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Auf der Tour

Teil 18

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Inhaltsverzeichnis

Chris: Lübeck beginnt mit einer Überraschung

Der Flug nach Hamburg verlief unspektakulär und auch unser Gepäck konnten wir komplett am Band in Empfang nehmen.

„Wie kommen wir jetzt nach Lübeck?“, fragte mich Maxi.

Mit einem Lächeln erwiderte Fynn:

„Maxi, du hast während des Fluges anscheinend nicht zugehört. Chris hat uns doch erklärt, dass wir eine Ferienwohnung haben und er hier einen Mietwagen reserviert hat.“

Entgegen seinem normalen Verhalten blieb Maxi jetzt still. Er mochte es überhaupt nicht, vor den anderen zum Deppen gemacht zu werden. Allerdings beim Austeilen war er immer ganz vorn dabei. Von daher empfand ich Fynns Reaktion überhaupt nicht überzogen. Da musste Maxi jetzt durch.

Da es vom Flughafen bis Lübeck noch etwa eine Stunde zu fahren war, hatte ich mit Thorsten entschieden, einen T6 zu buchen. Da hatten wir genug Platz und mittlerweile war so ein VW Bus auch richtig komfortabel auf der Autobahn unterwegs.

Der Autoverleih hatte am Flughafen einen großen Service Point und dort bekam ich zügig die Papiere und den Schlüssel ausgehändigt. Die großen Taschen waren auch ohne Probleme schnell verstaut und ab ging es auf die Autobahn A1 Richtung Lübeck.

Das mit der Ferienwohnung stimmte zwar, aber es war keine echte Ferienwohnung, denn es handelte sich um das große Gartenhaus bei meinem Freund Mo in Bäk. Seine Ferienwohnung lag direkt am Ratzeburger See. Mo hatte uns angeboten in seinem Garten das dortige 'Bootshaus' nutzen zu dürfen. Es war nur eine halbe Stunde Fahrt von Lübeck entfernt und eine herrliche Oase der Ruhe. Da ich Mo jetzt eine längere Zeit nicht mehr gesehen hatte, nahm ich dieses Angebot gerne an. Ich freute mich auf das Wiedersehen. Meine Jungs hatten ihn ja auch schon in Hamburg kennengelernt. Lediglich Justin kannte Mo noch nicht.

Heute würde ich zuerst aber nach Lübeck zum Turnier fahren, dort ein kleines Gewöhnungstraining machen und erst gegen Abend dann nach Bäk aufbrechen.

Mo wollte uns zum Abendessen in Empfang nehmen. Darauf freute ich mich schon sehr, denn Mo hatte immer interessiert die Entwicklung unseres Projektes verfolgt.

Auf der Anlage in Lübeck war bereits alles vorbereitet und ich musste feststellen, dass die Turniere im Grunde alle gleich aufgebaut waren. Das war mir bislang nicht so bewusst geworden. Es gab immer Stände der Sponsoren und Verkaufsstände von örtlichen Geschäften.

Der Weg zum Turnierbüro war durch Schilder gekennzeichnet und die Teilnehmer bekamen nach der Anmeldung entweder einen Ausweis oder bei kleineren Turnieren ein Bändchen, durch welches sie überall Zutritt hatten und das Catering günstig nutzen konnten.

Auch hier in Lübeck war es nicht anders. Allerdings war der Empfang im Turnierbüro sehr persönlich und herzlich. Hier arbeiteten ausschließlich Mitglieder des örtlichen Tennisvereines ehrenamtlich und mit viel Begeisterung. Das war für mich immer besonders angenehm, denn ich fühlte mich sofort wohl.

„Hallo, das Breakpoint-Team aus Halle kommt tatsächlich noch zu unserem kleinen Future Turnier. Wir freuen uns auf eure Teilnahme.“

Die Dame im Turnierbüro lachte mich dabei an und es wirkte nach echter Freude. Ich war total überrascht und ein wenig verwirrt. So hatte uns noch nie jemand bei einem Turnier begrüßt. Ich erhielt umgehend einen Trainingsplatz zugewiesen und bekam sogar ausreichend Turnierbälle zur Verfügung.

„Wow, was verschafft uns die Ehre eines so zuvorkommenden Empfangs?“

„Na, ihr habt so viel Aufsehen erregt und außerdem kommt ihr aus Leipzig mit einem Turniersieg. Damit habt ihr euch in den Favoritenstatus gehievt. Fynns Ansprache wurde in der Deutschen Tennis Zeitung veröffentlicht. Nach Veröffentlichung der neuen Rangliste stehen alle vier sicher im Hauptfeld und bis auf Maxi sind alle gesetzt. Wir fühlen uns geehrt, dass ihr noch dieses Future Turnier spielt.“

„Danke, danke. Allerdings sehe ich das nicht so außergewöhnlich. Meine Jungs haben ja auf der Challengertour noch keine anderen Titel gewonnen. Allerdings ist natürlich schön zu hören, dass wir gesetzt sind.“

Ich bekam einen Ausdruck der Setzliste und staunte. Fynn war sogar an Position eins gesetzt. Justin und Dustin an drei und vier. Das hatte den großen Vorteil, dass die Jungs frühestens im Halbfinale aufeinandertreffen konnten.

Meine Jungs hatte ich direkt zum Umziehen und Aufwärmen geschickt. Als ich auf unserem Trainingsplatz ankam, standen bereits etliche Jugendliche an unserem Platz. Teilweise hatten sie das Outfit der Ballkinder an und teilweise waren sie ganz zivil angezogen.

Beim Betreten des Platzes wurde ich von zwei vielleicht dreizehn- oder vierzehnjährigen Jungs um ein Autogramm gebeten. Das war mir noch nicht häufig passiert.

Und das war erst der Anfang, denn als meine vier Jungs erschienen, begann es erst richtig lebendig zu werden. Bevor sie den Platz betreten konnten, wurden sie mehrfach um Autogramme gebeten. So kam es, dass wir nicht pünktlich anfangen konnten. Für mich eine sehr seltsame Situation.

Als wir endlich beginnen konnten, legten die Jungs aber auch gleich richtig los. Über neunzig Minuten ließ ich sie ordentlich schwitzen. Und zum Schluss sah es auch wieder gut aus, so dass ich zufrieden sagen konnte:

„Okay, das reicht für heute. Bälle einsammeln, auslaufen und ab unter die Dusche.“

Die Jungs klatschten sich gegenseitig ab. Ich stand an der Bank und hatte gerade meine Tasche geschlossen, als Justin hinter mir sagte:

„Danke Chris. Mir hat das richtig gut getan, sich wieder auszupowern. Hoffentlich warst du mit uns zufrieden.“

„Klar, das war ein guter Start für Lübeck. Jetzt wisst ihr wie die Plätze sind und wir können uns einen ruhigen Abend bei Mo machen.“

„Mo? Wer ist denn das? Sag nicht, du kennst auch hier jemanden.“, lachte Justin.

„Mo?“, fragte Fynn, „Dein Freund aus Hamburg? Was macht der denn hier in Lübeck?“

„Ganz ruhig, Jungs. Ja, der Mo aus Hamburg. Er ist aber nicht hier, wir fahren zu ihm an den Ratzeburger See. Das ist nur eine halbe Stunde von hier. Dort werden wir während des Turnieres wohnen. Ich möchte einfach auch mal meine Ruhe haben, nach dem Turniertag. Mo hat uns angeboten, in seinem Gartenhaus Quartier zu beziehen.“

„Im Gartenhaus? Na, hoffentlich bekommt das unseren alten Knochen.“, grinste Dustin.

„Ha, vor allem euren alten Knochen. Scherzkeks.“, erwiderte ich lachend.

„Genau, die Knochen unseres Drachens sind ja eh schon richtig alt. Also da ist das nicht mehr so schlimm.“

„Eben, deshalb brauche ich ja auch was für meine Seele. Und mit Mo sich zu unterhalten, ist für mich wie ein Jungbrunnen. Ihr werdet es sehen, dort gefällt es euch auch. Ein tolles Grundstück direkt am See. Entspannung pur.“

„Außerdem werden wir dort nicht ständig von Autogrammjägern und Presseleuten belagert.“

„Nanu? Bislang war das doch noch gar nicht so der Fall.“

„Aber hier ist es so, Chris. Mich stört das. Ich weiß oft nicht, was ich auf all diese Fragen antworten soll. Vor allem was ich nicht sagen darf.“

„Also grundsätzlich darfst du alles beantworten was dich allein betrifft. Fragen zum Team oder gar zu Dustin und Fynn sollten mit mir abgesprochen sein. Aber mach dir bitte nicht zu sehr den Kopf darüber. Das wird sich hier schnell wieder normalisieren. Ganz bestimmt.“

Das war zumindest meine große Hoffnung. Ich war überhaupt kein Freund von Trubel um unsere Personen. Gute Leistungen sollten das beste Argument und Antwort auf Fragen sein.

Im Clubhaus nahm ich mir noch eine Latte, bevor ich zum Bulli aufbrechen wollte. Als Coach bekam ich Getränke sogar vergünstigt. Toller Service.

Ich stand also noch an der Theke und wartete auf meine Latte, als mich ein junger Mann von hinten ansprach:

„Hallo! Sorry, darf ich dich kurz stören?“

Ich drehte mich um und ein etwa zwanzigjähriger Mann stand mir gegenüber.

„Ja? Was liegt denn an?“

„Ich bin Markus und hier einer der Trainer in diesem Verein. Ich würde gern wissen, wie du das mit vier Top-Spielern hinbekommst, so erfolgreich auf der Tour unterwegs zu sein. Wenn ich bei den Bezirksmeisterschaften bin und drei Jungs dabei habe, drehe ich irgendwann schon am Rad. Wie schaffst du das?“

„Hahaha, das frage ich mich manchmal auch, aber nein, Spaß beiseite, die Jungs sorgen dafür, dass es klappen kann. Sie ziehen voll mit und ich muss sie nicht mehr rund um die Uhr betreuen. Vor allem stimmt die Arbeitshaltung und der Wille, hart arbeiten zu wollen.“

„Ist das nicht schwierig mit Dustin und Fynn? Sie sind ein Paar und spielen gemeinsam auf der Tour. Lenken sie sich nicht ab?“

„Also das kann ich definitiv sagen, sie unterstützen sich super gut und auch Justin und Maxi gegenüber sind sie immer hilfsbereit. Diese Truppe unterstützt sich und auch mich bei der Arbeit. Ein richtig gutes Team, bei dem ich heute sagen muss, sie könnten vermutlich gar nicht mehr allein unterwegs sein. Es würde ihnen etwas fehlen. Gerade durch die Situation, dass Dustin und Fynn durch ihre Homosexualität auf die anderen beiden eine positive Wirkung haben. Alle haben viel durch die damals neue Situation gelernt und treten heute sehr selbstbewusst auf. Allerdings haben wir auch im Hintergrund ein unglaublich tolles Team, das mir den Rücken freihält.“

„Ich möchte dich nicht unnötig belästigen, aber hättest du in dieser Woche einmal Zeit, dir zwei von unseren Jungtalenten anzuschauen? Sie spielen hier in der Qualifikation mit einer Wild Card. Sie sind beide auch zusammen und haben allerdings in der Öffentlichkeit noch nicht den Mut gehabt, sich zu outen. Nur wenn du wirklich Zeit dafür finden solltest. Ich weiß, dass du viele andere Dinge hier zu tun hast, aber für die beiden Jungs wäre es sicher eine tolle Hilfe.“

„Na, das bekommen wir sicher hin. Lass mich bitte heute erst einmal mit meinen Jungs richtig ankommen. Morgen wird ja auch noch Qualifikation gespielt. Gib mir mal bitte deine Handynummer. Dann melde ich mich, wenn ich meinen Tagesplan für morgen habe. Wie alt sind denn die beiden?“

„Lars ist fünfzehn und Zino ist schon sechzehn. Zino hat italienische Wurzeln. Sein Vater hat ein italienisches Lokal hier in der Stadt.“

„Alles klar, ich melde mich bei dir. Wenn das passt, können sie ja vielleicht für meine Jungs als Trainingspartner zur Verfügung stehen. Wie wäre denn diese Idee?“

„Das wäre sicher cool. Aber ich glaube, so gut sind meine dann doch noch nicht. Aber du kannst dir ja morgen einen Eindruck verschaffen. Allerdings spielen sie schon um halb zwölf. Ihr braucht ja erst übermorgen ins Turnier einzugreifen. Deine Jungs haben in der ersten Runde Rast.“

„Nein, nicht ganz. Maxi muss morgen um drei schon spielen. Er ist nicht gesetzt.“

„Ah ja, danke für deine Zeit und ich würde mich freuen, wenn du dich meldest.“

Er verabschiedete sich und ich blieb doch recht nachdenklich zurück. Wenn wir mit unserem Projekt anderen schwulen Spielern Türen öffnen könnten, wäre unsere Arbeit doppelt erfolgreich. Ich sollte Dustin und Fynn fragen, ob sie Interesse hätten, diese Jungs kennenzulernen und sich anzuschauen. Sollte es in irgendeiner Art möglich sein, Lars und Zino zu unterstützen, dann müssten wir das machen. Wir haben schließlich auch viel von anderen profitiert.

In diesem Augenblick betraten meine Jungs den Clubraum. Sofort begann ein Raunen im Raum. Sogar einige Ballkinder gingen auf sie zu und forderten Autogramme. Das kam mir schon etwas „strange“ vor. Aber es war ehrliche Freude und Interesse der Ballkinder. Also ließ ich es zu, dass sie meine Jungs für einige Minuten aufhielten.

Justin war interessanterweise bei den jungen Mädchen besonders hoch im Kurs. Entsprechend war die Rotfärbung in seinem Gesicht.

Als wir uns auf den Weg nach draußen gemacht hatten, war diese Situation natürlich noch einmal Thema.

Insbesondere Dustin und Fynn hatten ihre Freude mit der Begeisterung über Justin.

„Hey Chris, ich glaube, Justin hat bei den Mädels mehr Chancen als wir, hihihi.“

„Ach? Das ist dir auch aufgefallen? Respekt, Fynn. Ich weiß nur nicht, ob es Justin überhaupt recht ist. Aber es sieht schon cool aus, Justin inmitten seiner weiblichen Fans.“

„Aber nicht, dass er vor lauter Mädels nicht mehr zum Spielen kommt. Das zehrt schließlich an der Substanz, wenn er alle Anfragen befriedigen möchte.“

Maxi hatte mit diesem Spruch ein wenig übertrieben, denn Justin war das unangenehm. Er wollte sich wehren, aber andererseits auch wieder nicht. Einige der Mädchen schienen ihm zu gefallen. Von daher wollte er auch nicht zu sehr protestieren.

„Hey Justin“, erwiderte ich, „du musst deinen Freunden klare Grenzen aufzeigen. Ich weiß ja, dass du gerne eine Freundin hättest. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit hier unter den Groupies die Passende zu finden, eher gering. Also seid nett zu den Fans, aber ich möchte euch darauf hinweisen, dass ihr zum Tennisspielen hier seid. Und für Maxi nur einen gutgemeinten Rat, übertreib es nicht mit den Sticheleien. Sonst schießt dich Justin kurzerhand einfach vom Platz. Momentan ist seine Performance jedenfalls deutlich besser als deine.“

Schlagartig herrschte für einen Augenblick völlige Stille und alle Augen waren auf mich gerichtet. Justin fing als erster an zu lachen:

„Danke, Chris. Ich finde es gut zu wissen, dass du mich verstehst. Maxi sollte echt aufpassen, dass er hier nicht unter die Räder kommt. Letztlich ist er doch genauso hinter einer Freundin her. Wenn ich manchmal seine Sprüche so höre, könnte man glauben, er sei der Dandy schlechthin. So viele Mädels, die laut seinen Erzählungen schon hinter ihm her waren.“

Jetzt gab es für Dustin und Fynn auch kein Halten mehr. Wir lachten uns kaputt über diese Aussage von Justin. Lediglich Maxi schaute sehr sparsam, aber musste letztlich doch lachen.

Als wir im VW Bus saßen, hörten die Albereien schlagartig auf.

Fynn: Treffen mit Mo, ein Highlight

Chris hatte uns wieder eine Überraschung präsentiert. Mo erneut zu treffen würde mit Sicherheit nicht langweilig werden. Und informativ noch obendrein.

Auf der Fahrt nach Bäk hatte sich Chris Maxi vorgenommen. Er hatte ihm für morgen schon die Gegneranalyse gegeben und ihn vor zuviel Arroganz gewarnt.

Mir war das sowieso schleierhaft. warum Maxi sich immer wieder selbst in schwierige Situationen bringen konnte. Es gab genügend Beispiele, in denen er ohne die Hilfe von Chris mit Sicherheit richtig Ärger am Hals gehabt hätte.

Dustin und ich saßen in der mittleren Reihe und unser VW Bus hatte sogar Monitore hinter den Sitzen. So konnten wir auf der Playstation zocken. Immer wieder bekam ich einen lieben Kuss, wenn ich gegen Dustin verloren hatte. So bemerkten wir überhaupt nicht, dass sich unsere Fahrt bereits dem Ende entgegen neigte.

Maxi meinte plötzlich:

„Stopp, da dürfen wir nicht reinfahren. Da steht nur für bestimmte Anwohner frei.“

Chris fing an zu lachen und erwiderte:

„Gut aufgepasst Maxi, aber wir dürfen da lang fahren. Wir sind Besuch von Mo und daher für die nächsten Tage auch Anwohner. Also keine Sorge.“

Die Straße war ein schmaler Weg, zwar asphaltiert aber sehr eng. Nach etwa 250 Metern bog Chris plötzlich scharf nach links ab und hielt vor einem großen Holztor.

