zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Auf der Tour

Teil 9

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

Luc: Reise nach Brighton

Die Reparatur meines Camaro war glücklicherweise schnell erledigt. Wie sich bei genauer Betrachtung herausstellte, hatte vermutlich ein Marder an einer Leitung für die Servolenkung genagt und dadurch für das Leck gesorgt.

Papa und ich hatten die Leitungen sicherheitshalber komplett ausgebaut. Karl hatte uns die Ersatzteile geschickt. So konnte ich recht bald wieder mit dem Wagen fahren. Das Besondere war in diesen Tagen, Papa hatte mir erlaubt seinen 488 Spyder nehmen zu dürfen.

Ich wusste genau, was ihm seine Schätze bedeuteten. Umso vorsichtiger fuhr ich damit zur Schule, um Stef abzuholen und zum Training. Ich hatte nämlich begonnen, regelmäßig Tennisstunden zu nehmen. Stef hatte auch Freude daran und so hatte uns Papa empfohlen, doch in den Verein einzutreten.

Von Dustin und Fynn hatten wir erfahren, dass sie bereits auf dem Weg nach Brighton waren. In S´Hertogenbosh hatten sie alle gute Matches gespielt, aber dennoch früh verloren. Für mich waren die Niederlagen allerdings recht früh. Dustin hatte mir aber erklärt, dass das auf diesem Level für sie doch ein Erfolg war. Ich konnte das nicht gut genug einschätzen und vertraute da auf die Expertise von Chris. Wenn Chris zufrieden war, dann sollte es gut gewesen sein. Deshalb hatte ich Chris eine Whatsapp geschrieben, um mich auch nach dem Zeitplan in Brighton zu erkundigen.

Papa hatte Stef und mir Flugtickets nach Gatwick gebucht. Von dort wollten wir mit einem Leihwagen nach Brighton fahren. Damit Chris und die Jungs noch nichts davon mitbekamen, hatte Papa uns extra in einem Hotel außerhalb der City ein Zimmer gebucht. Er hatte einfach viel bessere Verbindungen als wir. Ich hätte gar nicht gewusst, wie ich das am besten hätte machen sollen. Umso schöner war es, dass er mich daran teilhaben ließ und ich das so beim nächsten Mal vielleicht bereits allein hinbekommen würde.

„Luc, kommst du bitte mal in mein Arbeitszimmer.“, rief mein Vater, als ich aus der Küche kam.

Ich wunderte mich etwas. Am Mittag war Papa eigentlich nicht in seinem Arbeitszimmer.

„Was gibt es denn?“

„Setz dich bitte. Ich möchte mit dir etwas besprechen. Es geht um zwei Dinge. Zum Einen möchte ich, dass Stef jetzt auch mit dem Führerschein anfängt und zum Anderen möchte ich mit dir über euren Englandausflug sprechen.“

Ich setzte mich auf den Sessel neben dem Schreibtisch und schaute auf seinen Monitor. Dort konnte ich die Anmeldung für Stef bei der Fahrschule sehen.

„Hast du Stef schon angemeldet? Warum hast du ihn das nicht selbst machen lassen?“

„Weil er es nicht gemacht hat. Ich hatte ihn bereits mehrfach gebeten, sich anzumelden. Weißt du vielleicht, warum er das nicht tut? Hat er vielleicht Angst vor dem Autofahren?“

„Nein, das sicher nicht. Oder vielleicht doch. Er hat halt immer Sorge, dass er nicht gut genug ist. Aber das hat er bei allen Dingen, die er neu lernt. Auch in der Schule. Ich glaube aber eher, dass es etwas mit dem Geld zu tun hat. Er weiß, dass er sich den Führerschein momentan noch nicht leisten könnte. Und du weißt auch, dass er dich niemals bitten würde, das für ihn zu bezahlen.“

„Ja. Aber ich habe gedacht, dass wir das bereits geklärt hätten. Ich habe ihm doch gesagt, dass ich mit ihm darüber nicht verhandeln möchte. Er bekommt seinen Führerschein genauso von uns bezahlt wie alle anderen Jungs.“

„Papa, du kennst doch Stef. Auch wenn er ja sagt, heißt das noch lange nicht, dass er das so einfach umsetzen kann. Manche Dinge dauern bei ihm etwas länger. Aber vielleicht hast du Recht. Melde ihn einfach an und ich sorge dafür, dass er auch hingeht.“

Papa fing an zu lachen.

„Hey, das gefällt mir, Luc. Du machst dich gut. Genau das war mein Plan. Ich freue mich, wenn wir beide wieder einmal die gleiche Idee haben.“

„Okay, und was hast du noch für ein Problem?“

„Das Problem ist der Linksverkehr in England. Du bist doch noch nie im Linksverkehr gefahren. Da gibt es ein paar Regeln, die anders sind als bei uns.“

Jetzt bekam ich eine Schnelleinweisung für den Verkehr in England. Da waren wirklich Sachen dabei, die ich niemals bedacht hätte. Mein Vater war in diesen Dingen sehr vorsichtig und gewissenhaft. Als wir fertig waren, fühlte ich mich gar nicht mehr so wohl. Papa bemerkte das und fragte mich:

„Hast du ein Problem? Ich wollte dich nicht verunsichern. Aber es ist eben doch etwas anderes, auf der anderen Straßenseite zu fahren.“

„Nein, Problem nicht, aber ich fühle mich nicht mehr so wohl wie vorher. Ich werde entsprechend vorsichtig fahren.“

„Das ist immer gut. Ich habe euch übrigens schon einen Wagen reserviert. Damit es für dich einfacher wird, habe ich ein Automatikgetriebe ausgewählt. Hier ist der Reservierungsbeleg. Du musst den bei der Autovermietung vorlegen. Die Kaution habe ich bereits hinterlegt. Du musst dort nichts mehr bezahlen. Nur das Auto am Ende wieder am Flughafen abgeben. Hast du noch Fragen dazu?“

„Nein, jetzt hast du mir ja alles genau erklärt. Das klappt schon. Ich freue mich darauf, die Jungs zu treffen und sie zu überraschen. Damit rechnen sie bestimmt nicht.“

„Nein, das tun sie mit Sicherheit nicht. Wann wollt ihr morgen früh los?“

„So gegen halb neun wollen wir zum Flughafen fahren. Sollen wir eigentlich den Camaro am Flughafen stehen lassen? Ich habe etwas Sorge, dass dann dort etwas passieren könnte.“

„Nein, ich bringe euch hin. Der Camaro bleibt hier.“

Ich hätte es mir denken können, dass Papa sich so entscheiden würde. Aber mir war das auch sehr recht. So konnten wir beruhigt abfliegen und mussten nicht Sorge haben, dass uns jemand das schöne Auto kaputt macht bzw. beschädigt.

Am nächsten Tag saßen Stef und ich im Flugzeug und ich freute mich riesig auf unsere Tennisjungs und Chris. Sie waren für uns richtige Freunde geworden und ich war sehr gespannt, wie sie reagieren würden, wenn wir uns auf der Anlage treffen würden.

„Hast du Chris wirklich nicht informiert? Was ist, wenn er das gar nicht gut findet? Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, wenn Fynn oder Dustin unseretwegen ein schlechtes Turnier spielen.“

„Nein, sonst wäre es doch keine Überraschung mehr. Und wenn Chris das gar nicht möchte, dann fahren wir ans Wasser und machen uns ein paar schöne Tage in Brighton. Aber das wird nicht der Fall sein. Chris wird überrascht sein, aber sich freuen. Er weiß mittlerweile, dass wir die Regeln kennen und uns während des Spielbetriebes zurückhalten werden.“

Interessant wurde es noch einmal am Flughafen in Gatwick. Ich wollte den reservierten und bereits bezahlten Leihwagen abholen, als man mir den Wagen nicht aushändigen wollte. Das war überhaupt nicht gut. Sie sagten mir, dass ich noch nicht genug Fahrpraxis hätte, um mir einen Leihwagen nehmen zu können. Warum hatte man Papa das nicht gleich gesagt? Jetzt war guter Rat teuer. Ich beschloss, mit Papa zu telefonieren.

Das Telefonat dauerte keine zwei Minuten und ich wäre gern Mäuschen gewesen, als Papa bei der Vermietung persönlich angerufen hatte. Jedenfalls wurde mir im Anschluss daran sehr freundlich der Autoschlüssel ausgehändigt. Manchmal war es auch ein Vorteil, dass Papa eine bekannte Persönlichkeit war. Wobei ich mich nicht sonderlich wohl fühlte, dass ich eine Sonderregelung erhalten hatte.

„Was ich nicht verstehe, warum hat dein Vater uns nicht gesagt, dass es Probleme mit deinem Alter geben könnte?“

„Das weiß ich leider auch nicht. Aber jetzt fahren wir los. Ich möchte so schnell wie möglich aus der Stadt heraus sein.“

Das Fahren im Linksverkehr war wirklich nicht so einfach. Ich musste umdenken. Die ersten Kilometer waren sehr anstrengend. Als wir endlich aus der Stadt heraus und auf der Landstraße nach Brighton waren, konnte ich mich etwas entspannen. Stef übernahm die Navigation, damit ich mich ausschließlich auf den Verkehr konzentrieren konnte.

Er stellte sich hervorragend an und so kamen wir gut voran. Erst in Brighton wurde es wieder kniffelig. Ich hatte überhaupt keine Ahnung wo wir entlang fahren sollten. Aber Stef sagte mir immer rechtzeitig an, wenn wir abbiegen mussten oder auf sonst irgendetwas zu achten hatten. So erreichten wir unser Hotel ohne Probleme. Beim Einchecken bemerkte ich bereits, dass Papa uns sehr nobel untergebracht hatte.

Wir legten unsere Ausweise an der Rezeption vor und ein Page brachte uns zu unserem Zimmer. Wobei ich eher Suite sagen sollte, denn als er uns die Tür öffnete, blieb mir fast die Luft weg. Wir konnten vom Balkon direkt zum Meer schauen. Es gab eine Art Wohnzimmer mit einem großen Tisch und einer Sitzecke.

„Sag mal, Luc, wo sind wir denn hier gelandet? Dein Vater meint es aber wieder sehr gut mit uns. Das ist mir jetzt schon fast unangenehm. Vor allem, wenn wir von den Jungs Besuch bekommen. Die müssen doch denken, wir sind dekadent.“

Ich musste laut lachen. So, wie mein Freund das gesagt hatte, klang es sehr lustig. Allerdings war da schon etwas Wahrheit dran. Wir waren achtzehn und siebzehn Jahre alt und lebten in einer Suite, die mit Sicherheit eher für Geschäftsleute gedacht war.

„Komm, lass uns unsere Sachen auspacken und eine Dusche nehmen. Ich fühle mich verschwitzt von der Fahrt. Außerdem sollten wir gleich erst einmal etwas essen.“

Es gab natürlich kein normales Bad. Das war eine Wellness Oase. Stef und ich nutzten das schamlos aus und hatten unseren Spaß.

Chris: Brighton, eine Herausforderung

Bei der Ankunft in Brighton wurde mir deutlich, dass meine Jungs von den Reisestrapazen genauso ermüdet waren wie ich. Von daher war es ein Vorteil, dass wir schon frühzeitig anreisen konnten. Die Qualifikation begann am Freitag und das Hauptfeld am Samstagnachmittag.

Als Quartier hatten wir uns wieder für ein kleines Appartement etwas außerhalb der Stadt entschieden. Wir konnten dort für uns sein und waren unabhängig. Es war ein schönes Domizil mit Blick auf das Meer. Eigentlich ein Urlaubspanorama.

Heute wollte ich mit den Jungs noch nicht auf den Trainingsplatz. Sie sollten eine Runde laufen gehen und anschließend wollte ich mit ihnen auf die Anlage fahren, damit sie sich orientieren konnten. Training hatte ich erst für morgen angesetzt.

Während meine Truppe eine Runde laufen war, hatte ich ein paar Einkäufe getätigt. Groß kochen wollte ich nicht, aber für das Frühstück und Getränke wollte ich doch genug im Hause haben. Die richtigen Mahlzeiten würden wir auf der Anlage oder im Restaurant zu uns nehmen.

Ich gab Thorsten noch die Info, dass wir gut angekommen waren und dann kam meine Truppe auch schon zurück.

„Na, habt ihr euch ein wenig akklimatisiert? In fünfzehn Minuten wollte ich mit euch zur Anlage aufbrechen. Dort möchte ich mit euch zu Abend essen und auch die Planung machen. Ist das okay für euch?“

„Na klar, ich bin schon sehr gespannt auf den englischen Rasen. Er ist ja so berühmt wie die Anfield Road für die Fußballer.“

Dustin hatte gute Laune, denn mit einem Lachen im Gesicht hatte er das gesagt. Fynn belohnte ihn mit einem Kuss. Maxi schüttelte lachend seinen Kopf, während Justin doch etwas schüchtern wirkte.

Justin war auch der erste, der von den Jungs am Bus war. Ich hatte die Türen bereits geöffnet, da es für britische Verhältnisse sehr schwül und warm war.

„Kann ich dich mal etwas fragen?“

„Natürlich, Justin. Schieß los. Was hast du auf dem Herzen?“

„Wie ist das für dich, wenn Dustin und Fynn so offen ihre Zuneigung füreinander zeigen. Hast du nach Kitzbühel nicht mal gedacht, es wäre besser, wenn sie das nicht so offen zeigen?“

„Es ist total normal und ich stehe auf dem Standpunkt, dass sie das gleiche Recht haben wie jedes heterosexuelle Paar. Da stört es doch auch niemanden. Und nach Kitzbühel ist das wichtiger denn je. Ich möchte mich nicht verstecken müssen, nur weil wir schwul sind. Das geht gar nicht.“

Justin bekam große Augen und stutzte. Ich hatte ihm mit diesem Satz einen Wink gegeben. Bislang hatte ich ihm gegenüber noch nichts über meine Homosexualität gesagt. Aber ich war der Meinung, dass es jetzt an der Zeit wäre. Wenn ich ihn weiterhin betreuen sollte, war es nur fair, für klare Verhältnisse zu sorgen. In diesem Augenblick kamen die drei Jungs zu uns. Sie waren in einer angeregten Diskussion und Maxi fragte direkt:

„Chris, stimmt das, dass wir noch keine Tennissachen mitnehmen sollen? Trainieren wir heute nicht?“

„Ja, das ist korrekt. Heute ist noch ausruhen angesagt. Ab morgen geht es dann richtig los. Wir haben genug Zeit in den zwei Tagen bis zum Beginn. Außerdem muss ja nur Justin in die Qualifikation. Ihr habt ja noch einen Tag mehr Zeit.“

„Ich finde das ungerecht, dass Justin in die Quali muss. Er ist doch locker gut genug für das Hauptfeld.“

„Das ist sicher richtig so, Fynn. Dennoch hat er keine ausreichende Ranglistenposition. Er hat viele Juniorenturniere gespielt. Aber euch hat das auch nicht geschadet. Wer gut ist, schafft die Quali und kommt ins Hauptfeld.“

„Okay, das stimmt sicher. Dennoch kostet es ja auch Kraft.“

„Richtig, aber darüber mache ich mir keine Sorgen. Ich bin mir sicher, dass Justin sehr bald keine Qualifikation mehr spielen muss. - So, wollen wir los? Dann bitte einsteigen.“

Ich musste mich auch an den Linksverkehr gewöhnen. Vor allem mit einem linksgelenkten deutschen Auto. Deshalb hatte ich mir Maxi nach vorn gesetzt. Er war der aufmerksamste im Verkehr und konnte mich gut unterstützen. So dauerte es nur zwanzig Minuten bis wir an der Anlage ankamen. Es war ein riesiges Gelände und überall wurden bereits Sponsorenstände und Fahnen aufgebaut. Noch auf dem Parkplatz wurden wir gefragt ob wir Teilnehmer oder Zuschauer seien. Teilnehmer bekamen einen eigenen Bereich zugewiesen. Dort kamen Zuschauer nicht hin.

Mein erster Weg war dann ins Turnierbüro. Dort holte ich alle Spielerausweise und für mich die Coaching-Card. Außerdem bekam ich ein Tableau mit der Auslosung für die Qualifikation. Das Hauptfeld würde erst am Freitagabend ausgelost werden. Dazu bekam ich eine Tasche mit kleinen Begrüßungsgeschenken für die Spieler und legte dort auch das Tableau hinein. Das würde ich mir später anschauen.

Ich traf meine Jungs wieder, als sie sich den Center Court ansahen. Ich schätzte, dass er eine Kapazität von 2000 Zuschauern hatte. Das war für ein Challengerturnier recht groß. Aber Brighton hatte auch die zweithöchste Kategorie für ein Challenger. Immerhin war es mit 50.000 Dollar dotiert.

Sie diskutierten sehr angeregt über ein Thema. Allerdings hatte ich noch nicht mitbekommen können, um was es ging.

Bevor ich herausbekam, was ihr Thema war, verstummten sie. Das kam mir merkwürdig vor. Irgendetwas brüteten sie aus. Mittlerweile hatte ich aber gelernt, dass ich nicht fragen sollte, sondern darauf vertraute, dass sie bei passender Gelegenheit mit mir sprechen würden.

Also tat ich so, als ob ich nichts mitbekommen hatte und fragte:

„Na, habt ihr euch etwas umgesehen?“

„Oh ja, das ist ja riesig hier. Und so viele Rasenplätze auf einen Haufen habe ich auch noch nie gesehen. Was für ein Feld ist das hier? Ein 32er Feld?“

Maxi war beeindruckt, während Justin eher cool blieb. Ihn schien eh nicht vieles aus der Ruhe zu bringen. Zumindest äußerlich. Fynn stand ganz eng mit seinem Freund etwas abseits. Sie flüsterten miteinander, kamen aber zu uns heran.

„Ja, ein 32er Feld und eine 16er Qualifikation. Ich habe das Tableau für Justin in meiner Tasche. Das können wir uns auch gleich ansehen. Jetzt habe ich aber zuerst eine Info für euch. Jeder hat ein Willkommenspaket erhalten. Das ist hier in meiner Tasche.“

Ich gab jedem eine Tasche mit den Dingen. Sie schauten hinein und nickten anerkennend. Dustin fragte:

„Das ist aber nett gemacht. Ich möchte nicht wissen wie hoch das Startgeld bei diesen Turnieren ist. Wenn so etwas für jeden Spieler dabei übrig bleibt.“

„Quatsch, das machen mit Sicherheit Sponsoren, die das auch als Werbung nutzen. Aber ich würde meine Tasche gerne ins Auto bringen. Dann muss ich das nicht die ganze Zeit herumtragen.“

„Guter Gedanke Maxi. Hier ist der Schlüssel. Ihr könnt die Sachen wegbringen, nehmt ihr bitte Justins Tasche auch mit, dann kann ich schon einmal mit ihm das Tableau der Qualifikation begutachten.“

Ich blieb mit Justin zurück und holte das Tableau aus meiner Tasche. Ich hatte Lust auf einen Latte Macchiato und ging deshalb mit Justin in das Clubhaus. Hier herrschte bereits reges Treiben. Überall wurden Dinge aufgebaut und umgeräumt. Dennoch wurden wir sehr freundlich begrüßt.

Wir hatten an einem Tisch auf der Terrasse Platz genommen und ich studierte die Auslosung. Justin saß neben mir und er wurde etwas unruhig. Ich allerdings auch, denn ich konnte seinen Namen nirgends im Tableau finden.

„Hast du dich schon irgendwo gefunden? Ich jedenfalls nicht.“

„Nein, Chris. Ich auch nicht. Was hat das zu bedeuten? Kann ich vielleicht gar nicht spielen?“

„Warte, ich hole mal den Laptop heraus und schaue mal in die Mails. Wir haben ja eine Bestätigung der Meldungen erhalten.“

Ich schaute in mein Postfach und tatsächlich hatte ich für alle Spieler eine Bestätigung erhalten. Eigenartig. Bevor ich hier zur Turnierleitung gehen würde, beschloss ich, schnell mit Thorsten zu telefonieren.

„Leibig“, meldete er sich.

„Hi, Thorsten. Chris hier. Wir haben ein Problem.“

„Hi, Chris. Wo brennt es denn?“

„Wir sind in Brighton und ich habe die Auslosung für die Qualifikation bekommen, kann aber Justin nicht finden. Er ist nicht im Tableau. Weißt du was darüber?“

Es wurde still am anderen Ende.

„Ähm ja, hatte ich dir das nicht geschickt? Der Veranstalter hatte sich bei uns gemeldet und uns für Justin eine Wild Card für das Hauptfeld angeboten. Da habe ich sofort zugesagt. Sie meinten, seine Ergebnisse wären außergewöhnlich gut und so einen jungen Spieler würden sie gern im Hauptfeld haben. Ich dachte, ich hätte dir das per Mail geschickt.“

„Aha, schön zu hören, aber davon wusste ich noch gar nichts.“

„Moment, ich schau grad mal nach.“

Ich konnte das Klickern der Tasten von seiner Tastatur hören und einen leisen Seufzer.

„Ohje, sorry Chris. Das ist mein Fehler. Ich habe vergessen die Mail abzuschicken. Geschrieben hatte ich sie. Also es ist amtlich, dass Justin keine Qualifikation spielen muss. Ihr könnt euch einen Tag länger vorbereiten.“

„Okay, alles klar. Mach dir nichts draus, dafür haben wir ja ein Handy. Besser so, als eine Anmeldung zu vergessen. Ich glaube Justin wird das verkraften können. Hihihi.“

Thorsten musste auch lachen, Justin schaute mich ratlos an und schüttelte seinen Kopf. Ich beendete das Gespräch und steckte mein Handy wieder ein.

„Was ist los? Was ist mit mir? Was hat Thorsten gesagt?“

„Ganz ruhig. Du brauchst keine Qualifikation mehr zu spielen. Der Veranstalter hat dir eine Wild Card für das Hauptfeld gegeben. Thorsten hatte nur vergessen, mich zu informieren. Also alles im grünen Bereich.“

„Das ist ja cool. Danke. Dann kann ich mich mit den anderen in Ruhe vorbereiten.“

Er lehnte sich zurück und die Sonne schien in sein Sommersprossengesicht. Obwohl er voll durchtrainiert war, hatte er noch ein recht jugendliches Gesicht. Hier fiel mir auf, dass sich meine anderen Jungs verändert hatten. Sie waren erwachsen geworden. Komisch, dass mir das erst jetzt auffiel. Ich sollte vielleicht mehr auch auf diese Dinge achten.

Meine anderen drei Jungs waren mittlerweile zu uns gekommen und sie waren recht aufgeregt.

„Hey, was ist denn mit euch los? Beruhigt euch mal wieder.“

„Okay, okay Chris. Aber weißt du, wen wir eben auf dem Parkplatz gesehen haben? Markus Westphal spielt hier auch im Hauptfeld mit. Er ist eben mit seinem Wohnmobil auf den Parkplatz gekommen. Als er uns erkannt hatte, fragte er ganz überrascht, ob wir allein unterwegs wären.“

„Oh, das ist ja schön. Dann habt ihr ihm sicher gesagt, dass ihr von uns einen Teambus bekommen habt.“

Justin stutzte einen Moment, fing dann aber laut an zu lachen. Er hatte sofort begriffen, dass ich meine Jungs gerade auf den Arm genommen hatte. Dustin schien etwas beleidigt zu sein, aber Fynn gab ihm einen Kuss und schon waren wir alle am Lachen. Dieses Teamgefühl war einfach großartig.

„Nein“, sagte Maxi jetzt, „ aber wir haben ihn eingeladen, uns mal zu besuchen. Wir haben ja bei uns im Appartement genug Platz. Dann ist er abends nicht allein.“

„Das finde ich grandios. Eine tolle Idee. Ich sehe schon, wir sind wieder ein gutes Team. Das wird gut hier.“

Dustin nahm meine Aussage zum Anlass noch einen drauf zu setzen:

„Wir sind immer ein gutes Team, das macht uns doch so gefährlich. Wer einen von uns anmacht, macht sich das ganze Team zum Feind.“

Da konnte ich nicht mehr an mich halten und musste lachen. Richtig laut lachen, so trocken hatte er das gesagt.

Es war gut, zwischendurch einfach mal albern sein zu können. Das tat auch mir gut. Allerdings hatte ich bei der Durchsicht der Mails auch eine Email von Tims Mutter bekommen. Dort berichtete sie mir von dem Stand der Untersuchungen beim Psychologen. Für Tim musste das manchmal sehr anstrengend und auch beängstigend sein. Tim hatte außer Thorsten momentan niemanden in der Base, der für ihn in dieser Sache ansprechbar war. Der hatte aber immer viele andere Dinge zu regeln. Also war die Sorge von Tims Mutter, dass Tim wieder aggressiv werden könnte. Ich wusste genau, dass diese Diagnostik für ihn eine Belastung werden könnte, aber es gab keine Alternative. Ich war nur leider nicht in der Base, um ihn zu unterstützen.

Fynn bemerkte meine Nachdenklichkeit und fragte nach:

„Was ist los, Chris? Gibt es schlechte Nachrichten aus der Heimat oder weshalb bist du so nachdenklich?“

Das war ein Thema, was die Jungs hier nicht zu belasten hatte. Ich musste für mich eine Lösung finden. Außerdem wollte ich eigentlich nicht, dass sie von Tims Behandlung erfuhren, ohne Tims Erlaubnis.

„Ja, es gibt ein Problem mit Tim. Nichts Neues, aber es ist grad unglücklich, dass ich nicht in der Base bin.“

„Ist er schon wieder ausgerastet? So langsam ist das lästig.“, echauffierte sich Maxi.

Dieser Tonfall missfiel mir außerordentlich. Ich hatte schon Luft geholt und wollte Maxi zurechtweisen, aber Justin war schneller.

„Warum ist das deine Baustelle? Du hast doch mit Tim und Carlo überhaupt nichts zu tun. Außerdem kennst du doch die Umstände gar nicht. Ich glaube, dass es Tim oft richtig beschissen geht. Und Chris ist mal wieder mit uns unterwegs. Für Tim ist Chris eben genauso wichtig wie für uns. Du solltest einfach mal deine Klappe halten.“

Alle Augen schauten jetzt zu Justin. So eine deutliche Ansage hatte ich bislang noch nie von ihm gehört. Wusste er mehr von Tims Problemen? Irgendwie dämmerte mir jetzt etwas. Tim war ebenfalls ein Einzelgänger wie Justin es bislang war.

„Hey, beruhige dich. Ich wollte Tim nicht beleidigen. Aber er hält sich seit einiger Zeit nicht mehr an unsere Regeln.“

Maxi wollte sich rechtfertigen, aber auch das war mir in dieser Situation fehl am Platz.

„Es wäre einfach besser, Maxi, du hältst jetzt deinen Mund. Alles, was du jetzt dazu sagst, macht es nicht besser. Ich möchte nur folgendes dazu sagen, Tim ist vermutlich krank und benötigt professionelle Hilfe. Aber was mich interessiert, warum ergreifst du für Tim so stark Partei? Du hast wenig mit ihm zu tun, woher kennst du sein Problem?“

Justin wurde rot und es war ihm sichtlich unangenehm, so ausgerastet zu sein.

„Sorry, ich wollte nicht so aggressiv sein.“

„Du musst dich nicht entschuldigen. Mir hat das gefallen, wie du klar Position bezogen hast. Aber erzähl mal, woher kennst du die Probleme von Tim?“

Er versuchte mir auszuweichen. Ich hatte auch einen Verdacht, warum er sich so verhielt. Deshalb ließ ich es einfach so stehen. Maxi hatte sich auch entschuldigt und somit war schnell wieder Ruhe eingekehrt. Mit Justin wollte ich später noch einmal allein sprechen.

Tim wollte ich eine Mail schreiben und mich bei ihm erkundigen, wie es ihm geht. Das würde sicherlich kein Gespräch ersetzen, aber ich wollte ihm zeigen, dass ich an ihn gedacht hatte.

„Damit wir wieder zum Thema zurückkommen, Justin hat eine Wildcard für das Hauptfeld erhalten. Damit können wir uns einen Tag länger vorbereiten. Wir machen also morgen zwei Trainingseinheiten. Ich gehe jetzt ins Turnierbüro und frage nach Trainingsplätzen. Ihr kümmert euch bitte um ein paar Speisekarten. Wir essen hier zu Abend.“

Fynn: Unser Team funktioniert

Chris war ins Turnierbüro gegangen. Wir saßen noch etwas konsterniert am Tisch. Justins Reaktion kam uns auch etwas seltsam vor. Sonst war er immer ruhig und fast still. Hier hatte er zum ersten Mal Maxi richtig contra gegeben.

Wir hatten jeder eine Speisekarte vor uns liegen. Für Chris hatten wir natürlich auch eine besorgt. Das Angebot war reichhaltig und für die Spieler ausgelegt. Es gab verschiedenste Pasta und reichhaltige Salate.

Dustin schaute mich an und fragte:

„Wollen wir uns zusammen die 32 bestellen?“

Ich schaute nach, was die 32 sein würde und war einverstanden. Ein Partnerteller für zwei Personen mit vier verschiedenen Pastasorten und einem großen Salatteller vorweg.

Chris war mittlerweile zurückgekommen und hatte sich auch etwas ausgesucht. Justin saß wieder ruhig und entspannt bei uns am Tisch. So wie immer. Chris hatte anscheinend den Vorfall noch nicht abgehakt. Ich konnte sehen wie er Justin genau beobachtete.

Plötzlich bekam ich von Dustin einen leichten Stoß in die Seite. Mit den Augen gab er mir zu verstehen, ich sollte aufhören Justin zu beobachten. Was mein Freund so alles mitbekam.

