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Auf der Tour
Teil 12
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Informationen
- Story: Auf der Tour
- Autor: cdwgrisu
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Lovestory
Inhaltsverzeichnis
- Chris: Endlich Urlaub
- Fynn: Besuch zu Hause
- Chris: spannende Anreise
- Fynn: Spannende Tage in der Heimat
- Chris: Urlaub ist angekommen
- Fynn: Die Überraschungen waren gelungen
- Chris: Furka und ein Ausblick in die Zukunft
- Fynn: Training ohne Chris
- Chris: Die Furka
- Fynn: Ein wichtiger Besuch
- Chris: Rückkehr nach Halle
Chris: Endlich Urlaub
Der Vormittag nach unserer frühmorgendlichen Landung war für mich einfach ausgefallen. Ich hatte bis mittags geschlafen und war nun dabei, meine Wohnung auf Vordermann zu bringen und meine Sachen auszupacken. Am Nachmittag hatte Thorsten zu einem Meeting gebeten und danach ging es für mich in den Urlaub. Endlich. Mein Akku war komplett leer. Marc hatte mich zu sich in die Schweiz eingeladen und dieser Einladung wollte ich gerne folgen.
Morgen früh würde der Flug nach Genf gehen. Von dort wollte er mich abholen. Also hieß das für mich, Koffer aus- und gleich wieder einpacken. Da es in der Schweiz sehr unterschiedliche Temperaturzonen gab, musste ich für alle Wetterlagen Sachen einpacken, da ich ja auch überhaupt nicht wusste, was Marc geplant hatte.
Beim Auspacken meiner Taschen fiel mir auch die Rolex wieder in die Hände. Ich öffnete die Schachtel und schaute sie mir einmal ganz genau an. Sie war wirklich wunderschön und ich bekam erneut ein schlechtes Gewissen. Dennoch gefiel sie mir sehr. Eine schlichte Uhr aus edlen Materialien. Die ganzen Papiere dazu wunderten mich schon etwas. Aber heutzutage musste man diese Papiere besitzen, um wegen der vielen Nachahmerprodukte die Echtheit bestätigen zu können.
Ich legte sie zurück in die Schachtel, hatte aber vor, sie nach Halle mitzunehmen.
Den Laptop legte ich gleich in meinen Rucksack. Aufgrund des schönen Wetters wollte ich mit der Panigale fahren. Das hatte mir schon die ganze Zeit gefehlt, den Kopf mit einer Motorradrunde freimachen zu können.
Nachdem ich alles vorbereitet hatte, machte ich mir etwas zu essen, schaute doch noch einmal in meine Aufzeichnungen auf dem Laptop und zog mir anschließend die Motorradkluft an.
Etwa eine halbe Stunde später rollte ich auf den Parkplatz am Clubhaus. Es war noch nicht viel los und ich ging auf direktem Weg in die Umkleide. Dort zog ich die Motorradsachen aus.
Bis es in den Besprechungsraum ging, hatte ich noch etwas Zeit und bestellte mir im Clubraum noch etwas zu trinken. Erstaunlicherweise fand ich dort Gerry Weber die Zeitung lesend sitzen. Er verbrachte anscheinend seine Mittagspause im Club. Ich begrüßte ihn kurz, setzte mich aber an die Theke.
Als ich meine Fassbrause bekam, meldete sich Gerry von seinem Tisch:
„Na, hast du deine Fassbrause in den Staaten vermisst?“
Ich drehte mich um und Gerry lachte.
„Komm, setz dich doch zu mir. Wir haben noch etwas Zeit bis zum Meeting.“
„Oh, gerne. Ich dachte, du hast deine Mittagspause und ich wollte dich dabei nicht stören.“
„Haha, ich habe keine Mittagspausen mehr. Eigentlich bin ich ja jetzt Rentner mit einigen Nebentätigkeiten.“
„Ja, sicher. Hihihi, so nennst du das jetzt? Auch gut, aber du hast mit Sicherheit mehr Arbeit als so manch einer deiner Angestellten.“
„Ich habe auch keine Angestellten mehr, das ist jetzt Aufgabe von Ralf. Ich bin nur noch Aufsichtsratsvorsitzender und gehe normalerweise um diese Zeit eine Runde Golf spielen.“
Das war typisch Gerry Weber. Immer für einen kleinen Scherz zu haben, aber knallhart, wenn es um das Unternehmen oder um Kinder ging.
„Okay, das ist eine Sportart, die mich durchaus reizt, die ich mir aber nicht leisten kann. Außerdem habe ich erst einmal mit Andrei Pavel vor etlichen Jahren auf dem Golfplatz gestanden.“
Er lächelte und dann fragte er mich:
„Wie geht es dir heute? Hast du dich schon ein wenig von der anstrengenden Reise erholt?“
„Ich bin immer noch müde und schlapp, aber diesen Tag schaffe ich auch noch, bevor es morgen in den Urlaub geht.“
„Oh, das finde ich gut. Wo geht es denn hin?“
„In die Schweiz, Marc hat mich eingeladen und gesagt, ich soll mich mal etwas ausruhen.“
„Guter Gedanke. Marc hat hier auch mehrfach mit Thorsten und deinem Bruder gesprochen. Er war immer gut informiert. Es gefällt mir sehr, wie er mit euch zusammenarbeitet. Er macht weitaus mehr, als er eigentlich müsste. Die Förderung der Jungs ist ihm wohl sehr wichtig.“
„Allerdings. Er war immer auf dem Laufenden und hat sich sogar direkt bei mir gemeldet. Das gab allen ein gutes Gefühl und ich fühlte mich unterstützt. Manchmal habe ich da schon leichte Zweifel gehabt, ob ich das alles richtig entschieden hatte.“
„So wie ich dich kenne, hast du ganz sicher richtig entschieden. Du machst exzellente Arbeit. Das zeigt sich in der Entwicklung gerade bei Fynn und Dustin. Ich glaube, dein Bruder hat eine gute Idee und das wird dir auch gefallen.“
Damit stand er vom Tisch auf und wir machten uns auf den Weg in den Besprechungsraum. Thorsten und Burghard waren bereits anwesend. Sie begrüßten mich herzlich. Thorsten fragte:
„Wie war der erste Schlaf im eigenen Bett? Von Nacht kann ja nicht wirklich die Rede sein.“
„Hahaha, nein, das stimmt. Aber das eigene Bett ist für meinen Rücken schon das Beste. Könnte mich schnell wieder dran gewöhnen.“
„Na, und dann fährst du gleich wieder los?“
„Haha, ja, aber ich glaube, in der Schweiz hat Marc auch gute Betten.“
Ich schaute zur Uhr und wunderte mich. Thorsten schien noch auf etwas zu warten. Dann ging die Tür auf und Jan betrat den Raum. Damit hatte ich ganz und gar nicht gerechnet, denn vorgestern hieß es noch, dass er in Umag weilen würde.
„Hi, Jan. Nanu, ich dachte, du bist in Umag beim Turnier.“
„Ja, Chris, das stimmt auch. Ich bin aber für dieses Meeting angereist, weil es mir wichtig ist.“
Das bedeutete, heute stand noch etwas Wichtiges an. Sonst würde mein Bruder diesen Aufwand nicht betreiben.
„Lasst uns anfangen, Chris möchte anschließend in den Urlaub starten.“, sagte mein Bruder und lachte.
Alle nahmen im Besprechungsraum Platz und ich öffnete meinen Laptop. Jan machte eine kurze Einleitung und übergab dann das Wort an mich.
Jetzt machte sich doch etwas Nervosität bei mir breit. Alle Augen waren auf mich gerichtet und erwarteten meinen Bericht.
Ich begrüßte erneut alle und gab dann meinen Bericht ab. Es dauerte jedoch etwas länger als ich gedacht hatte und zum Schluss stellte ich folgende Fragen in den Raum:
„Meine Frage an euch ist: wie soll die Förderung weitergehen? Ich bin der Ansicht, dass es wenig Sinn macht, mit vier oder fünf Spielern ständig auf der Tour unterwegs zu sein. Das ist für einen Coach nicht wirklich gut zu machen. Außerdem bin ich der Meinung, dass wir Justin fest aufnehmen sollten. Er hat auf dieser Turnierreise bewiesen, dass er gut ins Team passt. Von seinen Fähigkeiten als Spieler bin ich eh überzeugt.“
Alle schauten sich an und Jan nickte anerkennend. Thorsten übernahm nun wieder die Gesprächsführung.
„Danke, Chris. Das war sehr ausführlich und auch sehr erfolgreich. Du hast das Kunststück hinbekommen, diese Gruppe, trotz der Zwischenfälle, nach Hause zu bringen. Und sehr erfolgreich noch obendrein. Die negativen Vorfälle hast du in deinem Bericht verschwiegen. Ich möchte dir für deinen Einsatz danken und kann nur hoffen, dass diese unschönen Szenen aufhören und auch die Angriffe verhindert werden können. Was deinen Ausblick betrifft, kann ich dich nur unterstützen. Jan wird dazu gleich sicher etwas sagen wollen. Erst einmal vielen Dank von meiner Seite für deine erfolgreiche Arbeit.“
Der folgende, spontane Applaus erstaunte mich. Aber es war wohltuend, dass mein Bericht und meine Arbeit auf die Zustimmung des ganzen Teams gestoßen war.
„Also ich möchte direkt auf deine Ausführungen reagieren. Dass du mit so vielen Erfolgen zurückkehren würdest, konnte niemand erwarten. Umso schöner ist das natürlich. Leider ist in der Familie bei Maxi einiges passiert, was nicht so schön ist. Da müssen wir noch abwarten, wie sich das entwickelt. Was Justin betrifft, habe ich bereits mit seinem Vater einen neuen Vertrag ausgehandelt. Justin wird ab sofort fest bei uns wohnen und auch spielen. Wer seine Betreuung auf der Tour übernimmt, werden wir noch besprechen. Damit komme ich zum nächsten Punkt. Du hast erwähnt, dass es schwierig ist, für so viele Spieler allein verantwortlich zu sein. Ich möchte da widersprechen, es ist nicht schwierig, das ist unmöglich.“
Er musste mir zuerst einen Schrecken einjagen. Thorsten fand das auch irritierend und schüttelte seinen Kopf mit einem Lachen im Gesicht.
„Ich frage dich mal direkt. Hast du schon eine Idee, wie du dir das vorstellen kannst?“
Ich überlegte kurz, ob ich das einfach so anbringen konnte, aber Jan hatte mich gefragt, also wollte ich auch meine Ideen offen legen.
„Ich denke, Carlo und Tim sind mit der Future/Challenger Tour noch überfordert. Für Fynn, Dustin und Justin sehe ich die nahe Zukunft allerdings auf der Challenger Tour. Dafür bräuchten sie allerdings einen festen Coach, der sie begleiten und trainieren kann. Darüber solltet ihr euch Gedanken machen. Vor allem mit der Problematik, dass alle drei auch ihre Baustellen außerhalb des Platzes haben, die noch weiter zu bearbeiten sind.“
„Glaubst du, dass die drei eine realistische Möglichkeit haben, in zwei bis drei Jahren auch auf der ATP Tour spielen zu können?“, fragte Burghard.
Ich schaute ihn an und war mir unsicher. Es war eigentlich unmöglich, so etwas vorherzusagen.
„Ich weiß es nicht. Ich finde es auch unrealistisch, bereits heute eine zuverlässige Aussage dazu zu machen. Das Potenzial haben alle drei, aber ob das auch tatsächlich klappt, das kann ich nicht sagen.“
„Danke, Chris. Ich habe das Gefühl, dass ich dich unterschätzt habe. Was ich heute gehört und in den letzten Wochen von dir gesehen habe, hat mich dazu gebracht, unsere Planungen zu überdenken. Ich glaube, dass es kein anderer Coach zum jetzigen Zeitpunkt schaffen wird, diese drei Jungs zielgerichtet besser zu betreuen als du. Deshalb möchte ich dich fragen, ob du bereit wärest, dich ausschließlich um dieses Projekt zu kümmern? Also komplett von der Trainings- und Turnierplanung bis hin zu den Gesprächen mit den Familien und den nötigen therapeutischen Maßnahmen. Dass die drei weiter in der WG wohnen, setze ich als selbstverständlich voraus. Tim und Carlo werden zwar nicht begeistert sein, wenn sie dich als Trainer verlieren, aber da werden wir eine andere Lösung finden, mit der sie gut leben können. Ich habe auch bereits einen neuen Kollegen dafür im Auge. Das besprechen wir aber nach deinem Urlaub.“
Das war ein Angebot, mit dem ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Schließlich hatte ich keine A-Lizenz und auch wenig Erfahrung im Trainingsaufbau für professionelle Spieler.
„Ich habe noch eine Frage. Was ist mit Maxi? Was hat sich dort mit seinem Vater ergeben?“
Ich spürte, dass es doch nicht so glimpflich abgegangen war, denn Jans Miene sprach für sich.
„Maxi wird erst einmal keine größeren Turnierreisen mehr machen. Er will sich um seine Mutter kümmern, da sein Vater einen weiteren Infarkt erlitten hat, der nicht so glimpflich ausgegangen ist. Es könnte sein, dass sein Vater ein Pflegefall wird.“
Puh, das war heftig. Ich kannte seinen Vater auch sehr gut und mir tat das leid. Aber andererseits hatte ich großen Respekt vor Maxis Entscheidung, für seine Mutter und seinen Vater da sein zu wollen.
„Wie siehst du meinen Vorschlag? Und bevor du fragst, ja, ich bin davon überzeugt, dass du der Richtige dafür bist. Egal welche Qualifikationen du auf dem Papier mitbringst. Außerdem kannst du dich hier jederzeit mit Burghard oder auch mit mir beraten, wenn du dir bei etwas nicht sicher sein solltest.“
„Ja, was soll ich dazu sagen? Ich habe schließlich diese Frage in den Raum gestellt. Also wenn ihr euch sicher seid, dass ich für die drei Jungs der richtige Coach bin, auch auf der Challenger Tour, dann stehe ich bereit. Aber über den Tourplan reden wir erst, wenn ich aus dem Urlaub zurück bin. Jetzt brauche ich Erholung.“
„Okay, das sei dir gegönnt. Aber es gibt noch einen Punkt, den wir besprechen müssen. Gerry, jetzt bist du dran.“
„Danke, Thorsten. Ja, es geht um die Bundesliga und den aktuellen Kader. Wir haben noch zwei Spieltage und ich möchte darum bitten, dass Fynn und Dustin dort zur Verfügung stehen. Wir haben jetzt zwei Wochen Sommerpause und in drei Wochen wäre das nächste Spiel. Da wäre Chris auch wieder aus dem Urlaub zurück und ich würde es begrüßen, wenn Chris dann auch dabei wäre.“
„Aus meiner Sicht kein Problem. Chris, wie siehst du das?“, fragte mich Jan.
„Ich wäre dabei. Wenn das in unseren Turnierplan passt, gerne sogar. Und die Jungs sollen sich unseren Fans präsentieren. Gibt es vielleicht noch eine Möglichkeit, auch Justin noch einzusetzen?“
„Das machen wir passend. Ich finde es wichtig, dass wir unseren Zuschauern unsere Nachwuchscracks auch zeigen. Dass die Jungs dabei Erfahrungen sammeln können, ist sicher auch wichtig. Für Justin müssten wir eine Nachmeldung machen. Thorsten, kannst du das mal abklären? Da er bislang in keinem anderen Verein gespielt hat, sollte das möglich sein.“
Für mich taten sich vollkommen neue Perspektiven auf. Erst als ich nach der Besprechung wieder an der frischen Luft war, wurde mir das bewusst. Das würde sicherlich sehr spannend werden und darauf freute ich mich.
Jan kam noch zu mir und wir redeten noch etwas über seinen Turnierplan und über unsere Eltern. Zum Abschied sagte er mir noch:
„Du hast dich hier toll eingebracht und ich bin froh darüber, dass du mir eine faire Chance gegeben hast, unser Verhältnis weiter zu verbessern. Jetzt erhol dich gut in der Schweiz. Allerdings habe ich doch eine Bitte an dich. Es wäre gut, wenn du mit Marc über die neue Entwicklung sprichst. Er ist ja noch einer der Hauptgeldgeber für die Jungs. Vielleicht möchte er jetzt aus diesem Projekt aussteigen, da die Jungs über den Berg sind.“
„Naja, über den Berg? Das sehe ich noch nicht so, aber sie sind auf einem guten Weg. Ohne die Unterstützung von Marc würde es deutlich schwieriger werden, die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Aber ich werde mit Marc darüber sprechen.“
Danach verabschiedete ich mich, fuhr in der WG vorbei und verabschiedete mich von den Jungs in den Urlaub.
Die letzte Handlung am Abend war ein längeres Gespräch mit Maxi. Das war mir wichtig, ihm auch weiterhin meine Unterstützung zuzusagen.
Fynn: Besuch zu Hause
Chris hatte sich noch von uns verabschiedet, nachdem er zur Teamsitzung gewesen war. Jetzt würden wir drei Wochen bei Toto und Burghard trainieren. Also eine Turnierpause einlegen. Allerdings stand für Dustin und mich ein Besuch zu Hause an. Dustin wirkte etwas nervös, ich freute mich auf das Wiedersehen mit meinem Bruder. Worüber ich mich etwas wunderte, ich war überhaupt nicht mehr beunruhigt über das Wiedersehen mit meinem Vater. Unser Verhältnis hatte sich positiv entwickelt und entspannt. Manchmal hätte ich mir sogar noch mehr Gespräche mit ihm gewünscht.
„Schatz, nehmen wir eigentlich unsere Tennissachen auch mit? Eigentlich können wir doch nicht einfach ein paar Tage gar nichts machen.“
Dustin stand vor seiner großen Reisetasche und schaute mich fragend an.
„Ich nehme zwei Schläger und Teamsachen mit. Vielleicht spielen wir mit Patrick auch einmal. Ich denke, dass wir in dem kleinen Club zu Hause spielen können. Darum kümmern wir uns dann vor Ort.“
Dustin lächelte und gab mir zur Bestätigung einen Kuss.
Als wir unsere Taschen gepackt hatten, trafen wir uns alle zum Abendessen. Dort würden wir uns auch von den anderen verabschieden, denn am nächsten Morgen wollten wir zu meiner Familie aufbrechen.
Tim und Carlo waren etwas traurig, dass wir jetzt auch für ein paar Tage weg sein würden. So waren sie allein in der WG, denn Maxi war zu seiner Mutter gefahren. Lediglich Justin würde in diesen Tagen richtig bei uns einziehen. Er sollte das Zimmer von Lennart bekommen, der mittlerweile in einer eigenen Wohnung lebte und studierte. Er war allerdings bei uns als Trainer für den jüngeren Nachwuchs engagiert. Seine Profilaufbahn wurde von einer schweren Knieverletzung beendet. Dennoch hatte ihn das Team nicht fallen lassen, sondern ihm das Angebot gemacht, als Coach das Team weiter zu unterstützen.
Am nächsten Morgen holte uns Mama aus der WG ab und ich war sogar etwas enttäuscht, dass sie allein gekommen war. Allerdings hatte ich vergessen, dass Papa ja wieder arbeitete und daher erst am Nachmittag wieder zu Hause sein würde. Patrick hatte sich mit einem Freund verabredet. Das würde uns die nötige Ruhe verschaffen, um uns in meinem alten Zimmer einrichten zu können.
Ich hatte Luc und Stef ein paar Bilder geschickt, damit sie informiert waren. Chris würde heute bei ihnen ankommen und sich dort erholen. Für mich war es immer noch erstaunlich, was er für uns alles angeschoben hatte. Heute waren wir in einer Situation, wie sie nicht besser sein könnte. Auch Dustin hatte mir häufig gesagt, wie dankbar er Chris sei. Und von daher war es ihm überhaupt nicht schwer gefallen, Chris diese wertvolle Uhr zu schenken. Nun wollten wir versuchen, mit unserer Familie ein paar schöne Tage zu verbringen und vielleicht auch ein paar alte Freunde zu besuchen.
Es klopfte.
„Herein“, sagte ich.
Mama betrat unser Zimmer.
„Na, habt ihr alles? Oder kann ich noch etwas für euch tun?“
„Danke, Mama. Es ist alles gut und fertig gepackt. Wann kommt Papa nach Hause?“
„Beim Frühstück hatte er gesagt, dass er heute auf jeden Fall pünktlich Feierabend machen wollte. Dann wäre er gegen vier Uhr zu Hause. Habt ihr schon eine Idee, auf was ihr inzwischen Lust habt und machen wollt?“
„Wir müssen auf jeden Fall eine Runde laufen gehen. Außerdem fühle ich mich etwas träge, da könnte mir Bewegung nicht schaden.“, meldete sich Dustin.
Ich staunte, denn eigentlich war Dustin überhaupt kein Freund vom Laufen. Es war ihm oft zu langweilig. Deshalb schaute ich ihn verwundert an.
„Ja, irgendwas müssen wir doch für unsere Fitness machen. Chris wird uns steinigen, wenn wir nicht in Form zurückkommen.“
„Aber Laufen? Ausgerechnet du?“
„Ich habe noch keine Ahnung, was wir sonst machen könnten. Aber vielleicht hast du ja eine bessere Idee?“
„Habe ich. Wir gehen eine Runde schwimmen. Das Freibad ist von uns aus nur fünf Minuten mit dem Rad entfernt.“
Mein Schatz schaute mich fragend an.
„Hast du da nicht vielleicht eine Sache übersehen? Wir haben keine Räder dort. Die stehen doch hier in Halle.“
Da hatte er allerdings recht. Verdammt, daran hatte ich nicht gedacht. Allerdings bekam meine Mutter ein Lächeln in ihr Gesicht.
„ Kommt jetzt erst einmal mit, ihr beiden. Ich glaube, dass ich zuhause eine Lösung für euer Problem habe.“
Also schulterten wir unsere Taschen und folgten meiner Mutter zum Auto. Zuhause angekommen, war ich natürlich neugierig, was Mama wohl für einen Gedanken gehabt hatte und so marschierten wir hinter Mama her...... Als wir vor dem Gartenhäuschen standen, schaute ich Dustin fragend an. Aber auch er schien keine Ahnung zu haben, was Mama vorhatte. Sie öffnete die Tür und dort standen zwei nagelneue Moubtainbike Pedelecs. Eines in schwarz und eines in Silber.
„Uiiii. Was ist das denn?“, fragte ich.
„Das sind unsere neuen Räder. Papa hatte ja angekündigt, sich auch wieder mehr sportlich betätigen zu wollen. Deshalb hat er für sich und mich diese Räder gekauft. Papa hatte heute Morgen schon vermutet, dass ihr wohl Räder brauchen könntet. Ihr dürft sie benutzen, so lange ihr hier seid.“
„Geil. Damit habe ich ja überhaupt nicht gerechnet. Ich glaube, dass Papa da ein großes Dankeschön verdient hat.“
„Allerdings“, ergänzte mein Freund und gab mir einen Kuss.
Mama lachte sich kaputt über diese Reaktion und drückte mir die beiden Schlüssel für die Schlösser in die Hand.
„Damit könnt ihr sofort losradeln. Die Akkus sind geladen und jetzt packt eure Badesachen ein und los geht's.“
„Danke, Mama. Das ist echt eine Überraschung. Ich glaube, ich muss noch mehr über die Bemühungen von Papa nachdenken. Er macht wohl wirklich ernst.“
„Das solltest du ihm selbst mitteilen. Er wird sich bestimmt über deine Anerkennung freuen.“
Im Schwimmbad war bereits viel los. Das Wetter war perfekt und viele Jugendliche und Kinder tobten schon im Wasser herum. Bevor ich mit Dustin zusammenkam, habe ich mich selten in das Bad getraut. Ich hatte immer Angst, dass meine blauen Flecken von den Misshandlungen auffallen würden. Heute konnte ich mit meinem Freund einfach nur Spaß haben und zusätzlich ein wenig für die Kondition tun.
Chris: spannende Anreise
Der Flug von Paderborn nach Genf begann vollkommen entspannt mit dem Check-in und auch mein Gepäck wurde ohne Probleme angenommen. Als ich in der Maschine meinen Platz eingenommen hatte, war auch noch alles in Ordnung.
Dann allerdings begannen die Probleme. Zuerst teilte uns der Kapitän mit, dass sich der Abflug verzögern würde, weil ein Koffer wieder ausgeladen werden müsste. Sein Besitzer war nicht an Bord gekommen und das war aus Sicherheitsgründen nicht zulässig.
Als wir dann mit etwa dreißig Minuten Verspätung auf die Startbahn rollten, hatte ich bereits einen leckeren Kaffee intus und war mit den Gedanken fast in Genf. Der Flug sah allerdings einen Umstieg in Frankfurt vor.
Durch die Abflugverzögerung wurde nun der Anschluss etwas eng, aber die Flugbegleiter hatten uns informiert, dass der Flug nach Genf zeitlich klappen würde und es zeigte sich, dass diese auch Recht behielten und das Boarding für den Weiterflug nach Genf ging zügig vonstatten. Dann aber sollte sich auch hier der Abflug noch weiter verzögern. Es gab technische Probleme an der Maschine. Anfangs hieß es, dass wir das Flugzeug sogar wieder verlassen müssten und auf ein anderes Flugzeug umsteigen sollten, aber dann konnte der Fehler doch behoben werden und mit entsprechend deutlicher Verspätung startete die Maschine schließlich nach Genf.
In der Zwischenzeit hatte ich Marc natürlich mehrfach geänderte Ankunftszeiten mitgeteilt und fühlte mich genervt. Hoffentlich würde das nicht so weiter gehen.
Als die Maschine endlich in Genf gelandet war, hatte ich zwei Stunden Verspätung. Eigentlich hatte ich immer gedacht, so etwas gäbe es nur bei der Deutschen Bahn .....
Als ich durch den Zoll die Ankunftshalle betrat, kamen mir Luc und Stef bereits entgegen. Ich stellte zur Begrüßung meine Taschen auf dem Boden ab und dann umarmte ich beide.
„Hallo Chris, willkommen in der Schweiz. Sorry, dass deine Anreise so beschwerlich gewesen ist.“
„Hi Luc, danke. Aber ihr könnt ja nichts dafür. Immerhin bin ich heil in Genf gelandet.“
„Das wäre auch ein ganz heftiger Verlust und wir dürften dann große Probleme mit Dustin und Fynn bekommen, wenn wir dich nicht gesund und erholt wieder nach Hause schicken.“
Darüber mussten wir lachen, denn Stef hatte das so gut rübergebracht, dass ich für eine Sekunde gezweifelt hatte, ob das wirklich Stef gesagt hatte.
„Los, lass uns deine Taschen nehmen und dann ab zum Auto. Papa wartet nicht gerne, schon gar nicht auf seine Gäste.“
Luc drehte sich um, Stef hatte sich bereits eine meiner Taschen geschnappt und so ging ich neben den beiden Jungs in Richtung Auto.
In der Tiefgarage bat mich Luc, auf dem Beifahrersitz seines Camaros Platz zu nehmen. Doch wollte ich Stef nicht von seinem Platz dort verdrängen und stieg deshalb hinten ein. Dort wehte mir während der Fahrt der Wind um die Nase und ich fühlte mich gleich dreißig Jahre jünger. Ein tolles Auto mit einem wahnsinnigen Flair. Es war ein Kunstwerk geworden und dazu noch mit mehr als ausreichend Dampf unter der Haube. Luc fuhr ruhig und sicher nach Hause. Es war nicht zu spüren, dass er noch nicht lange seinen Führerschein besaß.
„So, Chris. Meine Eltern freuen sich schon sehr, dich begrüßen zu können. Marc hat Leif noch abholen müssen, daher haben wir dich abholen dürfen. Ich hoffe, die Fahrt war nicht zu unangenehm für dich.“
„Ach was, du bist super gefahren. Ich habe nicht bemerkt, dass du noch nicht lange den Führerschein hast.“
Das Lächeln im Gesicht zeigte mir, dass er sich über meine Bemerkung freute.
Als wir über den Garten das Haus betraten, konnte ich bereits den Geruch von gegrilltem Fleisch wahrnehmen. Sabine kam aus der Küche und begrüßte mich mit einer Umarmung.
„Herzlich willkommen in der Schweiz. Damit du dich wie zu Hause fühlen kannst, hat dir Marc sogar deine geliebte Fassbrause besorgt.“
Sie reichte mir eine kalte Flasche und gab Stef und Luc auch eine mit der wir dann anstießen.
„Bevor wir essen, soll dir Luc dein Zimmer zeigen. Marc holt Leif gerade ab. Stef, könntest du bitte die Aufsicht am Grill übernehmen. Da liegen noch Steaks, die gegrillt werden müssen.“
Sabine hatte wieder einmal alles im Griff. Luc hatte sich körperlich deutlich entwickelt. Er wirkte viel muskulöser und gut trainiert. Sein Lächeln hatte sich allerdings kein bisschen verändert. Er strahlte immer noch eine Freundlichkeit aus, die mich von Beginn an stets beeindruckt hatte. Für Dustin und Fynn hatte diese Freundschaft einen hohen Stellenwert bekommen. Nachdem ich meine Tasche im Gästezimmer abgestellt hatte, ging ich in den Garten und gesellte mich zu Stef und Luc an den Grill.
„Ihr seid gerade erst aus Kanada zurückgekommen. Dort ist es ja toll gelaufen. Bist du noch sehr müde vom Jetlag?“
„Es geht, Luc. Aber der Erfolg lässt es gut ertragen. Die Jungs freuen sich vermutlich auch gerade, dass sie ein paar Tage frei haben. Dustin und Fynn sind zu Fynns Familie gefahren. Und ich möchte auch ein paar Tage mal komplett vom Tennis abschalten. Ich kann die gelben Filzkugeln nicht mehr sehen.“
„Hahaha, das glaube ich dir sofort.“
Wo kam das denn her? Ich drehte mich um und Marc stand lachend vor mir.
„Hey, Marc. Wo kommst du denn so plötzlich her?“
Lachend umarmte er mich und auch Leif begrüßte mich sehr freundlich.
„Wie geht es dir? Hast du die Reise und die Zeitumstellung aus Kanada gut verkraftet?“
„Danke, es geht mir gut. Nur bin ich müde und erschöpft. Ich brauche Erholung.“
„Na, dann bist du hier genau richtig. Hier wird dir keine 'gelbe Filzkugel' begegnen, wenn du das nicht willst. Wir haben genug andere schöne Sachen.“
„Ich lasse mich gern überraschen und freue mich auf die kommenden Wochen.“
„Hast du Hunger mitgebracht? Wir können essen.“
„Essen ist immer gut und ich muss sagen, es ist schön, wieder bei euch zu sein.“
„Das freut uns. Und dieses Mal haben wir viel Zeit, andere Dinge zu tun als uns um Tennis Gedanken zu machen.“
Marc ging ins Haus und kam mit einigen Flaschen Fassbrause zurück. Er stellte diese in eine Kühltasche neben den Tisch und fragte:
„Wer möchte auch eine Fassbrause? Und wer möchte etwas anderes trinken?“
Luc nahm eine Fassbrause und Stef zog eine Flasche Radler vor. Leif bevorzugte ein Bier während Marc und Sabine ebenfalls bei Fassbrause zugriffen.
„Es stört dich doch nicht, dass ich ein Bier trinke?“
Ich schaute Leif verwundert an. Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet.
„Nein, absolut nicht. Es sei dir gegönnt.“
„Aber wenn es dich stören sollte, dann sag es bitte. Wir nehmen gern Rücksicht.“, meldete sich Sabine zu Wort.
„Danke, das ist nett von euch.“
„Wie lange bist du jetzt schon trocken?“, fragte Luc.
„Oh, fast achtundzwanzig Jahre.“
„Wow! Hast du eigentlich auch manchmal Angst, dass es mit deinen Spielern in dieser Richtung Probleme geben könnte?“
„Nein, Sabine. Angst habe ich keine. Allerdings bemühe ich mich, genau hinzusehen. Bislang hatte ich keinen Grund, mir Gedanken machen zu müssen. Gerade bei Fynn und Dustin ist es eher so, dass sie nach den gemachten Erfahrungen generell dem Alkohol kritisch gegenüber stehen. Manchmal versuche ich ihnen klarzumachen, dass zu einem guten Essen auch ein Glas Wein gehören kann und darf und für einen Leistungssportler nicht gleich eine Gefahr darstellt.“
„Das heißt also, du verteufelst Alkohol nicht generell?“
„Richtig, Leif. Alkohol kann auch etwas ganz Schönes sein. Nur für mich halt nicht mehr. Mein Körper kann damit nicht umgehen und ich muss dieses Gift aus meinem Körper lassen. Allerdings gilt das nur für mich. Wer mit Alkohol gut und richtig umgehen kann, darf ihn auch gerne nutzen bzw. genießen. Nur bei mir zu Hause wird es nie Alkohol geben. Auch für meine Gäste nicht.“
Die Steaks waren fertig und das hieß Fütterung der Raubtiere. Was die Jungs an Nahrung vertilgten war schon beeindruckend. Allerdings schmeckte alles auch extrem lecker. Ich griff auch einmal mehr zu als ich eigentlich gemusst hätte.