„Würde bitte jemand aussteigen und das Tor öffnen. Mo erwartet uns und wir dürfen auf den Hof fahren.“

Ich sprang aus dem Auto und als ich beide Torflügel weit geöffnet hatte, rollte Chris mit dem Bus die steile Einfahrt an einem Carport vorbei hinunter in den Gartenbereich auf einen kleinen Parkplatz. Nachdem ich die Gartenpforte wieder geschlossen hatte, ging ich zu unserem VW-Bus. Erst jetzt konnte ich die Größe des Gartens erkennen. Das war schon fast ein kleiner Park mit zwei wunderschönen, reetgedeckten Häuschen. Sollten das etwa die Gartenhäuser sein?

„Ah, unsere Tenniscracks sind angekommen. Herzlich willkommen in Bäk.“

Diese Stimme war mir bekannt und Mo stand lachend auf der Einfahrt. Er kam uns entgegen und als Chris die Fahrertür öffnete, folgte eine herzliche Begrüßung. Chris freute sich sehr über dieses Wiedersehen. Ich konnte es spüren, dass ihm diese Begegnung etwas bedeutete.

„Hallo Mo, es ist einfach schön, dass wir dich hier besuchen und deine gewohnten Abläufe durcheinanderbringen dürfen.“

Chris drückte Mo ganz fest an sich. Ich konnte die Verbundenheit spüren. So langsam verstand ich Chris, warum er unbedingt dieses Quartier gewählt hatte. Wobei es mir mittlerweile egal war, wo wir untergebracht sein würden. Hier hatten wir aber definitiv unsere Ruhe.

„So, nehmt bitte eure Taschen aus dem Auto und folgt uns bitte. Mo zeigt euch unser Quartier für diese Tage in Lübeck.“

Mo und Chris gingen bereits auf dem kleinen Weg am Rasen entlang am ersten Gartenhaus vorbei und erst jetzt konnten wir das zweite Haus richtig wahrnehmen. Von wegen Gartenhütte. Das war ein ausgewachsenes Gästehaus. Es lag direkt am Seeufer und hatte sogar einen eigenen Bootsteg. An der Hauswand hingen zwei Kanus und es gab eine kleine Holzterrasse vor dem Hütteneingang und eine richtig große direkt am Wasser.

Mo schloss die Tür auf und wir betraten einen großen Raum. Meine Verwunderung wurde immer größer, denn das war ein richtiger Wohnraum, weiter hinten befand sich eine voll ausgestattete Küche. Auf der linken Seite lag ein separates WC und danach ein kleines Badezimmer mit Dusche. Der absolute Clou war aber das Dachgeschoss. Dort gab es zwei Schlafzimmer. Das eine mit direktem Blick über den See, das andere hatte ein Fenster in den Garten. Was für ein Traum von Haus. Man konnte das Plätschern des Wassers hören. Einfach genial.

Dass Dustin und ich das eine Schlafzimmer bekamen, welches zum See lag, war reines Glück. Wir hatten es einfach gelost. Nur hatte ich noch keine Ahnung wo Chris denn schlafen würde. Es gab insgesamt nur vier Schlafplätze.

Justin hatte den gleichen Gedanken:

„Wo wirst du denn schlafen, Chris? Hier sind nur vier Plätze.“

„Da macht euch mal keine Sorgen. Chris wird bei mir oben im Haus im Gästezimmer schlafen. Die Hütte hier ist nur für euch. Außerdem muss er euch ja nicht mehr ständig bewachen und aufpassen, dass ihr keinen Unsinn macht“, lachte Mo.

Das war also gar nicht Mos Ferienhaus, das war ernsthaft nur das Gartenhaus. Wie krass.

Wir ließen unsere Sachen unten im Wohnzimmer stehen und Chris bat uns nur, die Betten schon einmal zu beziehen, damit wir das später nicht mehr machen mussten.

Bevor wir zurück in Mos Wohnung gingen, zeigte er uns das geniale Panorama am See. Es war bereits dämmrig geworden und der Ratzeburger Dom wurde bereits von großen Strahlern beleuchtet. Ratzeburg lag genau gegenüber am anderen Ufer des Sees. Diese Lage direkt am See war einfach traumhaft schön. So langsam konnte ich Chris Erzählungen von seinen Besuchen bei Mo hier einordnen.

„Habt ihr schon etwas gegessen?“, fragte Mo als wir in seinem Wohnzimmer saßen.

„Nein, aber so viel sollten wir abends auch nicht mehr essen. Sonst haben wir morgen auf dem Platz Probleme.“

Da übertrieb Justin ein wenig, aber grundsätzlich hatte er recht.

Mo lachte und konterte:

„Also ich habe ein kleines Reiscurry vorbereitet und das dürftet ihr als Sportler ohne Probleme essen können. Es ist nämlich mit Geflügelstreifen und nicht mit Schweinefleisch, das gibt es grundsätzlich hier bei uns nicht.“

Und damit hatte er maßlos untertrieben. Das Essen war genial und entsprechend viel hauten wir weg. Chris und Mo mussten sich sichtlich zusammenreißen. Sonst hätten sie sich vermutlich nur noch über Justins Spruch zu Beginn lustig gemacht.

Ich war jedenfalls pappsatt und so langsam spürte ich auch so etwas wie Müdigkeit. Obwohl wir heute nur ein normales Training gemacht hatten.

Mo und Chris hatten bereits begonnen über Chris aktuelle Story zu diskutieren und was Chris noch für Ideen dazu hatte. Für mich war es erstaunlich, wie Chris nebenbei noch Zeit finden konnte, so viele Seiten zu schreiben. Aber es war auch sehr interessant zu hören, wie sich die beiden austauschten.

Mo hatte parallel zu Chris immer wieder ähnliche Vorstellungen und so langsam wurde mir bewusst, wie gut sich die beiden ergänzten.

Obwohl Mo einige Jahre älter schien, hatten die beiden viel zu lachen und zu erzählen. Wir saßen einige Zeit nur still am Tisch und lauschten ihrer Unterhaltung.

„Habt ihr alle die Geschichten von Chris gelesen? Oder nur Dustin und Fynn?“

„Ich habe die Challenges alle gelesen, die Mehrteiler bislang nur teilweise. Mir fehlt einfach die Zeit dafür. Aber Fynn hat mir immer wieder geraten sie zu lesen.“

Justin grinste dabei und mir war es etwas unangenehm, denn Chris mochte es eigentlich nicht so besonders, wenn jemand seine Geschichten bei anderen Personen, die Nickstories nicht kannten, erwähnte.

„Ich habe sie alle gelesen. Gerade in der Zeit, als es mir nicht gut ging, haben sie mir viel Halt gegeben. Chris kann einfach so gut erklären und Zusammenhänge beschreiben. Es gab einige Stellen, die mich sehr berührt haben. Andere haben mich motiviert, weiter zu machen und für meine Karriere zu kämpfen.“

Damit hatte ich am wenigsten gerechnet. Maxi sagte hier in offener Runde klar, dass er schwule Literatur gelesen hatte.

„Ja, Maxi. Das ist genau der Punkt, der mich auch immer wieder fasziniert hatte. Genau deshalb habe ich dann mit ihm Kontakt aufgenommen, weil es mich nämlich stets geärgert hatte, dass die Geschichten von der Redaktion nie wirklich korrigiert waren. Da konnte ich nicht anders und habe ihm angeboten, seine Texte zu verbessern.“

„Und ich habe dankend angenommen. Diese Entscheidung habe ich bis heute keine Sekunde bereut. Denn zusätzlich zu Mos Korrekturen und Stilverbesserungen, habe ich einen tollen neuen Freund bekommen. Manchmal denke ich, dass uns eine Seelenverwandtschaft verbindet.“

Mir war insbesondere bei den frühen Geschichten aufgefallen, dass Chris dort andere Ausdrücke und Satzbauten verwendet hatte. Auch Wortwiederholungen kamen in kurzen Abständen häufiger vor.

„Musstest du denn am Anfang viel korrigieren? Also ich finde Chris Geschichten einfach toll. Auch seine ersten Geschichten lese ich gern. Hast du da viel zu tun gehabt? Ich finde nämlich, dass sich Chris beim Schreibstil entwickelt hat.“

„Wie meinst du das? Chris Geschichten sind alle total gut.“, protestierte mein Schatz sofort. Dustin war es immer unangenehm, wenn ich einen Ansatz von Kritik an Chris hatte.

Mo begann zu schmunzeln und sein Blick ging zu Chris. Der schwieg aber und überließ es Mo, darauf zu antworten.

„Aus meiner Sicht sind auch die ersten Geschichten inhaltlich, in ihrer Aussage und mit dem Spannungsbogen gut gelungen. Ich habe ja erst später damit begonnen zu korrigieren. Und ich kann Fynn ebenso zustimmen. Chris hat sich positiv weiterentwickelt. Dennoch ist sein Stil immer unverkennbar geblieben, aber heute ist er geschliffener und runder, ohne dass seine Ausdrucksstärke gelitten hätte. Eher ist das Gegenteil festzustellen. Und um Fynns Frage nach meiner Arbeit zu beantworten: es war und ist mir noch nie zu viel geworden, weil ich einfach die deutsche Sprache liebe und Spaß und Freude bei der Korrektur hatte. Deshalb weiß ich auch nicht mehr, ob das nun viel oder wenig 'Arbeit' war, viel oder wenig Zeit in Anspruch nahm. Unsere Zusammenarbeit geht weit über reines Korrigieren hinaus, weil wir beide einen ähnlich hohen Anspruch an gute Geschichten stellen, der mit der Zeit, denke ich, noch weiter gewachsen ist. Wir haben immer gemeinsam an Verbesserungen gearbeitet. Dabei ist es aber notwendig, dass ein Lektor das gesamte Werk im Kopf behält. Ganz besonders bei Mehrteilern. Als Autor hast du immer deine Geschichte und ihren Ablauf in dir präsent. Da kann es leicht passieren, dass man dann ein Detail mal nicht aufschreibt, weil es einem ja im Kopf klar ist. Für den Leser wäre es aber verwirrend oder nicht logisch. Wenn mir so etwas mal auffällt, stehen wir in engem Kontakt und ich stelle Fragen z.B. zur Logik, ändere auch schon mal Textpassagen oder ergänze Auslassungen. Nie jedoch, ohne Chris darauf hinzuweisen und um Überprüfung zu bitten. Es bereitet mir einfach immer und immer wieder Freude, mit Chris an seinen Geschichten zu feilen und eine Story qualitativ weiter wachsen zu sehen.

Im Übrigen sehe ich diese Zusammenarbeit durchaus vergleichbar eurem Werdegang mit Chris. Ihr seid hochbegabte Tennisspieler, arbeitet für euren Erfolg hart , aber – und das ist extrem wichtig - ohne Druck von außen. Aus euch selbst heraus, sozusagen. Ihr wollt nicht nur vom Kopf her, sondern mit jeder Faser eures Seins immer besser werden und empfindet auch noch Freude bei der schweißtreibenden Trainingsarbeit. Dennoch braucht ihr aber auch Chris als Coach und Freund und nicht nur als Trainer, damit ihr diese innere Freude erleben könnt. Und genau diese Freude erleben Chris für sich beim Schreiben und ich beim Lesen und in seiner Geschichte leben.“

Bei Mos Antwort spürte ich sofort wie unangenehm Chris es war, dass wir über ihn sprachen und er von Mo gelobt wurde.

„Danke, Mo. Ich muss aber diese Lorbeeren auch an dich geben, denn du hast bei mir das 'Schreibfieber' erst so richtig ausgelöst. Ich hatte niemals geplant, so viele Seiten zu schreiben. Allerdings macht es mir heute immer noch ganz viel Freude. Gerade auch, weil wir so oft einer Meinung sind, ähnliche Gedanken und Gefühle bei bestimmten Situationen haben. Das ist einfach toll.“

„Ja, das ist halt das Resultat aus Zusammenarbeit, Offenheit, Vertrauen in den anderen und Kenntnis eines Lebensweges. Daraus entsteht echte Freundschaft. Was ich für dich bedeute, bedeutest du für deine 'Jungs' im Hinblick auf das Tennis.“

Dustin hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört und auch Justin schien sich damit zu beschäftigen. Plötzlich stellte dieser eine für mich sehr prekäre Frage:

„Fynn hat mir immer wieder von Stellen in den Geschichten erzählt, wo einiges davon sehr nahe an der Realität liegt. Stimmt das?“

Ohne zu zögern kam die Antwort:

„Ja, das ist korrekt. Ihr kennt ja mittlerweile meine Vergangenheit und dass es nicht immer so einfach war. Ich …..“

In diesem Augenblick ging Mo dazwischen.

„Chris, es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, dieses Thema noch anzufassen. Wenn Bedarf dafür besteht, dann lasst uns dafür entsprechende Zeit nehmen und wenn du dies denn auch wirklich möchtest. Ihr müsst morgen wieder auf den Platz und wir sollten heute nicht bis in die Nacht solch schwierige Dinge behandeln. Aber um ganz kurz auf die Frage von Justin noch einzugehen: Wenn du auch in einer fiktiven Geschichte etwas liest und dabei emotional wirklich stark angepackt wirst, kannst du davon ausgehen, dass du dich da unter Umständen mit ähnlichem Erleben selbst wiederfindest, genau in der Passage sich aber auch etwas Vergangenes aus dem Leben des Autoren widerspiegeln mag oder dessen ganz tief sitzende innere Wünsche oder Träume zutage treten.“

Keiner von uns wagte es jetzt, Mo zu widersprechen. Und Chris wirkte nachdenklich. Seine Vergangenheit war nicht immer angenehm verlaufen, das wussten wir und konnten das sehr gut verstehen, hatten Dustin und ich doch selbst extreme Zeiten in unseren Familien erlebt.

Mo hatte allerdings eine supergute Idee. Wir nahmen noch einige Getränke mit runter an den See, insbesondere ausreichend Fassbrause, um auf der Seeterrasse den Abend locker zu beenden. Dort am Wasser war es sehr angenehm und Chris konnte mit uns noch den nächsten Tag besprechen. Wir hatten ja, im Gegensatz zu Maxi, noch einen Tag länger spielfrei.

„Boah, ich werde jetzt echt müde“, gähnte Dustin.

Ich schaute auf die Uhr und musste erstaunt feststellen, dass es bereits nach elf Uhr war. Chris blickte genauso verwundert auf die Uhr und schickte uns vier in die Federn.

Nachdem wir uns bettfertig gemacht hatten, kuschelte ich mit Dustin noch ein paar Minuten.

„Also Chris kann uns immer noch überraschen. Dieses Quartier ist so genial. Hör mal, wir können sogar das Plätschern des Wassers hören. Und das im Schlafzimmer. Ich glaube, hier lässt es sich bestimmt entspannt schlafen.“

Und bevor ich noch viel erwidern konnte, spürte ich wie mein Freund ruhig atmete und eingeschlafen war. Bei mir dauerte es nicht viel länger.

Chris: Es geht wieder auf den Platz

Als meine Jungs im Bett lagen, haben Mo und ich noch etwas in der lauen Seeluft gesessen und über das Turnier in Leipzig gesprochen. Mo ließ sich von mir einen genauen Bericht geben und als ich ihm von den heutigen Erlebnissen aus Lübeck erzählte, musste er lachen.

„Ich würde sagen, ihr habt eine Schwelle überschritten. Mit diesem Erfolg in Leipzig habt ihr auch überregional Aufsehen erregt. Das hast du heute zu spüren bekommen. Gerade beim Nachwuchs habt ihr eine Vorreiterrolle bekommen und übernommen.“

„Vielleicht wird es dann einfacher, auch beim Verband mehr Akzeptanz zu erreichen. Allerdings empfinde ich es momentan recht angenehm. Die Leute in Lübeck haben sich ehrlich über unsere Ankunft und Teilnahme gefreut.“

„Ihr seid ja auch ne nette Truppe, hihihi.“

Das war eine typische Mo Aussage. Manchmal den Schalk im Nacken. Aber mir tat es gut, auch einmal über sich selbst zu lachen.

Innerhalb kürzester Zeit waren wir auch wieder beim Thema „benachteiligte Jugendliche“ angekommen. Mo hatte Dustins Geschichte nicht vergessen und erkundigte sich nach seiner Entwicklung. Leider spürte ich meine Müdigkeit und hatte Schwierigkeiten der anspruchsvollen Unterhaltung noch folgen zu können. Mo bemerkte dies sofort.

„Ich glaube, wir sollten für heute Schluss machen, Chris. Was denkst du zum Turnierablauf? Kann ich vielleicht an einem Tag mit nach Lübeck fahren? Ich würde mir gerne einen Turniertag anschauen und deine Jungs bewundern.“

„Aber natürlich. Morgen macht es aber noch wenig Sinn. Es muss ja nur Maxi spielen. Übermorgen aber sehr gerne. Du kannst auch jeden Tag mitkommen, wenn du möchtest.“

Mo überlegte einen Moment und erwiderte:

„Übermorgen ist gut, danach habe ich zwei Termine und kann nicht mitfahren. Dann schauen wir neu.“

„Ja, das ist gut. Vielleicht sind wir ja auch dann schon gar nicht mehr im Turnier. Lass uns von Tag zu Tag schauen.“

So wollten wir es machen und ich war sehr froh als ich im Bett liegen konnte. Innerhalb weniger Augenblicke war ich eingeschlafen.