Wir waren auch nicht allein im Raum. Überall saßen andere Spieler mit ihren Teams oder Coaches und unterhielten sich in den verschiedensten Sprachen.

„Bevor wir unser Essen bekommen, möchte ich kurz den morgigen Tag mit euch besprechen. Das erste Training auf dem Platz beginnt um neun Uhr. Anschließend geht ihr eine Runde laufen und gemeinsames Mittagessen ist um halb eins. Um halb vier ist eine Einheit Matchtraining mit Markus. Den habe ich auch gerade getroffen und er freut sich, mit euch zu trainieren. Gibt es bis hierher Fragen?“

Wir schauten uns an und für mich gab es keine. Auch die anderen schüttelten den Kopf und damit beendete Chris das Thema Tennis. Er begann ein anderes Thema.

„Dustin und Fynn, ihr wolltet mit Fynns Familie im Herbst in den Urlaub fahren. Ist das noch aktuell?“

„Ja, das wäre schön. Meinst du, dass das klappen wird? Oder müssen wir da wichtige Turniere spielen?“

„Von meiner Seite aus ist das gar kein Problem. Wie siehst du das Dustin?“

„Wie meinst du das?“

„Naja, Fynns Vater ist noch nicht lange zu Hause und ich habe gerade keinen Überblick, wie du mit ihm klarkommst. Du möchtest also auch mitfahren?“

„Ja, auf jeden Fall. Darauf freue ich mich schon ganz lange. Immerhin war das ja die Idee von Fynns Vater.“

„Okay, und wie ist das mit Patrick? Dein Bruder war nicht unbedingt beliebt bei dir, Fynn.“

Irgendwie fühlte ich mich gerade etwas unwohl. Ich war auch nicht auf solche Fragen während eines Turnieres vorbereitet. Allerdings vertraute ich Chris. Deshalb blieb ich ruhig und antwortete ehrlich:

„Das stimmt, Chris. Wir hatten nicht das beste Verhältnis, aber wir haben wieder zusammengefunden. Gerade der Besuch bei uns in der WG hat mir gezeigt, dass ich auch Anteile an diesem Problem habe. Wir respektieren uns wieder und ich fange an, ihn wieder richtig zu mögen.“

„Das freut mich zu hören. Was ist mit deiner Mutter, Maxi? Ist sie wieder völlig gesund und wie geht es dir heute mit der Situation?“

Was hatte Chris damit im Sinn, jetzt die ganze Situation außerhalb vom Tennis anzusprechen? Ich hatte noch keine Ahnung. Umso neugieriger war ich jetzt auf Maxis Reaktion. Er mochte es im Beisein anderer gar nicht, darauf angesprochen zu werden.

„Wir sind sehr zufrieden. Sie ist nur ungeduldig und möchte schon wieder alles machen können. Papa hat oft Angst, dass sie sich zu viel zumutet. Sie ist noch schnell erschöpft, aber ich bin glücklich, dass sie ohne Befund ist.“

„Na, diese Ungeduld kommt mir sehr bekannt vor. Jetzt verstehe ich, von wem du sie hast. Ich freue mich, dass sie wieder gesund wird.“

Erstaunlich, Maxi war ganz gelassen geblieben. Justin hatte uns aufmerksam zugehört. Chris schaute jetzt ihn an und fragte:

„Was ist mit dir, Justin? Wir wissen noch nicht allzu viel von dir, außer dass du ein richtig gutes Talent bist und sehr nett sein kannst.“

Was hatte Chris nur im Sinn?

„Was soll mit mir schon sein? Ich bin halt viel von zu Hause weg und ganz ehrlich, manchmal vermisse ich meine Eltern schon. Auch wenn ich bei euch bereits toll unterstützt werde und mein Heimweh nicht so groß ist. Aber meine Eltern vermisse ich dennoch manchmal sehr.“

„Wie lange hast du sie schon nicht mehr gesehen?“, fragte ihn mein Freund jetzt.

Justin überlegte einen Moment.

„Meine Mutter schon einige Monate nicht mehr. Papa habe ich ja zwischendurch einmal getroffen. Ich freue mich daher sehr auf die Reise in die USA. Hoffentlich können wir da zusammen hinreisen. Ich würde euch gerne meine Familie vorstellen. - Chris, ich möchte etwas erklären.“

Chris fing an zu lächeln und nickte ihm zu.

„Vorhin, als Maxi Tim angegriffen hatte, musste ich für Tim Partei ergreifen. Ich kann verstehen, wie er sich oft fühlt. Nämlich allein. Nur, dass er nicht so tolle Freunde hat wie ich mit euch. Er ist in der Base ganz oft allein. Neulich habe ich mal mit ihm in der Base gesprochen. Da fand ich ihn sehr nett und ich glaube, wir sollten ihn mehr unterstützen. Er ist nicht mehr so arrogant wie ihr glaubt. Außerdem hat er mir gesagt, dass er vielleicht eine Krankheit hat, die dafür verantwortlich ist, dass er sich manchmal so schlecht unter Kontrolle hat.“

Nanu, das waren ganz neue Informationen. Davon wusste ich noch gar nichts. Chris hatte uns darüber auch nicht informiert. Allerdings lächelte Chris jetzt und da machte es bei mir „klick“. Chris hatte genau aus diesem Grund dieses Gespräch angefangen. Allerdings den genauen Grund konnte ich noch nicht erkennen.

„Du meinst, wir sollten ihn mehr integrieren und vielleicht sogar unterstützen, damit er weniger oft Frust hat, weil er mit vielen Dingen allein ist.“

„Genau, Maxi. Tim ist kein schlechter Kerl. Ich mag ihn. Er hat auch Probleme zu Hause. Sein Vater scheint nicht immer sehr nett zu ihm gewesen zu sein. Chris, du weißt doch mehr davon. Warum hast du nichts darüber erzählt?“

Das klang vorwurfsvoll. Ob das gut war, Chris hier frontal anzugreifen? Chris blieb aber ruhig und erwiderte freundlich:

„Ja, es stimmt. Ich weiß einiges von Tims Geschichte. Aber überlegt doch einmal. Ich weiß von euch auch vieles, was Tim und Carlo nicht wissen. Es sind persönliche Dinge, die ich mit Sicherheit nicht einfach weitergebe. Genau wie ihr das von mir erwartet, vertraut Tim mir in diesen Dingen. Ich glaube aber, Justin hat vieles gesagt, was ich gut finde. Noch besser würde ich es finden, ihr sprecht selbst mit Tim. Bevor wir nach Holland aufgebrochen sind, habt ihr ja noch in der WG mit ihm einen Abend verbracht. Das war doch gar nicht so schlimm, bis auf die eine Situation mit der Playstation.“

Verdammt, woher wusste Chris von dieser Sache? Das gab es doch einfach nicht.

Ich schaute meinen Freund ratlos an. Auch Dustin schien sich gerade dieselbe Frage zu stellen.

„Woher wusstest du von diesem Abend und woher wusstest du vor allem von dieser Sache? Das hat dir von uns niemand erzählt.“

„Das ist korrekt. Aber Tim hat es mir geschrieben. Er hat sich über sich selbst geärgert, dass er da so dumm gewesen ist. Es ist ein weiterer Anhaltspunkt für mich, dass er manchmal einfach nicht anders kann. Er hat sich hin und wieder nicht unter Kontrolle. Das wäre auch ein Indiz für meine Vermutung, dass er an ADHS leidet. Vielleicht habt ihr davon schon einmal gehört?“

Allerdings, das war mir ein Begriff. Bei Patrick war das auch mal im Gespräch. Daher wusste ich einiges darüber.

„Ja, darüber weiß ich einiges. Bei meinem Bruder war das auch mal Thema. Soweit ich weiß, kann man das mit einer speziellen Therapie behandeln. Dann gibt es auch Medikamente, die das unterstützen. Ist es denn schon klar, dass Tim das hat?“

„Nein, Fynn. Aber es haben die Untersuchungen dazu begonnen. Ein Psychologe macht mit ihm einige Tests und weitergehende Untersuchungen. Dann werden wir mehr wissen. Jetzt ist es halt so, dass es für Tim sehr viel Stress bedeutet. Er weiß, um was es geht und sicher spielen auch Ängste eine Rolle. Von daher finde ich Justins Einwand und Vorschlag gut. Wir sollten uns mit ihm und nicht gegen ihn beschäftigen.“

„Chris“, meldete sich Maxi, „dieses Gespräch war von dir ganz bewusst so geführt. Du wolltest uns genau an dieses Thema führen. Du hast schon lange gewusst, dass ich mit Tim ein Problem habe und mich vorhin auflaufen lassen. Dass Justin mich so angemacht hatte, hast du vorher schon gewusst.“

„Nein, das habe ich nicht. Da war ich selbst überrascht. Aber bei den anderen Dingen muss ich dir recht geben. Ich wollte mit euch gemeinsam einen Weg finden, das besser zu managen. Das geht einfach am besten, wenn man miteinander spricht und nicht übereinander.“

Krass, das hatte ich nicht erwartet. Aber ehrlich gesagt, hatte Chris damit ins Schwarze getroffen. Wir hatten bislang immer nur über Tim gesprochen. Selten mit ihm. Ich wurde nachdenklich und auch Dustin machte sich Gedanken. Maxi war aber schon einen Schritt weiter.

„Justin, du hast vorhin etwas Gutes gesagt. Du hast mit Tim gesprochen und wir nicht wirklich. Wir haben uns nur über ihn aufgeregt. Es stimmt, wir sind eine Clique. Er hat eigentlich nur Carlo. Auch ist er nur noch selten zu Hause. Wir sollten uns nach unserer Rückkehr einmal zusammensetzen und mit ihm reden. Vielleicht können wir ihn ja mit einfachen Dingen unterstützen. Wenn einer von uns so eine Krankheit hätte, würden wir uns auch kümmern. Was meint ihr?“

Chris reagierte mit spontanem Applaus. Das irritierte mich zwar einen Moment, aber Maxi lag mit seinem Vorschlag total auf meiner Linie. Also beschlossen wir, nach unserer Rückkehr uns mit Tim zusammenzusetzen und das zu besprechen. Zumindest wollten wir ihm ein Angebot dazu machen.

Mittlerweile war es sogar schon dunkel geworden und Chris bat uns aufzubrechen. Auf der Fahrt in unser Quartier war es recht still im Bus. Ich musste auch über diesen Abend nachdenken.

Im Quartier hatte jeder eigenverantwortlich auf die Zeit zu achten. Chris hatte uns keine Vorgaben gemacht, nur dass wir pünktlich zum Frühstück zu erscheinen hatten.

Dustin und ich nutzten den restlichen Abend und die Nacht, uns gegenseitig zu verwöhnen. Das machte ohne den Turnierdruck viel mehr Spaß und entsprechend entspannt und gut gelaunt traf ich am nächsten Morgen beim Frühstück auf einen ebenfalls gut gelaunten Chris.

Luc: Lustiges Wiedersehen

Wir hatten uns reichlich Zeit beim Frühstück gelassen. Ich wollte mit Stef hier ein paar schöne Tage erleben und uns für eine anstrengende Phase belohnen. Mein Abitur hatte ich fertig und konnte die freie Zeit genießen. Stef musste viel für die Schule lernen. Sein Abitur stand im kommenden Schuljahr an.

Es war natürlich schön, dass Papa uns diese Reise ermöglicht hatte. Auch wenn ich bei Karl für meine Arbeit immer gut bezahlt wurde, diesen Luxus hätten wir uns ohne die Unterstützung meiner Eltern nicht erlauben können.

Mittlerweile hatte sich Stef aber damit gut arrangiert. Es war ihm nicht leicht gefallen, zu akzeptieren, dass mein Vater auch für ihn alles ermöglichte, was er für wichtig hielt.

Wir waren auf dem Weg zum Tennisclub und Stef war sichtlich aufgeregt. Ein wenig Kribbeln spürte ich mittlerweile aber auch. Die Vorfreude, meine Freunde aus Halle wiederzusehen, war groß. Vor allem war ich gespannt, wie sie reagieren würden, wenn wir uns gleich so unverhofft begegneten.

Ich stellte den Wagen auf dem Besucherparkplatz ab und wir machten uns auf den Weg zur Anlage. Am Eingang wurden sogar unsere Rucksäcke überprüft. Das hatte ich so noch nie erlebt. Das Turnier hatte noch nicht begonnen, deshalb brauchten wir auch keinen Eintritt zu bezahlen. Es war eine riesige Anlage. Sehr beeindruckend.

„Wo wollen wir eigentlich nach Chris und den Jungs suchen? Oder weißt du schon wo sie sind?“

„Nein, woher sollte ich das wissen? Wir gehen einfach mal über die Anlage und schauen uns um. So viel ist ja noch nicht los. Vielleicht sind sie ja auch noch gar nicht hier. Oh, da vorn ist ein Schild zum Turnierbüro. Wir könnten dort mal schauen. Vielleicht können sie uns eine Auskunft geben.“

Wir betraten das Turnierbüro, in dem noch nicht viel los war. Dort standen ein Tisch und ein Computer. Leider aber noch kein Mensch, der unsere Frage hätte beantworten können. Wir wollten schon wieder gehen, als uns eine Frau ansprach. Sie fragte uns, ob wir Spieler wären.

„Nein, leider nicht, aber wir suchen einige Spieler aus Deutschland. Vielleicht können sie uns sagen, ob sie bereits hier sind.“

Sie schaute uns lächelnd an und fragte:

„Ihr seid auch keine Briten. Wo kommt ihr her?“

„Aus der Schweiz.“, antwortete Stef.

Sie schaute auf dem Computer nach und schickte uns zu Platz 18. Dort sollten Chris und unsere Freunde trainieren. Jetzt wurde ich doch noch etwas aufgeregter. Auf dem Weg dorthin sahen wir auf einigen Plätzen auch andere Spieler, die trainierten. Stef und ich stellten uns etwas abseits von Platz 18, konnten aber gut beobachten, wie die Jungs unter Chris Anweisungen trainierten. Er scheuchte sie heftig über den Platz. Immer wieder mit kurzen und präzisen Anweisungen oder Korrekturen. Etwa eine halbe Stunde ging das so weiter. Wir staunten über diese Intensität während eines Turnieres.

„So hart haben die ja nicht mal bei uns gearbeitet. Während eines Turnieres habe ich gedacht, würden sie weniger hart trainieren.“

„Stimmt, Schatz. Ich verstehe das auch nicht, aber Chris wird uns das sicher gleich erklären. Wir warten aber noch, bis sie mit der Einheit fertig sind. Papa hat mir mal erklärt, dass es besser wäre, ein Training nicht zu unterbrechen. Komm, wir stellen uns dort drüben unter die große Eiche. Da können wir auch gut sehen.“

Stef und ich stellten uns unter die Eiche und Stef stellte sich hinter mich und legte seine Arme um mich und den Kopf auf meine Schulter. Ein großartiges Gefühl. Es fühlte sich toll an, dass Stef in der Öffentlichkeit nicht mehr so vorsichtig und zurückhaltend war.

Nach weiteren fünfzehn Minuten unterbrach Chris das Spiel und holte die Jungs am Netz zusammen. Er erklärte ihnen etwas. Was genau, konnten wir nicht hören. Dafür standen wir zu weit entfernt. Dann kam plötzlich etwas Unruhe bei den Jungs auf. Fynn schien Dustin etwas ins Ohr zu flüstern. Aber der schüttelte nur seinen Kopf und Chris reagierte etwas ungehalten, weil sie ihm wohl nicht richtig zuhörten. Dann schickte Chris seine Jungs aber wieder auf den Platz und jetzt war es eindeutig. Dustin hatte auch zu uns herübergeschaut und während sie Aufschläge trainierten, hatten sie immer wieder Momente, wo sie zu uns schauen konnten. Also bewegten wir uns an einen anderen Standort. Ich wollte noch nicht zu ihnen an den Platz gehen.

Es war einfach lustig, plötzlich unterbrachen die Jungs ihre Aufschlagübungen. Sie baten Chris, zu ihnen zu kommen. Sie diskutierten erregt und Chris schüttelte immer wieder seinen Kopf. Stef sagte zu mir:

„Ich glaube, wir sollten uns zu erkennen geben. Ich befürchte nämlich, dass sie sich langsam darüber streiten, dass Dustin uns gesehen hat und Chris ihm das nicht glauben will.“

„Okay. Dann komm. Lass uns mal zu ihnen gehen.“

Als wir am Zaun ankamen, kam ein lautes:

„Da, Chris. Was habe ich gesagt. Da stehen sie nun leibhaftig.“

Fynn hatte uns zuerst bemerkt und jetzt staunte auch Chris gewaltig. Er kam von der Bank zu uns.

„Hallo ihr beiden. Das ist jetzt aber eine richtige Überraschung. Und ich hatte eben schon gedacht, meine Jungs hätten Halluzinationen.“

Stef und ich mussten lachen und jetzt standen wir alle zusammen am Zaun. Chris bat uns, dass wir doch auf den Platz kommen möchten. Dort begrüßten wir uns dann richtig mit einer herzlichen Umarmung.

„Wie geil ist das denn? Ihr seid unseretwegen nach Brighton gekommen?“, fragte Fynn aufgeregt.

Bevor ich antworten konnte, erwiderte Stef:

„Ja, wir waren der Meinung, ihr könnt vielleicht etwas Unterstützung gebrauchen und wir konnten etwas Urlaub gebrauchen.“

„Cool, ich freue mich echt über diese Überraschung.“

Selbst Maxi, der sonst eher ruhig war, strahlte euphorisch. Chris schüttelte nur seinen Kopf, aber freute sich auch über unsere gelungene Überraschung. Justin war der einzige, der etwas ruhiger blieb. Er kannte uns ja auch noch nicht persönlich.

Chris erklärte ihm kurz, woher wir uns kannten und er schien auch bereits einiges von Dustin und Fynn über uns gehört zu haben, denn er fragte:

„Du bist der Sohn von Marc Steevens, oder? Das ist ja cool. Ich habe alle Bücher über deinen Vater gelesen.“

„Ja, das ist richtig. Allerdings möchte ich dich bitten, mich als Freund und Menschen zu sehen und nicht als Marcs Sohn.“

Chris hatte natürlich meinen Einwand verstanden und reagierte prompt.

„Da pass ich schon auf. Aber ich glaube, Justin wird das gut verstehen können. Vor allem, wenn er euch besser kennengelernt hat. Wie lange bleibt ihr eigentlich?“

„Mindestens bis Sonntag, aber wir können auch länger bleiben. Stef hat Ferien.“

„Das ist echt cool. Jetzt müssen sich die anderen noch wärmer anziehen. Wir haben Verstärkung bekommen.“

Über Fynns Spruch mussten wir lachen, auch Chris zeigte seinen Daumen hoch. Allerdings ließ er jetzt das Training wieder aufnehmen. Er scheuchte seine Truppe noch etwa eine Stunde über den Platz. Stef und ich staunten immer wieder, wie hart Chris sie forderte. Und dies während eines Turnieres. Wie musste das erst in Halle sein, fragte ich mich.

Irgendwann schickte Chris die Jungs zum Duschen und zur Physio. Das wollte ich nutzen, ihn zu fragen, ob es einen Grund für das harte Training geben würde.

„Das ist kein besonders hartes Training. Das ist normal. Wir sind auch noch nicht im Turnier. Das beginnt für uns ja erst am Samstagnachmittag, da Justin eine Wildcard für das Hauptfeld bekommen hat. Wir trainieren also bis Freitag normal. Danach wird das Training reduziert.“

„Okay. Aber wenn ich mir vorstelle, nach so einem Training am nächsten Tag ein Turnier spielen zu müssen, dann würde ich mit Sicherheit keine große Leistung bringen können.“

„Musst du ja auch nicht. Meine Jungs sind top fit und das auch gewohnt. Mach dir keine Gedanken, das tut ihnen nicht weh. Aber wer ist denn auf diese Idee gekommen, einfach herzukommen? Wir hätten ja noch in Holland sein können.“

„Hihi, nein. Das wussten wir ja schon. Fynn hatte mir geschrieben, dass ihr dort ausgeschieden seid und weiter nach Brighton fahren würdet. Es war unsere Idee. Ich habe keine Schule mehr und Stef hat seit dieser Woche Ferien. Da wollte ich das für ein paar Tage Urlaub nutzen. Ich hoffe, wir stören euch nicht in der Vorbereitung. Also sag uns ehrlich, wenn du es lieber hättest, dass wir nicht hier sind.“

„Keine Sorge. Das passt schon. Ihr solltet mittlerweile wissen, wann ihr euch besser zurücknehmt. Aber grundsätzlich ist das für meine Jungs positiv. Sie werden noch motivierter sein und euch zeigen wollen, was sie mittlerweile können.“

Stef freute sich und atmete tief aus, als Chris das gesagt hatte. Und ich bekam einen Kuss. Stef hatte sich doch mehr Gedanken darüber gemacht, dass wir uns nicht angemeldet hatten.

„Wo seid ihr untergebracht?“, fragte Chris.

„Papa hat uns ein Hotel direkt an der Küste gebucht. Wir werden euch also in der Vorbereitung nicht stören. Aber wir können ja vielleicht abends mal etwas zusammen unternehmen.“

„Sicher. Das hängt vom Spielplan ab. Das bekommen wir aber sicher hin. Ich bin sehr gespannt, wie gut die Jungs hier spielen werden. Wenn einer die dritte Runde erreichen würde, wäre das ein Riesenerfolg.“

„Ist das Turnier so gut besetzt, dass die dritte Runde schon ein großer Erfolg wäre?“

„Ja, es ist ein Challenger Turnier und kein Future. Da liegt das Niveau deutlich höher.“

„Aber auch das Preisgeld und die Ranglistenpunkte sind höher.“

Ich staunte über Stefs Einwand. Eigentlich wollten wir darüber nicht sprechen, weil wir wussten, dass das für Chris nebensächlich war.

„Das stimmt allerdings, Stef. Dennoch ist das jetzt nicht so wichtig. In einem Jahr vielleicht, wenn sie sich weiter so entwickeln. Dann können sie vielleicht auch mal so ein Turnier gewinnen. An Nummer eins der Setzliste steht immerhin die Nummer sechzig in der Welt. Das ist schon verdammt gut.“

„Okay, das stimmt. Nummer sechzig ist echt gut. Aber wir sind dennoch gespannt. Vielleicht gelingt euch ja eine Überraschung.“

„Schauen wir mal. Wie sieht das bei euch aus? Was habt ihr heute geplant?“

„Nichts weiter. Wir wollten euch ja überraschen. Wie sieht denn dein Plan für heute aus? Es ist ja gerade mal Mittagszeit.“

„Genau, es ist Mittagszeit. Wir wollen gleich gemeinsam essen. Kommt ihr mit? Heute Nachmittag machen wir noch eine Einheit auf dem Platz. Ich möchte die Jungs noch ein Match spielen lassen.“

Krass. Noch eine Trainingseinheit. Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber gut - Chris wusste mit Sicherheit was er tat. Wir gingen gemeinsam ins Clubhaus und setzten uns an einen Tisch. Chris bat um einige Speisekarten und wir warteten auf die anderen Jungs.

Was ich überhaupt nicht bedacht hatte, wir waren in England und als Stef mir am Tisch einen Kuss gab, hatten einige andere Spieler im Raum das mitbekommen. Für mich war es kein Problem mehr, dass andere Menschen mit unserem Schwulsein ein Problem hatten. Aber womit ich nicht gerechnet hatte, als deutlich wurde, dass eine Reaktion von den anderen kam, als Fynn seinem Freund in aller Offenheit ebenfalls einen Kuss am Tisch gab. Das führte zu einiger Unruhe im Raum. Chris blieb total entspannt und grinste sogar dabei. Justin hingegen war unsicher wie er sich verhalten sollte. Chris gab ihm eine Hilfestellung.

„Sei nicht ängstlich. Verhalte dich wie immer. Wir sind die Normalen, nicht die anderen. Gib ihnen keine Angriffsfläche. Sie werden sich damit abfinden müssen.“

Das Essen wurde für mich ein Schauspiel besonderer Art. Chris trat mit einer Souveränität auf, das war einfach unglaublich. Einmal ging er zum Buffet, um sich etwas nachzuholen und er bemerkte die neugierigen Blicke der anderen Leute. Da drehte er sich zu einem Tisch um und gab irgendeinen Spruch ab, der dazu führte, dass schlagartig Ruhe an diesem Tisch herrschte. Ich konnte nicht hören, was er gesagt hatte, aber die Reaktion war eindeutig.

Chris: Auch für die Briten war es Neuland

Eigentlich war es zu erwarten, dass wir in England wieder Neuland betreten würden. Hier kannte uns kaum jemand und dass wir im Team ein homosexuelles Spielerpaar und einen schwulen Trainer hatten, war nicht bekannt. Entsprechend war die Reaktion der Leute in Brighton. Mich störte einfach nur die Art und Weise. Wenn jemand ein Problem hatte, wäre es doch gut gewesen, dieses direkt zu besprechen. Aber das war zu einfach gedacht. In England waren die Menschen kein bisschen anders als in Deutschland oder Österreich.

Es gab aber einen Unterschied zu den Erlebnissen in Deutschland. Hier hatte ich bereits so viel Selbstbewusstsein bekommen, dass ich klare Position bezog und den Leuten so den Wind aus den Segeln nahm.

Besonders schön war auch das Verhalten der Jungs. Fynn und Dustin versteckten sich nicht mehr. Luc und Stef gaben uns zusätzlich dafür Sicherheit. Verstecken war vorbei, auch bei den Jungs. Das gefiel mir sehr gut und ließ mich noch stärker auftreten.

„Gab es ein Problem?“, fragte mich Luc.

„Abgesehen von ein paar dämlichen Bemerkungen über euch, nicht.“

Fynn und Dustin schauten mich genau an, Justins Miene wurde finster. Luc hingegen blieb locker und sagte deutlich für alle vernehmbar:

„Ah, also auch in England wissen sie nicht, das Homosexualität normal ist. Bedauerlich, ich hatte gedacht, dass die Leute auf der Insel vielleicht etwas fortschrittlicher wären als ihr Ruf.“

„Traumtänzer“, kam spontan von Stef.

Das führte bei mir zu einem Lachanfall. Einfach grandios, wie die beiden das ausdrückten. Dustin nutzte das zu einem intensiven Kuss für Fynn und Maxi und Justin schauten mit großen Augen, aber grinsend zu.

Etwa zwanzig Minuten später verließen wir bestens gelaunt das Clubhaus. Allerdings war es für mich deutlich spürbar, dass einige Leute mit uns Probleme hatten. Oft wurden wir beobachtet, als ob wir Außerirdische seien.

Das nachmittägliche Training wurde sehr interessant. Luc und Stef blieben zwar immer etwas vom Platz entfernt, aber Luc machte immer wieder Aufnahmen. Gerade von Maxi und Dustin. Denn Maxi war auffallend ehrgeizig und Dustin spielte recht verkrampft. Luc schien das bemerkt zu haben. Markus Westphal kam wie verabredet am Nachmittag dazu und sie machten ein Matchtraining.

Meine Truppe war voll bei der Sache und zog gut mit. So konnte ich sie nach neunzig Minuten mit einem guten Gefühl zum Auslaufen schicken.

„Na, was hat der Chefkameramann so alles gesehen?“, fragte ich Luc im Anschluss.

„Warum? Stört es dich, dass ich Aufnahmen gemacht habe? Ich wollte eigentlich nur ein paar Dinge festhalten, damit du dir das anschauen kannst.“

„Nein, es stört mich überhaupt nicht. Allerdings weiß ich nicht wie die Jungs das finden. Vor allem Dustin hat immer Angst, dass er etwas falsch gemacht hat.“

„Aber darum geht es mir doch gar nicht. Ich hatte die Idee, es euch zu zeigen damit ihr besser die Abläufe sehen könnt.“

„Ich weiß, aber es ist schon in der Base schwierig, mit der Videoanlage zu arbeiten. Da dürfte es hier noch problematischer sein. Ich bin neugierig, ob sie sich bei mir beschweren werden.“

„Warum sollten sie sich bei dir beschweren? Ich habe doch die Bilder gemacht und nicht du.“

„Weil sie davon ausgehen werden, dass ich dich beauftragt habe. Sie werden nicht glauben, dass du von dir aus die Bilder gemacht hast. Aber das ist auch gar kein Problem. Sie müssen lernen, dass es in Ordnung ist, wenn Videos gemacht werden. Die Verantwortung dafür obliegt mir und nicht ihnen. Warten wir einfach ab.“

Ich hatte noch mit Markus für morgen ein weiteres Training abgesprochen und wartete mit Luc und Stef auf meine Truppe, als Lucs Handy klingelte.

„Hallo Mama, ja wir sind gut angekommen…“

Weiter konnte ich das Gespräch nicht verfolgen, weil Luc sich etwas von uns entfernte. Stef hingegen verdrehte leicht seine Augen.