Aber meine Haltung zum Essen war klar. Ich aß das, worauf ich Lust hatte. Ich wollte mir zumindest beim Essen nicht auch noch eine zusätzliche Einschränkung auferlegen außer dem Verzicht von Alkohol.
Wir saßen noch eine ganze Weile im Garten und redeten über unsere letzte Reise mit den Jungs. Ich konnte verstehen, dass es gerade Marc interessierte, wie sich die Lage bei uns entwickelte. Aber irgendwann reichte es wohl Sabine.
„Leute, Chris ist im Urlaub bei uns. Gerade damit er mal abschalten kann. Und was tut ihr? Über Tennis reden. Schon fast zwei Stunden. Es reicht jetzt. Für heute erkläre ich das Thema Tennis zum Tabu.“
Marc und ich schauten sie verwundert an, aber ich war ihr auch dankbar für diesen Einwand.
„Sorry, Schatz. Da sagst du etwas vollkommen Richtiges. Lasst uns mal schauen, was wir mit Chris heute so anstellen. Worauf hast du denn Lust?“
„Puh, ich kenne mich hier ja überhaupt nicht aus. Habe ja meistens nur Tennisplätze gesehen.“
„Hahaha, okay. Dann schlage ich vor, wir machen mal eine kleine Runde durch die Umgebung. Hast du Lust, eine Runde mit dem Rad zu drehen?“
„Ja, sehr gern. Hast du für mich denn ein passendes Fahrrad?“
„Klar, kein Problem. Du kannst meins nehmen. Ich werde mir das nehmen, was übrig bleibt. Jungs, was ist mit euch? Möchte jemand mitkommen?“
Luc und Stef wollten sofort mitfahren während Leif sich lieber mit seinen Freunden treffen wollte.
„Gut, dann ist das ja geklärt. Sabine, was ist mit dir?“
„Ich bleibe lieber hier. Ich kann dann hier noch etwas aufräumen und ein paar Dinge vorbereiten. Du hast ja doch noch einiges vor mit Chris.“
„Aber deswegen musst du nicht hierbleiben. Das kann warten.“
„Nein, lasst mal. Fahrt ihr mal. Ich bleibe hier.“
Marc ließ das jetzt so stehen und bat mich, ihm zu folgen.
Die Räder standen in einem Nebenraum der Garage. Marc bat mich, mit Stef und Luc draußen zu warten und brachte ein Rad nach dem anderen nach draußen. Ich staunte über die schönen Bikes. Es waren alles Pedelecs, die nicht vom Discounter stammten.
„So, Chris. Du bist in etwa so groß wie ich, also setz dich mal auf dieses Bike. Dreh mal eine Runde ob der Sattel für dich so passt.“
Ich stieg auf das Mountainbike und fuhr einmal auf der Straße rauf und wieder runter. Das passte sehr gut.
„Wir fahren jetzt mal etwas durch unser Viertel, damit du dich besser orientieren kannst, wenn du mal allein losfahren möchtest. Es ist ja schon eine Weile her, dass du hier warst. Wir sind auch häufig im Wald unterwegs und da wirst du gleich merken, dass die Pedelecs dort eine große Hilfe sind.“
Luc und Stef fuhren vorweg und Marc und ich folgten ihnen. Zuerst ging es nur durch Wohngebiete und Marc erklärte mir einiges dazu. Allerdings waren diese Häuser bereits einige Minuten von ihrem Anwesen entfernt. Plötzlich hielt Luc vorne an und wartete bis wir zu ihnen aufgeschlossen hatten.
„Wollen wir den kurzen Weg nehmen oder durch den Wald fahren?“, fragte Luc.
Dabei schauten sie mich an.
„Was meinst du, Chris? Fühlst du dich noch fit?“
„Klar, ich bin zwar schon alt, aber das geht immer. Lasst uns ruhig durch den Wald fahren.“
Marc klopfte mir auf die Schulter und weiter ging es. Der Weg wurde zwar anspruchsvoller, aber der Blick von oben auf den Ort entschädigte für die Anstrengung und die Pedelecs erwiesen sich als zusätzliche Hilfe bei den Steigungen.
Luc stellte als erster sein Rad an einem Hochsitz ab und sein Freund tat es ihm gleich. Wir rollten heran und Luc lächelte, als er anmerkte:
„Lasst uns mal den Blick von oben nehmen. Dieser Ort hat für uns auch eine Besonderheit.“
Stef schien nicht sonderlich begeistert zu sein, dass sein Freund so freimütig mit den Aussagen zu diesem Ort war. Er flüsterte seinem Freund etwas ins Ohr und Marc hielt mich für einen Augenblick unten an der Leiter zurück.
„Lass die beiden vorgehen. Ich glaube, dieser Ort ist für Stef sehr speziell. Ich habe das Gefühl, dass Luc gerade etwas voreilig vorgeprescht ist.“
„Ich habe es schon bemerkt. Hast du eine Ahnung warum?“
„Ein wenig schon. Zu Beginn, als Stef bei uns Zuflucht gefunden hatte, war dieser Ort oftmals für die beiden ein Rückzugsort. Ich vermute, dass jetzt Erinnerungen hochkommen und Stef diese Erinnerungen nicht unbedingt mit uns teilen möchte. Vielleicht ist es ihm unangenehm.“
„Das kann ich nachvollziehen. Vielleicht war das hier auch ihr erstes Liebesnest. Der Ort ist traumhaft schön und ich kann mir durchaus vorstellen, dass sie sich hier zum ersten Mal näher gekommen sind. Du hast mir beim letzten Mal auch einen Hochsitz gezeigt, war das dieser?“
Marc schaute mich an. Dann zwinkerte er mir zu und schaute nach oben. Luc hingegen blickte vom Hochsitz zu uns herab und rief ungeduldig nach unten:
„Wollt ihr nicht langsam mal hoch kommen. Der Ausblick ist einfach grandios. Chris soll doch etwas zu sehen bekommen.“
Das ließen wir uns natürlich nicht zweimal sagen und stiegen die steile Leiter nach oben. Der Ausblick entschädigte für den Weg dorthin. Er war einfach grandios.
„Ich vermute, ihr seid schon häufiger hier gewesen. Das lädt ja geradezu ein, um hier die Ruhe genießen zu können. Und nebenbei hat man noch einen unglaublichen Blick in die Gegend.“
„Ja, Chris. Das stimmt tatsächlich. Stef und ich haben hier schon oft unsere Zweisamkeit genossen.“
Es hatte den Anschein, als ob das Stef etwas unangenehm wäre und deshalb wechselte Marc auf den Ausblick und gab mir eine Orientierung.
„Das sieht schön aus. Weißt du ob es auch Wege direkt am See entlang gibt?“
„Klar, die gibt es. Aber da sollten wir erst einmal zusammen fahren. Damit du dich nicht verfährst und plötzlich im Niemandsland stehst. Wir werden auch mal auf den See fahren. Keine Sorge.“
Was das wohl für ein Ausflug auf den See würde? Beim letzten Mal wurde es spektakulär.
Unsere Tour dauerte doch noch einige Zeit. Auch wurde die Strecke immer anspruchsvoller. Es ging rauf und runter. Da machten sich die Pedelecs bezahlt und ich konnte gut mithalten. Allerdings kam ich auch gut ins Schwitzen und vermisste eine Trinkflasche. Das Problem kannte ich bereits vom Tennisplatz. Und als wir dann auf dem Rückweg waren und den Wald verlassen hatten, spürte ich ein kräftiges Durstgefühl.
„Wie weit ist es noch bis zu euch? Ich habe Sorge, dass mein Flüssigkeitshaushalt etwas gelitten hat. Ich schwitze leider immer sehr viel und muss daher viel trinken.“
„Ah, okay. Es ist aber nicht mehr weit. Vielleicht zehn Minuten, geht das noch?“
„Ja, sicher. Beim nächsten Mal nehme ich mir eine kleine Trinkflasche mit.“
Bei den Steevens angekommen, nahm ich mir eine Flasche Wasser und warf direkt eine Magnesiumtablette hinein. Ich ging in mein Zimmer und zog mir die verschwitzten Sachen aus, legte frische Sachen bereit, nahm einen kräftigen Schluck Wasser und ging duschen. Das tat gut.
Eigentlich war ich ein schneller Duscher, aber heute nahm ich mir viel Zeit und genoss das heiße Wasser über meinem Rücken.
Der erste Abend verlief sehr ruhig und ohne Programm. Wir saßen gemütlich im Garten und redeten über die aktuelle Situation. Allerdings nicht die Situation in Halle, sondern über meine. Luc und Stef waren zu ihren Freunden gegangen und somit waren wir allein.
„Kannst du schon richtig abschalten oder bist du gedanklich noch in Halle bei deinen Jungs?“
Sabine wusste wie ich tickte und was genau meine Schwachstelle war. Eine solche Frage war typisch für sie. Sie brachte Kritik zwar auf den Punkt, aber immer mit genügend Respekt und Einfühlungsvermögen.
„Ganz ehrlich, nein. Ich brauche immer ein oder zwei Tage, um in den Urlaubsmodus zu kommen. Außerdem habe ich schon lange keinen reinen Urlaub mehr gemacht.“
„Das kann ich gut nachvollziehen. Mir ging das damals ähnlich. Eigentlich konnte ich überhaupt nicht abschalten und darunter hat zwangsläufig auch das Verhältnis zu meinen Kindern gelitten. Heute bin ich einfach nur froh, dass ich damals die Entscheidung getroffen hatte aufzuhören.“
„Wie ist das heute? Machst du dir manchmal Vorwürfe? Mir fällt es sehr schwer, mal nur etwas für mich zu tun. Ich benötige quasi immer eine Rechtfertigung, dass ich etwas tue, was nur Spaß macht. Ohne weiteren Sinn haben zu müssen.“
„Hahaha, das glaube ich dir sofort. Deshalb haben wir dich ja eingeladen. Da werde ich sehr drauf achten, dass du genau das hier tun wirst.“
Marc lachte, als Sabine das gesagt hatte.
„Wenn du schlau bist, Chris, machst du das, was Sabine zu dir gerade gesagt hat. Sie wird ganz bestimmt ein Auge auf dich haben und dir schnell zeigen, wenn du wieder in deinen Arbeitsmodus fallen solltest. Ich habe das inzwischen begriffen und kann mittlerweile in unserem Urlaub auch komplett abschalten. Da bin ich dann nur noch für meine Kinder erreichbar.“
„Jaja, ihr habt ja recht. Das ist eine meiner Schwachstellen. Aber ich versuche das zu lernen und für mich zu nutzen.“
Wir saßen noch einige Zeit zusammen und die laue Abendluft legte sich über den Garten und als es richtig dunkel wurde, konnte ich einen herrlichen Sternenhimmel beobachten.
„Du interessierst dich für Astronomie?“, fragte mich Sabine.
„Oh ja. Mein Vater hat uns bereits als Kinder den Sternenhimmel erklärt. Ich finde es immer wieder spannend, den Himmel nach Sternbildern oder anderen Besonderheiten abzusuchen.“
„Das finde ich klasse. Ich weiß von Luc und Stef, dass sie sich dafür sehr interessieren. Leider habe ich davon nur wenig Ahnung. Vielleicht kannst du uns ja an einem Abend mal das Thema ein wenig näherbringen. Ich konnte ihnen nicht allzu viel darüber erzählen.“
„Sicher, sehr gern. Wenn sie das möchten, mache ich das. Wir sollten dafür aber auch den Wetterbericht beachten. Eine klare Nacht wäre dazu schon erforderlich.“
So langsam wurde ich müde und gegen Mitternacht zog ich mich in mein Gästezimmer zurück. Mit freudiger Erwartung auf die nächsten Tage, schlief ich entspannt ein.
Fynn: Spannende Tage in der Heimat
Unser Besuch im Freibad entwickelte sich recht erfolgreich. Dustin und ich schwammen einige Bahnen und waren dann auf der Liegewiese zum Ausruhen, als ich einen Jungen aus meiner alten Klasse bemerkte. Robin war sehr erstaunt aber auch erfreut mich wiederzusehen. Wir hatten viel Spaß zusammen. Auch Dustin verstand sich gut mit ihm. Sogar, als wir ihm erzählten, dass wir in Halle in einem gemeinsamen Appartement wohnten, blieb er freundlich. Es störte ihn überhaupt nicht, dass wir schwul waren.
Wieder zu Hause, hatten wir unsere Badesachen ausgepackt und zum trocknen aufgehängt. Mama hatte inzwischen für alle gekocht. Am Tisch berichtete Papa von seiner Arbeit und dass er bald auf eine Fortbildung gehen würde. Seit Ewigkeiten konnten wir ohne Stress am Tisch sitzen und uns unterhalten. Auch Patrick berichtete von seinem Tag und Papa hörte interessiert zu.
„Was habt ihr morgen vor?“, fragte Mama.
„Bislang noch nichts. Vielleicht könnten wir ja am Samstag gemeinsam etwas unternehmen. Papa, können Dustin und ich morgen mit in eure Selbsthilfegruppe kommen? Chris hat mir empfohlen dies zu tun, wenn ich es möchte. Dustin und ich haben darüber gesprochen und wir möchten uns das gerne mal anschauen, wenn du nichts dagegen hast.“
Papa war erstaunt über diese Frage, aber er freute sich ehrlich.
„Musst du deshalb nicht vorher fragen? Wir sind ja nicht abhängig.“
„Nein, Fynn. Dafür muss bei uns niemand fragen, wenn ein Angehöriger mitkommen möchte. Allerdings sind noch nicht oft Kinder bei uns gewesen. Ihr seid morgen Abend vermutlich die jüngsten, aber das macht nichts. Ich würde es toll finden, denn dann könnt ihr auch an die anderen Fragen stellen. Sie werden euch bestimmt gern Antworten geben. Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn ihr mitkommt.“
„Wäre Dustin auch willkommen, obwohl er nicht direkt zur Familie gehört?“
„Natürlich. Außerdem gehört er für mich mittlerweile zur Familie. Es fehlt doch nur noch das offizielle Dokument. Aber das wird kommen.“
Dustin schaute mich an und jetzt wurde es recht emotional, denn dass mein Vater die anstehende Adoption so klar formulierte, war noch nicht oft passiert. Allerdings hatte mein Vater ein Gespür für die Situation. Er ging zwei Schritte auf Dustin zu und umarmte ihn ganz fest. Für mich war das eine neue Situation und ich musste tief ausatmen, aber Papa hatte auch für mich eine tolle Geste, indem er klar formulierte:
„Für mich seid ihr beide gleichwertige Familienmitglieder und auch Patrick wird das bald verstehen. Also ich freue mich über euer Interesse an der Selbsthilfegruppe.“
„Darf ich da auch mitkommen?“, fragte Patrick jetzt.
Nun wurde es spannend. Wie würde Papa darauf reagieren? Ich fand, dass Patrick noch zu jung war.
„Wenn es dein ehrlicher Wunsch ist und du dich an unsere Regeln hältst, habe ich kein Problem damit. Es kann nur gut sein, wenn ihr soviel wie möglich über Abhängigkeiten lernt.“
Zum ersten Mal seit langer Zeit aßen wir gemeinsam zu Abend in unserem Esszimmer. Und Patrick blieb ganz ruhig. Als wir dabei aber noch nichts über unsere Erlebnisse in den USA erzählten, sondern uns nur über unsere Familie unterhalten wollten, wurde er unruhig. Dustin und ich hatten uns aber vorgenommen, unseren Reisebericht erst am Sonntag zu geben und nicht jetzt, wenn Probleme beziehungsweise die Vergangenheit in der Familie thematisiert wurden. Außerdem hatten wir ja auch noch ein paar kleine Überraschungen im Gepäck, die wir gerne in entspannter Atmosphäre verteilen wollten. Das würde aus unserer Sicht im Augenblick nicht passend sein.
Mama hatte das schnell bemerkt und begann den Tisch abzuräumen. Dustin und ich halfen ihr dabei, während Patrick bereits Papa zu überzeugen versuchte, eine Entscheidung über den weiteren Verlauf des Abends zu fällen. Früher hätte ich jetzt bereits mit meinem Bruder Streit angefangen, weil ich sein Verhalten hinterlistig und fies empfand. Dustin gab mir allerdings klare Signale, ruhig zu bleiben.
Papa bremste ihn auch direkt aus. Das gefiel mir, wie Papa momentan klare Strukturen vorgab, ohne dabei wie früher zu diktieren. Mittlerweile musste ich auch nicht mehr über jedes Wort nachdenken, was Papa sagte. Mein Misstrauen wurde kleiner. Allerdings blieb ich besonders wachsam, wenn es um das Thema Alkohol ging.
Den Abend verbrachten wir mit einem gemeinsamen Spiel. Eine Runde Doppelkopf. Das hatte uns Chris mittlerweile beigebracht. So konnten wir heute unser Wissen anwenden und meinen Vater verblüffen. Denn er hatte gedacht, dass er uns das voraus hätte.
Für mich wurde die erste Nacht mit meinem Freund in meinem alten Zimmer ein wunderschönes Erlebnis. Keine negativen Erinnerungen störten unsere Zweisamkeit und entsprechend gut gelaunt und entspannt konnten wir das Frühstück am nächsten Morgen genießen.
Papa war bereits zur Arbeit und Patrick schlief noch. Unser Tagesprogramm hatten wir völlig offen gelassen. Ich wollte die Zeit hier nicht auch noch total verplanen. Unser Tagesablauf war in Halle permanent durchstrukturiert. Hier wollte ich einfach mal in den Tag hinein leben.
Damit begann ich bereits beim Frühstück. Es war mir egal, wie lange es dauerte. Wir hatten doch Zeit. Auch den weiteren Tag verbrachten wir im Garten mit lesen. Endlich konnte ich auch mal die neue Geschichte von Chris lesen. Er hatte eine Osterchallenge geschrieben und damit sogar die Leserwahl gewonnen. Und ich hatte sie immer noch nicht gelesen, das war mir fast peinlich. Mein Schatz tat es mir gleich und so konnten wir uns über die Geschichte unterhalten.
„Eine typische Geschichte von Chris. Ich finde nur, dass sie noch nicht richtig beendet ist.“
„Das stimmt, Dustin. Da sollte eine Fortsetzung kommen. Vielleicht fragen wir Chris mal danach. Er hat ja bislang seine Challenges immer eher offen beendet. Hoffentlich kommt noch etwas zu dem Besuch in Deutschland.“
In diesem Moment kam Patrick noch mit nassen Haaren in den Garten.
„Guten Morgen.“
Dustin und ich schauten ihn überrascht an. Mein kleiner Bruder hatte uns freundlich begrüßt.
„Moin, Patrick.“, gab ich ebenso freundlich zurück.
„Kann ich die Tageszeitung haben? Oder seid ihr damit noch nicht fertig?“
Auch diese Frage hatten wir nicht erwartet. Seit wann liest mein Bruder die Zeitung?
Dustin reagierte zuerst:
„Ja, gerne. Wir sind damit fertig.“
Dustin nahm sie vom Tisch und reichte sie Patrick, der damit wieder ins Haus verschwand.
„Wir haben wohl einiges noch nicht mitbekommen. So freundlich habe ich deinen Bruder schon lange nicht mehr erlebt.“
„Allerdings, aber so darf es gerne bleiben. Und dass er die Tageszeitung liest, kann auch nicht so verkehrt sein. Er macht sich. Ich werde Mama fragen, seit wann Patrick die Zeitung liest.“
Dustin stand vom Tisch auf und fragte mich:
„Möchtest du noch Kakao oder soll ich uns etwas Kaltes zu trinken holen?“
„Eine Schorle wäre mir jetzt lieber.“
Er nahm die leere Kanne vom Tisch und ging ins Haus. Ich schaute meinem Freund hinterher. Meine Gedanken kreisten um die aktuelle Situation. Vor wenigen Monaten wäre so ein Frühstück unvorstellbar gewesen. Ein Lächeln kam in mein Gesicht.
Plötzlich kam Mama zu mir in den Garten.
„Na, geht es euch gut?“
„Oh ja, Mama. Ich genieße vollkommen entspannt diese Ruhe und nicht ständig auf die Uhr schauen zu müssen.“
Dustin kam mit zwei Gläsern Apfelschorle wieder nach draußen und setzte sich wieder zu mir an den Tisch.
„Das kann ich mir gut vorstellen. Papa lässt fragen, ob ihr heute Abend wirklich mit in die Gruppe kommen möchtet. Ich würde dann gerne unseren Gruppenleiter informieren, dass ihr heute mitkommen möchtet.“
„Ja, das hatte ich ja gestern schon geäußert. Dustin? Was denkst du dazu?“
„Auf jeden Fall. Aber nur, wenn es wirklich kein Problem für euch darstellt.“
„Dann kannst du uns anmelden. Wir kommen mit.“
„Das finde ich großartig. Dein Vater wird sehr erfreut sein. Was habt ihr heute noch vor?“
„Eigentlich haben wir gar nichts geplant. Allerdings muss ich mich heute noch etwas bewegen. Ich denke, wir werden gleich eine große Runde mit den Rädern machen. Auf Joggen habe ich heute keine Lust.“
„Dann könnt ihr ja vielleicht am Campingplatz um den See fahren. Außerdem ist dort ein Minigolfplatz. Falls ihr mal Lust habt, könnt ihr da auch vorbeifahren.“
Damit hatte Mama bei Dustin natürlich einen gut. Mein Freund liebte es, Minigolf zu spielen und war auch sehr gut darin. Im Gegensatz zu mir. Ich konnte dieser Beschäftigung nicht viel abgewinnen, aber es war mir klar, dass wir dort einmal eine Partie spielen würden. Das konnte ich meinem Freund nicht abschlagen.
„Hat Chris eigentlich etwas gesagt, ob es ihn stören würde, wenn wir mal ein paar Bilder zu ihm schicken?“
„Nein, das können wir gerne machen, Dustin. Aber vielleicht von der ganzen Familie oder wenn wir was gemeinsam machen. Du könntest aber mal Maxi anschreiben und fragen wie es seinem Vater geht. Ich wollte eben Justin antickern. Nicht, dass er jetzt ganz allein mit unserem Kindergarten ist.“
„Hihihi, Fynn. Du bist echt ganz schön böse. Ich finde, dass gerade Tim sich gut entwickelt hat. Mit Carlo habe ich noch nie Probleme gehabt. Außer seinem Stunt mit Chris Motorrad.“
„Allerdings, Carlo ist einfach nur cool. Manchmal frage ich mich allerdings ob zwischen den beiden nicht doch mehr abläuft. Aber egal, sie werden es uns schon sagen, wenn da was wäre.“
„Sehe ich auch so, Schatz. Sodele, ich habe Justin gerade geschrieben. Wollen wir jetzt mal eine Runde drehen?“
„Jap, ich habe Maxi auch eine Nachricht gepostet. Meinetwegen können wir los. Wir sollten aber genug zu trinken mitnehmen.“
Jeder machte sich eine Trinkflasche mit einem Magnesium-Wasser Gemisch und dann ging es auch schon los.
Während wir Richtung See radelten, konnte ich viel in die Landschaft schauen. Eigentlich hätte ich diese Gegend gut kennen müssen. Schließlich war ich hier aufgewachsen, aber als wir am See ankamen, hatte ich viele neue Eindrücke abgespeichert.
„Weißt du eigentlich was eine Runde Minigolf kostet?“, fragte mich Dustin mit einem Grinsen im Gesicht.
„Hahaha, nein. Aber ich werde schon mit dir eine Partie spielen, keine Sorge. Zuerst fahren wir aber eine Runde um den See. Ich brauche Bewegung.“
Der See war nicht zu groß, also war eine Runde in einer knappen Stunde locker zu machen. Zwischendurch gab es auch zwei enge Stellen, wo wir aufpassen mussten. Kurz vor der Rückkehr an den Minigolfplatz, machten wir eine Pause auf einer kleinen Lichtung. Dort gab es einen Hochsitz und das ließ ich mir nicht nehmen, mit meinem Freund von oben in die Landschaft zu schauen.
Dustin stand neben mir und ich legte meinen Arm um meinen Freund. Es wurden zehn wunderschöne Minuten unserer Zweisamkeit. Niemand, der uns beobachten oder stören konnte. Diese Minuten hatte ich genossen und so konnte ich Dustin auch sehr gern den Wunsch erfüllen, mit ihm eine Partie Minigolf zu spielen.
Wir hatten gerade unsere Spielgeräte erhalten und machten uns auf den Weg zur Bahn eins. Es waren bis auf zwei Jugendliche noch keine anderen Spieler auf der Bahn. Allerdings war das zu dieser Zeit auch kein Wunder.
Dustin legte gleich los wie die Feuerwehr. Die ersten beiden Bahnen gewann er deutlich, aber als ich den ersten Schlag auf der dritten Bahn gemacht hatte, konnte ich Hoffnung haben diese Bahn zu gewinnen. Dustin gelang der erste Schlag nicht so gut und ich konnte mit dem zweiten Schlag einlochen.
„Hey, das war richtig gut. Jetzt muss ich aber zaubern, um diese Bahn noch zu gewinnen.“
„Du kannst nicht mehr gewinnen, nur ausgleichen.“, lachte ich.
Da stand Dustin aber bereits konzentriert an seinem Ball und tatsächlich brauchte er noch einen zusätzlichen Schlag.
„Dass ich das mal erleben darf. Ich habe gegen dich eine Bahn gewonnen.“
Dustin war für einen Moment enttäuscht, aber kam dann auf mich zu und gab mir mit einer herzlichen Umarmung einen Kuss.
„Du machst dich langsam. Wir sollten häufiger spielen, dann kannst du mich vielleicht irgendwann schlagen.“
Dustin grinste mich dabei an und wir mussten beide lachen.
Diese Runde entwickelte sich sehr gut für mich. Es gelang mir, noch zwei weitere Bahnen zu gewinnen. Das hatte ich noch nie geschafft.
„Als Belohnung, dass du mit mir gespielt hast und für die drei gewonnenen Bahnen, lade ich dich zum Eis ein.“
Dustin war heute offensichtlich in Spendierlaune. Für mich war Minigolf eigentlich kein Vergnügen, aber heute empfand ich dieses Match nicht als Qual. Wir hatten unsere Schläger zurückgegeben und saßen nun in der Eisdiele nebenan.
„Schau mal“, sagte Dustin und zeigte mir sein Smartphone.
Dustin hatte eine Nachricht von Maxi erhalten. Als ich diese las, musste ich doch etwas schlucken.
„Das ist aber bitter. Das tut mir so leid. Warum kann es eine Familie so hart treffen.“
„Diese Frage stelle ich mir auch gerade. Aber Chris hat mir einmal gesagt, dass es wichtig ist, nicht aufzugeben. Nach vorne schauen und kämpfen. Ich glaube, Maxi hat sich entschieden für seine Eltern zu kämpfen. Auch wenn er jetzt keine Turniere spielen kann. Wir sollten ihn unterstützen.“
„Aber hallo! Natürlich unterstützen wir ihn weiter. Das Team tut es ja auch. Wenn wir wieder in Halle sind, bereiten wir etwas vor. Ich bin mir sicher, dass Tim, Carlo und Justin sich beteiligen wollen.“
„Das glaube ich auch. Vielleicht sollten wir Chris auch einbeziehen?“
„Das halte ich momentan für keine gute Idee, Dustin. Chris ist im Urlaub und soll einmal komplett von Tennis abschalten. Wenn er zurück ist, wird er sich sicher um Maxi weiterhin kümmern, aber jetzt sollten wir ihn damit nicht belästigen.“
Wir hatten uns noch einen Cappuccino bestellt und uns über unsere Situation unterhalten, als Dustin auf die Uhr schaute.
„Wir müssen aufbrechen. Ich möchte auf jeden Fall noch duschen und etwas essen, bevor wir mit deinen Eltern in die Selbsthilfegruppe fahren.“
„Boah, krass. Wo ist die Zeit hin? Ich hätte nicht gedacht, dass wir schon so lange hier sitzen. Dann lass uns aufbrechen. Wir haben ja auch noch ein Stück Weg vor uns.“
Der Rückweg verlief gut und wir hatten Spaß. Erst, als wir unter der Dusche standen, begann ich mir Gedanken über den Abend in der Selbsthilfegruppe zu machen. Was würden wir dort zu hören bekommen? Haben wir uns damals richtig entschieden, gegen Papa so eine harte Linie zu fahren oder würden wir Kritik zu hören bekommen?
Das Abendessen verlief ruhig. Patrick war bei einem Freund. Das empfand ich heute als vorteilhaft, denn so konnte ich noch ein paar Fragen klären.
„Papa, sind heute Abend alle Teilnehmer auch abhängig und sind die Angehörigen immer dabei?“
„Bei uns ist das so, dass wir einmal im Monat einen getrennten Abend machen. Dann sitzen die Angehörigen und die Betroffenen für sich zusammen. Heute ist aber ein gemeinsamer Abend. Du wirst also auch mit anderen Angehörigen zusammentreffen.“
„Wie ist das für dich heute? Und gibt es auch Hilfen für die Kinder? Oder gibt es bei euch keine Kinder in der Gruppe?“
Dustin wurde unruhig als ich diese Fragen gestellt hatte. Es behagte ihm nicht, dass ich so direkte Fragen stellte. Mama hatte es auch bemerkt.
„Dustin, wenn du etwas fragen möchtest, dann mach das. Du gehörst genauso dazu wie Fynn. Du darfst Fynns Vater auch Fragen stellen.“
Papa schaute zu Dustin.
„Falls du Sorge haben solltest, dass Fynn nicht so direkte Fragen stellen sollte, kann ich dich beruhigen. Genau das ist so wichtig. Die Kinder und Angehörigen müssen lernen, direkte Fragen zu stellen. Es ist wichtig, Probleme offen anzusprechen. Das ist ja jahrelang versäumt worden. Nur, damit jetzt kein falscher Eindruck entsteht, ich habe das auch erst in der Gruppe gelernt. Also mein heutiges Wissen ist noch sehr frisch. Leider habe ich das früher falsch gemacht.“
„Auch ich habe Fehler gemacht“, ergänzte Mama und erläuterte weiter: „Ich habe oft die Augen zu gemacht und viel zu viel ertragen und euch auch leiden lassen. Das können wir nicht rückgängig machen, aber wir können in der Zukunft einiges besser machen.“
„Das habt ihr alles in der Gruppe gelernt? Wer leitet die Gruppe? Chris hat uns gesagt, dass Familiengespräche angeleitet werden sollten, um sinnvolle Gespräche führen zu können.“
„Ja, das ist sicher vernünftig, aber wir sind keine therapeutische Gruppe. Wir sind eine Selbsthilfegruppe. Dort gibt es keinen Therapeuten. Wir haben aber einen Gruppenleiter. Und wir haben klare Regeln, aber ich würde euch bitten, diese Fragen noch etwas zurückzuhalten. Ihr könnt alle Fragen in der Gruppe stellen.“
„Aber ihr habt doch bestimmt noch andere Themen. Wir möchten euch die Zeit nicht wegnehmen.“, warf Dustin jetzt ein.
„Kein Angehöriger wird in der Gruppe Zeit verschwenden, wenn er Fragen stellt, die ihn bewegen. Das gilt auch oder gerade für die Kinder. Ich freue mich sehr, dass ihr mit uns fahrt und euch einen Einblick verschaffen wollt. Davor habe ich großen Respekt.“
„Gut, dann lasst uns aufbrechen. Ich möchte nicht zu spät kommen.“
„Hihi, da hat Chris aber viel Einfluss auf unseren Sohn genommen. Früher wäre es dir recht egal gewesen, ob du pünktlich bist oder nicht.“
Typisch meine Mutter. Immer für einen lockeren Spruch zu haben, aber in diesem Fall hatte sie die Wahrheit sehr gut getroffen. Chris hatte mir Pünktlichkeit als Wert vermittelt. Das hatte ich mittlerweile verinnerlicht.
Patrick hatte sich doch gegen die Gruppe entschieden. Er hatte sich noch mit einem Freund verabredet.
Die Gruppe nutzte einen Raum im örtlichen Gemeindezentrum und ich staunte über die Anzahl der Personen. Es waren über zwanzig Erwachsene zusammengekommen und Papa wurde direkt von jemandem persönlich begrüßt. Dustin und ich standen etwas abseits, aber ich konnte Papa gut beobachten, wie er mit dem Mann sprach. Immer wieder schaute Papa zu uns herüber und der andere Mann nickte.
Es dauerte noch etwa zehn Minuten und dann bat Mama uns in den großen Raum hinein. Dort waren die Tische zu einem großen Rechteck zusammengestellt. Es sah wie bei großen politischen Gesprächen im Fernsehen aus. Auch standen Flaschen mit Getränken und Gläsern auf dem Tisch.