„Guten Morgen Chris.“

Eine fröhliche Begrüßung für den frühen Morgen von meinen Jungs, hatte ich etwas verpasst?

Die saßen nämlich schon am Esstisch als ich aus meinem Zimmer kam. Ich hatte tief und fest geschlafen. Außergewöhnlich gut in einem fremden Bett. Das sollte ein gutes Omen sein.

„Moin Jungs, alle schon wach? Bin ich heute so spät oder seid ihr so früh?“

Aus der Küche betrat Mo in diesem Augenblick den Raum und stellte einen Korb mit frischen Brötchen und Toast auf den Tisch. Das Vollkornbrot hatte er bereits geschnitten und in einem anderen Korb platziert. Dazu vielerlei Leckereien. Mo verwöhnte uns.

Allerdings zögerte ich einen Augenblick. War dies das richtige Frühstück vor einem Turniertag? Ja, es war richtig. Ich wollte nicht ständig aufpassen was meine Jungs aßen. Abgesehen davon waren alle Lebensmittel von hervorragender Qualität.

Er hatte auch frischen grünen Tee für mich gemacht. Einfach herrlich am frühen Morgen.

Wir hatten auch keinen Zeitdruck. Ich überlegte sogar für einen Moment erst kurz vor Beginn nach Lübeck zu fahren. Aber Maxi mochte es lieber, genug Zeit vor dem Spiel auf der Anlage zu haben.

Von daher bat ich die Jungs heute nach dem Frühstück nach Lübeck aufzubrechen. Das Mittagessen würden wir dort einnehmen und erst heute Abend wieder mit Mo zusammentreffen.

„Wollen wir heute Abend gemeinsam essen?“, fragte Mo.

„Gern, aber ich kann dir noch keine Zeit sagen.“

„Das ist kein Problem. Vor sieben seid ihr vermutlich nicht wieder zurück, oder?“

„Bis wir alles erledigt haben und von der Anlage kommen, vermutlich nicht. Aber sieben ist eine gute Zeit.“

„Sehr gut, dann kann ich einen Tisch reservieren. Wir gehen heute Abend in mein Lieblingslokal. Du kennst es ja schon.“

„Oh ja, da freue ich mich schon drauf.“

Anschließend räumte ich mit Mo noch den Tisch ab und meine Jungs sollten ihre Sachen von unten holen, damit wir aufbrechen konnten.

Mo wünschte uns einen erfolgreichen Tag und dann starteten wir in unser nächstes Turnier. Die Fahrt ging über die L331 und viele kleine Ortschaften. Landschaftlich wunderschön und entsprechend entspannt erreichten wir die Stadtgrenze von Lübeck. Der Lübecker Tennis und Hockey Club lag jedoch auf der anderen Seite der Stadt. Daher mussten wir einmal quer durch die Stadt fahren. Auf der Rückfahrt würde ich den Weg über die A20 versuchen. Da wir dann vermutlich in den Schluss des Feierabendverkehrs kommen würden.

„Ich möchte gern, dass Justin mit Maxi gleich das Einschlagen übernimmt. Dustin, Fynn und ich werden sich zwei Nachwuchsspieler des ausrichtenden Vereins anschauen. Ihr Trainer hatte mich gestern angesprochen und darum gebeten.“

„Und die spielen hier im Future Turnier mit? Dann müssen die ja schon richtig gut sein.“

„Sie haben eine Wild Card für die Qualifikation bekommen. Aber deshalb möchte ich mir die beiden anschauen. Sie heißen Lars und Zino, sind fünfzehn bzw. sechzehn Jahre alt.“

Für einen Augenblick kam keine Reaktion meiner Jungs. Allerdings schien der Groschen plötzlich gefallen zu sein.

„Moment, ich glaube zu verstehen. Die beiden sind auch schwul und ein Paar. Deshalb sollen wir auch mitkommen.“

„Also manchmal ist deine Auffassungsgabe wirklich überzeugend, Fynn. Hahaha.“

„Deshalb ist er ja auch mein Freund.“, grinste Dustin und gab seinem Freund einen Kuss.

Diese Lockerheit war es, die mir so viel Freude bereitete. Kaum war noch Unsicherheit oder gar Angst zu spüren. Insbesondere Dustin hatte sich toll entwickelt.

Wir lagen gut in der Zeit. Maxi schickte ich mit Justin direkt auf den Trainingsplatz, während ich mit Dustin und Fynn nach Markus schaute.

Markus saß an der Seite von Platz neun und schaute interessiert einem Spiel zu. Bevor ich zu ihm ging, wollte ich mir einen Eindruck von dem Match machen. Es war sehr ausgeglichen und auch gerade spannend. Es war Ende des zweiten Satzes und vermutlich führte Markus Spieler mit einem Break und schlug jetzt zum Satzausgleich auf.

Das war ein Moment in dem ich als Trainer überhaupt nicht gestört werden wollte. Also blieb ich an meinem Platz stehen und verfolgte das Spiel von dort weiter. Dustin und Fynn standen neben mir als wir erneut von einigen Jugendlichen nach Autogrammen gefragt wurden. Das hatte Unruhe zur Folge, welche das Spiel störte. Ich bat also meine Jungs etwas vom Platz wegzugehen. An dieser Stelle hatte unsere Teamkleidung auch Nachteile. Wir wurden sofort von den Fans erkannt. Das war für mich eine neue Situation mit der ich mich noch arrangieren musste.

Der zweite Satz ging an Markus Schützling. Auf dem Spielanzeiger stand ein italienisch klingender Name. Also nahm ich an, dass es Zino sein würde.

Ich nutzte die Gelegenheit, bei Maxi und Justin zu schauen. Was ich dort sah, beruhigte mich. Beide spielten konzentriert ihr Pensum zum Aufwärmen ab. Gerade Maxi brauchte in der Vergangenheit hin und wieder einen Anstoß, damit er ernsthaft arbeitete. Heute war das absolut nicht notwendig.

Maxi fokussierte sich nur auf den Ball und blendete alles um sich herum aus. Mir gefiel dieses Einschlagen sehr gut. Entsprechend sparte ich auch nicht mit Lob, als mich Maxi erspäht hatte.

„Das sieht richtig gut aus, Maxi. Freut mich sehr, dass ich dich mittlerweile auch alleinverantwortlich auf den Platz lassen kann. Weitermachen. Wir sehen uns gleich vor dem Match an Platz neun.“

Maxi nickte und zeigte mir den Daumen hoch. Ich konnte beruhigt zurück an Platz neun gehen. Mittlerweile saßen Dustin und Fynn bereits am Platz und verfolgten das Spiel. Ich gab ihnen ein Zeichen, dass sie bitte mit mir zu Markus kommen mögen.

Nach dem nächsten Ballwechsel standen sie auf und wir trafen bei Markus zusammen.

„Moin moin“, begrüßte ich Markus.

„Moin Chris, moin Jungs. Das ist sehr schön, dass ihr zu mir kommt. Setzt euch doch. Zino spielt gerade letzte Runde Qualifikation.“

„Ich weiß, ich habe vorhin schon einmal einige Minuten gesehen. Wie steht es im dritten Satz?“

„4:4 und es ist sehr eng. Allerdings spielt Zino mega gut. Wenn es also nicht reichen sollte, wäre das kein Drama. Er hat schon zwei Runden Qualifikation hinter sich.“

„Na, das hört sich ja ganz ordentlich an. Wo ist dein zweiter Kandidat?“

„Du meinst Lars? Der ist gerade ins Clubhaus, um ein paar Getränke für mich holen.“

Dustin und Fynn saßen bislang ruhig neben mir und beobachteten das Spiel. Fynn schien etwas aufgefallen zu sein.

„Ich glaube Zino hat Probleme mit den Beinen. Er dehnt sich schon einige Zeit nach jedem Ballwechsel.“

Markus nickte:

„Ja, das ist korrekt. Er ist einfach platt. Eigentlich müsste er aufhören, aber er will unbedingt zu Ende spielen.“

Da gingen bei mir die Alarmglocken an. Warum ließ er Zino weiterspielen, wenn er genau wusste, dass es zu Verletzungen führen kann. Zino war sechzehn.

„Das lässt du durchgehen?“, fragte daher Fynn kritisch.

„Was soll ich denn machen? Soll ich hingehen und das Spiel beenden?“

„Also Chris hätte uns in dieser Situation ganz sicher nicht zu Ende spielen lassen. Auf gar keinen Fall. Auch wenn wir noch so stark protestiert hätten. Heute wissen wir, dass es richtig war, an solch einer Stelle aufzuhören.“

„Geh zu Zino, Markus. Hol ihn vom Platz und beende das Match bevor es zu spät ist. Ich denke, dass er einfach komplett platt ist. Und wenn er meckern sollte, werde ich ihm ein paar nette Worte dazu sagen. Aber jetzt ist Handlungsbedarf.“

Markus atmete tief ein und stand auf, ging an den Platz und wartete bis der nächste Ball gespielt war. Erneut begann Zino, sich einen drohenden Krampf wegzudehnen.

Zino begann sofort eine Diskussion mit seinem Trainer. Er wollte diese Entscheidung nicht akzeptieren. Da konnte ich spüren, dass er noch nicht genug gelernt hatte. Aber auch Markus hatte noch Nachholbedarf. An dieser Stelle durfte er nicht mehr mit Zino diskutieren.

Aber sollte ich mich da jetzt einmischen? Das wäre dann sicher für Markus nicht gut.

Zino bekam jetzt außerdem noch ein Zeitproblem, denn diese Diskussion fand ja mitten im Spiel statt und sein Gegner wurde zurecht unruhig. Jetzt wunderte ich mich über Dustin. Er ging zu Markus an den Platz und sprach mit Zino nur ein oder zwei Sätze, danach schaute Zino zu ihm und fragte etwas, was ich nicht verstehen konnte. Allerdings nickte Dustin nur einmal und Zino ging zum Netz und gratulierte fair seinem Gegner. Das Spiel war zu Ende. Dustin blieb bei Zino an der Bank, während Markus verärgert wieder zu uns kam.

„Was ist da jetzt passiert? Warum hat er jetzt akzeptiert, dass es besser ist aufzuhören?“

„Frag mich nicht, Dustin hat ihm im Prinzip genau das gesagt, was ich ihm auch gesagt hatte. Allerdings hat Dustin gesagt, dass er es dumm findet, dass er seinem Trainer nicht vertrauen würde.“

„Hihihi, Dustin hat mich verstanden und genau das hat er Zino gerade vermittelt. Gar nicht dumm.“

Fynn freute sich über das Lob und fing an zu lachen. Markus schaute uns fragend an.

„Hey, schau nicht so skeptisch. Du hast doch das Ergebnis erreicht. Zino hat eingesehen, dass es besser ist aufzuhören.“

In dieser Situation kam Zino mit seiner Tasche zu uns. Er machte einen erschöpften Eindruck. Als er sich zu uns setzen wollte, reagierte Fynn:

„Du solltest dich jetzt nicht zu uns setzen. Das werden die Waden nicht gut finden. Geh erst auslaufen und dann zur Massage. Danach kannst du immer noch zu uns kommen. Wir laufen ja nicht weg.“

Dustin fing sofort an zu lachen und auch mir gefiel diese Ansage sehr gut. Meine Arbeit mit meinen Jungs hatte doch einiges bei ihnen bewirkt. Allerdings wollte ich Markus nicht bloßstellen und musste jetzt aufpassen, dass meine Handlungen nicht arrogant wirkten.

Zino fragte lediglich ob er denn so einfach zur Massage gehen dürfe. Markus bestätigte ihm das, da er ja ein Teilnehmer des Turnieres sei. Danach hatten wir einige Minuten Zeit. Lars würde vermutlich direkt zu seinem Freund gehen und ihn begleiten, meinte Markus.

„Wie oft trainierst du mit Zino und Lars?“, fragte ich.

„Nur zweimal in der Woche. Dieses Turnier ist ein Bonus und absolut nicht unsere Kragenweite. Was mich allerdings ärgert ist, dass Zino meine Anweisung das Spiel zu beenden nicht akzeptieren konnte.“

„Das ist uns zu Beginn auch schwergefallen. Erst als uns Chris immer wieder Dinge erklärt hatte und wir das totale Vertrauen gefunden hatten, war uns bewusst geworden, wie sehr Chris auf unsere Gesundheit achtete. Er hätte nie eine Entscheidung getroffen, die uns hätte schaden können. Das müssen Zino und Lars auch haben, sonst wird das immer wieder so geschehen. Schließlich wollen sie besser werden und gewinnen.“

Fynn hatte seine Haltung erklärt und vor allem sein Empfinden dabei. Es berührte mich. Aber es tat auch gut, dass ich anscheinend nicht viel falsch gemacht hatte. Heute wurden wir für unsere harte Arbeit belohnt. Gerade bei diesen schwierigen Situationen zahlte sich unsere enge Verbindung aus.

Allerdings hatte ich durch diese Situation ein wenig die Zeit aus den Augen verloren und erschrak etwas als plötzlich Justin und Maxi bei uns auftauchten.

„Seid ihr schon fertig? Mist, ich habe wohl etwas die Zeit aus den Augen verloren. Sorry.“

„Kein Problem, Chris. Bisher lief alles gut. Ich habe jetzt noch eine knappe Stunde Zeit. Ich würde gern noch eine Kleinigkeit essen.“

„Sehr gute Idee. Möchtet ihr auch schon etwas essen, oder erst später?“

Die anderen Jungs wollten erst später mit mir etwas essen. Markus hatte gefragt ob er mit seinen Jungs wohl dazu kommen dürfe. Das war natürlich überhaupt kein Problem und wir verabredeten uns zum gemeinsamen Mittagessen, bevor Maxi auf den Platz gehen würde.

An dieser Stelle verließ uns Maxi in Richtung Clubhaus.

„Ich möchte, dass Maxi gleich beim Essen nicht allein im Clubhaus ist. Möchte jemand mich begleiten oder wollt ihr bei Markus bleiben und euch noch etwas unterhalten?“

Dustin und Fynn blieben bei Markus und wollten auf Zino und Lars warten. Justin ging mit mir ins Clubhaus. Er ging in die Umkleide duschen und sich frische Sachen anziehen. Ich hatte mich bereits an einen Tisch gesetzt und wartete auf Maxi.

Die Situation mit Zino hing mir noch etwas nach. Plötzlich meldete sich mein Handy.

„Ja?“

„Hi Chris, Thorsten hier. Seid ihr gut in Lübeck angekommen?“

„Hi Thorsten, ja danke der Nachfrage. Alles bestens, außer dass ich mir momentan vorkomme wie ein prominenter Superstar.“

„Äh, wieso das denn? Werdet ihr von Autogrammjägern umlagert, oder was?“

„Genau das. Hier in Lübeck ist unser Erfolg aus Leipzig bereits bekannt gewesen. Auch stand ein Artikel in der Tennis Zeitung über uns. Und jetzt sprechen uns viele Jugendliche an und wollen Autogramme. Und der Trainer des hiesigen Vereines hat mich angesprochen. Er hat ebenfalls zwei Jungs, die wie Dustin und Fynn veranlagt sind.“

Ich saß nicht allein im Clubhaus und wollte das Wort „schwul“ ganz bewusst nicht laut benutzen. Nicht, dass Markus mit seinen Jungs dadurch Schwierigkeiten bekommen würde. Thorsten stutzte auch einen Augenblick, aber dann fiel der Groschen.

„Ach so, jetzt hat es bei mir auch geklingelt. Du kannst grad nicht offen sprechen. Aber er hat auch ein schwules Spielerpaar.“

„Genau. Aber weshalb rufst du an?“

„Ich brauche von dir eine Einschätzung. Soll Maxi weiter bei euch bleiben oder wäre es besser, wenn er nach Lübeck erst wieder hier in die andere Trainingsgruppe geht? Wir müssen das hier planen.“

„Das kann ich noch nicht sagen. Ich möchte hier das Turnier abwarten. Momentan macht er einen guten Eindruck und ist voll bei der Sache.“

„Oh, sehr schön. Das freut mich. Dann warten wir das noch etwas ab. Noch eine andere Sache: Jan lässt fragen, ob du nächste Woche mit Niko das Training übernehmen kannst. Er hat einige wichtige Termine in Bremen, die er nicht verschieben kann.“

„Ich dachte, wir würden gemeinsam trainieren und uns dann auf die US Open vorbereiten. Also wir auf die Qualifikation und Jan mit Niko auf das Grand Slam Turnier.“

„Ja, das war geplant, klappt aber nicht. Würdest du Niko mit einbauen bei euch und Jan zwei Tage vertreten?“

„Äh, ja klar. Wenn Jan das für die beste Lösung hält. Meine Jungs werden sich freuen.“

„Sehr schön, danke. Dann planen wir das hier so. Tim und Carlo sind aber auch bei dir. Dafür kommt Marco aber noch dazu und unterstützt dich.“

„Alles klar, dann bis nächste Woche. Meine Jungs kommen gerade.“

Ich legte das Handy auf den Tisch und Justin kam mit Maxi an meinen Tisch. Leider dauerte es auch nicht lange und ein paar junge Mädels wollten von Justin Autogramme und Selfies machen. Das passte weder Maxi noch mir gerade.