„Was ist los? Warum bist du genervt?“

„Das ist der tägliche Kontrollanruf. Sabine möchte immer wissen, ob wir noch leben und ob es uns noch gut geht. Manchmal denke ich, dass sie nicht weiß, dass Luc mittlerweile erwachsen ist.“

„Hihihi, das kommt mir recht bekannt vor. Allerdings kann ich dir wenig Hoffnung machen. Luc wird immer Sabines Sohn bleiben, egal wie alt er sein wird. Und Mütter brauchen das wohl einfach. Sabine wird sich immer Sorgen machen. Genau wie meine Mutter auch. Wenn ich unterwegs bin, möchte sie immer wieder, dass ich mich umgehend melde, wenn ich zurück bin. Eine Zeitlang habe ich mich darüber aufgeregt. Bis ich begriffen hatte, dass sie das braucht. Also mache ich das und alles ist gut.“

„Stimmt schon. Und ich wäre froh, wenn ich Eltern hätte, die sich kümmern würden.“

„Siehst du. Also, gelassen bleiben und Sabine wird irgendwann ruhiger werden. Dafür sorgt dann auch Marc.“

Stef musste lachen. Luc hatte das natürlich mitbekommen, als er wieder zu uns kam.

„Na, welchen Witz habt ihr euch gerade erzählt?“

Ich erklärte ihm den Inhalt unseres Gespräches und da musste auch er schmunzeln. In diesem Moment tauchten die vier Jungs zurück aus der Dusche auf.

„Haben wir heute Abend noch etwas vor?“, fragte Fynn.

„Nein, sagte ich. Ihr wollt vermutlich heute Abend zusammen etwas unternehmen. Das geht in Ordnung, aber nur wenn Luc verspricht darauf zu achten, dass ihr um Mitternacht im Bett liegt. Wir befinden uns bei einem Turnier. Dass es keinen Alkohol gibt, dürfte eigentlich auch eine Selbstverständlichkeit sein.“

Die Jungs waren einverstanden und es gab auch keinerlei Widerspruch oder Meckern. Ich hatte es auch mehr als kleinen Spaß gesagt. Mir war auch so klar, dass sie keinen Alkohol konsumieren würden. Damit entließ ich sie für heute von ihren Aufgaben und wollte die Zeit für mich nutzen, ein wenig zu entspannen und mir die Küste ansehen.

Eine halbe Stunde später war ich auf dem Weg zu unserem VW-Bus. Die Jungs waren mit Luc und Stef unterwegs. Allerdings hatten sie ihre Taschen zuvor noch in unseren Bus gebracht. Als ich meine Tasche ebenfalls in den Kofferraum legen wollte, bemerkte ich unübersehbar auf der Heckklappe einen Spruch, der mir überhaupt nicht gefiel. Dort wurden Dustin und Fynn als Schwuchteln bezeichnet und es wurde damit gedroht, sie zu töten, falls sie hier gewinnen würden. Mein Puls begann zu rasen. Eigentlich wollte ich diese Art von Angriff gar nicht an mich heranlassen, aber ich konnte mich eines unguten Gefühls einfach nicht erwehren.

Nachdem ich Fotos gemacht hatte, beschloss ich, dennoch erst einmal in unser Appartement zu fahren. Auf der Fahrt ließ mir das aber keine Ruhe. Noch einen Zwischenfall wie in Kitzbühel wollte ich auf jeden Fall vermeiden. Ich schickte Thorsten die Bilder, damit er informiert war. Es war natürlich auch ein Hilferuf, denn ich war mir überhaupt nicht mehr sicher, ob ich das ignorieren sollte. Wohl fühlte ich mich nicht mehr.

Am Appartement beseitigte ich die Sprüche vom Lack und packte die Taschen aus. Als ich die letzte Tasche bei den Jungs ins Zimmer gestellt hatte, machte ich mir in unserer Pantry einen Tee und setzte mich damit auf die kleine Terrasse. Da klingelte mein Handy. Ich schaute auf das Display und wunderte mich. Mein Bruder wollte mich sprechen.

„Hi Jan. Was verschafft mir die Ehre deines Anrufes?“

„Hi Chris. Wie geht es euch? Thorsten hat mir gerade zwei Bilder von dem VW Bus geschickt. Wie haben die Jungs das aufgenommen?“

„Äh, sie wissen das wahrscheinlich noch gar nicht. Sie sind mit Luc und Stef unterwegs und dürften das deshalb noch gar nicht gesehen haben.“

„Umso besser. Luc und Stef? Wo kommen die denn her?“

„Die standen bei unserem Training heute plötzlich auf dem Platz. Luc meinte, sie wollten ein paar Tage Urlaub machen. Die Jungs waren begeistert und entsprechend wollten sie heute Abend gemeinsam etwas Zeit verbringen.“

„Ich verstehe. Das trifft sich ganz gut. Wie geht es dir mit dieser Sache?“

„Ganz ehrlich, ich bin schon beunruhigt. Eigentlich soll man solche Dinge nicht zu ernst nehmen, aber ich fühle mich nicht besonders wohl. Kitzbühel ist urplötzlich wieder ganz nah.“

Eigenartig, aber ich fühlte sogar wieder die Schmerzen, die ich in Kitzbühel nach der Atacke hatte. Diese Machtlosigkeit und die Angst kamen erneut hoch. Ich konnte mir nicht helfen, es war einfach so.

„Das verstehe ich sofort. Und damit du nicht auf komische Gedanken kommst. Thorsten und ich haben darüber gesprochen und eine Entscheidung gefällt. Ich habe bereits mit dem Veranstalter in Brighton telefoniert. Wir werden euch ab sofort eine Security zur Seite stellen. Ihr macht auf der Anlage keinen Schritt mehr ohne Personenschutz. Und der Veranstalter hat mir zugesagt, sollten die Täter aus dem Spielerbereich kommen, werden sie bei der ATP eine lange Sperre beantragen. Kitzbühel darf nicht noch einmal passieren. Ich weiß auch, dass du das nicht magst, aber darüber möchte ich nicht mehr diskutieren. Wenn es weitere Schwierigkeiten gibt, melde dich bitte umgehend bei mir. Ich werde dann entsprechende Maßnahmen mit dir besprechen. Du sollst wissen, dass du nicht allein stehst. Das Team steht voll hinter dir.“

Es tat mir absolut gut, dass mein Bruder sich so klar und deutlich hinter mich stellte und mir den Rücken freihielt. Das gab mir Stärke.

„Danke, ich kann das hier überhaupt nicht einschätzen und bin echt etwas ratlos. Vielleicht habt ihr recht und die Security ist jetzt die richtige Entscheidung. Ich mag das eigentlich nicht, aber vielleicht…“

„Hey, du musst nicht mehr darüber nachdenken. Es ist von uns bereits entschieden. Der Veranstalter wird auch deinen Bus nicht mehr aus den Augen lassen. Melde dich bitte morgen direkt beim Turnierveranstalter. Sollten sie erneut den Bus als Ziel haben, werden sie das merken. Und dann wird es sehr unangenehm für diese Vollidioten werden. Verlass dich darauf. Ich bin gerade so richtig in Kampfstimmung. Es reicht jetzt einfach.“

Jan war geladen, dass konnte ich spüren. Selten war er so aufgebracht. Er bat mich darum, ihm jeden Tag eine kurze Mail zu schreiben, wie unser Tag gelaufen war. Er wollte auf direktem Wege auf dem Laufenden gehalten werden. Dieses Gespräch hatte mir gut getan und meine Sicherheit kehrte zurück.

Die Sonne stand tief am Horizont, als ich mir meine dritte Tasse Tee holte und ich dann das Bedürfnis hatte, mit Marc zu telefonieren. Mir war einfach danach. Mit ihm konnte ich auch frei über unsere Situation sprechen. Dieses Gespräch mit Marc war einerseits für mich sehr aufbauend, aber andererseits hatte ich nicht bedacht, dass mittlerweile ja auch Luc und Stef bei uns waren. Sie könnten ebenfalls ins Visier der homophoben Psychopathen geraten. Marc war nicht sonderlich beruhigt, als ich ihm von den Ereignissen berichtet hatte. Aber er war mit der Reaktion vom Team einverstanden und wollte seinerseits vorerst keine weiteren Maßnahmen ergreifen.

Eines wusste ich jetzt aber genau. Diese kranken Leute würden eine ganz böse Überraschung erleben, sollten wir erneut ihr Ziel werden. Sowohl Jan als auch Marc waren auf Krawall gebürstet und bereit, mit aller Härte gegen Angreifer vorzugehen. Hoffentlich würde es nicht notwendig werden.

Irgendwann überkam mich jedoch die Müdigkeit und ich legte mich hin. Als die Jungs nach Hause kamen, wurde ich einmal kurz wach. Schlief aber schnell wieder ein. Mit einem Blick auf mein Smartphone hatte ich ihre pünktliche Rückkehr registriert.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich überhaupt nicht erholt. Ich hatte unruhig geschlafen und alle meine Sinne waren alarmiert. Ich musste aufpassen, dass ich mir nicht zu viel zumutete. Dieses Mal wollte ich auf mein Gefühl hören und mir das Recht nehmen, auch einmal eine Auszeit zu nehmen, wenn es notwendig würde.

Das Frühstück wurde allerdings von den lustigen Erzählungen der Jungs dominiert. Dadurch hatte ich keine Gelegenheit, über die neuen Probleme weiter nachzudenken.

Justin entwickelte sich zu einem Entertainer. Er hatte Talent, die beiden Pärchen sehr gut zu parodieren. Insbesondere der Akzent bei seinem Deutsch machte es unnachahmlich. Einfach herrlich lustig. So könnte jeder Tag beginnen. Und ganz erfreulich dabei war, dass Dustin und Fynn diesen Spaß mitmachten. Sie lachten sich genauso kaputt wie ich.

Erst, als wir zum Tennisplatz aufbrechen wollten, war ich mir nicht mehr sicher, ob ich meine Truppe informieren sollte oder nicht. Ich entschied mich erst einmal, es nicht zu tun. Aber als wir an einer Ampel standen, fragte mich Justin:

„Der Spruch von gestern auf der Heckklappe ist verschwunden. Ich nehme an, du hast ihn entfernt.“

Ich zuckte zusammen, denn ich dachte ja, sie hätten es nicht bemerkt bzw. der Text wäre erst später aufgebracht worden. Jetzt musste ich mir schnell einen Plan B überlegen.

„Ja, ich habe ihn entfernt. Es sah unschön aus.“

„Unschön? Das war eine Provokation und eine Beleidigung.“

Justin saß vorn auf dem Beifahrersitz, die anderen hatten nicht richtig mitbekommen, über was genau wir uns unterhielten. Aber Fynn legte sein Handy an die Seite und im Rückspiegel konnte ich erkennen, dass jetzt ihre Aufmerksamkeit auf unserem Gespräch lag.

„Ja, das ist sicher so. Aber was soll ich machen? Es wird immer ein paar geistige U-Boote geben, die noch im Mittelalter leben.“

„Kann man sich nicht dagegen wehren? Was ist denn, wenn es keine leere Drohung ist?“

„Erst, wenn wir konkrete Hinweise haben, wer die Täter sind. Vorher ist das schwierig.“

„Chris“, meldete sich Fynn von hinten, „wir haben gestern Abend über diese Drohung gesprochen und ganz ehrlich, so ganz wohl ist uns nicht damit. Was ist, wenn sich Kitzbühel wiederholt?“

Ich musste mich auf den Verkehr konzentrieren und konnte nicht sofort eine Antwort geben. Aber als wir in der Straße vom Tennisclub waren, ging ich auf Fynn ein.

„Kitzbühel wird sich nicht wiederholen. Ganz sicher nicht. Aber mir geht es so wie euch, ich war auch sehr beunruhigt. Ich mache euch einen Vorschlag. Bevor wir zum Training auf den Platz gehen, treffen wir uns an den Holztischen unter der großen Eiche an Platz vier. Dort können wir in Ruhe über die Situation sprechen. Macht euch bitte Gedanken und sprecht offen auch über mögliche Ängste. Ich möchte nicht, dass ihr das unterdrückt. Ich nehme euch sehr ernst. Aber ich habe jetzt gleich eine Sache beim Veranstalter zu klären, dann komme ich zu euch.“

Die Anspannung war spürbar und verdächtig still nahmen sie ihre Taschen aus dem Kofferraum.

Das Gespräch mit dem Veranstalter gestaltete sich positiv. Sie waren besorgt und kannten die Fakten aus Kitzbühel. Deshalb sagten sie uns Unterstützung zu und wir besprachen die Situation mit dem Personenschutz. Ich wollte nicht, dass es zu auffällig sein würde. Dem Gedanken, dass wir die Täter nur dingfest machen können, wenn sie sich in Sicherheit wiegen und uns weiterhin belästigen oder gar angreifen, konnte ich zustimmen. Nur dann musste die Security sofort zugreifen können. Das versprachen sie mir und damit war ich einverstanden.

Mein Eintreffen am Treffpunkt unter der großen Eiche wurde mit schlagartiger Stille bemerkt. Kein gutes Zeichen, wie ich fand.

„Chris, irgendetwas ist hier komisch. Ich habe das Gefühl, du weißt mehr als wir.“

Im Gesicht von Fynn spiegelte sich Unwohlsein.

„Leute, beruhigt euch mal. Wir sind in England und da ist einiges anders. Aber es stimmt, ich habe euch bislang noch nicht alles erklärt. Deshalb treffen wir uns ja hier. Wann wollen Luc und Stef zu uns kommen?“

„Luc meinte gestern, dass sie am Nachmittag zu uns stoßen würden. Sie wollten vormittags ans Wasser gehen.“

„Gut, dann möchte ich euch jetzt etwas mitteilen. Nachdem gestern auf unserem Bus diese sehr unschöne Nachricht stand, habe ich davon Fotos gemacht und sie Thorsten geschickt. Ich habe mich mit dieser Situation unwohl gefühlt und es hat mich natürlich an Kitzbühel erinnert.“

„Das kann ich gut verstehen. Es ging mir ähnlich. Maxi hat aber gesagt, ich soll mich nicht so anstellen und das ignorieren.“

„Ernsthaft Maxi? Du hast so auf diese Sache reagiert? Das finde ich total inakzeptabel. Ich verstehe Dustin absolut und empfinde es ähnlich. Ich möchte Kitzbühel niemals wieder erleben und werde auch mit aller Härte gegen die Täter vorgehen, sollten wir herausfinden, wer dafür verantwortlich ist.“

Maxis Gesicht wurde blass. Fynn wollte schon auf Maxi einreden, aber das war nicht in meinem Sinn.

„Lass es gut sein, Fynn. Maxi kann gleich zum Schluss etwas dazu sagen. Vorher möchte ich euch über den neuen Sachverhalt informieren. Nachdem Thorsten gestern die Bilder von mir gesehen hatte, hat er sofort mit Jan telefoniert und Jans Reaktion sah so aus, dass er mich umgehend angerufen und uns mitgeteilt hat, dass ab sofort eine Security für unseren Schutz abgestellt wird. Darüber wird auch nicht verhandelt, das ist Fakt. Keiner von uns wird sich hier ohne Personenschutz auf der Anlage bewegen. Auch unser Fahrzeug wird bewacht werden. Sollten die Täter erneut einen Versuch machen, uns anzugreifen, wird das für sie ein böses Erwachen geben. Um das klar zu sagen, Jan hat einen dermaßen dicken Hals, dass ich nicht in der Haut der Täter stecken möchte, wenn sie gefasst werden. Wir nehmen das sehr ernst und ich möchte, dass wir offen über Angst sprechen können. Maxi, ich verstehe deine Reaktion nicht. Kannst du dir nicht denken, dass das für Dustin und Fynn eine direkte Bedrohung ist? Was hast du dir dabei gedacht, so einen blöden Spruch zu machen?“

Maxi schaute in die Runde und holte tief Luft.

„Ähm, ich habe ehrlich nicht gedacht, dass ihr das so ernst nehmt. Ich wollte mich keinesfalls lustig machen. Jetzt, wo du mir geschildert hast, was du dabei fühlst, wird mir auch klar, dass das dumm gewesen ist. Ich möchte mich dafür entschuldigen. Ihr seht das also als klare Bedrohung?“

„Ja, absolut. Ich fühle mich im Moment total blöd. Wie sollen wir dabei gute Leistungen zeigen?“

Fynn war aufgebracht. Das war genauso unangebracht wie Maxis Bemerkung zu Beginn.

„Fynn, ich fühle mich auch nicht besonders gut, aber bislang ist nichts passiert. Wir haben aber die Unterstützung des Veranstalters und ich verspreche euch eines: Wenn ich auch nur einmal das Gefühl bekomme, mich hier nicht mehr sicher zu fühlen, fahren wir nach Hause. Das gilt für jeden von uns. Wenn jemand nach Hause fahren möchte, soll er das bitte ganz offen sagen. Ich habe dafür volles Verständnis, möchte aber anmerken, dass es ja genau das ist, was diese Vollidioten wollen. Sie wollen uns einschüchtern, weil sie Angst vor uns haben.“

„Leute, darf ich dazu etwas sagen, auch wenn ich mich total blöd verhalten habe?“

„Klar, Maxi. Schieß los.“

„Dustin und Fynn, es tut mir leid, dass meine Bemerkung so blöd rübergekommen ist. Ich verstehe eure Angst und ich möchte natürlich auch nicht, dass Kitzbühel noch einmal passiert. Und wenn Jan so ernst reagiert, wird es richtig sein, sich nicht einschüchtern zu lassen. Wir sind so stark, weil wir als Team auftreten. Also lasst uns den Briten zeigen, dass sie uns nicht kleinkriegen. Schon gar nicht mit einer dummen Drohung.“

Maxi hielt seine Hand in die Mitte und schaute in die Runde.

„Ich bin dabei.“

Justins Reaktion kam prompt. Dann legten auch Dustin und Fynn ihre Hände in die Mitte und schauten mich fragend an.

„Also, ich bin auch dabei und wir werden dadurch nur noch stärker. Let´s Rock!“

Jetzt löste sich die Anspannung und ich konnte mich auch wieder etwas beruhigen.

„Eine Sache habe ich noch. Ich möchte, dass ihr Luc und Stef bitte gleich zu mir schickt, wenn sie nachher kommen. Ich möchte sie persönlich über die Lage informieren.“

Das war angekommen und dann schickte ich meine Truppe los, sich aufzuwärmen.

Das Training mit Markus verlief sehr ruhig und konzentriert. Markus war ein echter Gewinn für meine Truppe. Er konnte ihnen viel von seiner Erfahrung vermitteln. Interessant für mich war, dass sowohl Justin als auch Fynn mittlerweile locker mit ihm mithalten konnten. Maxi hatte also überhaupt keine Ausnahmestellung mehr. Lediglich Dustin war noch nicht ganz auf dem Level, aber er entwickelte sich stetig weiter. Langsamer als die anderen, aber in die richtige Richtung.

Vor dem Mittagessen hatte ich mit jedem der Jungs noch Einzelgespräche geführt und dabei auch die Situation thematisiert. Es war spannend zu sehen, wie unterschiedlich ihre Wahrnehmungen waren. Fynn und Dustin hatten die größte Angst, aber nicht um sich selbst, sondern um mich. Ihre Angst um mich war einerseits nicht erstrebenswert, aber andererseits auch ein Gefühl der Anerkennung für meine Bemühungen. Das gab mir ein Gefühl von Stärke und Selbstbewusstsein. Je länger ich über diese Situation nachdachte, desto stärker wurde mein Kampfgeist. Ich beschloss, nicht mehr zu zweifeln, sondern nach vorne zu schauen und diesen homophoben Arschlöchern die Stirn zu bieten. Mit aller Konsequenz.

Luc: Ein toller Vormittag am Meer

Stef und ich hatten lange geschlafen und genossen den tollen Blick von unserem Balkon. Ich hatte mich entschieden, das Frühstück nicht unten einzunehmen, sondern bei uns in der Suite. Stef wollte sich noch nicht anziehen und das war auch okay. Wenn wir schon mal allein im Urlaub waren, sollten wir uns nicht komplett verplanen.

Der Zimmerservice versorgte uns hervorragend und so wurde unser Frühstück ein Festessen.

„Schatz, so könnte ein Tag häufiger beginnen. Das ist die reinste Völlerei gewesen.“

Stef gab mir einen Kuss.

„Was möchtest du heute machen? Wir müssen auch nicht zum Tennisplatz. Unsere Freunde wissen, dass wir uns einen schönen Tag machen wollen.“

„Auf jeden Fall einmal direkt ans Meer. Vielleicht mal mit den Füßen durchs Wasser gehen.“

Eine Stunde später stellte ich unseren Mietwagen auf einem kleinen Parkplatz an einer Strandpromenade außerhalb Brightons ab. An den Linksverkehr hatte ich mich mittlerweile ganz gut gewöhnt.

Wir marschierten auf direktem Wege in Richtung Wasser und Stef nahm dabei meine Hand. Es war ein herrliches Gefühl, mit Stef am Wasser entlang zu laufen und die frische, salzige Luft einzuatmen. Das Meer rauschte und wir hatten wenig Wind. Einfach traumhaft. Stef legte seinen Arm um mich und wir standen gedankenverloren am Wasser.

Da es noch Vormittag war, liefen noch nicht so viele Menschen am Strand herum. Dennoch wurden wir hin und wieder komisch beäugt. Mich störte es nicht mehr, solange man uns in Ruhe ließ.

Allerdings freute es mich, dass auch Stef nicht mehr so ängstlich war. Das half mir sehr, auch fremden Menschen gegenüber offener zu werden. Wir genossen jede Minute und beschlossen, mit den Füssen ins Wasser zu gehen.

„Brrr, ist das kalt.“

„Komm, Stef, stell dich nicht so an. Die Wellen machen es angenehmer. Wir wollen ja nicht schwimmen.“

„Na gut, aber nur, wenn du mich später wieder aufwärmst.“

Ich musste lachen, denn ich hatte sofort verstanden worauf er hinaus wollte. Bald trafen wir auf eine Gruppe Jungs, die am Strand Beachvolleyball spielten. Wir schauten ihnen zu und stellten fest, dass sie ihr Spiel beherrschten. Sie waren alle etwa zwanzig oder etwas älter.

In einer kleinen Pause kam einer von ihnen zu uns und fragte, ob wir auch spielen könnten. Als ich ihm erklärte, dass wir in der Schweiz keinen echten Strand hätten und nur in Schwimmbädern ein Beachvolleyballfeld hätten, musste er lachen. Stef wollte absolut nicht mitspielen, aber ich hatte einfach Lust mich zu bewegen.

Das Spiel machte mir viel Freude. Ich brauchte Bewegung und nach wenigen Minuten war mir gar nicht mehr bewusst, dass ich in Brighton direkt am Strand spielte.

Nach den ersten Sätzen machten wir eine Pause. Stef war die ganze Zeit am Spielfeldrand geblieben. Mike, einer meiner Spielpartner, fragte mich:

„Ist dein Freund immer so schüchtern? Wir beißen doch nicht.“

„Bei mir nicht“, antwortete ich lachend, „aber er traut sich nicht bei fremden Menschen und er glaubt manchmal, dass sein Englisch nicht gut genug sei.“

Ich winkte Stef zu mir und als er sich dann doch zu uns bewegt hatte, gab ich ihm zur Belohnung einen Kuss. Klar, es war vielleicht leichtsinnig, so offen zu zeigen, was Sache ist, aber genau das wollte ich auch. Mike stutzte für einen kleinen Augenblick, dann grinste er mich an:

„Jetzt verstehe ich auch, warum dein Freund sich keinen Meter wegbewegt hat. Er hat Angst, dass wir ihm Konkurrenz machen. Wir sind ja auch alle nicht so schlecht aussehend.“

Seine Freunde schauten herüber und ich nahm Stef in den Arm, erwiderte:

„Nein, da muss er keine Angst haben. Den gebe ich nicht wieder her.“, und küsste ihn erneut.

Jetzt lachten die anderen und es war eine entspannte Situation. Wir redeten noch ein paar Minuten, bis ich merkte, dass mein Rücken kalt wurde. Wir hatten ihnen noch erklärt, dass wir hier Freunde besuchen würden, die am Tennisturnier teilnehmen. Das interessierte sie und ich erklärte ihnen wo das stattfand. Anschließend verabschiedeten wir uns, weil es sonst auch zu spät würde, um noch beim Training der Jungs zuzuschauen.

„Ist doch schön, wenn man hier auch Leute treffen kann, die nichts gegen Schwule haben.“

Ich schaute Stef fragend an.

„Wie kommst du denn darauf?“

„Hast du den Spruch auf Chris Bus schon vergessen? Wir sind hier anscheinend nicht sonderlich erwünscht.“

„Nein, vergessen nicht. Allerdings habe ich gerade nicht dran gedacht. Unsere Freunde brauchen hier unsere Unterstützung mehr als in Holland. Wir haben uns richtig entschieden, nach England zu fahren.“

„Was ist, wenn wir selbst Ziel der Angriffe werden? Schließlich sitzen wir im selben Boot.“

„Wir sitzen im gleichen Boot, das stimmt. Aber uns kennt niemand. Wir können ungestört für unsere Freunde da sein und Position beziehen. Hier werden in erster Linie Fynn und Dustin im Fadenkreuz stehen. Das müssen wir versuchen zu behindern und ich habe auch bereits eine Idee. Ich möchte aber zuerst mit Chris darüber sprechen.“

Stef schaute mich fragend und etwas besorgt an.

„Keine Angst, ich werde nichts machen ohne deine Zustimmung. Lass uns jetzt heiß duschen, damit ich wieder auftauen kann. Dann erkläre ich dir meinen Plan.“

Die Dusche wurde durch Stefs Spielereien verlängert, aber umso entspannter und gut aufgewärmt war ich am Ende.

Auf dem Weg zur Anlage hatte ich Stef meinen Plan erklärt. Ganz überrascht war er nicht, aber er bestand darauf, dass ich das mit Chris absprechen sollte. Das hätte ich eh getan und ja bereits auch angekündigt. Insofern waren wir uns einig.

Eine Stunde später standen wir auf der Anlage des Tennisclubs und schauten uns um. Heute war der letzte Tag vor dem Turnierbeginn. Jetzt konnten wir schon deutlich mehr Turnierflair erkennen. Fahnen und Sponsorenbanner waren aufgehängt worden und die ersten Verkaufsstände standen auf den Rasenflächen vor den Plätzen. Imposant und noch größer als bei den anderen Turnieren, die wir bislang gesehen hatten.

„Hast du eine Ahnung wo Chris mit den Jungs sein könnte? Die Anlage ist riesig. Ich habe keine Lust erst bis zum einen Ende zu laufen und dann wieder zurück.“

Natürlich hatte ich keine Ahnung, woher denn auch? Aber ich hatte eine Idee, wie ich das herausfinden könnte. Ich sah ein Schild mit der Aufschrift „Tournament Manager“ auf das ich zielstrebig zusteuerte. Stef zögerte einen Augenblick, folgte mir aber schnell.

Wir betraten einen großen Raum. Dort liefen mehrere Techniker herum, die Computer aufbauten und Kabel verlegten. Ich konnte aber keinen Offiziellen erkennen, nur Techniker. Plötzlich fragte mich einer der dort werkelnden Männer, ob er uns helfen könnte. Ich erklärte ihm unser Problem und er schickte uns in den Clubraum. Da stand ein Tisch mit einem jungen Mann im dunklen Anzug und Namensschild. Hier waren wir richtig.

Ich erklärte unser Anliegen und mit einem Lächeln schickte uns Herr Hewitt zu den Plätzen zehn und elf.

Schon aus einiger Entfernung konnten wir die Kommandos von Chris vernehmen. Er scheuchte seine Truppe über beide Plätze und seine Anweisungen waren wie immer kurz und präzise. Er sagte deutlich was er gut bzw. weniger gut fand. Ich winkte ihm zu, als er uns erblickte.

„Haltet bitte den Ball an und kommt einmal bei mir zusammen.“

Chris unterbrach unseretwegen das Training. Das kam nicht so oft vor. Er winkte uns auf den Platz und wir konnten alle begrüßen. Chris stellte uns Markus Westphal vor und gab dann eine neue Anweisung:

„Ich möchte, dass ihr jetzt einen Satz Matchtraining macht. Auf Platz zehn wechseln sich Markus und Justin nach drei Spielen immer ab. Fragen?“

Es gab keine Fragen und so begannen die Jungs mit ihrem Spiel. Chris bat uns mit ihm zu kommen. Wieder ungewöhnlich, dass er während des Trainings den Platz verließ.

„Hattet ihr einen schönen Vormittag?“, fragte uns Chris.

„Auf jeden Fall. Wir haben sogar am Strand etwas Beachvolleyball gespielt.“

„Du hast gespielt, ich habe nur zugeschaut.“, warf Stef mit einem Grinsen ein.

Zuerst wollte ich darauf reagieren, aber ich konnte erkennen, dass Chris etwas Wichtiges mitzuteilen hatte. Ich beließ es einfach so.

„Wir haben hier eine besondere Situation. Wie ihr von den Jungs mitbekommen hattet, stand eine Drohung auf unserem Bus. Ich habe daraufhin Thorsten Fotos davon geschickt, weil ich mir nicht mehr sicher war, wie ich damit umgehen sollte.“

„Ja, sie hatten uns davon erzählt, dass es diesen Text gegeben hatte.“

Chris war angespannter als sonst. Die Situation schien doch ernster zu sein.

„Daraufhin hat Thorsten sogar direkt mit meinem Bruder gesprochen und der hat dann sofort mit mir Kontakt aufgenommen. Sie stufen diese Sache als Bedrohungslage ein und haben uns einen Personenschutz organisiert. Das heißt auch für euch, seid also bitte wachsam. Ihr werdet gleich von mir eure Teamausweise bekommen und steht daher auch unter diesem Schutz. Sollte euch etwas auffallen, meldet euch bitte umgehend bei mir oder der Turnierleitung, sollte ich mal nicht in der Nähe sein. Und nehmt das bitte sehr ernst. Ich möchte kein zweites Kitzbühel erleben.“

Puh, das war heftig. Hier wurden die Folgen von Kitzbühel deutlich. Chris wirkte angeschlagen und besorgt. Allerdings schien er entschlossen zu sein, diesen Idioten die Stirn zu bieten. Mir gab das nur die Bestätigung, meine Idee einzubringen.

