zimmer. Er wollte jetzt mit Maxi das Match vom folgenden Tag vorbereiten. Ich zog mich in unser Zimmer zurück. So konnte ich noch einmal mit Dustin telefonieren.
Er war sehr optimistisch und sprach schon davon, bald wieder auf den Platz zu gehen. Maxi kam etwa gegen halb zehn ins Zimmer zurück. Er wirkte müde.
„Boah, bin ich platt. Ich leg mich direkt schlafen. Wir sehen uns morgen zum Frühstück.“
„Alles klar. Ich werde mich bemühen leise zu sein. Ich bin noch nicht müde und werde erst später schlafen gehen.“
Da Dustin ja nicht mitgekommen war, hatten Maxi und ich ein Doppelzimmer bekommen. Damit konnten wir auch Kosten sparen. Chris hatte ein Einzelzimmer. Auch wenn unser Jahr finanziert war, konnten wir mit Geld nicht um uns werfen. Für mich war das auch überhaupt kein Problem, mit Maxi ein Zimmer zu teilen.
Ich nahm mir mein Handy und schrieb noch ein paar Nachrichten an die anderen in der WG. Carlo und Tim hatten sich auch gemeldet und wollten wissen, wie es uns ergangen ist. Die Nachricht aber, die für mich am schönsten war, kam von Stef und Luc aus München. Sie trösteten mich und bauten mich wieder auf. Ich fühlte mich von ihnen verstanden und sie machten mir Mut, beim nächsten Turnier wieder ein besseres Ergebnis zu erzielen. Plötzlich klopfte es leise an unserem Zimmer.
Ich stand auf und öffnete die Tür. Vor mir stand Chris und sagte: „Hi, Maxi hat sich schon hingelegt, oder?“
Ich nickte und er fuhr fort: „Ok, dann komm bitte zu mir rüber. Ich möchte noch etwas mit dir besprechen. Ich möchte Maxi nicht mehr stören.“
Chris: Erste Erfolge und schwierige Situationen
Ich hatte endlich Zeit und Ruhe gefunden, mit Fynn über sein Match zu sprechen. Mir gefiel sein Verhalten überhaupt nicht, auch wenn ich mir vorstellen konnte, was sein Problem war. Er musste sehr schnell begreifen und umsetzen, dass Dustin nicht dabei war und sich dadurch die Welt nicht anders dreht.
„Komm, setz dich einfach. Möchtest du etwas trinken?“
„Ja gern, eine Apfelschorle.“
Ich nahm eine Flasche aus dem Kühlschrank und gab sie Fynn. Ich hatte für uns immer genug zu trinken organisiert, damit wir nicht die teuren Getränke aus dem Hotel nehmen mussten.
„Sag mal, wie geht es dir eigentlich?“
Fynn schaute mich an, als ob er sich ertappt fühlte. Nach einigen Sekunden Bedenkzeit entwickelte sich ein Gespräch.
„Eigentlich geht es mir sehr gut.“
„Eigentlich? Was heißt das?“
„Naja, du kannst dir ja denken, was mir zu schaffen macht. Mir fehlt Dustin einfach. Ich weiß aber auch, dass ich allein damit klarkommen muss. Dennoch gehen meine Gedanken oft zu ihm und ich kann das auch nicht beeinflussen.“
„Das merke ich auch. Deine Leistung bei deinem Match heute war nicht unbedingt gut. Warum hast du nicht bemerkt, dass meine Strategie nicht korrekt war. Du bist total stumpf meiner Strategie gefolgt, obwohl du doch merken musstest, dass dein Gegner damit sehr gut zurecht kam.“
„Ich weiß. Ich habe gedacht, dass er das nicht durchhalten würde und du nicht so komplett falsch liegen würdest. Außerdem war da noch ein Problem.“
„Ja?“
Jetzt wurde es für mich interessant. Sollte er tatsächlich die wahren Gründe aufdecken? Denn eines war mir schon während des Spieles klar geworden. Seine mentale Leistung war denkbar schlecht gewesen und seine Konzentrationsfehler hatten sich gehäuft.
„Ähm, ich schaffe es einfach nicht, meine Gedanken ausschließlich auf das Spiel zu fokussieren. Selbst beim Seitenwechsel überlegte ich manchmal, was Dustin wohl gerade macht. Ich weiß auch, dass das schlecht ist. Aber was soll ich machen? Ich kann das nicht abstellen.“
„Ich verstehe. So etwas in der Art habe ich mir schon gedacht. Das ist natürlich ganz schlecht. So wirst du auch beim nächsten Turnier scheitern. Da müssen wir sehr schnell eine Veränderung schaffen.“
„Ja, das ist mir schon klar, aber ich habe es immer wieder versucht. Mir gelingt es einfach nicht.“
„Und dann resignierst du einfach und kommst nicht zu mir? Warum muss ich jetzt mit dir dieses Gespräch führen? Du solltest das Gespräch mit mir suchen und nicht umgekehrt.“
Was mich störte, war die fehlende Konsequenz seiner Wahrnehmung. Er hatte deutlich beschrieben, was sein Problem ist. Allerdings konnte er für sich keine Lösung finden. Dennoch suchte er nicht das Gespräch mit mir. Das war inakzeptabel. Genau das musste ich Fynn vermitteln. Es war nicht seine Verantwortung, eine eigenständige Lösung zu präsentieren. Ich erwartete allerdings von ihm einen Gesprächswunsch zu diesem Problem.
Fynn schien ganz genau zu wissen, dass sein Verhalten bei mir nicht auf Verständnis stieß. Er war sehr angespannt und ich musste jetzt versuchen, die Atmosphäre zu verändern.
„Ok, ich sehe schon, dass es dir gerade etwas unangenehm ist. Schau mal, wenn du nicht lernst, deine Probleme mit mir zu besprechen, wirst du keinen Erfolg auf dem Platz haben. Solange dein Kopf nicht frei ist und sich nicht nur mit dem Match beschäftigen kann, wird dein Gegner leichtes Spiel haben. Gib mir doch eine Chance, dich zu unterstützen. Das ist schließlich meine Aufgabe.“
„Aber du hast doch gesehen, was passiert ist. Ich habe gedacht, dass du von mir schon erwartest, dass ich das kann. Ich habe mich nicht mehr getraut, darüber zu reden. Es ist mir einfach peinlich. Ich komme mir vor wie ein kleines Kind. Das kann doch nicht so schwer sein, denke ich immer noch.“
„Schau mal, diese Situation ist für dich neu. Du bist das erste Mal allein unterwegs. Also ohne deinen Freund. Daran musst du dich gewöhnen. Und das hat nichts mit Können oder Unvermögen zu tun. Selbst bei den Profis kommen diese Situationen vor. Ich erinnere mich an eine Sache mit Gilles. Es gab ein Problem mit ihm und selbst Jan wusste nicht mehr weiter. Er hatte mich dann angerufen und um Rat gefragt. Das Resultat war, dass ich in das nächste Flugzeug gestiegen und nach Wimbledon geflogen bin, um vor Ort mit Gilles an dem Problem zu arbeiten.“
„Wow, du bist extra deswegen nach London geflogen? Was für ein Aufwand. Konntest du denn Gilles helfen? Und was war das Problem?“
„Ja, es war ein großer Aufwand, aber ich konnte Gilles so stabilisieren, dass er dort das Viertelfinale erreichte. Es ging um einen Trauerfall in seiner Familie.“
„Würdest du für uns auch so einfach in das Flugzeug steigen?“
Jetzt musste ich lachen und antwortete: „Nein. Ich bin ja zurzeit immer bei euch vor Ort. Also muss ich nicht extra hinfahren. Nur, wenn du mich nicht informierst, was für ein Problem du hast, kann ich dir auch nicht helfen.“
„Gut, das leuchtet selbst mir ein. Du hältst mich jetzt vermutlich wieder für einen Idioten oder Sturkopf, oder?“
Ich schüttelte den Kopf. Diese Reaktion war wieder so typisch für Fynn.
„Nein, warum sollte ich das denken? Ich kenne dich lange genug und weiß, dass ihr noch nicht so selbstständig seid, wie ihr das gern möchtet. Von daher ist das alles gar kein Problem, aber du solltest daraus lernen und in Zukunft anders damit umgehen.“
„Ok, das werde ich versuchen. Aber was kann ich denn jetzt ändern, damit ich beim nächsten Turnier nicht wieder den gleichen Fehler begehe. Ich mache das ja nicht bewusst. Es kommen einfach diese Gedanken.“
„Du musst dich wirklich fokussieren, ausschließlich deine Gedanken auf Tennis bündeln, wenn du dich auf das Match vorbereitest. Nach dem Match kannst du dich mit Dustin beschäftigen. Vorher nicht. Das musst du ganz bewusst machen. Außerdem werde ich Dustin mitteilen, dass er dich vor dem Match einfach in Ruhe lassen soll. Und, nur damit es für euch klar ist, ich möchte euch nicht die Zeit einteilen, aber momentan kannst du dich noch nicht so fokussieren, wie das notwendig ist. Sieh es also als Hilfestellung an. Dann wirst du auch sehr schnell positiv damit umgehen.“
Er wiegte mit dem Kopf und ich spürte, dass diese Regelung überhaupt nicht auf Zustimmung stieß.
„Ich finde es total blöd, dass wir uns nicht mal schreiben können, bevor ich das Match habe. Erst kann Dustin nicht mitfahren und jetzt darf er mir nicht mal mehr schreiben.“
„Hey, krieg das mal klar“, sagte ich leicht genervt, „du hast nicht richtig zugehört. Sobald du dich nur auf Tennis fokussieren kannst, könnt ihr wieder normal miteinander kommunizieren. Also, je schneller du das lernst, desto eher ist wieder alles so wie immer. Du bist schließlich hier, um erfolgreich Tennis zu spielen.“
Jetzt schien es bei ihm ´klick´ gemacht zu haben, denn er erwiderte: „Ah, ok. Also du glaubst, meine Gedanken muss ich ausschließlich auf meinen Gegner bündeln. Keine Energie an Dustin verschwenden.“
„Naja, auf Dustin Energie zu verschwenden ist sicher der falsche Ausdruck, aber im Prinzip hast du es erfasst. Bündel deine Energie nur auf deinen Gegner auf dem Platz. Danach kannst du dich wieder ganz deinem Freund widmen. Wenn Dustin selbst spielen würde, hättet ihr schließlich auch keine Zeit, auf komische Gedanken zu kommen.“
Jetzt schaute Fynn mich an und fing an zu lachen. Danach klatschten wir uns ab und Fynn wollte sich in sein Zimmer zurückziehen. Da drehte er sich noch einmal um.
„Danke, Chris. Ich glaube, ich habe es begriffen. Allerdings weiß ich nicht, ob mir das so einfach gelingen wird. Dustin fehlt mir einfach.“
„Ja, das verstehe ich. Wenn du es aber wirklich willst, wirst du das auch können. Ganz bestimmt. Ich glaube da total an deine Fähigkeiten.“
Er machte zwei Schritte auf mich zu und umarmte mich. Danach ging er wortlos hinaus.
Diese Geste gab mir ein gutes Gefühl. Jetzt wusste ich, ich hatte ihn erreicht und er hatte meine Ansage als Hilfe begriffen. Ich würde beim nächsten Turnier ganz bestimmt einen anderen Fynn erleben, als hier in St. Peter-Ording.
Am nächsten Morgen war ich wieder der erste, der am Frühstückstisch Platz genommen hatte. Ich nutzte die Ruhe, kurz mit Thorsten zu telefonieren und die weiteren Abläufe zu besprechen.
Er hatte uns bereits Flüge nach Wien gebucht. Dort sollte das nächste Turnier stattfinden. Allerdings konnten wir den genauen Termin noch nicht bestimmen. So lange Maxi hier noch im Turnier war, würden wir selbstverständlich in St. Peter-Ording bleiben.
Einen Tisch neben mir saß ebenfalls ein Trainer, der auf seinen Spieler wartete und bereits in der Tageszeitung las. Ich staunte über die Tatsache, dass relativ wenige Spieler anwesend waren.
Jetzt ging die Tür auf und Maxi und Fynn kamen bestens gelaunt in den Raum. Ich konnte das kaum glauben, denn eigentlich war Maxi morgens noch zu gar nichts zu gebrauchen. Umso mehr freute ich mich, dass auch Fynn mich gut gelaunt begrüßte:
„Moin Chris, alles klar bei dir? Ich hoffe, du hast gut geschlafen und bist genauso gut drauf wie wir.“
„Äh ja, ich habe gut geschlafen. Aber was für bunte Pillen habt ihr denn genommen? So früh am Morgen und beide gut drauf? Was ist passiert?“
„Fynn hat schon heute früh mit Dustin telefoniert. Außerdem hat mir mein Vater eine Mail geschrieben. Da kommt man automatisch 'gut drauf'.“
„Ja und ich habe Luc einen Bericht nach München geschickt. Er arbeitet wieder bei den Geigers. Er hat ja noch Ferien. Ich soll schöne Grüße bestellen.“
Na, das fing ja richtig überraschend an. Während des Essens waren beide erstaunlich ruhig und Maxi schien sich bereits innerlich auf das Match vorzubereiten. Fynn hingegen schaute immer häufiger zu den anderen Tischen und ich hatte den Eindruck, er würde die Leute beobachten. Ich ließ es laufen und war sehr gespannt, wie sich Fynn heute über den Tag verhalten würde.
Luc: In München kommt die Arbeit am Camaro voran.
Nachdem ich einige Tage wieder normal in München bei Karl gearbeitet hatte, bekam ich am frühen Morgen eine Nachricht von Fynn aus St. Peter-Ording. Sein Bericht machte mir sehr deutlich, wie sehr er Dustin vermisste. Ich hatte aber leider keine Zeit, ihm ausführlich zu antworten, denn Karl kam in diesem Moment mit Michael, dem Designer, zu mir. Ich stand gerade mit Mario unter einer Dodge Viper und tauschte die Bremsbeläge aus.
„Luc, kannst du dir mit Michael mal einen Entwurf anschauen? Wir sind uns nicht sicher, ob das so an den Kunden gehen kann. Du hast ja auch immer gute Ideen.“
„Sofort Karl, ich muss aber die Beläge noch einbauen und sichern. Sonst vergesse ich das später vielleicht, korrekt zu machen.“
Nachdem ich das Rad wieder fest montiert hatte, legte ich den Luftschrauber an die Seite und zog die Handschuhe aus. Michael wartete mit Karl an der Seite der Hebebühne und schaute Mario dabei zu, wie er die Ansaugbrücke wieder aufsetzte und festschraubte.