Dustin und ich setzten uns zu Mama an den Tisch, während Papa neben Dustin Platz nahm. Dann folgte die Begrüßung vom Gruppenleiter.
„Einen schönen guten Abend wünsche ich euch. Bevor wir uns den aktuellen Themen widmen möchte ich heute zwei Gäste herzlich begrüßen. Fynn und Dustin Grahl.“
Er zeigte auf uns und bat uns kurz aufzustehen. Als wir uns wieder gesetzt hatten, fuhr er fort:
„Wir freuen uns immer, wenn Kinder von Betroffenen Interesse zeigen, an unserem Gruppenabend teilzunehmen. Für euch zur Information: Falls ihr Fragen habt, stellt sie einfach. Wir werden versuchen, jede Frage zu beantworten. Wenn ihr jetzt keine Fragen habt, lasst uns beginnen.“
Dustin und ich schauten uns an und ich gab dem Gruppenleiter ein Zeichen, dass es losgehen konnte.
„Sehr schön, danke euch. Ich würde darum bitten, dass wir eine kurze Vorstellungsrunde machen. Jeder sagt bitte nur das über sich, was er sagen möchte.“
Er begann, stellte sich mit Namen, Alter und als Betroffener vor. Die Runde ging herum und irgendwann war ich an der Reihe.
„Fynn, siebzehn Jahre alt und Angehöriger.“
„Dustin, siebzehn Jahre alt und Partner von Fynn.“
Über diese Vorstellung war ich erstaunt. Umso interessanter waren die Reaktionen der anderen Gruppenteilnehmer. Die Runde ging aber weiter und als sich alle vorgestellt hatten, fragte Rolf, der Gruppenleiter, ob jemand etwas dringendes zu besprechen hätte. Er schaute in die Runde und niemand meldete sich.
„Gut, ich sehe, das ist nicht der Fall. Also möchte ich mit dem heutigen Thema beginnen. Es geht um den Begriff Co-Abhängigkeit.“
Diesen Begriff hatte ich von Chris bereits gehört, aber ich war sehr gespannt wie das hier diskutiert würde. Rolf gab anhand eines Fallbeispiels eine Situation vor und die Gruppe wurde in vier Kleingruppen aufgeteilt, um jeweils eine Lösung zu einer Frage zu erarbeiten. Wobei Lösung eigentlich falsch war, es ging um Gedanken, die wir austauschen sollten. Es ging nicht um richtig oder falsch. Das gefiel mir gut. Dustin und ich waren nicht in der gleichen Gruppe und von daher fühlte ich mich etwas unwohl mit den mir fremden Menschen. Aber sehr schnell wurde bei uns offen und locker diskutiert. Ich hielt mich allerdings zurück und hörte zu, was die anderen einbrachten.
Plötzlich fragte mich Claudia:
„Was ist mit dir? Wie siehst du diese Sache? Möchtest du vielleicht etwas dazu sagen?“
„Hm, ich verstehe eigentlich gerade nicht, wie dieser Sachverhalt zu sehen ist. Ihr seid der Meinung, dass die Angehörigen auch schuld daran sind, dass sich die Situation innerhalb der Familie so entwickelt hat? Das würde für mich bedeuten, ich soll mich mitverantwortlich fühlen für die Abhängigkeit meines Vaters und den dabei erlittenen Misshandlungen und Schmerzen? Das kann ich nicht akzeptieren.“
„Stopp!“, unterbrach mich Klaus.
„Nein, ganz sicher nicht. Da müssen wir noch etwas klarstellen. Co-Abhängigkeit betrifft nur sehr begrenzt die Kinder. Ihr seid eigentlich erst im Spiel, nachdem der Betroffene entweder sich hat helfen lassen und seine Sucht bearbeitet oder eine Trennung stattgefunden hat. Erst ab diesem Zeitpunkt könnt ihr aktiv an der Situation mitarbeiten. Für die Sucht des Betroffenen und sein Verhalten seid ihr in keinster Weise verantwortlich. Das steht außer Frage.“
Claudia ergänzte:
„Aber wenn eure Mutter zum Beispiel über Jahre hinweg nichts gegen diese Situation getan hat, dann befindet sie sich in der Co-Abhängigkeit. Sie war nicht bereit, mit aller Konsequenz euch zu beschützen. Das muss aufgearbeitet werden. Um es klar zu sagen, es geht nicht um Schuldzuweisungen und Bestrafung. Es geht um Veränderungen der Situation und im besten Falle um eine Zukunft für die Familie unter nüchternen Umständen. Also ohne Alkohol für den Betroffenen.“
Ich hörte aufmerksam zu und spürte so etwas wie Unterstützung. Endlich hatte ich das Gefühl, mit meinen Erlebnissen und Ängsten nicht allein zu sein.
„Darf ich eine Frage stellen?“
„Natürlich, Fynn.“, antwortete Claudia.
„Darf ich meinem Vater sagen, dass er mich über Jahre gequält hat und mir Schmerzen zugefügt hat? Auch wenn er zurzeit auf dem richtigen Weg ist und ohne Alkohol leben will? Manchmal habe ich Angst, ich könnte ihn dann wieder zum Alkohol verführen, weil ich ihn kritisiere.“
„Sagen darfst und musst du ihm das. Egal wie lange es her ist. Solange du dieses Gefühl in dir hast, müsst ihr darüber sprechen. Allerdings solltest du versuchen, nach vorne zu schauen und gemeinsam an einer Lösung der aktuellen Situation zu arbeiten. Es ist niemandem geholfen mit Vorwürfen bombardiert zu werden, wenn man das nicht mehr ändern kann. Dein Vater wird auch so wissen, was er dir angetan hat und so lange er nüchtern ist, wird er dich verstehen. Ihr könnt nur mit gemeinsamen Gesprächen wieder zueinander finden. Wenn du mit deinem Vater wieder zusammenkommen möchtest, dann geht das nur gemeinsam. Ihr müsst beide Veränderungen wollen. Da fängt deine Verantwortung an. Allein wird dein Vater keine stabilen Änderungen erreichen. Das geht nur gemeinsam.“
„Ah, danke. Das habe ich von Chris auch schon so ähnlich gehört. Das habe ich verstanden.“
Dieses Gespräch gab mir viele neue Informationen und vor allem Verständnis von den anderen für meine Situation. Ich wurde hier ernstgenommen.
Nach etwa zehn Minuten kam Rolf zu uns in die Gruppe und bat uns wieder in den großen Gruppenraum zu kommen.
Dort stellte jede Gruppe ihre Diskussionsergebnisse vor und für mich war es erstaunlich wie unterschiedlich die Gruppen gearbeitet hatten. Nur in Dustins Gruppe kam es zu ähnlichen Themen wie bei uns.
Nachdem wir das abgehandelt hatten, fragte Rolf noch in die Runde, ob jemand etwas Wichtiges zu erzählen hätte.
Claudia meldete sich und Rolf bat sie, ihr Anliegen vorzutragen.
„Ich habe eine Frage an Dustin und Fynn. Wie hat es euch gefallen und mit welchen Gedanken geht ihr heute nach Hause?“
Dustin antwortete schnell.
„Mir hat es viele neue Eindrücke gegeben und ich gehe mit dem Gefühl nach Hause, hier ernstgenommen worden zu sein. Mir ist aber auch deutlich geworden, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben und diesen Weg gemeinsam gehen müssen. Ich würde mich freuen, wenn ich wiederkommen dürfte. Auch wenn wir ja nur selten dafür Zeit haben werden.“
„Fynn“, fragte mich Rolf, „wie siehst du diesen Abend?“
„Auch sehr positiv. Ich möchte mich bedanken für die guten Erklärungen auf meine Fragen. Ich finde es toll, dass mein Vater hier Gleichgesinnte gefunden hat und unterstützt wird. Auch ich würde gerne wiederkommen dürfen.“
„Sehr gern dürft ihr wiederkommen.“, antwortete Rolf. „Ich habe aber doch noch eine persönliche Frage an euch. Ihr müsst diese Frage nicht beantworten, aber bei der Vorstellung vorhin hat Dustin gesagt, dass er der Partner von Fynn ist. Ihr habt sicherlich bemerkt, dass diese Aussage zu einer leichten Unruhe geführt hat. Aber im Laufe des Abends ist mir, glaube ich, klargeworden was das bedeutet. Ihr seid keine Geschwister, sondern Partner im Sinne von Paar.“
Jetzt musste Dustin lachen. Das erstaunte mich. Aber mir gefiel das und entsprechend antwortete ich offen:
„Ja, das ist richtig. Dustin ist mein Partner und er gehört zu unserer Familie. Mein Vater hat ihn während seiner Therapie in unsere Familie aufgenommen. Und ich möchte sagen, dass ich mich darüber gefreut habe, dass ihr den ganzen Abend das nicht zum Thema gemacht habt, sondern es einfach so akzeptiert habt.“
Es gab spontanen Beifall mit dem ich gar nicht gerechnet hatte. Mein Vater schaute uns stolz an und lächelte.
Der Gruppenabend wurde dann beendet und als wir aus dem Gebäude zum Auto gingen, nahm uns Papa in die Arme und sagte:
„Vielen Dank, dass ihr heute mitgekommen seid. Ich hoffe, es hat euch genauso viel gegeben wie mir.“
Etwas später saßen wir bei uns im Garten und ließen diesen Gruppenabend noch einmal Revue passieren.
„Papa, jetzt habe ich die Bestätigung, dass es richtig war, dass wir da mit hingegangen sind. Ich habe eine Menge neuer Informationen bekommen und ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, aber jetzt weiß ich auch, dass unsere Familie nicht die einzige in unserer Umgebung ist, die mit so einer Situation klarkommen muss.“
„Das darf aber keine Rechtfertigung sein, jeder Abhängige ist einer zuviel. Leider habe ich das erst in der Therapie verstanden und fühle mich oft schuldig. Gerade euch Kindern gegenüber. Umso wichtiger und schöner finde ich es, dass ihr den Mut hattet, uns zu begleiten. Vielleicht schafft es Patrick auch noch mitzukommen.“
Meine Mutter hatte aufmerksam zugehört und stellte jetzt Dustin eine Frage, die ich als problematisch empfand.
„Hattest du es als unangenehm empfunden, als den anderen klargeworden ist, dass ihr ein Paar seid? Und was denkst du über diesen Abend?“
Mein Schatz überraschte mich jetzt mit seiner Art zu antworten. Er drückte mir einen Kuss auf die Wange und erklärte meinen Eltern:
„Ich empfinde es überhaupt nicht mehr als unangenehm. Denn Fynn in meiner Nähe zu haben, ist einfach wunderschön und es ist mir mittlerweile relativ gleichgültig, was andere Menschen davon halten. Ich weiß heute, dass ich glücklich bin, Fynn als Freund und mit euch eine Familie zu haben, die mich aufgenommen hat. So, wie ich halt bin. Manchmal ist dies sicher für mich nicht einfach, aber ich kann meine Vergangenheit leider nicht aus meinem Kopf löschen. Auch, wenn ich das manchmal möchte.“
Für einen Moment blieb es still. Meine Eltern zeigten sich bewegt und ganz toll empfand ich die Reaktion meines Vaters. Er stand auf und umarmte meinen Freund lange. Mama fand als erste die Stimme wieder und meinte:
„Irgendwie ist es schade, dass ihr so selten hier seid und nicht so oft in die Gruppe mitkommen könnt. Wir haben noch ein Paar, dass zwei Jungs hat. Der eine ist so alt wie Patrick und der andere erst elf. Rolf hat gesagt, dass sie für die Gruppe noch zu jung seien. Das empfinden wir als schade, aber vielleicht können wir das ja organisieren, wenn ihr mal wieder da seid, dass sie dann auch mitkommen dürfen und ihr vielleicht gemeinsam einen Abend mitmacht.“
„Warum sind sie zu jung? Rolf hat doch auch gesagt, dass er es gut findet, dass wir mitgekommen sind.“
„Schau mal Fynn, ihr müsst morgen nicht zur Schule, aber normalerweise findet der Gruppenabend auch in der Woche statt. Und dann wird es spät. Also sind wir dann selten vor zehn Uhr zu Hause. Das wäre für die beiden einfach zu spät, wenn sie am nächsten Morgen in die Schule müssen.“
„Hm, ja. Das kann ich verstehen. Dann macht doch noch einmal wieder einen Gruppenabend am Freitag. Dann könnten sie auch mitkommen. Jetzt habe ich noch eine Frage an Papa und denke schon die ganze Zeit darüber nach: hast du früher nicht einmal darüber nachgedacht, dass du etwas ändern musst? Hast du wirklich gedacht, es war alles in Ordnung?“
Mein Vater holte tief Luft. Es schien ihm unangenehm zu sein, darauf zu antworten. Mir wurde auch warm, aber ich konnte die Frage nicht mehr zurückziehen.
„Nein, Fynn. Natürlich habe ich mir häufiger gesagt, ich muss damit aufhören. Ich habe schon gespürt, dass es nicht richtig war. Aber ich war zu schwach, es zu ändern. Obwohl das auch nicht die richtige Beschreibung für diesen Zustand ist. Ich konnte gar nicht mehr aufhören, der Alkohol hatte schon zu viel Kraft. Ich weiß, du wirst jetzt vielleicht denken, ich hätte es einfach lassen sollen. So, wie ich es jetzt auch tue. Aber das stimmt ja nicht, dass ich es jetzt nur einfach lasse. Ich habe viel mehr dafür tun müssen, um jetzt so weit zu sein, es lassen zu können. Und dass es dir schwer fällt, mit mir darüber zu sprechen, kann ich absolut verstehen. Es ist für mich genauso schwierig, weil ich Schuldgefühle habe. Nur, das hilft dir heute nicht mehr viel, aber es ist so.“
Jetzt spürte ich, dass mir Chris fehlte. Ihn hätte ich jetzt um Rat fragen wollen. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte. Auch Dustin schaute mich ratlos an. Was sollte ich darauf antworten?
Mama half uns, indem sie uns sagte:
„Wenn sich meine Herren jetzt wieder etwas beruhigen würden und diese schwierigen Fragen auf einen anderen Tag verschieben könnten. Ich möchte nicht, dass einer von euch jetzt etwas sagt, was ihm vielleicht später leid tut. Lasst es für den Moment einfach so stehen. Wir werden das heute nicht abschließend klären können. Aber wir haben noch viele Jahre Zeit, das zu bearbeiten.“
Alle Augen waren jetzt auf Mama gerichtet. Ich war ihr sehr dankbar und auch Papa schien das ebenso zu sehen. Mama stand auf und holte uns allen ein Eis. Damit beendeten wir unsere späte Runde im Garten.
Auf unserem Zimmer wurde mir bewusst, was Chris uns dazu gesagt hatte. Es sei ein jahrelanger Prozess, wieder eine Familie zu werden. Ich fand, der Anfang war uns gut gelungen.
Chris: Urlaub ist angekommen
Die ersten drei Tage waren vorüber und so langsam fühlte es sich wie Urlaub an. Marc und Sabine hatten mir viel Freiraum gegeben ohne Programm und Aktionen. Ich war viel mit dem Pedelec in der Natur unterwegs und konnte mich mittlerweile gut orientieren.
Als ich den Garten zum Frühstück betrat, saß Marc mit den Jungs bereits am Tisch. Sie unterhielten sich bereits über den Tagesablauf.
„Guten Morgen, Chris. Alles in Ordnung bei dir?“
„Guten Morgen zusammen und danke der Nachfrage. Alles bestens, Marc.“
Ich nahm Platz und schenkte mir eine Tasse Tee ein. Sabine hatte wieder einen üppigen Tisch gedeckt und ich musste einen Augenblick überlegen, auf was ich Lust verspürte. Nahm mir ein Mehrkornbrötchen mit selbstgemachter Marmelade.
„Hast du Lust mit uns drei in die Werkstatt zu fahren? Ich habe einige Dinge zu erledigen und auch am Integrale gibt es was zu tun. Da könnte ich deine Unterstützung gebrauchen.“
Ich schaute in drei grinsende Gesichter und wusste sofort, dass Marc einen Plan hatte. Es wäre jetzt nicht klug gewesen, da nein zu sagen.
„Klar, vor allem weil ihr euch irgendetwas ausgedacht habt. So viel habe ich schon begriffen. Widersprich niemals einem Marc Steevens, wenn er einen Plan hat.“
Die drei mussten lachen, Sabine klopfte mir auf die Schulte und meinte:
„Chris, du hast es verstanden. Ich glaube, wir können dich in den Familienclan aufnehmen.“
„Also, was habt ihr wirklich vor?“
„In die Werkstatt zu fahren.“, kam unisono aus ihren drei Mündern.
„Okay, okay. Ich frage nicht weiter. Also, wann soll es losgehen?“
„Wenn du ihn Ruhe zu Ende gefrühstückt hast.“
„Oh, wie großzügig von euch. Ich werde mich auch nicht beeilen.“
„Hahaha, du bist echt gut. Respekt.“, lachte Marc.
Ich nahm mir Zeit, aber nicht um sie zu ärgern, sondern weil Frühstück für mich etwas ganz wichtiges war. Dafür stand ich auch zuhause extra früher auf, um in Ruhe frühstücken zu können.
Sabine blieb bei mir am Tisch sitzen, aber wir redeten nicht miteinander. Sie hatte ein gutes Gespür für meine Bedürfnisse und es gab mir ein Gefühl von Geborgenheit. Marc, Luc und Stef waren bereits Sachen vorbereiten gegangen.
Erst als ich fertig gegessen hatte und mir noch einen Tee eingegossen hatte, fragte mich Sabine:
„Ist das auch wirklich in Ordnung für dich, dass Marc dich jetzt in der Werkstatt eingebaut hat? Du sollst dich hier ausruhen und deinen Akku aufladen. Wenn dir das zuviel wird, sag es bitte. Ich werde ihn dann einbremsen.“
„Hihi, ich danke dir. Aber die letzten drei Tage haben meinen Akku schon richtig wieder aufgeladen. Es war gut, dass ich einfach gar nichts machen musste. Ich bin aber jetzt auch gespannt, was sie sich wirklich ausgedacht haben. Die Werkstatt ist doch nur ein Vorwand oder zumindest nur der Aufhänger für eine andere Aktion. Soweit kenne ich Marc und Luc auch schon.“
„Das ist ein Punkt, den ich an dir so mag. Du hast die beiden schon verstanden und besonders toll finde ich deine Bereitschaft, dich darauf einzulassen. Was sie genau vorhaben kann ich dir nicht sagen, aber heute Abend ist geplant, gemeinsam am See essen zu gehen. Bis dahin seid ihr wohl zurück.“
„Okay, und was wirst du in dieser Zeit machen? Dich lassen sie einfach zu Hause. Das ist ja auch nicht gerade gentlemanlike.“
Da musste Sabine lachen.
„Nein, mach dir keinen Kopf. Das ist schon in Ordnung so. Einer muss hier ja die Stellung halten. Wenn sich Marc etwas ausgedacht hat, lasse ich ihn machen. Das ist für uns beide am besten.“
Interessanterweise konnte ich Luc oben an der Terrassentür beobachten. Er traute sich nicht an unseren Tisch. Allerdings spürte ich, dass sie gerne aufbrechen würden. Sabine hatte es auch bemerkt und reagierte direkt:
„Lass dich nicht hetzen. Ich habe klar gesagt, dass sie dich in Ruhe lassen sollen, solange du am Frühstücktisch sitzt. Also mach alles ganz in Ruhe.“
„Das werde ich machen. Frühstück ist mir heilig. Da lasse ich mich nur sehr ungern stören oder gar unter Druck setzen.“
„Sehr gute Haltung. Das gefällt mir ausnehmend gut. Sie werden das noch lernen.“
Dabei zeigte sie mit der Hand in Richtung Haus und wir lachten darüber.
Etwa zwanzig Minuten später saßen wir in Lucs Camaro. Marc und ich hinten, Luc fuhr. Aus der Anlage tönte Bryan Adams „Summer of ´69“ und entsprechend gut war meine Stimmung.
Ich konnte sogar den Text mitsingen und Marc war auch dabei. Plötzlich drehte Luc die Anlage deutlich leiser und da fiel unser Gesang entsprechend auf.
„Hey, das ist total unfair. Lass das!“, rief Marc nach vorne.
„Warum? Das klingt echt gut, wenn ihr beide laut mitsingt. Das wollte ich mir doch nicht entgehen lassen.“, grinste Luc.
„Blödmann.“
„Sehr witzig“
Waren unsere Kommentare dazu.
Luc drehte die Musik wieder lauter und wenige Minuten später öffnete sich uns das Werkstatttor. Marc winkte kurz und Luc fuhr hinein, stellte den brabbelnden Achtzylinder ab und wir stiegen aus. Marc begrüßte seine beiden Partner in der Werkstatt und stellte mich vor.
„Was habt ihr heute vor?“, fragte Stephan.
„Ein paar Sachen am Delta machen und Chris soll sich mal die Musikanlage in meiner Cobra anschauen. Ich habe schon einige Experten befragt und drei verschiedene Vorschläge erhalten, um einen vernünftigen Klang zu erzielen. Aber so wirklich begeistert bin ich nicht und Luc hat mir erzählt, dass sich Chris seine Anlage auch für sein Wohnzimmer selbst gebaut hat. Da habe ich die Idee, er könnte sich das Problem mal ansehen.“
„Hey, super Sache. Wir haben da auch so einen Fall. Vielleicht kann er da auch mal schauen.“
„Fragt ihn einfach, aber eigentlich ist er im Urlaub hier.“
Ich hatte dieses Gespräch nicht so ganz verfolgt, weil ich mit Luc bereits am Delta stand und Luc die Motorhaube öffnete. Stef hatte es aber mitbekommen und flüsterte mir diese Information ins Ohr. Ich musste lächeln, denn wenn Sabine dabei gewesen wäre, hätte sich Marc spätestens jetzt einen Elfmeter abgeholt.
„Chris, hier ist das Problem.“
Luc zeigte mir eine Stelle im Motorraum des Deltas und ich konnte sofort erkennen, dass ich dieses Problem gut kannte. Am Druckschlauch des Turboladers waren Risse erkennbar. Die kamen schnell, weil das Gummi sowohl unterschiedlich hohen Temperaturen als auch Drucken ausgesetzt war.
„Das Problem kenne ich. Das habe ich auf eine ganz einfach Art gelöst.“
Sofort stand Marc neben mir.
„Erzähl, was hast du gemacht? Wir haben schon dreimal den Schlauch getauscht, aber immer wieder gibt es diese Risse. Dadurch verliert er rapide an Leistung.“
„Klar, der Druck kann entweichen und damit geht Ladedruck verloren. Ich habe damals ein festes Druckrohr installiert aus Aluminium. Darin habe ich auch das Wastegate eingebaut. Seitdem hatte ich nie wieder Probleme damit.“
„Cool, darauf hätten wir auch kommen können. Aber das ist echt genial. Weißt du noch welchen Querschnitt du für das Rohr genommen hast? Oder ist das egal?“
„Egal ist das ganz sicher nicht, Marc. Ich habe einen etwas größeren Querschnitt genommen, aber wie groß das war, weiß ich heute nicht mehr.“
Luc hatte bereits einen Messschieber geholt und den Schlauchquerschnitt gemessen. Er notierte sich das auf einem Blatt Papier und ich schaute mir den Turbolader an. Da war kein originaler Lader verbaut, sondern ein deutlich größeres Aggregat.
„Aber hier ist ein T4 Lader drin und kein T3. Also brauchen wir auch eine andere Berechnung. Doch ich sehe gerade, die Schläuche sind auch größer als beim Original.“
„Ach ja, Chris. Das ist ein Werksmotor von Ferrari. Den haben sie mir extra aufgebaut. Daher hat er auch etwas mehr Leistung. Die Querschnitte können wir also direkt übernehmen.“
„Ah, gut zu wissen. Dann lasst uns mal die Rohre vermessen und schauen wo wir die befestigen können. Und hast du schon Keramikdichtungen verbaut?“
„Nein, leider nicht. Das wollte ich immer schon gemacht haben. Bin ich aber noch nicht dazu gekommen.“
„Das solltest du dringend machen. Sie sind viel stabiler und temperaturbeständiger. Das erhöht die Lebensdauer erheblich. Und die Schlauchschellen solltest du gegen hochwertigere tauschen. Hast du noch die alte Zündanlage oder schon gegen die neue elektronische getauscht?“
„Nein, da ist schon die bessere verbaut. Was hast du für eine Bremse damals verbaut. Damit bin ich noch nicht zufrieden.“
Ich schaute mir die Anlage an. Aber ich konnte es nicht genau erkennen, also schoben wir das Auto auf die Hebebühne und nahmen ein Rad ab. Es war noch die alte Stahlbremsscheibe und der kleine Bremssattel.
„Sag mal, du hast einen Werksmotor mit reichlich Leistung, aber die kleine Bremse. Wie geht das zusammen? Das verstehe ich nicht.“
„Jaja, du hast ja recht. Aber bei Ferrari haben sie mir gesagt, dass die Serienbremse ausreichend wäre.“
„Blödsinn. Das ist ein Wettbewerbsauto. Da gehört eine Keramikbremse und Brembo Vierkolbensättel rein. Dann kannst du auch ordentlich verzögern.“
„Papa“ meldete sich Luc, „warum fragst du nicht Chris, ob er dir beim Umbau des Autos helfen kann? Er hat dieses Auto auch bei Rallyes bewegt. Er kennt sich damit aus, im Gegensatz zu Stephan oder Manuel.“
„Wenn ich das mache, wird mich deine Mutter erschießen. Chris hat Urlaub und soll nicht in der Werkstatt schrauben.“
„Das lass mal meine Sorge sein. Ich werde Mama das schon erklären. Was ist, Chris? Hättest du überhaupt Lust dazu? Dann besorge ich sofort über Karl die Teile.“
„Über Karl? Der hat doch nur Amis und keine Italiener“, fragte ich überrascht.
„Das stimmt zwar, aber wir bekommen die Teile über ihn schneller. Er kennt einen guten Lieferanten für diese Art von Teilen. Denn Originalteile gibt es ja nicht mehr. Sie würden eh nicht die richtigen für dieses Auto sein.“
Ich musste erkennen, dass Marc und Luc ein eingespieltes Team waren. An seinem Delta zu arbeiten würde mir Freude bereiten, deshalb sagte ich sofort zu.
„Klasse, darauf freue ich mich. Luc, bestellst du die Teile. Wir machen das, sobald die Sachen hier sind. Jetzt möchte ich Chris bitten, sich mal meine Anlage in der Cobra anzuschauen. Sie klingt furchtbar. Kann man da etwas machen?“
„Soll ich sie mir nur ansehen oder auch anhören?“
Für einen Augenblick stutzte Marc, dann fing er an zu lachen.
„Hahaha, sehr guter Spruch. Den merke ich mir.“
Marc nahm die Stoffhaube von der Cobra und bei mir gab es Gänsehaut, allein von dem Anblick dieses Kunstwerkes. Eine originale Shelby Cobra mit 7,4 Liter Kompressormotor war eine absolute Rarität. Und bei Marc stand sie nicht in einer Sammlung, sondern sie wurde regelmäßig gefahren. Einfach herrlich.
Er steckte den Schlüssel in das Zündschloss und schaltete die Zündung ein. Als die Musik startete schüttelte ich erschrocken den Kopf.
„Wer hat dir das angetan oder war das schon drin? Das klingt grausam.“
Luc fing an zu lachen.
„Na, was habe ich dir gesagt? Du hättest Chris gleich bitten sollen, dir das einzubauen. Dann hättest du dir viel Ärger gespart.“
„Jaja, schon gut. Das hat ein sogenannter HiFi-Experte eingebaut. Er hat gesagt, das wäre das Beste was in dieses Auto gehen würde. Ich sage dir jetzt besser nicht was ich dafür bezahlt habe. Aber ich möchte etwas Vernünftiges haben, was optisch auch zu diesem Auto passt.“
„Klar, kein Ding. Das lässt sich machen. Es gibt Geräte, die optisch wie aus den sechziger Jahren aussehen, aber mit moderner Technik ausgestattet sind. Dazu nehmen wir eine oder zwei vernünftige Endstufen, die niemand sehen kann. Das eigentliche Problem sind aber die Lautsprecher. Da müssen wir uns etwas überlegen. Eine Standardlösung dürfte hier nicht funktionieren.“
„Wie oft hast du so etwas schon gebaut?“
„Bei einer Cobra noch nie. Aber insgesamt vielleicht zwanzig Autos ausgestattet.“
„Was habe ich dir gesagt, Papa. Du hättest auf mich hören sollen.“
„Moment, Luc. Noch hat Chris nichts gemacht und noch ist es nicht besser als das hier. Aber beim nächsten Mal werde ich zuerst Chris befragen.“
„Schlechter kann es ja auch kaum werden, oder?“
Ich musste lachen. Stef hatte das so trocken gesagt, dass auch Marc lachen musste. Luc schaute verwundert zu seinem grinsenden Freund.
Ich wusste nicht, ob ich darauf etwas antworten sollte. Deshalb schwieg ich jetzt. Marc legte seinen Arm um Stef und gab mir eine Antwort:
„Also Chris, du hast es gehört. Auch meine Jungs sind nicht begeistert. Ich würde mich sehr freuen, wenn du hier eine Lösung für mich finden könntest.“
„Klar, aber ich sage dir gleich, das wird keine einfache Aufgabe und wird Zeit in Anspruch nehmen. Ob wir das in meinem Urlaub fertig bekommen, kann ich nicht versprechen.“
„Du sollst hier auch nicht arbeiten. Das können meine Jungs in der Werkstatt übernehmen. Du sollst nur die Entwürfe machen und erklären was zu tun ist. Also wie es zu bauen ist.“
„Okay, ich werde mich damit beschäftigen. Es gibt aber ein Problem. Ich müsste in der Cobra einige Messungen machen und das kann ich nicht ohne das Auto.“
„Wo ist das Problem. Du nimmst dir die Cobra mit zu uns und kannst dort jederzeit damit arbeiten. Dass du sie auch jederzeit fahren darfst, muss ich nicht extra erwähnen. Ich mache sie damit für deinen Urlaub zu deinem Fahrzeug. Ist das ok?“
„Jetzt im Ernst? Ich soll die Cobra fahren, wenn ich mir mal etwas anschauen möchte?“
„Genau, du bist einer der wenigen Menschen, denen ich das ohne zu zögern zutraue. Du kannst dir das in Ruhe überlegen und mach eine Liste, was du genau brauchst. Wir besorgen das dann.“
Wir machten noch ein paar genaue Messungen für den Lancia und Luc sollte alle Teile über Karl besorgen.
„Worauf hast du heute noch Lust?“, fragte mich Marc.
„Keine Ahnung, aber Stephan wollte doch, dass ich mal bei einem seiner Kundenautos nach der Anlage schaue.“
„Ja, das kannst du auch machen, aber ich meine danach.“
„Keinen Plan. Aber so wie ich euch kenne, habt ihr euch etwas ausgedacht. Also bevor ihr weiter Dinge einfach plant, habe ich eine Sache, die ich unbedingt mit euch machen möchte.“
„Und das wäre?“, fragte Luc neugierig.
„Wir fahren für ein paar Tage nach Gletsch und besuchen meinen Freund Claus. Der ist Lokführer bei der Furka-Bahn.“
„Wo ist das genau?“, fragte Stef.
„Gletsch liegt zwischen Grimselpass und Furkapass. Du kannst das ja mal heraussuchen und eine Route suchen.“
„Gut, Chris. Das ist versprochen. Da werden wir hinfahren.“, lächelte Marc und zwinkerte Luc und Stef zu.
Danach ging ich mit Marc zu Stephan und ließ mir das Kundenfahrzeug zeigen, um das es gehen sollte. Es war eine alte Mercedes Pagode. Ein 280 SL in Cremeweiß und sandfarbener Lederausstattung. Für mich war das eines der schönsten Autos, die Mercedes je gebaut hatte. Jan hatte auch so ein Exemplar und von daher kannte ich die Besonderheiten beim HiFi-Einbau.
„Papa, können Stef und ich schon fahren? Wir möchten uns noch mit Nico treffen. Wir sind aber heute Abend pünktlich zum Essen zurück.“
Marc schaute kurz und antwortete:
„Ja, macht das. Wir kommen schon irgendwie nach Hause. Es sind ja genug Fahrzeuge hier.“
Dann zeigte uns Stephan den SL und das Problem. Das alte, aber originale Radio hatte seinen Geist aufgegeben und musste ersetzt werden. Das größte Problem bei der Pagode war allerdings der geringe Platz für die Lautsprecher. Zumal es ein Roadster war, bei dem man eigentlich zwei unabhängige Systeme einbauen müsste. Einmal für den geschlossenen Betrieb und einmal als Cabrio. Allerdings hatte ich das bislang erst einmal in dieser Perfektion in ein Cabrio einbauen können.