Chris: Brighton wird spannend

Luc und Stef zeigten sich betroffen von der neuen Situation, aber Luc hatte mir seine Idee erklärt. Ich musste darüber erst eine Nacht schlafen. Denn das würde wieder sehr viel Aufwand bedeuten und genau das wollte ich eigentlich nicht. Allerdings war seine Argumentation nicht von der Hand zu weisen. Das würde dem Team mehr Handlungsspielraum verschaffen.

Nach dem Training fand noch eine kurze Lagebesprechung statt. Ich hatte Luc gebeten, seine Idee vorerst für sich zu behalten. Ich würde ihm morgen meine Entscheidung mitteilen.

Die Security fiel nicht auf. Sie hielten sich dezent im Hintergrund. Nur hin und wieder bemerkte ich sie. Es waren immer mindestens zwei Personen in unserer Nähe. Allerdings immer unterschiedliche Leute. Das war wirklich gut organisiert.

Morgen würde es auf dem Platz ernst werden. Heute fand noch die Auslosung für das Hauptfeld statt. Da wollte ich auf jeden Fall anwesend sein. Meinen Jungs stellte ich das allerdings frei.

Luc und Stef waren bereits mit den Jungs in einem angeregten Gespräch, als ich zu ihnen stieß. Sie hatten bereits geduscht und waren abfahrbereit für unser Quartier.

„Chris, Luc hat uns gefragt, ob wir mit ihnen gemeinsam essen fahren würden. Schließlich haben wir ja heute keine Termine mehr.“

„Okay, und was ist eure Meinung?“

„Ja, wir möchten. Aber du sollst auch mitkommen.“

Danach fingen alle an zu lachen und zu kichern, denn Fynns Gesicht sprach Bände. Sie hatten sich irgendetwas ausgedacht. Mir war klar, das würde kein normales Abendessen werden.

„Also gut, ich kenne euch mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass ihr euch etwas ausgedacht habt. Ich bin dabei. Aber keine gefährlichen Sachen, die Jungs müssen morgen spielen. Und ich muss gleich zur Auslosung gehen. Darauf müsst ihr noch warten.“

„Können wir auch mitkommen? Wir würden gern dabei sein, wenn unsere Gegner ausgelost werden.“

„Ja, das ist in Ordnung. Benehmt euch dort aber.“

„Klar, wir repräsentieren ja das Team. Da musst du keine Angst haben.“

Das Grinsen im Gesicht von Maxi war verräterisch und Justin schaute völlig irritiert zwischen uns hin und her.

„Justin, denk dir nichts dabei. Manchmal brauchen wir das einfach. Ein wenig Rumalbern muss manchmal sein.“, erklärte ich, bevor ich Richtung Auslosung ging.

Die Auslosung fand in einem Sponsorenzelt vor dem Clubhaus statt. Es waren reichlich Pressevertreter und Sponsoren anwesend. Ich nahm in der dritten Reihe Platz. Vorne wäre zwar noch ausreichend Platz gewesen, aber das war nicht mein Ding. Ich wollte das in Ruhe verfolgen. Meine Truppe setzte sich neben und hinter mich. Schnell füllte sich das Zelt und ich konnte auch einige mir bekannte Spieler erkennen. Das Feld musste sehr gut besetzt sein. Das wusste ich allerdings schon vorher, denn hier gab es recht viele Punkte und auch ordentlich Geld zu verdienen. Es war ein 32er Feld mit acht gesetzten Spielern, vier Qualifikanten und die restlichen Spieler wurden zugelost.

Der Turnierdirektor hielt eine kurze Begrüßungsansprache und die Sponsoren kamen natürlich auch zu ihrem Recht. Dann ging es los.

Nachdem die gesetzten Spieler eingeordnet waren, wurde das Programm gestartet. Heute wurde mit Hilfe eines Computers das Tableau erstellt. So konnten Manipulationen vermieden werden.

Nach etwa zwanzig Minuten war alles vorbei und ich hatte fünf Tableaus in der Hand, die ich an die Jungs weitergab und eins für mich behielt. Ich war zufrieden, denn keiner musste gegen einen Gesetzten spielen. Wobei das nicht viel zu sagen hatte. Hier war jeder Gegner ein schwerer Gegner.

Auf dem Weg zum Parkplatz fragte mich Luc:

„Wie siehst du die Chancen?“

„Wie immer - gut. Wir haben noch nicht gespielt, es kann jeder gewinnen.“

Maxi, Fynn und Dustin kannten das bereits und fingen schon an zu lachen, als sie Lucs fragendes Gesicht sahen.

„Luc, das ist die falsche Frage gewesen. Was soll dir Chris antworten? Jedes Spiel kann gewonnen werden, zumindest vor dem Match. Dann schauen wir mal. Chris wird jedem von uns eine exzellente Gegneranalyse machen und uns optimal vorbereiten. Alles andere wird sich auf dem Platz entwickeln. Frag ihn doch einfach Mitte des ersten Satzes noch einmal.“

Auf diese Antwort von Dustin musste ich lachen. Das war so gut gemacht.

„Du solltest ins Fernsehen gehen, Dustin. Besser hätte ich das nicht sagen können. Grandios!“

Bevor wir unsere Fahrzeuge erreichten, sprachen uns zwei junge Männer an. Sie erklärten uns, dass sie zwei ebenfalls noch junge Männer beobachtet hätten, die erneut unseren Bus mit einem Text versehen hatten. Dieses Mal hatten sie einen Zettel auf die Fahrertür geklebt. Die Sicherheitsleute erklärten mir aber auch, weshalb sie die Täter nicht sofort dingfest gemacht hatten. Sie wollten jetzt diese Personen ganz genau beobachten und könnten auf diese Weise auch feststellen, ob es noch mehr Täter gäbe. Außerdem würden sie sofort zugreifen, sollte sich eine konkrete Bedrohung entwickeln. Damit war ich einverstanden und wir bedankten uns für ihre Aufmerksamkeit und Diskretion. Für die Täter war es nicht erkennbar gewesen, was wir besprochen hatten, denn wir waren noch gar nicht bis zu unseren Autos gekommen.

Ich hatte die Jungs vorgehen lassen und wollte von der Security noch eine Information zu den Tätern haben. Laut Aussage der Security war es sehr wahrscheinlich, dass die Täter nicht aus dem Spielerbereich kamen, sondern aus dem Umfeld des ausrichtenden Vereins. Das wollten unsere Sicherheitsleute mit dem Veranstalter und der ATP besprechen. Ich wollte meine Jungs da außen vor haben. Sie sollten sich auf das Turnier konzentrieren.

Luc und Stef waren schon vorgefahren. Wir würden sie gleich wieder treffen. Ich wollte unbedingt noch duschen und mich umziehen.

Als ich mir meine Sachen auf das Bett gelegt hatte, klopfte es. Justin betrat mein Zimmer.

„Störe ich?“

„Nein, kein Problem. Setz dich bitte. Ich zieh mich nebenbei weiter an. Was liegt an?“

„Ich habe eine Frage. Wie kannst du immer so cool bleiben? Du wirst belästigt, du warst damals das Opfer des Attentats und dennoch schirmst du uns ab und stellst dich selbst in die erste Reihe. Hast du nie Angst?“

„Doch, natürlich habe ich Angst. Wie kommst du darauf, dass ich keine Angst habe?“

„Naja, wenn ich etwas Schlimmes erlebt habe, versuche ich der Ursache aus dem Weg zu gehen. Du machst hingegen genau das Gegenteil. Du stellst dich dem in den Weg und weichst kein Stück zurück. Da stellt sich mir einfach die Frage, ob du keine Angst hast?“

„Ich bin auch nur ein Mensch, Justin. Menschen müssen Angst haben, sonst wird man nicht allzu alt. Da ich aber mein Leben noch etwas genießen möchte, habe ich Angst und nehme sie auch wahr. Allerdings muss ich meine Angst nicht ständig offen zeigen. Unseren homophoben Deppen will ich keine Angriffsfläche bieten. Dennoch passe ich sehr gut auf und werde nicht zögern, die Flucht zu ergreifen, sollte es nötig werden.“

„Das heißt, für dich ist das noch alles kalkulierbar? Du hast doch kaum eine Möglichkeit auf diese Idioten zu reagieren. Du weißt doch gar nicht, wer sie sind.“

„Noch nicht, aber wir werden es bald wissen. Sie machen zu viele Fehler. Und dann werden sie ihr blaues Wunder erleben. Dann lernen sie uns auch mal von einer anderen Seite kennen. Ich kann durchaus nicht nur nett sein.“

Justin schien meine Aggression zu spüren und er wurde stiller und vorsichtiger.

„Schau mal Justin, ich habe die Aufgabe, für euch da zu sein und euch wieder heile nach Hause zu bringen. Wenn dabei auch noch gute Ergebnisse herauskommen, umso besser. Und genau das werde ich auch tun. Ich nehme das sehr ernst.“

Justin blieb nachdenklich bei mir sitzen. Er dachte über etwas nach. Nach einigen Augenblicken, ich hatte mich mittlerweile komplett angezogen, fragte er:

„Wie wäre es denn, wenn wir mit dieser Sache an die Öffentlichkeit gehen? Wir haben doch nichts zu verheimlichen. Fynn und Dustin verstecken sich nicht mehr und Luc und Stef sowieso nicht. Was haben wir zu verlieren? Bitte versteh mich nicht falsch, ich möchte dir in deine Entscheidungen nicht reinreden, aber es ist einfach eine Idee von mir.“

„Passt schon, Justin. Und die Idee ist wirklich nicht verkehrt. Nur der Zeitpunkt ist noch nicht passend. Aber verlass dich drauf, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werden wir das tun. Auf eine besondere Art. Warte noch etwas.“

„Also du hast schon einen Plan?“

„Aber sicher habe ich einen Plan. Nur noch etwas Geduld. So, und jetzt gehen wir uns ein wenig amüsieren. Ihr habt euch doch sicher etwas ausgedacht.“

„Okay. Luc und Stef haben sich etwas ausgedacht, aber ich habe keine Ahnung, was.“

Wir waren in England und was wird in jedem anständigen Pub gespielt? Natürlich Darts. Darauf hätte ich auch kommen können. Allerdings hatten sich Stef und Luc einen besonderen Pub ausgesucht. Anhand der ganzen Bilder an den Wänden trainierte hier regelmäßig eine Darts Legende. Für mich jedenfalls bereits eine Legende. Peter Wright war eine Ikone des Dartsports. Luc hatte uns eine Dartscheibe reserviert und ich staunte, wie gut die beiden waren. Sowohl im Spiel, als auch im Errechnen des neuen Spielstandes.

Und was mich ganz besonders beeindruckte, ihr selbstbewusstes Auftreten. Sie machten aus ihrer Beziehung zueinander überhaupt keinen Hehl. Plötzlich gesellten sich zwei sehr kräftige Männer zu uns. Sie fragten mich, ob ich der Vater eines der Jungs sei. Als ich ihnen erklärte, weshalb wir in Brighton waren, wurden sie neugierig und es entstand eine nette Konversation. Immer wieder wurde anerkennendes Raunen hörbar, wenn Luc erneut eine 180 geworfen hatte.

Bislang hatte ich mich beim Spielen dezent zurückgehalten. Leider gefiel das Fynn irgendwann nicht mehr. Er kam zu mir und forderte mich zu einem Duell an der Scheibe. Jetzt konnte ich schlecht nein sagen. Das hätten sie mir übel genommen. Ich war ein ganz passabler E-Dartspieler, aber Steeldarts war nicht mein Spiel.

Es dauerte auch nicht lange und ich hatte den ersten Durchgang, bei den Dartspielern „Leg“ genannt, verloren. Allerdings weckte das nun doch meinen Ehrgeiz. Ich versuchte mich besser zu konzentrieren und so konnte ich das zweite „Leg“ gewinnen.

Natürlich war es nun insbesondere Dustin, der Fynn deutlich unterstützte. Die anderen blieben ziemlich neutral und feuerten uns beide an.

Unsere Gläser waren schon wieder leer. Das änderte ich, indem ich für uns eine neue Runde Getränke bestellte. Da sich die beiden Männer weiterhin sehr freundlich mit uns unterhielten, bestellte ich für sie ein englisches Bier. Damit hatte ich endgültig gewonnen, denn diese einfachen Gesten mochten die Engländer. Entsprechend lebhafter wurde es.

Ich hatte den dritten Durchgang knapp gewonnen. Allerdings nur, weil Fynn sein Finish auf die Doppelfelder nicht traf. Egal, gewonnen ist gewonnen und ich konnte mir eine kleine Spitze nicht verkneifen:

„So, da hat der alte Mann dir noch einmal zeigen können, dass man erst gewonnen hat, wenn der letzte Punkt gespielt ist.“

Fynn nahm es sehr sportlich auf und lächelte dabei. Unsere beiden englischen Mitstreiter, sie hatten sich als Pete und Marvin vorgestellt, waren sichtlich angetan über unsere Fähigkeiten. Insbesondere Lucs Können schien sie zu beeindrucken. Bislang hatten sie noch nicht selbst mitgespielt. Jetzt fragten sie Luc, ob er mit ihnen einen Satz spielen möchte. Luc schlug vor, ein Doppel zu spielen. Ausgerechnet ich sollte sein Partner sein. Ok, heute wollte ich kein Spielverderber sein und spielte mit.

Allerdings war mir dadurch entgangen, dass mittlerweile der halbe Pub zu unseren Zuschauern zählte. Pete und Marvin schienen hier recht bekannt zu sein, denn die Stimmung stieg von Wurf zu Wurf. Es entwickelte sich ein richtiger Kampf und meine Jungs feuerten uns an, während die Leute im Pub eher für Pete und Marvin waren. Aber es war sehr freundlich und lustig.

Ich hatte nur sehr schnell das Gefühl, dass unsere beiden Briten mit uns nur spielten. Immer, wenn es uns gelungen war, eine gute Aufnahme zu spielen, setzten sie eine bessere hinterher. So konnten wir nicht gewinnen und entsprechend klar war die Niederlage. Dennoch hatten wir viel Spaß und im Anschluss blieben wir doch noch einige Zeit an der Theke hängen und hatten nette Gespräche.

Als wir gegen halb zwölf die Straße betraten, war ich genauso gut gelaunt wie meine Jungs. Nur war mein Akku jetzt auch leer. Auf dem Weg zu unserem Bus waren die Jungs noch sehr aufgedreht.

Als ich meine Fahrertür öffnete, fragte mich Luc:

„Und Chris, wie hat es dir heute gefallen?“

„Ein cooler Abend. Vielen Dank für diese Idee. Mir hat es gut getan, mal komplett nicht an Tennis gedacht zu haben. Und ich hatte den Eindruck, euch hat es auch gefallen.“

„Mega gut. Vor allem wie nett die Leute dort waren. Keiner hat sich daran gestört, dass wir schwul sind. So offen wie Luc und Stef waren, müssen sie es mitbekommen haben.“

„Komm, bei euch musste man auch blind sein, wenn man das nicht gesehen hat. Aber ich finde das gut, dass ihr euch nicht mehr versteckt. Und wenn es so läuft wie heute, macht das Hoffnung.“

Alles in Allem ein gelungener Abend. Ich bin jedenfalls ohne negative Gedanken eingeschlafen und habe sogar bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen. Vielleicht sollte ich häufiger mal ganz abschalten und nicht ständig an unser Turnier denken.

Fynn: Anspannung pur

Erst als wir am nächsten Morgen auf dem Weg zur Anlage waren, stieg die Anspannung. Mein Freund und ich hatten es in der Nacht wieder genossen, die Nähe des anderen zu spüren. Es war so schön, immer den Freund neben sich haben zu dürfen. Und dann noch einen Coach, der uns diesen Freiraum gab, ohne ständig zu kontrollieren.

Jetzt gab uns Chris allerdings klare Ansagen, wie wir die nächsten Stunden zu organisieren hatten. Wenn es um das Turnier ging, verstand es Chris genial, uns zu überzeugen ohne Befehle zu erteilen. Ich hatte es noch nicht erlebt, dass er irgendeine Anweisung nicht schlüssig begründen konnte. Das war seine ganz große Stärke. Ich konnte Tim mittlerweile gut verstehen, dass er bei Thomas oft verzweifelt war.

„Fynn, träumst du? Wir wollen uns anmelden.“

Mist, ich war so in Gedanken, dass ich nicht mitbekommen hatte, dass wir bereits auf dem Spielerparkplatz standen und alle schon ausgestiegen waren.

„Oh, ich komm ja schon. Sorry.“

Chris ging mit Justin voraus und Maxi neben Dustin und mir. Es war ein imposantes Bild wie unsere Gruppe mit einheitlicher Kleidung auftrat. Als wir vor der Anmeldung standen, bat uns Chris zu warten. Er holte unsere Spielerpässe. Damit würden wir überall hinkommen können. Chris kam zurück und gab uns die Ausweise, aber er hatte noch zwei weitere eingeschweißte Plastikkarten.

„Für wen sind die denn? Erwartest du noch Besuch?“, fragte Maxi.

Chris verdrehte die Augen und schüttelte seinen Kopf.

„Oh Mann, wo hast du nur deinen Kopf. Ob vielleicht Luc und Stef uns unterstützen? Die brauchen auch eine Karte, sonst würden sie niemals zu mir in den Coachingbereich kommen können.“

„Wie gut, dass Chris wenigstens mitdenkt. Wann müssen wir spielen?“

„Danke für die Blumen, Justin. Es geht eigentlich direkt los. Maxi und Dustin sollten sich warmmachen und werden in der ersten Runde spielen. Fynn und Justin spielen erst in der dritten Runde. Das ist also günstig. So können wir bei den beiden bis zum Schluss bleiben.“

Komisch, obwohl ich erst später spielen musste, spürte ich wieder das Kribbeln vor einem Match. Chris hatte mir den Auftrag erteilt, Dustin bis auf den Platz zu begleiten und ihm Sicherheit zu geben. Das übernahm ich natürlich gern.

Seine Rituale vor einem Match blieben immer gleich. Er musste immer als zweiter auf den Platz gehen und stellte seine Tasche immer an dieselbe Stelle neben der Bank. Das durfte auch jetzt niemand mehr verändern. Selbst Chris berührte seine Tasche nur nach vorheriger Frage und Erlaubnis. Konnte ich nicht verstehen, aber war eben so.

Die ersten Bälle sahen fast ängstlich aus, aber je mehr Ballkontakte Dustin bekam, desto sicherer und lockerer wurde er. Seine Gesichtszüge entspannten sich. Plötzlich schaute er zu mir und fing an zu strahlen. Was sollte das denn? Ich hatte keine Ahnung, aber dieses Lachen gefiel mir.

Der Schiedsrichter sagte „time“ und das war das Signal für den Spielbeginn. Dustin ging noch einmal zur Bank, trocknete sich ab und ganz überraschend umarmte er mich auf meinem Stuhl hinter der Bank und gab mir einen schnellen Kuss. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Dustin lachte befreit und stellte sich auf den Platz. Das Spiel begann.

Das Erstaunliche für mich heute war der Spielbeginn. Gedanklich war ich noch bei dem Kuss und hatte überhaupt nicht realisiert, dass Dustin plötzlich mit 3:0 und einem Break führte. Sein Gegner schien auch überrascht zu sein, denn er fing bereits an zu schimpfen und sich aufzuregen. Bei diesem Turnier waren wir die Außenseiter und die etablierten Spieler standen mehr unter Erfolgsdruck. Dustin nutzte diese Situation mit einer für mich völlig neuen Lockerheit auf dem Platz. Nach jedem Punkt schaute er zu mir und lachte. So befreit hatte ich Dustin noch nie bei einem Turniermatch erlebt.

Nach dem gewonnenen ersten Satz lief Dustin fast zur Bank und sprang über die Absperrung zu mir. Das war eigentlich überhaupt nicht erlaubt. Dennoch bekam ich eine Umarmung von ihm. Ein tolles Gefühl, aber ich war irritiert. Kannte er die Regeln nicht mehr? Es dauerte auch keine zehn Sekunden, bis er sich eine Ermahnung vom Schiedsrichter einhandelte. Der Schiedsrichter war sehr freundlich mit einer Ermahnung, er hätte auch direkt eine Verwarnung aussprechen können.

Plötzlich stand Chris neben mir und lachte sich kaputt.

„Welchen Witz hast du dir denn erzählt?“, fragte ich.

„Hihi, ich freu mich über dein Gesicht und wie sich Dustin hier verhält. Das ist so geil, wie er sich zeigt.“

„Ach, du hast also schon länger zugesehen?“

„Ja, die letzten drei Spiele. Einfach nur gut. Ich bin begeistert und hoffe, er kann sich das erhalten. Dustin mit so viel Freude spielen zu sehen, öffnet mein Herz. Einfach großartig. Das tut ihm richtig gut, so frei spielen zu können. Fynn, ich gehe wieder rüber. Ich möchte keinen zusätzlichen Druck aufbauen. Du hast alles unter Kontrolle. Macht so weiter.“

„Ich glaube nicht, dass Dustin das so durchhalten kann. Außerdem wird sein Gegner ihn im zweiten Satz mit Sicherheit nicht mehr unterschätzen. Das wird nicht so weiter gehen.“

„Na und? Er hat für sich den Spaß gespürt, den das Spiel macht. Das allein ist schon ein enormer Gewinn. Das Ergebnis interessiert mich nur noch zweitrangig. Er wird von diesem Match viel profitieren. Warte ab.“

Dann war Chris schon wieder verschwunden und ich mit Dustins Spiel wieder allein.

Einige Minuten später tauchte Justin auf und er setzte sich zu mir. Mittlerweile stand es im zweiten Satz 2:1 für Dustin, aber der Gegner schlug auf. Dustin machte weiterhin einen guten Eindruck und blieb locker. Ich war fasziniert von seinem Auftreten. Plötzlich begann Justin neben mir zu lachen. Ich schaute verdutzt zu ihm und verstand überhaupt nicht, warum er zu lachen anfing.

Er klopfte mir auf die Schulter und lachte immer noch.

„Hey, bleib cool. Alles ist gut. Aber du hast doch gar keinen Blick mehr für den Gegner. Du siehst nur was Dustin macht. Ist es nicht deine Aufgabe, Dustin zu coachen?“

„Doch, klar. Aber das mache ich doch. Was gibt es da zu lachen?“

„Na, schau dir doch mal seinen Gegner an. Der ist schon völlig am Rasten. Der weiß nicht mehr, was hier gerade auf dem Platz passiert. Er findet kein Mittel gegen Dustin und du schaust dir nur deinen Freund an. Nutzt das doch mal aus, dass der Typ da drüben keinen Plan mehr hat.“

„Warum? Dustin hat doch das Spiel unter Kontrolle. Weshalb sollte ich jetzt eingreifen? Nein, ich lasse Dustin genauso weiterspielen. Wenn es notwendig werden sollte, kann ich immer noch eingreifen. Das macht Chris auch so. Glaub mir, Chris würde jetzt auch nicht eingreifen.“

Justin gab sich damit zufrieden. Zuckte mit seinen Schultern, blieb aber neben mir sitzen. Er schien genauso fasziniert zu sein wie ich und wollte sich das anschauen, was passieren würde.

„Weißt du vielleicht wie es bei Maxi steht? Ich habe noch gar nichts mitbekommen.“, fragte ich während eine Ballwechsels leise.

Justin fing an zu grinsen und flüsterte:

„Kein Wunder, so wie du hier dabei bist, würde ich auch nichts mehr mitbekommen. Aber Maxi hat den ersten Satz gewonnen. Er spielt auch richtig gut.“

„Wow, das ist geil. Wie cool wäre das denn, wenn schon zwei von uns in der zweiten Runde wären.“

Plötzlich hörte ich eine Stimme hinter mir sehr bestimmt sagen:

„Du sollst dich auf Dustins Spiel konzentrieren und dafür sorgen, dass er gewinnt. Und dich nicht mit ungefangenen Fischen beschäftigen. Das ist nicht dein Auftrag gewesen.“

Ich zuckte zusammen. Chris hatte sich leise angeschlichen und sich unbemerkt hinter mich gestellt.

Das war richtig gemein und mein Puls ging noch mehr nach oben.

Dann legte er seine Arme auf meine Schultern und lachte leise.

„Beruhig dich. Ist schon okay, aber erst gewinnen und sich danach über die zweite Runde Gedanken machen.“

Und schon war Chris wieder verschwunden. Das war schon fast unheimlich, wie er sich zwischen den Plätzen bewegte. Ich würde das überhaupt nicht können, auf beiden Plätzen gleich gut den Überblick zu behalten.

Umso wichtiger war Chris für mich. Ich konnte mich absolut auf ihn verlassen, sowohl auf als auch neben dem Platz. Es war mir nur leider nicht ständig bewusst, in dieser Situation jetzt aber wurde es überdeutlich. Mit einer Geste konnte er mich beruhigen.

„Na, wo sind deine Gedanken?“, fragte Justin.

Ich zuckte leicht zusammen und musste schmunzeln.

„Ich habe gerade wieder bemerkt, wie wichtig Chris für mich ist. Er gibt mir so viel Sicherheit.“

„Ja, aber nicht nur dir. Obwohl ich noch nicht lange bei euch bin, habe ich das Gefühl, schon lange dazuzugehören. Es ist so toll mit euch zu arbeiten und zusammen zu sein. Das habe ich lange vermisst.“

Wir flüsterten die ganze Zeit, damit Dustin nicht gestört wurde. Dustin spielte nach einer kurzen Schwächephase wieder konzentriert und kämpfte um jeden Punkt. Wir unterstützten ihn mit Anfeuern und einigen Kommandos, die ich auf den Platz rief. Das war sicher an der Grenze des Erlaubten, aber eigentlich machten das alle Coaches.

Beim Seitenwechsel zum 5:4 für Dustin, tauchten Luc und Stef bei uns auf. Sie lachten und freuten sich, als sie neben uns Platz nahmen. Mit einer kurzen Umarmung begrüßten wir uns und sie berichteten, dass Maxi schon gewonnen hatte. Das hörte sich richtig gut an.

„Wie macht sich Dustin? Hast du alles im Griff? Chris kommt gleich zu uns, er muss mit Maxi noch die Nachbesprechung machen.“

„Er macht ein geiles Spiel. Im zweiten Satz ist es deutlich enger. Aber ich habe momentan nicht das Gefühl, dass Dustin das Match verlieren könnte. Warten wir mal ab, was jetzt nach dem Seitenwechsel passiert. Der Gegner muss gegen den Matchverlust servieren.“

Meine Nervosität stieg mit jedem gespielten Punkt. Dustin brauchte noch zwei Punkte bis zum Sieg. Sein Gegner schlug einmal sehr gut auf, 15:30. Noch ein guter Ball und es stand 30:30, das war kaum noch auszuhalten. Und hier draußen konnte ich nicht viel tun. Mein Körper war komplett angespannt und ich drückte meine Hände zusammen. Chris blieb bei solchen Situationen total entspannt. Wie er das schaffte, war mir ein Rätsel.

Dustin spielte einen sensationellen Return, der für seinen Gegner unerreichbar im Feld einschlug. Damit gab es den ersten Matchball. Der Gegner schlug auf und der Ball war im Spiel. Mir fiel das Atmen schwer, so angespannt war ich. Es wurde ein langer Ballwechsel. Keiner wollte etwas riskieren. Plötzlich holte Dustin aus, brach den Schwung aber ab und spielte einen Stopp. Bei diesem Spielstand, unfassbar. Aber der Gegner kam nicht an den Ball und das Match war vorbei.

„Jaaaa“, rief ich laut aus und sprang von meinem Stuhl hoch.

Meine Freunde neben mir jubelten und klatschten. Danach tanzten wir im Kreis. Erst dann kam mein Freund an die Bank und ich durfte ihn endlich umarmen. Ein großartiges Gefühl.

Chris: Der Turnierstress sorgt für Ablenkung

Meine Begeisterung über die Leistung von Maxi war groß. Das konnte er noch nicht besser spielen. Genau das hatte ich ihm bei der Nachbesprechung gesagt. Nur ein paar Dinge zur Konzentration hatte ich anzumerken, sonst war es eine perfekte Leistung. Maxi war erleichtert, dennoch konnte er sich nicht richtig befreit freuen. Ich fragte daher nach:

„Was ist denn? Du kannst dich ruhig freuen.“

„Bist du wirklich zufrieden mit dem Spiel? Ich kann kaum glauben, dass du so wenig auszusetzen hast. Eigentlich findest du immer etwas zum Verbessern.“

„Hihihi, ja. Das ist doch auch meine Aufgabe, euch besser zu machen. Du weißt doch, das Bessere ist des Guten Tod. Nein, ernsthaft, das war richtig gut. Genieße es einfach. Du kannst dich auslaufen und duschen gehen. Ich geh mal rüber zu Dustin. Eben sah das auch klasse aus, was ich gesehen hatte.“

Als ich am Platz ankam tanzten meine Jungs bereits im Kreis und waren bester Laune. Also konnte ich davon ausgehen, dass auch Dustin gewonnen hatte. Das war schon cool. Das Turnier mit zwei Siegen zu beginnen. So konnte es gerne weitergehen.