„Luc“, sagte Karl, „es ist echt toll, wie du mittlerweile selbstständig fast alle Arbeiten machen kannst. Ich weiß nicht, wie lange das her ist, dass ich mal so einen talentierten Mitarbeiter hatte.“
„Äh, Karl. Ich möchte dich daran erinnern, dass Luc doch noch gar nicht unser Mitarbeiter ist. Du hast ihm ja auch noch keinen Arbeitsvertrag gegeben.“
Oha, Mario war heute aber sehr gut gelaunt. So eine Spitze gegenüber Karl zu bringen, war
nicht ganz ungefährlich. Nicht, dass es Ärger geben würde, aber das schrie förmlich nach einer Retourkutsche. Ich musste auch nicht lange warten und Karl holte tief Luft.
„Ok, Mario. Du bist dir sicherlich bewusst, dass du einen Arbeitsvertrag hast und deshalb an meine Arbeitsanweisungen gebunden bist. Ich werde mir also gleich mal überlegen, ob du hier in der richtigen Abteilung arbeitest oder ob ich dich durch Luc ersetzen werde.“
Bevor das hier noch ausarten würde, beschloss ich, sehr zügig mit Karl und Michael aus der Werkstatt zu verschwinden. Ich konnte Marios Grinsen noch erkennen. Er hatte also den Spaß von Karl richtig verstanden.
In seinem Büro zeigte mir Michael den Entwurf einer Lackierung. Es handelte sich um eine Gulf Lackierung für einen Ford GT. Mir gefiel das Blau überhaupt nicht für diesen Wagen.
„Also ganz ehrlich, dieses Hellblau geht für mich gar nicht. Die Streifen in Orange sind ok, aber das Blau sieht scheußlich aus. Für mich müsste es viel dunkler sein. Mitternachtsblau wäre treffender.“
Michael überlegte einen Augenblick, machte einige `Klicks` am Computer und schon war das Auto mitternachtsblau. So sah es in meinen Augen grandios aus.
„Ja, genau so hab ich mir das vorgestellt, Michael. So wirkt das Orange viel besser.“
Michael schaute sich den Entwurf an und nickte mit seinem Kopf.
„Meine Güte, ich muss zugeben, dass das viel besser ist. Nur ist es aber nicht unbedingt der Wunsch des Kunden. Er wollte das Auto nicht zu dunkel.“
„Zeig ihm doch beide Versionen und er soll sich dann entscheiden. Wenn er den helleren Ton möchte, dann soll es so sein. Letztlich bezahlt er das ja auch.“
„Ja, so machen wir das. Danke dir für deine Meinung und die gute Idee.“
Ich verließ das Büro und machte mich wieder auf den Weg in die Werkstatt, als mein Handy vibrierte. Ich schaute auf das Display: Stef hatte mir geschrieben.
Er hatte ebenfalls von Fynn die Nachricht erhalten. Wir vereinbarten, dass mich Stef heute nach der Arbeit abholen würde. Er wollte mit mir und Karl etwas besprechen.
Als ich wieder bei Mario ankam, hatte er die Viper gegen eine Corvette C5 getauscht.
„Ich bin wieder da. Was gibt es zu tun?“
„Eine 100 000 km Inspektion mit Getriebe-Check. Die Automatik soll nicht mehr so sauber schalten. Das müssen wir uns genauer ansehen.“
Oh, das versprach interessant zu werden. Ich hatte noch nicht so oft an einem Automatikgetriebe gearbeitet. Außerdem meinte Mario noch:
„Und morgen geht es an die Endmontage deines Camaro. Dieter war eben hier und hat gesagt, dass der Termin für den TÜV übermorgen ist. Das heißt also, morgen geht es ans Anlassen und Probefahrt machen.“
„Morgen schon? Wie soll das denn gehen? Wir haben doch noch gar nicht alle Leitungen angeschlossen. Das schaffen wir doch nie bis übermorgen.“
„Ganz ruhig. Karl hat uns für morgen freigestellt. Wir können den ganzen Tag an deinem Auto arbeiten. Außerdem hilft uns ein Azubi dabei. Das sollte also klappen.“
Jetzt wurde es also ernst mit der Fertigstellung meines Autos. Ich hatte noch nicht damit gerechnet, denn Papa hatte ja gesagt, dass ich das Auto erst bekomme, wenn ich meinen Führerschein habe. Und das würde noch etwa zwei Monate dauern. Ich war neugierig, ob uns diese Aktion morgen gelingen würde.
Mario und ich konnten pünktlich Feierabend machen, da uns kein Notfall mehr in die Werkstatt kam. Allerdings hatte Mario heute Notfallbereitschaft. Also wenn ein Kunde mit seinem Auto einen dringenden Notfall hätte, müsste er in die Werkstatt kommen. Ich hatte den Abend frei und Stef stand bereits vorn an der Anmeldung bei Barbara, als ich aus der Umkleide kam.
„Schau mal, Stef“, sagte Barbara. „ Da kommt dein Luc. Also ihr könnt euch auf den Weg machen.“
„Nein, Barbara. Wir haben noch einen Termin bei Karl. Erst danach machen wir uns auf den Heimweg. Ist er oben?“
„Oh, davon hat er mir gar nichts gesagt. Doch, ich glaube schon, aber er muss noch eine Probefahrt mit einem Kundenfahrzeug machen. Ich frage mal eben nach.“
Stef und ich warteten an der Anmeldung während Barbara kurz mit Karl telefonierte. Als sie den Hörer ablegte, sagte sie:
„Ihr sollt bitte zur Fahrzeugübergabe gehen. Karl wartet dort auf euch.“
Stef ging neben mir und er hatte den gleichen Gedanken wie ich.
„Eigentlich hätten wir uns das auch denken können. Ein normales Gespräch mit Karl kommt so gut wie nie zustande.“
„Das stimmt, Schatz. Aber was genau wolltest du eigentlich mit ihm und mir besprechen?“
Er schaute mich grinsend an und da wusste ich, er hatte wieder eine verrückte Idee. Solche Ideen bekam er in letzter Zeit häufiger. Dadurch wurde unsere Beziehung noch lebendiger und oft auch lustiger. Stef hatte sich sehr positiv entwickelt und war viel selbstbewusster geworden, seit er wieder in geregelten Verhältnissen lebte. Mir tat das auch sehr gut und von daher freute ich mich jedes Mal, wenn er mich nach München begleitete.
Wir standen an dem vereinbarten Platz, als Karl schon mit zügigen Schritten und einem breiten Grinsen zu uns kam.
„Hallo ihr beiden. Wir müssen unser Gespräch unterwegs machen. Aber ich glaube, dass euch das auch Spaß machen wird. Schaut euch nur mal dieses Prachtstück von Auto an.“
Dabei zeigte er auf ein tiefschwarzes Cadillac Fleetwood Convertible aus den sechziger Jahren. Das war ein Traum von Auto. Fast ehrfürchtig nahmen Stef und ich in diesem Straßenkreuzer Platz.
Karl testete als erstes, ob das Verdeck ohne Probleme öffnete und schloss. Und erst danach fuhren wir, mit einem brabbelnden Achtzylinder unter der Haube, vom Hof.
„Warum fahren wir nicht offen, Karl?“
„Ganz einfach, Stef. Wenn ich zur Probefahrt aufbreche, muss ich auf Geräusche achten. Das geht aber nur bei geschlossenem Dach.“
Das leuchtete meinem Freund sofort ein. Er meinte sogar: „Da hätte ich auch selber drauf kommen können.“
Karl lächelte hinter dem riesigen Lenkrad und nach einigen Minuten konzentrierter Fahrt fragte er unvermittelt:
„Was habt ihr auf dem Herzen? Was möchtet ihr besprechen?“
„Du kennst doch Chris, Fynn und Dustin. Sie spielen in der nächsten Woche ein Turnier in Kitzbühel. Ich möchte fragen, ob ich mit Luc dort hinfahren kann. Dafür bräuchte er aber diesen Freitag frei. Ginge das?“
Karl überlegte kurz. Dann fragte er:
„Beginnt denn das Turnier bereits am Freitag? Ich dachte, die Turniere beginnen immer erst am Montag.“
„Das stimmt schon, aber ich kann ja schlecht fragen, ob Luc einfach zwei Tage frei nehmen kann. Er ist ja nur noch drei Wochen hier. Im Moment spielen sie noch ein Turnier in St. Peter-Ording. Fynn ist bereits ausgeschieden und wenn Maxi auch verlieren sollte, werden sie sofort nach Kitzbühel fahren, um dort zu trainieren.“
„Ah, ich verstehe. Dann wollt ihr sie sozusagen beim Training besuchen, bevor das Turnier beginnt.“
„Genau. Da würde Luc nur den Freitag in der Firma fehlen.“
„Ich schlage etwas anderes vor. Fragt doch erst einmal, wann sie dort fertig sind und wie ihre Planung dann genau sein wird. Wir könnten ihnen doch auch anbieten, dass sie sich hier in München auf das Turnier vorbereiten. Dann wäre es doch noch einfacher. Sie würden bei uns wohnen und ihr könntet nach Feierabend etwas in München unternehmen. Was meint ihr denn dazu?“
Diese Idee von Stef war jetzt auch für mich überraschend, denn wir hatten darüber ja noch gar nicht gesprochen. Und Karl schien kein Problem damit zu haben, dass weitere drei Leute bei ihnen für einige Tage zu Besuch sein würden. Das wäre vor einem Jahr unmöglich gewesen. Karl hatte seine Abschottung im privaten Bereich gelockert. Er vertraute uns und unseren Freunden.
„Ich werde das mit Chris aufnehmen. Ich kenne seine Pläne nicht und kann nicht sagen, ob sie das machen können, aber ich finde diese Idee toll und würde mich sehr freuen, wenn das klappen würde.“
An der nächsten Ampel öffnete Karl das Verdeck und erwiderte: „Sehr schön, dann klärt das doch einfach mal ab und sagt mir dann Bescheid. Wir finden mit Sicherheit eine Lösung.“
Die Rückfahrt zur Firma war leider viel zu kurz. Ich genoss es immer wieder, in einem offenen Auto den Wind um die Nase zu haben. Stef ging es genauso. Umso mehr freute ich mich auf meinen Führerschein, um endlich den Camaro auch fahren zu können. Obwohl, ich wusste ja noch gar nicht, ob er überhaupt fahren würde. Die Endmontage und der TÜV standen für morgen und übermorgen an.
Abends standen Stef und ich bei Karl und Barbara in der Küche und machten für alle Bratkartoffeln. Ich war am Herd und Stef bereitete den Salat zu.
„Schatz, wann willst du das mit Chris klären? Heute ist Dienstag. Das wird doch sonst alles sehr knapp mit der Planung.“
„Ich weiß, Luc, aber das kann ich doch erst klären, wenn Maxi auch verloren hat. Vorher macht das doch keinen Sinn. Ich habe Fynn ja schon geschrieben, er soll sich melden, bevor sie dort wegfahren. Mir ist schon klar, dass dies alles sehr kurzfristig werden kann. Wie plant man das dann?“
Ich musste lachen, denn eine Planung war hier natürlich nur sehr begrenzt möglich und ich wusste, dass das für Stef ein Problem ist. Er brauchte eine gewisse Planungssicherheit. Spontane Aktionen waren immer etwas kritisch. Er schwieg jetzt auch und mir war bewusst, dass ich diese Aktion sehr vorsichtig angehen musste, um ihn nicht unnötig unter Stress zu setzen. Ich drehte mich deshalb vom Herd weg und stellte mich neben meinen Freund an der Arbeitsplatte, legte meinen Arm um seine Hüfte und nahm ein paar Radieschen, die er gerade frisch geschnitten hatte.
„Hm, lecker. Was für ein Dressing hast du geplant?“
„Hey, naschen verboten.“
Spielerisch haute er mir auf meine Finger und grinste dabei. Ich gab ihm einen Kuss und lenkte so von dem Thema ab. Einige Sekunden später stand ich wieder am Herd und machte die Bratkartoffeln fertig.
„Du kannst das Dressing über den Salat geben. Wir können gleich essen.“
Plötzlich betrat Barbara die Küche. Wir erschraken sogar ein wenig, denn wir hatten sie nicht gehört.
„Hm, das riecht aber lecker. Lasst das bloß Karl nicht riechen. Sonst sind eure Kartoffeln in Gefahr.“
„Es ist genug für euch da. Wollt ihr mit uns essen?“
Barbara schaute in die Pfanne und nickte. „Ja gern. Karl wird sich bestimmt freuen, wenn ihr Bratkartoffeln macht. Wie lange braucht ihr noch? Kann ich schon den Tisch decken?“
„Jap, wir sind gleich soweit. Ich denke in fünf Minuten können wir essen.“
„Gut, Luc. Ich sage Karl Bescheid und kümmere mich um das Tischdecken.“
Eine Stunde später saßen wir gemeinsam mit Karl und Barbara im Wohnzimmer. Das Essen hatte ihnen sehr gut gefallen und wir sprachen gerade über den Ablauf des morgigen Tages, als mein Handy klingelte.
„Luc Steevens“, meldete ich mich.
„Hi Luc. Hier ist Fynn. Wie geht es euch in München? Läuft alles?“
„Hallo Fynn. Das ist eine schöne Überraschung. Wie ist es dir heute ergangen?“
Alle im Raum stoppten ihre Unterhaltung und verfolgten mein Gespräch sehr aufmerksam. Stef gab mir sofort ein Zeichen, dass ich das mit unserer Idee ansprechen sollte.
„Maxi hat das beste Match seiner Karriere gespielt und erneut gewonnen. Ich könnte mich so ärgern, dass ich so blind verloren hatte. Hier hätte ich auch gut ein oder zwei Runden gewinnen können. Aber dass Maxi so geil spielt, ist natürlich auch toll.“
„Cool, also bleibt ihr noch dort. Wann spielt Maxi? Morgen wieder?“
„Ja, wir bleiben noch hier. Maxi spielt morgen früh gleich um zehn. Das wird aber ganz heftig. Sein Gegner ist an Nummer eins gesetzt. Mal sehen. Wenn er so spielen kann wie heute, wird es zumindest wieder ein gutes Match.“
Das hörte sich toll an.