Ich erklärte Stephan das Problem und worauf es ankommen würde. Auch Marc hörte sehr interessiert zu. Als ich soweit alles erklärt hatte, fragte mich Marc:
„Also wäre das vom Prinzip bei der Cobra genauso. Zwei unabhängige Systeme, die man je nach Betrieb umschalten könnte.“
„Richtig, aber bei der Cobra würde ich nur das System für offenes Verdeck einbauen, da dieses Auto eh nur offen gefahren wird.“
Stephan nannte mir ein Budget, was der Kunde ausgeben möchte und dafür ließe sich sicherlich etwas sehr ordentliches bauen. Ich konnte sogar etwas bessere Systeme nehmen, als bei meinem Bruder. Also diese Baustelle ließ sich schnell abarbeiten, indem ich Stephan eine Liste mit den Bauteilen von Jans Anlage erstellte. Wenn er alle Teile beisammen hätte, würde ich ihm erklären wie das einzubauen sei.
Damit war unsere erste Mission in der Werkstatt erfüllt und Marc wollte sich schon von Stephan verabschieden, als dieser ihn fragte:
„Wir haben eine Frage. Es hat sich ein Schüler aus dem Internat bei uns für ein Praktikum beworben. Da wollten wir dich fragen, ob das in Ordnung wäre?“
„Welche Klasse denn? Und für wie lange?“
„Neunte Klasse und für drei Wochen ein reguläres Betriebspraktikum. Er wird nicht wissen, dass du hier Miteigentümer bist und hier auch deine wertvollen Autos stehen. Wir möchten deswegen keinen Stress mit dir.“
„Er wird hier nicht allein arbeiten, oder?“
„Nein, natürlich nicht. Aber es könnte sein, dass ihr hier in den drei Wochen aufeinandertreffen werdet. Möchtest du vielleicht ein paar deiner Autos auslagern?“
„Quatsch. Das fangen wir erst gar nicht an. Eure Aufgabe wird es sein, ihm zu erklären, dass wir nicht möchten, dass in der Schule herumerzählt wird, was hier steht. Das soll er, bzw. seine Eltern unterschreiben. Das haben wir doch schon gehabt. Es sind offiziell Kundenfahrzeuge und das fällt unter den Datenschutz. Hat bislang doch immer geklappt. Also für mich kein Problem. Und ich habe noch nie Berührungsängste mit Jugendlichen gehabt.“
Dabei fing Marc an zu lachen und ich konnte auch nicht anders als zu lachen.
„Okay, danke dir. Dann sagen wir dem Jungen also zu?“
„Auf jeden Fall. Macht das. Wir sind dann jetzt weg, oder habt ihr noch etwas?“
Stephan verneinte und Marc gab mir einen Autoschlüssel.
„Das sind die Schlüssel der Cobra. Du fährst und ich sage dir wohin. Das kennst du ja noch aus deiner Rallye Zeit, hihihi.“
„Klar, damit kann ich umgehen, aber ob ich mit deiner Cobra so gut umgehen kann, weiß ich nicht. Ich habe großen Respekt vor diesem Monster.“
„Dann kann nichts schiefgehen, weil auch ich Respekt vor diesem Kunstwerk habe. Und dass du Gefühl für Technik hast, weiß ich. Du bist sie ja schon gefahren. Also auf geht es. Wir fahren in die Berge hoch. Ich habe Hunger.“
Ich öffnete die kleine Tür und stieg hinter das große Holzlenkrad, orientierte mich kurz und aktivierte die Zündung. Die Benzinpumpen surrten und dann drückte ich den Anlasser.
Ein ohrenbetäubender Sound kam aus den Sidepipes heraus. Ich legte den Rückwärtsgang ein und fuhr aus der Halle. Die Kupplung war brutal hart. Es gab keinerlei Servounterstützungen.
Fynn: Die Überraschungen waren gelungen
Der Sonntag brach an und damit auch schon wieder der letzte Tag unseres Besuches bei meiner Familie. Ich fühlte mich großartig nach dem Verlauf des gestrigen Tages. Die ganze Anspannung war gegangen und jetzt hatten wir noch einen angenehmen Teil zu erfüllen. Dustin und ich hatten von unserer USA und Kanada Tour auch ein paar nette Dinge mitgebracht. Schließlich hatten meine Eltern uns ein erhebliches Taschengeld mitgegeben.
„Hast du die Päckchen alle schon griffbereit?“, fragte ich Dustin, als wir unser Zimmer zum Frühstück verlassen wollten.
„Klar doch, Schatz. Ich weiß doch, wie unruhig Patrick sonst wird, wenn er als letzter auch noch warten muss.“
Dabei mussten wir beiden herzlich lachen und ich gab meinem Freund dafür noch einen Kuss.
Als wir das Esszimmer betraten, wartete meine Mutter bereits auf uns. Ich hatte sie gebeten uns einen kleinen Tisch bereitzustellen, damit wir die Sachen dort ablegen konnten. Dustin und ich dekorierten die mit Namenskärtchen versehenen Mitbringsel auf dem Beistelltisch und setzten uns an den Frühstückstisch. Wir hatten als Gimmick noch Bilder mitgebracht, auf denen die Preisgeldschecks abgebildet waren. Den Pokal hatte Dustin tatsächlich aus der WG mitgebracht, um ihn zeigen zu können. Das wäre mir zu umständlich gewesen, aber es war schließlich der erste Siegerpokal auf der Profitour.
„Puh, das ist aber ein ordentlicher Pokal. Das war bestimmt schwierig im Flugzeug.“
„Hahaha, Mama. Da sagst du etwas. Wir mussten eine extra Transportbox dafür nehmen. Aber es ist ja auch ein besonderer Pokal, da hätte ich schlecht sagen können, der bleibt drüben. Ich glaube mein Schatz hätte mich damit erschlagen.“
„Allerdings, darauf kannst du wetten. Dieser Pokal bedeutet mir sehr viel. Die Uhr habe ich gern an Chris verschenkt, aber der Pokal wird einen besonderen Platz bekommen.“
In diesem Moment betrat Papa das Zimmer mit einem fröhlichen:
„Guten Morgen zusammen, alle schon so gut gelaunt. Trotz der Uhrzeit?“
„Ja, klar. Patrick ist ja noch nicht da. Wir haben gute Laune und können frühstücken.“
„Welche Uhr?“, fragte Mama nach.
Ich schaute meinen Freund an und lächelnd erklärte Dustin meiner Mutter, was es mit der Rolex auf sich hatte. Als er fertig war, nickte mein Papa anerkennend und auch Mama fand Dustins Geste toll.
„Das finde ich richtig stark von dir, Dustin. Ich empfinde ja auch großen Respekt für Chris. Mit diesem Geschenk hast du ihm deine große Wertschätzung gezeigt. Wie hat er denn darauf reagiert?“
„Erstaunlicherweise hat er sie mit recht wenig Widerstand angenommen. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass er das nicht annehmen würde.“
Darauf musste ich etwas sagen.
„Ich glaube, dass Chris sofort bemerkt hatte, wie wichtig dir diese Geste ist und was es für dich bedeutet. Er hat die Wichtigkeit für dich erkannt. Außerdem glaube ich, dass er sie auch tragen wird. Diese Uhr wird auch für ihn etwas Besonderes sein.“
Dustin war auch jetzt noch bewegt und schwieg. Ich spürte, dass wir das Thema wechseln mussten.
„Ist Patrick eigentlich schon wach? Oder sollen wir ohne ihn mit dem Frühstück beginnen?“
Papa gab sofort die Antwort.
„Wir frühstücken jetzt. Er kann ja später hinzu kommen. Und ich habe ihm gestern Abend noch gesagt, dass ihr uns heute ausführlich von eurer Reise berichten werdet. Das wird er sich nicht entgehen lassen wollen.“
Papa hatte den Satz gerade zu Ende gesprochen, da betrat Patrick den Raum.
„Na, was habe ich gesagt? Da ist er schon, ihr könnt also direkt anfangen, uns ausführlich über eure spannende Reise zu berichten. Aber zuerst möchte ich einen Kaffee und ein Brötchen.“
Es war fast wie früher. Da hatte ich den Humor meines Vaters auch schon so geliebt. Patrick war gleich beleidigt und fühlte sich angegriffen, aber Papa bremste ihn sofort aus.
Nachdem wir alle uns mit dem Frühstück versorgt und reichhaltig Nahrung aufgenommen hatten, bat uns Mama doch zu beginnen.
Patrick hatte natürlich bereits die vielen kleinen Päckchen auf dem Beistelltisch erspäht und wollte schon zugreifen, als Papa ihn scharf zurückpfiff.
„Hey, Stopp. Sind das deine Geschenke? Wenn du eins davon aufmachen darfst, wird dir Fynn das sagen. Also, Finger in der Tasche lassen und zuhören, was dein Bruder und Dustin zu berichten haben.“
Papa schaute uns an und zwinkerte Dustin mit einem Lächeln zu. Mama lachte und bat mich nochmals, doch einfach mal loszulegen.
Ich startete meinen Bericht mit der Ankunft in New York.
„Das war alles so riesig, ich habe zu Beginn richtig Angst bekommen. In so einer Stadt möchte ich nicht allein unterwegs sein müssen. Da würde ich nie am Ziel ankommen. Das war schwer beeindruckend. Das Turnier selbst war schon ok, aber die Stadt war erschlagend. Chris hat mit uns auch ein wenig Sightseeing gemacht. Dabei waren wir sogar oben auf der Freiheitsstatue und haben von dort ein paar Fotos mitgebracht.“
Dustin nahm sein Smartphone und koppelte es an Papas Laptop. So konnten wir alle die Bilder in ausreichender Größe anschauen.
„Was ist für euch die stärkste Erinnerung an New York?“
„Papa, für mich war das ganz klar die Begegnung mit John McEnroe. Diese Gespräche waren toll. Er hat uns Mut gemacht, unseren Weg weiterzugehen und sich nicht mehr zu verstecken. Und er hat uns für unsere gute Teamleistung sogar eine Wildcard für die Juniorenkonkurrenz bei den nächsten US Open gegeben. Das ist eine starke Anerkennung.“
„Schatz, was meinst du, soll ich mal für Patrick das erste Geschenk freigeben?“
„Oh, ja, richtig.“
Dustin nahm eines der Päckchen und gab es Patrick. Er nahm es aufgeregt und riss das Papier ungeduldig herunter. Hervor kam eine Nachbildung aus Bronze der „Statue of Liberty“. Es war eine Schreibtischlampe.
„Boah, die ist ja cool. So etwas habe ich hier noch nie gesehen. Vielen Dank, Fynn.“
Mein Bruder freute sich ehrlich und ich bekam als Dankeschön eine Umarmung. Auch Dustin wurde freundlich umarmt. Das wunderte mich dann doch etwas, aber wir freuten uns über diese Anerkennung.
Für meine Eltern hatte ich ein besonderes Bild mitgebracht. Es war ein Foto von John McEnroe mit uns zusammen auf der Anlage und mit einer persönlichen Widmung. Ich wusste, dass gerade Mama ihn früher sehr gern im Fernsehen gesehen hatte. Als sie es in den Händen hielt, war sie echt gerührt.
„Fynn, das wird einen Ehrenplatz bekommen. Ich freue mich sehr über dieses Bild.“
„Wie war denn diese Begegnung mit John McEnroe? Seid ihr sehr nervös gewesen?“
„Nein, eigentlich nicht. Ich glaube, Chris war nervöser als wir. Er wusste ja, welche Leistungen McEnroe für das Tennis erbracht hatte. Ich kannte ihn ja nur vom Namen her. Allerdings strahlte er schon eine starke Aura aus. Die Amis waren alleredings wie elektrisiert, wenn er auf der Anlage gesehen wurde.“
Dann berichtete Dustin von Justin und der Begegnung mit seiner Familie. Da konnte ich sofort spüren, dass es ihn wieder aufwühlte, weil er halt keine eigene Familie hatte, die ihn unterstützte. Umso erfreulicher empfand ich es, als Dustin zum Schluss sich bei meinen Eltern bedankte für die Aufnahme bei uns. Einen schwierigen Teil in unserem Bericht musste ich dann wieder übernehmen. Den Angriff in Montreal auf uns. Das hinterließ bei meiner Mama Spuren. Sie stellte die zu erwartende Frage:
„Seid ihr euch sicher, dass es all das wert ist, wenn ihr dabei so in Gefahr kommt? Wie lange hält Chris das noch mit euch aus?“
„Mama, Chris ist derjenige, der für uns an der Front kämpft. Er wird sich nicht freiwillig zurückziehen. Dafür hat er schon zu viel erlebt, um jetzt aufzugeben. Diesen Kampf werden wir fortsetzen, bis die Homosexualität im Sport anerkannt wird und niemand mehr dafür diskriminiert wird.“
„Aber muss der Preis, den ihr dafür bezahlt, so hoch sein? In Kitzbühel hätte es auch anders ausgehen können. Ich bewundere Chris absolut, aber ich möchte, dass ihr noch lange gesund eurem Sport nachgehen könnt.“
Mama machte sich Sorgen um unsere Sicherheit und auch Papa war verdächtig still. Für einen Moment war ich unsicher, wie ich reagieren sollte. Aber Dustin stand mir zur Seite und er gab einen tollen Satz von sich:
„Chris weiß ganz genau was er tut und dass ihr Angst um uns habt, macht mich stolz. Bislang kannte ich die Situation noch nicht. Dennoch müssen wir jetzt weitermachen und in der Tennisszene Verbündete suchen. Einige haben wir ja schon gefunden und es werden mehr werden. Ganz sicher. Je mehr es werden, desto sicherer wird es für alle schwule Sportler.“
„Hätte Chris wirklich in Kitzbühel sterben können?“, fragte Patrick plötzlich.
In seiner Stimme klang Angst heraus. Sollte ich darauf eine Antwort geben? Gott sei Dank kam mir Papa zuvor:
„Das hätte passieren können, aber Chris hat sehr gut reagiert und da kommt ihm seine Erfahrung mit kritischen Situationen zugute. Ich bin davon überzeugt, dass das Team in Halle Chris einbremsen würde, wenn es zu gefährlich wird. Aber ich sehe es auch ein wenig wie Dustin, je mehr sich outen und euch unterstützen, desto sicherer wird es für alle werden.“
„Wie hat sich Justin eigentlich bei euch eingegliedert? Davon habt ihr noch nicht viel gesprochen.“
„Ja, Mama. Justin ist sehr nett und gut bei uns angekommen. Leider wohnt er immer noch nicht bei uns in der WG, aber wenn ich Chris richtig verstanden habe, wird er fest bei uns bleiben und bald bei uns einziehen. Ich mag ihn jedenfalls sehr und dass er Tennis spielen kann, steht außer Frage.“
Zwischendurch verteilte ich noch die weiteren Kleinigkeiten, die wir mitgebracht hatten. Patrick freute sich noch über eine Hose und ein Poloshirt von Nike, während ich für Papa einen tollen Bildband über Montreal und die Umgebung erworben hatte.
„Also wenn das so weitergeht, muss ich bald meine Bücherregale erweitern. Vielen Dank euch beiden. Aber zwei Sachen brennen mir noch auf der Seele.“
„Ja?“, fragte ich.
„Wie geht es jetzt bei euch weiter und bleibt das bei unserem gemeinsamen Urlaub in den Herbstferien?“
„Das weiß ich gar nicht so genau. Zuerst trainieren wir eine Zeit, bis Chris aus dem Urlaub kommt. Aber was für Turniere anstehen weiß ich nicht. Den Urlaub mit euch hat mir Chris fest zugesagt, also gehe ich davon aus, dass das auch klappt.“
„Ich glaube, dass wir noch Bundesliga spielen sollen.“, ergänzte Dustin.
„Sehr gut, dann werde ich jetzt unseren Urlaub buchen. Was ist eigentlich mit Maxi? Ihr habt vorhin berichtet, dass er vorzeitig nach Hause geflogen war. Habt ihr Kontakt mit ihm?“
„Ja, wir haben natürlich Kontakt zu ihm. Allerdings geht es seinem Vater überhaupt nicht gut und entsprechend schwierig ist das für seine Mutter nach der gerade erst überstandenen Krebserkrankung. Er wird weiter bei uns trainieren, aber bis auf Weiteres keine größeren Turnierreisen mehr unternehmen.“
Mama zeigte sich betroffen und spendete uns auch Trost.
Schon neigte sich unser Wochenendbesuch wieder dem Ende zu. Dieses Mal war ich zum ersten Mal seit ganz langer Zeit gerne nach Hause gekommen. Mein Vater hatte es uns aber auch leicht gemacht und wenn er sich weiter so positiv entwickeln würde, könnte ich mir auch vorstellen, wieder häufiger nach Hause zu fahren.
Chris: Furka und ein Ausblick in die Zukunft
Das HiFi Projekt hatte bereits gute Fortschritte gemacht und Marcs Werkstattpartner hatten von mir die genauen Baupläne bekommen. Außerdem hatte ich ihnen vor Ort erklärt, wie sie das umsetzen sollten.
Ich hatte bereits zwei Tage mit ihnen in der Werkstatt sowohl an der Cobra als auch an der Pagode gearbeitet, aber heute wollte ich mit Marc, Sabine, Luc und Stef zur Furka Dampfbahnstrecke aufbrechen. Leif hatte sich entschieden, nicht mitzufahren. Er hatte Konzertkarten für ein Rockkonzert und wollte dort mit Freunden hinfahren.
Unser Quartier sollte das Glacier du Rhone in Gletsch sein. Ich hatte meinen Freund Claus gebeten, uns dort Zimmer zu reservieren. Das Hotel kannte ich bereits von meinen Besuchen bei der Furka. Es wurde von einem sehr netten, engagierten schwulen Pärchen geführt. Sie hatten dieses historische Haus übernommen und sich innerhalb kürzester Zeit einen guten Ruf erarbeitet.
Claus sollte uns die Zimmer reservieren, weil er mit Mark und Tobias bereits gut befreundet war und ich nicht wollte, dass vorher bekannt würde, dass Marc Steevens dort für einige Tage zu Gast sein würde.
Unser Problem war die Anreise. Einerseits hätten wir mit dem Van anreisen können, aber Marc wollte auch etwas Spaß auf den Passstraßen haben. Luc sollte außerdem auch Erfahrungen im Gebirge sammeln. Sabine gefiel das nicht sonderlich. Sie wäre am liebsten mit dem großen Van gefahren.
„Musst du unbedingt den Aperta mitnehmen? Dass wir mit zwei Autos fahren ist doch eigentlich Unsinn.“
In diese Diskussion wollte ich mich auf gar keinen Fall einmischen. Es war mir unangenehm und Luc schien das ebenso zu gehen, denn er gab mir ein Zeichen, mit in den Garten zu kommen. Dort wartete Stef bereits.
„Na, ihr beiden. Seid ihr auch geflüchtet? Ich glaube, Marc und Sabine sind sich nicht ganz einig.“
„Hihi, Schatz. Gut beobachtet. Ich bin auch sehr gespannt, wer sich durchsetzen wird. Aber ich kann Papa auch verstehen. Mit dem Aperta wird die Passstraße viel mehr Spaß machen, als mit dem Van.“
Ich schaute Luc an und hatte das Gefühl, dass er sich nicht wohlfühlte.
„Meinst du, dass dein Camaro für die Gebirgstour fit genug ist? Es ist ein recht altes Auto und ich kenne beide Pässe, Grimsel- und Furkapass. Das geht richtig steil rauf und runter.“
„Der Camaro ist topfit. Ich glaube nicht, dass es damit Probleme geben wird. Vielleicht ist die Bremse im Gebirge etwas anfällig, aber sonst dürfte das echt kein Problem sein. Ich glaube aber, dass Papa nicht möchte, dass der Camaro ins Hochgebirge fährt.“
„Ok, aber Marc möchte schon, dass du auch Erfahrungen im Gebirge sammelst. Ich glaube daher, dass er dich auch fahren lassen möchte. Bist du denn seine Raketen auch schon alle gefahren?“
„Ja, hier in der Gegend schon, aber ich möchte den La Ferrari Aperta nicht unbedingt im Hochgebirge durch die Spitzkehren zirkeln. Da habe ich doch großen Respekt vor.“
Stef hatte zwar mittlerweile mit seinem Führerschein begonnen, aber er durfte noch nicht fahren. Allerdings gefiel ihm diese Diskussion auch nicht sonderlich. Er hätte es am liebsten gesehen, wenn Luc nicht fahren würde. Das sprach er allerdings nicht deutlich aus, es war ihm aber anzusehen.
Ich war der Meinung, dass es für Luc keinen besseren Lehrmeister geben könnte, als seinen Vater und Marc würde Luc sicherlich unterstützen und ihn nicht einfach ins Gebirge schicken.
„Ich bin der Meinung“, erklärte ich daher, „dass Luc dort auch fahren sollte. Marc wird es dir bestimmt gut erklären und vermutlich auch neben dir sitzen, wenn wir über die Pässe fahren. Da ist er sehr vorsichtig und wird kein Risiko eingehen.“
In diesem Moment betraten Marc und Sabine entspannt die Terrasse. Beide mussten lachen, als sie uns dort sahen.
„Hierher seid ihr also geflüchtet. Es gab keinen Grund dafür. Wir haben uns friedlich geeinigt und können gleich aufbrechen. Habt ihr schon eure Taschen gepackt. Wir sind immerhin fast eine Woche unterwegs.“
„Klar, Mama. Wir haben unsere Reisetasche bereits fertig. Chris, was ist mit dir?“
„Bis auf ein paar Kleinigkeiten bin ich auch startklar, Luc. Aber wie habt ihr euch denn nun geeinigt? Wer darf mit welchem Fortbewegungsmittel anreisen?“
Es fiel mir schwer, hier nicht meinen Sarkasmus zu sehr nach außen zu tragen, aber Marc hatte mich verstanden.
„Also, ganz einfach. Du wirst mit mir im Aperta reisen und Sabine, Luc und Stef nehmen den CTV. Wir werden bis Gletsch in etwa drei Stunden brauchen. Chris, treffen wir uns eigentlich mit deinem Freund in Gletsch oder in Realp?“
„Claus kommt nach Gletsch. Er wird uns dort in Empfang nehmen. Ich vermute fast, dass es eine standesgemäße Begrüßung geben wird. Er wollte mir noch schreiben, wo genau wir uns treffen. Er hat auch in dieser Woche einige Fahrdienste zu machen. Von daher muss er seine Zeiten ein wenig nach dem Fahrplan richten.“
„Cool, ich freue mich schon richtig, dass wir dort mal mit einer Dampflok fahren. Ich kenne so etwas nur noch aus dem Fernsehen.“
Stef und Luc freuten sich auf diesen Ausflug, genau wie ich. Es war schon wieder einige Zeit her, dass ich Claus getroffen hatte.
Wir wären gegen vierzehn Uhr in Gletsch, wenn alles planmäßig laufen würde. Also schrieb ich Claus unseren Zeitplan.
Schnell bekam ich von Claus eine Antwort. Wie ich schon vermutet hatte, bat er mich zum Bahnhof in Gletsch zu kommen. Er würde uns dort in Empfang nehmen und wie er schrieb, standesgemäß begrüßen. Das behielt ich allerdings noch für mich. Es sollte für die Steevens eine Überraschung werden.
Das Gepäck verluden wir in Sabines Auto und dann ging es auch schon los. In der Schweiz gab es überall auf den Autobahnen und auch auf den Landstraßen Tempolimits. Die Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen wurde gerade auf achtzig herabgesetzt, auf Autobahnen waren hundertzwanzig erlaubt. So ganz konnte ich also noch nicht verstehen, warum Marc unbedingt den Aperta mitnehmen wollte. Aber ich genoss jeden Meter in dieser Rakete auf Rädern. Es war sogar erstaunlich komfortabel auf der Autobahn.
Plötzlich bog Sabine in Brig von der A9 auf einen Parkplatz ab. Marc setzte den Blinker und folgte ihr.
„Hm, warum fährt sie jetzt auf den Parkplatz?“
„Ich habe keine Ahnung, Marc. Vielleicht muss jemand auf die Toilette oder vielleicht gibt es ein technisches Problem.“
„Ein Problem wohl nicht. Dann hätte mich Luc schon längst angerufen und gefragt, was sie tun sollen.“
Marc stellte unseren Aperta neben den CTV und wir öffneten die Türen. Luc und Stef waren bereits aus ihrem Auto ausgestiegen und streckten sich einmal. Marc stieg aus und ging zu Sabine herüber. Sie sprachen kurz miteinander und Marc kam lachend wieder zurück. Mittlerweile stand ich auch neben dem Wagen und bewegte mich ein wenig.
„Sabine möchte, dass Luc den letzten Teil fährt. Das finde ich eine gute Idee, denn die Furkastraße geht auch schon mal über ein paar Hügel hinweg. Da kann Luc gleich ein wenig üben mit den Kehren und Serpentinen.“
„Ah ok. Mal eine Frage, hat auch jemand Lust auf einen Kaffee?“
Sabine kam lächelnd zu mir und klopfte mir auf die Schulter.
„Du wirst mir immer sympathischer. Ich wollte gerade die gleiche Frage stellen. Also ich komme mit und damit kommen die anderen auch mit.“
Grinsend nahm mich Sabine in den Arm und führte mich in das Cafe am Rastplatz. Marc und die Jungs folgten uns lachend und scherzend. Als wir am Tisch saßen, fragte mich Marc:
„Sag mal, hattest du dich mit Sabine abgesprochen?“
„Ich? Nein, aber ich hatte einfach Lust auf einen Kaffee. Passt dir das nicht?“
„Doch, natürlich. Ich finde es nur lustig, dass ihr beiden immer häufiger gleiche Ideen und Gedanken habt.“
Jetzt schaltete sich Luc ein.
„Naja, Chris. Du musst halt berücksichtigen, dass es für Papa nicht immer so praktisch ist, unterwegs einfach einen Kaffee zu trinken. Manchmal entsteht dabei ein echter Menschenauflauf.“
„Sorry, daran habe ich natürlich überhaupt nicht gedacht. Das ist mir einfach nicht so geläufig, dass Marc eben nicht so einfach überall hingehen kann wie ich. Hoffentlich wird das jetzt kein Problem hier.“
„Mach dir keinen Kopf. Wir trinken den Kaffee und machen uns wieder auf den Weg. Bis das jemand bemerkt hat, sind wir über alle Berge.“
Genau so haben wir es gemacht und entsprechend saßen wir bald wieder in den Autos. Allerdings hatten wir auch bei mir im Auto die Sitzplätze getauscht. Marc wollte unbedingt, dass ich den letzten Teil fahre.
Für einen technisch interessierten Menschen wie mich war das ein Fest. Eines der schnellsten Straßenfahrzeuge der Welt zu fahren, erfüllte mich mit Freude. Allerdings musste ich mich manchmal sehr zügeln, um nicht ständig über dem Geschwindigkeitslimit zu sein.
Etwa eine Stunde und etliche Serpentinen später kamen wir in den Ort Gletsch. Das Glacier du Rhône lag linker Hand an der Furkastraße. Sabine fuhr am Gebäude vorbei auf den Parkplatz. Ich folgte ihr und stellte den Ferrari direkt neben ihren CTV.
Ich konnte nicht anders als mich einmal dem Panorama der Berge zu widmen. Der Bahnhof war fußläufig in 5 min zu erreichen.
„Lasst die Taschen im Auto. Wir gehen zuerst zum Bahnhof dort drüben. Ich vermute, dass Claus bereits dort ist.“
Es herrschte reger Publikumsverkehr, sowohl auf der Caféterrasse des Hotels als auch am Bahnhof. Ich schaute den Berghang zur Furka hoch. Von dort kam der Dampfzug aus Realp nach Gletsch. Allerdings war weder etwas zu sehen noch zu hören. Ich schaute auf mein Smartphone und las eine Nachricht von Claus. Dort gab er bekannt, dass er gleich in Gletsch eintreffen würde und dort auf uns warten würde. Er konnte ja nicht wissen, dass wir bereits angekommen waren.
Wir mischten uns unter die wartenden Touristen am Bahnhof. Luc schaute sich mit Stef ein wenig um. In diesem Augenblick konnten wir ein lautes Dampfzugsignal hören. Allerdings aus der anderen Richtung. Der Dampfzug kam aus Richtung Oberwald. Mit einer herrlichen Geräuschkulisse fuhr der Zug in den kleinen Bahnhof ein. Es zischte und dampfte bis der Zug zum Stehen kam. Die Fahrgäste stiegen aus und neue Gäste warteten, um einsteigen zu können. Ich schaute mich nach Claus um, konnte ihn aber nicht finden. Plötzlich hörte ich ein „Grüezi zusammen“ hinter meinem Rücken und Claus stand vor mir.
„Hallo Claus, das ist schön, dass wir uns hier wiedersehen.“
Wir umarmten uns herzlich und dann stellte ich ihm die Familie Steevens vor.
„Bist du auf der Lok gefahren?“, fragte ich ihn.
„Jap, ich durfte heute dort zuschauen. Ich finde es immer wieder faszinierend wie diese Maschinen laufen.“
„Das kann ich sofort verstehen. Ich freue mich auch sehr darauf. Luc und Stef haben noch nie eine Dampflok in Aktion gesehen. Marc und ich kennen das ja noch aus unser Kindheit.“
Claus lachte und ging direkt darauf ein:
„Dann lasst uns doch mal das Schmuckstück in Augenschein nehmen. Der Zug hat hier noch einige Minuten Aufenthalt. Ich frage mal den Lokführer, ob wir uns umschauen dürfen.“
Claus ging zur Lokbesatzung und ich holte Luc und Stef zu uns heran. Claus winkte mir dann auch zu und ich erklärte den Steevens:
„Wir können uns die Lok und den Führerstand anschauen, aber bitte passt auf, dass ihr keinen Hebel bewegt. Nur gucken, nichts anfassen ist ganz wichtig. Nicht, dass irgendetwas schiefgeht.“
Luc und Stef waren so aufgeregt wie kleine Kinder und hatten großen Respekt vor der alten Technik. Außerdem zischte und dampfte es ja auch weiterhin aus einigen Rohren. Marc hatte seine Sonnenbrille aufgesetzt und Claus stellte uns die Lokbesatzung vor. Sie bestand immer mindestens aus zwei Personen. Einem Heizer und dem Lokführer. Sie mussten als ein gut funktionierendes Team arbeiten, sonst würde der Zug nicht richtig fahren.
Bald ertönte eine Trillerpfeife und Claus forderte uns auf, die Lok zu verlassen, denn der Zug musste pünktlich abfahren. Er holte aus dem ersten Wagen seine Tasche und dann standen wir gemeinsam am Gleis.
„Es dauert jetzt noch zwei Minuten, dann kann der Zug abfahren. Da hinten kommt der Gegenzug. Sobald der über die Straße ist und im Bahnhof auf dem Nachbargleis hält, kann dieser Zug abfahren.“
Mit einem lauten Pfeifen kündigte sich der zweite Dampfzug an. Luc zückte sein Smartphone und nahm die Einfahrt als Video auf.
„Sind auch die Lokführer ehrenamtliche Mitarbeiter? Das ist doch ein absoluter Knochenjob.“
Marc war beeindruckt und das, obwohl er noch gar nicht viel gesehen hatte.
Claus erklärte:
„Ja, bis auf ganz wenige sind wir alles Furka-Dampfbahn-Verrückte, die das hier am Laufen erhalten. Mir macht es eine große Freude, diese Technik im Passagierbetrieb zu betreiben. Das ist ein Kulturgut der Schweizer Geschichte.“
In diesem Moment fuhr der Zug, ohne zu ruckeln, aus dem Bahnhof. Nur mit der obligatorischen Zugpfeife. Als der andere Zug gehalten hatte, fragte uns Claus:
„Wo habt ihr geparkt? Wir müssen noch einchecken. Mark und Tobias erwarten uns bereits.“
„Oh, hast du dich hier auch einquartiert? Du bleibst nicht in Realp?“
„Ja, ich habe mir drei Tage frei genommen. Ich muss nur einmal den Schiebedienst machen und das geht ja auch von hier aus. So lange lasse ich es mir mit euch gut gehen.“
„Das hört sich gut an. Also auch mal ein paar Tage richtig Urlaub machen.“, warf ich lachend ein.
„Ja, Chris. Und das kann ich nur machen, wenn ich tatsächlich nicht drüben in Realp bin. Hier in Gletsch habe ich auch mal Ruhe. Sonst fragt immer wieder jemand, ob ich vielleicht dieses oder jenes mal eben schnell machen könne.“
Mittlerweile hatten wir unsere Taschen aus den Autos geholt und Claus hatte uns zum Hotel geführt. Es war ein imposantes Gebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert. Und es war weitgehend im originalen Zustand. Ein wunderschönes Hotel aus der Gründerzeit, dass seine Hochzeiten bis in die Belle Epoche erlebt hatte.