Ich ließ sich die Jungs wieder beruhigen, ging dann zu Dustin und gratulierte ihm mit einer herzlichen Umarmung. Ich hatte es gerade Dustin gegönnt. Endlich konnte er sich für seine harte Arbeit einmal belohnen. Fynn musste ich allerdings zum Aufwärmen schicken. Jetzt mussten die anderen beiden ran. Also konnte Dustin seinen Sieg nicht mit Fynn gemeinsam genießen. Er war ein wenig enttäuscht, als ich seinen Liebsten zum Aufwärmen wegschickte.

„Mach nicht so ein Gesicht. Nach so einem Erfolg möchte ich dein bestes Lachen sehen. Nur weil ich Fynn jetzt mit Justin auf den Platz schicke, musst du nicht Trübsal blasen. Du solltest jetzt auslaufen, duschen und dann mit Maxi zur Massage gehen. Danach sehen wir uns bei den anderen beiden am Platz.“

„Okay, Chris. Ich finde es dennoch schade, dass Fynn schon wieder weg ist. Naja, dann muss er eben auch gewinnen. Dann wirst du uns schon mal etwas Zeit geben.“

Danach grinste er mich frech an. Ich machte einen Schritt auf ihn zu und wollte ihn durchkitzeln, aber da zog Dustin es vor, schnell zum Duschen zu laufen. So ein Feigling.

Das Turnier konnte nicht besser beginnen und ich etwas befreiter bei Justin und Fynn an den Platz gehen. Luc und Stef kamen mit mir zum Platz und setzten sich auf den Rasen. Stef legte seinen Kopf in Lucs Schoß und sie schauten Fynn und Justin beim Einschlagen zu. Die beiden in der Sonne zu sehen, war ein schöner Anblick. Allerdings war das auch eine Provokation für die homophoben Deppen. Ich wollte ihnen aber diesen schönen Moment nicht nehmen, hielt jedoch meine Augen offen.

Nach etwa zwanzig Minuten holte ich Justin und Fynn zu mir auf den Rasen. Wir machten die Abschlussbesprechung und dann schickte ich sie sich fertigmachen. Da es in Kürze für sie losging, sollten sie fertig sein, wenn sie aufgerufen werden.

Schnell schrieb ich Thorsten noch eine Mail mit den ersten tollen Ergebnissen. Dann setzte ich mich zu Stef und Luc auf den Rasen und genoss noch ein paar Minuten die Sonne.

„Fängt gut an, euer Turnier. So darf es auch weitergehen.“

„Das kannst du laut sagen. So stark habe ich Dustin schon ganz lange nicht mehr gesehen. Und was mich besonders freut, seine Lockerheit auf dem Platz.“

„Nicht nur auf dem Platz. So verspielt hab ich ihn auch noch nie gesehen. Ich finde das total gut, dass er nicht mehr so ängstlich ist. Hoffentlich wird das hier nicht bestraft. Es wäre fatal für Dustin.“

„Ja, Luc. Das stimmt. Allerdings müssen wir wachsam sein, diese Schwachmaten sind zu allem fähig. Ich habe übrigens über deine Idee nachgedacht. Hast du mit deinem Vater schon gesprochen?“

„Nein, sollte ich doch nicht. Was denkst du jetzt darüber?“

„Ich weiß es nicht. Einerseits finde ich das blöd, was hier abläuft. Andererseits macht es mir zusätzlich Druck und manchmal fühle ich mich nicht gut dabei. Ich trage die Verantwortung für alle. Auch für euch. Vielleicht sollte ich mit deinem Vater mal telefonieren und das mit ihm besprechen. Was denkst du?“

„Mach das doch einfach. Allerdings kenne ich seine Antwort bereits. Ich weiß aber nicht was Mama macht. Wenn sie erfährt, dass wir vielleicht auch in Gefahr sind, dann tickt sie möglicherweise komplett aus.“

„Hm, das wäre kontraproduktiv. Das müsste Marc dann irgendwie verhindern. Also gut, ich werde deinen Vater später anrufen und das mit ihm besprechen. Beim letzten Gespräch war er noch recht entspannt, aber die Lage hat sich nicht wirklich entspannt.“

Stef hatte uns bislang schweigend zugehört. Jetzt setzte er sich auf und sagte:

„Chris, warum lässt du dir so ungern helfen? Mir hast du immer gesagt, Freunde sind dafür da, einem in schwierigen Situationen zu helfen. Marc und Sabine sind deine Freunde.“

Was sollte ich darauf antworten. Stef hatte mich an meiner Schwachstelle getroffen, meinem Ego. Ich wollte die gestellten Aufgaben allein bewältigen.

„Okay, okay. Ich gebe mich ja geschlagen. Ich telefoniere mit Marc und mit Thorsten. Dann sehen wir weiter, in Ordnung?“

„Was sagt dein Bruder eigentlich zu dieser Sache? Warum hilft er dir eigentlich nicht dabei?“

„Das tut er, Luc. Er hat mich sofort angerufen und sich um die Security gekümmert. Da hat er drauf bestanden. Aber er ist ständig unterwegs, da kann er sich nicht persönlich um mich kümmern.“

„So? Du würdest dich auch persönlich um uns kümmern, wenn wir in Not wären und du unterwegs. Du würdest alles in Bewegung setzen, wenn es nötig wäre. Das ist kein Argument.“

In diesem Moment kamen Justin und Fynn zu uns.

„Chris, wir müssen beide spielen. Leider auf Platz zehn und Platz eins.“

Die lagen sehr weit auseinander. Das war zwar blöd, aber nicht zu ändern. Interessanterweise ließ der Veranstalter Justin auf dem Center Court spielen. Er wollte ihn anscheinend den Sponsoren zeigen. Immerhin war Justin der jüngste Spieler im Hauptfeld.

Ich stand vom Rasen auf und begleitete meine Spieler zu ihren Plätzen. Ich entschied mich, zuerst bei Justin auf der Tribüne Platz zu nehmen. Es gab für die Coaches extra abgesperrte Bereiche. Dort hatten Zuschauer keinen Zutritt.

Dustin hatte ich den Auftrag gegeben Fynn zu betreuen und Maxi sollte mich informieren und zwischen beiden Spielen wechseln. So war ich stets in der Lage einzugreifen, falls es notwendig sein würde. Stef und Luc wollten bei Fynn zuschauen. Das war verständlich, denn zu Fynn hatten sie einfach den engeren Bezug als zu Justin und somit für mich auch absolut in Ordnung.

Justin betrat mit seinem Gegner den Platz und nahm direkt mit mir Blickkontakt auf. Ungewöhnlich, denn sonst spielte er eher für sich und ohne Kontakt nach außen. Das machte mir bislang das Coachen nicht besonders einfach. Doch heute lief es von Beginn an anders, er kommunizierte oft mit mir, wenn auch nur mit Blicken. Ich schaute mich während des Spieles auch im Stadion um. Es gab sogar Kamerapodeste auf denen TV-Kameras montiert werden konnten.

Der Beginn verlief spektakulär. Die beiden hauten sich ständig die Grundschläge mit einer unfassbaren Geschwindigkeit um die Ohren. Aber nicht nur ein oder zweimal pro Ballwechsel, nein zwanzig und mehr Ballkontakte pro Ballwechsel. Einfach unglaublich. Justin ließ sich nicht beeindrucken und hielt dagegen. Mir blieb immer wieder die Luft weg, so heftig waren die Ballwechsel. Justin spielte seinen viel besser eingestuften Gegner förmlich an die Wand, hatte immer eine bessere Antwort und gewann den ersten Satz tatsächlich mit 7:5. Eine phantastische Leistung, allerdings hatte ich große Zweifel ob er das durchhalten könnte.

Er strahlte eine sehr positive Energie aus, hatte ständig ein Lächeln im Gesicht und sein Blick ging zu mir. Ganz anders als sonst. Er wirkte gelöst und bei den Seitenwechseln fast fröhlich. So hatte ich ihn auf dem Platz noch nie erlebt. Es tat ihm aber sichtlich gut. Sein Spiel wurde noch gefährlicher und variabler. Er spielte noch selbstbewusster.

Plötzlich tauchte Stef an meinem Platz auf.

„Hey, was ist denn los? Du bist ja total aufgeregt.“

„Kannst du bitte sofort zu Fynn kommen. Es gibt Probleme.“

„Okay, kannst du bei Justin bleiben? Er braucht jemanden, den er kennt und der ihm Sicherheit gibt.“

Stef nickte nur und setzte sich auf meinen Stuhl, während ich mich zu Fynn begab. Dort erwartete mich eine komische Situation. Fynn spielte vollkommen verkrampft und gehemmt. Immer wieder schaute er hilfesuchend nach außen. Wo war Dustin? Ich konnte ihn nicht sehen. Das konnte doch nicht wahr sein. Was war hier passiert?

Schnell lief ich zu Luc, der auch ziemlich nervös am Zaun stand.

„Wo ist Dustin?“, fragte ich direkt.

„Ich weiß es nicht. Er wollte nur zur Toilette gehen. Aber er ist von dort noch nicht zurückgekehrt.“

„Okay, hatte er etwas gesagt als er ging? War ihm nicht gut oder sonst irgendetwas?“

Luc schüttelte nur seinen Kopf.

„Er ist dort auch nicht mehr. Stef war schon nachsehen. Danach habe ich ihn dann zu dir geschickt. Was ist, wenn etwas passiert ist?“

„Du bleibst bitte hier, ich gehe ihn suchen. Er wird sich schon nicht in Luft aufgelöst haben.“

Allerdings wusste ich auch ganz genau, dass Dustin Fynn niemals länger als nötig allein spielen lassen würde. Hier stimmte etwas nicht. Schnell war ich im Turnierbüro und bat dort, Dustin auszurufen. Das taten sie auch umgehend, aber von Dustin keine Spur. Jetzt wurde ich doch nervös. Ich fragte in der Organisation nach, ob es einen medizinischen Notfall oder ähnliches gegeben hatte.

Plötzlich sprach mich jemand an. Er wies sich als Sicherheitsmitarbeiter aus und bat mich, ihm zu folgen. Alles, was ich jetzt nicht gebrauchen konnte, war ein Zwischenfall mit unseren homophoben Arschlöchern. Wir gingen in einen Bereich, der für Zuschauer gesperrt war. Irgendwie hatte ich das Gefühl, hier würde es von Sicherheitsleuten nur so wimmeln. Meine Begleitung führte mich in einen Raum, wo ich Dustin in einem Sessel fand. Als ich den Raum betrat, sprang er auf und umarmte mich.

„Endlich bist du da. Ich habe schon so lange auf dich gewartet. Aber sie wollten mich nicht gehen lassen. Wo warst du?“

Na, das war aber eine komische Begrüßung.

„Diese Frage hätte ich dir jetzt gern gestellt. Was ist hier los? Warum bist du nicht zurück an den Platz gegangen?“

„Weil wir ihn gebeten hatten, mit uns zu kommen. Es baute sich eine brenzlige Situation auf. Deshalb wollten wir ihn bei uns haben. Hier ist er absolut sicher. Es scheint aber ein Problem mit der Kommunikation gegeben zu haben. Eigentlich sollten Sie darüber informiert werden und Dustin hier bitte abholen.“

Jetzt war ich aber komplett verwirrt und ließ mir die Situation genau erklären. Anschließend war es mir klar geworden. Zwei der Angreifer hatten sich an Dustin herangemacht und ihn bedrängt. Aus Sicherheitsgründen hatte die Security eingegriffen und Dustin hierher gebracht. So bat ich darum, ihn jetzt mitnehmen zu können.

Fünf Minuten später waren wir wieder am Platz, aber Fynn hatte den ersten Satz abgegeben. Seinen Spielfaden hatte er komplett verloren.

„Dustin, geh zu Fynn an den Platz und beruhige ihn. Sag ihm, ich erkläre es ihm später und er soll sich beruhigen. Luc, du begleitest Dustin bitte. Ihr geht heute keinen Weg mehr allein über die Anlage.“

Diese neue Situation brachte meinen Turnierplan für heute durcheinander. Ich musste mich erst einmal neu sortieren. Das Match von Fynn geriet dadurch etwas in den Hintergrund. Das war natürlich nicht richtig und das ärgerte mich auch total. Fynn konnte überhaupt nichts für die neue Lage und brauchte jetzt meine Hilfe mehr denn je. Immerhin verfehlte die bloße Anwesenheit von Dustin am Platz bei Fynn nicht ihre Wirkung. Er beruhigte sich sofort und kam sogar schnell wieder in sein Spiel zurück.

Meine Gedanken zu sortieren fiel mir recht schwer. Immer wieder kreisten sie zurück zur Bedrohungssituation. Ich musste mich zwingen, gedanklich ausschließlich auf dem Tennisplatz zu sein. Nachdem sich Fynn wieder stabilisiert hatte, wollte ich zurück zu Justin gehen, aber Stef kam bereits zu uns.

„Du brauchst nicht mehr zu Justin zu gehen. Er hat seinen Gegner im zweiten Satz total im Griff gehabt und nichts mehr anbrennen lassen. Unglaublich, wie selbstbewusst er spielt. Auch, als du nicht zurück an den Platz gekommen bist, hat er die Ruhe behalten und sein Spiel gemacht.“

„Danke, Stef. Das hört sich doch toll an. Sorry, aber ich konnte dich nicht informieren, weil hier einiges nicht so gelaufen ist, wie es geplant war. Ich glaube, wir müssen heute nach dem Spielbetrieb zusammen sprechen. Die Situation hat sich verändert.“

„Hast du Thorsten und deinen Bruder schon informiert?“

„Nein, wann soll ich das denn gemacht haben. Dafür hatte ich noch gar keine Zeit, jetzt ist Fynn erst einmal wichtiger.“

Stef ging zu Luc und sie flüsterten etwas miteinander, das ich nicht verstehen konnte. Ich stand zu weit weg. Allerdings konnte ich recht schnell erkennen, was ihre Strategie war. Alle vier stellten sich demonstrativ geschlossen hinter die Bank von Fynn. Sie bildeten einen Riegel und feuerten ihren Freund nach jedem Punkt lautstark an. Ein tolles Bild und ich beschloss, mich zu ihnen zu stellen und meine Strategie zu ändern.

Ich begann, Fynn offen zu coachen. Zumindest im Rahmen der Möglichkeiten. Klar, manches war grenzwertig, aber es war mir egal. Zum Ende des zweiten Satzes bekam ich eine Ermahnung des Schiedsrichters. Das war das Signal, mich etwas zurückzunehmen. Ich wollte auf keinen Fall eine Verwarnung riskieren.

Das Ganze hatte aber einen positiven Nebeneffekt. Ich musste mich ausschließlich auf das Spiel konzentrieren und konnte meine Gedanken nicht mehr abschweifen lassen. Fynn spürte meine Sicherheit und steigerte sich von Spiel zu Spiel. Einfach großartig, wie er sich nach dieser für ihn schwierigen Lage, aus dem Tief spielte und zum Ende des Matches dominierte. Er gewann den dritten Satz mit 6:3!

Was für ein unglaublicher Start in dieses Turnier. In jeder Hinsicht bemerkenswert. Ich ließ Dustin und Fynn allerdings keine Sekunde aus den Augen, als sie sich auf dem Platz umarmten. Maxi stand erst schweigend neben mir. Dann fragte er mich:

„Was geht dir gerade durch den Kopf? Über irgendetwas denkst du nach. Oder weshalb kannst du dich nicht so freuen über unseren tollen Erfolg?“

Ich blickte ihm in die Augen und dann machte es „klick“ in meinem Kopf.

„Du hast recht. Ich kann mich gerade nicht freuen. Weil es hier Leute gibt, die mit allen Mitteln versuchen uns einzuschüchtern oder zu bedrohen. Das macht es mir momentan unmöglich, mich zu freuen.“

„Kann ich verstehen, aber ist das richtig? Das ist doch genau das, was die wollen. Wir sollten genauso weitermachen. Das wird sie viel mehr ärgern, als jede weitere Maßnahme. Abgesehen davon solltest du jetzt nicht auf die Idee kommen zu glauben, du hättest Schuld daran. Dann wirst du uns richtig kennenlernen. Wir brauchen dich als Coach und nicht als zweifelnden Freund. Hast du kapiert? Wir halten zusammen, das macht uns so stark.“

Das machte mich sprachlos und ich musste einfach lachen. So eine Ansage hatte mir schon lange keiner mehr gemacht. Endlich konnte ich mich auch freuen und Fynn gratulieren. Fynn lachte mich befreit an mit Dustin im Arm. Ein tolles Bild. Das durften wir uns nicht nehmen lassen, von niemandem. Mein Entschluss war gerade gefallen. Ich wusste, was zu tun war. Die Jungs hatte ich schnell zusammengeholt und gemeinsam hatten wir uns für heute Abend zu einer Besprechung verabredet. Luc hatte die Idee, dass wir uns bei ihnen im Hotel treffen sollten. Dort würde man uns nicht erwarten und wir hätten unsere Ruhe.

Bevor wir die Anlage verließen, hatte ich mir noch die Spielzeiten für den nächsten Tag geben lassen. Auf dem Weg zum Auto ging ich noch bei der Security vorbei. Ich wollte wissen, ob es mittlerweile geklärt sei, um wen es sich bei den Tätern handelte.

Die Namen waren bekannt, aber da sie Dustin nicht tätlich angegriffen hatten, sondern ihn nur belästigten, war das noch kein Grund sie festzusetzen.

Im Bus herrschte trotz der schwierigen Situation gute Laune. Die Jungs freuten sich über ihre Erfolge und Maxi rechnete schon die Punkte für die Weltrangliste aus. Es war komisch, mir war einfach nicht nach Feiern zumute. Mir gingen andere Gedanken durch den Kopf. Dass es so schwierig werden würde in der Profiszene, hatte ich nicht gedacht. Ich bekam wieder Zweifel. Zweifel an mir selbst. Es nagte an mir. Sollte ich hier bleiben und das Turnier fortsetzen oder nach Hause fahren? Egal wie ich mich entscheiden würde, es könnte falsch sein.

In unserem Hotel zog ich mich für einige Minuten in mein Zimmer zurück. Ich wollte etwas Ruhe finden und mich neu sortieren. Als ich vor dem Fenster stand und auf die Küste schaute, gingen meine Gedanken zurück nach Kitzbühel. Die Schmerzen und die Panik fühlten sich plötzlich wieder sehr aktuell an. Ich bekam eine Gänsehaut. Aber nachgeben wäre genau das, was die Leute erreichen wollten. Genau das wollte ich nicht, aber war das Risiko noch vertretbar?

Es klopfte.

„Herein.“

Die Tür öffnete sich und Dustin und Fynn kamen in mein Zimmer.

„Hi, wie geht es dir?“, fragte mich Fynn.

„Es geht so. Es wäre gelogen wenn ich sagen würde, es geht mir gut. Wie geht es euch denn mit dieser Sache?“

„Ich kann es gar nicht so genau sagen. Dustin meint, diese Typen seien einfach ekelhaft. So arrogant und hasserfüllt. Ob sie auch gewalttätig werden, kann man nicht ausschließen. Auch wenn es noch keine Übergriffe gegeben hat. Es ist einfach ätzend. Aber wir sind noch alle im Turnier und auch das ist für das Team wichtig. Luc hat mich um etwas gebeten.“

„Ok, was möchte er denn?“, fragte ich.

„Er möchte, dass du noch vor der Besprechung mit Marc und deinem Bruder telefonierst. Er glaubt, dass du nicht alles allein verantworten solltest. Versteh uns bitte nicht falsch, wir machen uns Sorgen. Wir brauchen dich noch. Und zwar gesund und munter. Wenn du ständig auf zwei Baustellen arbeiten musst, kann das nicht gutgehen.“

„Ah, okay. Und was soll sich ändern, wenn ich mit Marc und Jan telefoniert habe? Sie können mir hier die Entscheidungen nicht abnehmen. Sie sind nicht hier.“

„Nein, abnehmen können sie dir die Entscheidungen nicht, aber sie können dich beraten und vielleicht etwas tun, was du noch nicht im Kopf hast.“

Während ich mit Fynn dieses Gespräch führte, blieb Dustin still im Hintergrund. Aber er beobachtete mich genau. Plötzlich meldete er sich zu Wort:

„Ich möchte, dass du Jan anrufst und ihn um Hilfe bittest. Warum kann nicht ein weiterer Coach herkommen, der dich entlastet? Oder Marc könnte uns helfen. Er kennt so viele Leute auf der ganzen Welt. Warum musst du hier immer alleine kämpfen? Du willst immer alles allein lösen. Uns sagst du immer wieder, man muss nicht alles allein machen. Warum willst du dann immer allein kämpfen?“

Irgendwie waren das vertauschte Rollen. Aber ich musste zugeben, dass Dustins Einwand nicht falsch war.

„Ihr denkt, es wäre in Ordnung, wenn ich mir bei Jan Unterstützung holen würde?“

„Auf jeden Fall. Er kann doch herkommen, wenn er nicht glaubt, dass die Lage hier schwierig und unangenehm ist. Dann wird er schnell merken, dass die Lage nicht so einfach ist.“

„Eine andere Frage, wie wollt ihr mit der Situation weiter umgehen?“

Sie schauten sich an und wie aus der Pistole geschossen antworteten sie:

„Weiter kämpfen, gute Spiele machen und sich nicht mehr verstecken. Wir werden gewinnen, ganz sicher. Jetzt sind wir vorgewarnt. Eine Situation wie Kitzbühel gibt es nie wieder. Du musst dir aber auch die Chance geben, sich zu erholen. Immer am Limit hält kein Körper aus. Auch deiner nicht.“

Es war für mich gerade nicht einfach. Warum konnte ich das Angebot von meinem Bruder nicht einfach annehmen und Hilfe anfordern? Er hatte es mir angeboten, aber ich wollte mir nicht eingestehen, dass mich diese Situation mehr belastete als erwartet. Es war auch ungewöhnlich, dass ein Coach in der Base um Unterstützung vor Ort bat. Mir war kein anderer Fall bislang bekannt, bei dem das vorgekommen war.

„Es ist nicht so einfach wie ihr denkt. Aber ihr habt schon etwas Richtiges gesagt. Mein Körper reagiert auf diese Situation. Und das fühlt sich nicht gut an. Also gut, richtet Luc aus, ich werde mich mit Jan und Marc beraten. Dann sehen wir weiter. Wir sehen uns dann gleich unten am Bus, damit wir zu Luc und Stef fahren können.“

Dustin und Fynn verließen mit einem Lächeln mein Zimmer. Der Griff zu meinem Handy kam automatisch und ich rief zuerst bei Thorsten in Halle an. Jan wäre eh unterwegs und da wüsste ich nie, wo ich ihn gerade erwische.

„Leibig“, meldete sich Thorsten schnell.

„Hallo Thorsten, Chris hier.“

„Hi Chris, ihr seid ja bombig ins Turnier gestartet. Was liegt an?“

Ich erklärte ihm die Lage und was mein Problem war. Er hörte sich ruhig meine Schilderungen an und fragte dann:

„Wie geht es dir jetzt? Was macht die Situation mit dir wirklich?“

„Momentan fühle ich mich nicht gut. Ich kann die Situation so schlecht einschätzen. Das macht mich unruhig. Und die Angst aus Kitzbühel kommt wieder. Das ist das Schlimmste. Ich kann mich nicht dagegen wehren.“

„Verstehe ich gut. Aber warum willst du dich dagegen wehren? Lass die Angst doch einfach zu. Es ist nur menschlich und nachvollziehbar. Angst erhält einen am Leben. Das war mal dein Spruch. Das solltest du dir selbst auch zu Herzen nehmen. Pass auf, ich werde deine Situation hier im Team sofort ansprechen und wir werden dir jemanden zur Unterstützung schicken. Damit du dich besser auf die Aufgabe als Coach konzentrieren kannst. Ich schreibe dir nachher noch eine Mail. Ist das okay?“

„Ja, danke dir. Ich werde gleich noch mit Marc telefonieren. Luc hat darauf bestanden, dass ich mich mit seinem Vater beraten soll.“

„Hihi, wie der Vater so der Sohn. Marc kann auch sehr bestimmend sein, wenn es um seine Kinder geht. Tu das. Du solltest mit ihm telefonieren, ja.“

Dieses Gespräch verlief doch besser als befürchtet. Thorsten hatte nicht einmal gemeckert oder gesagt, dass eine Unterstützung nicht möglich sei. Ich fühlte mich auch nicht mehr so schlecht. Jetzt stand noch das Gespräch mit Marc an.

Marc hörte sich meine Schilderungen ruhig an. Er ließ mich erzählen und unterbrach mich nicht. Als ich eine Pause machte, fragte er:

„Wie lange soll das noch so weitergehen? Ich würde dir vorschlagen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Vielleicht eine Pressemitteilung oder… . Nein, ich weiß etwas Besseres. Ich werde mit einem befreundeten Journalisten Kontakt aufnehmen. Er soll einen Bericht über euch machen und das zum Thema machen.“

„Das ist sicher keine schlechte Idee, aber Jan will über solche Dinge immer informiert werden. Und ich weiß nicht, ob er das so gut finden würde, wenn wir ohne Rücksprache so eine Sache machen.“

„Dann informiere deinen Bruder. Er wird nichts dagegen haben. Im Gegenteil, so wie ich ihn kennengelernt habe, wird er das gut finden. Sprich mit den Jungs, ob sie einverstanden sind. Ich werde mich dann darum kümmern. Das sollst du nicht machen. Deine Aufgabe ist vor Ort die Jungs betreuen und das Turnier gewinnen.“

„Haha, sehr witzig. Aber wir geben alles.“

„Ich finde das nicht witzig. Ich weiß, dass deine Jungs Außergewöhnliches leisten können. Also brauchen sie deine volle Energie am Platz. Alles, was außerhalb des Platzes gegen euch läuft ist nicht mehr deine alleinige Aufgabe. Ich würde dir noch einen anderen Vorschlag machen. Lass mich deinen Bruder kontaktieren. Ich werde ihm direkt erklären, was ich machen möchte. Danach sprechen wir beide das weitere Vorgehen ab. Was hältst du davon?“

„Ja, das wäre mir sehr recht. Ich würde lieber hier auf dem Platz agieren, als mich noch zusätzlich um die Nebenschauplätze zu kümmern. Mir wird das einfach zu viel.“

„Das kann ich gut verstehen. Deshalb sollst du ja auch Hilfe bekommen. Lass mich mal machen. Das wird schon. Aber wenn das bei euch schlimmer wird, meldest du dich umgehend.“

„Ja, mache ich. Das ist versprochen.“

Nachdenklich nahm ich die Schlüssel und verließ unser Apartement. Auf dem Parkplatz warteten bereits meine Jungs auf mich. Maxi fragte mich:

„Hast du deinen Bruder erreicht?“

„Nein, aber Thorsten. Steigt ein, ich erkläre euch die Situation auf der Fahrt zu Luc und Stef.“

Nachdem ich sie über den neuesten Stand informiert hatte, wartete ich auf ihre Reaktion.

„Luc wird zufrieden sein. Schließlich war es seine Idee, dich davon zu überzeugen, nicht länger als Einzelkämpfer zu agieren.“

„Das denke ich auch, Fynn. Marc wird bestimmt etwas bewegen und uns unterstützen. Thorsten kümmert sich sicherlich auch um unser Anliegen. Aber eine Frage habe ich, Chris. Warum hält sich eigentlich dein Bruder immer aus diesen Sachen heraus? Er könnte doch in dieser Situation auch eine Menge Bekanntheit erringen und wenn er persönlich bei diesem Problem eingreifen würde, dürfte er wahrscheinlich auch eine gute Presse erwarten. Das wäre für das Team doch auch nicht verkehrt.“

Justin erstaunte mich immer mehr. Er begann sich richtig für das Team zu interessieren. Er war ja erst wenige Wochen bei uns. Dafür entwickelte er sich immer mehr zu einem Teamplayer.

„Jan ist bereits so bekannt, dass er in der Regel für diese Dinge keine Zeit mehr hat. Er steht ständig in der Öffentlichkeit. Ich glaube, dass ich meinen Bruder im letzten Jahr mehr im Fernsehen gesehen habe, als leibhaftig in Halle oder in der Familie. Von daher ist dein Gedanke nicht ganz richtig.“

„Aber er könnte dir trotzdem den Rücken mehr stärken und sich um dieses Problem kümmern.“, warf Fynn jetzt etwas vorwurfsvoll ein.

„Leute, jetzt macht mal einen Punkt. Jan hat mir deutlich signalisiert, dass er sich kümmern wird. Lasst uns doch erst einmal die Teamsitzung abwarten und dann werdet ihr sehen, dass er wie immer seine Versprechen auch halten wird. Er wird uns die nötige Unterstützung zukommen lassen.“

„Das hat dir Thorsten gesagt. Jan hat doch mit dir noch gar nicht gesprochen. Das finde ich enttäuschend.“

Meine Jungs waren mir zu negativ. Das störte mich gewaltig.

„Leute, jetzt mal langsam. Ich habe mit Jan schon gesprochen. Er hat mir Unterstützung angeboten. Da habe ich noch gedacht, es würde ohne Hilfe gehen. Jetzt habe ich Thorsten signalisiert, dass ich mich nicht mehr gut fühle. Was soll das jetzt mit dieser harschen Kritik?“

Die Jungs schwiegen für einen Augenblick, dann gab sich Maxi einen Ruck.

„Sorry, aber wir machen uns Sorgen und glauben, dass du dir zu viel Last aufhalst. Wir möchten, dass du Hilfe annimmst und wir weiter mit dir erfolgreich sind. Wenn du krank bist oder vielleicht schlimmeres passiert, dann hilft uns das nicht.“

Wow, damit hatte ich nicht gerechnet. Sie machten sich ernsthaft Sorgen um mich. Das tat mir sowohl gut, als auch weh. Ich wollte nicht, dass sie sich um mich Gedanken machten. Aber es war andererseits ein schönes Gefühl, dass meine Arbeit von ihnen anerkannt wurde.