„Anschließend geht es für euch doch nach Kitzbühel, richtig?“
„Ja genau. Wir werden von hier direkt dorthin aufbrechen.“
„Fahrt ihr wieder mit dem Zug?“
„Nein, ich glaube, Chris hat gesagt, dass wir fliegen werden. Sonst dauert das zu lange und wir verlieren zu viel Trainingszeit.“
„Ok, kannst du nicht Chris mal fragen, ob ihr vielleicht über München fliegt? Dann könntet ihr hier doch Station machen und uns besuchen. Außerdem würden wir uns um eine Trainingsmöglichkeit bemühen. Dann könnt ihr euch hier vorbereiten. Das war übrigens Karls Idee. Eigentlich wollten wir euch in Kitzbühel besuchen, aber ich bekomme keinen freien Tag.“
Das hatte Karl natürlich mitbekommen und stand sofort auf. Er wollte mir das Handy wegnehmen, aber Stef hatte aufgepasst. Maxi bekam das aber alles im Hintergrund mit und ich musste es ihm erklären. Dabei fing er furchtbar an zu lachen und sagte:
„Ok, das hört sich echt lustig an. Ich werde Chris mal fragen, was er davon hält. Ich melde mich dann morgen wieder bei euch.“
„Ja, mach das und grüße Chris und Maxi von uns. Bis morgen.“
Fynn verabschiedete sich von mir und als ich das Handy auf den Tisch legte, schaute ich in ein grinsendes Gesicht von Karl.
„Das stimmt so doch gar nicht. Natürlich hättest du den Freitag frei bekommen, aber dann hättet ihr doch gar nichts davon gehabt. So könnt ihr dem Dreigespann München zeigen und sie trainieren hier ein paar Tage.“
„Ja, ja. Ich habe es ja auch verstanden, aber so lange Maxi noch im Turnier ist, wird Chris kaum Zeit haben, sich damit zu beschäftigen. Also warten wir bis morgen.“
Somit gingen Stef und ich in unser Zimmer und verbrachten den Abend gemeinsam in Ruhe.
Der morgige Tag sollte sehr spannend werden.
Leider klingelte der Wecker wieder sehr früh, aber heute war ich seit langer Zeit wieder aufgeregt vor dem Weg in die Firma von Karl. Ich sollte heute endlich meinen Camaro fertigstellen. Mein Freund begleitete mich und somit trafen wir gemeinsam pünktlich bei `Geiger Cars` ein.
Ich zog mich um und auch Stef bekam heute Arbeitskleidung. Er wollte und sollte dabei sein, wenn der Motor das erste Mal gestartet würde.
„Guten Morgen zusammen.“
Wir hatten die Werkstatt betreten und begrüßten die Kollegen. Mario stand bereits mit einem der neuen Azubis bei Dieter an der Auftragsannahme. Sie redeten leise miteinander. Ich ging zu ihnen und begrüßte sie.
„So, Luc. Jetzt wird es ernst mit deinem Schmuckstück. Ihr seid für heute freigestellt, aber es kann auch sein, dass Mario mal hier aushelfen muss. Ich melde mich dann. Viel Spaß und wenn etwas sein sollte, komm einfach rüber.“
„Danke, Dieter. Ich bin echt aufgeregt heute. Hoffentlich bekommen wir das auch hin. Damit morgen der Termin mit dem TÜV auch klappt.“
„Klar, das kann ich verstehen, aber du bist ja nicht allein und ihr habt bislang alles richtig gut im Griff gehabt. Karl lässt dir ausrichten, er muss noch einen Kunden vom Flughafen abholen und kommt dann bei euch vorbei, um die letzten Dinge zu besprechen.“
Stef und ich gingen mit Mario und Marvin, dem neuen Azubi, rüber in die andere Halle. Dort stand mein Auto und alles schien vorbereitet.
Es dauerte nicht lange und wir hatten jeder eine Aufgabe, die zu erledigen war. Stef ging mir zur Hand. Mittlerweile konnte er doch schon die einzelnen Werkzeuge unterscheiden und ich brauchte ihm nicht mehr oft etwas zu erklären. So waren wir auch in der Werkstatt ein gutes Team geworden.
Gegen elf erhielt ich von Fynn eine Nachricht.
`Hallo ihr zwei. Hoffe ihr kommt gut voran. Maxi spielt wieder großartig, liegt aber zurück. Ich befürchte, heute ist sein Gegner einfach zu gut. Melde mich nachher. Gruß Fynn.`
Ich zeigte Stef die Nachricht und er nickte.
„Warten wir mal ab, vielleicht wendet es sich ja doch noch. Sonst könnten wir heute mit ihnen konkret über den Besuch reden.“
„Ja, aber jetzt müssen wir uns hier konzentrieren. Ich muss die Kabel der Zündung anschließen.“
Mit Hilfe eines Anschlussplanes hatte ich es geschafft, die Zündung komplett anzuschließen. Mario war gerade dabei, meine Arbeit zu prüfen, als die Tür zur Werkstatt aufging und Karl die Halle betrat.
„Grüß Gott zusammen. Wow, ihr seid ja gut vorangekommen. Ich habe euch noch jemanden mitgebracht, der euch unterstützen möchte.“
Karl drehte sich um und in diesem Moment musste ich zweimal hinschauen. Hinter Karl stand mein Vater.
„Papa?! Was machst du denn hier?“
Ich war so überrascht, dass ich erst nach einigen Sekunden auf ihn zulaufen konnte, um ihn zu umarmen.
„Ich dachte schon, ich wäre gar nicht erwünscht. Aber ich freue mich jetzt doch, dass du mich noch erfreut begrüßt hast.“
„Sorry, Papa. Ich war so überrascht. Damit hatte ich nun gar nicht gerechnet. Mit deiner Hilfe werden wir es jetzt bestimmt schaffen, rechtzeitig fertig zu werden.“
Karl stand währenddessen an meinem Camaro und ließ sich von Mario erklären, was wir heute schon alles gemacht hatten. Er kam zu uns und meinte:
„Also Luc, so, wie ich das sehe, muss dein Vater gar nicht mehr viel tun. Ihr seid schon so weit gekommen, dass ihr das auch allein geschafft hättet. Aber jetzt, wo Marc hier ist, kann er natürlich auch mal was arbeiten.“
Stef, Papa, Mario und ich schauten uns für einen Augenblick sprachlos an, dann fingen wir an zu lachen. Meine Anspannung war noch nicht vollständig verschwunden, aber ich fühlte mich jetzt viel besser und war mir sicher, der Camaro würde heute die ersten Meter fahren.
Papa fasste fleißig mit an und nach einer weiteren Stunde waren wir soweit, dass der Motor das erste Mal gestartet werden sollte. Das war immer etwas Besonderes. Deshalb bat ich Stef, Karl Bescheid zu sagen. Er sollte selbstverständlich dabei sein, wenn der Camaro seine ersten Motorgeräusche von sich gab.
Es waren noch einige Kleinigkeiten zu erledigen, bevor der Camaro auch fahren konnte. Allerdings war es sinnvoll, vorher zu prüfen, ob er auch anspringen würde. So konnten wir etwaige Fehler noch korrigieren.
Stef kam mit Karl zurück zu uns und wir standen alle erwartungsfroh um mein Auto herum. Papa schaute noch einmal in den Motorraum und prüfte alle Zündkabel auf festen Sitz. Den Luftfilter hatten wir noch abgebaut, um den Vergaser besser beobachten zu können. Karl kam zu mir und forderte mich auf:
„Luc, du setzt dich hinein und startest den Motor. Wir passen auf, falls etwas schiefgehen sollte.“
Er gab Mario ein Zeichen und dieser holte einen Feuerlöscher von der Wand und stellte sich vor meinem Camaro in Position. Jetzt wurde ich doch etwas nervös. Papa spürte das und kam zu mir an die Fahrertür.
„So, du drehst erst einmal nur bis zur Zündung. Dann warten wir, bis die Benzinpumpen genug Druck aufgebaut haben. Erst dann drehst du den Anlasser. Verstanden?“
Ich nickte und tat wie er mir geraten hatte. Als der Anlasser das erste Mal durchzog, hörte man noch keine Zündung. Ich hielt den Schlüssel weiter fest und der Anlasser drehte. Allerdings kam es nicht zur Zündung.
„Stopp, Luc. Es geht so noch nicht.“, rief Karl von vorn.
Enttäuscht und besorgt ließ ich den Schlüssel los. Es herrschte Stille und ich schaute Papa in die Augen, der mir aber zunickte.
Mario und Karl schauten in den Motorraum und sprachen miteinander. Ich konnte es nicht genau verstehen, stieg deshalb aus und fragte:
„Was ist das Problem? Eigentlich sollte er doch anspringen.“
„Ruhig, Luc. Der Motor ist nagelneu und eigentlich ist alles neu. Alte Autos und neue Technik vertragen sich manchmal nicht auf Anhieb. Jetzt testen wir erst einmal, ob überhaupt ein Zündfunken da ist.“
Es dauerte noch einige Momente, dann forderte Karl mich erneut auf:
„So, bitte noch einmal starten und erst wenn ich Stopp sage, lässt du den Schlüssel wieder los.“
„Ok“
Ich drehte den Schlüssel und nach wenigen Sekunden hörte ich ein lautes: „Stopp“
Sofort ließ ich den Schlüssel los und schaute nach vorn. Karl hob den Daumen und kam zu uns an die Tür.
„Zündung ist da. Also haben wir ein Benzinproblem. Mario schaut sich alle Kerzen an.“
Beruhigend fand ich das allerdings nicht und Papa spürte meine Sorge.
„Du brauchst keine großen Sorgen zu haben. Das ist wirklich normal bei solchen Projekten. Kaum ein Motor springt sofort beim ersten Versuch an. Schon gar nicht bei so einem alten Auto.“
Ich nickte nur wortlos. Ganz geheuer war mir das leider nicht. Dennoch sollte ich im Auto sitzen bleiben.
„Leute, kann ich denn nichts tun? Was macht ihr jetzt?“
„Wir testen die Benzinpumpe. Vielleicht gibt es damit ein Problem“, erklärte Mario.
Die Benzinpumpe lag direkt am Tank. Also schoben sie den Camaro wieder auf die Hebebühne und fuhren das Auto in die Höhe. Papa saß jetzt neben mir und das beruhigte mich. Ich konnte Geräusche unterhalb des Autos hören und dann kam Mario unter dem Auto hervor und sagte:
„Luc, jetzt noch einmal starten, aber pass auf, bis ich Stopp sage. Der Motor soll nicht starten. Ich möchte nur hören, ob er jetzt Benzin bekommt.“
Ich nickte und drehte den Schlüssel um und sofort hörte ich das `Stopp` von Mario. Also ließ ich sofort den Schlüssel wieder los und wartete ab. Das Warten war für mich noch nie besonders einfach. Aber dass Papa neben mir saß und weiterhin lächelte, beruhigte mich.
Wieder schraubte Mario unter dem Auto herum und rief dann:
„So, jetzt richtig starten. Er müsste jetzt laufen.“
Ich atmete noch einmal tief ein und drehte den Schlüssel und mit einem lauten Donnern meldete sich der große Achtzylinder.
„Jaa, er läuft.“, rief ich begeistert aus.
Papa hielt mir seine Hand hin und ich schlug ihn ab. Was für eine Erleichterung.
Karl gab mit der Hand ein Zeichen und ich schaltete den Motor wieder ab. Währenddessen fuhr die Hebebühne herunter und ich konnte aussteigen. Freudestrahlend fiel mir mein Freund in die Arme und alle klatschten und freuten sich. Mein Camaro lebte!
„Leute, genug gefreut. Es gibt noch einiges zu tun, bevor wir eine Probefahrt machen können. Also auf ans Werk.“
„Nein, Mario.“, unterbrach Karl energisch, „jetzt geht ihr erst einmal Mittagessen. Soviel Zeit muss sein.“
Wir schauten zur Uhr und waren erstaunt, wie spät es schon war. Papa nahm diese Situation zum Anlass zu fragen:
„Wo ist denn dieser besagte Grieche, von dem ihr immer erzählt? Ich hätte Lust auf ein Gyros.“
Ich hatte es befürchtet. Papa war wie immer der Sache einen Schritt voraus. Ob er sich bewusst war, was es bedeuten würde, wenn wir dort mit ihm auflaufen würden? Ich vermutete, nein.
Allerdings stand Karl dieser Idee auch nicht abgeneigt gegenüber und gab wie so oft die Richtung an. „Gute Idee, Marc. Also auf geht´s Jungs. Ich geh mal voran, damit wir hier nicht Wurzeln schlagen oder noch lange diskutieren. Ich hab nämlich Hunger.“
Das war das Wort zum Sonntag. Wenn Karl Hunger hatte und das hatte ich mittlerweile verinnerlicht, hieß es aufbrechen. Ein hungriger Karl wurde sehr schnell ungemütlich. Das mussten wir verhindern und entsprechend zügig machten wir uns auf den Weg. Papa sah in seinem Werkstatt Overall richtig gut aus. Vor allem fiel er so kaum zwischen uns auf. Mario und ich waren dort ja bereits Stammgäste.
Allerdings wusste ich auch, dass einige unserer Mechaniker dort auch zu Mittag aßen. Dass der Chef dort essen würde, war bislang nur sehr selten vorgekommen. Entsprechend gespannt war ich.
Wir betraten den Imbiss und ich schaute, ob es noch einen freien Tisch für uns gab. Wir waren spät dran und deshalb waren einige Plätze schon wieder frei.
Als wir uns gesetzt hatten, nahm sich jeder eine kleine Karte und schaute hinein. Stef und ich brauchten das nicht, weil wir uns schon entschieden hatten. Ich fragte recht zügig in Runde:
„Habt ihr schon etwas gefunden? Ich würde dann bestellen. Sonst gibt das gleich einen Aufstand, wenn jemand merkt, dass Papa hier sitzt.“
Ich bekam die Nummern gesagt und schnell war unsere Bestellung komplett. Damit ging ich zum Tresen und gab unsere Bestellung ab. Ich war hier mittlerweile bekannt und wurde von der Bedienung gefragt:
„Na, Luc. Hast du heute den ganzen Betrieb mitgebracht? Sogar den Chef selbst. Was verschafft uns die Ehre?“
„Wir haben an einem Auto länger gebraucht und jetzt muss schnell was zu essen her.“
Sie lachte und nahm meinen Zettel. Ich setzte mich wieder zu den anderen. Papa unterhielt sich mit Karl, aber als ich neben Stef Platz genommen hatte, fragte mich Papa:
„Sag mal, wie weit bist du eigentlich mit dem Führerschein? Jetzt ist das Auto bald fertig und du kannst noch nicht fahren.“
„Fahren kann er, Marc. Er darf nur noch nicht“, grinste Karl.