„Bevor ihr euch wundert, dieses Hotel ist kein fünf Sterne Haus. Es ist noch recht einfach ausgestattet, aber hat unheimlich Stil und zwei Betreiber, die ihr Handwerk hervorragend verstehen. Die Küche hat einen verdient exzellenten Ruf. Das werden wir noch ausgiebig ausprobieren. Chris ist ja bereits hier gewesen und hat es getestet.“
„Allerdings, die Küche ist Weltklasse. Los, dann lasst uns doch einfach mal hineingehen. Ich würde gern meine Tasche loswerden.“
Claus und ich gingen vorweg, Luc und Stef folgten und am Schluss kam Sabine mit Marc in das Gebäude. Claus führte uns direkt in Richtung Terrasse mit dem Café.
„Mark ist im Selbstbedienungsrestaurant. Dort wird er uns in Empfang nehmen und euch alles erklären. Und denkt bitte nicht, es würde sich um ein herkömmliches Schnellrestaurant handeln. Es ist im Prinzip die gleiche Küche, die abends das Restaurant versorgt. Tobias kocht mit seinem Team nahezu alles selbst.“
Wir betraten einen riesigen Speisesaal mit grandiosen, alten Bildern an den Wänden. Dieser Raum war stilecht eingerichtet.
In diesem Moment kam Mark auf uns zu und begrüßte Claus und mich sehr herzlich.
„Hallo ihr zwei. Wie schön, dass wir euch wieder bei uns begrüßen dürfen. Heute sogar mit weiteren Gästen. Umso willkommener seid ihr natürlich.“
Der letzte Satz war eindeutig als Scherz gemeint. Claus konterte direkt:
„Aber jetzt haben wir euch Gäste mitgebracht, die euch zur Höchstleistung bringen werden. Darf ich euch vorstellen, Marc und Sabine Steevens mit Luc und Stef Steevens.“
Mehr sagte Claus nicht. Jetzt war ich gespannt wie Mark darauf reagieren würde.
Sehr professionell begrüßte er die vier und jeder von uns bekam sein Zimmer zugewiesen. Allerdings als ich zu meinem Zimmer die Treppe hinauf ging, sprach er mich an.
„Wow, da hätte Claus aber auch mal etwas sagen können, dass so prominenter Besuch kommt. Wo habt ihr euch kennengelernt?“
„Nein, das passt schon. Marc möchte keine Sonderbehandlung. Es wäre nur gut, wenn nicht bekannt würde, dass er hier im Hause wohnt. Sonst haben wir hier einen Haufen Autogrammjäger und genau das wollen wir vermeiden. Kennengelernt habe ich ihn in München bei Karl Geiger. Das ist aber eine ganz lange Geschichte.“
„Ok, wie ist das heute mit dem Abendessen? Wollt ihr einen Tisch reservieren?“
„Auf jeden Fall. Du kannst für uns immer einen Tisch bereithalten. So lange wir nichts anderes sagen, essen wir hier zu Abend.“
„Das freut uns wirklich. Dann bis später und habt einen schönen Aufenthalt bei uns.“
„Den werden wir wie immer haben. Ganz bestimmt. Also bis später.“
Nach einer erfrischenden Dusche trafen wir uns unten auf der Caféterrasse. Das Wetter war immer noch herrlich und für Gletsch typisch, herrschte ein frischer Wind.
„Wir haben noch ein paar Stunden Zeit bis wir um neunzehn Uhr hier zum Essen angemeldet sind. Wozu habt ihr Lust?“, fragte Claus in die Runde.
„Wir könnten uns doch erst einmal hier auf die Terrasse setzen und einen Kaffee genießen. Oder hast du schon etwas geplant?“
Marc schien richtig im Urlaubsmodus zu sein. Sonst war er eigentlich nicht für öffentliche Café Besuche zu haben.
„Nein“, sagte Claus. „Es lohnt sich jetzt auch nicht mehr noch nach Realp rüberzufahren. Wir sollten uns einfach Gletsch in Ruhe ansehen. Da uns aber niemand drängt, ist für einen Kaffee immer Zeit.“
Fynn: Training ohne Chris
Nachdem wir von meinen Eltern zurückgekehrt waren, hatte uns auch der Trainingsalltag wieder. Wobei so alltäglich war das Training nicht wirklich. Chris war noch im Urlaub und wir trainierten bei Toto und Burghard. Justin, Dustin und ich hatten das volle Trainingsprogramm, während Maxi nur noch dreimal in der Woche mit uns trainierte.
Sein Vater lag weiterhin in der Klinik und er kümmerte sich intensiv um seine Eltern. Manchmal ging es Maxi nicht gut. Dann luden wir ihn einfach mal zu uns ein und machten uns einen lockeren Abend. Er brauchte etwas Ablenkung. Für uns war das einerseits selbstverständlich, aber auch extrem anstrengend, dann am nächsten Tag wieder die volle Leistung abzurufen.
Und volle Leistung wurde jeden Tag gefordert. Burghard trieb uns ständig an. Ich vermisste sehr die Gespräche mit Chris. Burghard war nur unser Trainer. Es gab kaum einmal ein persönliches Gespräch.
Justin hatte sich am meisten verändert, seit Chris im Urlaub weilte. Er arbeitete genauso hart wie wir, aber mit Burghard hatte er seine Schwierigkeiten. Burghard war sehr fordernd und sparte auch nicht mit Kritik. Lob gab es zwar auch, aber eher selten. Wie Justin uns erzählt hatte, kam er mit dem Humor von Burghard überhaupt nicht klar.
Oft verstand er es falsch, wenn Burghard einen lockeren Spruch gemacht hatte. Das lag natürlich auch an der sprachlichen Situation. Justin konnte mittlerweile Deutsch gut verstehen, aber bei Ironie oder Sarkasmus verließ ihn sein Sprachwissen. Dadurch entstanden zwangsläufig Missverständnisse.
Dustin und ich hatten schon einige Gespräche mit ihm geführt und ihn gebeten, Burghard zu sagen, wenn er unsicher war. Das traute er sich wiederum nicht.
Außerdem kam noch erschwerend hinzu, dass er immer noch nicht bei uns wohnte. Thorsten hatte uns zugesagt, das schnellstmöglich umzusetzen. Leider war das noch nicht passiert. So hockte Justin abends oft allein in seinem Zimmer im Sportparkhotel.
Heute hatte ich mir vorgenommen, nach dem Training mit Thorsten darüber erneut zu sprechen. Leider hatten sich Burghard und Justin ausgerechnet heute heftig gestritten. Deshalb war die Stimmung etwas gereizt, als ich Thorstens Büro betrat.
„Hallo Fynn, komm bitte herein und schließe die Tür. Nimm bitte Platz.“
„Hallo Thorsten, danke.“
Ich war doch ein wenig aufgeregt, denn bislang hatte ich immer Chris an meiner Seite, wenn es Dinge zu klären gab.
„So, was hast du auf dem Herzen?“
„Es geht wieder um die Situation mit Justin. Es geht ihm zur Zeit nicht sonderlich gut. Außerdem hat er oft Stress mit Burghard. Wir möchten wissen, warum er immer noch im Sportpark wohnt und nicht bei uns in der WG? Er hockt abends meist allein in seinem Zimmer und das finden wir blöd. Du hast uns schon vor Chris Urlaub gesagt, dass Justin in Lennarts Zimmer einziehen soll. Warum geht das nun nicht? Lennart war seit Ewigkeiten nicht mehr bei uns in der WG.“
Thorsten hörte mir ruhig zu und zeigte keinerlei Regung als ich fertig mit meinem Anliegen war. Das ließ mich noch nervöser werden.
„Fynn, das musst du Lennart fragen. Wir haben ihm bereits dreimal gesagt, er möge bitte seine Sachen aus dem Zimmer holen, damit Justin dort einziehen kann. Leider hat er das noch nicht getan. Sobald das geschehen ist, kann Justin umziehen. Also vielleicht redet ihr mal mit Lennart. Ich finde das auch nicht gut, aber ändern kann ich das auch nicht so einfach.“
„Ok, dann werden wir mit Lennart morgen sprechen. Er gibt doch fast jeden Tag Training. Da muss das doch zu machen sein.“
Thorsten zwinkerte mir zu und nickte.
„Ich glaube, dass es mehr Wirkung haben wird, wenn ihr bei Lennart vorstellig werdet. Sollte das dann immer noch nicht passieren, meldet euch bitte noch einmal bei mir.“
„Das werden wir machen. Verlass dich drauf. Ich finde es einfach dickfällig von Lennart.“
„Dem kann ich nichts hinzufügen. Aber was Anderes. Was ist heute passiert, dass Burghard so sauer auf Justin war?“
„Ich denke, dass Justin genauso wütend auf Burghard war und wie ich finde auch berechtigt. Burghard interessiert sich nur für die Leistung und sonst nichts. Seine Art etwas zu erklären ist komplett anders als bei Chris und Justin hat manchmal Schwierigkeiten die Art von Burghard zu verstehen. Durch sprachliche Schwierigkeiten versteht er manches nicht so wie Burghard es meint. Heute ist da einfach eine Bombe hochgegangen. Justin hat einfach mal seinem Frust Luft gemacht. Mehr ist eigentlich gar nicht passiert.“
„Ah ja, ok. Dennoch war Burghard verärgert über Justin. Er hat gesagt, dass Justin sich nicht gut benommen hätte.“
„Nun, das kann man auch anders sehen. Ich kann Justin verstehen. Burghard provoziert manchmal ganz schön. Da Justin sich in Bezug auf Sprache nicht so sicher fühlt, schluckt er vieles und heute war es einfach zu viel. Da hat er Dampf abgelassen. Klar, seine Worte waren nicht unbedingt freundlich und korrekt. Aber da finde ich, dass muss Burghard dann wohl auch mal aushalten.“
Thorsten hörte mir genau zu und ich war mir plötzlich bewusst, dass das, was ich gerade gesagt hatte, auch als ein Frontalangriff auf unseren Trainer zu sehen wäre.
Thorsten schien mein plötzliches Zögern bemerkt zu haben, denn er fing laut an zu lachen.
„Hahaha, du müsstest gerade dein Gesicht sehen, Fynn. Zu komisch.“
Ich verstand nicht ganz, wie er das gemeint hatte.
„Bleib locker, Fynn. Alles gut. Ich glaube, dass ich verstanden habe was dort passiert ist. Ich finde es gut, wie du versucht hast es zu erklären ohne dabei unsachlich zu werden. Das gefällt mir gut. Vielleicht sollte ich mal die beiden zu einer Cola einladen und mit ihnen etwas besprechen. Ich danke dir für deine ehrliche Meinung. Ich soll euch übrigens ganz herzlich von Chris grüßen. Es geht ihm gut in der Schweiz. Marc scheint ihn gut zu beschäftigen und er hat kaum Zeit über Tennis nachzudenken.“
„Danke schön. Das freut uns sehr, dass er sogar in seinem Urlaub an uns denkt. Ich gehe jetzt mal und sage einen schönen Abend noch. Vielleicht klappt das mit Justins Umzug noch bevor Chris zurückkommt.“
Thorsten nickte und dann verließ ich sein Büro. Etwas überraschend wartete mein Schatz vor dem Clubhaus auf mich. Er schaute mich neugierig an und fragte:
„Na, hast du etwas erreicht bei Thorsten?“
„Ja, habe ich. Allerdings nicht unbedingt das, weshalb ich eigentlich zu ihm gegangen war. Aber das erkläre ich dir auf dem Heimweg. Lass uns aufbrechen, ich habe Hunger.“
Auf dem Heimweg erklärte ich meinem Freund, was ich mit Thorsten besprochen hatte. Als wir unsere Küche in der WG betraten, wartete Martina bereits auf uns.
„Ihr seid spät heute. Tim und Carlo sind schon am Verhungern.“
„Hahaha. Sorry, aber wir hatten noch etwas Wichtiges mit Thorsten zu besprechen. Tim wird schon nicht gleich vom Fleisch fallen. Aber Hunger habe ich auch. Also dann lasst uns essen, bevor uns Carlo auffrisst.“
„Sagt ihr den beiden bitte Bescheid. Hier braucht ihr nichts mehr zu tun.“
Wir einigten uns, dass Dustin unsere Taschen auspackt und ich dafür nach oben gehe und Tim und Carlo zum Essen hole.
Es war erstaunlich ruhig in Tims Zimmer. Ich klopfte an und bekam keine Antwort. In diesem Moment hörte ich Geräusche aus Carlos Zimmer und klopfte dort. Nach einem kurzen Augenblick hörte ich ein „herein“ und betrat das Zimmer.
„Hi Fynn, endlich seid ihr zurück. Können wir jetzt endlich essen? Ich verhungere fast.“
Tim tat so, als ob er schon tagelang nichts mehr gegessen hatte. Carlo grinste und gab einen guten Kommentar:
„Ist doch gut, dann wirst du nicht zu dick. So viel wie du momentan isst, musst du auseinandergehen wie ein Hefekuchen.“
Tim streckte ihm die Zunge raus und schon begann eine Kabbelei zwischen den beiden. Das nutzte ich, um die Tür wieder zu schließen und nach unten zu gehen. In der Küche schaute mich Martina fragend an.
„Wo hast du die beiden gelassen? Jetzt sag nicht, dass sie keinen Hunger mehr haben.“
„Hahaha, nein. Aber sie sind noch beschäftigt sich zu kabbeln. Da bin ich gegangen. Lasst uns anfangen. Carlo wird schnell unten sein, wenn er deine Lasagne riecht.“
Das war das Stichwort. Als ob er es gehört hätte, stand Carlo in der Tür und lamentierte:
„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mir Martinas Lasagne entgehen lassen.“
Es war immer wieder herrlich, wie die beiden gute Laune verbreiteten.
Innerhalb von Minuten war die Lasagne vertilgt und Martina hatte noch etwas Eis herausgestellt.
„Wir lassen es uns heute aber wieder richtig gutgehen. Wenn Chris das sehen würde, müssten wir morgen eine extra Schicht einlegen.“
„Quatsch, Tim. Chris kann sehr gut unterscheiden. Wir bräuchten nicht zusätzlich zu laufen. Und ihr auch nicht, es sei denn, ihr macht wieder nur Blödsinn.“
„Wieso wieder? Wir sind doch immer ganz lieb.“, grinste Carlo.
„So, genug Unsinn gemacht. Tim und Carlo haben beim Kochen geholfen, Fynn und Dustin helfen bitte beim Aufräumen.“
Das liebte ich an unserer Martina. Sie konnte ihre Ansagen immer so verpacken, dass ein Befehl wie eine Bitte aussah. Damit hatte sie sogar Tim auf Linie gebracht.
Wir waren aber auch schnell mit den Arbeiten fertig und konnten uns dann in unser Appartement zurückziehen. Dort kuschelten wir noch etwas auf der Couch und schauten sogar mal Fernsehen.
Ich war allerdings recht bald müde und ging mich fürs Bett fertigmachen. Dustin wollte noch etwas weiter TV schauen. Ich gab meinem Freund einen Kuss und zog mich ins Bett zurück.
In der ersten großen Pause am nächsten Morgen standen wir mit unserer Clique auf dem Schulhof.
„Seid ihr etwa mal mehr als eine Woche durchgehend in der Schule?“, fragte Martin.
„Jep. Sogar drei Wochen am Stück. Kaum zu glauben, ist aber so.“
„Wie kommt das denn? Sonst sieht man euch immer nur ein paar Tage am Stück.“, fragte Kai.
„Unser Coach ist im Urlaub und wir machen eine Trainingsphase. Außerdem steht doch bald die Klassenparty an. Die wollten wir schon gern mitmachen.“
Dustin fand meine Bemerkung lustig und fing an zu lachen. Martin lachte mit, weil die Party bei seinen Eltern in der Scheune stattfinden sollte.
„Hey, das trifft sich gut. Dann könnt ihr uns beim Aufbau helfen.“
„Klar, können wir machen. Aber wir dürfen uns nicht verletzen. Das gäbe Ärger.“
„Allerdings. Wie willst du Chris das erklären, wenn er aus dem Urlaub kommt und einer von uns ist verletzt, weil er auf der Klassenparty war. Da dürften uns die Argumente ausgehen.“
Die anderen mussten immer mehr lachen und ich fand es auch lustig. Allerdings steckte schon etwas Wahrheit darin. Bei so einer Veranstaltung wäre eine Verletzung echt ein Problem.
Für uns war meine Klasse mittlerweile eine große Hilfe geworden. Meine Beziehung zu Dustin ist bis auf ganz wenige Ausnahmen voll akzeptiert und auch, dass wir häufig unterwegs waren und sind, wurde nicht mehr kritisiert. Unsere Freunde hatten verstanden, dass das nicht nur Vorteile hatte, denn wir mussten den versäumten Stoff nacharbeiten und die gleichen Klausuren schreiben wie sie.
Unsere Trainingseinheiten bei Burghard waren anstrengend, aber er verstand es gut, uns immer wieder zu fordern und bis ans Limit zu treiben.
Heute am Freitag stand unsere Klassenparty an und Dustin und ich waren bereits bei Martin in der Scheune zum Aufbauen.
Die Musikanlage war bereits aufgebaut und Dustin und ich bestückten gerade die Kühlschränke mit Getränken, als Martin zu mir kam.
„Sag mal, was macht eigentlich Justin? Wohnt der nicht mittlerweile bei euch in der WG?“
„Nein, leider immer noch nicht. Er sollte zwar schon längst bei uns eingezogen sein, aber das hat noch nicht geklappt.“
„Hockt der jetzt die Abende immer allein in seinem Hotelzimmer oder macht ihr auch mal gemeinsam etwas?“
„Wir versuchen zwar schon, so oft es geht, etwas gemeinsam zu machen, aber in der Woche ist das meist recht schwierig.“
„Dann bringt ihn doch heute Abend einfach mit. Es ist zwar eine Klassenparty, aber das werden die anderen schon verstehen. Außerdem sieht er gut aus und wäre für unsere Mädels ein wenig Entschädigung für den Verlust, den sie bei dir erleiden mussten.“
„Hahaha, sehr witzig. Als ob die Mädels sich auf mich gestürzt hätten. Aber es stimmt. Justin sieht gut aus und ist super nett. Mir würde das gut gefallen, wenn wir ihn mitbringen dürften. Er braucht hier mehr Freunde auch außerhalb des Tennisplatzes.“
„Ja, Schatz. Dann würde er mal wieder aus seinem Zimmer kommen und unter Jugendlichen sein. Das ist eine absolut gute Idee.“
Dafür gab mir mein Freund noch einen Kuss und wir mussten lachen über den Gedanken mit den Mädchen. Wir wollten ihn jedenfalls fragen und mitbringen.
Als die Sonne tief am Horizont stand, war die Stimmung bereits bestens und Dustin und ich hatten gerade das dritte Steak auf dem Teller. Da kam Mareike zu uns an den Tisch.
„Hier habt ihr euch verkrümelt. Sagt mal, wo habt ihr den Justin denn aufgegabelt. Der ist ja richtig nett.“
Dustin verschluckte sich, als er das vernommen hatte und ich musste auch lachen. Da Dustin noch hustete, antwortete ich:
„Den brauchten wir gar nicht aufzugabeln, der ist uns einfach so zugeflogen bei einem Turnier. Chris hat ihn gleich mitgenommen und nun ist er bei uns gelandet.“
Jetzt war es an Mareike zu lachen und fragte nach:
„Wisst ihr vielleicht auch noch zufällig, ob er auf Mädchen oder wie ihr auf Jungs steht?“
Jetzt wurde es interessant, aber das wollten wir nicht ohne Justins Erlaubnis beantworten, daher half mir Dustin aus der Situation.
„Das musst du ihn schon selbst fragen. Darüber geben wir keine Auskunft.“
Mareike grinste, ging zur Theke und holte sich zwei neue Bier. Danach machte sie sich auf den Weg zur Tanzfläche. Vermutlich, um Justin mit ihrem Bier zu beglücken.
„Sag mal, Schatz. Justin scheint hier bei unseren Mädels aber hoch im Kurs zu stehen. Müssen wir wohl mal nach ihm schauen?“
„Quatsch, wenn er Hilfe benötigt, wird er sich schon melden. Wir sollten ihm den Spaß lassen. Er weiß, was er tut und was er besser lassen sollte. Burghard wird ihm sonst morgen in den Allerwertesten treten.“
Eine halbe Stunde später sah ich, wie Justin in einer kleinen Runde saß und sich mit unseren Klassenkameraden unterhielt. Er hatte eine Cola in der Hand und war in sichtlich bester Stimmung. Also alles im grünen Bereich. Dustin und ich zogen es vor, mehr auf der Tanzfläche zu sein, als immer ein neues Bier angeboten zu bekommen, dass wir ablehnen mussten. Dustin und ich blieben konsequent bei alkoholfreien Getränken.
Wir hatten dennoch viel Spaß, aber gegen Mitternacht war unsere Zeit gekommen. Wir wollten nach Hause fahren. Justin schien dankbar zu sein, dass wir ihn gefragt hatten, ob er mitkommen wollte.
Als wir dann durch die Nacht mit unseren Rädern zurück in die WG fuhren, erklärte uns Justin:
„Eigentlich war das ein super guter Abend, bis auf diese Mareike.“
„Hahaha“, lachte Dustin, „hat sie dich den ganzen Abend nicht in Ruhe gelassen?“
„Hör bloß auf, die war ja sowas von nervig. Und jedesmal wollte sie mir ein Bier andrehen oder tanzen. Zum Ende hin war sie schon so beduselt, das war nur noch unangenehm. Ich wusste nicht mehr was ich tun sollte.“
„Wir hatten es schon befürchtet, dass sie ein Auge auf dich werfen würde. Aber wenn so etwas in Zukunft wieder passieren sollte, dann kannst du uns ruhig um Hilfe bitten. Oder Martin kannst du auch immer ansprechen. Mareike ist dafür bekannt, dass sie nerven kann. Vor allem, wenn sie etwas getrunken hat. Eigentlich ist sie ganz nett, aber wenn sie sich ein neues Opfer ausgeguckt hat, dann kann sie schon echt anstrengend werden.“
Als wir an der WG angekommen waren, wollte sich Justin verabschieden. Er hatte noch den Weg ins Sportparkhotel zu machen. Mitten in der Nacht und allein gefiel mir das aber überhaupt nicht.
„Komm mit rein. Du schläfst bei uns auf der Couch. Ich möchte nicht, dass du mitten in der Nacht alleine unterwegs bist. Die Tennissachen kannst du auch noch vor dem Training holen.“
„Cool, das wäre echt nett von euch. Gibt das auch wirklich keinen Ärger mit Martina, wenn ich ohne zu fragen einfach hier schlafe?“
„Nein, ich denke nicht. Außerdem können wir das gut begründen. Chris würde uns etwas erzählen, wenn dir jetzt etwas passieren würde. Also, komm mit rein, das passt schon.“
Schnell hatten wir die Räder untergestellt und waren leise ins Haus gegangen. Dustin bereitete unsere Couch schnell vor, während ich Justin von mir ein paar Sachen für die Nacht gab.
Der nächste Morgen wurde interessant, denn Tim und Carlo hatten natürlich mitbekommen, dass Justin bei uns geschlafen hatte. Sie hatten vermutet, dass Alkohol der Grund dafür gewesen sei. Dem wirkten wir aber entschieden entgegen und erklärten die Situation. Damit gaben sie sich zufrieden und Dustin, Justin und ich brachen nach dem Frühstück zum Training auf. Justin musste ja erst noch seine Tennissachen holen.
Chris: Die Furka
Wir saßen nach einer sehr ruhigen Nacht beim Frühstück. Marc hatte sich dafür entschieden, draußen Platz zu nehmen. Die Sonne war bereits hinter den Bergen aufgegangen und eine herrlich frische Luft durchströmte meine Lungen.
Luc und Stef fehlten noch an unserem Tisch, aber Sabine hatte gemeint, dass wir nicht auf die Jungs warten sollten.
Claus erklärte Marc kurz das System und dann stellten wir uns an, um die leckeren Sachen auf dem Tablett zu lagern und mit einem frischen Latte Macchiato nach draußen zu gehen. Die Sonne hatte schon Kraft und erwärmte die Stühle. Aufgrund der Höhe von 1759 m brauchte ich bereits am frühen Morgen meine Sonnenbrille.
„Wie ist eure Befindlichkeit heute Morgen? Habt ihr gut geschlafen?“
„Danke der Nachfrage, Claus. Sabine und ich haben selten so gut und erholsam in einem Hotel genächtigt. Diese Ruhe ist fantastisch. Vom gestrigen Abendgenuss ganz zu schweigen. Die Küche ist wirklich ganz exzellent. Obwohl die Zimmer schlicht gehalten sind, haben sie ganz viel Charme und Stil.“
„Das trifft es sehr gut, Marc. Gut, ich bin nicht der Mensch, der oft im Luxus lebt und sich alles leisten kann, aber ich finde dieses Hotel einfach super gut. Die Mitarbeiter machen einen hervorragenden Job und auch Mark und Tobias sind einfach klasse. Für mich aus Deutschland ist die Schweiz zwar ein sehr teures Land, aber diese Tage sind es mir wert.“
In diesem Moment betraten auch Luc und Stef die Terrasse mit ihrem Tablett. Luc schaute einen Augenblick und dann kamen sie an unseren Tisch.
„Guten Morgen, seid ihr schon lange hier? Sind wir zu spät?“
„Nein, nein. Setzt euch. Wir haben auch gerade erst begonnen, das Buffet zu testen. Wie habt ihr geschlafen?“
„Die Nacht war super, Mama. Und auch die Leute sind total nett. Und das Essen ist echt die Sensation. Einfach nur Granate. Chris, du hattest absolut recht. Kochen können die Jungs hier.“
Stef nahm neben Sabine Platz und Luc neben mir. Claus und ich waren bereits in der zeitlichen Planung für den heutigen Tag.
„Ich würde vorschlagen, wir fahren heute mit dem Dampfzug um zehn nach elf ab Gletsch nach Realp. Dort wären wir um kurz vor eins. Da gibt es dann eine Werkstatt- und Depotführung von mir.“
„Ja, gefällt mir. Und kannst du Marc auch euer neuestes Bauprojekt erklären? Vor allem auch die sogenannten Frondienste. Marc kennt bislang noch nicht viel von der Furka Dampfbahn. Nur das, was ich schon erzählen konnte.“
„Und das war so viel, dass ich neugierig wurde. Also ich bin wirklich gespannt auf euer Depot und die Werkstatt. Vor allem auf die alten Dampfloks und die Dieselwerkstatt vom Claus.“
„Keine Sorge, wir schauen uns alles in Ruhe an. Zuerst müssen wir aber gleich die Tickets für den Dampfzug besorgen. Damit ihr alle zwanzig Prozent Ermäßigung erhaltet, habe ich Tobias bereits gebeten, euch die Gästepässe anzufertigen.“
„Darfst du eigentlich gleich kostenlos mitfahren? Du bist doch Mitarbeiter.“, fragte Luc Claus.
„Ja wir ständigen Mitarbeiter fahren gratis mit, allerdings ohne Anspruch auf einen Sitzplatz. Im Zweifelsfall im Gepäckabteil. Die übrigen Fronis die weniger oft hier mitarbeiten, bekommen pro Woche Arbeitseinsatz eine Freifahrt.“
Marc flüsterte derweil mit Sabine, die unauffällig nickte und dann sagte:
„Ich schlage vor, dass ich mit Claus zum Schalter gehe und für alle die Tickets besorge. Dann müssen wir uns nicht alle anstellen und den kleinen Bahnhof übervölkern.“
„Ein guter Gedanke“, reagierte Claus, „jeder gibt dir seinen Gästepass und dann bekommst du für alle den Rabatt. Das Geld sammeln wir in der Zeit hier ein und ihr bekommt es dann von uns zurück.“
Sabine ging nach dem Frühstück mit Claus los, während wir auf der Terrasse verblieben.
„Außerdem ist es sicherer, wenn sich Papa nicht irgendwo anstellen muss. Sonst könnte es passieren, dass er stundenlang Autogramme schreiben muss.“
Luc sprach aus was ich gedacht hatte. Aber Marc hatte noch eine Sache.
„Und bevor ihr auf den Gedanken kommt, Geld einzusammeln. Ich habe Chris zu uns eingeladen und dann ist er mein Gast. Claus ist unser Fremdenführer und entsprechend übernehme ich das auch. Das gilt für alle weiteren Dinge hier in Gletsch. Inklusive des Hotels und allen anderen Kosten. Ich möchte darüber auch nicht diskutieren. Es ist einfach so.“
Das war eine Überraschung und entsprechend erfreut war meine Reaktion.
„Sag nichts, Chris. Ich bin dein Gastgeber und Hauptsponsor, da sollte das mit dazu gehören.“
„Darüber müssten wir auch noch einmal sprechen. Es gibt eine Änderung in unseren Plänen in Halle. Dustin, Fynn und Justin sollen jetzt schon auf die Challenger Tour gehen. Maxi ist aufgrund der Krankheit seines Vaters momentan nicht mehr dabei.“
„Was heißt das? Wer wird das betreuen? Ich hoffe doch, dass du mit ihnen auf die Tour gehen wirst.“
„Ja, ich soll nach dem Urlaub für ihre Tourplanung, Trainingsplanung und Turnierbetreuung verantwortlich agieren. Da du ja die Finanzierung für die vier übernommen hast und die Bedingungen sich verändern, müssen wir darüber sprechen ob du dir das weiterhin vorstellen kannst, das Projekt zu unterstützen.“
„Wo ist das Problem? Natürlich werde ich das so lange unterstützen, wie es notwendig ist. Noch können die Jungs nicht davon leben. Also bleibt alles so wie es ist. Thorsten soll mir bitte einmal eine Jahresplanung zukommen lassen und dann läuft alles so wie bisher. Die Summe wird dann an die neue Lage angepasst. Die Challenger Tour wird bestimmt nicht günstiger werden, da die Reisen größer sein werden. Also mach dir darüber keine Gedanken. Das läuft ganz normal so weiter wie bisher.“
„Dann kann ich nur danke sagen und freue mich auf unsere weitere Zusammenarbeit.“
Marc nickte nur und damit war das für ihn abgehakt. Ich kannte ihn mittlerweile gut genug, dass jedes weitere Wort jetzt überflüssig war. Thorsten würde das mit ihm genauestens klären, sobald ich wieder zurück in Halle wäre. Für mich war das eine Bestätigung, dass wir eine richtige Entscheidung getroffen hatten. Marc stand weiterhin voll hinter uns.
Mir war es etwas unangenehm, dass dieses Gespräch hier auf der Sonnenterrasse nebenbei stattfand. Für Marc anscheinend keine große Sache. Er hatte uns noch einen Latte Macchiato geholt und ging direkt wieder zum Thema Furka über.
„Ich habe im Vorfeld unserer Reise einen Bericht über den Neubau eurer Lokremise in Realp gelesen. Dort wird eine Millionensumme erwähnt, die der Verein selbst aufbringen muss. Ich habe gehört, dass der Bau bereits begonnen hat. Wie ist das möglich, dass ein Verein aus ehrenamtlichen Mitgliedern so etwas auf die Beine gestellt bekommt?“
„Ja, das ist schon eine große Sache. Und es stimmt tatsächlich. Diese Summe hat der Verein mit Hilfe von Spenden und Sponsoren zusammengebracht. Überwiegend mit kleinen und mittleren Spenden. Es gibt eine sehr große Unterstützung in der Schweizer Bevölkerung und auch bei mittleren Unternehmen. Die Furka Dampfbahn ist in der Schweiz sehr beliebt und anerkannt. Genaueres kann uns aber Claus gleich schildern.“
„Wie oft bist du schon hier gewesen?“, fragte Luc.
„Bereits zweimal, heute ist also das dritte Mal. Und ich freue mich wie beim ersten Mal. Es ist einfach wunderschön hier.“
In diesem Moment kam Sabine mit Claus zurück auf die Terrasse. Claus erklärte uns den weiteren Ablauf und holte sich noch einen Kaffee, bevor er sich wieder zu uns setzte. Wir hatten noch etwa eine halbe Stunde Zeit.
„Kannst du uns etwas zu dem großen Bauprojekt erzählen?“, fragte Marc.