„Also ganz klar: ich habe Thorsten um Unterstützung gebeten. Er hat sie mir zugesagt und Marc wollte auch mit Jan Kontakt aufnehmen. Also habt etwas Geduld bis morgen. Jetzt lasst uns mit Luc und Stef zusammen den Abend verbringen. Sie wollen schließlich auch wissen, wie es weitergeht.“

Als wir an der angegebenen Adresse ankamen, staunte ich nicht schlecht. Das war ein sehr schönes Hotel, direkt an der Küste gelegen. Das hatte Stil. Mir gefiel es sehr gut, allerdings nur vom Stil her. Preislich war das überhaupt nicht mehr meine Liga.

Ich wunderte mich über Lucs Auswahl. Eigentlich stand er überhaupt nicht auf Luxus und gehobenen Standard. Kurioserweise hatte das Hotel keinen Parkplatz. Also fuhr ich mit dem Bus vor das Portal, um mich zu erkundigen wo ich das Auto abstellen konnte. Der Doorman öffnete uns die Fahrzeugtüren und ich fragte ihn nach einer Parkmöglichkeit. Er lächelte mich an und bevor ich etwas machen konnte, hatte er bereits einem Mitarbeiter ein Zeichen gegeben. Ein junger Mann kam zu mir und ließ sich von mir den Autoschlüssel geben, um den Wagen in der Tiefgarage abzustellen. Wir mussten uns um gar nichts kümmern. Und das, obwohl wir ja nur Besucher waren. Das nannte ich mal freundlichen Service.

An der Rezeption wurden wir direkt nach oben geschickt. Luc hatte uns bereits angemeldet. Die Einrichtung war gediegen, aber funktional. Überall auch moderne Technik. Irgendwie passte das allerdings nicht zu Luc und Stef. Sie legten sonst wenig Wert auf diese Form von Luxus. Erst recht stutzte ich, als wir von ihnen empfangen wurden. Sie wohnten in einer Suite, die es in sich hatte.

„Wow, das nenne ich mal eine Absteige.“, grinste Maxi.

Die anderen waren sichtlich beeindruckt über diesen Luxus. Obgleich alles ohne Zweifel luxuriös war, empfand ich es nicht pompös. Es passte zusammen, aber halt nicht zu einem so jungen Paar wie Luc und Stef.

„Bevor ihr auf dumme Gedanken kommt“, warf Stef ein, „wir haben uns das nicht ausgesucht. Marc hatte sich darum gekümmert und das gebucht. Wir jedenfalls nicht. Aber es ist schon toll.“

„Das beruhigt mich aber. Ich hätte mir ernsthaft Sorgen gemacht, wenn ihr hier nicht bleiben wolltet. Vor allem, wenn Marc es ausgesucht hat und mit Sicherheit weiß, was er euch gibt.“

„Schon, Chris. Dennoch war es für uns recht seltsam, als wir hier ankamen, um den Zimmerschlüssel baten und uns dann der Page ziemlich komisch anschaute, dass zwei Jungs sich so eine Suite leisten können.“

Nach diesem Spruch musste ich lachen und meine Jungs auch.

„Habt ihr schon etwas zu Abend gegessen?“

„Nein, wann sollten wir das geschafft haben? Dustin und Fynn wollten sofort los.“

„War ja klar, die beiden haben halt Sehnsucht nach ihren gleichgesinnten Freunden. Da musste Chris auf sein geliebtes Essen verzichten.“

Maxi zwinkerte mir zu und ich war gespannt, wie Fynn reagieren würde.

Es dauerte keine zwei Sekunden und er begann sich zu beschweren:

„Hey, das ist unfair. Ihr wolltet doch auch gleich los. Tut nicht….“

„Stopp, Fynn. Kein Wort mehr. Merkst du nicht, dass dich Maxi nur aufziehen will?“

Justin hatte es sofort bemerkt, dass wir ein Spiel mit Fynn spielten. Jetzt musste Fynn lachen. Schnell beruhigte sich alles wieder und Luc bat uns, mit ihm nach unten zu gehen. Er hatte einen Tisch für uns reservieren lassen.

Ich ahnte bereits, dass das alles zu Marcs Strategie zählte. Heute wäre ich gut beraten, Luc in der Planung nicht zu widersprechen. Vom Bezahlen ganz zu schweigen. Das ließ sich Marc nicht nehmen, uns etwas Gutes zu tun.

Als wir alle an einem wunderschön gedeckten Tisch Platz genommen hatten, bat Luc kurz um Ruhe.

„Bevor ihr auf falsche Gedanken kommt. Papa hat uns diese Reise gesponsort und uns nichts davon gesagt, was für ein Hotel er ausgesucht hatte. Allerdings genießen Stef und ich diese Tage sehr. Papa hat mir aber auch gesagt, dass er heute für unser Dinner die Rechnung bezahlt. Also macht euch keine Gedanken über die Kosten. Lasst es uns gutgehen und ….. 'Auf euren morgigen erfolgreichen Turniertag'.“

Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht. Es wurde selbstverständlich mit alkoholfreien Getränken angestoßen. Schließlich hatte das Turnier gerade erst begonnen. Die Arbeitshaltung der Jungs erfreute mich heute Abend besonders. Kein Alkohol und auch beim Essen achteten sie auf eine passende Wahl des Essens, ohne dass ich etwas sagen musste.

Fynn: Chris macht Fortschritte

Unser gemeinsamer Abend bei Luc und Stef fing vielversprechend an. Chris hatte unsere Bitte angenommen und sich mit Thorsten und Lucs Vater in Verbindung gesetzt. Das beruhigte Stef und mich etwas. Chris hatte sich ziemlich verausgabt und sah angeschlagen aus. Unser Turnier war gerade erst angefangen und wir brauchten ihn mehr denn je. Leider zog er sich die Situation mit den homophoben Deppen persönlich an. Und das wiederum zehrte an seinen Nerven und seiner Substanz.

Wir Jungs hatten uns dahingehend besprochen, dass wir mehr auf Chris aufpassen wollten. Natürlich hatte er weiterhin alle Fäden in der Hand und unsere Matchvorbereitungen waren wie immer perfekt. Dennoch wirkte er nicht so fröhlich, wie wir es sonst kannten. Auch heute Abend blieb Chris immer dezent im Hintergrund. Er beteiligte sich zwar an unseren Gesprächen, aber er erzählte uns wenig von seinen Erfahrungen.

„Sag mal Luc, was hat dein Vater jetzt vor? Er hat dir doch bestimmt verraten, was er jetzt zu tun gedenkt.“

Maxi fragte das vor dem Nachtisch. Ein ungünstiger Zeitpunkt, denn Chris mochte es überhaupt nicht, während des Essens über Tennis zu sprechen. Er achtete immer darauf, dass wir uns ausschließlich auf das Essen konzentrieren sollten. Chris hatte schon Luft geholt, um Maxi zurechtzuweisen, aber Luc war schneller:

„Nicht jetzt, ich möchte darüber nicht beim Essen sprechen.“

Chris stutzte und für einen Moment glaubte ich bei Chris so etwas wie Erstaunen zu erkennen, aber er fing dann plötzlich an zu lachen. Ein heftiges, befreites Lachen wie schon lange nicht mehr. Dann klatschte Chris sogar kurz Beifall und meinte:

„Wow, da hat jemand gut zugehört. Diese Antwort hätte ich nicht besser geben können. Darf ich dich als meinen Assistenten einsetzen? Dann kann ich diese ganzen Dinge an dich abgeben. Du sorgst für Disziplin und Ordnung und ich für die sportlichen Dinge.“

„Auf keinen Fall, Chris. Dann hätten wir gar nichts mehr zu lachen und Luc würde uns an der kurzen Leine halten.“

„Hast du Schiss, Maxi? Dann sei vorsichtig mit deinen Aussagen und halte dich an die Regeln. Ich überlege mir das mal. Chris, wenn ich das mache, darf ich dann auch die Regeln bestimmen?“

Was ging denn hier ab? Luc schien diesen Steilpass sofort aufzunehmen und hatte deutliches Oberwasser. Ob das gutgehen würde, ohne großes Desaster? Hoffentlich machte Chris diese Androhung nicht wahr.

„Leute, keine Aufregung. Ich werde weiterhin alles so belassen wie bisher. Ihr müsst nicht immer gleich alles wörtlich nehmen. Dennoch möchte ich während des Essens einfach nicht über die Arbeit sprechen. Dafür haben wir im Anschluss noch genug Zeit.“

Chris hatte ein gutes Gespür für die Situation. Schnell beruhigte sich die Stimmung wieder und der köstliche Nachtisch hatte unsere ganze Aufmerksamkeit mehr als verdient.

„Chris, was hast du eigentlich mit Papa besprochen?“, fragte Luc, als wir vom Restaurant in den Hotelgarten gewechselt waren.

„Dass er sich direkt mit meinem Bruder in Verbindung setzen wollte und eine Öffentlichkeitsstrategie entwickeln möchte.“

„Was heißt das? Was soll da passieren?“

„Marc möchte mit Absprache vom „Breakpoint-Team“ einen Pressetermin machen, vielleicht ein Interview, um damit die Öffentlichkeit auf unser Problem aufmerksam zu machen. Er ist der Meinung, dass ähnlich wie in Genf, eine positive Resonanz wichtig ist. Wenn die Zuschauer aufmerksam werden auf das Thema Homophobie, dann können wir vielleicht auch von mehr Menschen akzeptiert werden. Das würde den Deppen die Sache erheblich erschweren, uns und anderen Schwulen weiterhin nachzustellen.“

Ich wurde nachdenklich. Eines war mir klar geworden. Chris hatte weit mehr Probleme mit der aktuellen Situation, als mir bislang bewusst war. Chris wirkte angespannt. Auch Dustin war hier im Garten verdächtig still geworden. Nur Luc und Stef wurden immer angriffslustiger. Luc legte nach:

„Ich finde das gut und richtig. Sportlich seid ihr eh gut und werdet Erfolg haben. Das wird den Deppen weh tun, dass ein paar schwule Nachwuchsspieler die Szene aufmischen. Von daher wäre es wichtig, dass die ATP auf dieses Thema aufmerksam wird. Nur die ATP kann grundlegende Änderungen erwirken, in dem sie homophobe Spieler hart bestraft.“

„Luc hat Recht. Die ATP ist genauso gefordert, für die schwulen Spieler etwas zu tun. Wenn ich als Spieler dafür noch mehr tun kann, sagt es mir bitte. Vielleicht muss Marc auch selbst herkommen und seine Popularität nutzen, um die Presse aufmerksam zu machen.“

„Gut gesagt, Justin. Ich vermute, dass das Papas Plan sein wird. Er wird einfach hier auftauchen, ohne Vorwarnung und den Laden hier aufmischen. Und eines weiß ich genau, wenn Papa etwas unternimmt, macht er keine Gefangenen. Das hat er in Genf auch nicht getan. Die Reaktion des Veranstalters und der Presse hat ihm Recht gegeben. Vielleicht muss das hier in England auch erst ankommen.“

Chris blieb die ganze Zeit ruhig, aber er hörte uns aufmerksam zu. Er fragte uns zum Abschluss dieser Diskussion:

„Wäre es denn für euch in Ordnung, wenn wir uns der Presse stellen und die Karten offen auf den Tisch legen würden? Oder hat jemand von euch damit ein Problem?“

Justin war erneut der erste von uns, der sich zu Wort meldete.

„Damit hätte ich gar kein Problem. Ich würde auch jederzeit offen sagen, dass ich mit homosexuellen Menschen gar keine Probleme hätte, nur wegen ihrer Homosexualität. Viele Heteros benehmen sich fürchterlicher als meine Freunde. Von daher sollten wir in den Angriff gehen. Diese homophoben Deppen müssen dingfest gemacht werden. Am besten noch mit einem Exempel der ATP. Dann würden sich in der Zukunft viele andere Spieler vielleicht anders verhalten.“

Das war auch das Letzte, was Chris zu diesem Thema am Abend von sich gab. Luc und Stef hatten uns noch zu einem kleinen Besuch in der Hotelbar eingeladen. Dort gab es unglaublich viele verschiedene Cocktails. Vor allem auch alkoholfreie Cocktails von denen ich noch nie zuvor gehört hatte. Gegen halb zwölf bat uns Chris aufzubrechen. Schließlich hatten wir am nächsten Tag wieder einen harten Turniertag vor uns.

„Kommt gut ins Hotel und wir sehen uns dann morgen auf der Anlage. Ihr fangt um elf an zu spielen?“

„Ja, das ist richtig. Vielen Dank für eure Einladung. Es war ein toller Abend.“

Ich umarmte Luc und Stef und dann machten wir uns auf den Weg zum Hotel. Obwohl ich hundemüde war, lag ich noch einige Zeit im Bett wach. Mir gingen viele Gedanken durch den Kopf. Welche Spuren hatte Kitzbühel wirklich bei Chris hinterlassen? Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er in bestimmten Situationen sich zwingen musste, ruhig zu bleiben. Das musste für ihn extrem anstrengend sein, jetzt wieder in einer ähnlichen Lage zu sein. Hoffentlich würde es keine weiteren Zwischenfälle geben. Allerdings hatte ich wenig Hoffnung, dass es jetzt einfach aufhören würde.

Allerdings musste ich auch Chris loben, denn er hatte sich dieses Mal darauf eingelassen, aus Halle Hilfe anzufordern. Auch, dass er Marc angerufen hatte, machte mir Hoffnung. Vielleicht würde Chris durch die Hilfe wieder entspannter sein. Sonst hatte ich Sorge, dass er vielleicht bald einen Zusammenbruch erleidet. Dieser Gedanke war furchtbar für mich.

Irgendetwas spürte ich an meiner Stirn. Ich versuchte es mit meiner Hand wegzuschlagen, aber es kam immer wieder. Ich wollte einfach noch nicht aufwachen. Meinem Gefühl nach war es noch mitten in der Nacht. Erst als ich noch leise Stimmen vernahm, machte ich ein Auge auf. Da war es aber schon zu spät. Chris hatte angefangen mich zu kitzeln.

„Ihh, ihr seid so gemein.“, kreischte ich und sprang aus dem Bett.

Mein Freund lachte sich kaputt und auch Chris hatte seinen Spaß. Dustin stichelte:

„Selbst schuld, du hättest ja auch aufstehen können. Ich habe es immer wieder versucht, aber du hast wie ein Stein geschlafen.“

„Hm, wie spät ist es denn? Ich fühle mich so, als ob ich gerade erst eingeschlafen bin.“

„Es ist gleich acht und damit schon eine halbe Stunde über die Zeit. Sei froh, dass Chris heute gut gelaunt ist und dich nicht mit kaltem Wasser geweckt hat.“

Oh oh, das war gar nicht gut. Chris hatte eine große Abneigung gegen Unpünktlichkeit. Das würde ich mit Sicherheit heute noch häufiger zu hören bekommen. Chris verließ unser Zimmer und Dustin drängte mich zur Eile.

„Los, ab unter die Dusche. Wir müssen wenigstens zum Frühstück pünktlich sein. Sonst wird Chris noch richtig sauer.“

„Geh schon vor. Ich will nicht, dass du auch zu spät kommst. Ich beeile mich.“

Nur widerwillig verließ Dustin unser Zimmer. Ich ärgerte mich mittlerweile über meinen Fauxpas, aber es war jetzt passiert.

Im Laufschritt betrat ich den Frühstücksraum und als ich an unserem Tisch ankam, schaute Chris einmal auf sein Handy, grinste kurz und begrüßte mich:

„Das war jetzt aber allerletzte Sekunde. Herzlich willkommen beim Frühstück. Lasst uns jetzt in die Vorbereitung gehen und uns nur mit dem Turnier befassen.“

„Guten Morgen“, sagte ich, „sorry, ich habe es nicht geschafft rechtzeitig aufzustehen.“

Keiner der anderen machte einen dummen Spruch, nur mein Freund lächelte und zwinkerte mir zu. Was hatte das zu bedeuten? Ich war absolut davon ausgegangen, dass ich mir einiges an Hähme und Spott hätte anhören müssen.

Während des Frühstücks begann Chris mit der Strategieausrichtung bei Maxi. Er hatte es lieber schon früh, mit Chris über das Match zu sprechen. Während des Tages wollte Maxi seine Kräfte nur noch auf das Match konzentrieren.

Ich mochte es lieber, eine Stunde vor dem Match mit Chris zu sprechen.

Eine Stunde später zogen wir uns bereits auf der Anlage um und bereiteten uns für das Einschlagen vor. Chris war bei diesen Dingen nicht ständig bei uns. Er schaute sich unsere Gegner bei ihren Vorbereitungen an. Heute hätte ich es besser gefunden, er wäre die ganze Zeit bei uns geblieben, denn plötzlich kam Unruhe auf der Anlage auf. Irgendetwas schien zu passieren, aber wir konnten nicht erkennen, was geschah.

Das Einzige was auffiel, war die Tatsache, dass die Presseleute plötzlich alle in Richtung Clubhaus verschwanden. Dustin und ich störte das nicht. Im Gegenteil, so konnten wir ganz in Ruhe weiter unsere Vorbereitungen treffen.

Chris tauchte plötzlich mit Luc und Stef bei uns am Platz auf. Dafür unterbrach ich kurz den Ballwechsel mit Dustin, um sie richtig zu begrüßen. Dustin nutzte den Moment, um Chris zu fragen:

„Hast du eine Ahnung warum die Leute plötzlich alle Richtung Clubhaus gelaufen sind?“

„Ich vermute, es ist eine prominente Person gekommen. Die ganzen Presseleute sind wie verrückt losgestürmt. Umso besser, dann könnt ihr euch ungestört vorbereiten.“

„Ist immer wieder erstaunlich, wie die Menschen reagieren, nur weil ein Promi auftaucht. Ich finde das peinlich. Es ist doch auch nur ein Mensch wie wir. Hier geht es doch um Tennis und nicht, ob und was vielleicht ein Ed Sheeran hier macht.“

Nachdem Justin diesen Text rausgelassen hatte, fing Chris an zu lachen. Richtig befreit zu lachen. Es dauerte nicht lange und wir alle lachten uns fast tot über diesen Scherz.

„Hey Justin, du hast echt Talent für eine Comedyshow. Respekt, aber wie kommst du ausgerechnet auf Ed Sheeran?“

„Ganz einfach, bei uns in Kanada drehen alle Mädels komplett ab, wenn der Typ dort nur irgendwo auftaucht.“

Leider blieb es nicht mehr lange mit der Ruhe bei uns. Plötzlich bewegte sich eine Menschentraube in Richtung unserer Plätze. Die Presseleute mit ihren Warnwesten waren gut zu erkennen. Sie versuchten ständig Bilder zu machen, ohne dass sie überhaupt irgendetwas erkennen konnten.

Mir gefiel das überhaupt nicht und auch Chris schien das gar nicht gut zu finden, dass sich dieser Haufen von Menschen zu unseren Plätzen bewegte. Er versuchte so gelassen zu bleiben wie es ging, aber seine Blicke gingen immer häufiger zu dem Knäuel von Menschen.

Ich wusste von Chris, dass er große Ansammlungen von Menschen überhaupt nicht mochte. Und nach der Attacke in Kitzbühel war diese Angst nicht kleiner geworden. Chris holte uns an seiner Position zusammen.

„Jungs, kommt bitte einmal zu mir.“

„Was liegt an?“, fragte Justin.

„Passt auf, diese Leute da vorn, sind mir nicht geheuer. Ich möchte, dass ihr alle auf diese Seite geht und dort eine Serie Aufschläge macht. Dann ist immerhin noch ein halber Platz Distanz zu ihnen. Mir gefällt das gar nicht.“

Luc war mittlerweile mit Stef auch auf den Platz gekommen. Das war schon außergewöhnlich, denn sie wussten, dass sie eigentlich auf dem Platz stören würden. Chris ließ sie gewähren und bat sie ebenfalls mit an den Zaun auf der Seite, von wo wir aufschlugen. Ich hatte das Gefühl, Chris fühlte sich total unwohl in dieser Situation.

Gott sei Dank verschwanden sie genauso schnell wie sie gekommen waren. Keine Ahnung, was diese Aktion sollte. Chris ließ uns wieder normal aufwärmen. Immerhin war Maxi heute der erste, der auf den Platz gehen musste. Dustin und ich hatten noch etwas mehr Zeit. Justin spielte zwar parallel zu Maxi, aber das Match auf dem Center Court, auf dem er spielen sollte, fing erst eine halbe Stunde später an.

Chris holte Maxi und Justin zu sich. Die beiden packten ihre Sachen und wollten den Platz verlassen. Aber nicht ohne unsere guten Wünsche.

„Wartet, ihr könnt doch nicht einfach verschwinden. Wir müssen euch doch mit guten Wünschen auf die Reise schicken. Das geht sonst in die Hose.“

Justin schaute mich mit großen Augen an und erwiderte:

„Seit wann seid ihr abergläubisch? Aber das finde ich cool.“

Wir stellten uns alle, mit Chris, in einen Kreis und es gab ein kurzes aber lautes „auf geht´s“ und dann konnten Justin und Maxi den Platz verlassen.

Chris: Es wurde turbulent

Bis zu diesem komischen Ereignis mit den ganzen Presseleuten, war unser Tag normal und sehr ruhig verlaufen. Justin und Maxi waren bereits auf dem Platz, als ich mit Luc und Stef auf dem Rasen vor dem Clubhaus stand.

„Welches Match wirst du coachen?“, fragte Stef.

„Wie immer beide. Aber heute werde ich mich zuerst zu Maxi begeben. Justin braucht mich nicht sofort. Was werdet ihr machen?“

„Wir würden gern mit Fynn und Dustin noch etwas Zeit verbringen, bis sie dran sind. Ist das ok?“

„Klar, aber sie sollen sich auch konzentrieren können. Keine wilden Sachen, bitte. Lasst sie rechtzeitig in Ruhe.“

Sofort zischten sie ab. Ich konnte es aber auch verstehen. Sie hatten mit Sicherheit nicht so viele gleichaltrige und gleichgesinnte in ihrem Freundeskreis. Außerdem waren sie ja auch hauptsächlich ihretwegen hergekommen. Da musste ich jetzt auch damit rechnen, dass es für Dustin und Fynn nicht so optimal in der Vorbereitung sein würde.

Maxi begann sehr konzentriert und hielt das Spiel ausgeglichen. Leider machte er am Ende des ersten Satzes zwei Konzentrationsfehler. Damit war der Satz weg. Sein Gegner nutzte diese kleine Schwäche von Maxi sehr gut und machte auch direkt wieder ein Break im zweiten Satz. Danach fing sich Maxi wieder, aber er lief diesem Break ständig hinterher. Sein Gegner schlug sehr stark auf und Maxi bekam keine richtige Chance mehr für ein Break. 4:6 und 4:6 war das Ergebnis. Dennoch war ich nicht unzufrieden. Die Bäume wuchsen nicht in den Himmel und eine alte Schwachstelle hatte ihn wieder eingeholt.

Es gab allerdings einen wichtigen Unterschied zu früher. Er kam zur Nachbesprechung und konnte sehr genau sagen, was schlecht gelaufen war. Ich brauchte nur noch die positiven Dinge ansprechen, danach konnte ich mich zu Justin setzen. Unterwegs bekam ich noch von Dustin die Information, dass sie gleich auf den Platz gehen würden. Ich wünschte ihnen viel Erfolg. Bei Dustin würde ich die ersten Spiele wieder am Platz sein. Das war ihm sehr wichtig. Sein Freund konnte das jetzt nicht übernehmen, da Fynn selbst spielen würde.

Bei Justin kam ich erneut aus dem Staunen nicht heraus. Er zerlegte seinen Gegner wieder nach Strich und Faden. Es war beeindruckend, wie konsequent er eine Strategie umsetzen konnte. Damit war Justin im Viertelfinale eines Challengerturniers. Ich war begeistert und gleichzeitig beeindruckt, wie sich Justin bei uns entwickelte.

Schnell machte ich mich auf den Weg zu Dustin. Sein Spiel hatte gerade begonnen und er hatte schon nach mir gesucht. Das konnte ich an seinem suchenden Blick erkennen. Ich gab ihm mit einem Handzeichen zu verstehen, dass ich jetzt da war. Sofort lächelte er und nickte.

Ich war schon wieder im Tunnel und ohne Pause von Justins Match in Dustins Spiel eingetaucht. Meine Anspannung war groß, aber ich kannte es auch nicht anders. Erst als Dustin die ersten Spiele gut bewältigt hatte, wurde ich etwas ruhiger. Er hatte einen Gegner, der nicht unschlagbar war. Allerdings musste er dafür am absoluten Limit spielen. Mal schauen, ob das gelingen würde.

Beim Stand von 4:3 und dem folgenden Seitenwechsel, verließ ich Dustin um bei Fynn zu schauen. Auf dem Weg dorthin begegnete ich erneut einer Menschentraube, die überwiegend aus jungen Teenagern bestand. Alle hatten Fotos oder Zettel in der Hand, um ein Autogramm zu erhaschen. Ich konnte wieder nicht erkennen, um welchen Prominenten es sich handelte. Allerdings hatte ich auch keine Zeit, darüber lange nachzudenken.

An Fynns Platz angekommen, sah ich einen sehr gut aufgelegten Fynn. Er spielte sehr druckvoll und rückte konsequent ans Netz vor. Damit brachte er seinen Gegner in Bedrängnis und unsere Strategie schien aufzugehen.

Beim Stand von 2:2 tauchte die Traube von Teenies am Zaun von Fynns Platz auf. Die Security musste eingreifen, damit das Match fortgesetzt werden konnte. Erst nach drei bis vier Minuten konnte weitergespielt werden. Ich war richtig genervt. Allerdings komplett platt war ich, als ich erkennen konnte, wer denn nun der Grund für diesen Megahype war. Kein Geringerer als Marc kam mir mit einem Grinsen zu meinem Platz entgegen. Was war das denn jetzt für eine Aktion?

„Das glaube ich jetzt nicht. Du hast diesen Menschenauflauf verursacht. Damit hast du gerade Fynns Konzentration zerlegt. Aber sein Gegner trifft auch gerade keinen Ball.“

„Hi Chris, sorry. Aber das musste sein. Erkläre ich dir später.“

Dann umarmte er mich und setzte sich ruhig neben mich. Ich konzentrierte mich wieder auf das Spiel und wurde wieder überrascht mit einer WhatsApp Nachricht von Luc. Er schrieb mir, dass Dustin den ersten Satz knapp verloren hatte. Ob Luc wohl wusste, dass sein Vater hier war?

Leise flüsterte ich zu Marc:

„Weiß Luc eigentlich, dass du hier bist?“

Lachend schüttelte er den Kopf.

„Nein, das kann er nicht wissen. Aber wohl nicht mehr lange. Läuft doch gut für uns. Justin hat sogar das Viertelfinale erreicht.“

„Allerdings, sportlich kann ich gerade nicht klagen.“

„Stopp, Chris. Du musst jetzt an die Spiele denken und nichts anderes. Deine Jungs brauchen deine ganze Kraft am Platz. Deshalb bin ich ja hier, um dir den Rücken frei zu halten. Alles weitere später.“

Sein Grinsen verriet mir genau, dass er mir seinen Plan erst nach den Spielen offenbaren würde. Also konzentrierte ich mich wieder ganz auf das Spiel. Allerdings eine Sache fiel mir bei den Seitenwechseln auf. Auf der anderen Seite saßen viel mehr Fotografen als zuvor. Ständig richteten sie ihre Objektive auf uns und gar nicht auf das Spiel.

Als Fynn beim Stand von 5:4 für ihn im ersten Satz auf der Bank saß und ich mit ihm Blickkontakt aufnahm, zeigte er auf Marc mit einem Lachen im Gesicht. Das hatte ich so noch nie auf dem Platz bei ihm gesehen.

Was danach passierte, konnte ich nicht erklären. Fynn explodierte förmlich auf dem Platz. So aggressiv hatte ich ihn noch nie spielen sehen. Und er traf den Ball wie er wollte. Sein Gegner konnte darauf nicht reagieren, so heftig war das. Er gewann den Satz und auch im zweiten Satz führte er schnell mit 5:0, unglaublich.

Der letzte Seitenwechsel war der schlimmste im ganzen Match für mich. Ich wusste genau, wie schwer es sein würde, dieses Spiel zu Ende zu bringen und nicht nachzudenken. Marc ließ mich in Ruhe mit Fynn Kontakt aufnehmen. Aber es war für mich kaum zu glauben, denn Fynn wirkte gelöst und total entspannt. Was war bei ihm passiert?

Das nächste Spiel wurde das letzte des Matches. Fynn gewann den Satz mit 6:0 und zog ebenfalls ins Viertelfinale ein. Ich konnte nicht anders als nach dem Matchball aufzuspringen und laut zu jubeln. Marc klopfte mir auf die Schulter und wir umarmten uns.

„Gratuliere zu deinem Erfolg. Jetzt scheint auch auf Rasen der Knoten geplatzt zu sein. Ich gehe schon mal ins Clubhaus vor. Sonst kommst du hier nie zu Dustin an den Platz.“

Das verstand ich erst nicht, aber als Marc die Tribüne verließ, war es klar. Die Leute waren wie verrückt nach seinem Autogramm. Und das nach so vielen Jahren nach seiner aktiven Karriere. In England schien Marc immer noch eine Legende zu sein.