„Das ist aber das, was zählt. Also Luc, wie weit bist du?“
„Ich brauche noch fünf Fahrstunden und kann dann zur Prüfung. Aber hier in München hilft mir das ja nicht. Also werde ich erst zu Hause die Prüfung machen.“
„Ah, ok. Also musst du noch etwas warten. Ich hatte sonst gedacht, dass du gleich die Probefahrt machen könntest.“
„Niemals. Selbst wenn ich dürfte. Das wäre mir viel zu riskant. Das soll entweder Karl oder du machen.“
Leider rutschte mir dieses viel zu laut heraus. Somit schauten nahezu alle anderen Gäste zu uns. Und das wiederum löste natürlich den befürchteten Tumult aus, als Papa erkannt wurde. Erst, nachdem Papa viele Autogramme geschrieben hatte, konnten wir unser Essen auch genießen.
„Das war jetzt genau das, was ich nicht wollte. So ein Mist.“
Ich ärgerte mich über meinen zu lauten Ausruf. Stef blieb die ganze Zeit ruhig an meiner Seite und Papa fing an zu lachen.
„Hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Das war nicht das erste Mal und wird auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich erkannt werde. Lass uns in Ruhe zu Ende essen und dann wieder an die Arbeit gehen.“
Mario konnte sich nicht länger beherrschen und äußerte lachend:
„Ich finde das zu komisch. Ausgerechnet du musst die Tarnung von deinem Vater auffliegen lassen.“
„Blödmann“, war das Einzige was mir dazu einfiel.
Mario streckte mir zum Spaß noch die Zunge raus und dann war das Thema erledigt.
Auf dem Rückweg war Stef verdächtig still. Er hatte ständig sein Handy in der Hand und als wir an der Firma wieder angekommen waren, zeigte er mir die Nachricht von Fynn. Maxi hatte verloren und sie wollten sich am nächsten Tag auf den Weg nach Österreich machen.
„Hey, du solltest am besten sofort bei Chris anrufen und ihm deinen Vorschlag unterbreiten. Sonst sind sie schon auf dem Weg nach Kitzbühel.“
„Ja, aber sie fliegen doch eh über München. Also von daher könnten wir sie auch am Flughafen abholen.“
„Man, ruf Chris an und regel zuerst mit ihm, ob sie das überhaupt wollen. Dann regeln wir hier die anderen Sachen.“
Chris: Ein überraschender Stopp in München
Nachdem Maxi sein Match nach sehr guter Leistung leider verloren hatte, musste ich unsere Reise nach Kitzbühel organisieren. Ich brauchte einen Flug nach München. Die Tickets hatte Thorsten bereits gebucht, aber ich musste einen Flug konkret reservieren. Außerdem musste ich klären, ob wir in Kitzbühel schon früher anreisen könnten.
Plötzlich meldete sich mein Handy. Ich schaute auf das Display und erkannte Stef. Das überraschte mich jetzt. Sonst hatte sich immer Luc bei mir gemeldet.
„Hi Stef, was liegt an? Ich hoffe, es ist nichts passiert bei euch?“
„Hi Chris, nein, keine Sorge. Aber Fynn hat uns geschrieben, dass Maxi leider verloren hat und ihr jetzt nach Kitzbühel weiterreisen werdet.“
„Ja, das stimmt. Was macht eigentlich eure Arbeit in München?“
„Hier läuft alles richtig gut. Wir haben heute Lucs Camaro zum ersten Mal gestartet. Das war echt spannend. Aber ich habe eine viel wichtigere Sache. Ihr fliegt doch über München, oder?“
„Natürlich, direkt fliegen geht leider nicht. Warum fragst du? Oder Moment, ich glaube, ich verstehe, worauf du hinaus möchtest. Wir sollen in München einen Zwischenstopp bei euch einlegen.“
„Richtig, das wäre doch möglich und praktisch. Dann müssten wir nicht nach Kitzbühel fahren.“
„Komm, was habt ihr euch ausgedacht. Du hast doch sicher schon mit Luc und Karl einen Plan ausgeheckt.“
Er erzählte mir dann von ihrem Plan und ich musste zugeben, dieser Plan gefiel mir richtig gut. Maxi und vor allem Fynn konnten so den Kopf frei bekommen und sich in Ruhe vorbereiten. - Also sagte ich das direkt zu. Stef freute sich über meine Zustimmung und ich sollte ihm die genaue Ankunftszeit durchgeben. Er würde sich dann darum kümmern, dass wir am Flughafen abgeholt würden.
Ich hatte jetzt die Aufgabe, meinen Jungs die Planänderung zu erklären. Wobei ich vermutete, dass Fynn schon mit Luc oder Stef gesprochen hatte.
Zuerst regelte ich allerdings unsere Reise nach München und die Ankunft in Kitzbühel. Dort mussten beide erst am Montag spielen. So beschloss ich, am Sonntagmittag dort anzukommen. Ich reservierte für Sonntagnachmittag einen Trainingsplatz und erst danach machte ich mich auf den Weg zu meinen Jungs.
Beide waren schon dabei, ihre Sachen im Hotelzimmer zu packen. Ich betrat nach dem Anklopfen ihr Zimmer und wurde sehr lebhaft empfangen.
„Hi Chris, hat dich Luc schon angerufen? Er wollte dich etwas fragen.“
„Nein, Luc hat mich nicht angerufen. Stef hat mich angerufen und bevor ihr mich löchert, ja, wir fliegen über München und bereiten uns dort auf Kitzbühel vor. Es geht morgen früh um kurz nach acht vom Flughafen in Hamburg los. Das heißt also, ganz früh hier raus und weg.“
„Waas, bist du verrückt? Das ist doch noch mitten in der Nacht.“
Ich wusste, dass Maxi es gar nicht mochte, so früh los zu müssen. Dennoch ging es nicht anders. Der nächste Flug war erst abends möglich.
„Leute, macht euch nicht ins Hemd. Es geht nicht anders, sonst können wir erst abends wieder fliegen. Da verlieren wir einen ganzen Tag. Das geht nicht.“
Das sahen die beiden ein und damit war alles geklärt. Ich gab den beiden den Abend frei. Sie sollten sich ein wenig ablenken. Ich nutzte die Zeit, meine Aufzeichnungen zu vervollständigen und gegen halb zehn nahm ich das Handy und wählte Dustins Nummer.
„Ja?“
„Hi Dustin, Chris hier.“
„Chris? Das ist aber eine Überraschung.“
„Warum? Ich möchte mich erkundigen, wie es dir geht und was du für Fortschritte machst?“
„Das ist nett, danke. Ich arbeite fleißig und kann schon wieder gehen. Mit einem festen Tape darf ich sogar schon auf dem Laufband laufen. Christoph ist sehr zufrieden mit der Heilung.“
„Das hört sich sehr gut an. Aber halte dich bitte an die medizinischen Anweisungen und mach bitte nicht mehr.“
„Klar, Chris. Ich will so schnell wie möglich gesund werden. Das habe ich mittlerweile begriffen. Keine Sorge.“
„Sehr schön. Ich habe noch eine Neuigkeit für dich. Wir fliegen morgen früh nach München und besuchen Luc und Stef dort. Sie, nein, Karl hat uns eingeladen und das nehmen wir wahr. Wir werden uns in München auf Kitzbühel vorbereiten und gleichzeitig kann Fynn mit Luc und Stef ein wenig Zeit verbringen. Ich weiß noch nicht, wie Maxi damit klarkommt. Aber ich hoffe, sie nehmen ihn mit.“
„Ob das gut gehen wird? Ich geh mal davon aus, dass Luc und Stef mit meinem Schatz auch die Münchner Schwulenszene besuchen werden. Kann mir nicht vorstellen, dass Maxi dort auch mit hingehen will.“
„Ach, warten wir es ab. Wenn er mit möchte, werden sie bestimmt auch andere Sachen machen.“
Dustin hörte sich schon viel besser an und war nicht mehr so niedergeschlagen. Das gefiel mir sehr gut. So würde er noch schneller wieder fit werden.
„Kannst du mir einen Gefallen tun?“
„Äh, kommt drauf an, Dustin, was ich tun soll.“
„Kannst du mir aus dem Autohaus Geiger einen großen Kalender mitbringen? Der Geiger hat immer richtig tolle Autokalender.“
„Na, da werde ich mal schauen. Versprochen.“
Dieses Gespräch war die letzte dienstliche Tat an diesem Tage. Danach nahm ich mir eine Fassbrause und setzte mich für eine halbe Stunde zum Entspannen auf den kleinen Balkon vor meinem Zimmer.
Auch wenn ich das Alleinsein gewohnt war, in solchen Momenten fehlte mir ein Gesprächspartner. Diese Situation, fern der Heimat, war für mich noch recht neu. Ich schaute in den Sternenhimmel und obwohl ich das nicht wollte, kam mir die Frage, ob das alles richtig ist, was ich hier mache?
Am nächsten Morgen hatte ich keine Zeit mehr, darüber nachzugrübeln. Unser Flug hatte keine Verspätung und entsprechend früh waren wir bereits unterwegs. Maxi schlief noch halb, während Fynn schon lebendig war.
Das Frühstück im Flugzeug war ausreichend und schmackhaft. Ich konnte mich wirklich nicht beschweren.
Kurz bevor wir zum Landeanflug ansetzten, fragte mich Fynn:
„Ob Luc und Stef uns abholen?“
Ich schaute zur Uhr und sagte: „Heute ist Donnerstag und um diese Zeit wird Luc arbeiten müssen. Also glaub ich kaum, dass sie Zeit haben uns abzuholen.“
„Also das glaub ich nicht, Karl wird uns niemals durch München schicken. Ich sage, er wird uns abholen lassen. Außerdem wird Luc ganz bestimmt dafür Zeit bekommen. Schließlich haben sie das auch gemeinsam ausgeheckt.“
Ich konnte mir das noch nicht so recht vorstellen. Allerdings hatte Stef ja gesagt, dass er uns abholen lassen wollte. Die ganzen Taschen durch die Stadt zu tragen, wäre recht umständlich.
Kurze Zeit später verließen wir drei den Terminal und ich schaute mich um. Der Franz-Josef-Strauß Flughafen war riesig. Plötzlich ertönte eine Durchsage:
„Herr Fynn Grehl wird gebeten zur Information zu kommen. Ich wiederhole….“
Ich musste lachen, denn damit war ja Fynn jetzt zum `Delegationsleiter´ befördert worden.
„Dann geh mal vor, wir folgen dir. Du bist ja die gesuchte Person.“
Maxi grinste und wies Fynn mit dem ausgestreckten Arm die Richtung.
Ich nahm meine Tasche vom Boden und folgte unserem Kapitän. Ich konnte von weitem schon den Informationsschalter erkennen und sah, dass sich dort eine größere Menschentraube gebildet hatte. Deshalb beschloss ich:
„Maxi, warte bitte mit mir hier. Unser `Chief´ soll besser allein gehen. Dort scheint eine Menge los zu sein.“
„Sehr witzig. Du willst mich wirklich allein in dieses Chaos schicken?“
Fynn schien jetzt gar nicht mehr so selbstbewusst zu sein. Dennoch sollte er sich durchsetzen und das allein regeln.
Er ging also zum Schalter und ich beobachtete das Geschehen mit Maxi aus etwa zehn Metern Entfernung. Die Menschentraube rechts vom Schalter wurde langsam kleiner und Maxi hatte anscheinend etwas entdeckt, denn er begann laut zu lachen.
Plötzlich tauchte Marc aus dem Haufen auf und begrüßte Fynn mit einer Umarmung. Das war wirklich eine Überraschung, mit der ich nicht gerechnet hatte. Entsprechend freudig begrüßten wir uns.
„Hallo Marc, du hast wohl nicht daran gedacht, dass du immer noch viele Fans besitzt, die scharf auf dein Autogramm sind.“
„Hi, Chris. Hör bloß auf. Ich wollte eigentlich gar nicht herkommen, aber Luc und Stef waren mit ihrem Auto beschäftigt. Der TÜV ist gerade da und der Camaro soll zugelassen werden. Da war ich der Einzige, der euch abholen konnte. Lasst uns schnell hier verschwinden.“
Das ließen wir uns nicht zweimal sagen und jeder nahm seine Taschen und wir folgten Marc zum Ausgang. Was dann folgte, war eine Show der besonderen Art. Wie mir Marc später erzählte, sei das die Spezialität von Barbara Geiger.
Wir traten vor den Eingang des Flughafens und genau in diesem Moment fuhr eine riesige, unendlich lange Hummerlimousine vor. Sie war geschätzte zehn Meter lang. Marc öffnete die hintere Tür und forderte uns auf, einzusteigen. Schnell hatte er die Taschen im Kofferraum verstaut und stieg zu uns in den Innenraum.
„Wie war eure Anreise nach München? Hat alles gut geklappt?“
„Eigentlich alles bestens.“ Meine Antwort kam prompt.
„Nein, nicht alles bestens. Es war viel zu früh heute Morgen.“
„Oh man, Maxi. Einmal früh aufstehen ist doch kein Weltuntergang.“
Fynn machte sich über Maxi lustig und ich musste genau wie Marc auch lachen. Der Hummer hatte sich nahezu unbemerkt in Bewegung gesetzt und wir rollten durch den Münchner Verkehr. Meine Jungs staunten über diese Limousine. Ich hatte zwar davon gelesen, aber jetzt selbst in diesem Einzelstück zu sitzen, war schon etwas Besonderes.
„Herr Steevens, wie kommt es, dass Sie auch in München sind? Davon hatte mir Luc gar nichts erzählt.“
„Ganz einfach, Fynn. Lucs alter Camaro soll zum TÜV und dafür musste er zum ersten Mal gestartet werden. Das wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.“
„Und ist er gestartet?“, fragte ich.
„Ja, gestern. Heute ist der TÜV bei Karl in der Firma und ich vermute, dass er gerade dabei ist, den Camaro zu prüfen. Ich bin aber recht sicher, dass alles glatt gehen wird. Karl und Mario haben das gut vorbereitet.“
Es dauerte nicht mehr lange und wir bogen auf das Firmengelände ab. Als der Wagen stehen blieb, öffnete Marc die Tür und stieg aus. Er hielt uns die Tür auf, als ob er der Chauffeur wäre. Ein lustiges Bild. Wir luden unsere Taschen aus und schnell ging Marc in Richtung Eingangshalle.
„Stellt eure Taschen hier vorn an die Seite. Wir gehen zuerst mal in die Werkstatt. Ich möchte wissen, wie weit sie bereits sind.“
Der Weg führte uns durch die große Werkstatthalle in die kleine Nebenhalle. Dort stand das bildhübsche Camaro-Cabrio. Karl war selbst anwesend, stand vor der Fahrertür und redete mit Mario, der am Motorraum mit Luc und Stef stand.