„Leute, hier möchten wir bitte unsere Ruhe haben. Maxi muss gleich auf den Platz und braucht seine Konzentration. Später könnt ihr Justin gern fragen ob er dafür bereit wäre.“

Justin hatte schon wieder eine deutliche Rotfärbung im Gesicht. Allerdings war er mir dankbar, dass ich jetzt einmal interveniert hatte.

„So, Maxi. Du kannst jetzt in Ruhe etwas essen und dich dann auf dein Match vorbereiten. Wir haben alles besprochen oder hast du noch Fragen?“

„Danke, Chris. Nein, für mich ist alles geklärt. Hoffentlich wirkt sich mein Trainingsrückstand nicht so stark aus. Ich fühle mich jedenfalls besser als in Leipzig.“

„Das ist doch gut. Du hast noch keinerlei Druck. Habe wieder Spaß am Turnierspiel und gib dein Bestes. Alles andere sehen wir dann Schritt für Schritt.“

Maxi bekam seine Nudeln und die sollte er ungestört essen können. Als ich sah, dass Markus mit Dustin und Fynn in den Clubraum kam stand ich vom Tisch auf. Justin folgte mir zu den anderen. Markus fragte:

„Ist mit Maxi alles ok? Oder warum seid ihr gegangen?“

„Ja, alles bestens. Er braucht jetzt einfach Ruhe. Lasst uns nach draußen auf die Terrasse setzen. Hier würden wir ihn nur in der Vorbereitung stören.“

„Machst du keine Matchvorbereitung mit ihm?“

„Nein, Markus. Jetzt nicht mehr. Das haben wir bereits schon gemacht.“

„Das wäre mit Zino und Lars so nicht zu machen. Wenn ich die so kurz vor dem Spiel allein lassen würde, hätten die nur Unsinn im Kopf und mit Sicherheit nicht das kommende Match.“

„Nun, das war zu Beginn bei meinen Jungs auch nicht viel anders. Und du darfst nicht vergessen, meine Jungs arbeiten schon viel länger auf diesem Niveau als deine beiden Nachwuchscracks. Das habe ich mit Dustin und Fynn auch erst erarbeiten müssen. Aber ich sollte eigentlich gar nichts mehr dazu sagen, denn das können meine Jungs viel besser aus ihrer Sicht erklären. Falls Lars und Zino überhaupt ein Interesse daran haben. Wo hast du die beiden eigentlich versteckt?“

Mein Spruch führte bei Dustin und Fynn zu einem Lachanfall.

„Ich hoffe, dass sie gleich hier sind. Besprochen war das zumindest so. Allerdings…“

„Schau, da kommen sie doch schon“, unterbrach ihn Justin.

Zino konnte ich erkennen und der andere musste also Lars sein. Beide kamen zu uns und Lars gab mir die Hand. Zino hatte ich ja bereits auf dem Platz kennengelernt. Lars sah deutlich jünger als Zino aus.

„Ihr braucht heute noch nicht zu spielen?“, fragte Zino.

„Doch, Maxi spielt gleich erste Runde Hauptfeld. Deshalb sind wir ja auch schon hier. Was machen deine Beine?“

„Es geht. Aber gut ist anders. Dieses Niveau zu spielen ist doch ganz anders als das was wir sonst spielen. Es ist viel anstrengender.“

„Aber genau diese körperliche Fitness ist oft entscheidend bei diesen Spielen. Hier können alle Tennis spielen und haben in etwa die gleiche Leistungsstärke. Hier entscheiden der Kopf und die Fitness über Sieg oder Niederlage. Das habe ich meinen Jungs am Anfang auch immer wieder erklären müssen.“

„Ja ja, Chris. Aber wir haben es ja dann doch irgendwann begriffen. Dank deiner Hartnäckigkeit können wir heute gut mithalten.“

Fynn hatte das ohne äußerliche Regungen gesagt und damit Lars und Zino verwirrt. Ich hatte nur an der Stimmlage erkannt, dass es nicht ernst gemeint war. Auch Markus war irritiert über diese Aussage. Er wertete das als Beschwerde oder gar als Angriff auf mich und fragte:

„Das hört sich aber nicht gerade positiv an. Habt ihr das Gefühl, Chris hätte euch falsch trainiert?“

„Nein, absolut nicht. Das habt ihr dann falsch verstanden. Ohne Chris wären wir ganz sicher nicht da wo wir jetzt stehen. Er hat uns immer wieder motiviert und den Rücken gestärkt. Gerade wenn wir Zweifel hatten, hat er uns wieder aufgebaut. Wir sind ein tolles Team geworden und wir verdanken ihm sehr viel.“

„Okay Jungs, das reicht jetzt aber. Ich wäre ohne euren Ehrgeiz und Willen erfolglos geblieben. Ihr habt besser werden wollen und ich brauchte euch nur den Weg zu zeigen. Gehen musstet ihr schon noch selbst.“

„Jaja“, erwiderte Dustin, „typisch unser grüner Drache. Immer darauf bedacht, seinen Anteil herunterzuspielen. Aber das klappt bei uns nicht mehr. Wir wissen sehr gut, was du für uns bedeutest. Wir sind ein gutes Team. Und darauf sind wir sehr stolz, dass du immer an uns geglaubt hast.“

Lars und Zino standen die ganze Zeit wortlos neben Markus. Dieser Umgang von den Jungs mit mir war ihnen fremd. Ich konnte ihre Unsicherheit spüren. Jetzt war schnell ein Themenwechsel nötig.

„Was mir gerade einfällt. Dustin, Fynn und Justin sollen noch ein Abschlusstraining machen für morgen. Ich werde mich gleich um das Spiel von Maxi kümmern. Wollt ihr parallel trainieren oder erst nach dem Spiel. Wir haben zwei Optionen angeboten bekommen, wann wir einen Platz nehmen können.“

„Auf jeden Fall nach dem Match von Maxi.“, kam wie aus der Pistole geschossen von Dustin und Fynn.

Justin lachte und nickte. Hätte ich mir auch denken können.

„Jaja, ist ja schon gut. Damit ist das auch geklärt. Lars, an dich die Frage, möchtest du vielleicht dieses Training mit meinen Jungs mitmachen? Zino muss sich heute schonen und ist raus.“

Lars schaute irritiert zu Markus.

„Ähm, dir ist aber schon klar, dass ich bei weitem noch nicht das Level von deinen Jungs habe.“

„Ja, das ist mir bewusst. Allerdings heißt das ja nicht, dass du mit meinen Jungs nicht trainieren kannst.“

Markus fing an lachen, denn Lars schaute unsicher auch zu Zino. Es schien ihm ein wenig unangenehm zu sein, dass er mit uns trainieren durfte und sein Freund Zino nicht.

„Du brauchst nicht zu deinem Freund zu schauen. Willst du oder willst du nicht?“

„Los, mach das. Ich kann ja zuschauen, wenn du Angst hast, dass dir die Jungs was tun könnten. Hahaha.“

Zinos Spruch gefiel mir gut. Er hatte gespürt wie unsicher sein Freund war.

Im Anschluss sagte Lars zu und ich ging zur Turnierleitung, um den Platz am Nachmittag zu reservieren. Meine Jungs gingen bereits zu Maxis Platz und nahmen Lars und Zino gleich mit.

Mit dem kommenden Match von Maxi wollte ich eine Standortbestimmung für Maxi machen. Wie weit ist er in der kurzen Zeit wieder an die anderen herangekommen. Würde es ausreichen, ihn wieder mitzunehmen oder benötigte er noch mehr Trainings- und Aufbauzeit in der Base?

Als ich wenige Minuten später am Court meinen Platz bei den Jungs einnahm, spürte ich sofort wieder die Anspannung. Es ging wieder los und ich war gefordert.

Insbesondere, weil Maxi sehr nervös begann. Kaum Spielrhythmus und daher viele Fehler. Jetzt würde sich zeigen, ob sich Maxi wieder auf mich einlassen konnte. Mit einfachen Zeichen versuchte ich ihn zu beruhigen und geduldiger zu sein.

Äußerlich musste ich ruhig und gelassen bleiben, denn Maxi würde sofort bemerken wenn sein Coach unzufrieden oder gar ärgerlich wäre. Auch als es 1:4 stand und Maxi ratlos auf der Bank saß, musste ich ruhig bleiben. Immer wieder bekam er meine beruhigenden Signale und plötzlich zuckte er einmal zusammen und nickte plötzlich. Ein Ruck ging durch seinen Körper und schon beim nächsten Aufschlagspiel kam es zu längeren Ballwechseln.

Maxi machte das 2:4 und ich hatte das Gefühl, jetzt war er gelandet. Meine Jungs waren bislang sehr still geblieben, merkten aber jetzt auch, dass Maxi sie brauchte. Nach jedem erkämpften Punkt gab es Unterstützung und Anfeuerung. Das wiederum verunsicherte seinen Gegner und Maxi schaffte das Break zum 3:4 und dann den Ausgleich zum 4:4.

Jetzt wurde es für mich spannend, denn viele Spieler machten jetzt den Fehler sich zu entspannen und zu glauben man wäre im Spiel und könnte etwas zurückfahren. Genau das war Maxi früher häufig passiert. Mal sehen, wie er jetzt mit dieser Situation umgehen würde.

Zino machte jetzt den Fehler mich anzusprechen und eine Frage zu stellen, die zeigte, dass er noch sehr weit weg vom professionellen Tennis war.

„Warum bleibst du so ruhig? Markus hätte jetzt schon viele Kommandos von außen gerufen.“

Ich schaute etwas verärgert zu ihm hinüber, denn jetzt gestört zu werden war der unpassendste Moment überhaupt. Bevor ich reagieren konnte, griff Fynn ein.

„Jetzt nicht, Zino. Chris mag es gar nicht während einem Match an so einer wichtigen Stelle angesprochen zu werden.“

Dann gab er Zino ein Zeichen und ging mit ihm einige Schritte vom Platz weg. Natürlich kamen Dustin und auch Lars mit. Ich hatte wieder den Fokus auf Maxi und wurde positiv überrascht. Maxi setzte direkt konzentriert nach und gewann den Satz mit 7:5. Das gefiel mir gut.

Die Kommunikation mit Maxi wurde immer besser und ich konnte spüren, dass er mit jedem weiteren Spiel in den alten Spielmodus zurückfand. Im Grunde konnte er sich nur noch selbst schlagen, denn spielerisch war er seinem Gegner jetzt überlegen.

Ganz souverän spielte er das Match zu Ende und gewann den zweiten Satz dann glatt mit 6:3 und stand damit ebenfalls in der zweiten Hauptrunde. Nach dem Matchball musste ich spontan applaudieren. Ein exzellenter Wiedereinstieg war das.

Und unser Team stand schnell komplett am Platz, um Maxi in Empfang zu nehmen und zu gratulieren. Es war ein schönes Bild wie sich die Jungs für ihn freuten.

„Gehst du nicht zum Gratulieren?“, fragte mich Markus.

„Doch, natürlich. Aber die Jungs haben Vorrang. Ich brauche immer einen Augenblick, um mich zu beruhigen.“

„Zu beruhigen? Du wirkst wie die Ruhe selbst. Ich bleibe jedenfalls nicht so gelassen am Zaun.“

„Hahaha, das täuscht. Ich gehe jeden Ball im Kopf mit und analysiere jede Spielsituation im Kopf. Damit ich dem Spieler immer einen Hinweis geben kann wenn es erforderlich ist.“

Maxi hatte mittlerweile den Platz verlassen und war mit meinen Jungs auf dem Weg in die Umkleide. Dort trafen wir wieder zusammen und Maxi strahlte, als er mich kommen sah.

„Danke Chris. Du hast wieder einmal die richtige Strategie gefunden und mich unter Kontrolle bekommen. Erst als ich geduldiger sein konnte, habe ich das Spiel in den Griff bekommen. Ich glaube, dass ich zum Schluss sogar gut gespielt habe.“

Für diese Aussage musste ich Maxi einfach umarmen.

„Sehr geil gespielt und ich bin froh, dass du mir wieder vertraust und wir gemeinsam den Weg gehen können. Morgen geht es weiter und du hast gut gespielt, sehr richtig.“

Lars und Zino wunderten sich über unseren Umgang miteinander. Sie sagten aber nichts, sie flüsterten nur miteinander.

„Hey, wer flüstert lügt.“, konterte Fynn direkt als er das mitbekam.

Dustin, Maxi und Justin lachten sich kaputt über diesen Spruch. Die beiden anderen schauten pikiert und wurden etwas rot.

„Ihr müsst keine Angst haben. Wir sind immer so im Umgang miteinander. Wir kennen uns schon eine Weile und da muss das auch manchmal sein. Aber wenn ihr eine Frage habt, dann raus damit. Von uns beißt keiner.“

„Ähm ja, eine Frage habe ich schon. Aber es ist eine persönliche Frage.“

„Schieß los“, antwortete ich.

„Ist das für dich manchmal schwierig, dass Dustin und Fynn schwul sind und gemeinsam auf der Tour spielen?“

„Nein, es ist nicht schwierig, weil sie ein Paar sind. Es ist oder war schwierig, weil sie manchmal alle am Rad drehten und ich sie wie die Kleinkinder an die Hand nehmen musste.“

Stille. Auch meine Jungs mussten einen Moment darüber nachdenken, danach brachen sie in lautes Gelächter aus und zeigten mir den Daumen hoch. Fynn war der erste, der wieder ernst wurde:

„Chris hat es wieder einmal auf den Punkt gebracht. Zu Beginn waren wir wohl echt anstrengend, aber heute haben wir begriffen, dass wir selbst dafür verantwortlich sind, was wir machen und was nicht. Chris kann uns nur begleiten, die Schritte müssen wir letztlich selbst machen.“

Ich hatte es gehört, in dieser Form aber nicht erwartet. Doch es machte mich etwas stolz, dass Fynn es begriffen hatte worum es geht.

Aber es sollte Lars und Zino auch nicht weiter verunsichern. Sie waren noch nicht so weit und ich wollte mit ihnen trainieren. Sie sollten eine Chance bekommen, zu lernen wie es gehen könnte.

„Bevor hier noch mehr Verwirrung aufkommt. In einer halben Stunde sehe ich Justin, Dustin und Fynn auf dem Platz zehn zum Training. Lars, wenn du mit uns trainieren möchtest, sei bitte pünktlich auf dem Platz. Und zwar aufgewärmt.“

Maxi ging zum Auslaufen und anschließend zur Massage, Zino ging mit Lars mit und somit war ich mit Markus allein. Schließlich mussten sich meine Jungs noch vorbereiten.

Die Überraschung ereilte mich dann als ich zum Platz zehn kam. Dort standen etwa dreißig Jugendliche rund um den Zaun und belagerten förmlich den Court. Als ich den Platz an der Bank betreten wollte, musste ich zuerst einige Autogramme geben.

Als dann meine Jungs in unseren Teamanzügen erschienen gab es einen richtigen Ansturm. Für einen Moment bekam ich Angst. Es tauchten plötzlich die Bilder aus Kitzbühel in meinem Kopf auf. Ich zuckte richtig zusammen und ging tatsächlich einige Schritte näher heran, um besser mitzubekommen was dort geschah. Herrschte eine freundliche Atmosphäre oder gab es Stress?

Erst als meine Jungs auf den Platz kamen und ihre Taschen abgestellt hatten, konnte ich durchatmen. Eine verrückte Situation, die mich nachdenklich stimmte. Vor allem so ohne Vorwarnung, mich beunruhigte meine Reaktion.

Es fehlte Lars. Sonst waren alle da. Na toll, dachte ich. Aber Justin schien etwas zu wissen, denn er kam mit seinem Schläger direkt zu mir.

„Bevor du dich aufregst, Lars hat mir gesagt, dass er gleich da ist. Seine Eltern sind wohl ganz überraschend gekommen und daher kommt er etwas später.“

„Ahja, gut. Danke, dass du mich informiert hast. Ihr könnt schon mal im T-Feld beginnen. Dann kann Lars gleich mit einsteigen.“

Die Zuschauer um unseren Platz schauten interessiert unserem Tun zu. Aber als Lars dann mit Zino den Platz betrat, kam Unruhe bei den meist jugendlichen Zuschauern auf.

Für mich gab es auch ein kleines neues Problem. An der Stelle an der ich normalerweise das Training beobachtete, standen etliche Zuschauer hinter dem Zaun. Mir behagte das nicht besonders, von so nah beobachtet zu werden, aber was sollte ich machen.

Ich nahm also meinen gewohnten Platz ein und gab meine Anweisungen über den Platz. Recht schnell konnte ich erkennen, dass Lars Talent hatte. Allerdings spielte er verkrampft und hatte ständig Angst den Ball zu verschlagen. So passierte das natürlich erst recht.

Markus konnte ich hinter der Bank erkennen. Er unterhielt sich mit Zino. Beide wirkten genauso angespannt wie Lars.

„Stopp, Ball anhalten und Lars kommt bitte einmal zu mir. Die anderen spielen weiter. Fynn geht auf die andere Seite und nimmt Lars Position ein.“

Lars kam zu mir. Er wirkte verunsichert und enttäuscht.