„Kann ich natürlich, aber lasst uns das besser in Realp tun. Wir haben eine schöne Dampfzugfahrt vor uns und dazu habe ich auch einiges zu erzählen.“
Marc war einverstanden und nachdem wir unseren Kaffee ausgetrunken hatten, machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof, der eigentlich nur auf der anderen Straßenseite lag. Man konnte allerdings den Schienenverlauf in die Berge erkennen. Dabei ließ sich erahnen wie steil die Strecke verlief. Marc schaute sich den Schienenverlauf an und fragte:
„Die mittlere Schiene ist für den Zahnradantrieb?“
„Genau“, antwortete Claus, „hier haben wir Steigungen von 118 Promille und das schafft der Adhäsionsantrieb nicht mehr. Da wird entweder der Zahnstangenantrieb zugeschaltet oder ganz darauf umgeschaltet. Je nach Loktyp. Ihr werdet das gleich auf der Strecke besser spüren können, wie steil die Strecke teilweise ist.“
„118 Promille? Wow, das ist enorm steil. Und dann auch noch im Hochgebirge. Wie hoch geht die Strecke hinauf?“
„An der Station Furka haben wir etwa 2160 m erreicht, Luc. Der höchste Punkt der Strecke liegt aber im Furka Scheiteltunnel. Und wir werden heute einen tollen Ausblick genießen können. Es ist auch oben herrliches Sommerwetter. So wie ich es für euch bestellt habe.“
„Hihihi, sehr gut. Immerhin einer, der das Wetter im Griff hat. Kann ich dich auch mal für unser Wetter in Genf engagieren?“
„Nein, Sabine. Das tut mir leid, ich habe nur Verträge mit dem Wetter in Realp. Hihihi.“
„Schade, aber dann genießen wir es heute umso mehr.“
Mittlerweile standen wir am Bahnsteig in Gletsch und Claus wurde von allen Mitarbeitern freundlich gegrüßt. Luc kam zu mir und fragte:
„Claus ist hier wohl eine bekannte Person?“
„Oh ja. Er ist schon zwanzig Jahre dabei und kennt hier jeden Stein auf der Strecke. Und natürlich auch die Mitarbeiter.“
Plötzlich ertönte in der Ferne der lauter Pfiff einer Dampflokomotive. Aus Richtung Oberwald fuhr der Zug mit einer ordentlichen Dampf- und Rauchfahne aus dem Schornstein ein. Auch akustisch war das ein besonderes Schauspiel.
Als der Zug zum Halten kam, öffneten sich die Türen und Passagiere stiegen aus. Claus brachte uns zum vordersten Wagen und wir stiegen ein.
„Von hier habt ihr einen guten Blick auf den Führerstand und gleichzeitig könnt ihr in die Landschaft schauen.“
Marc stellte zuerst seinen Rucksack auf die Holzbank und Sabine nahm dort Platz. Luc und Stef blieben direkt am Eingang stehen und schauten in die Lok hinein. Sofort spürte man die Hitze, die von dort ausstrahlte. Beide Lokführer standen bereits gut im Schweiß. Dennoch herrschte eine freundliche Atmosphäre und Claus schwatzte mit beiden auf Schwyzerdytsch. Irgendetwas über uns hatte er den beiden erzählt, auch der Zugführer begrüßte Claus.
Ich war neugierig ob irgendjemand Marc erkennen und ihn um ein Autogramm bitten würde. Marc versteckte sich jedenfalls nicht und blieb direkt bei Luc und Stef am Führerstand stehen. Sehr spannend wurde es, als er einen der beiden Lokführer auf Schwyzerdytsch ansprach und sich etwas erklären ließ.
Sie erklärten Marc etwas und auch Luc und Stef hörten aufmerksam zu. Der Heizer schaute plötzlich zu Marc und stutzte. Allerdings reagierte er nicht weiter. Als Marc wieder bei mir stand und Claus vorne auftauchte, sprachen die beiden miteinander. Aufgrund der Reaktion des Heizers konnte ich erahnen, dass es um Marc gehen würde. Claus lachte und schaute zu uns herüber. Aber es geschah nichts weiter.
Der Wagen füllte sich immer mehr mit Menschen und ständig wurden Fotos von der Lok gemacht. Draußen gab es einen Pfiff von einer Rangierpfeife und die Türen wurden geschlossen. Hier funktionierte noch alles manuell und als die Türen geschlossen und der Zugführer eingestiegen war, fuhr die Lok unter lautem Pfeifen ruckfrei los. Ein weiterer Beweis für die Fähigkeiten der Lokführer. Sie verstanden ihr Handwerk und bildeten ein eingespieltes Team.
Vorsichtig fuhr das Team über die Passstraße und in die Zahnstange ein. Es gab einen leichten Ruck und dann änderte sich auch die Geräuschkulisse. Ein herrliches Schnaufen und Zischen der Kolben und Stangen, die den Zug langsam den Berg hinauf brachten. Links des Zuges hatten wir eine phantastische Aussicht auf die Berge. Die herrlich klare Bergluft strömte durch die offenen Fenster des Wagens.
Marc fragte mich:
„Du bist immer noch fasziniert von diesem Panorama, obwohl du schon mehrfach hier warst?“
„Ja, absolut. Schau dich um und genieße es. Ich freue mich jedes Mal wie beim ersten Besuch. Einfach nur wunderschön.“
„Allerdings, da stimme ich dir zu. Es ist wirklich wunderschön hier.“
„Ihr habt ja noch nicht viel gesehen. Es geht ja erst richtig los.“, mischte sich Claus von hinten ein.
„Wir kommen gleich zur Haltestelle Muttbach vor dem Furkascheiteltunnel. Dort haben wir einen kurzen Aufenthalt. Wir müssen den Gegenzug abwarten und mit ihm die Gleise kreuzen. Die Strecke ist ja eingleisig.“
„Können wir da kurz aussteigen um Fotos zu machen?“
„Ja, Luc. Für ein paar schnelle Bilder ist genug Zeit. Wobei die bessere Möglichkeit ist dann auf der Furka und im Scheiteltunnel mit dem Dampf im Tunnel.“
Claus kam wieder zu Marc und mir und bemerkte:
„Der Lokführer hat Marc erkannt. Er hat mich gefragt ob ich wüsste, wen ich da als Gast hätte. Ich musste fast lachen, aber ich habe ihn gebeten, dich nicht um ein Autogramm zu bitten. Dafür musste ich ihm versprechen, dich zu fragen, ob du ihm ein Autogramm für seinen zwölfjährigen Sohn gibst.“
Marc fing an zu lachen und unterschrieb in dem kleinen Buch, das Claus ihm hingehalten hatte.
„Vielleicht haben wir Glück und du musst keine Autogramme im Zug schreiben. Es wäre echt schade, wenn die Leute dadurch diesen tollen Ausblick versäumen würden.“
„Das stimmt, Chris. Ich muss das auch nicht haben. Aber wenn es so wäre, dann ist es halt so. Ich will mich nicht ständig verstecken müssen oder gar einen Sonderstatus haben, nur weil ich mir schweizer Sehenswürdigkeiten anschauen möchte.“
„Da hast du ganz sicher recht. Ich bin an dieser Stelle sehr froh, dass ich darauf nicht zu achten brauche. Vor allem muss ich nicht ständig aufpassen, dass ich vielleicht an falsche Freunde gerate, die nur auf mein Geld aus wären.“
„Ja, das war zu Beginn meiner Karriere immer wieder ein Problem. Aber sei dir sicher, auch ich habe mein Lehrgeld bezahlen müssen.“
Wenige Augenblicke später stoppte der Zug in Muttbach. Wir konnten für wenige Minuten den Zug verlassen und blickten direkt auf den Eingang des Furkascheiteltunnels.
Claus erklärte der Familie Steevens die einzelnen Signale. Jeder Lokführer bei der Furka hatte eine Prüfung beim Bundesamt für Verkehr ablegen müssen. Also, obwohl es eine kleine Privatbahn war, hatten die Lokführer und das gesamte Zugpersonal wie Fahrdienstleiter und Zugchef eine offizielle Legitimation. Niemand durfte hier ohne abgelegte Prüfung im Schienenverkehr arbeiten.
„Ich bin beeindruckt über diesen Aufwand. Und alles wird im Herbst wieder abgebaut und im Frühjahr nach der Schneeräumung wieder aufgebaut? Wahnsinn. Muss man dafür nicht auch ein wenig dampfbahnverrückt sein?“
„Ich denke, nicht nur ein wenig. Ein wenig mehr.“, warf ich ein.
Claus lachte und nickte.
„Aber wir sind alle positiv verrückt. Ich kann mir das kaum noch ohne die Furka vorstellen. Hier kann ich von meinem Berufsalltag abschalten und auch wieder Energie tanken.“
Ein Pfiff ertönte und der Gegenzug tauchte aus dem Tunnel auf. Als er auf dem Ausweichgleis gehalten hatte, stiegen wir in unseren Zug wieder ein.
„Jetzt geht es durch den Scheiteltunnel. Aufgepasst, es könnte etwas nebelig werden durch den Dampf.“
Die Stimmung im Tunnel war faszinierend. Ich fühlte mich wieder um einhundert Jahre in der Zeit zurückversetzt. Einfach wundervoll. Luc und Stef machten viele Bilder mit dem Rauch im Tunnel und den Lichtern an den Gleisen.
Im Furkabahnhof auf knapp 2200 m Höhe herrschte reges Treiben. Hier hatten wir einen längeren Aufenthalt. Und der lohnte sich. Die Aussicht in die Berge war grandios und die DFB hatte hier oben ein großes Zelt mit Verpflegung eingerichtet. Auch hier arbeiteten die Mitarbeiter alle ehrenamtlich.
Luc hatte Durst bekommen und Stef war einer Cola auch nicht abgeneigt. Marc fragte daraufhin einmal in die Runde und ging an die Getränketheke. Wenige Minuten später hatten wir alle etwas zu trinken. Mit der Flasche in der Hand standen wir in der Sonne und schauten ins Tal. Sabine fragte:
„Du bist deinen ganzen Urlaub hier zum Arbeiten?“
„Nein, aber schon einen großen Teil davon. Es ist für mich einfach toll hier. Und Chris habe ich mittlerweile auch angesteckt. Er ist jetzt schon das dritte Mal hier und kennt sich schon ganz gut aus. Es macht einfach Spaß.“
„Ich kann es mir gut vorstellen. Vor allem, weil ich bislang nur nette Menschen kennengelernt habe. Ich merke die Freude, die die Leute mitbringen. Das erinnert mich ein wenig an unser Rennteam. Dort waren die Mechaniker auch immer aus ganz viel innerer Überzeugung dabei. Sonst wäre das auch nicht gegangen. Mal eine Frage, Claus. Wie sieht das mit den Sponsoren aus? Haben die dadurch irgendwelche Sonderrechte?“
„Nein, in der Regel nicht. Es gibt einige Privatsponsoren, die dann hier vor Ort freie Mitfahrten in den Zügen haben. Aber das ist eher die Ausnahme und auch erst ab einer recht hohen Summe.“
„Wie ist das eigentlich mit unserem Mittagessen? So langsam bekomme ich Hunger. Die Höhenluft und die tolle Aussicht zeigen Wirkung.“
„Hahaha, Chris. Da kommt der Drache durch. Drachen sind auch immer hungrig. Aber ich habe gedacht, wir essen in Realp im Depot. Dann kann ich euch auch die Mensa für die Mitarbeiter zeigen.“
„Ah, in Ordnung. Ja, das ist eine gute Idee. Eure Küche war bislang immer ganz hervorragend.“
Die weitere Fahrt bot immer wieder optische Highlights. Die Überquerung der Steffenbachbrücke verlief zwar unspektakulär, aber als Claus die Hintergründe zu diesem Bauwerk gab, hörten die Steevens erstaunt und fasziniert zu.
Es war wieder ein absoluter Höhepunkt, mit dem Dampfzug in Realp einzufahren. Sämtliche Fahrgäste hatten ein Lächeln im Gesicht als die Türen zum Aussteigen geöffnet wurden. Claus führte uns einmal über das Bahnhofsgelände und erklärte uns alles Wissenswerte. Anschließend marschierten wir den kurzen Weg in Richtung Depot.
Ich empfand es als absoluten Anachronismus, dass wir auf dem Weg zum Depot an einem modernen Golfplatz vorbeiliefen. Eine historische Dampfbahn, die einen um hundert Jahre in der Zeit zurückversetzt und gleichzeitig einen modernen Golfplatz nebenan.
Das Gelände des Depots erstaunte die Steevens. Sie hatten sich das nicht so groß vorgestellt. Vor allem die Werkstätten mit den hochmodernen Werkzeugen verblüffte insbesondere Marc.
Die Halle der Dampfloks bot Anlass für zahlreiche Fotos. Luc und Stef konnten gar nicht genug bekommen und auch Marc schaute sich interessiert die alte Mechanik an. Er staunte insbesondere über den perfekten Zustand der alten Maschinen.
„Wenn ich mir diese tollen Maschinen ansehe, dann geht mir das Herz auf. Ich vermute, ihr habt viele dieser Teile neu anfertigen müssen. Sie sehen jedenfalls aus wie neu.“
„Ja, das ist korrekt. Zu neunzig Prozent ist die Mechanik anhand der alten Pläne neu angefertigt worden. Entsprechend lange und aufwendig war der Neuaufbau der alten Lokomotiven.“
„Wahnsinn. Ich bin begeistert und beeindruckt. Und das alles mit Ehrenamtlichen. Ich bin einfach sprachlos. Ihr könnt stolz auf eure Arbeit sein. Die lachenden Gesichter der Fahrgäste sprechen für sich. Ich weiß, dafür könnt ihr euch nichts kaufen, aber sie zeigen, dass ihr alles richtig gemacht habt. Und dann der ganze Aufwand mit dem Auf- und Abbau. Einfach grandios.“
Wir unterbrachen unseren Rundgang, um in der Mensa unser Mittagessen einzunehmen. Dort gab es ein Küchenteam mit einem richtigen Koch als Chef. Er versorgte alle Mitarbeiter mit drei Mahlzeiten am Tag. Claus hatte uns angemeldet, denn die reguläre Mittagszeit war bereits vorüber. Das hatte allerdings den Vorteil, dass wir allein im Speiseraum saßen.
Plötzlich betrat jemand den Raum. Claus wurde freundlich begrüßt. Die Dienstkleidung ließ erkennen, dass es sich um einen offiziellen Mitarbeiter handelte. Dieser fragte Claus, ob er am nächsten Tag einen Dienst übernehmen könnte. Es war ein Lokführer erkrankt und der sogenannte Schiebedienst musste neu besetzt werden.
Claus überlegte einen Augenblick und erbat sich einen Moment Bedenkzeit, damit er mit uns den geänderten Ablauf besprechen könnte.
„Wenn ich morgen bereits den Schiebedienst machen würde, dann müsstet ihr euch für einen Tag allein beschäftigen. Wäre das ein Problem?“
Ich schaute Marc an und das sollte nun wirklich kein Problem sein. Marc hatte ja auch noch sein italienisches Spielzeug mitgebracht.
„Nein, dann machen wir morgen mal eine Passfahrt und vielleicht können wir ja morgen Abend dann gemeinsam in Gletsch essen. Wie lange hast du denn Dienst?“
„Bis zum späten Nachmittag, aber ich würde dann allerdings in Realp sein. Da müsste mich vielleicht jemand abholen und nach Gletsch bringen. Mein Auto steht ja momentan in Oberwald.“
„Das bekommen wir hin. Du schreibst Chris am besten wann du abgeholt werden kannst. Wir organisieren das passend und abends essen wir gemeinsam im Glacier du Rhône.“
Claus führte uns im Anschluss an das Mittagessen durch die Dieselwerkstatt und zum Abschluss kamen wir an der Baustelle für die neue Lokremise an.
Dort erklärte Claus insbesondere den Steevens, wie das ganze Projekt geplant wurde und warum das so wichtig für die Furkabahn war, sie schnellstmöglich zu bauen.
„Wenn ich dich richtig verstanden habe, Claus, dann wird durch dieses Bauprojekt die Lebensdauer der Wagen mindestens verdoppelt. Und ihr könnt auch im Winter hier etwas an den Wagen arbeiten, ohne viel rangieren zu müssen.“
„Genau. Der Wert der Wagen wird dadurch um ein vielfaches steigen, weil wir viel seltener eine Restaurierung durchführen müssen. Dadurch werden natürlich auch die Kosten gesenkt.“
Marc und Sabine waren beeindruckt und auch Luc machte von den Schautafeln Bilder. Marc machte den Eindruck, als ob er über irgendetwas nachdenken würde. Er flüsterte mit Sabine, die immer wieder nickte. Allerdings behielten sie Marcs Gedanken für sich.
Wir nahmen den letzten Zug zurück nach Gletsch und genossen zum Abschluss des Tages ein leckeres Menü in unserem Hotel.
Der nächste Tag begann für Claus nach dem Frühstück mit dem Transfer zu seiner Schiebelok für den Dampfzug.
Marc wollte mit mir und dem Aperta sowohl den Grimselpass als auch den Furkapass befahren. Damit wir nicht zu viel Verkehr hatten, brachen wir schon recht früh auf. Luc, Stef und Sabine wollten eine Tageswanderung in die Berge machen. Damit hatten wir genug Zeit, die Pässe zu befahren.
Wir verließen gegen neun Uhr das Hotel und dann wurde es spannend. Marc öffnete den Aperta und die Flügeltüren schwenkten nach oben.
„Zuerst fahren wir den Grimselpass. Danach fährst du den Furkapass. Den kennst du ja bereits, wie Claus mir erzählt hat.“
In diesem Augenblick zuckte ich leicht zusammen. Das meinte er doch nicht wirklich ernst. Egal, wir stiegen erst einmal in dieses Kunstwerk. Marc startete rein elektrisch vom Parkplatz und nahezu geräuschlos rollten wir am Hotel vorbei auf den Grimselpass.
„Ist das wirklich in Ordnung, dass wir uns einen Tag mit dieser Rakete vergnügen und die anderen drei wandern durch die Berge?“
„Ja, sie vergnügen sich auch. Also mach dir keinen Kopf. Luc und Stef hatten schon zu Hause davon gesprochen mit der Kamera in die Berge gehen zu wollen. Wir werden bestimmt tolle Bilder zu sehen bekommen.“
„Luc hat Talent für die Fotografie, oder?“
„Ob er Talent hat, kann ich dir nicht sagen, aber für mein Empfinden hat er große Freude daran und ich finde seine Bilder oft sehr schön.“
Marc fuhr zwar sportlich die Straße den Berg hinauf, aber in keinster Weise gefährlich oder mit zu hoher Geschwindigkeit. Dennoch machte es Spaß, die Kraft und Dynamik des Aperta zu spüren.
Und wir machten immer wieder an besonders schönen Stellen eine Pause, um die schöne Landschaft zu genießen.
Gegen Mittag waren wir wieder unten in Gletsch am Hotel. Die Gelegenheit nutzten wir, um dort Mittag zu essen. Im Gegensatz zu den bisherigen Tagen erregte Marcs Ferrari jetzt Aufsehen. Wir saßen auf der Gästeterrasse und konnten die Menschen beobachten wie sie das Auto ablichteten und auch Selfies machten.
Wir ließen uns deswegen das Essen aber trotzdem schmecken und nachdem wir uns noch einen Kaffee gegönnt hatten, machten wir uns auf den Weg Richtung Furka und Realp. Allerdings gab es noch ein kleines Problem zu lösen, denn eine Gruppe von Menschen hinderte uns daran, zum Wagen zu kommen. Sie waren so damit beschäftigt, ihre Fotos zu machen, dass sie uns gar nicht wahrnahmen. Erst, als Marc die Türen mit der Fernbedienung öffnete, wichen sie erschrocken ein paar Meter zurück. Marc gab mir die Schlüssel und sagte:
„So, du fährst die Furka. Keine Sorge, ich helfe dir, wenn es schwierig werden sollte.“
Leider hatte er nicht bedacht, dass die Leute jetzt natürlich genau hinsahen, wem dieses Kunstwerk gehörte und Marc kam nicht umhin, einige Autogramme zu schreiben. Ich konnte mittlerweile den Platz hinter dem Lenkrad einnehmen und hatte die Idee, einfach den Motor zu starten und anzurollen. Dann könnte Marc vermutlich schneller einsteigen und wir hätten wieder unsere Ruhe. Marc verstand mein Handeln auch sofort und als seine Tür geschlossen war, hatten wir bereits den Parkplatz verlassen.
„Danke, du hast richtig gut mitgedacht. Sonst hätte das noch Ewigkeiten gedauert, bis wir losgekommen wären.“
„Gern geschehen. Ich war der Meinung, dass du nicht zum Autogramme schreiben hergekommen bist.“
„Hihi, ja, sehr gut. Eigentlich versuche ich dem schon nachzukommen, aber heute ist des einfach total unpassend.“
„Ich finde es überhaupt distanzlos, einfach auf dich loszustürmen und dich quasi zu zwingen, Autogramme zu geben. Dein Privatleben wird nicht respektiert.“
„Ach, Chris. Das ist der Preis, den du für den Erfolg und die Popularität bezahlen musst. Aber bestimmte Situationen sind schon unangenehm.“
Ich war bereits durch die ersten Kehren der Passstraße hinauf gefahren, als ich eine laute Postfanfare hörte. Der Postbus kam uns entgegen und wenn man dieses Horn hörte, hatte man aufzupassen. Der Postbus hat grundsätzlich Vorfahrt auf der Passstraße.
Ich schaute durch das offene Dach nach oben und musste mich entscheiden, entweder noch vor der Kehre zu warten oder noch durchzufahren. Ich entschied mich zu warten. Leider führte das hinter mir zu einem kleinen Hupkonzert. Aber als der Postbus vorbeifuhr, bekam ich einen freundlichen Gruß des Fahrers. Mit einem beherzten Tritt auf das Gaspedal ließ ich meine ungeduldigen Hintermänner hinter uns und bekam ein Lächeln ins Gesicht. Diese Kraft des doppelt aufgeladenen Zwölfzylinders beeindruckte mich enorm. Ich bekam eine Gänsehaut beim Aufbrüllen des Aggregates.
„Wow, ist das beeindruckend. So viel Kraft.“
„Hihi, ja, da geht was vorwärts. Aber du hast ja bislang nur gestreichelt. Wenn du willst, kannst du über neunhundert PS aktivieren. Aber mach das so wie du dich wohlfühlst.“
Sofern es die Straße zuließ, wurde ich mutiger und beschleunigte von Kurve zu Kurve immer stärker. Auf dem Bergabstück nach Realp ließ ich es mal richtig laufen. Die Bremse war gigantisch. Allerdings war ich einmal etwas rabiat auf dem Gas beim Herausbeschleunigen aus einer Kehre. Das Heck drang nach außen und ich musste schnell gegenlenken. Die Elektronik half auch und so war es nicht wirklich gefährlich, aber ich war nun gewarnt. Marc grinste nur und zeigte mir den Daumen hoch.
„Gute Reflexe. Du machst dich. Ich kann sehen, dass du noch nicht allzu eingerostet bist. Von daher mache ich dir einen Vorschlag. Du holst Claus nachher aus Realp ab. Ich werde mit dem Dampfzug zurück nach Gletsch fahren. Wir treffen uns dann im Hotel zum Abendessen.“
„Das meinst du nicht ernst? Ich soll allein mit dieser Rakete unterwegs sein?“
„Nein, nicht allein. Claus ist doch auf dem Beifahrersitz. Hahaha.“
„Sehr witzig. Aber ich muss zugeben, das Gerät macht Spaß. Hast du Luc auch schon damit fahren lassen?“
„Nein, noch nicht. Aber ich denke, ich werde das morgen oder in den nächsten Tagen hier machen. Er hat mittlerweile genug Erfahrung gesammelt und mir gezeigt, dass er umsichtig fährt.“
„Also der Ritterschlag für ihn. Ich glaube, du wirst damit bei ihm großen Stolz auslösen.“
Unsere Fahrt war für mich ein Erlebnis der besonderen Art. Als wir in Realp eintrafen und auf dem Parkplatz am Depot den Aperta abstellten, ernteten wir erstaunte Blicke. Als ich den Wagen abschloss und mit Marc in Richtung Bahnhof marschierte, wurden wir genauestens beobachtet.
Marc lud mich im Bahnhof zu einem Kaffee ein und wir nahmen in der Sonne Platz. Marc studierte den Fahrplan und besorgte sich ein Ticket für die Rückfahrt nach Gletsch.
Als er mit dem Ticket zurückkam, fragte er mich:
„Weißt du zufällig, ob Claus auch eine Spende entgegennehmen darf? Oder muss das einer der Vorstandsleute machen?“
„Nein, da habe ich keine Ahnung. Aber wir können Claus ja fragen. Hast du vor, dich bei der Furka zu engagieren?“
„Ja, Sabine hatte mich auf diese Idee gebracht. Es ist eine tolle Sache, so ein nationales Highlight nur mit Ehrenamtlichen derart professionell zu betreiben. Jetzt noch dieses Großprojekt, da könnte ich mir vorstellen, dass Unterstützung gebraucht wird. Ich möchte das aber nicht so gerne an die große Glocke hängen. Von daher wäre es mir sehr recht, wenn ich Claus einen Scheck geben könnte und ich dafür eine Spendenbescheinigung erhalte.“
„Das kann ich nachher mit Claus besprechen. Wenn er das nicht kann, hätte er aber bestimmt die Möglichkeit das so zu organisieren, dass du nicht gleich in der Zeitung stehst.“
„Das hört sich gut an. Machst du das bitte. Ich habe übrigens gerade eine Menge Bilder von Luc und Stef von ihrer Wanderung bekommen. Das sieht einfach nur wundervoll aus.“
Marc hatte noch ungefähr eine Stunde Zeit bevor er mit dem Nachmittagszug zurück nach Gletsch fuhr. Diese Zeit nutzten wir, um einige Dinge für die letzte Woche meines Urlaubes zu besprechen. Es zeigte mir, dass die Zeit viel zu schnell voran schritt. Aber ich fühlte mich viel besser als zu Beginn meines Urlaubes. Dieser Urlaub hatte mir bereits viel Kraft zurückgegeben.
Fynn: Ein wichtiger Besuch
Chris hatte sich bei uns für unsere Urlaubsgrüße bedankt und berichtet, dass er sich bestens erhole, sich aber auch darauf freuen würde, wieder mit uns auf dem Platz zu arbeiten.
Nachdem ich das meinem Schatz gezeigt hatte, freute sich Dustin über diese Reaktion von Chris. Uns erging es genauso. Das Training mit Burghard war gut, aber uns fehlte der persönliche Bezug zu Chris. Die letzten Tage würden wir aber auch noch überstehen. Es gab mittlerweile Neuigkeiten bezüglich des Umzuges von Justin. Lennart hatte seine restlichen Sachen aus dem Zimmer geräumt und somit konnte es endlich mit dem Umzug losgehen. Zuerst wollten wir aber gemeinsam das Zimmer renovieren.
Wir hatten Justin sofort unsere Hilfe angeboten und Martina hatte sich bereiterklärt, die notwendigen Dinge für die Renovierung zu besorgen. Heute sollte es nach der Schule losgehen.
Besonders erfreulich war die Bereitschaft von Carlo und Tim, ebenfalls mitzuhelfen. Das war ein weiterer Beweis für unsere große Stärke des Teambuildings.
Justin hatte sich die Farben für sein Zimmer ausgesucht und Martina hatte sie besorgt. Heute wollten wir beginnen, die Wände zu streichen. Dustin und ich hatten aber noch bis sechzehn Uhr Training. Justin hingegen hatte sich heute befreien lassen, damit es voran gehen konnte.
Als wir in die WG kamen, herrschte bereits ein reges Treiben und insbesondere Tim und Carlo wirbelten mit den Farbrollen.
„Hi, Fynn. Hi Dustin. Schön, dass ihr schon da seid. Ihr könnt gleich loslegen. Dort drüben liegen die Eckenpinsel und das Werkzeug, um die Steckdosen abzuschrauben. Das habe ich mich nicht getraut.“
„Hallo ihr drei. Sieht ja schon richtig nach getaner Arbeit aus. Alles klar, ich schraube die Steckdosen ab und Dustin kann mit den Ecken anfangen. Wir ziehen uns nur noch alte Sachen an, dann stehen wir parat.“
Zur Sicherheit schaltete ich noch die Sicherung aus und dann legte ich los. Das Abschrauben der Schalter und Steckdosen war schnell erledigt. Ebenso schnell war der erste Anstrich erledigt. Carlo und Tim waren nicht zu bremsen. Sie machten einen lockeren Spruch nach dem anderen und hatten damit großen Anteil an der guten Laune, die bei uns herrschte. Erst, als uns Martina zum Abendessen holte, beendeten wir den ersten Arbeitstag in Justins neuem Zimmer. Während des Essens spürte ich bereits meine müden Arme, aber Dustin machte auch nicht mehr den fittesten Eindruck.
„Leute, ich möchte mich bei euch für diese tolle Hilfe bedanken. Es fühlt sich für mich großartig an, nicht mehr allein sein zu müssen und bald mit meinen Freunden hier eine Einweihungsparty zu machen. Und bevor Fragen aufkommen, natürlich sind Tim und Carlo auch dazu eingeladen.“
„Aber erst, wenn Chris zurück ist. Er soll auf dieser Party dabei sein. Schließlich hat er dafür gesorgt, dass du endlich hier einziehen kannst. Was meinst du, Martina?“
„Danke, Fynn. Schön, dass ich noch gefragt werde. Ich habe nichts dagegen, wenn hinterher wieder ordentlich aufgeräumt wird. Und wenn ihr diese Party ohne Chris machtet, wäre ich sauer.“
Mir war es gerade noch gelungen eine peinliche Situation abzuwenden. Wir hätten Martina bestimmt nicht vergessen, aber sie war mir gerade nicht im Kopf gewesen. Selbstverständlich hatten wir sie auch eingeladen.
Am nächsten Tag spürte ich Muskelkater in Partien, die ich zuvor nie gespürt hatte. Renovieren hatte anscheinend andere Muskelpartien gefordert als ich gewohnt war.
Der Schultag hatte keine Überraschungen parat, aber als wir am Nachmittag in der Umkleide waren, kam Thorsten zu uns.
„Hi Jungs, ich möchte euch bitten nach dem Training zu einem Meeting im Besprechungsraum zu kommen.“
Dustin wurde sofort unruhig und fragte nach:
„Ist mit Chris etwas passiert? Oder bekommen wir doch einen anderen Coach?“
Thorsten schaute genervt zu Dustin. Jetzt sollte ich schnell reagieren.
„Schatz, was soll diese Frage? Wie gut kennen wir Thorsten und Chris? Wenn etwas passiert wäre, hätten wir von Marc schon längst eine Info bekommen und einen Trainerwechsel würde uns Chris persönlich mitteilen. Also entspann dich mal wieder.“
„Hihi, danke Fynn. Das hätte ich nicht besser sagen können. Es geht auch um etwas völlig anderes. Also kommt einfach nach dem Training und dann sage ich euch, um was es geht.“
Schnell schnappten wir uns unsere Taschen und gingen zu dritt zum Trainingsplatz, wo uns Burghard in Empfang nahm. Auf dem Weg hatte ich meinem Freund noch einmal erklärt, dass er aufhören sollte, immer gleich das Schlimmste anzunehmen, nur weil etwas Überraschendes passierte.
Burghard scheuchte uns heute richtig übel über den Platz. Immer wieder forderte er mehr Aggressivität von uns. Nach etwa neunzig Minuten war ich platt und brach das Training ab.
„Sorry, Burghard. Aber ich bin leer. Mehr geht heute nicht.“
Dann ging ich zur Bank und nahm einen großen Schluck aus meiner Flasche. Auch Dustin hatte große Probleme sich noch zu bewegen, aber er wollte nicht einfach aufhören. Justin wirkte deutlich frischer als wir.
„Stopp, Ball anhalten und an der Bank treffen.“
In diesem Moment schrie Dustin kurz auf und ich konnte sofort erkennen, dass er einen Krampf im Bein hatte. Justin war schneller als ich und half ihm, diesen wegzudrücken. Burghard schüttelte seinen Kopf.
„Genau das wollte ich vermeiden. Geht es wieder Dustin?“
Dustin nickte zerknirscht und Justin gab ihm seinen Schläger zurück. Burghard war nicht begeistert, als er erklärte:
„Ihr solltet mittlerweile euren Punkt kennen, an dem es keinen Sinn macht, noch weiter zu trainieren. Fynn hat es rechtzeitig bemerkt. Dustin, das ist falscher Ehrgeiz. Du riskierst einen Muskelfaserriss. Das darf nicht mehr passieren.“
Dustin schaute Burghard an, kniff seine Augen zusammen und ich spürte, dass er geladen war. Allerdings hatte ich keinen konkreten Anlass erkennen können. Dustin sagte allerdings nichts, sondern setzte sich neben mich auf die Bank. Ich flüsterte nur kurz:
„Bleib ruhig. Wir kennen Burghard doch. Chris ist bald zurück, dann wird das wieder anders.“
Dustin nickte nur und schwieg.