Marc ging zielstrebig auf sie zu und fragte:
„Gibt es Probleme? Ihr seht nicht gerade fröhlich aus.“
„Ja, das Auto macht nicht das, was es soll. Aber jetzt begrüßen wir erst einmal unsere Gäste.“
Karl hatte seinen Humor noch und das interpretierte ich, dass das Problem nicht zu gravierend sein konnte. Er kam auf uns zu und die Begrüßung war sehr herzlich. Allerdings kein Vergleich zur Begrüßung von Luc und Stef, die Maxi und Fynn stürmisch umarmten und sich sehr freuten.
Ich stand mit Marc und Karl zwei Meter abseits und Karl erklärte Marc das Problem.
„Er ist vorhin gelaufen, nachdem wir die Benzinpumpe richtig angeschlossen haben. Jetzt springt er nicht mehr an. Er zündet, aber läuft nicht weiter.“
„Was habt ihr schon überprüft?“, fragte Marc.
„Die Benzinpumpe, Zündung und Benzindruck. Alle Werte sind gut. Er müsste laufen.“
Ich überlegte einen Moment und bekam eine Idee. Allerdings war ich ja nur ein Laie, aber diese alten Motoren hatten wenig Elektronik und eigentlich waren die unverwüstlich. Marc, Karl und Mario waren mittlerweile vor dem Motor zusammengekommen und diskutierten über die mögliche Ursache.
Luc hingegen stand mit Stef und meinen Jungs ratlos bei mir.
„Ich habe eine Idee.“, sagte ich und ging nach vorn zu Karl.
Die drei schauten mich fragend an und Karl fragte:
„Was denn für eine Idee?“
„Naja, ich bin kein Experte, aber Sie sagten doch, er zündet und geht gleich wieder aus. Also er läuft nicht weiter. Wie wäre es denn, wenn er jetzt zu viel Sprit bekommt, anstelle von zu wenig. Dann ersäuft er förmlich.“
Die drei schauten mich an und schüttelten den Kopf. Mario versuchte mir zu erklären:
„Prinzipiell haben Sie natürlich recht. Aber dieser Vergaser hat eine Vorrichtung, die genau das verhindert. Also das kann nicht passieren.“
„Und wenn der Vergaser eine Fehlfunktion hat? Auch wenn er nagelneu ist.“
Karl schaute mich an und reagierte sofort:
„Leute, sagt jetzt nicht, das habt ihr noch nicht geprüft. Chris Idee ist gut. Diese Teile können auch mal defekt sein. Los, Vergaser ausbauen und nachschauen ob er voller Sprit ist.“
Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann hatten Mario und Marc den Vergaser ausgebaut. Man konnte das Benzin deutlich riechen und es tropfte sogar aus dem Vergaser. Das sollte nicht sein. Karl schaute sich das an und sofort gab er Luc den Auftrag:
„Du gehst ins Lager und holst uns bitte einen neuen Vergaser und bevor wir den einbauen, prüfen wir das Teil auf Funktion. Dieser hier ist hin.“
Luc nickte nur und lief direkt los. Marc kam zu mir und fragte:
„Wie bist du denn auf diese Idee gekommen? Du bist doch gar kein Mechaniker.“
„Ach, ich habe mal eine Ducati 916 gehabt. Die hatte ständig Vergaserprobleme. Zuviel Sprit ist genauso Mist, wie zu wenig.“
Stef hatte mittlerweile begonnen, sich mit Maxi und Fynn zu unterhalten. Dort ging es um Tennis und nicht um Lucs Auto. Ich ließ sie auch in Ruhe, denn meine Jungs sollten sich hier auch wohlfühlen. Für Luc war das natürlich ein besonderes Hihglight, sein Auto sollte endlich nach fast zwei Jahren Bauzeit den TÜV-Stempel bekommen. Entsprechend schnell kam Luc mit dem neuen Vergaser aus dem Lager gelaufen. Er gab Mario den Karton und sofort begannen die Arbeiten. Mario packte den Vergaser aus und schloss ihn provisorisch an, testete die Funktionen und sagte:
„Läuft, der sollte korrekt funktionieren.“
„Dann einbauen!“, sagte Karl direkt.
Etwa eine Viertelstunde später standen wir immer noch um das Auto und ich hatte mich mit Stef und Karl über die momentane Situation unterhalten. Da kam von Marc das Signal:
„Los, Luc. Einsteigen und den Motor starten. Es sollte jetzt klappen.“
Luc setzte sich sichtbar nervös auf den Fahrersitz und drehte den Schlüssel. Sofort ertönte ein gewaltiges Donnern des Achtzylinders. Luc begann zu strahlen und alle anwesenden klatschten. Dann stieg Luc aus dem Auto und Stef wartete schon auf seinen Freund. Es folgten eine innige Umarmung und ein Kuss.
Marc und Karl kamen zu mir und klopften mir auf die Schulter.
„Nicht schlecht, also mit dieser Tat hast du dir das „Du“ verdient. Ich heiße Karl.“
„Ok, das finde ich sehr nett. Ich bevorzuge das „Du“ auch. Ich heiße Chris.“
Mit Mario war ich mir auch sofort einig, auf das „Du“ zu gehen.
Meine Jungs freuten sich für Luc mit und somit war unsere Ankunft mit einem positiven Ereignis geglückt. Der TÜV-Prüfer konnte jetzt endlich die Abnahme vornehmen.
Die Zeit war passend für die Mittagspause. Karl hatte uns alle zum Essen beim benachbarten Griechen eingeladen und dort wurde sehr angeregt über die kommenden Tage gesprochen. Luc hatte sich wie versprochen um einen Tennisplatz gekümmert, auf dem wir trainieren konnten. Und zwar wann immer wir wollten und solange wir wollten. Das sollte unser erstes Ziel nach dem Essen werden. Die Jungs sollten auch spüren, dass wir hier nicht zum Vergnügen waren. Außerdem hatte Luc noch den Nachmittag zu arbeiten. Erst am Abend wollte ich den Jungs frei gegeben, um die Stadt zu erkunden.
Stef begleitete uns zum nahegelegenen Tennisplatz und wir fanden sehr gute Bedingungen vor. Das Training verlief entsprechend ordentlich und nach zwei Stunden war ich zufrieden.
„Ok Jungs, genug für heute. Ihr geht auslaufen und duschen. In neunzig Minuten treffen wir uns bei Karl in der Firma wieder. Dann besprechen wir den weiteren Ablauf.“
Ich nutzte die Zeit, die Mails aus Halle zu lesen und vor allem die Aufgaben aus der Schule zu sichten und für Maxi und Fynn aufzubereiten. Sie waren ja in unterschiedlichen Klassen. Von daher bekam jeder eigenen Aufgaben.
Fynn: Chris lässt uns ordentlich schwitzen
Wer von uns gedacht hatte, München würden einige nette und erholsame Tage werden, wurde böse überrascht. Chris ließ uns richtig hart trainieren. Selbst am Ankunftstag arbeiteten wir über zwei Stunden auf dem Platz. Entsprechend kaputt waren Maxi und ich nach dem Auslaufen.
„Boah, heute bin ich aber platt. Wenn Chris uns jeden Tag so fordert, brauchen wir in Kitzbühel nicht anzutreten.“
„Er wird schon wissen, was er uns zumuten kann. Aber heute bin ich auch richtig fertig. Hoffentlich können wir wenigstens am Abend mal ausspannen. Luc wollte doch mit uns ein wenig in die Stadt.“
„Na, ob Chris damit einverstanden ist? Momentan habe ich das Gefühl, ihm hat es gar nicht gepasst, dass ich mit meinen Gedanken so oft bei Dustin war. Es scheint fast so, als ob er uns zeigen möchte, wo es lang geht.“
Ich wusste zwar, dass wir das ausgeräumt hatten, aber dieses Programm heute war sehr hart. Maxi hatte aber Zweifel an meinen Gedanken.
„Hey, wenn er gewollt hätte, dass wir nur noch trainieren, dann hätten wir doch gleich nach Kitzbühel fahren können. Hör also auf, über diese alten Sachen noch nachzudenken. Zeig ihm, dass du verstanden hast, worauf es ankommt.“
Ich nickte etwas gedankenversunken. Er hatte recht mit seiner Bemerkung, dennoch fiel es mir sehr schwer, mich nur auf mich zu konzentrieren. Dustin fehlte mir immer noch. Das häufige Telefonieren und Schreiben ersetzte mir nicht seine Nähe.
Als wir frisch geduscht wieder in Karls Firma aufliefen, stand Chris gerade mit Luc und Stef bei Barbara Geiger am Empfang.
„Schön, da seid ihr ja. Barbara hat mir einen Schlüssel gegeben, damit wir zu ihnen nach Hause fahren können. Stef begleitet uns und zeigt uns den Weg. Nehmt bitte eure Taschen und folgt mir unauffällig.“
Chris hatte beste Laune und irgendwie passte das gar nicht zu unserem harten Tagesprogramm. Dennoch freute es mich, dass die Stimmung gut war.
„Sag mal Chris“, fragte ich, „hat jetzt Lucs Auto den TÜV-Stempel bekommen?“
„Aber hallo! Natürlich hat er die Plakette bekommen. Marc ist gerade unterwegs mit Luc auf einer Einweihungsfahrt. Und was Luc nicht wusste, Marc hatte sogar schon Schweizer Kennzeichen mitgebracht.“
Das war auch wieder typisch. Mir wurde immer klarer, was Luc uns über seinen Vater erzählt hatte, passte absolut. Marc überließ nichts dem Zufall. Alles war immer bestens geplant und organisiert. Einiges hatte Luc bereits von ihm übernommen.
Mittlerweile war Chris mit uns auf den Parkplatz gegangen und wir steuerten auf einen großen Kombi zu. Natürlich ein amerikanisches Modell. Wie Stef uns erklärte, war das eines der stärksten Kombis überhaupt. Ein Cadillac CTS-V mit V8 Motor. Das Gerät sah furchteinflößend aus. In schwarz lackiert sah es noch aggressiver aus. Chris öffnete die Fahrertür und wir wollten den Kofferraum öffnen, aber dieser öffnete sich automatisch und elektrisch. Ich staunte nicht schlecht und das Staunen ging so weiter, als wir im Innenraum Platz genommen hatten. Das war Luxus pur.
Chris hatte sich recht schnell orientiert und in den Münchner Verkehr eingefädelt. Stef saß vorn und lotste Chris über kleine Nebenstraßen. Nebenbei fragte er Chris:
„Wie ist die Trainingsmöglichkeit? Hat Luc ausreichende Bedingungen für euch geschaffen?“
„Ich bin begeistert, wirklich. Was meint ihr, Jungs?“
„Auf jeden Fall. Der Platz ist klasse und auch die anderen Möglichkeiten sind toll. Hier werden wir uns optimal vorbereiten können. Vorausgesetzt Chris quält uns nicht jeden Tag so wie heute.“
„Wieso das, Maxi? Das war doch nur eine Trainingseinheit heute. Morgen machen wir wieder zwei.“
Maxi schaute mich an und verdrehte seine Augen. Ich wusste jetzt auch nicht, ob Chris das ernst gemeint hatte. Allerdings hatte ich schon das Gefühl, dass Chris damit nicht gescherzt hatte. Hoffentlich würde es morgen nicht so anstrengend sein wie heute.
„Leute, ihr seid heute von der Fahrt und dem sehr frühen Aufstehen geschafft. Das wird morgen wieder normal sein. Deshalb können wir auch zweimal trainieren. Heute Abend macht ihr euch einen schönen Abend mit Luc und Stef.“
„Also meinst du, wir sind gar nicht vom Training so fertig, sondern vom Flug und der Reise?“
„Richtig Fynn. Das werdet ihr morgen dann sehen.“
„So, Chris. Wir sind gleich da. Die nächste Straße rechts abbiegen und schon sind wir da.“
Chris schaute zu Stef herüber und nickte. Als Chris in der Hofeinfahrt stand und den Motor abstellte, staunte ich nicht schlecht. Das war ein riesiges Anwesen, mit einem tollen Garten rund um das Haus herum.
Stef führte uns durch das Haus und zeigte uns unsere Zimmer. Das Anwesen war erstklassig. Ich konnte mir allerdings auch ungefähr vorstellen, was für Kosten hier drin steckten. Maxi und ich hatten ein Zimmer zusammen, während Chris in eins der Gästezimmer einquartiert wurde. Stef blieb noch einen Moment bei uns.
„Gefällt es euch hier?“
„Das ist ein Traum von Haus. Ich glaube, hier könnte ich es auch gut aushalten.“, sagte Maxi mit einem Grinsen im Gesicht.
„Sag mal Stef, hast du damals wirklich hier bei den Geigers unterkommen können? Ich meine, sie hatten dich doch gar nicht gekannt. Das ist schon eine ganz tolle Geste gewesen.“
„Ja, das war es tatsächlich und ich bin ihnen auch heute noch sehr dankbar. Luc und Marc haben mich damals ebenso unterstützt. Karl hatte nicht eine Sekunde gezögert, als Luc mich mit hierher gebracht hatte.“
Stef erzählte uns seine Geschichte und ich war sehr beeindruckt. Ich konnte an manchen Stellen deutlich spüren, dass die Erinnerungen noch sehr frisch waren, obwohl es schon einige Zeit her war.
„Ich finde es wirklich schade, dass Dustin nicht bei uns ist. Ihn würde das bestimmt auch interessieren.“
„Wir können es leider nicht ändern, Fynn. Vielleicht, nein, ich bin ganz sicher, wenn ihr uns in der Schweiz besuchen kommt, dann wird Dustin dabei sein. Also mach dir nicht so viel den Kopf darüber. Konzentrier dich besser auf deine Turniere. Damit hilfst du Dustin viel mehr, schnell gesund zu werden.“
Diese Zeit mit Stef tat mir sehr gut. Ich konnte fühlen, dass er mich verstand, aber dass er mir auch sagte, dass das Jammern falsch war.
„Wann kommt Luc heute eigentlich von der Arbeit? Und was habt ihr mit uns heute Abend vor?“, fragte Maxi.
„Luc kommt normalerweise gegen fünf nach Hause. Vielleicht auch später, je nachdem, wie viel noch zu tun ist. Wir essen gemeinsam zu Abend und dann wollten wir mit euch ein wenig in die Stadt. Wie lange dürft ihr eigentlich unterwegs sein? Nicht dass Chris morgen sauer ist.“
Eine gute Frage, die ich nicht beantworten konnte. Chris hatte uns noch nichts dazu gesagt.