„Hey, warum bist du so angespannt? Du musst hier niemandem etwas beweisen. Hab einfach Spaß und spiele mit. Meine Jungs werden dich nicht abschießen oder gar anmachen, wenn einmal etwas daneben geht. Spiel einfach das was du kannst.“

„Boah, Chris. Das sagst du so einfach. Ich bin tierisch aufgeregt und will es nicht verkacken. Aber irgendwie geht gerade gar nichts.“

„Ja, das sehe ich. Also nicht so viel nachdenken. Mach einfach und habe Spaß am Spiel. Los, auf geht´s und zeig mir, dass du Freude am Tennis hast.“

Ich schickte Lars jetzt wieder ins Spiel und stellte mich hinter seine Position. Leise gab ich ihm immer wieder Anweisungen und sehr bald war er komplett im Spiel und konnte das Tempo auch mithalten. Klar, es war noch gemäßigtes Spiel, aber das konnte er gut mitspielen.

„Einmal Fynn und Lars zu mir und die beiden anderen gehen auf die andere Seite.“

Kurze Zeit später standen beide vor mir und bekamen eine neue Aufgabe. Fynn sollte das Tempo vorgeben und die anderen mussten es erwidern, aber nicht erhöhen. Erst wenn ich das Kommando gab „Punkt ausspielen“, durfte der Ball ausgespielt werden.

Bei dieser Übung spielte sich Lars komplett frei und entwickelte auch clevere Punktstrategien. Das gefiel mir gut. Allerdings setzten ihm die fehlende Fitness und das steigende Tempo doch zu. Nach einer dreiviertel Stunde stieg die Fehlerquote deutlich bei Lars an. Für mich das Zeichen ihn aus dem Spiel zu nehmen.

„Okay, kurze Pause an der Bank.“

Meine Jungs nahmen sich ihre Trinkflaschen und ich ging zu Lars, der bereits ein richtig rotes Gesicht hatte.

„Du hast dich nach dem schwierigen Beginn hier gut präsentiert, aber jetzt ist es genug für dich. Schluss für dich. Geh bitte auslaufen, dann duschen und danke für deinen Einsatz.“

„Du bist also nicht unzufrieden mit meiner Leistung?“

„Nein, warum sollte ich? Du hast dich gut reingehängt und alles gegeben. Das passt schon so. Wir machen noch etwas weiter.“

Als ich wieder an meinem normalen Platz stand, konnte ich einige Gespräche der Kids außerhalb des Zaunes mitbekommen. Sie unterhielten sich über Lars und dass sie es cool fanden, dass er bei uns trainieren durfte. Allerdings hörte ich auch ein paar kritische Stimmen. Da ging es um die Frage, warum sich Lars ausgerechnet Dustin und Fynn als Trainingspartner gewählt hatte. Der Begriff „Schwuchteln“ fiel leider auch. Ich hatte es zur Kenntnis genommen, aber reagierte nicht auf diese Stimmen. Ich hatte es abgespeichert.

Nach einer weiteren Stunde beendete ich das Training mit einem kurzen Gespräch an der Bank.

„Das war gut heute. Für morgen sei euch noch einmal gesagt, auch wenn ihr alle gesetzt seid, kein Spiel wird einfach werden. Ihr müsst euch konzentrieren wie immer. Dann könnt ihr hier gute Spiele zeigen. Mehr erwarte ich nicht. Vollen Einsatz und maximale Fokussierung. Und wenn euch die Autogrammjäger auf die Nerven geht, verweist sie auf nach dem Spiel. Vor dem Spiel sollen sie euch in Ruhe lassen. Auch die Medienvertreter schickt ihr bitte direkt zu mir. Sie sollen sich mit mir absprechen. Noch Fragen?“

Justin meldete sich:

„Ja, wo essen wir zu Abend? Ich habe etwas Hunger.“

Die anderen lachten, aber stimmten der Frage natürlich zu. Essen war immer angesagt.

„Wir fahren gleich direkt zurück nach Bäk. Mo hat für uns einen Tisch bestellt und wir werden mit ihm zu Abend essen.“

„Oh, einverstanden. Aber bitte lass uns schnell aufbrechen.“

„Hahaha, Justin. Du wirst schon nicht verhungern. So lange wirst du es noch aushalten.“

Ich schickte die Jungs auslaufen und noch zur Massage. So viel Zeit musste sein.

In der Zeit setzte ich mich mit Markus noch ins Clubhaus.

„Danke erst einmal für die Möglichkeit, dass Lars bei euch mitspielen durfte. Was hast du für einen Eindruck?“

„Sehr gern. Was ich spontan sagen möchte, er hat sicher Talent, aber es fehlt an Selbstbewusstsein und ein wenig an der Fitness. Ihr solltet mehr Wert auf die Kondition und Schnelligkeit legen. Nach einer guten halben Stunde hat er deutlich abgebaut. Das ist auch für einen fünfzehnjährigen Jungen nicht ausreichend. Auch auf dem Niveau was ihr sonst spielt. Zino möchte ich mir morgen auch noch einmal anschauen, sollte er bis dahin wieder fit sein.“

„Da würde er sich sicher sehr drüber freuen. Er war vorhin doch ganz schön geknickt, dass er nicht mitspielen konnte. Was die Fitness betrifft muss ich zugeben, dass ich da auch nicht so drauf geachtet habe. Wir haben viel in die Technik investiert. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass sich jeder die Fitness selbst aneignen sollte.“

„Prinzipiell richtig, aber woher soll ein Jugendlicher wissen, wie das richtig gemacht wird? Da muss ihnen jemand vermitteln wie wichtig das ist. Das geht zu Beginn nur mit Begleitung. Wir sind früher auch nicht freiwillig laufen gegangen oder haben Krafttraining gemacht. Da musst du sie besser hinführen. Wenn sie merken, dass es ein Vorteil ist fit zu sein, dann verselbständigt sich das. Erst dann wird auch zu sehen sein, wie weit sie sich noch entwickeln können. Und eines noch, sie müssen als schwuler Sportler für ihre Anerkennung immer besser sein als die anderen. Das muss dir als Trainer auch klar sein. Sie brauchen an der Stelle viel Unterstützung.“

„Aber es weiß doch noch kaum jemand, dass die beiden zusammen sind.“

„Das glaubt ihr, aber ich bin mir sicher, dass einige sich bereits ihre Gedanken machen. Ich habe es gerade beim Training mitbekommen. Sei bitte mit den Jungs im Dialog über das Thema. Sie werden sonst davon überrollt werden. Dafür sind sie noch zu jung, um das allein bewältigen zu können.“

„Ist mir schon klar, dass wir sie unterstützen. Aber damit habe ich überhaupt keine Erfahrungen. Vielleicht kannst du mir deine Email Adresse geben, damit ich dich mal anschreiben könnte, falls wir hier eine Frage oder ein Problem haben.“

Das war natürlich überhaupt kein Problem und dann kam Justin wenige Minuten später zu uns.

„Hier bist du. Wir sind soweit fertig und können losfahren.“

„Hihihi, wenn die Jungs Hunger haben, geht es immer schnell. Sonst trödeln sie bei der Massage oder in der Sauna rum.“

„Naja“, warf Markus ein, „die Jungs brauchen eben Energie. Ich denke mal, ihr habt hier in der Nähe ein Quartier.“

„Am Ratzeburger See bei einem Freund. Also noch etwa eine halbe Stunde mit dem Auto. Aber dafür wunderschön gelegen. Eine Frage, kannst du dir vorstellen, dass Zino und Lars für meine Jungs zum Einschlagen bereitstehen würden? Der Zeitplan für morgen macht es unmöglich, dass sie sich gegenseitig warmspielen.“

„Ganz bestimmt. Wann sollen sie morgen bereit stehen? Sie sind sonst hier als Helfer vorgesehen, aber das wäre ja auch eine Art Hilfe. Das geht bestimmt.“

Ich ging den Zeitplan im Kopf durch.

„Vielleicht um halb zwölf. Justin fängt um elf an und die anderen kommen gestaffelt hinterher. Sie sollen sich dann bitte bei mir melden. Ich sitze bei Justin am Platz.“

„Alles klar, dann wünsche ich euch einen ruhigen Abend und wir sehen uns morgen.“

Fynn: Ein aufschlussreicher Abend

Maxi war deutlich entspannter als wir auf der Fahrt zurück waren. Ich hatte großes Verständnis für ihn, denn es war erst sein zweites Turniermatch seit seiner Pause. Leipzig war noch zu schwierig aber mit einer guten Leistung hatte er Chris heute gezeigt, dass er bereit war.

Für uns ein gutes Gefühl, dass sich das Team dafür entschieden hatte, Maxi wieder mitzunehmen. Mein Schatz und ich hatten häufig darüber gesprochen und uns gewünscht, dass Maxi eine neue Chance bekommt. Der Verlust seines Vaters war ein harter Schlag und ich wünschte mir, dass er mit uns wieder erfolgreich spielen würde. Auch Chris hatte sich immer für Maxi eingesetzt und ihn nie aufgegeben.

Besonders spannend für Dustin und mich war heute das Kennenlernen von Zino und Lars. Sie waren auch schwul und spielten wie wir gutes Tennis. Zwar noch nicht auf unserem Leistungsniveau aber für mich war es ein gutes Gefühl, nicht mehr allein in der Welt des Tennis zu sein und ein weiteres gleichgesinntes Paar zu kennen.

Als wir dann bei Mo in die Einfahrt bogen, fragte plötzlich mein Schatz:

„Machen wir heute noch die Gegneranalyse oder erst morgen?“

Chris drehte sich kurz um und fragte:

„Wer möchte denn heute noch wissen, gegen wen er spielt und wie das Match laufen könnte?“

Sofort gingen die Hände mit einem Grinsen nach oben. Chris verdrehte kurz die Augen, konterte aber souverän:

„Na gut, aber erst nach dem Essen. Sonst frisst euch nämlich Justin vorher auf und dann brauchen wir uns über morgen keine Gedanken mehr zu machen.“

„Aber hallo!“, kicherte Justin, „ohne Essen werde ich meinen Kopf heute keine Minute mehr anstrengen.“

Also nahmen wir unsere Taschen aus dem Bulli und ich wollte schon in Richtung unseres Hauses gehen, als Mo von der Terrasse meinte:

„Bringt eure nassen Sachen her. Wir machen am besten direkt eine Waschmaschine voll, dann könnt ihr die nach der Rückkehr gleich aufhängen.“

Also alle Taschen zu Mo auf die Terrasse, die nassen Klamotten in die von ihm bereitgestellte Wanne und erst danach brachten wir unsere Sachen in unsere Hütte. Chris blieb bei Mo und ging mit ihm ins Haus. Zuvor kam noch die Ansage:

„Macht keine komischen Sachen mehr. Justin, du passt auf Dustin und Fynn auf. Ich möchte nicht verantwortlich dafür sein, dass wir zu spät zum Essen kommen.“

„Spielverderber, lachte ich.“

Justin holte schon zum Schlag aus und drohte mit einem Grinsen:

„Wehe, du willst gar nicht wissen wie böse ich sein kann, wenn ich zu lange Hunger leide.“

Auch auf dem Weg zu Hütte hatten wir viel Spaß. Die Stimmung war klasse und selbst Dustin meinte plötzlich:

„Leute, wir sollten unsere Teamanzüge anlassen. Immerhin gehen wir ja geschlossen als Team mit Mo essen.“

„Das stimmt. Daran hätte ich jetzt nicht gedacht.“ Dafür gab ich meinem Freund einen Kuss.

Das hatten wir heute noch nicht oft getan und umso mehr vermisste ich es jetzt, aber wir sollten ja gleich wieder nach oben kommen.

Innerhalb weniger Minuten trafen wir uns wieder auf der Terrasse unserer Hütte.

„Können wir endlich los? Ich habe richtig Kohldampf.“

„Ja, ist ja gut, Justin. Du wirst schon nicht verhungern“, stöhnte Maxi.

Als wir bei Mo wieder ankamen, standen Chris und Mo bereits am Bulli. Sie diskutierten über die neueste Story von Chris bei Nickstories. Chris hatte gerade eine Challenge geschrieben und sie bei Nickstories eingereicht. Davon wussten wir noch gar nichts. Diese Art von Story wurde nicht über die Redaktion eingestellt, sondern alle Leser stimmten ab und der Sieger wurde dann zu einem bestimmten Datum bekanntgegeben.

Jedenfalls schien Mo auch von dieser Geschichte angetan und ich konnte wieder diese Verbundenheit von beiden spüren. Obwohl Mo die anderen Challengebeiträge auch kannte, war er sich sicher, dass Chris Story bei den Lesern gut ankommen würde.

Für mich bedeutete das Vorfreude auf eine neue gute Geschichte zum Lesen.

„Na, seid ihr soweit?“, fragte Chris.

„Jap, wir können los. Wo gehen wir denn hin?“, fragte Maxi.

„Lasst euch überraschen. Nur soviel sei verraten, wir fahren zum Friseur.“

Das war wieder mal klar. Chris machte sich einen Spaß daraus, dass er uns einen Schritt voraus war. Wobei er uns eigentlich ständig einen Schritt voraus ist. Chris hatte immer einen Plan und wenn sein Plan A einmal nicht funktionierte, hatte er schon Plan B zur Hand. Das hatte mich schon von Beginn an fasziniert, wie gut Chris organisiert war.

„Natürlich, zum Essen dann zum Friseur?“, stutzte Justin.

Mo fing herzlich an zu lachen und Chris stieg einfach in unseren VW Bus. Also was blieb uns anderes übrig als ebenfalls einzusteigen. Mo ließ uns erst die Einfahrt hochfahren, schloss dann das Tor und stieg vorne ein.

„Übrigens hat Chris eben die Wahrheit gesagt. Wir fahren zum Essen zum Friseur. Klingt vielleicht witzig, aber es ist das Haus des Friseurs, der hat seinen Salon im Obergeschoss und im Erdgeschoss ein kleines Restaurant mit einem guten Koch.“

Die Fahrt ging auf die andere Seite des Sees nach Ratzeburg. In einer kleinen Nebenstraße direkt am Wasser parkte Chris den Bus vor einem kleinen Haus. Wir stiegen aus und folgten Mo und Chris, die vorweg hineingingen.

Das, was nun passierte, war für mich sehr ungewöhnlich. Mo wurde sehr persönlich mit einer Umarmung begrüßt und auch Chris schien hier bereits bekannt zu sein. Der Gastraum war überschaubar und bot ungefähr 40 Plätze mit einem traumhaften Ausblick auf den See. Man hatte extra für uns zwei Tische zusammengestellt und bereits eingedeckt.

Die Servicekraft erkundigte sich nach unseren Getränkewünschen und verschwand dann wieder in Richtung Theke. Speisekarten wurden keine verteilt.

„Bevor ihr euch wundert“, erklärte uns Mo, „schaut euch einmal um. An der Wand hängen einige Vorschläge von Gerichten, die heute besonders frisch zubereitet werden. Die wechseln je nachdem, was der Koch frisch auf dem Markt bekommt. Wenn jemand davon nichts für sich favorisiert, bekommt er selbstverständlich eine Karte gereicht. Chris und ich haben seit langem keine Karte mehr benötigt.“

Erstaunt schaute ich mir die Tafeln an der Wand an. Dort standen eine Reihe verschiedener Gerichte, auch Fischgerichte, fangfrisch aus dem See. Und siehe da, jeder von uns fand dort sein Gericht. Wir benötigten also auch keine Karte mehr.

Nachdem ich mir ein Nudelgericht mit Geflügelstreifen und Pfifferlingen ausgesucht und mein Schatz für sich Hechtklößchen in Dillsoße auf Kartoffelschnee und Salat bestellt hatte, staunte ich über Justins Auswahl. Er hatte sich für ein Zanderfilet in Dijon-Senfsoße mit gemischtem Salat und Ackerkartoffeln entschieden.

Alles in allem hatten die Speisen den Eindruck vermittelt, dass wir uns in einem gehobenen Restaurant befanden. Optisch war der Raum schlicht, aber dennoch gemütlich und nicht überladen oder besonders edel eingerichtet. Mo und Chris waren schon in ein intensives Gespräch vertieft. Ich hatte leider nicht den Anfang mitbekommen, aber es war eindeutig, dass es um uns ging. Mo hörte Chris Ausführungen aufmerksam zu. Plötzlich stellte Mo folgende Frage in den Raum:

„Wie geht es euch heute mit eurer Situation? Neuerdings steht ihr deutlich im Mittelpunkt und es wird sogar in den Medien von euch berichtet. Stört euch das in der Arbeit oder genießt ihr jetzt diese Popularität?“

Maxis Antwort überraschte mich.

„Ich wundere mich einfach nur. In der letzten Woche kannte uns im Prinzip keiner. Nur einem kleinen Kreis war das „Breakpoint-Team“ bekannt. Allerdings eher durch Jans gute Arbeit auf der ATP Tour. Jetzt ist es aber so, dass wir selbst in Leipzig für Furore gesorgt haben. Ich habe noch so meine Schwierigkeiten im Umgang mit den jungen Autogrammjägern. Allerdings behindert es mich nicht in der Konzentration auf meine Aufgabe. Da wird Chris aber auch wie ein Luchs aufpassen, dass wir weiterhin hart arbeiten und keine Flausen in den Kopf bekommen.“

Vor einem halben Jahr hätte ich mich gefragt, ob Maxi Drogen genommen hätte, wenn er so einen Satz gesagt hätte. Heute war die Deutlichkeit seiner Worte überraschend, aber nicht inhaltlich. Und er sprach mir aus der Seele.

Chris schien auch überrascht zu sein, aber er freute sich sichtbar über Maxis Antwort. Er spendete sogar spontan Applaus.