An Dustins Platz traf ich auf Luc und Stef, die sich auf meinen Platz gesetzt hatten. Dustin bemerkte mich und sofort kam die Geste, dass er wissen wollte, wie sein Freund gespielt hatte. Ich zeigte ihm nur den Daumen hoch und sofort ballte er die Faust.

Leider war sein Spielstand weniger gut. Dennoch konnte ich schnell erkennen, dass er ein gutes Match machte. Es lag nicht an seiner Leistung, sondern an dem Spiel seines Gegners. Das lag ihm nicht besonders und da fehlte es Dustin noch ein wenig an Qualität, um so ein Spiel zu gewinnen.

Etwas enttäuscht saß Dustin auf seiner Bank, als er verloren hatte. Dazu gab es für mich keinen Grund und Luc und Stef wollten schon zu ihm gehen.

„Wartet bitte. Lasst ihm etwas Zeit. Außerdem darf hier kein Zuschauer oder Trainer auf den Platz gehen. Ihr habt sowieso jetzt einen anderen Termin.“

„Hä? Wieso das denn? Wie meinst du das?“, fragte Luc irritiert.

„Ihr müsst nur die Menschentraube suchen gehen. Dann wisst ihr schon Bescheid.“

„Nein“, schüttelte Luc den Kopf, „ich ahne was los ist. Papa hat sich doch selbst auf den Weg gemacht.“

„Richtig“, sagte ich grinsend, „du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.“

Einige Zeit später, nachdem sich meine Jungs ausgelaufen hatten und fertig geduscht waren, saß ich mit ihnen im Spielerbereich und ließ den Tag auf der Anlage ausklingen.

„Wo ist eigentlich Marc hin? Seit unseren Spielen habe ich ihn nicht mehr gesehen.“

„Er ist zu Luc und Stef ins Hotel gefahren. Wir treffen sie heute noch außerhalb. Hier wäre ständig ein Medienspektakel.“

„Das ist echt krass, Chris. So heftig hätte ich das niemals erwartet. Er ist doch schon lange nicht mehr aktiv.“

„Das stimmt, Fynn. Allerdings schien er das erwartet zu haben, denn er machte den Eindruck, dass das genau sein Plan ist. Ich weiß aber auch noch nicht mehr.“

Meine Jungs schüttelten die Köpfe, aber mit einem Lächeln im Gesicht.

„Bevor wir ins Apartement aufbrechen, möchte ich noch sagen, dass wir großartiges geleistet haben. Mit dem Viertelfinale habt ihr den größten Erfolg überhaupt für das Team geschafft. Auch die Punkte bringen euch richtig nach vorn. Großartig.“

„Chris, ich bin mit deiner Aussage nicht einverstanden.“

Justin schaute ernst zu mir und die anderen waren genauso verwundert.

Bevor ich etwas sagen konnte, fuhr Justin fort:

„Du hast gesagt ihr habt den größten Erfolg geschafft, das ist falsch. Wir haben den Erfolg geschafft, denn du hast einen ganz großen Anteil daran. Darauf bestehe ich.“

Der anschließende Beifall der Jungs lockerte die Stimmung immer weiter auf und bevor sie jetzt noch auf dumme Ideen kamen, bat ich darum aufzubrechen. Ich wollte nicht länger als notwendig auf der Anlage bleiben. Morgen würde wieder ein anstrengender Tag sein.

Allerdings hatte ich jetzt zum ersten Mal auch Gelegenheit darüber nachzudenken, warum sich Marc nach Brighton begeben hatte. Er musste doch gewusst haben, welchen Hype sein Erscheinen auslösen würde. Also musste er etwas geplant haben, was uns einen Vorteil bringen sollte. So gut kannte ich ihn, dass er das nur getan hatte, um einen Plan umzusetzen und mir damit zu helfen.

Erst, als ich in unserem Apartement unter der Dusche stand, kamen wieder die negativen Gedanken. Der Erfolg war sicher toll, aber mir war auch klar, dass dies die homophoben Typen erst recht wieder auf den Plan rufen würde.

Marc hatte mich angerufen und vorgeschlagen, wieder zu Luc und Stef ins Hotel zu kommen. Dort würden wir ungestört reden können. Außerdem würden sich die Jungs sicher über einen erneuten Abend mit Luc und Stef freuen. Ich stimmte zu und bat Marc uns einen Tisch für das Abendessen zu reservieren.

Das hatte er allerdings längst getan und somit war mir absolut klar, dass sich Marc bestens vorbereitet hatte und mir seine Strategie würde vorstellen wollen.

Das Essen selbst verlief sehr ruhig. Meinen Jungs war die Anstrengung anzumerken und ich hatte Zweifel, ob es richtig war, sie heute erneut mit Luc und Stef auf die Piste gehen zu lassen. Luc hingegen wurde schon etwas unruhig. Er freute sich sichtlich über diesen erneuten Abend. Dass sein Vater unseretwegen nach Brighton gekommen war, schien ihn nicht sonderlich zu verwundern. Mein Verdacht war immer noch, dass Luc über Marcs Plan Bescheid wusste. Er war mir zu ruhig geblieben. Es spielte aber jetzt auch keine Rolle, ich wollte mit Marc allein die Situation bereden und da war es sinnvoll, die Jungs auf die Piste gehen zu lassen.

„Bevor ihr abhaut, habe ich eine Bedingung. Ihr seid um elf in unserer Unterkunft und spätestens um Mitternacht im Bett. Morgen ist Viertelfinale.“

Luc war zwar nicht begeistert so früh wieder zurück sein zu müssen, aber Marc ließ keinen Zweifel aufkommen:

„Luc, du bist mir dafür verantwortlich, dass die vier pünktlich im Hotel sind. Ich erwarte, dass das klappt.“

So bestimmt habe ich Marc selten im Umgang mit Luc erlebt. Entsprechend wenig Widerstand gab es. Nur eine Frage hatte ich noch:

„Wie kommt ihr ins Hotel? Ihr passt doch gar nicht alle in sein Auto.“

„Ups, das stimmt. Siehst du Papa, das geht also gar nicht, dass ich sie in ihr Hotel bringe.“

„Doch, klar geht das.“, sagte ich, „du fährst meinen Bus und ich fahre mit deinem Mietwagen ins Hotel.“

„Das würde gehen, aber morgen früh hast du dann das Problem nicht zur Anlage zu kommen. Wir machen das anders.“

Marc hatte bereits eine Lösung im Kopf.

„Ich werde für dich hier ein Zimmer buchen. Dann kannst du die Jungs morgen früh aus eurem Hotel abholen und du musst nicht noch einmal die Autos tauschen.“

Bevor ich noch etwas sagen konnte, war Marc vom Tisch aufgestanden und zur Rezeption gegangen. Ich gab Luc meinen Autoschlüssel und schickte die Truppe auf die Reise.

„Pass aber bitte auf. Der Bus ist einiges größer als ein PKW. Thorsten wäre nicht begeistert, wenn ich den Bus nicht heile zurückbringe.“

„Danke, Chris. Ich passe bestimmt auf. Bis morgen dann. Und hör dir bitte genau an, was Papa vorhat. Ich glaube, dass das gut ist.“

Und schon waren sie verschwunden. Luc war echt ein Filou. Er wusste genau, dass sein Vater etwas vorhatte. Aber er hat seine Rolle gut gespielt, das musste ich zugeben.

Marc kam mit einem Lächeln zurück und forderte mich auf, ihm in den Hotelgarten zu folgen.

„Was ist mit der Rechnung für das Essen?“

„Das ist nicht deine Baustelle. Ich bin einer eurer Hauptsponsoren, schon wieder vergessen? Also mache ich meinen Job und unterstütze euch.“

Dabei zwinkerte er mir zu und legte mir seinen Arm auf die Schulter.

„So, jetzt haben wir unsere Ruhe und können einmal das weitere Vorgehen besprechen. Du wunderst dich bestimmt über meine Art, hier aufzutreten. Das kann ich verstehen und deshalb möchte ich es dir erklären, damit du nicht noch mehr Stress hast.“

„Allerdings, sonst bist du immer für dezentes Auftreten und hier hast du gleich die ganze Presse am Hals. Warum?“

„Hihi, ja das ist korrekt. Habe ich dir noch nicht erklärt, warum ich so selten in England bin? Es hat genau damit zu tun. England ist das Mutterland des Motorsports. Hier drehen die Leute heute immer noch am Rad, wenn sie mich erkennen. Dieses Mal möchte ich das aber für uns nutzen. Du kannst dir sicher sein, dass sich die Presse morgen mit Berichten überschlagen wird. „Marc Steevens überraschend in Brighton zum Tennisturnier“, so oder so ähnlich werden die Schlagzeilen sein. Dazu werden unzählige Bilder auftauchen, auch von dir mit mir in der Players Box am Platz. Die Regenbogenpresse wird sich fragen, wer du bist. Dann wird bald klar sein, dass ich Kontakte zu homosexuellen Sportlern habe. Das ist der Punkt, wo ich den Hammer auspacken werde. Ich habe bereits für morgen Nachmittag die Presse in den Tennisclub eingeladen.“

„Bevor überhaupt etwas in den Zeitungen steht?“

„Die englische Presse ist berechenbar. Also alles im grünen Bereich. Und bevor du unruhig wirst, weil du nicht mit der Teamleitung gesprochen hast. Ich habe mit deinem Bruder gesprochen und jeden Schritt mit ihm abgestimmt. Er unterstützt uns mit diesem Plan. Thorsten hat dir ja auch zugesagt, für dich eine Unterstützung herzuschicken. Diese Unterstützung wird ebenfalls morgen Mittag hier eintreffen und dich entlasten.“

Es war so typisch für Marc. Er hatte erneut alles bis ins Detail geplant und wusste bereits ganz genau das weitere Vorgehen.

„Dann hat uns Luc also die ganze Zeit etwas vorgemacht. Er wusste schon länger, dass du herkommen würdest.“

„Nein, das wusste er nicht. Er hatte mich zwar um Rat gefragt, als die Situation hier unangenehm wurde, aber Bescheid wusste er nicht. Ich hatte ihm nur gesagt, dass ich mich kümmern würde. Du darfst ihm nicht böse sein, schließlich ist er ja auch selbst betroffen. Als Luc mich anrief und seine Situation schilderte, wurde mir bewusst, dass er genauso in Gefahr sein könnte wie ihr. Wenn Sabine das mitbekommen hätte, ohne dass ich reagiere, hätte ich mich warm anziehen müssen. Das wollte ich dann doch nicht.“

Danach fing er leise an zu lachen. Ich konnte mir das Szenario gut vorstellen und ergänzte:

„Das wäre in der Tat für uns unangenehm geworden. Das wollen wir besser nicht haben.“

„Ich sehe, du hast mich verstanden. Sehr gut. Weiter im Text. Die Fragen werden also auftauchen, warum ich Kontakte zur „schwulen Szene“ unterhalte. Reg dich nicht auf über diesen Ausdruck. Die Presse hier ist leider so gepolt. Und dann werde ich ähnlich wie in Genf ein Statement abgeben, das sich gewaschen hat. Abgesehen davon habe ich von der Sicherheit erfahren, dass sie vier Personen konkret ins Auge gefasst haben. Wusstest du das bereits?“

„Ja, ich weiß, dass es Verdächtige gibt. Sie können sie noch nicht festhalten, weil sie noch keine ausreichenden Beweise haben.“

„Genau. Und diese Beweise werden wir liefern und dann ein Exempel statuieren. Hier haben sie sich die falschen Opfer ausgesucht. Ich werde mit aller Härte gegen diese Leute und diese homophobe Szene vorgehen. Mit allen rechtlichen Mitteln. Sie werden sich das nächste Mal sehr gut überlegen, ob sie noch einmal so einen Fehler begehen werden. Sie haben nämlich mich und meine Familie angegriffen. Luc ist selbst betroffen und das werden sie spüren. Ich bin richtig in Kampfstimmung. Und keine Sorge, dein Bruder ist es auch.“

Ok, das hatte mir Jan auch bereits angedeutet. Aber wie sollte Jan sich hier einmischen können? Er war meines Wissens, weit weg auf einem anderen Turnier.

Es wurde noch ein schöner Abend, denn Marc verstand es ausgezeichnet, mich vom Thema Tennis abzulenken. Er stellte mir ein Projekt für das Team in Halle vor. Er schlug für ein Wochenende ein Fahrsicherheitstraining für alle Coaches vor. Da wir häufig mit Teamfahrzeugen unterwegs waren, sollte der Schwerpunkt auf richtiges Reagieren in Gefahrensituationen liegen. Er hatte das bereits mit Thorsten abgestimmt und auch einen Termin festgelegt.

„Und denkst du nicht, dass die jungen Trainer bei uns das als Gelegenheit sehen, mal rumzuheizen? Oder vielleicht danach dann zu glauben, dass sie jetzt Rennfahrer sind?“

„Hahaha. Diese Frage höre ich immer wieder. Meine Aufgabe wird es sein, ihnen klarzumachen, dass es genau darum nicht geht. Ich werde jedem zu Beginn zeigen, wie begrenzt seine Fähigkeiten sind. Der größte Teil wird bereits bei den ersten einfachen Fahrübungen scheitern. Danach werden sie sehr kleinlaut werden, ganz sicher. Und sollte jemand im Anschluss glauben, die Straße sei eine Rennstrecke, müsst ihr als Team darüber nachdenken, ihnen kein Auto mehr zu geben.“

„Mir gefällt diese Idee. Thorsten hatte ich ja schon einmal einen solchen Vorschlag gemacht. Ich glaube, er möchte das auch machen. Du musst nur einen günstigen Termin finden, an dem auch viele Trainer dann da sind.“

„Klar, ich werde das mit Thorsten abstimmen. Jetzt noch was anderes. Wie geht es dir momentan? Seit wir nicht mehr über Tennis sprechen, habe ich das Gefühl du entspannst dich etwas.“

„Ja, das kann sein. Mir tut es gut, zwischendurch mal nicht an Tennis zu denken. Gerade jetzt, mit diesem Problem der Bedrohung. Manchmal frage ich mich, was mache ich falsch. Warum kann ich das nicht verhindern? Das ist Unsinn, ich weiß. Dennoch kommen manchmal diese Zweifel. Ich möchte einfach nur in Ruhe arbeiten und meine Jungs nach vorne entwickeln.“

„Das tust du auch mit Sicherheit sehr gut. Vielleicht machst du dir selbst zu viel Druck. Als ich mit Jan telefoniert habe, hat er dich sehr gelobt. Er hat erkannt, wie wichtig du für das Team geworden bist. Nicht nur für deine vier großen Jungs. Auch die Tatsache, dass du für Tim eine Perspektive erkannt hast, hat er erwähnt. Allerdings hat er auch gesagt, dass du für dich selbst wenige Freiräume akzeptierst. Du willst immer hundert Prozent geben und verlierst dich selbst manchmal dabei aus den Augen. Mit deiner Vorgeschichte ist das gefährlich. Achte einfach mal mehr auch auf dich. Und bis das klappt, werden wir auf dich aufpassen. Du wirst hier noch gebraucht. Und zwar noch eine ganze Weile. Jan weiß ganz genau, was er an dir hat. Vielleicht kann er dir das noch nicht so gut zeigen, weil ihr lange Zeit nicht gut miteinander ausgekommen seid. Aber er arbeitet daran.“

„Ja, ich weiß. Es ist ja auch mein Problem. Ich kann auch nicht einfach zur Alltäglichkeit übergehen. Immer wieder hinterfrage ich jedes Wort was er sagt. Meint er es wirklich so oder ist das nur zum Schein gesagt. Ich muss das auch lernen, dass er uns eine Chance gibt. Es ist nicht nur seine Verantwortung, ich trage auch Anteile daran, dass wir uns wieder annähern können.“

„Dann sind die Voraussetzungen doch gut. Ihr müsst euch auch die nötige Zeit geben. Momentan hast du doch viel zu viel andere Sachen zu lösen.“

„Ja, leider. Ich würde mich auch viel lieber nur mit Tennis und dem Team beschäftigen. Aber ich kann auch nichts dafür, dass meine Angst manchmal zurückkehrt. Ich habe jetzt einfach Hilfe gebraucht, um das hier zu stemmen.“

„Sag mal, merkst du es noch? Viele andere Trainer wären gar nicht so schnell wieder auf Tour gegangen. Du hast doch noch gar keine Zeit gehabt, das richtig zu verarbeiten. Eines habe ich Jan gesagt, wenn England vorüber ist, machst du erst einmal keine neue Turnierreise. Bis zum USA-Trip sind dann drei Wochen. Da machst du nur die Arbeit in der Base und erholst dich etwas. Vielleicht machen wir das Fahrertraining in der Zeit. Aber du wirst nicht auf die Idee kommen, mit Tim und Carlo loszuziehen.“

„Sag das meinem Bruder, ich würde mich nicht beschweren, wenn es so kommt.“

Jetzt fing Marc an zu grinsen und sagte trocken:

„Das habe ich deinem Bruder bereits sehr klar und deutlich vermittelt. Ich glaube auch, dass er verstanden hat, wie ernst ich das meine. Lass dich überraschen. Aber du musst auch mal sagen, dass du eine Ruhephase brauchst.“

Dieses Gespräch mit Marc gab mir viel Vertrauen in mich selbst zurück. Es kamen noch mehr Dinge zur Sprache, die nichts mit Tennis zu tun hatten. Aber es tat mir gut, mit Marc über alle möglichen Dinge zu sprechen. Das fehlte mir doch manchmal auf unseren Reisen.

Entsprechend spät wurde es in der Nacht. Hoffentlich waren meine Jungs pünktlich zurück. Sonst würden Justin und Fynn im Viertelfinale richtig verhauen werden. Ich war auch gespannt, ob Maxi und Dustin sich an die Regeln hielten, obwohl sie schon ausgeschieden waren.

Es zeigte sich als gute Entscheidung, eine Nacht in Marcs Hotel zu schlafen. Ich fiel todmüde aber entspannter als am Tag ins Bett und konnte ohne Unterbrechung durchschlafen.

Der Wecker klingelte verdammt früh. Ich musste ja auch noch in unser Teamhotel fahren und meine Jungs abholen. Sollte ich hier frühstücken oder mit den Jungs? Ich entschied mich für letzteres. Also sprang ich unter die Dusche und holte mir meinen Autoschlüssel an der Rezeption ab. Luc hatte ihn dort abgegeben.

Die Worte von Marc bezüglich der Presse gingen mir während der Fahrt nicht aus dem Kopf. Was würde uns heute wohl erwarten und vor allem, was genau hatte Marc geplant. Irritierend empfand ich auch die Tatsache, dass heute jemand aus Halle zur Unterstützung kommen sollte, ich aber von Thorsten noch nicht die Info bekommen hatte, wer das sein würde. Irgendetwas hatte ich nicht mitbekommen oder entwickelte sich hier komisch.

Positiv entwickelte sich die Begrüßung von den Jungs. Sie waren bereits wach und munter, als ich im Frühstücksraum eintraf.

Justin war verdächtig still, während die anderen mich über ihren Abend informierten. Erst als sie mir eine nette Geschichte zu Justin erzählten, verstand ich Justins Zurückhaltung. Er war in einem Gay-Club von einem anderen Jungen angeflirtet worden. Justin war das sichtlich unangenehm, denn er hatte diesen Flirtversuch erst gar nicht bemerkt. Er hat sich eine ganze Zeit lang mit dem Jungen unterhalten und erst als dieser ihn gefragt hatte, ob er mit ihm auf die Tanzfläche gehen würde, machte es wohl bei Justin „Klick“.

„Hey, das muss dir echt nicht peinlich sein. Dazu kann Maxi bestimmt auch eine Geschichte erzählen. Dem ist das auch schon passiert. Damit musst du leben wenn die schwulen in der Überzahl sind.“

Justin wurde schon wieder rot. Das war ihm sichtlich unangenehm. An dieser Stelle fiel mir auf, dass ich über sein Privatleben noch nicht so viel wusste. Seine Familie war mir bekannt, aber sonst hatte ich nicht viele Informationen. Bislang drehte sich das meiste um Tennis bei ihm.

„Chris, ich weiß auch nicht, warum sich Justin damit so anstellt. Der Junge war echt nett und sie haben sich die ganze Zeit gut unterhalten. Erst als er Justin zum Tanzen aufforderte, bekam Justin etwas Panik.“

„Leute, jetzt lasst den Jungen doch mal in Ruhe. Ihr seht doch, dass es ihm unangenehm ist. Er kann noch nicht so locker damit umgehen. Außerdem muss er gleich ein Viertelfinale spielen. Ich möchte, dass ihr das Thema jetzt einfach mal so stehen lasst. Packt eure Sachen und dann geht es los zur Anlage. Marc erwartet uns dort gleich.“

Justin schien erleichtert, dass die anderen ihn jetzt in Ruhe lassen mussten. Ich fand es zwar harmlos, aber es war Justin eindeutig unangenehm. Also mussten die Jungs nicht noch weiter auf ihm herumhacken. Maxi war da schon lockerer damals.

Die Fahrt über versuchte ich Fynn und Justin auf ihre Gegner vorzubereiten und ihnen einen kurzen Tagesablauf zu erklären. Dustin sollte Fynn betreuen und ich würde mich um Justin kümmern. Maxi war sozusagen mein ZBV. Zur besonderen Verfügung. Er sollte mich über das Spiel von Fynn informieren.

Natürlich konnte sich Dustin jederzeit von mir Rat holen, aber sie waren mittlerweile ein gutes Team, da musste ich nicht ständig dabei sein.

Als wir auf dem Spielerparkplatz ausstiegen fielen mir direkt ein paar Pressefahrzeuge auf. Beim Betreten der Anlage erschrak ich etwas. Viel mehr Menschen tummelten sich auf der Anlage. Das machte mich nervös. Wir mussten uns durchschlängeln, um in die Umkleide zu kommen.

Auf dem Weg ins Turnierbüro bekam ich einige leise Gespräche mit. Es gab zwei Themen über die die Menschen sprachen. Das waren die Anwesenheit von Marc und sein Kontakt zu uns. Es wurden viele Gespräche abgebrochen, wenn die Leute mich bemerkten. Außerdem fühlte ich mich extrem beobachtet.

Nachdem ich uns einen Trainingsplatz organisiert hatte, suchte ich nach Marc. Er war nicht aufzufinden. Allerdings hätte ich vermutlich auch nicht groß suchen brauchen, wenn er bereits anwesend wäre.

Ein freundliches:

„Guten Morgen, Chris.“,

ließ mich überrascht umdrehen. Stef und Luc standen vor mir und begrüßten mich mit einer Umarmung.

„Na, gut geschlafen? Sind Fynn und Justin gut drauf?“

„Ja, und geht so.“

„Wie meinst du das denn? Gibt es Probleme?“

„Ich glaube, ihr habt Justin gestern ganz schon verwirrt. Mit dieser Flirtattacke kommt er noch nicht so klar.“

„Hihihi, das ist ja lustig. Aber wenn du den Jungen gesehen hättest, wärst du auch nicht gleich dazwischen gegangen. Er war richtig süß und nett. Justin hat es echt nicht gepeilt, was er von ihm wollte.“

„Na, woher auch. Justin ist halt keiner von eurer Sorte. Er kennt sich in eurer Szene nicht aus.“

„Mal im Ernst, hat er damit ein Problem? Müssen wir uns entschuldigen? Wir wollten ihn nicht verunsichern.“

„Lasst mal. Ich habe mit ihm noch nicht allein gesprochen, aber vielleicht sagt ihr Fynn und Dustin später, dass sie Justin damit nicht aufziehen sollen. Er ist noch nicht so locker wie ihr. Er ist außerdem über ein Jahr jünger als Fynn und Dustin. Ich hoffe, er kann sich jetzt wieder auf sein Match konzentrieren.“

Luc und Stef begleiteten mich zu unserem Trainingsplatz. Dort waren Justin und Fynn bereits mit Seilspringen dabei, sich aufzuwärmen.

Dustin und Maxi standen an der Bank und begrüßten Luc und Stef ebenfalls mit einer Umarmung. Luc und Stef blieben außerhalb des Platzes. Fynn und Justin unterbrachen ihr Seilspringen und empfingen die beiden genauso herzlich. Auch Justin war ganz locker. Ein gutes Zeichen.

Luc und Stef wollten sich etwas zu trinken holen. Sie verließen unseren Platz und ich schaute ihnen für einen Moment nach. Warum, konnte ich gar nicht sagen. Es war einfach eine Intuition. Wie gut das war, zeigte sich, als sich plötzlich drei dunkel gekleidete Typen ihnen in den Weg stellten.

Sie schubsten Stef an die Seite und wollten sich an Luc vergreifen. Es waren etwa zehn Meter Entfernung und ich war schon lange nicht mehr so schnell gelaufen, um dort einzugreifen. Mein Adrenalinspiegel sprang nach oben und ich habe überhaupt nicht mehr gefragt, sondern direkt zugeschlagen. Ein, zweimal einen direkten Körpertreffer und zwei Angreifer sackten zu Boden, der dritte wurde von den Sicherheitsleuten außer Gefecht gesetzt. Es bildete sich ein Tumult um uns, aber die Angreifer waren festgesetzt. Luc hatte eine leicht blutende Augenbraue, schien aber sonst unverletzt. Stef war vollkommen panisch und wollte zum abgeschirmten Luc. Die Sicherheitsleute ließen aber niemanden an Luc heran.

Ich wurde ebenfalls von den Sicherheitsleuten abgeschirmt, aber schnell weggeführt. Erst jetzt spürte ich, dass ich am ganzen Körper zitterte. Sie brachten mich in einen Raum wo nur ein weiterer Sicherheitsmann war. Sie gaben mir eine Wasserflasche und dann war ich allein in diesem Raum.

Wenige Augenblicke später ging die Tür auf und ich traute meinen Augen nicht. Da stand Jan in der Tür und sagte:

„Meine Güte, das ist ja ein Empfang hier. Wie geht es dir? Ich wusste gar nicht, dass du so trocken zuschlagen kannst. Den einen Angreifer mussten sie gerade ins Krankenhaus bringen. Respekt.“

„Sehr witzig. Das war nicht meine Absicht, aber was sollte ich machen?“

„Hey, alles gut. Beruhige dich. Du hast dir gar nichts vorzuwerfen. Das war der Fehler auf den wir doch gewartet haben. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was da draußen gerade los ist. Marc kümmert sich um Luc und Stef und unsere Jungs habe ich im Griff. Du kannst dich in Ruhe sammeln.“

„Ok, aber seit wann bist du schon hier? Ich bin echt überrascht. Jetzt verstehe ich auch, warum Thorsten mir nicht sagen wollte wen ich als Unterstützung bekomme.“

„Bingo, ich wollte nicht, dass du dich unnötig aufregst.“

Dabei fing Jan an zu lachen und ich konnte auch nicht anders, als mit ihm zu lachen. Plötzlich stand er vor mir und wir umarmten uns einfach so. Das hatten wir Ewigkeiten nicht mehr gemacht.

„Ich gehe zu den Jungs. Wenn du dich ausreichend beruhigt hast, kannst du nachkommen.“

„Warte bitte. Was ist jetzt mit mir? Muss ich nicht zur Polizei?“

„Nein, ganz sicher nicht. Das regelt Marc alles gerade. Du hast nur noch zwei offizielle Termine. Die Spiele der Jungs und die Pressekonferenz. Allerdings wäre es für Fynn und Justin nicht verkehrt, wenn sie dich vor ihrem Spiel noch einmal sprechen könnten. Sie sind ziemlich aufgebracht.“

„Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich komme mit.“

„Bist du dir sicher, dass du nicht noch etwas Ruhe brauchst?“

„Ja, geht schon. Besser ich bin mit unseren Leuten zusammen, als hier allein zu hocken.“

„Dann los, lass uns der Welt zeigen, was unsere Jungs können.“

Jan öffnete die Tür und als wir auf den Gang traten, standen zwei Sicherheitsleute vor der Tür. Niemand war im Gang. Es war alles abgesperrt worden und erst als wir am Turnierbüro vorbeikamen, wurden wir noch in einen Nebenraum gebeten. Dort wartete der Turnierdirektor auf uns.

Jan erklärte ihm kurz die Situation und dass er sich um mich kümmern würde. Danach wünschte man uns noch viel Erfolg. Allerdings bat er mich, vor der Pressekonferenz noch einmal zu ihm ins Büro zu kommen.

Als wir endlich wieder an der frischen Luft waren, fragte ich Jan:

„Wo sind die Jungs eigentlich jetzt? Sie haben nicht mehr so viel Zeit vor ihrem Spiel.“

„Ich habe sie auf den Trainingsplatz geschickt. Dort sind auch zwei Sicherheitsleute, die aufpassen. Also keine Sorge, alles unter Kontrolle. Wir gehen da jetzt hin.“

Das gestaltete sich allerdings etwas schwieriger als gedacht. Überall wollten Leute etwas von uns. Eine Aussage zu dem, was passiert war. Jan blockte alles rigoros ab. Er schirmte mich komplett ab, bis wir endlich am Platz ankamen.

Dort wurde ich dann fast von meinen Jungs umgerannt.

„Chris, endlich. Wie geht es dir? Bist du verletzt? Was ist mit Luc?“

Mit diesen Fragen stürmten sie auf mich zu. Jan blieb ruhig, aber sehr bestimmt.