„Ich glaube, das klären wir dann beim Essen.“
Nachdem ich mit Dustin telefoniert hatte und erfuhr, dass er schon wieder mit normalem Laufen begonnen hatte, war ich beruhigt. Vielleicht würde die Pause tatsächlich nicht so lange dauern. Ich vermisste meinen Freund mit jedem Tag mehr. Allerdings gingen die Gedanken nicht mehr so unkontrolliert durch meinen Kopf.
Beim Abendessen war Luc auch wieder bei uns. Karl und Barbara Geiger kamen immer erst viel später aus der Firma. Deshalb hatte Chris mit Stef das Abendessen vorbereitet. Jetzt saßen wir nach dem Essen noch im Esszimmer am Tisch, als Chris begann, uns das weitere Vorgehen zu erklären.
„Also, bevor ihr euren Abend plant, sage ich euch, was wir morgen auf dem Programm haben. Morgen Vormittag trainieren wir von zehn bis zwölf auf dem Platz, anschließend geht ihr zur Massage. Gemeinsames Mittagessen ist um eins. Luc hat uns eine Massagepraxis organisiert, die sehr nah an der Tennisanlage ist. Bis um drei ist dann eine Pause für euch. Ab halb vier geht es wieder für zwei Stunden auf den Platz und erst danach habt ihr frei. Also wenn ihr heute Abend weggehen wollt, solltet ihr daran denken, dass ihr morgen fit seid.“
„Puh, das ist aber wieder ein heftiges Programm. Wann sollen wir heute wieder zurück sein?“, fragte Maxi.
„Ich möchte, dass ihr um Mitternacht zurück seid. Ihr seid nicht im Urlaub. Außerdem möchte ich euch nicht länger allein in der Stadt wissen.“
„Ok, das ist doch ein faires Angebot. Dann lasst uns die Sachen wegräumen und uns umziehen. Ich bin echt gespannt auf München am Abend.“
Chris freute sich, dass ich daran gedacht hatte, erst aufzuräumen. Dann wünschte er uns viel Spaß und unsere Runde löste sich auf. Luc ging mit Stef zusammen in ihr Gästequartier, um sich genauso umzuziehen wie wir.
Chris staunte, als er uns in unserem ´Ausgehoutfit´ sah.
„Wow, ihr seht schick aus. Wo wollt ihr eigentlich hin?“
Luc schmunzelte und auch Stef zuckte nur kurz mit den Schultern, dann sagte Luc:
„Naja, mal sehen. Zuerst gehen wir ein wenig Billard spielen und vielleicht eine Partie Darts. Ob wir in eine Schwulendisco gehen, hängt von Maxi ab. Wir möchten ihn ja nicht schocken oder dass er sich unwohl fühlt.“
Chris musste lachen und ergänzte: „Und nicht, dass Dustin eifersüchtig wird, wenn Fynn allein in der Szene ist.“
„Keine Sorge, da passen wir schon auf“, erwiderte Stef lachend.
Mir war das etwas unangenehm, denn ich hatte keine Ambitionen in dieser Richtung und wollte das auch klarstellen. Chris hingegen unterband meine Einwände sofort:
„Das war Spaß, Fynn. Ich vertraue dir genauso wie das Dustin tut. Also macht euch einen tollen Abend, aber denkt an morgen.“
Nachdem wir das bestätigt hatten, zogen wir los. Luc und Stef kannten sich gut aus und führten uns zielsicher in einen kleinen Club. Dort wurde Billard, Snooker und Darts gespielt.
Stef bestellte uns eine Runde Getränke. Luc und Stef tranken Alster, während ich mit Maxi bei alkoholfreien Getränken blieb. Es wurde ein richtig schöner Abend und obwohl ich sehr müde war, blieben wir bis kurz vor Mitternacht in diesem Lokal.
Auf dem Rückweg fragte mich Luc: „Und hat es dir gefallen? Ich hoffe, Dustin wird dafür Verständnis haben, dass wir dich ein wenig abgelenkt haben.“
Stef fing an zu lachen und auch Maxi grinste mich an. Ich hatte nämlich immer wieder Bilder an Dustin geschickt und auch Antworten erhalten. Er war neidisch auf uns und wäre sehr gern dabei gewesen.
„Es war ein toller Abend, ich danke euch. Dustin war ganz schön neidisch auf uns. Hoffentlich machen wir das beim nächsten Mal wieder, dann aber mit ihm gemeinsam.“
Gegen halb eins lagen wir in unseren Betten und ich brauchte nur Minuten, um einzuschlafen. Hoffentlich würde unser Ausflug unser Training nicht negativ beeinflussen.
Chris: Abend mit den Geigers und Marc
Nachdem meine Jungs mit Luc und Stef aufgebrochen waren, hatte ich mich mit meinem Laptop auf die Terrasse gesetzt, arbeitete die Mails ab und hatte mit Thorsten telefoniert. In Halle lief alles normal und ich erfuhr, dass Carlo und Tim in einem Juniorenturnier das Viertelfinale erreicht hatten.
Thorsten berichtete mir noch von den guten Fortschritten, die Dustin machte. Er war sehr erfreut über die Disziplin von Dustin. Das gab mir die Bestätigung, dass es richtig war, Dustin nicht mitzunehmen. Zu Hause würde er viel schneller wieder fit werden.
Gegen halb zehn legte ich den Laptop an die Seite und schaute gedankenversunken in den tollen Sternenhimmel. Plötzlich hörte ich Stimmen im Haus. Karl und Barbara kamen nach Hause und sie brachten Marc auch mit. So dauerte es nicht lange, dass wir zusammen draußen saßen. Marc hatte den Camaro für Luc zugelassen und alle waren über die Ergebnisse der Prüfung sehr zufrieden.
„Na Chris, hast du die Jungs weggeschickt, damit du auch mal ausspannen kannst?“
„Nein, Karl. Das kann ich so nicht sagen. Wenn es nach mir gehen würde, hätte ich es besser gefunden, sie wären hier geblieben. Allerdings kann ich es schon verstehen, dass sie auch mal München bei Nacht erleben möchten.“
„Ich als ehemaliger Spitzensportler verstehe deine Besorgnis, aber Abwechslung ist auch wichtig. Ich finde es auch als einen guten Test. Sollten sie damit nicht gut umgehen und sich volllaufen lassen, dann wird die nächste Einheit wohl etwas anstrengender sein.“
Marc wusste auch genau, wie sich Alkohol auf die Fitness auswirken würde. Allerdings gab er mir auch zu verstehen, dass Vertrauen in die Jungs ganz wichtig ist. Darin waren wir uns einig und ich ging fest davon aus, dass es nicht zu Entgleisungen kommen würde.
„Wenn sie morgen früh beim Training keine guten Leistungen zeigen, werde ich wohl gezwungen sein, das Freizeitprogramm zu kürzen. Allerdings glaube und hoffe ich, dass das nicht notwendig sein wird.“
„Wie bist du denn überhaupt mit deinen Jungs zufrieden? In St. Peter Ording war das Ergebnis noch nicht so toll oder täuscht mich das?“, fragte mich Karl.
„Also das täuscht schon etwas. Wir dürfen zum jetzigen Zeitpunkt nicht erwarten, dass sie bei den Herren die gleichen, guten Ergebnisse bringen wie bei den Junioren. Eigentlich bin ich zufrieden. Vor allem mit Maxi. Fynn kann mehr, als er gezeigt hat.“
Marc hörte aufmerksam meinen Ausführungen zu, sagte allerdings nichts.
„Wie lange wird es denn dauern bis sie auch bei den Herren die Ergebnisse bringen werden? Schließlich kostet das auch viel Geld und Ihr wollt ja sicher auch mal euer investiertes Geld zurück haben.“
„Nein Karl, das ist so nicht zu planen. Es wäre den Jungs gegenüber unfair so zu denken. Erfolg ist nicht planbar. Mehr als gut arbeiten können wir nicht. Dafür ist unser Projekt auch für zwei Jahre ausgelegt. Schneller Erfolg ist nicht das was wir möchten. Wir möchten, dass sie sich entwickeln können und langfristig auf eigenen Füßen stehen.“
Marc verfolgte weiterhin meine Ausführungen, ohne sich dazu zu äußern. Das machte mich etwas nervös, schließlich war er unser Hauptgeldgeber. Das wussten aber nur ganz wenige Personen. Ich konnte sein Schweigen schlecht einordnen. Immerhin ging es hier um eine sechsstellige Summe. Klar, er hatte damals keine konkrete Gegenleistung gefordert, nur dass die Jungs maximalen Einsatz zeigen.
„Luc arbeitet doch bei dir nicht nur wegen des Geldes. Er hat Freude an den Autos und möchte sich entwickeln. Klar, das Geld nimmt er gern, aber er müsste meinetwegen nicht wegen Geld arbeiten. Für mich ist wichtig, dass er lernt, dass er etwas tun muss, um zufrieden zu sein. Du hast damals auch keine Fragen gestellt, als Mario dich um Hilfe gebeten hatte.“
„Falsch, Luc hat mich damals um Hilfe gebeten. Allerdings war das eine andere Baustelle. Da ging es um das Leben von Stef und nicht um die Karriere dreier talentierter Jungs. Dennoch glaube ich, Chris macht das richtig. Er fördert die drei ohne ihnen alles in den Hintern zu stecken. Er fördert, aber fordert auch. Das gefällt mir gut. Ich bin davon überzeugt, dass die Jungs Erfolg haben werden.“
Barbara hatte uns noch etwas zu trinken gebracht und sie hatte die letzten Sätze von Karl mitbekommen.
„Warum unterstützt du dann nicht einfach dieses Projekt? Du bist doch sonst immer so innovativ. Vielleicht kannst du das Team ja mit einem Fahrzeug unterstützen. Schließlich müssen die drei ja irgendwie nach Kitzbühel kommen.“
Karl schaute seine Frau etwas überrascht an, aber nickte nach einem kurzen Moment.
„Klar, da hätte ich auch von selbst drauf kommen können. Ich gebe euch den Cadillac mit. Damit könnt ihr nach Kitzbühel und wieder zurück fahren. Ihr fliegt ja von hier dann weiter in die Schweiz. Spritkosten übernehme ich auch. Ihr bekommt eine Tankkarte und dann seid ihr unabhängig. Wie findest du das, Chris?“
Damit war ich vollkommen überrascht, aber freute mich sehr über dieses Angebot. Schließlich würden wir so eine Menge Geld sparen, das wiederum in die Arbeit mit den Jungs gesteckt werden könnte. Ich bedankte mich bei Karl und seine Frau war auch zufrieden. Jetzt schien Marc aber noch ein Anliegen zu haben.
„Wann kommt ihr denn zu uns in die Schweiz? Ihr habt ja die Einladung von Luc und Stef bekommen. Passt das in euren Kalender?“
„Oh ja, das passt sogar sehr gut. Da haben wir eine Turnierpause. Außerdem sind wir ja nach Kitzbühel zum Turnier in der Schweiz. Vielleicht kannst du dann auch Dustin wieder erleben. Ich überlege nämlich, ob ich ihn dorthin nachkommen lasse. Er trainiert wieder und vielleicht wird er fit für das Turnier. Und sei es nur für die Doppelkonkurrenz. Allein der Effekt für Fynn wäre riesengroß.“
„Ok, schickst du mir bitte den genauen Termin, wann ihr genau in Genf spielen werdet? Ich möchte bei diesem Turnier anwesend sein. Besorgst du mir bitte dafür auch Karten?“
„Klar, wie viele brauchst du denn?“
Marc überlegte einen Augenblick und sagte dann: „Vier, für Sabine, Luc, Stef und mich. Die großen Jungs sind in Deutschland. Das heißt, ich brauche fünf, Leif wird bestimmt mitkommen wollen.“
„Kein Problem. Ich kümmere mich darum. Ich schreibe dir dann rechtzeitig die Daten.“
„Sehr schön, danke. Du sagst mir, was du für die Karten bekommst.“
„Das kostet dich nichts. Ich bekomme immer ein paar Karten für das Team. Außerdem sollte der Hauptsponsor selbstverständlich gut umsorgt sein.“
Dabei musste ich schmunzeln und auch Marc lachte. Karl und Barbara allerdings waren verwundert. Erst als Marc ihnen den Sachverhalt erklärte, waren sie im Bilde. Sie versprachen uns, den Jungs nichts davon zu sagen, auch Luc und Stef sollten das nicht wissen.
Der nächste Morgen hatte für mich eine positive Erkenntnis. Meine Jungs waren pünktlich beim Frühstück und machten einen guten Eindruck. Sie erzählten von ihrem gemeinsamen Abend und erst, als wir im Auto saßen, um zum Training zu fahren, wurden sie ruhig. Ich hatte schon etwas Sorge, dass sie mir etwas verheimlichten, aber die Sorge war falsch. Sie konzentrierten sich tatsächlich bereits auf das Training.
Eine Stunde später stand ich auf unserem Trainingsplatz und scheuchte die Jungs über den Platz. Als Maxi zum sechsten Mal den gleichen Fehler machte und einen Ball neben die Linie spielte, wurde ich deutlich:
„Stell dich besser zum Ball, du bist viel zu bequem. Auch oder gerade wenn du viel Zeit hast, musst du dich perfekt hinstellen. Wie viele Punkte willst du noch verschenken?“
„Scheisse, Chris. Du bist heute aber echt pissig.“
Maxi war genervt von meiner Hartnäckigkeit, aber anderseits hatte ich seinen Ehrgeiz geweckt. Er forderte immer wieder diese spezielle Situation und irgendwann hatte es bei ihm `klick` gemacht. Jetzt lief er auch die `einfachen´ Bälle vollständig aus und schoss den Ball exakt neben die Linie. Allerdings auf der richtigen Seite in das Feld.
Fynn hatte immer wieder die Bälle nach meinen Wünschen gespielt und blieb sehr geduldig.
„Ok, das reicht jetzt für Maxi. Wechselt einmal die Positionen. Fynn ist dran.“
Für Fynn hatte ich eine Aufschlagübung vorbereitet. Sein Problem war immer wieder die Konzentration, gerade unter Druck ließ er sich leicht ablenken und verlor den Faden.
Ich nahm auch Fynn hart ins Gebet und forderte ihn heftig. Erst nach einer weiteren Stunde beendete ich zufrieden das Training. Für den Nachmittag hatte ich ein Matchtraining angesetzt. Sie sollten ein Match gegeneinander spielen. Ich wollte einige Sequenzen aufnehmen und anschließend mit ihnen besprechen.
Die Jungs hatten nach der morgendlichen Einheit ein klares Programm und ich nutzte die Zeit, um das Turnier in Kitzbühel vorzubereiten. Ich saß im Clubhaus der Anlage auf der wir trainieren konnten. Dort herrschte am Vormittag noch wenig Betrieb. Allerdings kamen nach der Mittagszeit die ersten Kinder zum Training.