„Unser Weg hat doch gerade erst begonnen“, ergänzte Justin, „und wir müssen noch so viel lernen und arbeiten, um das Ziel ATP-Tour zu erreichen. Vielleicht werden wir es auch gar nicht schaffen. Allerdings beschäftige ich mich mit dieser Frage nicht groß. Ich möchte einfach das Maximale aus meinen Möglichkeiten herausholen. Und Chris ist für mich der beste Coach, den ich bislang hatte und der mich am ehesten an meine Grenzen bringen kann.“

„Richtig, Justin. Ohne Chris wäre niemand von uns jetzt hier und auch Fynn hätte in Leipzig nicht gewonnen. Ich verdanke Chris und dem Team in Halle alles. Letztlich habe ich durch Chris Hilfe überhaupt erst wieder ein Ziel bekommen für das ich hart arbeiten kann und will. Dass ich mit Fynn auch noch meinen Freund gefunden habe, ist wie ein Sechser im Lotto und ein absolutes Sahnehäubchen. Ganz ehrlich, ich bin gerade sehr glücklich.“

Danach zog mich Dustin an sich heran und gab mir einen Kuss. Das hatten jetzt auch einige andere Gäste mitbekommen. Entsprechend wurden wir beobachtet, aber eher erstaunt und neugierig, nicht abfällig. Was mir allerdings auffiel, Chris hatte die ganze Zeit auffallend abwesend gewirkt. Er schaute mit weitem Blick über den See und wirkte nachdenklich. Erst als Mo ihn direkt ansprach, zuckte er leicht zusammen und war wieder bei uns.

„Und Chris, das hört sich doch toll an, wie deine Jungs über dich sprechen. Ich glaube, du kannst bislang nicht viel falsch gemacht haben. Keine einzige Beschwerde über versäumte Diskobesuche und/oder zu hartes Training. Respekt.“

Also Mo hatte definitiv eine Menge Humor. Vor allem ein sehr ähnlicher Humor wie ihn Chris besaß. So langsam verstand ich, warum es Chris so wichtig war, Mo zu besuchen.

„Du weißt ja gar nicht, was ich den Jungs an Bestechungsgeld gegeben habe, damit sie über mich nichts Negatives sagen.“

Mit dieser Antwort hatte Mo nicht gerechnet. Allerdings wussten wir gerade auch nicht, wie Chris das gemeint hatte. Er hatte keine Miene dabei verzogen. Justin war der erste, der es begriffen hatte.

„Hahaha, wir sollten es langsam wissen. Chris hat eh immer das letzte Wort. Cooler Spruch, Chris. Den merke ich mir. Aber für Mo zur Erklärung, Chris verbietet uns sehr selten etwas. Er schafft es fast immer, uns die Dinge so zu erklären, dass wir das dann auch aus Überzeugung machen. Ich finde es mega cool, wenn ich etwas nicht verstehen will, dass Chris dann klipp und klar sagt, dass ich das so machen kann wie ich möchte, aber die anderen dann im Vorteil sind. Da müsste ich schon echt crazy sein, wenn ich dann immer noch meinen Weg gehe.“

„Ich möchte aber ergänzend klarstellen“, meldete sich mein Schatz, „Chris ist dennoch immer offen für unsere Ideen. Er hört sich immer alles zuerst an und gibt dann seine Entscheidung dazu weiter. Sollte unsere Idee für ihn interessant sein, lässt er uns das probieren. Das finde ich so cool dabei.“

Wir waren so in unser Gespräch vertieft, dass es gar nicht aufgefallen war wie ein Junge plötzlich an unserem Tisch stand. Erst als er leise Chris am Tisch angesprochen hatte, bemerkten wir seine Anwesenheit. Es wurden alle ruhig als sich Chris dann an uns wandte.

„Jungs, der Ben hier hat um ein Autogramm von allen gefragt. Bekommen wir das hin?“

Natürlich bekamen wir das hin. Jeder unterschrieb auf seinem T-Shirt das er anhatte. Mit einem Lachen bedankte sich Ben und ging wieder an den Nebentisch zu seinen Eltern. Es gab sogar hier Leute, die unsere Entwicklung verfolgten. Wow, das beeindruckte mich.

Kurz danach wurde unser Essen gebracht und das bedeutete, keine Gespräche mehr über Tennis. Da war Chris rigoros und ließ auch nicht die kleinste Diskussion darüber zu.

Mir fiel da etwas ein.

„Du Mo, ich habe mal eine Frage zu den Kanus an unserer Hütte. Sind die noch fahrtauglich? Ich hätte große Lust, mal eine Runde über das Wasser zu machen. Oder ist das zu gefährlich wegen möglicher Strömungen? Wir kennen den See ja überhaupt nicht.“

„Natürlich sind meine Boote in Ordnung. Das ist ein Einer in gelb, der an der Westseite der Hütte auf zwei Metallböcken liegt und das große rote Boot als Zweier an der Ostseite der Hütte ganz oben. Sie werden beide regelmäßig benutzt. Und gefährlich ist der See meist nicht. Nur bei Windstärken von 4 – 5 und darüber würde ich den See nicht mehr empfehlen. Aber zur Zeit haben wir ja nahezu Windstille. Seid ihr überhaupt schon mal mit einem Kajak oder Kanu unterwegs gewesen? Dafür braucht man schon ein wenig Übung, insbesondere im Zweier. Nicht dass ihr auf dem See kentert und die DLRG euch dann retten muss.“ Dabei hatte er ein verschmitztes Lachen im Gesicht.

Ich konnte Kanu fahren. Oder zumindest hatte ich das schon einige Male gemacht. Dustin schien nicht so begeistert zu sein, aber Justin war sofort Feuer und Flamme.

Chris: Ein netter Abend

Die Frage nach den Kanus beunruhigte mich etwas, aber ich hatte sie auch erwartet. Die Reaktion der Jungs bei unserer Ankunft war dafür zu deutlich gewesen. Mo schien meine Angst zu spüren. Er schaute mich genau an, als Fynn und Justin so begeistert reagierten.

„Ihr könnt die Boote nutzen, aber nur unter zwei Bedingungen. Zum Einen müsst ihr dafür die Erlaubnis von Chris einholen und zum Anderen müsste das in den Turnierplan passen. Da ich vom Turnierverlauf keine Ahnung habe, ist das heute nicht zu beantworten ob ihr das machen könnt. Schauen wir doch zuerst einmal, wie sich das in Lübeck entwickelt.“

Puh, eine gute, diplomatische Antwort. Mo hatte ein gutes Gespür für die Situation.

Das Essen war anscheinend auch bei meinen Jungs gut angekommen. Keiner hatte auch nur den kleinsten Brocken auf seinem Teller gelassen. Mo stellte allerdings dann eine Frage, die er sich auch hätte sparen können:

„Seid ihr gut gesättigt oder können wir noch einen kleinen Nachtisch ordern?“

„Nachtisch ist immer gut. Du hast doch bestimmt schon eine Idee“, grinste Maxi.

Natürlich hatte Mo eine Idee. Sein Vorschlag war: Eine frische karamellisierte Waffel mit Vanilleeis, Sahne und diversen Obstvariationen. Es war eine Spezialität des Hauses. Also gab es für jeden noch eine süße Belohnung für die letzten Wochen.

„Boah war das lecker. Hier können wir gerne wieder essen, solange wir bei Mo sind“, lachte Justin.

„Ich glaube allerdings, dass Chris uns dann bald hier hinaus rollen kann. Das tut unserer Fitness nicht gut, glaube ich.“

Dustins Antwort führte zu großer Heiterkeit und war ein gutes Schlusswort, um wieder nach Bäk aufzubrechen. Draußen wurde es langsam dunkel und der nächste Tag würde sehr anstrengend werden.

Ich ließ mir die Rechnung geben. Dafür hatte ich ja die Kreditkarte vom Team bekommen. Mo hatte uns nach Bäk eingeladen und wir konnten bei ihm frei wohnen, da hatte ich kein schlechtes Gewissen, ihn auf Teamkosten zu dem Essen einzuladen.

Der Heimweg verlief sehr still im Auto. Meine Jungs zeigten deutlich Ermüdungserscheinungen.

„Na, deine Jungs scheinen heute früh in die Federn zu wollen“, lachte Mo.

„Allerdings. Es ist auch anstrengend diese Turnierzeit. Immer unterwegs und den Tagesablauf ständig nach den Matches abzustimmen. Ich freue mich auch über jede Woche, die ich zu Hause im eigenen Bett schlafen kann.“

„Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Gerade für deinen Rücken ist dein eigenes Bett sicher besonders wichtig.“

Als wir unseren VW Bus bei Mo geparkt hatten, musste ich tatsächlich meine Jungs wecken. Entsprechend schnell zogen sie von dannen. Wir hatten uns für halb neun zum Frühstück verabredet und es war auch morgen genug Zeit für die Matchvorbereitung.

Mo und ich hatten uns noch etwas auf die Terrasse oben am Wohnhaus gesetzt, um den Tag ausklingen zu lassen. Eine kalte Fassbrause und ein paar süße Leckereien, die Mo auf den Tisch gestellt hatte, führten bei mir zu schneller Entspannung.

„Du bist immer noch sehr angespannt, wenn du mit deinen Jungs unterwegs bist. Auch außerhalb des Platzes. Kannst du sie nicht einfach von der Leine lassen? Ich meine, das sind doch fast erwachsene Jungs. Da musst du doch nicht mehr jede Sekunde verantwortlich sein.“

„Ich fühle mich immer verantwortlich, wenn ich mit den Jungs unterwegs bin. Es ist meine Aufgabe, sie gesund auch wieder nach Hause zu bringen. Das ist für mich seit Kitzbühel noch wichtiger geworden.“

Mo schaute mich an und ich wusste genau, dass ihm diese Aussage überhaupt nicht gefiel. Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, er würde mir dafür sofort einen Text reindrücken. Aber nichts geschah. Mo schwieg und beobachtete mich.

„Dieses Erlebnis ist bei dir noch nicht wirklich abgehakt, oder? Es beschäftigt dich immer noch. Auch in deinen Entscheidungen?“

Ein intensives Gefühl breitete sich bei mir aus als er diese Frage stellte.

„Ich würde lügen wenn ich sage, dass es abgehakt ist. Manchmal kommen diese Bilder und das Gefühl des Schmerzes einfach spontan hoch. Auch nachts träume ich noch manchmal davon. Und ja, es stimmt. Es gibt auch Entscheidungen, die von diesem Erlebnis beeinflusst werden. Ich will diesen Fehler kein zweites Mal machen.“

„Welchen Fehler denn? Dass du dich vor deine Jungs gestellt hast? Das würdest du jederzeit wieder tun und es ist genau das, was dich so stark macht. Du bist von dieser Grundhaltung so überzeugt, dass es falsch wäre, wenn du es anders machen würdest.“

„Ja, ich würde es wieder tun. Aber nicht mehr so naiv. Ich würde genauer hinschauen und besser vorbereitet sein. Ich habe damals nicht gedacht, dass sie uns tatsächlich töten würden.“

„Niemand hätte das vorhersehen können. Diese Menschen sind krank im Kopf und gehören eigentlich in eine geschlossene Psychiatrie. Dass du von einem Fehler sprichst, ist von meinem Empfinden her total falsch. Du solltest deine Selbstzweifel beenden. Du hast alles richtig gemacht. Auch danach hast du so viele richtige und gute Entscheidungen getroffen. Das ist das was zählt. Selbst dein Bruder hat es mittlerweile begriffen, wie wichtig du für diese Jungs bist. Und ich glaube auch, dass diese Jungs wichtig für dich sind. Du brauchst diese Herausforderungen. Du möchtest dir selbst beweisen, dass dein Weg genauso gut ist, wie der Weg deines Bruders.“

„Mein Bruder war mir jahrelang egal. Ich habe einige Jahre mit ihm kaum gesprochen. Ich will ihm nichts beweisen. Ich weiß, dass ich anders denke als er, aber ich glaube, dass die Entwicklung eines jungen Menschen für sein späteres Leben von uns zu begleiten ist. Gerade außerhalb des Platzes ist das wichtig. Wie man Tennis spielt, dass lernen sie recht schnell.“

„Das ist sicher so. Und deshalb machst du es auch genau so. Dustin ist erst durch dich wieder zu einem glücklichen Jungen geworden. Was du hier für diese Truppe leistest, ist mit keinem Geld der Welt zu bezahlen. Und soll ich dir mal was sagen, deine Jungs wissen das sehr genau. Sie vertrauen dir vollkommen. Das ist doch das größte Kompliment, was man als Erwachsener von einem Jugendlichen bekommen kann.“

Ich schaute Mo an und musste schmunzeln. Wieder einmal hatte er mich mit seinen Aussagen sprachlos gemacht. Ich konnte nur noch zustimmen.

„Weißt du Chris, deine Aufgabe ist es zu lernen, dass du auch Pausen und Freiräume für dich brauchst. Sie stehen dir zu. Aber du musst sie dir auch nehmen. Klar sagen, es ist jetzt genug und ich brauche eine Auszeit. Deine Jungs werden es sofort verstehen und diese Zeit auch ohne dich überstehen. Sie werden sich umso mehr freuen, wenn du zurück kommst und wieder mit neuer Energie und Freude an ihrem Weg in die Weltspitze arbeitest.“

„Wie so oft hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Es ist für mich aber nicht so einfach, das umzusetzen. Allerdings sage ich auch immer, einfach kann jeder. Es ist meine Aufgabe, das zu lernen und für mich umzusetzen.“

Mo nickte nur bestätigend und wir wechselten das Thema. Wir hatten noch ein paar Dinge zu meiner aktuellen Story besprochen, aber dann spürte ich auch die Müdigkeit. Kurz nach Mitternacht gingen wir ins Bett. Unser Gespräch wirkte noch lange in meinen Gedanken nach und entsprechend schlecht konnte ich einschlafen. Allerdings schlief ich dann sehr gut bis zum nächsten Morgen durch.

Entsprechend gut gelaunt kam ich am Morgen aus der Dusche. Von den Jungs war noch nichts zu sehen und auch Mo war schon guter Dinge in der Küche zugange. Das Frühstück wollte vorbereitet sein.

„Guten Morgen, Chris. Möchtest du Kaffee oder lieber einen grünen Tee?“, fragte Mo.

„Oh, dann einen grünen Tee bitte. Dir auch einen guten Morgen.“

Mo hatte schon fleißig fast alles fertig vorbereitet und es sah sehr gemütlich und natürlich auch reichhaltig aus. Hier wurden wir ständig verwöhnt mit gesunden und leckeren Sachen.

„Konntest du gut schlafen?“

„Danke, ja. Als ich dann einschlafen konnte, habe ich bestens geschlafen.“

„Sehr schön, das freut mich. Du brauchst heute deine ganze Kraft für die Jungs. Vier Spiele zu betreuen ist heftig. Wenn ich dir vor Ort bei irgendetwas helfen kann, dann sag es bitte.“

„Danke dir. Ich werde mich melden.“

Meine Jungs waren mittlerweile auch auf dem Weg zu uns. Sie kamen bereits mit ihren Taschen den Weg herauf. Dustin und Fynn gingen hinter den anderen beiden her und sie waren in einer lustigen Unterhaltung. Beide lachten befreit und als sich Justin umdrehte, fing auch er an zu lachen. Maxi ließ sich dann auch anstecken und so kamen sie bestens gelaunt auf die Terrasse. Ihre Taschen ließen sie draußen stehen.

Fynn betrat als erster den Essraum über die Terrasse. Die anderen blieben noch draußen.

„Guten Morgen allerseits. Chris, könnte ich bitte den Autoschlüssel bekommen? Wir möchten unsere Taschen schon ins Auto stellen, dann stehen sie hier nicht im Weg.“

„Moment, ich gebe ihn dir.“

Ich ging zu meiner Jacke und warf Fynn den Schlüssel zu.

Danach bereiteten wir die letzten Dinge für das Frühstück vor und Mo bat mich bereits Platz zu nehmen.

Ich wunderte mich, denn es gab aus der Küche noch einiges herüberzubringen. Die Jungs waren schnell wieder da und Mo nutzte die Gelegenheit:

„So, bevor ihr euch an den Tisch setzt, kommt bitte jeder einmal in die Küche.“

Dort gab er jedem etwas zum Tragen und dann konnten wir auch anfangen.

Mo goss mir von dem grünen Tee ein und für die Jungs hatte er Kaffee gemacht. Aber Justin fragte mich:

„Was trinkst du denn da? Das sieht nach Tee aus.“

„Richtig, Justin. Das ist grüner Tee. Ich finde gerade Mo's grünen Tee besonders toll. Allerdings kann ich den immer nur morgens trinken. Weil der bei mir einen gewaltigen „Hallo-wach“-Effekt hat.“

„Cool, das wäre genau das Richtige für mich am Morgen. Kann ich davon bitte auch etwas bekommen?“

Mo lachte, ging in die Küche und holte für Justin noch eine Teetasse. Anschließend probierte Justin den Tee.

„Mhh, sehr lecker.“

Die Jungs hauten richtig rein. Mo musste zweimal Brot nachschneiden. Erst nach einer guten halben Stunde beendete Maxi als letzter sein Frühstück.

„Wollen wir die Spielvorbereitung noch hier besprechen oder erst in Lübeck auf der Anlage?“, fragte ich in die Runde.