„Leute, beruhigt euch. Lasst Chris einfach etwas Luft holen.“

Sofort beruhigten sie sich etwas und ich erklärte ihnen die Lage. Ungläubig schauten sie mich an und Dustin fragte:

„Du hast sie einfach umgehauen? Wie geil ist das denn. Das haben wir gar nicht mitbekommen. Ich hoffe, du hast gut getroffen.“

„Den einen Typen haben sie sogar ins Krankenhaus bringen müssen. Also euer Coach scheint eine gute Linke zu haben.“

Jan hatte echt einen schwarzen Humor. Aber in dieser Situation half mir das sehr, wieder in die Realität zu kommen.

Jan übernahm die Vorbereitung von Justin und Fynn. Ich war zwar dabei, aber er managte das. So konnte ich mich noch etwas sammeln und mich um Dustin und Maxi kümmern.

Wir saßen auf dem Rasen und schauten Justin und Fynn auf dem Platz zu, als mein Handy klingelte. Ich schaute auf das Display, Marc.

„Hi Marc, wo bist du? Und wie geht es Luc und Stef?“

„Ich bin noch auf dem Weg zurück zur Anlage. Luc und Stef geht es soweit gut. Lucs Auge musste genäht werden. Deshalb bin ich noch nicht zurück. Jan ist bei dir?“

„Ja, diese Überraschung ist euch gelungen. Er hat jetzt die Vorbereitung übernommen. Ich fühle mich noch etwas wackelig gerade.“

„Sehr vernünftig. Lass deinen Bruder das mal machen. Sobald wir da sind, kommen wir zu euch. Und sei beruhigt. Du hast alles richtig gemacht. Jetzt haben sie einen Fehler gemacht, der ihnen noch sehr große Probleme bereiten wird. Ich habe bereits alles in die Wege geleitet. Sprechen wir später drüber. Bis gleich.“

„Ok, bis gleich.“

„Also, Marc ist auf dem Weg hierher. Lucs Auge wurde genäht, aber ist alles nicht so schlimm. Wir sollen uns auf die Spiele konzentrieren.“

Dustin atmete tief aus und auch Maxi nickte stumm.

„Das ist gut zu hören. Ich glaube, dass diese Typen noch gar nicht wissen, was jetzt auf sie einprasseln wird. Marc versteht bei seiner Familie überhaupt keinen Spaß.“

„Da hast du was gesagt, Dustin. Sie haben jetzt den Fehler gemacht, sich mit den falschen Leuten anzulegen. Marc wird sie gnadenlos zur Rechenschaft ziehen. Das wird ihnen wehtun.“

„Und hoffentlich wird uns das in Zukunft mehr Ruhe bringen. So macht das einfach kaum noch Freude.“

Maxi sprach das aus, was ich schon seit Tagen gedacht hatte. Ich wollte wieder mit Spaß arbeiten und ohne Angst.

Ich versuchte mich auf das kommende Match zu konzentrieren. Aber meine Gedanken schweiften noch immer ab. Ich ging deshalb zu Jan auf den Platz. Ich wollte mich damit ablenken und auch Fynn und Justin ein Zeichen geben.

Jan gab ihnen kurze, präzise Hinweise. Machte eine völlig normale Einschlagphase und strahlte viel Sicherheit aus. Für Justin war das nicht ganz so wichtig wie für Fynn.

Ich stand neben Jan, als er mich fragte:

„Was denkst du zu Fynns Spiel? Ich würde ihn gern offensiv spielen lassen.“

„Ja, sehe ich auch so. Wenn er überhaupt eine Chance haben möchte, dann darf er sich nicht das Spiel vom Gegner aufzwingen lassen. Ich befürchte aber, er wird gedanklich nicht frei spielen können. Ihn belastet so ein Zwischenfall sehr.“

„Ok, du kennst ihn viel besser. Traust du dir zu, Fynn während des Spiels zu betreuen? Dann gehe ich zu Justin und Marc kommt mit Luc und Stef zu dir. Das wird auch generell ein starkes Zeichen sein. Viele wissen ja gar nicht, dass Luc Marcs Sohn ist.“

„Ja, ich mache das. Wird für mich besser sein, als nur herumzusitzen. Ich muss den Kopf frei bekommen. Das geht während des Spiels am Besten. Dustin soll mich unterstützen.“

Eine Stunde später saß ich mit Dustin bei Fynn am Platz. In Anbetracht der Geschehnisse, spielte Fynn erstaunlich gut. Allerdings war er Welten entfernt von der Leistung aus der Vorrunde. Er hatte keine realistische Chance zu gewinnen. Aber er spielte auf keinen Fall schlecht. Dustin wirkte sehr niedergeschlagen, als sein Freund dem Gegner gratulieren musste.

„Hey, sei nicht so negativ. Fynn hat ein hervorragendes Turnier gespielt. Unter diesen Umständen war das eine gute Leistung. Du solltest nicht sauer sein, sondern bau ihn wieder auf. Ich werde nachher mit ihm über das Spiel sprechen.“

Dustin nickte und ging zum Ausgang des Platzes. Dort wollte er seinen Freund in Empfang nehmen. Ich beobachtete noch diesen Moment. Beruhigend für mich, dass sie sich mit einer Umarmung und einem herzlichen Kuss begegneten. Das wäre schlimm gewesen, wenn sie jetzt wieder zurückgefallen wären.

Auf dem Weg zu Justin begegneten mir Luc und Stef.

„Na, ihr beiden. Was macht dein Auge, Luc?“

„Alles nicht so schlimm. Du hast vorhin schlimmeres verhindert. Dafür möchte ich mich bedanken. Bin dazu noch gar nicht gekommen.“

Er umarmte mich. Das fühlte sich gut an, aber es war für mich auch gar keine Frage, dort nicht einzugreifen. Ich wunderte mich allerdings über die Art meiner Handlung. Einfach zuzuschlagen war nie mein Stil. Es war einfach ein Reflex. Hoffentlich würde das nicht so häufig notwendig werden. Gefallen hatte mir das überhaupt nicht.

„Wir sollen dir von Papa ausrichten, dass er gleich zum Platz kommt. Er hat noch ein paar Dinge zu regeln. Fynn hat vermutlich verloren, oder?“

„Ja, aber er hat ein sehr gutes Turnier gespielt. Kommt ihr mit zu Justin oder wollt ihr lieber zu Fynn und Dustin gehen?“

„Wir kommen mit zu Justin. Dustin möchte vielleicht mit Fynn ungestört sein.“

Jan saß wie immer regungslos auf seinem Platz, als wir uns bei einem Seitenwechsel neben ihn setzten.

„Justin spielt unglaublich gut. Er kämpft um jeden Punkt und spielt am oberen Limit. Dennoch liegt er mit einem Break im zweiten Satz zurück.“

Das war für Jans Verhältnisse ein außerordentliches Lob.

Nach wenigen Ballwechseln im neuen Spiel, konnte ich einen toll spielenden Justin sehen. Er versuchte alle ihm gegebene Möglichkeiten zu nutzen. Es half aber nichts, auch Justin verlor sein Viertelfinale. Dennoch konnte ich sehr zufrieden sein. Wer hätte gedacht, dass unsere jungen Spieler bei einem großen Challenger-Turnier so gut mithalten konnten. Es war eine Bestätigung unserer Arbeit. Nach dem Matchball stand Jan auf und klopfte mir auf die Schulter.

„Du hast deine Jungs extrem gut vorbereitet. Ich habe ein gutes Match gesehen und freue mich auf die Zukunft. Mit dieser Gruppe werden wir noch viel Freude haben, hoffentlich ohne weitere, böse Überraschungen. Wir sehen uns gleich noch vor der Pressekonferenz. Marc hat darum gebeten, dass wir uns noch besprechen. Kommst du bitte in fünfzehn Minuten zum Bus. Dort treffen wir uns. Da stört uns niemand.“

„Danke, es tut gut, mal ein Lob zu bekommen. Momentan kann ich mich noch nicht richtig freuen, aber das kommt sicher noch. Spätestens wenn wir hier abgereist sind. Ich gehe mal zu den Jungs und komme dann zu euch an den Bus.“

„Mach das. Und entspann dich etwas. Du hast schon genug Stress in den letzten Tagen gehabt. Jetzt ist es Zeit, dass ich mal etwas arbeiten kann und mit dir dieses Projekt in neue Ebenen bringe.“

Was mein Bruder damit wohl gemeint hatte. Im Moment war mir das relativ egal, ich konnte endlich etwas entspannen und machte mich auf den Weg zu Justin. Er wirkte etwas niedergeschlagen, aber Luc und Stef waren schon bei ihm und munterten ihn auf. Als er mich kommen sah, ging er auf mich zu.

„Wie geht es dir? Jan hat mich gut unterstützt, aber es ist nicht so wie bei dir. Ich fühle mich sicherer und besser, wenn du am Platz bist.“

„Danke, es geht so. Ich bin froh, dass Jan hier ist und mir einige Entscheidungen jetzt abnehmen kann. Aber ich bin stolz auf euch. Ihr habt ein ganz großes Turnier gespielt. Hoffentlich werden wir in Zukunft solche Dinge nicht mehr erleben.“

„Ohne dich wäre es überhaupt nicht denkbar gewesen, hier spielen zu können. Weißt du, Fynn und ich haben hier ganz viele Punkte bekommen. Vom Geld für das Team ganz zu schweigen, aber all das ist überhaupt kein Vergleich zu den Dingen, die jetzt noch kommen werden. Ich bin dir sehr dankbar, dass du mir neue Wege aufgezeigt hast. In den USA werden wir auch Erfolge haben. Ganz sicher. Mit diesem Team können wir noch viel erreichen. Mein Vater ist schon ganz aufgeregt, dich kennenzulernen. Er hat mich ja auch schon lange nicht mehr spielen sehen.“

„Kann ich verstehen, du bist bestimmt auch schon aufgeregt. Zurück in die Heimat zu kommen, ist bestimmt etwas Besonderes. Für die anderen Jungs wird es ein neues Abenteuer werden und sie machen wieder weitere Erfahrungen. Vielleicht gibt es ja auch noch den ein oder anderen Erfolg. Jetzt gehst du aber bitte auslaufen und duschen. Ich möchte euch bitten, bleibt bitte zusammen. Ich habe keine Ahnung, wie lange diese Pressekonferenz gleich dauern wird. Danach geht es ins Hotel und ab nach Hause.“

„Fahren wir heute noch zurück?“

„Ja, wir brechen heute noch auf. Ich will so schnell wie möglich nach Hause. Ich brauche einfach etwas Ruhe.“

Justin ging auslaufen, Luc und Stef wollten zu den anderen gehen. Ich bat sie erneut, darauf zu achten, dass sie zusammen blieben. Noch einen Zwischenfall wollte ich auf keinen Fall haben.

Als ich am Bus ankam, war Marc bereits mit Jan in einem Gespräch. Ich stellte mich dazu. Plötzlich fragte mich Jan:

„Willst du wirklich heute noch nach Hause fahren? Ich würde es besser finden, wenn du dich heute noch etwas ausruhst. Die Fahrt wird lang und anstrengend.“

„Ja, das stimmt schon, aber wir sind ausgeschieden und es kostet eine Menge Geld, eine Nacht länger im Hotel zu bleiben. Außerdem möchte ich hier schnell verschwinden.“

„Das zweite Argument kann ich nachvollziehen. Das Thema Geld steht jetzt nicht zur Diskussion. Ich mache dir einen Vorschlag. Du fährst heute noch bis Frankreich und ihr macht dort Station. Ich will, dass ihr sicher ankommt und du etwas zur Ruhe kommen kannst. Wäre das für dich akzeptabel?“

„Okay, hast du schon eine Idee wo?“

„Ja, ich schreibe es dir auf und werde mich darum kümmern. Nach der Pressekonferenz sollst du dich nur um die Jungs kümmern. Deshalb bin ich ja auch hergekommen.“

„Was soll eigentlich auf diesem Pressetermin passieren? Irgendwie habe ich noch nicht ganz verstanden, was ihr vorhabt.“

„Ja, das kann ich sogar verstehen. Jetzt sind ja die Täter gefasst, aber ich möchte etwas bewegen und den Leuten etwas mitteilen. Genau wie Marc in Genf. Auch damals waren viele Menschen betroffen von der Sache. Ich glaube, dass viele Menschen sich gar nicht bewusst sind, was für ein Thema Homophobie ist.“

„Was ist meine Aufgabe? Und viel wichtiger, müssen die Jungs dabei sein?“

„Deine Aufgabe ist wichtig. Du sollst die Position der Jungs vertreten. Damit ist auch klar, keiner unserer Jungs muss dabei sein, aber wenn einer dabei sein möchte, dann darf er das natürlich. Marc möchte Luc dabei haben.“

Ich schaute zu Marc und stellte mir eine Frage. Ich brauchte nichts zu sagen, denn Marc kam meiner Frage zuvor:

„Natürlich wird Stef Luc nicht allein gehen lassen. Also wenn du der Meinung bist, dass Dustin und Fynn auch mitkommen sollen, dann bring sie mit. Sie können das selbst entscheiden.“

„Okay, ich spreche mit ihnen. Aber eine ganz andere Frage habe ich noch. Wie ist das jetzt für mich? Ich habe schließlich jemanden verletzt und vermute, dass diese Arschlöcher mich wegen Körperverletzung anzeigen werden.“

„Oh ja, das sollen sie ruhig machen. Christian habe ich bereits informiert. Du brauchst dich um nichts kümmern. Wenn du Post von der Polizei bekommen solltest, gib sie bitte direkt an Christian weiter. Das ist nicht mehr deine Baustelle. Du hast in Notwehr gehandelt. Ich glaube kaum, dass die Polizei eine Anzeige gegen dich machen wird. Wenn die Täter eine Anzeige machen, dann haben sie selbst schuld. Mach dir also bitte keine Gedanken darüber.“

„Ich habe echt nicht gewusst, wie ich anders hätte reagieren sollen. Das ist ja sonst überhaupt nicht meine Art so zu handeln.“

Jetzt wurde Marc direkt.

„Ich glaube, du spinnst. Wenn du nicht sofort reagiert hättest und den einen Typen ausgeschaltet hättest, wäre Luc vermutlich schwer verletzt worden. Hör auf, an dir zu zweifeln. Es gibt nichts, was du hättest anders machen müssen. Im Gegenteil, ich bewundere deine Geistesgegenwärtigkeit. Komm jetzt zur Ruhe und sprich mit deinen Jungs, ob wer mitkommen möchte.“

Ich hatte noch etwa fünfzehn Minuten Zeit bis zur Pressekonferenz. Also machte ich mich auf den Weg, mit meinen Jungs zu sprechen und als ich bei ihnen eintraf, wurde ich mit einer Umarmung empfangen. Diese Nähe zu meinen Jungs tat mir gut. Innerlich war ich immer noch sehr aufgewühlt.

„Hi, was hat Jan denn jetzt vor? Wer soll auf die Pressekonferenz gehen?“

„Was er genau vor hat, kann ich auch nicht sagen. Marc wird mit Luc und Stef teilnehmen. Jan hat es euch freigestellt, ob ihr teilnehmen möchtet oder nicht.“

„Dustin und ich gehen mit. Das haben wir schon besprochen. Allerdings würde ich mich sehr freuen, wenn wir alle mitgehen würden. Es wäre ein Zeichen der Stärke.“

„Ja, ein guter Gedanke, Fynn. Ich komme mit. Die Leute sollen sehen, mit wem sie sich anlegen werden und wer sie in Zukunft auf dem Platz ärgern wird.“

Justin schien sich immer mehr mit seinen Teamkameraden zu identifizieren. Da wollte Maxi jetzt nicht außen vor bleiben und somit gingen wir alle in Richtung Clubhaus. Jan und Marc standen auf der Terrasse und als Marc uns erspähte, musste er lachen. Jan schüttelte den Kopf, fing aber auch an zu lachen.

Als wir ankamen, sagte Marc gerade zu Jan:

„Was habe ich dir gesagt, Chris wird garantiert nicht allein kommen. Genauso habe ich es erwartet.“

„Okay, ich sehe es. Kämpft man gegen einen von euch, muss man gegen alle antreten. Das gefällt mir richtig gut. Dann also los, seid ihr bereit für den Auftritt?“

„Ja, und was wir dir noch sagen wollen. Wir stehen voll hinter Chris. Er hat sich richtig verhalten, als er den Typen umgehauen hat.“

Jan schaute Fynn verwundert an. Mir war das peinlich.

„Das braucht ihr nicht extra zu erwähnen. Mir ist das schon längst klar. Also, dann lasst uns reingehen. Bitte tut uns aber den Gefallen und antwortet nur auf Fragen, die euch direkt gestellt werden. Zuerst wird Marc Stellung nehmen und das Wort dann an mich übergeben.“

Als wir den Raum betraten, traf mich der Schlag. Auf den Tischen an denen wir sitzen sollten, standen vielleicht zehn Mikrofone. Dreißig bis vierzig Pressevertreter saßen auf den Stühlen hinter den Tischen. Mit so viel Resonanz hatte ich im Leben nicht gerechnet.

Marc war natürlich das beliebteste Motiv für die Fotografen. Die Leitung der Pressekonferenz hatte der Turnierdirektor übernommen. Er wies uns die Plätze zu. Marc und Jan schien die Situation überhaupt nicht zu beeindrucken. Sie wirkten gelassen, im Gegensatz zu mir. So viele Leute, die etwas von uns wollten, hatte ich noch nicht erlebt. Selbst die Pressekonferenz in Genf war dagegen harmlos.

„Herzlich Willkommen, ich begrüße Sie zu unserer Pressekonferenz mit einem der berühmtesten Rennfahrer aller Zeiten. Marc Steevens.“

Mit diesen Worten begann der Turnierdirektor die Veranstaltung. Die Blitzlichter der Fotografen wollten gar nicht aufhören. Erst als ein deutliches:

„Bitte nehmen Sie Platz!“ ließ Ruhe einkehren.

„Herr Steevens hat uns gebeten, diesen Pressetermin zu machen. Diesem Wunsch sind wir gerne nachgekommen. Bevor Sie ihre Fragen stellen können, möchte Herr Steevens etwas mitteilen. Herr Steevens, sie haben das Wort.“

Marc schaute einmal in die Runde und nickte uns zu, als er mit den Worten begann:

„Vielen Dank, zuerst einmal möchte ich Ihnen danken, dass sie gekommen sind. Die Verwunderung über meinen Besuch hier in Brighton habe ich bereits zur Kenntnis genommen. Es hatte sich auch schnell herumgesprochen und ich muss sagen, dass ich heute meine Popularität nutzen will, um auf ein Problem hinzuweisen.“

Marc nahm einen Schluck aus dem Wasserglas und fuhr dann fort.

„Ich habe bereits vor einigen Wochen in Genf auf einer Presseveranstaltung etwas zu dem Problem Homophobie in der Gesellschaft gesagt und möchte das an dieser Stelle erneut mit Nachdruck tun. Hier hat es mehrere Angriffe gegen das deutsche „Break-Point-Team“ aus Halle in Westfalen von einigen Personen hier aus dem Verein gegeben. Sie richteten sich gegen das Team, weil sie zwei homosexuelle Spieler betreuen, die ein exzellentes Tennis spielen.“

Marc schaute dabei zu Jan, der äußerlich ruhig blieb, aber ich konnte an seinen Augen erkennen, dass er innerlich brodelte.

„Die Situation eskalierte jetzt, als diese Täter auch gegen zwei Freunde dieser beiden Spieler handgreiflich wurden. Nur durch das sofortige beherzte Eingreifen von Chris und der Sicherheitsleute konnte Schlimmeres verhindert werden.“

Es gab ein deutlich vernehmbares Gemurmel im Raum, das Marc ganz bewusst abwartete, bevor er zum verbalen Angriff ausholte.

„Damit klar wird, was ich überhaupt mit diesem Team zu tun habe, möchte ich es wiederholt erklären. Ich bin einer der Hauptsponsoren dieses Teams, welches besonders talentierte Nachwuchsspieler für eine Karriere auf der Profitour aufbaut. Den Teamchef habe ich Ihnen gleich mitgebracht. Er dürfte der Fachwelt bekannt sein. Er sitzt neben mir und ist der Tourcoach von Gilles Simon. Jan wird auch dazu gleich noch etwas sagen, aber was mich so wütend macht, ist die Dreistigkeit, mit der diese homophoben Täter hier vorgehen konnten. Sie wurden nicht an diesen Taten gehindert. Ich habe damals in Genf gesagt, sollte es einmal passieren, dass diese Täter sich mit mir anlegen, dann werden sie die ganze Härte meiner Wut und meiner Entschlossenheit kennenlernen. Diesen Fehler haben sie jetzt gemacht. Sie haben nämlich meinen jüngsten Sohn angegriffen. Dass ich jetzt sämtliche rechtlichen Mittel ausschöpfen werde, um diesen Tätern ein für allemal die Lust an solchen Taten auszutreiben, dürfte nachvollziehbar sein. Ich habe immer meine Kinder geschützt, auch und gerade vor der Presse. Jetzt sehe ich das als persönlichen Angriff auf meine Person. Das wird mein Verhalten in England beeinflussen. Diese Täter werden von mir zivilrechtlich auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagt und ich werde sie nicht eher in Ruhe lassen, bis das erledigt ist. Es reicht einfach jetzt. Chris ist bereits in Kitzbühel von ähnlichen Tätern schwer verletzt worden, jetzt mein Sohn. Das muss aufhören. Wenn Sportler verfolgt werden, weil sie schwul sind, dann stimmt in unserer Gesellschaft etwas nicht. Wenn aber diese Täter auch noch geschützt werden, dann ist die Gesellschaft krank. Sehr krank. Ich erwarte von allen Menschen ein anderes Verhalten und Denken über diese Dinge. Ansonsten ist meine Zusammenarbeit mit der Presse an dieser Stelle beendet. Mehr habe ich dazu nicht mehr zu sagen, alles weitere wird Jan jetzt erklären.“

Marc nahm einen Schluck Wasser und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Es herrschte eine gespenstige Stille im Raum. Die Presseleute hatten mit so einer Ansage überhaupt nicht gerechnet. Keiner traute sich jetzt, noch etwaige Fragen zu stellen. Jan beugte sich nach vorn und nahm Stellung zu dem Sachverhalt:

„Marc, ich bedanke mich für deine Unterstützung. Es ist einfach beschämend, dass Sportler aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und nicht über ihre Leistung bewertet werden. Das ist nicht nur im Tennis so, auch im Fußball ist Homosexualität noch ein Tabu. Warum ist das so? Weil manche Menschen krank im Kopf sind und nur sich selbst sehen wollen. Alles was ihnen nicht geheuer ist, wird schlecht gemacht oder sogar ausgeschaltet. Ich vergleiche diese Leute mit den Tätern aus der Zeit des Nationalsozialismus. Das ist jetzt siebzig Jahre her und bei einigen Menschen hat keinerlei Entwicklung stattgefunden. Das ist ein Trauerspiel. England hält sich für eine große Nation und ist stolz auf seine Vergangenheit. Sie sollten sich fragen, ob dieses Land für die Zukunft gerüstet ist, wenn solche Menschen Schutz in der Gesellschaft finden wollen. Kein Mensch kann sich seine sexuelle Orientierung aussuchen. Erst recht wird kein Sportler freiwillig homosexuell. Diese Menschen sind in keinster Weise weniger gut oder weniger wichtig als heterosexuelle Menschen. Sie sind Sportler. Sie sind gute Sportler, die vielleicht sogar einmal zu den besten der Welt zählen können. Wir sind verpflichtet, ihnen die gleichen Möglichkeiten zu bieten, wenn ihre Leistungen stimmen. Chris, mein Bruder, hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese jungen Spieler auf ihrem Weg zu begleiten. Das habe ich nicht ohne Grund so entschieden. Es gibt keinen besseren Insider als meinen Bruder. Er kennt alle Probleme, die ein homosexueller Sportler haben könnte. Er hat es am eigenen Leib erfahren, wie schwer es noch vor fünfunddreißig Jahren war und sieht heute, dass es immer noch schwer ist, als schwuler Sportler im Profibereich zu bestehen. Das ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft und ich fordere deshalb alle Sportler und Veranstalter auf, sich gegen Homophobie zu wehren und klare Kante zu zeigen. Wir können es uns nicht leisten, weiter wegzuschauen. Ich möchte an dieser Stelle meinem Bruder danken, dass er sich für seine Spieler und deren Freunde so eingesetzt hat und es hoffentlich auch weiterhin tun wird. Ich, bzw. wir werden alles dafür tun, dass ein Sportler durch seine Leistungen und seinen Charakter überzeugen kann. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“

Für einen Augenblick blieb es still. Erst, als einige der Anwesenden begriffen hatten, was hier gerade stattgefunden hatte, trauten sie sich, einige Fragen an Marc zu stellen. Es drehte sich um Luc und Stef. Marc wollte aber jetzt keine weiteren Fragen zu seiner Familie beantworten. Es sollte sich um das „Break-Point-Team“ drehen.

Jan gab noch einige Antworten zur Zukunft der Spieler und was das Team im Detail macht. Dadurch gab es doch noch ein versöhnliches Ende der Pressekonferenz. Ich war sehr froh, dass meine Jungs keine Stellungnahmen abgeben mussten. Jan und Marc hatten das allerdings auch geschickt verhindert.

Marc machte das Ende der Veranstaltung damit deutlich, dass er einfach aufstand und auch meinen Jungs ein Zeichen gab, den Raum zu verlassen. Ich war froh, dass es zu Ende war und selbst keine Erklärungen abgeben musste.

Jan wartete draußen auf uns. Als ich frische Luft einatmen konnte, fühlte ich mich wieder besser.

„Na, Chris. Wie geht es dir jetzt? Ich denke, wir haben den Leuten klargemacht, wie wir in Zukunft agieren werden.“

„Ich bin froh, dass es vorbei ist. Aber ich muss sagen, dass ihr der Presse deutlich in den Hintern getreten habt, das hatte ich in dieser Form nicht erwartet. Und so geladen habe ich Marc noch nie erlebt.“

„Allerdings. Ich habe mich auch zurückgenommen, sonst wäre mir vielleicht noch eine Äußerung rausgerutscht, die nicht klug gewesen wäre. Es hätte den Jungs nicht genützt, deshalb habe ich nur allgemein etwas gesagt. Aber sei dir sicher, wir als Team werden mit aller Kraft hinter diesem Projekt stehen. Hat Marc dir schon gesagt, was er vor hat?“

„Nein, etwas Neues?“

„Hihi, ja. Er hat sich entschieden, die Unterstützung für dieses Projekt auf weitere drei Jahre auszubauen und sich zu engagieren. Das heißt, die Jungs können sich unter deiner Leitung in Ruhe entwickeln und auch für Tim und Carlo gibt es eine Perspektive, da sie in dieses Projekt aufgenommen werden. In Zukunft wirst du also noch zwei weitere Spieler auf der Tour dabei haben. Allerdings wird das noch etwas dauern, denn Tim soll erst seine Diagnostik und Therapie machen.“

Das war eine schöne Überraschung. Für mich war es ein logischer Schritt, aber dass Jan dies von sich aus vorschlug, war nicht vorhersehbar.

„Kommt ihr noch mit auf ein kaltes Getränk an der Bar? Wir sollten uns dem Anlass entsprechend verabschieden.“

Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Schnell bildeten sich an der Theke zwei Gruppen. Auf der einen Seite Luc, Stef und meine Jungs und auf der anderen Seite Marc, Jan und ich.

„Wann kommt ihr mal wieder nach Halle?“, fragte ich Marc.

„Vielleicht schon in drei Wochen. Kommt drauf an, ob Thorsten das Fahrertraining jetzt oder erst im Herbst ansetzen möchte.“

„Das kann ich dir schon sagen, denn wir haben auf der letzten Teamsitzung vor drei Tagen schon darüber gesprochen. Wir machen beide Termine. In drei Wochen mit der einen Hälfte und dann mit der anderen Hälfte den zweiten Termin.“

„Ah, sehr schön. Das freut mich zu hören. Ihr könnt übrigens darüber auch günstigere Versicherungsprämien aushandeln.“

„Klar, Marc. Aber das ist nicht der Hauptgrund. Mein Bruder hat uns davon überzeugt. Er selbst macht ja auch regelmäßig Fahrerlehrgänge für Motorradfahrer. Wie kommt ihr jetzt zurück in die Schweiz?“

„Wir fahren mit dem Leihwagen nach Gatwick und dann in den Flieger nach Genf. Und fliegst du zurück nach Deutschland oder direkt auf das nächste Turnier?“

„Weder noch, ich fahre nach London, um dort mit Gilles die Vorbereitungen für Wimbledon zu machen. Chris fährt mit dem Auto zurück.“

„Okay, aber du fährst heute nicht mehr los, oder?“

Marc schaute mich strafend an. Schmunzelnd antwortete ich:

„Doch, aber nur bis Frankreich. Dort machen wir Station. Ich möchte hier nicht länger als notwendig bleiben.“

„Das kann ich gut verstehen. Dann melde dich bitte, wenn du wieder zu Hause bist.“

Ich versprach ihm das und es kam der Moment des Aufbruchs.

Für Dustin und Fynn war es ein emotionaler Abschied. Für mich ging eine anstrengende, ereignisreiche, aber auch sehr erfolgreiche Turnierreise mit der Rückfahrt zu Ende.

Jan hatte mir eine freie Woche genehmigt und die Jungs bekamen drei trainingsfreie Tage. Danach würden wir uns auf die USA Reise vorbereiten. Ich wollte endlich ein paar Tage in Ruhe Motorrad fahren. Ohne an Tennis denken zu müssen. Das hatte ich mir schon so lange vorgenommen.

Lesemodus deaktivieren (?)