Wir hatten unser gemeinsames Mittagessen bereits fertig und die Jungs hatten sich verabschiedet. Sie wollten mit Stef und Luc bei Karl in der Werkstatt etwas ausspannen und sich mit den beiden treffen.
Ich blieb im Club und schaute mich ein wenig um. Auf einem Platz fielen mir zwei Jungs auf, die schon einen guten Ball spielten. Sie hatten noch nicht das Niveau wie Maxi und Fynn, aber sie waren auch mit Sicherheit zwei Jahre jünger. Ich stand bei ihnen am Platz und beobachtete ihr Training. Der Coach stand am Zaun und gab Anweisungen und plötzlich kam ein Kommentar zu einem Fehler von einem der Jungs:
„Hey Basti, du solltest dir das gleich mal bei den beiden großen Jungs anschauen. Die trainieren richtig. Dann weißt du, wie hart man arbeiten muss, um auch bei den großen Turnieren spielen zu können.“
Basti war genervt, das konnte ich sofort erkennen. Allerdings war er auch ehrgeizig und hing sich weiterhin voll in das Training. Das gefiel mir gut.
Jetzt mussten die Bälle gesammelt werden und anschließend gab es eine kurze Getränkepause an der Bank. Diese Situation nutzte ich, um nach den Erklärungen des Trainers mit allen ein wenig ins Gespräch zu kommen.
So erfuhr ich, dass sie dreizehn und vierzehn Jahre alt waren und in ihrem Jahrgang sehr gut waren. Ich hatte spontan eine Idee:
„Wie sieht eure Zeitplanung aus? Hättet ihr Lust mit meinen beiden Jungs gleich ein wenig Matchtraining zu machen? Wir bereiten uns auf ein Turnier in der nächsten Woche vor.“
Die beiden schauten sich an und ihr Trainer fand die Idee gut. Sie mussten allerdings zuerst mit ihren Eltern telefonieren, damit sie später abgeholt würden.
„Wo spielt ihr denn euer Turnier?“, fragte mich ihr Trainer.
Die beiden Jungs waren gerade dabei mit ihren Eltern zu telefonieren.
„In Kitzbühel ein ATP-Challenger.“
Jetzt staunte Jannis, so hieß der Trainer.
„Wow, wo stehen deine Jungs denn in der Weltrangliste? Da sind meine Youngster aber völlig überfordert. So gut sind sie noch lange nicht.“
„Ganz ehrlich, so genau weiß ich das gar nicht. Allerdings brauchen wir keine Qualifikation mehr zu spielen. So um die 500 in der Welt schätze ich mal. Dass deine beiden noch nicht das Niveau haben, sehe ich nicht als großes Problem. Sie haben heute Morgen hart gearbeitet und da kommt ein lockeres, aber konzentriertes Matchtraining genau recht.“
Jannis nickte anerkennend und in diesem Moment kamen die beiden Jungs zu uns und gaben ihre Zustimmung. Basti fragte allerdings:
„Deine Jungs sind aber schon deutlich älter als wir. Das weißt du hoffentlich, dass wir noch lange nicht so gut sind.“
„Ach, das sehe ich nicht so krass. So weit seid ihr gar nicht weg. Lasst uns ein wenig Matchtraining machen. Meinen beiden kommt das gerade recht. Sie meckern sonst wieder, dass ich zu hart mit ihnen trainiere.“
Dabei zwinkerte ich beiden zu, aber Jannis hakte sofort nach: „Jetzt ernsthaft? Sie beschweren sich über zu hartes Training? Ob sie dann schon reif für die Profitour sind?“
„Nein, das war Spaß. Sie arbeiten sehr hart und ziehen voll mit. Fynn hängt gerade etwas durch, weil sich sein Freund schwer beim Training verletzt hat. Er kann die Turnierreise nicht mitspielen. Das nervt ihn etwas. Allerdings habe ich das gut im Griff.“
Es dauerte nicht mehr lange und meine beiden Cracks betraten wieder die Anlage. Sie waren etwas erstaunt, als sie mich am Platz der anderen Jungs stehen sahen. Maxi fragte gleich:
„Sag mal Chris, du kannst auch nicht mal einfach Pause machen? Gleich wieder bei der Konkurrenz schauen?“
Ich musste lachen und erwiderte: „Nein, aber ich habe hier zwei sehr gute Talente gefunden. Zieht euch mal um und macht euch warm. Wir treffen uns dann hier wieder.“
„Nicht auf unserem Platz?“, fragte Fynn erstaunt.
„Nein, erst einmal hier. Dann erkläre ich euch das.“
Etwa fünfzehn Minuten später kamen Maxi und Fynn gut aufgewärmt zurück.
„Also passt mal auf. Die beiden hier können einen ordentlichen Ball spielen. Ich möchte euch heute ein wenig Matchpraxis geben. Ihr spielt jeweils ein Match gegen die beiden. Da sie ein wenig jünger sind als ihr, bekommen sie in jedem Satz einen 2:0 Vorsprung. Also gebt Gas, wenn ihr nicht verlieren wollt. Der Verlierer muss den Platz komplett abziehen.“
Die beiden Nachwuchsspieler hingen sich richtig rein und Maxi und Fynn durften nicht eine Minute unkonzentriert agieren. Das bestraften die beiden sofort. Ich machte ein paar Videoaufnahmen, die ich am Abend mit meinen Jungs analysieren wollte.
Die Spiele waren am Anfang des zweiten Satzes, als ich plötzlich Marc an meinem Platz auftauchen sah. Er stellte sich zu mir an den Zaun und begrüßte mich.
„Hi Chris, sieht schon gut aus, was die Jungs hier zeigen. Oder bist du nicht zufrieden?“
„Doch, das sieht wirklich gut aus, was die vier hier zeigen. Wie kommt es, dass du hier bist? Ich dachte, du wolltest heute zurück in die Schweiz fliegen.“
„Ja, mache ich auch gleich. Ich wollte mich aber von euch verabschieden. Mein Flug geht in neunzig Minuten und deshalb kann ich nur kurz bleiben. Luc lässt übrigens fragen, wann ihr heute Abend zurück seid. Er möchte mit Stef für alle kochen.“
„Oh, das hört sich gut an. Ich rufe ihn gleich mal an, wenn du weg bist. Ich finde das übrigens toll, wie du dich für andere einsetzt. Ich hoffe, wir enttäuschen dich nicht.“
„Blödsinn, so wie du arbeitest und mit den Spielern umgehst, machst du alles richtig. Ich habe ein sehr gutes Gefühl. Gerade bei Dustin und Fynn ist es enorm wichtig, dass sie dich als Coach immer dabei haben. Es wird noch Hürden zu überwinden geben.“
„Ich befürchte das auch, denn bislang war alles noch recht einfach. Ich möchte nicht so genau wissen, wie oft wir noch auf Anfeindungen stoßen werden. Aber es wird einfach Zeit, dass Homosexualität auch im Profisport akzeptiert wird.“
Marc zeigte mir mit einer ehrlichen Umarmung seine Zustimmung. Leider musste er uns danach verlassen. Er wünschte meinen Jungs alles Gute für Kitzbühel und ich konnte mich anschließend wieder ausschließlich der Matchbeobachtung widmen.
Nachdem ich immer wieder einige Kleinigkeiten korrigiert oder mit Maxi und Fynn besprochen hatte, näherte sich das Match dem Ende zu und diesmal beendete Fynn zuerst sein Match. Er hatte eine gute Leistung gezeigt und es freute mich, dass er heute in der Lage war, sich auf sein Match zu konzentrieren.
Ich schickte die beiden nach dem Auslaufen zum Duschen und bat sie im Anschluss zu einem Gespräch. Dort wollte ich die weiteren Schritte in München abklären. Bereits morgen ging es nach Kitzbühel. Zum Einen, weil ich einen ganzen Tag haben wollte, sich an den dortigen Platz zu gewöhnen und zum Anderen wollte ich den Geigers nicht unnötig zur Last fallen. Ich wusste, dass Stef uns zwar eingeladen hatte, konnte aber mittlerweile sehr gut erkennen, wie aufwändig das für die Geigers war.
Wir saßen im Clubhaus bei einem kalten Getränk, als ich meinen Jungs meine Pläne erläuterte. Fynn fand es natürlich schade, schon am nächsten Tag abzureisen, konnte es aber auch verstehen. Schließlich hatten wir ein wichtiges Turnier zu spielen.
„Können wir dann heute Abend noch einmal mit Luc und Stef etwas unternehmen?“
„Nein Fynn, wir unternehmen gemeinsam etwas. Mario hat mir einen Tipp gegeben und das möchte ich mit euch machen. Luc und Stef werden mit Mario dabei sein. Sie haben sich etwas ausgedacht.“
Erstaunt schauten mich beide an und wollten natürlich sofort wissen, was das wäre.
„Nö, das verrate ich noch nicht. Soll ja eine Überraschung werden.“
Etwas mürrisch nahmen sie das hin. Allerdings nicht ernsthaft mürrisch, denn Maxi sagte:
„Du wirst es uns eh nicht verraten, egal wie lange wir dich nerven. Also können wir es auch lassen und warten ab.“
Ich nickte, konnte mir aber einen Kommentar nicht verkneifen:
„Hey, das ist eine kluge Entscheidung. Ich hoffe mal, ihr trefft auf dem Platz auch so gute Entscheidungen.“
Beide streckten mir die Zunge raus und mussten lachen. So hatte ich ganz schnell wieder die Stimmung aufgelockert und blies entsprechend zum Aufbruch. Ich wusste ja, dass uns noch ein leckeres Abendessen erwartete.
Als wir zurück bei den Geigers ankamen, kam uns bereits ein herrlicher Duft entgegen. Ich konnte viele verschiedene Gewürze wahrnehmen. Allerdings hatte ich keine Ahnung, was die beiden für uns gezaubert hatten. Ich betrat die Küche, während Maxi und Fynn zuerst ihre Taschen wegstellten.
„Hi, ihr genialen Hobbyköche. Was habt ihr denn für uns gezaubert. Riechen tut es bereits schon grandios.“
„Hallo Chris. Es gibt heute eine Kartoffelsuppe als Vorspeise und dann haben wir ein indisches Reisrisotto vorbereitet. Der Nachtisch bleibt noch geheim.“
„Wow, das hört sich gut an. Hoffentlich mögen meine Jungs das auch. Gesund ist es allemal. Ich freu mich drauf.“
„Ich dachte, Sportler sollen gesund essen. Da sollten sie so etwas auch mögen.“
Ich zeigte Stef meinen Daumen, denn genau das war auch mein Standpunkt. Aber beschweren konnte ich mich bislang auch nicht über die Ernährung meiner Spieler. Allerdings tolerierte ich auch hin und wieder mal einen Burger oder ähnliches.
Als Fynn und Maxi die Küche betraten, staunten sie nicht schlecht, denn sowohl Luc als auch Stef waren aktiv in der Küche tätig. Fynn fragte allerdings sofort:
„Kann ich noch etwas helfen?“
Stef drehte sich vom Herd um und erwiderte:
„Nein, diesmal nicht. Ihr könntet allerdings schon einmal den Tisch decken. Luc zeigt euch, wo die Sachen stehen.“
Luc ging mit den beiden ins Esszimmer und ich hatte Zeit, mich in Ruhe ein paar Sätze mit Stef zu unterhalten.
„Stef, kannst du mir vielleicht eine Frage beantworten?“
„Klar, wenn du die passende Frage stellst.“
Dabei schaute er mich ohne eine Miene zu verziehen an. Es dauerte einige Sekunden, bis ich seinen Scherz verstand, dann mussten wir beide lachen.
„Also, schieß los. Ich habe heute einfach gute Laune“, lachte Stef.
„Wenn Luc krank wäre und du weit von ihm weg, wie würdest du damit umgehen?“
„Oh, das ist ganz einfach. Wenn ich könnte, würde ich zu ihm fahren und dafür sorgen, dass er schnell wieder gesund wird. Warum fragst du?“
Ich erklärte ihm die Sache mit Fynn und Dustin und dass es Fynn schwer fiel, sich auf seine Spiele zu konzentrieren, weil Dustin zu Hause seine Verletzung auskurierte. Stef hörte aufmerksam zu. Als ich meine Beschreibungen beendet hatte, schaute er mich an und sagte:
„Vielleicht wäre es tatsächlich zu überlegen, ob Dustin in die Schweiz nachkommt. Auch wenn er vielleicht noch nicht oder nur Doppel spielen kann. Es würde für Fynn eine erhebliche Erleichterung sein. Außerdem könnte der Heilungsprozess bei Dustin ebenfalls beschleunigt werden. Letztlich trainiert er ja sehr hart zu Hause, damit er schnell wieder mit Fynn zusammenkommt.“
Ich fand seine Überlegungen sehr interessant, denn ich hatte bereits ähnliche Gedanken gehabt. Ich wollte mir das noch einmal überlegen und mit Dustin dann darüber sprechen.
„Ok, ich verstehe. Danke für deine offene Meinung.“
„Sehr gern. Übrigens, wir können essen. Hilfst du mir bitte, die Sachen herüber zu bringen?“
„Sicher doch.“
Ich nahm den großen Suppentopf und trug ihn in das Esszimmer. Dort saßen die anderen drei bereits und warteten auf das Essen. Sie schienen sich genauso gut unterhalten zu haben, wie ich mit Stef.
„Hey Stef, hast du Chris schon für die niederen Arbeiten eingespannt?“
Luc war heute wieder sehr lustig, aber ich hatte die passende Antwort parat:
„Na, ich trage das wertvolle Essen. Das ist mehr Verantwortung als andere tragen können.“
Das führte zu herzlichem Lachen und schnell hatte ich die Suppe verteilt. Genauso schnell war die Suppe und dann auch der Hauptgang verarbeitet und mir blieb nur, beiden Köchen mein Kompliment auszusprechen. Das war grandios, was die beiden da hergestellt hatten. Der Nachtisch wurde dann noch ein weiteres Highlight. Es gab selbstgemachte Sachertorte. Ein Gedicht. Ich war total begeistert.
„Warum war Mario nicht beim Essen? Wir machen doch heute Abend etwas gemeinsam.“
„Er musste bis halb sieben arbeiten. Das wäre also zeitlich nicht gegangen, dafür holt er uns aber gleich ab. Wir können uns also schon mal fertig machen.“
Ich war überrascht, dass Luc schon wieder alles vorbereitet und geplant hatte. Mir gefiel das außerordentlich gut, denn bei den Jungs in der WG stellte ich hin und wieder organisatorische Mängel fest. Jedenfalls lobte ich die tolle Struktur bei Luc und Stef und bevor wir nicht fertig sein würden, wenn Mario uns abholte, schickte ich uns zum Umziehen.