Burghard gab uns allerdings eine sehr positive Manöverkritik. Er ging nicht mit einer Silbe auf die Situation mit Dustin ein. Er lobte unsere Arbeitshaltung und zum Schluss sagte er den für uns wichtigsten Satz:
„Ende der kommenden Woche übernimmt Chris wieder euer Training. Und jetzt möchtet ihr bitte an das Meeting mit Thorsten denken. Ich wünsche euch einen schönen Abend und bis morgen.“
Erst als wir in der Dusche waren, ließ Dustin seinem Frust und seiner Wut freien Lauf. Er regte sich tierisch über die arrogante Art von Burghard auf. Für mich war das längst abgehakt, da ich wusste, ich würde ihn nicht mehr ändern. Außerdem hatte uns Chris mehrfach erklärt, dass Burghard halt ein harter Hund war, aber auch sehr fürsorglich, wenn es nötig erschien. Dustin beruhigte sich dann auch schnell wieder. Er brauchte einfach dieses Ventil, um Druck abzulassen. Dafür erschien er wieder mit guter Laune im Besprechungszimmer.
Selbst Thorstens: „Na, Dustin. Hast du dich wieder etwas beruhigt?“, konterte er mit:
„Ja, keine Sorge. Du musst keine Bodyguards anheuern. Ich bin wieder ganz brav.“
Thorsten schaute einen Moment, zögerte, fing heftig an zu lachen und klatschte Beifall.
„Wow, Dustin. Das gefällt mir gut. Von diesen Antworten darfst du mir ruhig mehr geben.“
„Aber bitte nicht Burghard gegenüber. Das könnte suboptimal werden.“
Dieser Text kam von Justin. Entsprechend erstaunt schaute ich ihn an. Thorsten nickte und grinste dabei. Er bat uns Platz zu nehmen.
„So, damit es für euch nicht noch aufregender wird, komme ich gleich zur Sache. Morgen bekommen wir Besuch von einem unserer Sponsoren. Die Firma Solinco wird einer unserer neuen Hauptsponsoren. Deshalb bekommen wir Besuch von den Generalmanagern Europa und Deutschland. Sie möchten euch gerne unter Vertrag nehmen und komplett mit neuen Schlägern ausrüsten. Deshalb nehmt euch bitte morgen nach dem Training nichts vor. Sie werden mit euch Gespräche führen und zum Training bereits das ganze Sortiment an Schlägern mitbringen. Ihr sollt euch das Racket aussuchen, mit dem ihr am besten spielen könnt.“
„Müssen wir das morgen schon entscheiden? Ich brauche da bestimmt einige Tage, um mich festlegen zu können.“ Justins Frage war berechtigt.
„Nein, keine Sorge. Das wird nicht geschehen. Jeder Spieler braucht ausreichend Zeit, sich einzuspielen und dann eine Entscheidung zu fällen. Und bevor ihr euch aufregt, weil Chris nicht da ist. Er ist informiert und hat gesagt, dass ihr das alleine entscheiden könnt. Die Verträge werden dann von euren Eltern unterzeichnet und bei Dustin wird das entweder Chris oder Fynns Eltern machen. Ihr könnt euch frei entscheiden.“
„Was müssen wir denn dafür tun?“, fragte ich skeptisch.
„Hihi, warum wusste ich, dass diese Frage kommen würde. Nur die Schläger mit dem Firmenlogo spielen und bei einigen Sponsorenveranstaltungen teilnehmen. Vielleicht wird auch ein Werbefilm mit euch gedreht. Das wird aber morgen alles besprochen werden. Macht euch also keinen Kopf. Ihr werdet davon jedenfalls viel profitieren. Das erklären euch aber die Solinco Leute morgen selbst.“
Durch diese Besprechung hatten wir einige Zeit für die Renovierung verloren. Allerdings waren das interessante Neuigkeiten. Dass Chris nicht bei uns sein würde, machte mich aber auch etwas unruhig. Er hätte uns viel Sicherheit gegeben, aber mittlerweile konnte ich Thorsten genauso viel Vertrauen entgegenbringen. Er würde uns nicht benachteiligen.
Den Nachmittag und Abend verbrachten wir dann wieder in Justins neuem Zimmer. Sollte es weiter so zügig vorangehen wie bisher, würde Justin bereits bei uns wohnen, wenn Chris aus dem Urlaub zurück ist. Besonders toll war das Engagement von Tim und Carlo. Sie hatten bereits begonnen, obwohl wir noch in der Besprechung waren. Justin hatte uns bereits gesagt, dass er sich als Dank für die beiden etwas Besonderes ausgedacht hätte.
Gegen zehn Uhr abends hatten wir alle Wände und die Decke zweimal gestrichen und die Malerarbeiten damit abgeschlossen. Jetzt musste nur noch eine Wand tapeziert werden. Das sollte aber eine Fachfirma übernehmen, da von uns noch niemand eine Tapete geklebt hatte.
„Leute, vielen Dank. Das sieht schon cool aus. Vielleicht kann ich schon in der nächsten Woche einziehen und wenn Chris zurück ist, können wir ihn hier überraschen.“
„Stimmt, es sieht wirklich schon gut aus. Mir hat es auch ganz viel Spaß gemacht und gerade mit euch, Tim und Carlo, war es immer lustig.“
Wir klatschten uns ab und damit wurde der Tag beendet und jeder ging duschen und anschließend ins Bett. Ich unterhielt mich noch eine Weile mit meinem Freund über die neue Sponsorengeschichte. Es dauerte noch einige Minuten bis ich Dustin so beruhigt hatte, dass wir eng aneinander gekuschelt einschliefen.
Der nächste Morgen begann für mich sehr angenehm, denn Dustin hatte sich vorgenommen, mich noch vor dem Frühstück nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen. Entsprechend entspannt und bestens gelaunt trafen wir beim Frühstück auf Carlo. Tim war bereits zur Schule. Wir mussten erst zur zweiten Stunde und daher hatten wir mehr Zeit zum Frühstücken.
„Wann kommt ihr heute nach Hause?“
„Wir sind nach der sechsten Stunde aus der Schule, haben aber heute Nachmittag Training und anschließend wohl noch ein Sponsorenmeeting. Thorsten hat uns das gestern mitgeteilt. Also Justin kann heute auch nicht zum Renovieren kommen.“
„Ok, dann bereite ich für euch das Essen pünktlich vor. So könnt ihr wenigstens noch was Ordentliches essen.“
„Danke, Martina. Du bist echt nett.“
Unsere Stimmung war gelöst und locker. Und das am frühen Morgen. Plötzlich klingelte Dustins Handy. Um diese Zeit sehr ungewöhnlich. Er schaute auf das Display und sagte erstaunt:
„Chris? Nanu?“
Er nahm das Gespräch an und meldete sich:
„Hi, Chris. Was ist passiert? Oder was verschafft mir die Ehre, aus deinem Urlaub angerufen zu werden?“
Dustin hatte das Gespräch auf mithören gestellt und so konnten wir Chris am anderen Ende lachen hören.
„Hahaha, ihr seid gut. Leute, nur ganz kurz. Ihr müsst ja gleich in die Schule. Thorsten hat mich über den neuen Ausrüster informiert. Geht da ganz entspannt in dieses Gespräch. Sie werden euch gar nicht groß befragen. Sie möchten euch beim Training sehen und sich einen eigenen Eindruck machen. Verhandeln braucht ihr gar nicht. Das wird alles Thorsten managen. Also seid entspannt und nehmt euch Zeit, die Schläger zu testen und das für euch optimale Material auszusuchen. Mehr wollte ich euch gar nicht sagen. Alles Weitere besprechen wir, wenn ich zurück bin.“
„Du bist selbst im Urlaub noch bei uns. Das war eigentlich nicht so besprochen, aber wir danken dir für deine Info. Dann kann ich wenigstens beruhigt sein.“
„Genau deshalb habe ich dich angerufen, Dustin. Macht euch einen schönen Tag und bis bald. Ich komme ja schon in ein paar Tagen zurück.“
Einfach toll wie Chris Dustin eingeschätzt hatte. Mit diesem Anruf hatte Chris jegliche Nervosität bei Dustin entschärft. Ich musste zugeben, mir tat das auch gut. Bislang war Chris bei solchen Terminen immer dabei, heute war es anders. Dennoch konnte ich jetzt gelassen dem Geschehen entgegensehen.
In der Schule gab es nichts Erwähnenswertes, außer der Tatsache, dass unser Englischlehrer noch einen Test angekündigt hatte.
Dustin und ich saßen noch beim Mittagessen, als Tim und Carlo hinzukamen. Tim fragte:
„Wisst ihr, wann Chris zurück ist?“
„Ja, nächsten Freitag. Warum?“, fragte ich.
„Es wird gemunkelt, dass wir in Zukunft nicht mehr mit euch auf Tour gehen. Wir würden Chris dazu gern befragen.“
„Aber nicht im Urlaub. Außerdem haben wir davon noch nichts gehört. Sollte das amtlich sein, würde Chris euch persönlich darüber informieren. So gut solltet ihr ihn mittlerweile kennen.“
„Also meint ihr, da ist nichts dran?“
„Keine Ahnung“, antwortete Dustin etwas genervt, „aber Chris würde es euch vor allen anderen mitteilen. Ihr würdet direkt betroffen sein und da würde Chris ganz bestimmt erst mit euch sprechen. Also beruhigt euch und lasst die anderen reden.“
Heute hatten wir nach dem Essen wenig Zeit und deshalb beeilten wir uns. Wir hatten unsere Taschen bereits gestern Abend gepackt und konnten nach dem Essen direkt losfahren. Unterwegs unterhielt ich mich mit Dustin über dieses Gerede. Es nervte mich einfach, denn Chris wäre stinksauer, sollte etwas an dieser Geschichte dran sein und er hätte keine Gelegenheit gehabt, das mit Tim und Carlo vorher zu besprechen.
Als wir auf der Anlage ankamen, war noch nicht viel los. Allerdings wunderte ich mich, dass Thomas mit Struffi trainierte.
„Hi Thomas, haben wir etwas verpasst? Bundesliga ist doch erst nächstes Wochenende.“
„Hi, Jungs. Nein, passt schon. Aber Struffi hat eine Turnierpause und wollte etwas an der Technik feilen. Habt ihr gleich Training?“
„Jap, bei Burghard. Chris ist ja noch im Urlaub.“
„Ok, dann frage ich mal bei ihm, ob einer von euch mit Struffi etwas Matchtraining machen kann.“
Das war eine gute Nachricht, denn das machte mir mehr Spaß als bei Burghard geschliffen zu werden. Und brachte überdies etwas Abwechslung.
Eine gute Stunde später stand ich mit Struffi auf dem Platz und spielte ein Match gegen ihn. Ich war recht gut im Match und wir hatten viel Spaß. Plötzlich bemerkte ich Thorsten mit zwei Personen oben auf der Terrasse. Sie schauten unserem Spiel zu und unterhielten sich.
Für einige Minuten störte mich das in meiner Konzentration und schnell hatte ich drei Spiele in Folge verloren. Das ärgerte mich kolossal. Chris hatte mir das mehrfach erklärt, dass ich im Match nur das Spiel im Kopf haben durfte und keine Geschehnisse rund um den Platz. Heute war es mir wieder nicht gelungen, mich zu fokussieren. Entsprechend geladen war ich beim Seitenwechsel. Struffi bemerkte natürlich meinen Frust und setzte sich zu mir auf die Bank.
„Hey, komm mal wieder runter. Worüber ärgerst du dich jetzt mehr? Über die Ablenkung oder über dich selbst, dass du dich nicht konzentriert hast?“
„Über mich selbst. Chris hat es mir schon so oft erklärt und ich weiß es ganz genau. Dennoch habe ich es wieder nicht geschafft, mich nur auf das Spiel zu konzentrieren. Das kotzt mich an. So wird man kein guter Spieler.“
„Du bist sehr ehrlich zu dir selbst. Das ist wichtig und wird es dir erst möglich machen, das zu lernen. Ich habe auch Jahre gebraucht, an diesen Stellen stabiler zu werden. Dennoch passiert mir das hin und wieder noch heute. Also beruhig dich wieder, bündel deine Energie wieder auf das Match und dann lass uns weiter spielen.“
„Nein, wartet bitte mit dem Spielen einen Moment.“
Nanu? Thorsten stand doch eben noch auf der Terrasse. Wo kam der so schnell her?
„Was gibt es denn?“, fragte ich.
„Darf ich euch Herrn Höhne vorstellen. Er ist Geschäftsführer Solinco Deutschland. Er möchte dich gerne näher kennenlernen und dir einen Ausrüstervertrag anbieten.“
Ich stand von der Bank auf und gab Herrn Höhne die Hand. Was ihn mir sympathisch machte war, dass er keinen Anzug trug. Er war mit Jeans und Hemd sehr sportlich gekleidet.
„Hi Fynn. Ich habe euer Team schon seit einiger Zeit beobachtet und kenne auch Jan sehr gut. Deshalb haben wir im Solinco Team beschlossen, euch mit unseren Schlägern auszurüsten. Ich habe dir hier unsere vier Tour-Schlägermodelle mitgebracht. Die gibt es natürlich auch noch in unterschiedlicher Gewichtskonfiguration. Ich möchte dich bitten, diese Modelle zu testen und dir das Modell herauszusuchen, das dir am besten zusagt.“
„Ok, aber das wird ein paar Tage dauern. Ich kann das nicht sofort entscheiden, sondern müsste ein paarmal damit spielen können.“
„Na klar. Das ist mir schon bewusst. Ihr könnt alle zwei Wochen lang alle Modelle ausgiebig testen. Auch mit den verschiedensten Saiten von uns. Thorsten weiß darüber Bescheid und kann euch auch mit Nachschub versorgen, sollte das Material nicht ausreichen. Ich würde mich freuen, wenn wir in Zukunft zusammenarbeiten können. Ihr habt ein tolles Potenzial und wir sind überzeugt, dass ihr drei es auf die ATP Tour schaffen könnt.“
So deutlich hatte uns das noch niemand gesagt und entsprechend verunsichert war ich. War das eine Geschäftsstrategie oder ehrlich gemeint. Chris hatte uns immer gesagt, dass er nicht vorhersehen könne, wie weit wir kommen würden. Dennoch freute ich mich über diese Offerte und bedankte mich für diese Möglichkeit. Ich griff mir das Modell wo ich spontan ein gutes Gefühl entwickelt hatte. Dann setzte ich unser Match mit Struffi fort, spürte aber sofort, dass die Saite viel zu weich war. Damit hatte ich überhaupt keine Ballkontrolle. Mit einem anderen Modell war es besser, aber da stimmte die Balance nicht. Ich beschloss, heute wieder meinen Schläger zu nehmen und mir zwei Rackets passend besaiten zu lassen.
Am Ende des Trainings trafen wir uns bei Burghard auf dem Platz. Dustin und Justin hatten auch jeweils vier Testschläger erhalten. Sie hatten ähnliche Erfahrungen gemacht und somit landeten zwölf Schläger beim Besaitungsservice. Dort sollten sie für uns hergerichtet werden.
Thorsten hatte uns noch gebeten, vor unserer Heimfahrt in die WG bei ihm vorbeizuschauen. Das taten wir jetzt nach dem Duschen. Er saß wie immer an seinem Schreibtisch und arbeitete am PC.
„Kommt rein. Wir müssen noch über ein paar Details reden. Solinco möchte euch nicht nur mit Schlägern ausstatten, sondern sie möchten euch mit einem monatlichen Betrag für die Turnierreisen unterstützen. Sozusagen mit einem Taschengeld. Die Reisen und anderen Kosten sind ja bereits abgedeckt.“
Das war doch eine große Überraschung. Damit würden wir sozusagen unser erstes eigenes Einkommen haben. Nur durch das Tennisspielen.
„Und macht euch keinen Kopf, was ihr dafür machen sollt. Effektiv ändert sich für euch gar nichts. Ihr spielt nur mit anderen Schlägern. Ach ja, doch. Eine Sache ist da noch. Solinco möchte mit euch beim nächsten Bundesliga Spiel einen Werbespot drehen. Da ihr ja eh dabei seid, ist das kein Problem. Außerdem ist bis dahin Chris auch wieder hier und dann besprechen wir die genauen Modalitäten. Habt ihr dazu noch Fragen?“
Justin fragte:
„Müssen wir einen richtigen Vertrag unterschreiben? Wir sind ja noch nicht volljährig. Wie geht das dann? Meine Eltern sind in Kanada.“
„Gute Frage“, reagierte Thorsten.
„Ihr unterschreibt zwar einen Vertrag, aber wir vom Team sind die Vertragspartner für Solinco. Das heißt also, eure Eltern sind nicht gefordert. Sollte einer von euch unser Team verlassen, wird auch der Vertrag aufgelöst. Was wir aber nicht hoffen wollen.“
Woran das Team alles denkt? Auf solche Dinge hätte ich nie geachtet. Umso schöner war mein Gefühl, hier in Halle zu sein.
Abends arbeiteten wir noch einige Zeit in Justins neuem Zimmer und der Einzug rückte immer näher. Wenn Chris zurück kommt, würde Justin vermutlich bereits bei uns wohnen.
Chris: Rückkehr nach Halle
Die letzten Tage in Realp und Genf vergingen wie im Fluge. Heute würde ich wieder nach Deutschland fliegen und der Alltag mich zurückbekommen. Marc hatte sich entschieden, auch die Furka mit einer einmaligen Spende zu unterstützen. Typisch für Marc, er wollte keine Presse dabeihaben und hat ganz unspektakulär eine sechsstellige Summe an die Furka überwiesen. Claus hatte der Familie als Anerkennung für ihre nächsten Besuche freie Dampffahrten organisiert.
Diese drei Wochen in der Schweiz hatten mir echt gut getan. Meine Akkus waren wieder aufgeladen und ich freute mich, meine Jungs in Halle wieder zu fordern. Die Herausforderungen würden größer, aber ebenso auch der Anreiz und die Verantwortung, verstärkt eigene Entscheidungen treffen zu dürfen.
„Fühlst du dich bereit für die neue Herausforderung?“
Sabine schaute mich dabei prüfend an und auch Luc und Stef waren gespannt. Marc lächelte, als die Frage gestellt war.
„Ganz ehrlich, bereit dafür bin ich schon. Ob es mir gelingen wird, die Erwartungen zu erfüllen, weiß ich nicht.“
„Welche Erwartungen? Wenn ich Thorsten richtig verstanden habe, soll es genau wie bisher so weitergehen. Was dabei herauskommt, wird man dann sehen. Ihr sollt einfach euer Bestes geben. Das Ergebnis wird sich zeigen. Allerdings glaube ich weiterhin an euer Potenzial. Lass dich nicht verrückt machen. Bislang hast du alles richtig gemacht, mach also einfach so weiter. Jan hat mit seiner Erfahrung dich ganz bewusst mit dieser Aufgabe betraut. Aus meiner Sicht wird das ganz sicher gut.“
Wir sprachen noch ein wenig über die Pläne von Luc und Stef. Ich hatte mir vorgenommen, sie in München zu besuchen, wenn wir dort die BMW Open spielen würden.
Ihr selbstbewusstes Auftreten gab mir noch einen neuen Impuls für meine Arbeit. Ich wollte Dustin und Fynn sicherer im Auftreten in der Öffentlichkeit machen. Je normaler wir mit der Situation umgingen, desto eher würde es auch im Profisport normal werden, schwul zu sein.
Es wurde eine herzliche Verabschiedung, bevor ich bei Luc und Stef in den Camaro stieg. Marc sollte sich den Trubel am Flughafen ersparen und deshalb verabschiedete ich mich bereits vor dem Haus von Sabine und Marc.
„Vielen Dank für diese drei Wochen Gastfreundschaft. Es hat mir viel Freude gemacht in der Schweiz zu weilen. Es wäre schön, wenn wir uns bald wieder treffen würden. Vielleicht bei einem Turnier oder in Halle. Ihr seid immer herzlich willkommen. Und selbstverständlich gilt das auch für euch, Stef und Luc.“
„Es hat uns ebenso viel Freude bereitet, dich als Gast bei uns gehabt zu haben. Auch dir vielen Dank für deine Hilfe in der Garage. Damit hast du uns viel Arbeit und Ärger erspart.“
Ich umarmte Sabine und Marc und stieg dann in den Camaro. Marc zwinkerte mir zu und Sabine lächelte als Luc das Dach öffnete. Winkend verließen wir das Grundstück.
Zwei Stunden später saß ich im Flieger zurück nach Deutschland. Mir gingen einige Dinge durch den Kopf. Der Verlauf unseres Projektes mit den Jungs war schon atemberaubend gewesen. Das Tempo, wie sich ihre Fähigkeiten entwickelten, konnte eigentlich nicht mehr so gehalten werden. Die Schritte würden kleiner werden und die Erfolge schwieriger. Bei diesen Gedanken kam bei mir auch die Angst hoch, erneut Opfer eines Übergriffes zu werden. Kitzbühel war noch immer nicht komplett aus meinem Kopf verschwunden. Schnell versuchte ich diese Gedanken zu verdrängen. Ich nahm mir meinen Laptop und arbeitete meine Emails durch. Ich hatte während der Zeit in der Schweiz nur das Nötigste gelesen. Thorsten hatte mir den aktuellsten Stand geschrieben und mir die Aufstellung für das morgige Bundesligaspiel geschickt. Also gleich wieder voll ins Geschehen zurück.
Die Rückreise verlief ohne Probleme und das erste, was ich zu Hause tat, war, mir einen Tee zu kochen. Die Tasche stellte ich einfach beiseite. Auspacken würde ich erst nach dem Tee. Erst, als ich mich wieder heimisch fühlte, die Tasche ausgepackt und meine Waschmaschine mit der Schmutzwäsche beladen war, rief ich Thorsten an.
„Hi Chris, wieder zu Hause? Schön, dass du dich meldest.“
„Hi Thorsten. Ich wollte hören, wie der Stand für morgen ist. Wann ist Treffen und wie ist die Lage?“
„Hier läuft alles seinen gewohnten Gang. Wir machen um acht Uhr morgens ein Meeting mit allen wichtigen Leuten. Da wäre es gut, wenn du dabei sein könntest. Auch die endgültige Aufstellung soll da besprochen werden. Soweit ich von Burghard gehört habe, sind deine Jungs gesund und fit.“
„Das höre ich gern. Wann habt ihr die Besprechung mit den Jungs angesetzt für die Zukunftsplanung?“
„Wenn möglich soll das noch morgen nach dem Spiel geschehen. Das erste Turnier steht ja bereits Ende der übernächsten Woche an. Das zweite Bundesligaspiel macht ihr noch mit, anschließend eine Woche Training mit dir und dann geht es am Freitag bereits los. Außerdem werden Fynns Eltern zum Spiel kommen.“
„Wo geht es denn hin?“
„Nach Barcelona. Dort findet ein Challenger statt. Fynn und Dustin sind mittlerweile im Hauptfeld, Justin muss noch in die Qualifikation. Deshalb brecht ihr schon am Freitag auf. Samstag wird die erste Runde Qualifikation gespielt.“
„Ok, dann kann ich ja meine Koffer gleich draußen lassen. Einmal waschen und neu bestücken.“
„Hahaha, ja. Das könnte jetzt häufiger passieren. Und noch eine Info vorab, Marco Pöttinger wird unser Team verstärken. Er soll Tim und Carlo schwerpunktmäßig betreuen. Außerdem wird er in der Base Lennart unterstützen. Er soll die jüngere Truppe verantwortlich übernehmen. Damit kannst du Tim und Carlo informieren, falls sie dich danach fragen sollten. Gerüchte sind leider bereits herumgegangen.“
„Ok, das hört sich sehr gut an. Ich hatte schon ein wenig Bedenken, wie das mit den beiden weitergehen würde. Zumal gerade Tim sich toll entwickelt. Aber mit Marco haben wir einen Spitzencoach hinzugewonnen. Ich mag ihn sehr.“
„ So, jetzt genug der Vorabinformationen. Jetzt komm erst einmal richtig zu Hause an. Wir sehen uns morgen früh in Halle.“
Dieses Telefonat gab mir ein gutes Gefühl. Ich hatte alle wichtigen Dinge erfahren und freute mich auf den nächsten Tag.
Die Nacht war zwar kurz, aber ich hatte es genossen, wieder in meinem eigenen Bett zu schlafen. Die erste Tasse Tee am frühen Morgen gab mir den richtigen Schub nach vorn. Mit guter Laune, aber auch gespannt auf den Tag, fuhr ich nach Halle. Ich nahm das Auto, weil ich nicht wusste, wie müde ich am Abend sein würde.
Obwohl es noch sehr früh war, herrschte schon reges Treiben auf der Anlage. Die Helfer und Platzcrew bereiteten alles vor. Sogar der Oberschiedsrichter war schon anwesend. Als ich aus dem Auto stieg, kam Thorsten gerade auf den Parkplatz gelaufen. Obwohl er es eilig zu haben schien, begrüßte er mich herzlich mit einer Umarmung.
„Guten Morgen, Chris. Schön, dass du wieder da bist. Wir reden gleich im Büro in Ruhe. Ich muss gerade noch die Bälle aus meinem Auto holen.“
Dann huschte er zu seinem Auto und holte einen großen Karton heraus. Ich nahm meine Umhängetasche mit dem Laptop und ging Richtung Clubhaus. Ich entschied mich aber, zuerst eine Runde über die Anlage zu machen. Dabei liefen mir auch Tim und Carlo über den Weg, die beim Aufbau halfen. Tims Reaktion überraschte mich etwas, denn als er mich gesehen hatte, ließ er alles stehen und liegen und umarmte mich herzlich zur Begrüßung.
„Hallo Chris, schön dass du endlich wieder zurück bist. Hast du dich gut erholt?“
„Hi Tim. Ja, danke. Ich fühle mich großartig. Jetzt kann es wieder richtig losgehen auf dem Platz. Wie geht es dir?“
„Jetzt noch besser. Aber wir haben gut gearbeitet und sind gut drauf.“
„Super, das höre ich gerne. Wir sehen uns nachher bestimmt noch. Spätestens wenn das Spiel beginnt. Bis gleich.“
Dann kam Carlo auch zu mir zur Begrüßung. Er freute sich genauso, aber er hatte gerade mit dem Verlegen der Kabel für den Schiedsrichter zu tun. Deshalb blieb keine Zeit für ein Gespräch.
Ich bekam einen guten Überblick für die Situation und fühlte mich wieder heimisch. Mein Weg führte jetzt in Thorstens Büro.
„Hi, komm rein und nimm Platz. Ich habe uns frischen Kaffee besorgt. Hast du dich schon etwas eingelebt?“
„Ja, ich wurde gerade von Tim begrüßt. Das hat mich wieder ins reale Leben geholt. Es kann wieder losgehen.“
„Hahaha, sehr schön. Tim entwickelt sich toll. Du hast da richtig was bewegt. Hoffentlich verkraftet er den Wechsel gut. Aber du sollst ja auch weiter mit den beiden arbeiten. Wenn ihr in Halle seid, sollen sie bei euch mit trainieren. Das ist mit Marco so besprochen. Jetzt aber zum heutigen Spiel. Falls du es noch nicht wissen solltest, heute werden unsere Youngsters alle zum Einsatz kommen. Justin und Dustin sollen heute Einzel spielen und Fynn mit Dustin später das Doppel. Sofern nichts Außergewöhnliches passiert. Ansonsten spielen wir mit Struffi und Robin im Einzel. Tim Pütz soll Doppel spielen. Bist du damit einverstanden?“
„Klar, aber ob wir damit gewinnen können, kann ich dir nicht sagen. Ich habe keine Ahnung wie gut die Jungs momentan drauf sind.“
„Burghard hatte das so vorgeschlagen. Er hat sogar gesagt, dass deine Jungs besonders motiviert sind. Sie wollen dir zeigen, dass sie in deiner Abwesenheit gut gearbeitet haben.“
„Sehr schön. Ich bin sehr gespannt. Wir beginnen mit Position zwei und vier? Also soll ich bei Justin und Dustin auf der Bank sitzen?“
„Genau. So ist unser Plan. Gleich um neun ist Einschlagen angesetzt. Thomas müsste auch jeden Augenblick hier sein.“
Thorsten hatte den Satz noch nicht ganz beendet, da betrat Thomas das Büro. Eine herzliche Begrüßung für mich eingeschlossen. Unser Verhältnis hatte sich deutlich verbessert und es fühlte sich gut für mich an, so von ihm begrüßt zu werden.
Wir hatten unsere Besprechung schnell beendet und bereiteten das Einschlagen vor. Nach und nach tauchten auch Struffi und Robin auf. Als meine drei Jungs den Platz betraten, ereilte mich die nächste stürmische Begrüßung. Es war ehrliche Freude über das Wiedersehen nach drei Wochen. Gerade Dustin schien wie befreit zu sein. Er strahlte über das ganze Gesicht und tobte beim Einschlagen derart über den Platz, dass mich Thomas fragte:
„Sag mal, müssen wir Dustin einbremsen? Nicht, dass er gleich schon müde ist. Der ist ja wie gedopt.“
„Nein, nein. Das passt schon. So dumm ist er nicht mehr, dass er es jetzt übertreibt. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich bin schon wieder voll im Geschehen.“
„Das ist doch gut. Dann kann das Match ja beginnen. Immerhin können wir noch Meister werden. Da ist ein ausgeruhter Coach schon von Vorteil, hihihi.“
Ganz bewusst hatte ich meine drei Jungs etwas früher vom Platz genommen. Ich wollte mir vor dem Match noch genügend Zeit nehmen, mit ihnen über die vergangenen drei Wochen zu sprechen. Anhand der Freude und Ausgelassenheit wusste ich, dass ich das richtig entschieden hatte. Es gab viel zu berichten.
Aber nun konnte das Spiel beginnen.
Dustin und Fynn waren ziemlich aufgeregt, als wir uns auf dem Center Court zur Vorstellung der Mannschaft aufstellten. Interessanterweise standen sie ganz eng neben mir und Dustin hatte seinen Arm um Fynn gelegt. Das hatte ich bei einer offiziellen Begrüßung vor Publikum noch nicht in dieser Form erlebt.
Frank Höfen machte die Begrüßung und jeder Spieler wurde kurz dem Publikum vorgestellt. Heute wurde ich mit Thomas wieder als offizieller Teamcoach präsentiert und das Publikum war bereits in bester Stimmung. Als Thorsten zum Schluss angesagt wurde, gab es großen Beifall.
„Dustin, du fängst auf Platz C3 an. Du kannst auch direkt dorthin gehen. Ich werde bei dir auf der Bank sitzen. Fynn spielt heute nur Doppel, also kann er auch bei dir am Platz sitzen und mich unterstützen.“
Dustin schaute mich an, fing an zu grinsen und fragte:
„Darf er mich auch unterstützen?“
Dann lachte er laut.
So einen Humor hatte ich bei Dustin noch nicht oft erlebt, schon gar nicht vor einem wichtigen Match. Ich klatschte seine hingehaltene Hand ab und schickte ihn zum Platz.
Bevor ich mir noch einmal in Ruhe Gedanken zu seinem Gegner, Bernabe Miralles, machen konnte, lief mir Frank Höfen über den Weg.
„Hallo Chris, wie schätzt du die Chancen heute ein? Wird es schwer oder kann die Mannschaft gewinnen?“
„Hallo Frank, nur ganz kurz. Ich muss auf die Bank, aber ich sehe gute Chancen für uns. Was am Ende dabei herauskommt, sehen wir später.“
Ich wollte einfach so schnell wie möglich zu Dustin auf die Bank kommen. Im Laufschritt erreichte ich den Platz. Dort war das Match am Ende der Einschlagzeit und Fynn hatte sich bereits bei seinem Freund auf die Bank gesetzt.
„Entschuldige bitte, dass ich zu spät bin. Frank wollte unbedingt noch ein Statement haben. Wie ist die Lage?“
„Gut, Dustin freut sich auf das Match. Ich glaube, dass er nicht mehr so ängstlich ist. Allerdings hat er schon zweimal nach dir gefragt. Ich gehe mal wieder auf die Tribüne, sonst bekommen wir noch eine Ermahnung.“
Es ertönte das „Time“ vom Schiedsrichter und Dustin kam an die Bank.
„Da bist du ja. Hast du uns nicht einmal gesagt, der Coach sollte bereits beim Einschlagen auf der Bank sitzen?“
„Ja, habe ich gesagt. Heute hat mich Frank aufgehalten, sorry. Aber gibt es deswegen jetzt ein Problem? Du bist doch kein kleines Kind mehr, dem ich das Händchen halten muss.“
„Hihihi, nein. Ich bin kein Kind mehr, aber ich möchte dich auf der Bank haben. Es ist doch noch ein Unterschied, ob Fynn dort sitzt oder du.“
„Alles klar, dann kann es aber jetzt losgehen?“
„Jap“
Er hielt mir seine Hand hin, die ich dann abschlug und Dustin hüpfte an die Grundlinie und ließ sich die Bälle zum Aufschlag geben. Danach begann das Match.
Entgegen seiner sonstigen Art, startete Dustin furios. Mit drei Servicewinnern und einem As gewann er sein erstes Aufschlagspiel. Sofort war das Publikum wach und feuerte Dustin lautstark an.