„Kennst du denn schon alle Gegner? Gestern stand noch gar nicht fest, gegen wen ich spielen muss.“

„Ja, Dustin, dank des Internets kann ich euch schon hier sagen wer euer Gegner sein wird.“

„Cool, dann würde ich es gern hier besprechen, damit wir uns auf der Anlage in Ruhe vorbereiten und warmspielen können.“

Die anderen waren ebenso einverstanden. Also holte ich meinen Laptop mit den ganzen Spielerdaten und gab jedem eine Gegneranalyse. Mo fing während der Besprechung schon an abzuräumen.

„Äh, wir können dir auch gleich noch helfen. So lange dauert das hier nicht mehr“, meinte ich zu Mo.

„Lass gut sein. Ich habe doch Zeit und dann können wir auch direkt los, wenn ihr fertig seid. Passt schon.“

Tatsächlich war Mo mit dem Abräumen bereits komplett fertig als wir auch soweit waren. Jetzt würde es für Justin, Dustin und Fynn ernst werden. Als wir in den VW Bus stiegen, herrschte eine gelöste Stimmung. Allerdings je näher wir Lübeck kamen, desto ruhiger wurde es im Auto.

Mo und ich hatten uns über Nickstories und vor allem über Mos Zweitberuf des Physiotherapeuten unterhalten. Für mich war das immer sehr interessant. von ihm ein paar neue Hinweise und Ideen für unsere Physios in Halle zu bekommen. Mo hatte eine besondere Art der Ausbildung gemacht und bei seiner therapeutischen Arbeit standen sowohl Psyche, als auch Seele neben dem respektvollen Umgang mit dem Körper als gleich-gewichtete Kriterien während einer 90-Minuten-Behandlung nebeneinander. Dazu waren die ständige Präsenz des Masseurs und eine große innere Ruhe und Liebe in sich selbst erforderlich. Er musste davon nicht seinen Lebensunterhalt bestreiten und konnte deshalb diese Arbeit zu seinem Vergnügen und dem Wohle seiner Patienten machen. Aber genau das machte seine Arbeit effektiv und erfolgreich. Er bewirkte dadurch nicht nur eine rein körperliche Entspannung, sondern vermittelte begletend dazu auch eine besondere Qualität von innerer Ruhe, Mitgefühl und Geborgenheit, so dass auch Raum geschaffen werden konnte für veränderte Einstellungen und Verhaltensweisen.

Ich hatte das Gefühl, insbesondere Maxi war unserem Gespräch gefolgt. Die anderen waren entweder mit sich beschäftigt, Dustin und Fynn, oder spielten mit dem Handy. Als wir aus dem Auto stiegen, spürte ich die deutlich gestiegene Anspannung.

Deshalb gab ich gleich ein paar Hinweise zum Aufwärmen und Einschlagen. Lars und Zino sollten uns heute erneut zur Verfügung stehen. Und tatsächlich wurden wir von Markus bereits am Spielereingang erwartet.

„Hallo Chris, habt ihr eine gute Anfahrt gehabt?“

„Hi Markus, ja danke. Darf ich dir einen sehr guten Freund vorstellen. Das ist Mo.“

Sie gaben sich freundlich die Hand und auch meine Jungs begrüßten Markus. Dustin und Fynn fragten natürlich sofort nach Zino und Lars.

„Die sind noch nicht hier. Sie müssten aber jeden Moment ankommen. Sie waren noch in der Schule.“

„Das ist kein Problem. Justin muss als erster auf den Platz. Da können die anderen das Einschlagen übernehmen.“

„Sehr schön“, freute sich Markus, „Lars und insbesondere Zino freuen sich auf diese Möglichkeit, mit euch zu spielen. Weißt du schon auf welchem Platz ihr euch einschlagen könnt?“

„Nein, das werde ich als erstes abklären. Justin, du kannst dich direkt warmmachen und Maxi auch. Maxi geht als zweiter ins Turnier. Da macht es Sinn wenn ihr euch gemeinsam warmmacht und auch im Anschluss einschlagt.“

Die beiden nickten nur kurz und wollten schon losziehen.

„Hey, so geht das aber nicht. Nicht ohne unsere Unterstützung“, lachte Fynn und hielt seine Hand nach vorne.

Sofort lagen alle Hände der Jungs auf der von Fynn. Ich legte meine obenauf und dann kam von Dustin an Mo die Aufforderung:

„Du auch, Mo. Du gehörst doch auch zu uns. Wir brauchen jede Unterstützung.“

Mo lächelte und legte seine Hand auf die meine und damit konnten Maxi und Justin dann losziehen.

Ich ging mit Mo Richtung Clubhaus, um den Trainingsplatz zu klären. Dustin und Fynn wollten ihre Taschen in die Umkleide bringen und anschließend einmal über die Anlage gehen. Ich bat sie allerdings rechtzeitig zum Beginn von Justins Match dort zu erscheinen.

Markus blieb im Eingangsbereich, um dort Lars und Zino abzufangen. Ich konnte Markus seine Nervosität anmerken. Er hatte noch nicht so viele Erfahrungen als Trainer auf diesem Niveau. Aber das war für mich kein Problem, solange ich in Ruhe mit den Jungs arbeiten konnte.

Mo und ich hatten das Clubhaus erreicht und ich ging Richtung Turnierbüro während Mo uns einen Othello organisieren wollte.

Platz neun war heute unser Trainingsplatz. Mein Weg wollte mich direkt zu Justin oder Maxi führen, aber Mo fing mich am Turnierbüro ab.

„Wir gehen jetzt erst einmal den Othello trinken. Deine Jungs könnten auch zu dir kommen, wenn es so eilig wäre. Die fünf Minuten sind für dich wichtig.“

Ah ja. Innerlich musste ich schmunzeln, aber wollte ich akzeptieren, dass mir Mo hier meinen Takt vorgab? Nach einer kleinen Gedenksekunde musste ich das mit einem klaren „Ja“ beantworten. Er hatte absolut recht. Vielleicht sollte ich generell über meine Taktung bei einem Turnierablauf nachdenken.

Als ich nach der Sekunde des Nachdenkens Mo mit einem Lächeln folgte, drehte er sich kurz um:

„Eine kluge Entscheidung mir zu folgen. Du willst das doch noch die ganze Woche durchhalten, ohne Schaden zu nehmen. Da sind diese kleinen Momente wichtig.“

„Ich befürchte, dass du wie so oft meine Schwachstelle gefunden hast. Vielleicht sollte ich darauf etwas mehr Aufmerksamkeit legen.“

„Nicht nur vielleicht. Los, komm. Der Othello wird kalt.“

Am Tisch sprachen wir nicht mehr viel. Allerdings strahlte Mo eine Ruhe aus, die mich sofort ansteckte. Ich konnte wirklich ruhig meinen Othello trinken ohne unruhig zu werden. Beeindruckend.

Und tatsächlich dauerte es keine drei Minuten, als Justin an unserem Tisch stand.

„Hier bist du. Ich dachte, du wolltest uns einen Trainingsplatz organisieren.“

Diese kleine Art der Beschwerde hatte ich bemerkt, reagierte aber nicht sofort darauf.

„Platz neun könnt ihr nutzen. Für dreißig Minuten, danach musst du dich spielbereit halten.“

Justin wollte sich schon umdrehen, aber da kam mir Mo dazwischen.

„Du solltest mittlerweile wissen, dass Chris euch immer mit dem Notwendigen versorgt. Wenn er sagt, dass er euch einen Trainingsplatz besorgt, dann tut er das auch. Ihr seid fast erwachsen und müsst nicht mehr alles wie kleine Kinder vorgesetzt bekommen. Du kannst, wie jetzt auch, einfach zu Chris kommen und bekommst die Information, die du brauchst. Denk mal darüber nach. Oder noch besser, ihr könnt alle mal darüber nachdenken.“

Justin schaute Mo mit großen Augen an, dann ging sein Blick zu mir.

„Ist noch was?“, fragte ich.

Justin schüttelte leicht seinen Kopf und verschwand.

„Sorry, Chris. Aber das musste jetzt mal sein. Du bist doch nicht mehr ihr Kindergärtner. Sie haben sich bereits so sehr daran gewöhnt, dass du ihnen alles hinterherträgst, da werden sie nie erwachsen. Geschweige denn eigenverantwortlich. Ich weiß auch, dass du sie vor diesen Dingen abschirmen möchtest. Besonders vor einem Match, aber das Spiel beginnt erst in über einer Stunde. Das müssen sie eigenständig können, dass sie zu dir kommen und sich die Informationen abholen.“

„Hahaha, ich finde das so cool gerade. Mir ist das bisher gar nicht aufgefallen, weil ich das immer so gemacht habe. Allerdings sind sie tatsächlich keine Anfänger mehr. Daran muss ich wirklich arbeiten, dass ich ihnen weniger abnehme und vor allem nicht ständig hinter ihnen herlaufe. Das gefällt mir gut.“

Mo nickte und obwohl ich versuchte, nicht an die kommenden Matches zu denken, drehte sich nach wenigen Minuten wieder alles in meinem Kopf um die Spiele.

Mo blieb aber ganz ruhig und meinte dann augenzwinkernd:

„Kannst du auf mich warten oder musst du jetzt sofort zum Platz laufen?“

„Kannst du Gedanken lesen? Aber natürlich kann ich warten. Es ist vermutlich sogar besser wenn ich auf dich warte und wir gemeinsam zum Platz gehen.“

Wieder nickte Mo wortlos und trank in Ruhe seinen Othello aus. Anschließend gingen wir zum Platz neun. Mo blieb am Rand auf dem Rasen stehen und ich betrat den Platz auf dem Justin und Maxi sich einschlugen.

Ohne sie zu unterbrechen, nahm ich auf der Bank Platz und schaute mir ihr Spiel an.

Justin schien sehr unruhig zu wirken. Immer wieder gingen seine Augen zu mir. Maxi hingegen wirkte fokussiert und ruhig.

Sie spielten exakt nach gewohntem Muster und ich war zufrieden mit dem was ich sah. Allerdings vermisste ich Dustin und Fynn.

Deshalb nutzte ich eine Getränkepause, um zu fragen:

„Wisst ihr wo Fynn und Dustin sind? Oder warum sind sie nicht hier am Platz?“

„Ja, sie haben Lars und Zino getroffen und wollten mit den beiden einmal in Ruhe etwas reden. Sie kommen aber gleich zum Platz wenn Justin beginnt.“

„Danke, Maxi. Dann bin ich beruhigt und ich möchte sagen, dass mir euer Warmspielen bis hierhin gut gefallen hat. Spielt jetzt bitte noch eine Serie Aufschläge und Returns. Danach soll es gut sein und Justin macht sich anschließend direkt spielbereit.“

Justin schien immer noch irgendetwas zu beschäftigen. Besonders bei den Aufschlägen konnte ich seine Konzentrationsprobleme erkennen. Er hatte eine deutlich größere Streuung.

„Justin, leg mal deinen Schläger an die Seite und komm bitte einmal zu mir an die Bank.“

Er stellte den Schläger an den Balleimer und kam sichtlich unzufrieden und angespannt zu mir.

„Was ist denn los? Irgendetwas schwirrt dir gerade durch den Kopf.“

„Woran du das immer sofort bemerken kannst ist mir ein Rätsel. Aber es stimmt. Mir geht die Sache mit dem Trainingsplatz noch durch den Kopf. Ich habe ein schlechtes Gefühl, weil ich dir unterstellt hatte, dass du uns den Court nicht besorgt hättest. Ich würde mich dafür gerne entschuldigen, aber ich wusste nicht wie ich das am besten mache. Es ist mir etwas unangenehm, dir so etwas unterstellt zu haben.“

Mo hatte das genau mitbekommen. Er stand direkt hinter unserer Bank und Justins Blick ging immer wieder auch zu Mo.

„Das einfachste in dieser Situation, du kommst zu mir, sagst mir was dich bewegt und wir schaffen das aus der Welt. Denn für mich ist das schon lange aus dem Kopf gewesen.“

„Das sagst du so einfach. Es war nicht meine Absicht, dich anzugreifen oder gar zu kritisieren. Es tut mir wirklich leid.“

„Weißt du, was sich für mich dabei als schwierig darstellt? Dass du dich damit herumquälst und nicht zu mir kommst, um das zu klären. Du müsstest doch wissen, dass ich mit euch über alles reden kann. Du willst gleich ein Match gewinnen und hast den Kopf nicht frei. Wie soll das gehen? Gar nicht. Los, vergiss diese Situation, lerne etwas für dich daraus und hau deinen Gegner weg.“

Justin schaute mich mit großen Augen an und plötzlich machte er einen Schritt auf mich zu, umarmte mich und erwiderte lächelnd:

„Danke, ich glaube, ich habe es begriffen. Jetzt muss sich mein Gegner warm anziehen.“

Dann ging er zurück zum Balleimer, tauschte mit Maxi die Position und haute ihm direkt einige Asse um die Ohren. Mit einer Leichtigkeit, die mich immer wieder erstaunte.

Ich drehte mich zu Mo um.

„An dieser Stelle merkt man ganz deutlich, dass sie noch nicht erwachsen sind. Justin wäre mit diesem Problem im Kopf auf den Platz gegangen und hätte vermutlich ein schlechtes Spiel gemacht. Und dann erst im Anschluss in der Nachbesprechung davon erzählt. Kaum zu glauben, nach dieser gemeinsamen Zeit. Aber so ist es eben.“

„Das ist aber genau deine Stärke. Du kannst es ihm ansehen, dass er ein Problem hat. Und es gelingt dir, ihn sofort davon zu überzeugen es dir zu erzählen. Das macht euch als Team so gut.“

Eine halbe Stunde später saßen Mo und ich an Justins Platz. Maxi sollte sich vorbereiten. Fynn und Dustin saßen mit Lars und Zino hinter uns. Markus wollte gleich noch zu uns kommen.

Das Einzige was sich für uns verändert hatte, war die Rolle in der wir gesehen wurden. Heute waren wir die Favoriten und nicht die Außenseiter. Mal schauen, ob sich die Jungs auch damit zurechtfinden würden.

Justin machte einen sehr gelösten Eindruck. Als er den Platz betreten hatte, kam er mit seinem Gegner lachend auf den Court. Das Einschlagen wirkte sehr entspannt und locker. Jetzt waren zwei Spiele gelaufen und Justin führte direkt mit einem Break 2:0.

Ich saß auf meiner Bank und staunte über die Art und Weise wie locker und dennoch konzentriert Justin in diesem Match agierte. Er hatte seinen Gegner jederzeit unter Kontrolle und gewann den ersten Satz mit 6:1. Dennoch verließ Justin den Platz und hatte mir ein Zeichen gegeben, dass er mich sprechen wollte.

Sofort war ich nach dem Satzball aufgestanden und hatte mich zur Umkleide begeben. Justin erwartete mich bereits.

„Boah, das ist doch nicht normal. Ich kann ihn jederzeit kontrollieren. Wo ist der Haken in diesem Spiel? Ich verstehe es gerade nicht. Wir spielen die bereits zweite Runde.“

„Hahaha, du bist gut. Nein, im Ernst. Du bist so gut wie das Ergebnis es sagt. Denke nicht so viel an den Spielstand. Spiele einfach das Spiel weiter. Ich glaube nicht, dass er dir noch einmal gefährlich werden kann. Nur du selbst kannst dir noch gefährlich werden. Mittlerweile kannst du dieses Niveau stabil spielen, also beende es genauso. Weiter so.“

Mehr wollte ich gar nicht sagen. Ich hielt ihm meine Hand hin, er schlug ab und verschwand wieder zum Platz.

Als ich zurück auf die Zuschauerbank kam, waren Dustin, Fynn, Lars und Zino in einer lebendigen Unterhaltung. Ich hatte den Beginn nicht mitbekommen und nahm daher wieder neben Mo Platz.

„Maxi soll jetzt schon auf den Platz gehen. Das Spiel vor seinem Match wurde abgebrochen.“

Ich drehte mich um und Dustin fragte direkt hinterher:

„Soll einer von uns zu Maxi gehen oder gehst du und wir bleiben hier?“

„Gut mitgedacht. Ich würde es gut finden, wenn ihr geht. Ich möchte Justin bis zum Schluss begleiten.“

„Jau, dann machen wir uns auf den Weg zum Platz fünf. Du kommst nach wenn Justin fertig ist?“

„Genau, und wenn etwas sein sollte, kommt zu mir und dann sprechen wir das ab.“

Ich wendete mich wieder Justins Spiel zu und als die anderen Jungs verschwunden waren, fragte mich Mo:

„Können sie denn Maxi genauso gut helfen wie du? Ich dachte, Maxi hätte noch Trainingsrückstand. Braucht er dich als Trainer da nicht mehr denn je?“

„Ja und nein. Ja, er hat noch Trainingsrückstand und nein, weil ich auch eine Belastung für ihn sein kann. Er macht sich immer sehr viel Druck selbst. Wenn seine Freunde ihn zu Beginn ins Match begleiten, ist das vielleicht gar nicht verkehrt. Außerdem weiß er genau, dass ich nur an einem Platz sein kann.“

„Ich verstehe. Außerdem könnte es für die anderen doch auch eine gute Erfahrung sein, wenn sie sich gegenseitig helfen können und Erfolg haben.“

„Genau das ist auch meine Absicht dabei. Irgendwann werde ich nicht mehr da sein und sie wissen dann, sie können sich auch allein helfen.“

Justin hatte den zweiten Satz genauso begonnen wie er den ersten Satz beendet hatte. Ich konnte mich sogar ein wenig mehr mit Mo unterhalten als es sonst der Fall war.

Erst als das Ende des Matches nahte, richtete ich wieder meine ganze Aufmerksamkeit auf das Spiel.