Es dauerte auch nur noch zehn Minuten und dann saßen wir in Marios H3 und fuhren etwas aus der Stadt heraus.
Als wir auf einem großen Parkplatz ankamen und Mario das Auto abstellte, konnte ich auf dem Dach einer Halle bereits das große Schild erkennen. Eine Kartbahn. Ob Luc und Stef überhaupt ahnten, was sie hier anzettelten? Wie gut, dass Carlo und Tim nicht mit waren.
„Ihr seid ja verrückt. Wer hatte denn diese Idee?“, staunten meine Jungs.
Luc und Stef lachten sich kaputt und Mario grinste, als er sagte:
„Dreimal dürft ihr raten, wessen Idee das wohl war. Marc hat gemeint, wir sollten doch mal testen, ob ihr auch motorsporttauglich seid.“
Fynn und Maxi schüttelten den Kopf und waren sichtlich unsicher.
„Na, dann mal los. Schauen wir doch mal, ob wir tauglich sind oder nicht. Los, Jungs. Wir werden es ja am Ende sehen, ob wir auf diesem Gebiet auch was können oder nicht.“
Luc begleitete uns zum Helmverleih und natürlich hatten er und Stef ihre eigenen Helme. Wir bekamen eine Einweisung in die Strecke und Regeln, die auf der Piste galten und dann durften wir in den Karts Platz nehmen. Luc und Stef waren für uns richtige Profis. Entsprechend zügig bretterten sie durch die Kurven. Ich fuhr eher etwas defensiv. Immerhin war das letzte Mal auf einer Rennstrecke schon einige Zeit her. Ich war einige Zeit Rallyes gefahren, bis zu meinem schweren Unfall.
Es dauerte auch nicht lange, da fuhren Maxi und Fynn hinter den anderen beiden her. Das stachelte meinen Ehrgeiz doch an. Also überwand ich meine Zurückhaltung und ging immer mutiger in die Kurven und bekam Vertrauen in mein Kart. So konnte ich auch den Drift fahren und damit gerade in den engen Kehren viel Zeit gutmachen. Ich kam in einen Rhythmus und dann hatte ich keine Mühe mehr, meine Jungs zu überholen. Für Luc bedeutete das allerdings, dass er plötzlich deutlich schneller fuhr. Ich konnte ihm mühelos folgen, bis zu dem Moment, als die rote Flagge gezeigt wurde. Alle Piloten hatten sofort die Strecke zu verlassen. Es hatte eine Karambolage gegeben, allerdings ohne die Beteiligung meiner Jungs.
An den Boxen nahm Luc seinen Helm ab und lachte. Stef war schon ausgestiegen und applaudierte mir, als ich das Kart abstellte.
„Nicht schlecht, Chris. Von wegen Anfänger und du kannst nichts. Erzähl mir jetzt nicht, dass du das erste Mal in einem Kart gesessen hast.“
„Nein, Luc. Allerdings ist das schon ewig her. Ich habe früher mal Rallyesport betrieben. Von daher kenne ich mich ein wenig damit aus.“
„Was unser Chris so alles kann. Gibt es eigentlich etwas, was du nicht kannst?“, fragte Maxi, der mittlerweile mit Fynn zu uns gekommen war.
„Aber sicher doch. Ich kann weder singen noch gut tanzen.“
Das führte zu großer Heiterkeit bei meinen Jungs.
Der Abend wurde noch sehr lustig und unterhaltsam, denn als ich Stef und Luc an die Bar einlud, hatten wir sehr schnell ein gemeinsames Thema gefunden. Maxi und Fynn wollten natürlich mehr über meine Rallyeerfahrungen wissen und Luc erzählte Geschichten von seinem Vater. Immer wieder hatten wir Grund zum Lachen und Fynn hatte endlich sein Lachen wiedergefunden, für das er bekannt war.
Obwohl ich schon das kommende Turnier im Kopf hatte, achtete ich ganz bewusst nicht auf die Uhrzeit. Ich wollte heute mit allen vier einen schönen und persönlichen Abend verbringen. Maxi und Fynn sollten den Kopf frei bekommen.
Was ich ebenfalls als auffällig bemerkte war, dass sowohl Luc als auch Stef Fynn immer mehr an sich heran gelassen hatten. Es entstand eine sehr persönliche Nähe. Dass Luc der Sohn eines Superstars des Motorsportes ist, war nie offensichtlich gewesen und es imponierte mir immer wieder, wie normal dieser Junge war und wie nahe sich Luc und Stef standen.
Auch die Integration von Maxi war sehr schön. Immerhin war er der einzige Hetero in unserer Gruppe. Ich konnte allerdings auch erahnen, dass es am nächsten Tag kein einfacher Abschied sein würde. Dafür war die Freundschaft der Jungs bereits zu intensiv geworden.
Als wir nach ein Uhr Nachts wieder zurück waren und die Jungs in ihren Zimmern verschwunden, wollte ich noch einen Moment auf der Terrasse entspannen. Überraschenderweise saß Barbara Geiger ebenfalls dort.
„Hallo Chris. Na, haben sich die Jungs ausgetobt? Ich hoffe mal, sie haben es nicht übertrieben.“
„Nein“, lachte ich, „es war ein toller Abend, den sich Luc und Stef ausgedacht hatten. Ich brauche nur noch ein paar ruhige Minuten, um mich selbst zu beruhigen. Sonst kann ich nicht schlafen.“
„Ah, willkommen im Club. Das geht mir genauso. Wenn du magst, setz dich doch zu mir. Dann können wir noch ein wenig reden.“
Dieses Angebot nahm ich gern an und wir sprachen noch eine halbe Stunde über das Projekt, meine Jungs an die guten Profis heranzuführen.
Mittlerweile war es halb zwei geworden und ich müde genug, um ins Bett zu gehen. Barbara löschte das Licht und dann war auch für mich dieser anstrengende Tag zu Ende.
Luc: Schöne Tage gehen zu Ende
„Sag mal Schatz, wollen wir morgen nicht mal Dustin zum Frühstück anrufen und zur Überraschung dann an Fynn weiter geben?“
Stef hatte wieder einmal den gleichen Gedanken wie ich, als wir bereits nach einem sehr lustigen Abend, gemütlich in unserem Bett lagen.
„Das machen wir, aber erst morgen. Jetzt will ich mit dir noch etwas kuscheln. Der Morgen kommt eh viel zu früh.“
Leider hatte ich mit diesem Gedanken ins Schwarze getroffen. Mir fehlten einfach ein paar Stunden Schlaf, als um neun Uhr der Wecker klingelte. Chris wollte ja bereits heute nach Kitzbühel aufbrechen, damit sie sich einen Tag noch auf den dortigen Plätzen vorbereiten konnten.
Da wir sie natürlich verabschieden wollten, hatten wir uns zum gemeinsamen Frühstück verabredet. Am heutigen Samstag brauchte ich nicht zu arbeiten. Karl hatte mir ermöglicht, mit Stef unsere Gäste und Freunde zu verabschieden.
Stef war bereits im Bad, als ich das Bett verließ. Bevor ich richtig wach war, hatte sich Stef bereits auf sein Rad geschwungen und war auf dem Weg zum Bäcker. Ich staunte immer wieder, wie gut er morgens aufstehen konnte, wenn es etwas Wichtiges zu tun gab.
Ich stand in der Küche und hatte gerade die Milch auf dem Herd erhitzt, um Kakao zu kochen, als mein Schatz die große Brötchentüte auf den Tisch legte.
„Wir frühstücken am besten im Garten. Kannst du bitte schon den Tisch decken. Chris wird sicher gleich als erster erscheinen.“
Ich rührte weiterhin die Milch und hatte nebenbei ein großes Tablett mit leckeren Sachen gefüllt. Chris trank morgens eigentlich Tee. Allerdings hatte er uns erzählt, dass er Teebeutel verabscheute. Das kannte ich von meinem Vater und hatte ihn deshalb gebeten, uns für München etwas von seinem Darjeeling mitzugeben. Ich hatte die Kaffeemaschine angestellt und gleichzeitig Teewasser aufgesetzt, als Chris die Küche betrat:
„Oh, guten Morgen Luc. Das sieht aber schon edel aus. Wo hast du denn Stef gelassen?“
„Der deckt draußen den Tisch, könntest du vielleicht das Tablett nach draußen bringen?“
„Sicherlich. Bis gleich.“
Chris nahm das Tablett und war direkt verschwunden. Er erinnerte mich manchmal an meinen Vater. Er hatte in vielen Verhaltensweisen und Ideen große Ähnlichkeit mit Marc. Ich stellte den Kakao und die Teekanne auf ein weiteres, kleineres Tablett und ging damit nach draußen. Chris stand dort mit Stef und sie unterhielten sich gerade über das kommende Turnier. Chris sah die Teekanne und freute sich.
„Wow, extra für mich Tee. Vielen Dank. Ich habe schon zu Stef gesagt, hier werden wir aber nach Strich und Faden verwöhnt. Meine Jungs liegen sicher noch im Bett und ihr seid schon am Arbeiten.“
„Ihr seid ja auch unsere Gäste. Da gehört sich das doch so. Du würdest dich genauso um uns kümmern, sollten wir mal bei euch zu Gast sein. Also alles gut. Wann kommen den Maxi und Fynn?“
Chris schaute zur Uhr und schüttelte den Kopf.
„Ich gehe sie mal holen. Ihr seid doch etwas länger weg gewesen. Faule Bande.“
Das letzte war sicher nicht ernst gemeint, aber Stef schien unsicher zu sein. Er schaute skeptisch hinter Chris her.
„Beruhig dich wieder. Chris hat das lustig gemeint. Er wird sie jetzt wohl aus dem Bett werfen, falls sie immer noch nicht ….“
In diesem Moment betrat Chris mit Fynn die Terrasse.
„Na, was hab ich gesagt. Da sind sie ja schon.“
„Maxi braucht noch zwei Minuten. Wir können aber schon anfangen.“
„Nein, wir warten bis alle da sind. Schließlich müsst ihr ja gleich schon wieder losfahren. Schade, dass wir nicht mehr Zeit haben.“
Ich fand es ehrlich schade. Wir hätten ihnen gerne noch mehr von München gezeigt.
Chris nickte einverstanden und es dauerte auch nicht mehr lange, dann saßen wir alle gemeinsam am Tisch und frühstückten.
„Wie lange seid ihr unterwegs nach Kitzbühel?“, fragte Stef.
Fynn schaute mich fragend an: „Keine Ahnung, wie viele Kilometer das sind. Chris, weißt du das?“
„Klar, das sind ungefähr zwei Stunden Fahrt. Wenn wir über die Autobahn fahren sogar weniger, aber dann fallen Mautgebühren an.“
Chris erklärte den beiden, was für heute geplant war und das sie morgen vormittags schon trainieren würden. Vielleicht sogar heute Abend noch. Ich fand das ganz schön heftig. Aber Chris hatte mir erklärt, dass es wichtig ist, regelmäßig zu trainieren, auch für die Fitness und genau da hatten sie es in den Tagen in München ein bisschen ruhiger angehen lassen. Das gefiel Chris nicht sonderlich. Deshalb hatte er den beiden bereits beim Frühstück angekündigt, dass sie mehr Zeit für das Training einplanen müssen.
Leider ging unsere gemeinsame Zeit in München zu Ende und Chris bat Maxi und Fynn, ihr Zimmer aufzuräumen und ihre Taschen auf den Flur zu stellen. Chris blieb noch etwas bei uns sitzen und sagte:
„Vielen Dank für die schöne Zeit in München. Ich glaube, dass ihr für Fynn und Maxi echte Freunde geworden seid. Auch für Dustin ist diese Beziehung ganz wichtig, auch wenn er dieses Mal nicht dabei sein konnte, aber beim nächsten Besuch wird er wieder dabei sein. Er hat mir und auch Fynn immer geschrieben, wie schade er das findet, dass er verletzt ist. Mit der Einladung von euch in die Schweiz habt ihr voll ins Schwarze getroffen. Darauf freue ich mich übrigens auch sehr. Allerdings müsst ihr mir etwas versprechen.“
Ich schaute meinen Schatz an und das Grinsen von Chris sprach für sich.
„Gut, was hast du dir ausgedacht?“
„Für einen Tag bestimme ich das Ziel und das Programm. Was das ist, verrate ich aber noch nicht.“
„Ok, versprochen. Lassen wir uns überraschen, was du vorhast. Zur Not fragen wir Fynn und Dustin. Die werden uns schon verraten, um was es gehen wird.“
„Vergiss es. Sie wissen es ja selbst noch nicht. Aber was ganz anderes, hat Karl etwas gesagt, wegen der Fahrzeugübergabe?“
„Mist, das hätte ich fast vergessen. Ja, hat er. Er hat euch den Cadillac in die Einfahrt gestellt. Die Schlüssel und Papiere gebe ich dir gleich und er ist wie versprochen vollgetankt.“
Chris nickte anerkennend und erwiderte:
„Also eines stimmt absolut. Ihr seid für euer Alter extrem gut organisiert. Kann ich meine Jungs mal für eine Zeit bei euch ins Trainingslager schicken? Die sind manchmal noch so verpeilt.“
Wir mussten lachen und in diesem Augenblick betraten Maxi und Fynn wieder die Terrasse. Sie hatten natürlich keine Ahnung worüber wir lachten. Entsprechend komisch schauten sie auch aus.
Chris stand vom Tisch auf und fragte: „Habt ihr auch wirklich nichts vergessen und alles ordentlich verlassen?“
„Ja, wir haben alles genau durchgeschaut. Wir haben unsere Sachen. Es kann losgehen.“
Chris nickte und dann kam leider der Moment des Abschieds. Ich hatte mich an die drei schon gewöhnt. Insbesondere Fynn war mir ein enger Freund geworden. Hoffentlich würden wir uns bald wiedersehen und dann auch wieder mit seinem Freund.
Chris umarmte uns beide und das war eine tolle Geste. Für Stef ganz besonders, da Chris für ihn immer ein offenes Ohr hatte. Ich gab Chris die Autoschlüssel und Papiere und dann packten sie ihre Taschen in das Auto.
Chris stieg als letzter ein und zum Abschied winkten alle drei aus dem Fenster, bevor sie unsere Straße verließen.
Wir waren sehr gespannt, wie ihre weitere Turnierreise verlaufen würde. Vielleicht konnte Dustin schon in der Schweiz wieder dabei sein. Wir hofften es für Fynn sehr.
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