Auch im zweiten Spiel legte er wie die Feuerwehr los. Zwei sehr gute Returns brachten eine schnelle 0:30 Führung und dann kam ein ewig langer Ballwechsel mit einem sehr hohem Grundtempo. Sie schlugen sich mit gewaltiger Dynamik die Bälle um die Ohren, ohne dass einer der beiden Spieler einen Fehler machte.
Plötzlich stürmte Dustin unvermittelt ans Netz vor und überraschte damit seinen Gegner. Dieser zögerte einen winzigen Augenblick und damit konnte er nicht mehr reagieren. Dustin spielte einen guten Volley und entschied diesen Punkt für sich.
Sofort peitschte unser Publikum Dustin weiter nach vorn. Ich blieb äußerlich ruhig auf der Bank sitzen, hatte aber ständigen Blickkontakt zu ihm und ermutigte ihn immer wieder, aggressiv zu bleiben.
Beim Spielstand von 4:1 für Dustin wurden erneut die Seiten gewechselt und Fynn hielt es nicht mehr auf seinem Tribünenplatz. Er stellte sich hinter seinen Freund und massierte ihm die Schultern.
Ich konnte erkennen, dass Dustin sofort eine Gänsehaut bekam. Ich redete weiter beruhigend auf ihn ein. Er sollte zwar genau so weiterspielen, aber nicht noch mehr Tempo aufbauen. Als das „Time“ vom Schiedsrichter kam stand er von der Bank auf, drehte sich zu Fynn um und gab seinem Freund während des Matches einen Kuss. Das fand ich überraschend, aber auch sehr schön. Der Coach der Neusser Mannschaft schaute irritiert zu uns herüber. Weiter ging das Spiel und Dustin erwartete den Aufschlag seines Gegners.
Voll konzentriert fixierte er Miralles. Der erste Aufschlag landete im Netz. Der zweite Aufschlag kam und Dustin spielte überraschend einen Chip, um direkt danach ans Netz nachzurücken. Damit hatte weder ich noch sein Gegner gerechnet und entsprechend machte Dustin den Punkt. Ich war so perplex, dass ich eine Sekunde brauchte, um zu reagieren. Das Publikum war schneller und tobte sofort lautstark. Ich sprang das erste Mal von der Bank auf und zeigte Dustin die Faust.
Es war für mich kaum zu glauben, so selbstbewusst hatte ich Dustin noch nie vor eigenem Publikum gesehen. Er zeigte überhaupt keine Scheu, voll aus sich herauszugehen und immer häufiger mit Fynn Kontakt aufzunehmen. Er hielt sich nicht mehr zurück und zeigte sein ganzes Können auch in einem Bundesligaspiel vor mehreren tausend Fans.
Zwischendurch bekam ich von Thorsten noch den Zwischenstand vom anderen Einzel. Dort stand es erst 2:2 und war damit deutlich enger.
Dustin entschied den ersten Satz mit 6:2 für sich und während der Satzpause hatte ich nur die Aufgabe ihn zu ermahnen, nicht zu nachlässig zu werden und auch von Beginn des zweiten Satzes an voll konzentriert zu bleiben.
Fynn massierte seinem Freund wieder die Schultern und Dustin genoss das sichtlich. Fynn gab seinem Freund immer wieder Küsse auf den Nacken. Das wurde mir langsam zu viel. Immerhin war Dustin noch mitten im Spiel und es gab auch eine Etikette.
„Ich möchte kein Spielverderber sein, aber Dustin soll sich konzentrieren. Und zwar auf seinen zweiten Satz und nicht auf seinen Freund.“
„Ja, ja. Schon gut. Aber ich bin gerade so begeistert von seinem Spiel. Da hat er doch eine Belohnung verdient.“
„Spar dir die doch für den Sieg auf. Dann kannst du Dustin gerne weiter verwöhnen.“
Dustin grinste jetzt und reagierte cool.
„Ein guter Grund, jetzt auch den zweiten Satz schnell zu gewinnen. Ich warte ungern auf das Verwöhnen von Fynn.“
Solche Sprüche während eines Matches hatte ich von Dustin noch nie gehört. Innerlich ging mir das Herz auf, aber hoffentlich nahm er sich nicht damit aus der Konzentration. Allerdings wollte ich das nicht gleich im Keime ersticken. Er sollte für sich herausfinden, ob diese gewonnene Lockerheit positive oder negative Einflüsse hatte.
Eine halbe Stunde später saß ich entspannt und staunend auf der Bank. Dustin steigerte sich immer weiter und spielte den Spanier förmlich an die Wand. Immerhin ein Top 200 Spieler in der Weltrangliste.
Dustin ließ nichts anbrennen und gewann glatt in zwei Sätzen. Sein Gegner verlor nicht nur das Match sondern zerstörte auch zwei Rackets vor Wut. Er schien nicht damit gerechnet zu haben, gegen einen Youngster so vorgeführt zu werden.
Fynn war natürlich nach dem Matchball auf den Platz gekommen und hatte seinen Freund umarmt und mit einem Kuss belohnt. Ich ließ die beiden für einen Moment allein und bat Dustin im Anschluss zur Nachbesprechung.
Mein Weg führte zu Justin, der sich bereits seit einer halben Stunde auf einem Nebenplatz warmspielte. Natürlich hatte er bereits durch den Jubel der Zuschauer mitbekommen, dass Dustin gewonnen hatte.
Eine schöne Überraschung wartete dort, denn Maxi stand am Zaun von Justin und sie unterhielten sich angeregt. Ich ging direkt zu Maxi und begrüßte ihn herzlich.
„Hi Maxi, das finde ich toll, dass du uns unterstützen kommst. Wie geht es dir?“
„Hi Chris. Ja, ich wollte mal zu Hause raus und was anderes sehen. Mama geht es soweit gut, Papa kämpft, aber es geht irgendwie nicht richtig vorwärts.“
„Und was ist mir dir? Wie kommst du damit klar?“
Maxi wich meinem Blick aus. Für mich ein Zeichen, dass ich mir mehr Zeit für ihn nehmen sollte.
Justin musste jetzt auch auf den Platz und daher nutzte ich das, um schnell das Thema zu wechseln. Maxi sollte sich hier wohlfühlen und nicht über das reden müssen, wovor er gerade von zu Hause geflüchtet war.
„Justin, packst du deine Sachen zusammen und gehst dich fertigmachen. Wenn du keine Fragen mehr hast, treffen wir uns gleich auf dem Platz.“
Justin hatte keine Fragen und somit konnte ich noch schnell einen Weg zum Spiel von Struffi machen. Maxi begleitete mich.
„Sorry, Chris. Ich habe heute einfach keine Lust über das Thema zu sprechen. Heute möchte ich mich mit Tennis etwas ablenken und einen Sieg sehen.“
„Ist doch vollkommen in Ordnung. Ich hätte es wissen und dich nicht direkt fragen sollen. Wir können uns aber gern einmal in Ruhe unterhalten, wenn du magst. Ich nehme mir gern für dich Zeit.“
Er nickte und damit ließ ich das auf sich beruhen. Struffi hatte den ersten Satz verloren und schien momentan nicht in der Lage zu sein, seinen Gegner knacken zu können.
Thorsten saß angespannt hinter Thomas auf der Tribüne. Als er uns kommen sah, winkte er uns zu sich.
„Glückwunsch, dieser Punkt von Dustin könnte heute extrem wichtig werden. Wie ist das Match gelaufen?“
„Richtig gut. Dustin hat ein großes Spiel gezeigt und verdient deutlich gewonnen. Wie das bei Justin wird, bin ich neugierig. Es ist ja sein erstes Bundesligamatch. Eben wirkte er noch recht locker, aber Dustins gute Leistung hat den Druck nicht verkleinert.“
Thorsten lächelte als er antwortete:
„Passt schon. Du siehst auch immer erst alles von der skeptischen Seite. Ich sehe das positiver. Der Sieg hat ihm etwas Druck genommen, da wir jetzt 1:0 führen.“
Komisch, heute empfand ich diesen Stress, beim Spiel auf der Bank zu sitzen, nicht so heftig wie sonst. Vielleicht war mein Akku vom Urlaub noch gut aufgefüllt. Maxi wollte bei Struffi das Spiel zu Ende schauen und dann zu Justin kommen. Ich verließ Thorsten, um mich um Justin zu kümmern.
Dieser hatte seine Tasche bereits neben der Bank abgestellt und war gerade dabei, sein Griffband zu wechseln als ich zu ihm stieß. Ich wusste, dass er unmittelbar vor dem Spiel eher seine Ruhe brauchte und sprach daher mit Robin und Kolja, die hinter unserer Bank saßen. Kolja wies mich auf eine Kleinigkeit bei Justin hin, die ihn aber eigentlich nicht behindern sollte. Robin hatte wie immer den Schalk im Nacken und bot mir eine Wette an.
„Wenn du es schaffst, auch Justin zum Sieg zu coachen, dann erkläre ich mich bereit, bei den Jungs als Trainingspartner zur Verfügung zu stehen. Für ein Wochenende in der Turnierpause.“
„Ok, das hört sich gut an, was wäre dabei mein Einsatz?“
„Du müsstest mit mir beim Sparkassencup im Doppel spielen.“
„Hm, wer hat dir denn diesen Floh ins Ohr gesetzt?“
Justin hatte das unglücklicherweise mitbekommen und mischte sich grinsend ein:
„Das ist jetzt aber für mich blöd. Einerseits ist das Training mit Robin natürlich geil, aber ich würde es genauso cool finden, wenn Chris Doppel spielt.“
„Du gehst jetzt besser auf den Platz und schlägst dich mit deinem Gegner ein. Nicht, dass du auf komische Ideen kommst.“
Justin lachte, joggte auf den Platz und begann die fünfminütige Einschlagzeit. Ich öffnete die Kühltruhe und wollte mir etwas zu trinken nehmen, als ich verblüfft feststellen musste, dass irgendjemand gemerkt haben musste, dass ich die Fassbrause bevorzuge. Es lagen tatsächlich einige Flaschen davon kühl gelagert und entsprechend erfreut griff ich zu.
Justin hatte einen harten Gegner und das Match entwickelte sich zu einem richtigen Fight. Kaum ein Punkt wurde leicht vergeben. Meine Hauptaufgabe bestand darin, Justin zu beruhigen und zu verhindern, dass er ungeduldig wurde.
Thomas war kurz zu mir an die Bank gekommen und hatte mir mitgeteilt, dass Struffi verloren hatte. Umso wichtiger wurde jetzt dieses Einzel. Justin hatte den ersten Satz im Tie-break gewonnen und führte im zweiten Satz 3:2. Ich konnte seine ansteigende Unruhe beim Seitenwechsel deutlich spüren.
„Entspann dich etwas. Du musst noch mehr Geduld aufbringen. Bei den langen Ballwechseln hast du eine viel höhere Punkteausbeute. Also weiter diszipliniert bleiben. Es hilft uns gar nichts, wenn du jetzt das Schießen anfängst. Das ist bei dem Gegner viel zu riskant.“
„Ja, ich habe es verstanden. Aber das nervt echt gerade. Das macht so keinen Spaß. Und bevor du dich jetzt aufregst, ich weiß auch, dass Schönheitspreise nicht verteilt werden. Also reg dich nicht auf, ich werde tun was mein Coach sagt.“
„Blödmann, aber genehmigt.“
Dann musste ich lachen. Justin auch. So lachten wir beide gemeinsam auf der Bank sitzend und als der Schiedsrichter sein „Time“ sprach, grinste Justin noch und ging wieder auf den Platz.
„So cool möchte ich auf dem Platz auch mal sein.“
Nanu? Wo kam das denn her? Ich drehte mich um und sah in zwei grinsende Gesichter, die sich direkt hinter meine Bank gestellt hatten. Fynn und Dustin!
„Besser nicht, sonst halte ich das nicht aus. Ich würde den Herztod sterben.“
Bevor wir das Spiel weiter störten, ermahnte uns der Schiedsrichter und ich nahm schuldbewusst auf der Bank wieder Platz.
Justin hingegen entwickelte eine interessante neue Strategie. Er spielte zwar geduldig weiter, erhöhte aber stetig und vor allem kontrolliert den Druck. Auch hier konnte ich eine deutliche Entwicklung feststellen. Jedenfalls kam Justin überhaupt nicht mehr in Bedrängnis und gewann seine Begegnung in zwei Sätzen. Mit einer freudigen Umarmung beendete Justin diese Partie an der Bank.
„Was sagst du zu meinem Spiel? Bist du zufrieden?“
Jetzt tauchte der mir bekannte Justin wieder auf. Obwohl er nahezu fehlerfrei gespielt hatte, forderte er die Bestätigung ein. Sein Vater stand immer noch in seinem Kopf. Da hatten wir noch etwas Arbeit vor uns, das zu verändern und sein Selbstwertgefühl zu steigern.
Da Justin heute sein erstes Spiel für unser Team machte, standen insbesondere die jungen Zuschauer für Autogramme an. Ich musste schmunzeln als ein etwa dreizehnjähriges Mädchen um ein Autogramm und ein Foto bat. Justin stellte sich mit ihr zusammen hin und ihre Mutter machte das Bild. Ich konnte sogar eine leichte Rotfärbung bei Justin im Gesicht beobachten.
Dustin und Fynn umarmten ihren Freund auch und anschließend bemerkte ich erst, dass Fynns Familie auch gekommen war. Eigentlich wusste ich, dass sie uns heute unterstützen würden. Wir hatten sie ja eingeladen, weil wir im Anschluss der Partie die neue Planung bekanntgeben wollten. Ich hatte aber noch keine Zeit gehabt, mich mit Fynns Eltern zu beschäftigen.
Patrick war schon sehr ungeduldig, er schien mir unbedingt etwas erzählen oder mich fragen zu wollen. Sein Vater brachte ihn allerdings mit einer klaren Ansage zur Räson. Auch Fynn schien das gerade etwas unangenehm zu sein.
„Hallo zusammen, ich freue mich, Sie hier begrüßen zu dürfen. Heute werden alle Jungs voraussichtlich zum Einsatz kommen. Wie gefällt es Ihnen bislang?“
„Ausgezeichnet. Wir haben tolle Spiele gesehen und es verspricht noch sehr spannend zu werden. Heißt das, Fynn wird auch noch zum Einsatz kommen?“
„Ja, er wird im Doppel spielen, wenn nichts Außergewöhnliches passiert. Das war es doch, was mich Patrick vermutlich fragen wollte, oder?“
Dabei schaute ich zu Patrick, der mir zunickte. Er wollte halt seinen Bruder auch spielen sehen. Das konnte ich nachvollziehen, aber es gab auch andere Kriterien für seinen Einsatz.
„Siehst du, Patrick. Du musst nicht immer so ungeduldig sein. Fast alles klärt sich von alleine. Wir werden jetzt zum letzten Einzel gehen. Wir möchten Sie nicht länger aufhalten, aber vielleicht ergibt sich ja nach der Entscheidung noch die Gelegenheit, etwas zu sprechen.“
„Mit Sicherheit“, erwiderte ich.
Danach machte sich Fynns Familie auf den Weg zum Center Court 1, wo Robin noch sein Einzel spielte.
Justin schickte ich zum Umziehen und Duschen, während mich Dustin und Fynn zum Platz begleiteten. Durch unsere Teamkleidung waren wir auch für die Zuschauer deutlich erkennbar, die vielleicht nicht jeden Spieltag anwesend waren. Das führte dazu, dass wir auf dem Weg immer wieder angesprochen wurden und vor allem Dustin für sein gutes Spiel gelobt wurde.
Bei Robin sah es hingegen nicht so rosig für uns aus. Er galt auf dem Papier eigentlich als Favorit, aber heute schien er keinen guten Tag zu haben. Seine Fehlerquote war hoch und entsprechend unzufrieden war er auch.
Thomas hatte viel zu tun auf der Bank, aber es sollte heute nicht reichen. Robin verlor knapp im Champions Tie-break des dritten Satzes. Also stand es 2:2 nach den Einzeln. Unsere Planung sah anders aus. Es half aber nichts, jetzt mussten wir beide Doppel gewinnen, um noch im Meisterschaftsrennen bleiben zu können.
Wir hatten jetzt nicht viel Zeit, eine Entscheidung zu fällen, wie die Doppel aufgestellt werden sollten. Also holten wir alle Spieler in Thorstens Büro zusammen und sprachen alle Varianten durch. Jeder sollte seine Meinung sagen können und wir mussten dann die Entscheidung fällen.
Ich hatte eigentlich erwartet, dass unser geplantes zweites Doppel mit Dustin und Fynn nicht mehr zum Einsatz kommen würde. Tim Pütz war auf jeden Fall gesetzt und auch Robin war ein exzellenter Doppelspieler. Struffi war der letzte, der seine Meinung sagen sollte. Bislang waren die Meinungen nicht einheitlich.
„Also ich wäre dafür, dass wir unseren ursprünglichen Plan nicht ändern. Robin spielt mit Tim erstes Doppel und Fynn und Dustin das zweite. Ich bin überzeugt, dass wir beide Partien gewinnen können.“
Thorsten schaute Thomas und mich an. Thomas flüsterte mir zu:
„Glaubst du, dass die Jungs diesen Druck schon bewältigen können? Ich finde diese Variante ebenfalls die beste Lösung.“
„Keine Ahnung. Aber wenn wir es nicht austesten, werden wir es nicht erfahren. Dass sie das können, wissen wir. Jetzt müssen sie es auch unter Druck beweisen. Lass uns das so machen.“
Damit hatten Thomas und ich die Entscheidung gefällt und teilten sie allen mit. Es gab keinen Protest und alle gingen motiviert zum Aufwärmen. Struffi blieb noch einen Moment bei uns im Büro und meinte:
„Ich bin überzeugt, dass die beiden Jungs eine tolle Performance haben und sie auch zeigen werden. Du wirst sie schon auf dem Boden halten können. Außerdem ergänzen sie sich gut. Sie treten nicht mehr so schüchtern auf, sondern demonstrieren jedem, dass sie unzertrennlich sind und genau das macht sie jetzt stark. Ich sage, sie gewinnen ihr Doppel.“
Erstaunt über diese Aussage, schaute ich Struffi an.
„Okay, du siehst also eine Entwicklung bei den Jungs und traust ihnen das zu. Dann geben wir alles, damit sie das auch zeigen können. Auf in den Kampf.“
Draußen war die Spannung auch bei den Zuschauern zu fühlen. Das imponierte mir in Halle jedes Mal aufs Neue. Ein sehr sachkundiges Publikum, das unsere Spieler immer bedingungslos unterstützte.
Auf dem Weg zum Platz begegnete mir Patrick. Er hatte scheinbar auf mich gewartet.
„Chris, kann ich dich etwas fragen?“
„Hi Patrick, was liegt denn an? Ich muss zu den Jungs an die Bank.“
„Klar, ich weiß. Darf ich unten hinter der Bank sitzen? Mama und Papa sagen, dass das stört. Aber ich möchte bei Fynn sein und ihn unterstützen.“
„Wenn du dort sitzen bleibst und deinen Bruder nicht auf der Bank ansprichst, dann kannst du gerne dort sitzen. Es sind ja normale Tribünenplätze. Am besten du kommst gleich mit mir mit. Dann weiß Fynn auch Bescheid und alles ist geklärt.“
Umso erfreuter war ich, als Fynn seinen Bruder neben mir kommen sah. Er kam noch einmal vom Platz herunter und klatschte sich mit Patrick ab. Auch Dustin folgte und somit herrschte trotz des großen Drucks eine tolle Stimmung auf dem Platz.
Nach nervösem Beginn und der Abwehr von zwei Breakbällen, starteten die Jungs durch. Jetzt rollte der Zug und bei jedem Punkt feuerten sie sich an. Das Publikum spürte, dass die Jungs Unterstützung brauchten und ging leidenschaftlich mit. Ich bekam eine Gänsehaut von dieser Atmosphäre.
Thorsten hatte mich informiert, dass das andere Doppel auf Kurs lag. Sie führten deutlich.
Den ersten Satz gewannen die beiden glatt mit 6:3, aber im zweiten Satz ging ihre Lockerheit verloren. Sie begannen über die Situation nachzudenken. Auch Justin, der mittlerweile neben Patrick saß, konnte das spüren. Er versuchte beim Seitenwechsel die Jungs zu beruhigen und legte Fynn seine Hände auf die Schultern.
„Leute, ihr müsst aufhören nachzudenken. Spielt einfach intuitiv. Ihr habt im ersten Satz das so gut umgesetzt, das kann man nicht besser machen. Lasst euch von den Zuschauern tragen und genießt die Situation. Ihr könnt das.“
Ich spürte in mir die steigende Spannung. Der Tunnel hatte mich wieder in seinen Bann gezogen. Alles um mich herum schien unscharf zu werden. Ich konzentrierte mich nur auf jeden neuen Punkt und pushte meine Jungs nach vorne. Sie verloren zwar den zweiten Satz, aber sie fanden ihren Spielrhythmus wieder. Das andere Doppel hatte gewonnen. Es stand also 3:2 für uns und der Champions Tie-Break musste entscheiden, ob wir noch Meister werden könnten oder nicht.
Es gab eine Satzpause, die ich nutzte, um Dustin und Fynn neu zu fokussieren und ihnen die Angst zu nehmen. Komischerweise erlebte ich Fynn deutlich verkrampfter als Dustin. Dustin hatte durch seine letzten Erfolge stark an Selbstvertrauen gewonnen. Das zahlte sich heute aus. Während Fynn eher abwesend auf der Bank saß, legte Dustin seinen Arm um seinen Freund und gab ihm einen liebevollen Kuss. Das wiederum bekam das Publikum mit und fing an rhythmisch zu klatschen. Mir blieb nichts anderes als mitzuklatschen und das Publikum weiter zu animieren.
Da jetzt alle Zuschauer an unserem Platz weilten, herrschte ein ohrenbetäubender Lärm. Zu sagen gab es eh nicht mehr viel.
Als die Serviceleute den Platz wieder hergerichtet hatten, rief der Schiedsrichter die Spieler wieder auf den Platz. Es ging weiter. Ich spürte die Aufregung und auch ein wenig Angst, heute zu scheitern.
Meine Jungs allerdings hatten einen anderen Plan. Sie begannen wie die Feuerwehr und gerade Fynn wurde von Dustin immer wieder nach vorne gepusht. Schnell führten wir mit 4:2 als die Seiten gewechselt wurden. Die Jungs wirkten entschlossen, aber nicht verkrampft. Unglaublich, wie sie in dieser Situation locker blieben. Ich versuchte, äußerlich ruhig zu bleiben, aber heute gelang mir das zum Ende nicht mehr wirklich. Ich sprang nach jedem Punkt von der Bank auf und feuerte meine Jungs an. Selbst Gerry stand bei uns direkt hinter der Bank.
Dann kam der Moment der Entscheidung. Es stand 9:8 und Fynn hatte Aufschlag. Für einen kurzen Augenblick hatte ich Sorge, er könnte einen ängstlichen Aufschlag servieren. Aber mitnichten. Er warf den Ball hoch und schlug extrem hart zu. Die Zeit schien stehen zu bleiben, der Ball flog an die Linie, rutschte etwas weg und wurde somit für den Gegner nicht returnierbar. Vorbei. Gewonnen!
Jetzt brach ohrenbetäubender Jubel aus und bevor ich auf den Platz laufen konnte, schwebte ich bereits in der Luft. Thomas hatte mich einfach gepackt, hochgehoben und jubelte.
Alle Spieler und Betreuer waren auf den Platz gekommen und umarmten Dustin und Fynn. Ich ging zu unseren Gegnern und bedankte mich für das äußerst faire Spiel. Weiter kam ich nicht, denn Thorsten holte mich zurück und ruck zuck war ich klatschnass. Justin hatte sich den Schlauch für den Platz genommen und einmal alle abgeduscht. Ich zog mich dann etwas zurück, auch, um mir trockene Sachen anzuziehen. Die Jungs blieben noch etwas auf dem Platz und feierten mit den Zuschauern.
Etwas später, als sich alles beruhigt hatte und die meisten Zuschauer bereits gegangen waren, saß ich mit Thorsten und Thomas an der Theke. Die Spieler waren noch auslaufen und bei der Physio. Traditionell gab es zum Abschluss einer Bundesligapartie im Sportparkhotel noch das gemeinsame Mannschaftsessen. Da betrat Gerry Weber den Clubraum und kam zielstrebig zu uns.
„Also Kompliment für die grandiose Leistung der Jungs. Damit hatte ich nicht gerechnet. Dass sie bereits so souverän auf dem Platz agieren würden, ganz großes Kino. Ich bin begeistert.“
Ich bedankte mich für das Lob und versprach es an die Jungs weiterzugeben. Es wurde Zeit zu gehen.
Allerdings gab es heute eine Besonderheit, denn Thorsten hatte auch die Eltern der Jungs eingeladen, denn wir wollten die Gelegenheit nutzen, ihnen heute Abend die neue Planung vorzustellen.
Für Tim, Carlo und ihre Eltern hatten wir einen extra Termin festgelegt. Dort sollte auch Marco als neuer Coach vorgestellt werden. Also waren nur Fynns Eltern anwesend, denn Justins Familie weilte ja bekanntermaßen in Kanada.
Die anderen Spieler waren bereits in Aufbruchstimmung als mich Dustin ansprach:
„Hast du eigentlich schon mitbekommen, dass Justin jetzt bei uns in der WG wohnt?“
„Äh, nein. Das wusste ich noch nicht. Das ist sehr schön, dass das jetzt endlich geklappt hat. Habt ihr bereits eine Einweihungsparty gegeben?“
„Nein, natürlich nicht. Ohne dich geht das nicht. Deshalb wollte ich jetzt mit dir einen Termin absprechen. Wie wäre es am nächsten Freitag? Wir haben ja am Sonntag noch das letzte Spiel in der Bundesliga. Vielleicht müssen wir ja wieder spielen und da wäre der Samstag sicher nicht so passend.“
Fynn und Justin waren mittlerweile dazugekommen und ich schaute in meinen Kalender.
„Ja, Freitag ist in Ordnung. Was habt ihr euch denn überlegt?“
„Wir würden gern zusammen etwas kochen und dann vielleicht mal einen Spieleabend machen. Hättest du Lust? Dann könnten Tim und Carlo auch dabei sein.“
„Klasse Idee. Da bin ich gerne dabei. Soll ich etwas mitbringen?“
„Nein“, erwiderte Justin, „es ist meine Party und da müssen Gäste nichts mitbringen außer gute Laune.“
Ich schaute in ein grinsendes Gesicht und wusste sofort, die Jungs hatten sich bereits genau überlegt, was sie machen wollten.
„Ok, dann bringe ich vielleicht ein Spiel mit. Jetzt gehen wir aber rüber ins Sportparkhotel. Es gibt heute etwas zu feiern.“
Etwa zwanzig Minuten später kamen wir dort an und komischerweise empfing mich Thorsten bereits auf dem Parkplatz.
„Chris, können wir gerade noch etwas besprechen. Die Jungs können ruhig schon reingehen.“
Auch wenn Fynn etwas komisch schaute, gingen sie alle ohne Bemerkungen hinein.
„Ich habe mir überlegt, dass wir unseren Plan vor dem Essen bekanntgeben sollten. Dann können Fynns Eltern fahren wann sie möchten. Was hältst du davon?“
„Ja, das ist sicher vernünftig. Patrick muss morgen in die Schule, da sollten sie nach dem Essen fahren und nicht auf uns warten müssen. Hast du schon einen Raum vorbereitet?“
„Ja, wir gehen in den kleinen Besprechungsraum. Holst du sie alle zusammen, dann machen wir das jetzt gleich.“
Also machte ich mich auf den Weg, allen Bescheid zu sagen. Fynn schien etwas genervt, denn er hatte schon die ganze Zeit immer wieder zu mir geschaut. Als ob er etwas ahnen würde.
„Ihr macht es heute aber wieder spannend. Was ist denn jetzt wieder passiert?“, fragte Dustin neugierig.
Sein Freund war angespannt. Das störte mich etwas.
„Es ist nichts passiert. Außer, dass ihr wieder viel zu schnell in euren Entwicklungsschritten seid.“
Jetzt drehte sich Fynn um und sein Gesicht entspannte sich.
„Also kein Trainerwechsel oder gar, dass du uns nicht mehr betreust.“
„Wie kommst du denn auf so einen Unsinn? Das müsstest du doch nun mittlerweile wissen, dass so eine Entscheidung zur Zeit absolut nicht zur Diskussion steht.“
„Ja ja, schon gut. Es ist einfach so, dass ich das noch nicht ganz ausblenden kann. Ich versuche es und auch Dustin hat schon mit mir gemeckert, aber es klappt nicht richtig.“
„Ok, dann arbeite weiter daran und komm bitte zu mir, sollte das wieder mal in deinem Kopf herum spuken.“
Thorsten stand bereits vor der Tür des Besprechungszimmers und begrüßte vor allem Fynns Familie. Der Vater fragte extra nach, ob Patrick auch mit hinein kommen sollte.
„Klar, er kann ruhig mitbekommen, was sein großer Bruder schon geleistet hat.“
Es wurde zwar etwas eng in dem Raum, aber alle fanden einen Platz und dann begann Thorsten:
„Vielen Dank, dass Sie und ihr so schnell Zeit gefunden habt. Chris ist aus seinem Urlaub zurück und wir haben euch etwas mitzuteilen. Eure Entwicklung verläuft schneller als wir das geplant hatten. Aufgrund dieses Umstandes haben wir uns entschlossen, euch einen veränderten Vertrag anzubieten. Allerdings keine Sorge, Chris bleibt euch erhalten und Sie brauchen keine Sorgen zu haben was das Finanzielle betrifft. Für Sie ändert sich nicht viel, Sie werden in Zukunft weniger Geld bezahlen müssen, da die Jungs immer mehr selbst für sich sorgen können. Chris, erklärst du ihnen jetzt, wie die weiteren Planungen sind.“
„Okay, das mach ich gerne. Also vorab, für euch ändert sich beim Training eigentlich nichts. Ich bin weiterhin für euch zuständig. Nur werden wir in Zukunft mehr auf der Challenger Tour unterwegs sein. Dass bedeutet, die Anforderungen steigen. Aber wir sind überzeugt, dass ihr das bereits schaffen könnt. Allerdings hat das auch zur Folge, dass die Reisen länger und häufiger sein werden. Für eure Schule wird das also etwas schwieriger. Außerdem werde ich ausschließlich für euch verantwortlich sein. Also von der Trainingsplanung bis hin zur Turnierplanung. Habt ihr bis hierher Fragen?“
„Ja, was ist mit Justin? Ist er in dieser Planung berücksichtig?“
„Natürlich ist er berücksichtigt. Meinst du, Fynn, dass wir sonst für ihn den Umzug gemacht hätten. Justin ist weiterhin ein fester Bestandteil des Teams. Wir werden nur noch häufiger unterwegs sein. Deshalb werde ich auch eure Trainings- und Turnierplanung übernehmen.“
„Und was wird mit Tim und Carlo? Sie würden doch damit vollkommen überfordert sein oder nicht? Wie willst du das machen, wenn du ständig unterwegs bist?“
„Ein guter Einwand“, meldete sich Thorsten. „Chris wird die beiden an Marco Pöttinger abgeben. Er wird ab nächster Woche ihr Training übernehmen und als neuer Coach vorgestellt werden. Chris wird aber eng mit Marco zusammenarbeiten. Das sollte kein Problem werden, da sie sich bereits schon länger kennen. Wenn ihr hier eine Trainingsphase habt, sollen Tim und Carlo mit euch trainieren. Damit haben sie weiterhin einen Anreiz, hart zu arbeiten. Sie haben beide das Talent, es euch nachzumachen.“
„Das hört sich cool an. Und wann geht es für uns los?“
„Nächste Woche. Im Anschluss an das letzte Bundesligaspiel geht es nach Barcelona. Also starten wir jetzt richtig durch. Und bevor ihr darüber nachdenkt, niemand erwartet von uns, dass wir genauso schnell erfolgreich sein werden. Die Luft wird dort deutlich dünner sein und wir müssen uns da erst heranarbeiten. Dafür bekommen wir aber genug Zeit. Also macht euch keinen Druck.“
Meine Truppe war überrascht über diese schnelle Entwicklung. Vor allem Fynns Eltern wollten noch einige Dinge besprochen haben, aber im Prinzip waren sie erfreut über diese positive Entwicklung. Auch wenn sie Fynn dadurch noch seltener sehen würden.
Auf dem anschließenden Weg zum Mannschaftsessen gingen die Jungs neben mir und sie meinten lachend:
„Also Chris, auf in eine neue Herausforderung. Wer hätte das gedacht, dass wir so schnell so weit kommen würden. Es ist einfach toll, mit dir zu arbeiten und dich als Freund zu haben.“
Damit war ein neuer Abschnitt eingeläutet, sowohl für mich als auch für die Jungs.
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