Justin ließ nichts mehr anbrennen und gewann mit 6:1/6:2. Damit stand der erste meiner Jungs in der dritten Runde. Justin packte seine Tasche zusammen und verließ den Platz.

Für mich höchste Zeit ihn an der Umkleide abzufangen. Mo ging direkt zu Maxi an den Platz.

Als ich dort ankam, wunderte ich mich. Von Justin war noch nichts zu sehen. Erst einige Minuten später kam er lachend und kopfschüttelnd zu mir.

„Sorry Chris, aber da standen etwa zehn junge Mädchen aus einer Schulklasse. Die wollten alle ein Autogramm haben. Ich finde das total crazy. Aber ich kann ja nicht einfach weggehen.“

„Hahaha, guter Grund. Wer weiß, vielleicht ist ja auch da mal die passende für dich dabei.“

Ich zwinkerte ihm zu.

Grinsend antwortete er:

„Aber bitte im passenden Alter. Die waren mindestens zwei Jahre zu jung.“

„Okay, kann ich verstehen. Dann lass dir zuerst einmal gratulieren. Das war ein gutes Match und konzentriert fertig gespielt. So gefällt mir das. Aber ich bitte darum, jetzt nicht zu glauben, dass hier alles einfach ist. Bitte weiter fokussiert bleiben.“

„Ich weiß, aber du wirst schon aufpassen, dass keiner von uns auf komische Ideen kommt. Ich will aber auch hier viele Punkte machen. Also morgen wieder richtig loslegen und keine Gefangenen machen.“

Danach verschwand Justin in der Umkleide und ich machte mich auf den Weg zu Maxi.

Auf dem Weg dorthin kam mir Markus entgegen.

„Wie hat Justin gespielt?“, fragte er mich.

„Sehr gut und glatt gewonnen. Wie sieht es bei Maxi aus? Oder bist du nicht dort gewesen?“

„Ein ganz enges Spiel. Aber erschreck dich gleich nicht. Er hat fast alle Zuschauer auf seiner Seite. Meiner Meinung nach versucht er viel zu sehr auf Show zu spielen, anstatt den einfachen Punkt zu machen.“

„Ah ja, das kommt mir bekannt vor. Ich schau mal was ich tun muss. Sind die anderen Jungs am Platz?“

„Ja, und ich finde es toll wie sie Maxi unterstützen, aber sie trauen sich nicht, ihm auch mal eine klare Ansage zu machen.“

Ich nickte nur und beschleunigte meinen Schritt in Richtung Platz. Dort herrschte zwar Partystimmung, aber der Spielstand von 3:3 gefiel mir nicht so gut. Dennoch nahm ich ruhig neben meinen Jungs und Mo Platz.

„Ah, Gott sei Dank bist du endlich da. Maxi will wieder zaubern anstatt einfach den Punkt zu machen. Ich habe es schon ein paar Mal versucht mit ihm Kontakt aufzunehmen.“

„Aber? Reagiert er auf dich nicht oder merkt er mal wieder gar nichts?“, fragte ich bei Fynn nach.

„Er merkt eigentlich gar nichts, außer den Mädels, die drüben am Zaun stehen.“

Einerseits war ich sauer, aber andererseits musste ich auch lachen. Das war so typisch für Maxi. Mal wieder ins alte Verhalten gefallen.

Ich schaute mir noch zwei Spiele an und beim 4:4 stand ich auf und pfiff einmal laut und deutlich über den Platz. Maxi zuckte regelrecht zusammen und drehte sofort seinen Kopf in meine Richtung. Er hatte mich erkannt und bevor ich mich richtig einmischen würde, sollte er noch ein Spiel Zeit bekommen, sich zu sammeln. Beim nächsten Seitenwechsel würde ich dann aktiv eingreifen.

Mo staunte über meinen lauten Pfiff. Als ich mich wieder hingesetzt hatte, fragte er mich leise:

„Ich dachte das wäre verboten von außen in das Spiel einzugreifen. Bekommst du dafür keine Verwarnung?“

„Ich sowieso nicht, wenn dann Maxi als Spieler, hihihi. Aber hat mein Pfiff Maxi gegolten? Habe ich direkt in das Spielgeschehen eingegriffen?“

„Okay“, lachte Mo, „so langsam begreife ich, wie das funktioniert.“

„Genau Mo, Chris ist unsere Fernsteuerung und hat jederzeit alles im Griff. Nur wenn die Verbindung unterbrochen wurde, kann es passieren, dass Maxi die Richtung verliert.“

Dustin musste diesen Spaß loswerden, denn er grinste richtig fies. Fynn haute ihm dafür direkt mit dem Ellbogen in die Seite.

„Au, was soll das?“

„Du weißt genau, dass ich das nicht mag und Mo kennt uns noch nicht so gut. Wie sieht das denn wohl aus?“

Dustin schien zu realisieren, dass er ein wenig über das Ziel hinausgeschossen war. Daher herrschte schnell wieder Ruhe am Platz. Maxi gewann das Spiel zum 5:4 und erwartete nach dem Seitenwechsel den Aufschlag seines Gegners.

Innerhalb von drei Minuten war der Satz gelaufen. Maxi spielte unspektakulär den Punkt aus. Kein unüberlegter Schuss, sondern clever und wie vorher besprochen.

In der Satzpause saß mir Maxi genau gegenüber auf der anderen Seite des Platzes. Ich tippte mir nur leicht mit dem Zeigefinger an die Schläfe, da fing Maxi an zu lachen und machte mit der flachen Hand ein Zeichen, dass ich ruhig bleiben solle.

Ich bemühte mich, mich jetzt nicht aufzuregen und auf meinem Platz sitzen zu bleiben. Lars und Zino beobachteten mich die ganze Zeit, sagten aber keinen Ton.

Mo drehte sich zu mir und was dann folgte haute mich fast um.

„Du solltest dich jetzt nicht aufregen. Ich glaube nämlich, dass Maxi gerade gemerkt hat, dass er dich mit seinem Spiel tierisch verärgert hat und er jetzt wieder ernsthaft Tennis spielen wird. Also nimm erst diese Fassbrause und beruhige dich. Wenn er jetzt allerdings verlieren sollte, dann darfst du ihm gerne in den Allerwertesten treten.“

Das machte mich sprachlos. Wie kam Mo auf diesen Gedanken?

„Darf ich fragen, wie du auf diese Idee kommst? Ich meine, zuzutrauen wäre Maxi das. Allerdings hatte ich gedacht, dass er das mittlerweile abgestellt hätte.“

„Nun, er hat jederzeit die Punkte gemacht wenn er es musste. Allerdings hat er auch in den Aufschlagspielen seines Gegners deutlich weniger getan als bei seinen eigenen Spielen. Ich habe zu wenig Ahnung vom Tennis, um das genauer beurteilen zu können. Aber das ist mir aufgefallen.“

„Ich glaube, dass Mo nicht ganz falsch liegt. Maxi hat zwischendurch immer wieder mal gelächelt beim Seitenwechsel.“

Ich konnte es kaum glauben, was mir Dustin mitteilte.

„Du meinst ernsthaft, dass er mit seinem Gegner Spielchen treibt? In seiner jetzigen Situation? Nach dieser Pause? Das kann ich nicht glauben, dass er so ein arrogantes A….“

„Stopp, Chris. Du sollst dich nicht aufregen. Warte es ab und kläre es nach dem Spiel. Jetzt ist das nur schlecht für deinen Blutdruck, der vermutlich eh schon viel zu hoch ist.“

Ich schaute Mo an und konnte nicht anders als lachen.

„So gefällt mir das wieder besser. Du musst einfach gelassener werden.“

„Hahaha, sag das Maxi und meinen Jungs. Aber du hast schon recht. Ich kann es doch jetzt eh nicht klären. Hoffentlich hat Maxi es jetzt begriffen, was ich von seiner bisherigen Spielart halte.“

Innerlich kochte ich gerade vor Wut. Aber ich musste Mo zustimmen. Jetzt sollte ich mich auf das Match konzentrieren und hoffen, dass sich das Spiel besser entwickeln würde.

Nachdem Maxi das Break zum 2:0 gemacht hatte, machten sich auch die Fans auf der anderen Seite wieder bemerkbar. Zino und Lars wirkten sehr angespannt.

„Fynn, kannst du mir einen Gefallen tun? Geh bitte ins Clubhaus und hole für uns alle ein Eis. Ich brauche gerade etwas Nervennahrung.“

Fynn schaute mich fragend an, stand aber wortlos auf und ging. Natürlich ging Dustin auch mit und wie ich es erwartet hatte, folgten ihnen auch Lars und Zino.

„Ich glaube, Lars und Zino kennen diese angespannte Situation noch gar nicht. Sie denken bestimmt gerade, dass ich gleich explodiere. Hoffentlich werden ihnen Dustin und Fynn das jetzt erklären. Nicht dass sie Angst vor mir bekommen, weil ich gerade etwas angespannt bin.“

„Hihi, du hast das geschickt eingefädelt. Aber schau mal bitte zu Maxi. Er gibt dir gerade ein Zeichen.“

Beim Seitenwechsel zum 3:0 saß Maxi auf der Bank und winkte mich heran. Keine Ahnung was er jetzt von mir wollte. Ich lief direkt an den Zaun und Maxi kam zu mir. Er hatte sogar zuvor den Schiedsrichter gefragt.

„Was gibt es, Maxi?“

„Kannst du mir bitte einen Schläger von Justin besorgen? Ich habe nur noch den, den ich gerade in der Hand habe. Die anderen sind alle kaputtgegangen. Keine Ahnung wie das geht.“

„Klar, kein Problem. Mache ich.“

Ich wollte mich schon umdrehen, da kam von Maxi noch etwas Kleinlautes hinterher.

„Sorry, ich habe mich wohl nicht gut benommen mit meiner Spielerei. Ich erkläre dir das später, aber jetzt werde ich zusehen, dass ich schnell gewinne.“

Das machte mich sprachlos. Schnell lief ich zu Justin in die Umkleide und holte einen weiteren Schläger. Die beiden spielten genau das gleiche Modell und daher war das am Einfachsten.

Schnell stellte ich das Racket an die Bank und ging wieder auf die andere Seite. Dort hielt mir Fynn ein weißes Magnum entgegen und grinste.

„Hier, damit du uns nicht auffrisst oder deinen Zorn an uns auslässt.“

„Cool, danke. Aber ich hoffe, ihr habt Zino und Lars etwas aufgeklärt. Ich bin eigentlich nicht so böse wie das gerade wirkt.“

„Kein Problem. Wir kennen das ja mit Maxi, hihi. Aber du hast das auch wieder clever gemacht, indem du mich losgeschickt hast.“

„Ich bin ja auch nicht auf den Kopf gefallen“, erwiderte ich mit einem Augenzwinkern.

Gegenüber tobten die Mädchen bei jedem Punkt den Maxi machte. Was wohl passieren würde, wenn das Match zu Ende ist. Ich ahnte böses.

„Was mir gerade einfällt, Maxi hat Probleme mit seinen Saiten auf dem Schläger. Er hat enormen Verschleiß. Habt ihr alle die gleiche Saite auf dem Schläger?“

„Ja, warum? Wir haben unsere Schläger wie immer vorher alle neu besaiten lassen. Und natürlich spielen wir alle die gleiche Saite.“

„Ist die von derselben Rolle? Dann solltet ihr vielleicht eure Schläger nach dem Match von meiner Rolle neu besaiten lassen.“

Dustin und Fynn stutzten zwar, aber sie nickten auch. Ich war mir sicher, dass ich da nicht mehr hinterher sein musste. Sie würden nach dem Spiel ihre Schläger mit meiner Rolle, die ich immer sicherheitshalber dabei hatte, neu besaiten lassen.

Maxi führte im zweiten Satz deutlich. Und er zeigte gutes Tennis. Keine Mätzchen mehr und auch kein shakern mit den Mädchen am Rande. Was auch immer ihn geritten hatte, jetzt spielte er konzentriert und gewann am Ende glatt und auch deutlich.

Allerdings passierte genau das was ich geahnt hatte. Die Mädchen stürmten an die Bank und wollten von ihm Autogramme. Auch hier gab es einen Sicherheitsdienst der an jedem Platz mit zwei Personen vertreten war. Die sorgten dafür, dass niemand den Platz betrat, der kein Spieler war. Aber Maxi musste ja auch vom Platz kommen. Also gab er einige Autogramme und ließ sich fotografieren.

Dustin und Fynn hatten sich zum Aufwärmen aufgemacht. Zino und Lars waren entsprechend mit ihnen gegangen, da sie als Trainingspartner fungieren sollten.

Ich stand mit einem Grinsen im Gesicht auf der anderen Seite und beobachtete Maxis Versuche, schnell in die Umkleide zu kommen. Aber das sah nicht danach aus. Die Mädchen waren sehr hartnäckig.

Auch Mo schaute sich mit mir das Schauspiel an.

„Vielleicht sollte er eine Freundin vorschieben. Dann hat er ein Argument, dass er schnell weiter gehen muss.“

„Hahaha, das ist eine coole Idee. Schlag ihm das doch mal für später vor. Komm, wir gehen zu Fynn und Dustin. Maxi muss da jetzt durch. Er weiß, was zu tun ist.“

Mo hatte aber erneut eine andere Idee, die er mit mir umsetzen wollte.

„Bevor wir zu den Jungs gehen, verordne ich dir eine Pause bei einem Othello. Und keine Widerrede, du kommst mit ins Clubhaus. Außerdem wird uns dort sicher Maxi begegnen. Er hat auch unsere Glückwünsche verdient. Auch wenn er dich geärgert hat.“

„Jap, da hast du recht. Gratulieren sollte ich wirklich. Und einen Othello trinke ich mit dir auch gern.“

„Du bist lernfähig. Sehr schön. Dann komm. Ich lad dich ein.“

Im Clubhaus war reger Betrieb. Mo bat mich auf der Terrasse einen Tisch zu suchen. Er würde die Bestellung aufgeben.

Ich setzte mich in den Schatten und schaute mich um. Überall saßen Spieler mit ihren Trainern oder ihren Eltern. Es waren überwiegend junge Spieler. Das war bei einem Future durchaus normal.

Mo kam bald zu mir und wir warteten auf unsere Othellos. Immer wieder ertönte eine Lautsprecherdurchsage mit der nächsten Spielansetzung und dann kam auch die Spielansetzung von Fynn. Er sollte auf dem Centre Court spielen. Das hatte ich befürchtet, denn als Turniersieger von Leipzig, wollte sich der Lübecker Veranstalter das nicht nehmen lassen.

Hier waren die Rollen vertauscht und wir die Favoriten. Mal sehen wie sich Fynn damit zurechtfinden würde.

„Du bist schon wieder im nächsten Match“, intervenierte Mo.

„Nein, das nicht. Aber ich denke gerade an die neue Situation. Hier sind wir die Favoriten und die Jungs werden schon als neue Stars am Tennishorizont gesehen. Das gefällt mir nicht so gut. Aber ich kann es auch nicht ändern. Hoffentlich haben sie schon genug begriffen, dass sie das nicht aus der Bahn werfen wird.“

„Selbst wenn das passieren sollte, wirst du wissen wie du sie wieder auf die richtige Spur bringst. Aber ich bin mir sehr sicher, dass Fynn und Dustin nur auf ihr Spiel fokussiert sind. Mit Zino und Lars werden sie sogar etwas abgelenkt, was ich als Vorteil sehe. Justin wird hier ganz sicher vorwärts marschieren. Der Einzige, der vielleicht Probleme bekommt ist Maxi. Aber du wirst ihm gleich noch ein paar passende Worte mit auf den Weg geben. Also alles im grünen Bereich.“

Ich musste lachen. Mo hatte eine tolle Art, alles mit einem positiven Blick zu versehen. Jörg konnte das auch. Ich musste mir eingestehen, dass ich darin noch einiges zu verbessern hatte.

Ich genoss die wenigen ruhigen Minuten auf der Terrasse mit Mo. Aber ich freute mich auch auf das kommende Match. Justin kam kurz darauf zu uns an den Tisch.

„Fynn geht jetzt auf den Platz. Ich habe ihm sicherheitshalber meine Schläger mitgegeben. Hast du schon von deiner Saite was in Auftrag gegeben?“

„Verdammt, gut dass du mich erinnerst. Kannst du Maxi bitte sagen, er soll seine Schläger für morgen abgeben. Hier hast du die Rolle und dann sollen bitte alle Schläger von uns für morgen neu besaitet werden. Die Rechnung bezahle ich am Ende des Turnieres beim Saitenservice. Würdest du dich darum kümmern? Ich möchte zu Fynn an den Platz gehen.“

„Klar, mache ich. Kein Problem. Ich komme dann zu euch.“

Anschließend ging es für mich zu Fynn. Mo begleitete mich und ich freute mich schon auf den Abend am See. Obwohl heute erst zwei Spiele gespielt waren, spürte ich den Stress.

Fynn: Chris, der Fels in der Brandung

Endlich ging es jetzt los. Mein Gegner machte einen freundlichen Eindruck. Er war zweiundzwanzig und spielte in der 2.Bundesliga. Obwohl ich an Position eins gesetzt war, fühlte ich mich nicht als Favorit.

Beim Einschlagen spürte ich die Anspannung wieder. Vor allem, als ich mich umschaute und Chris nicht erspähen konnte. Mein Arm wurde hart und verkrampfte sich. Es fiel mir schwer, drei gleich gute Bälle ins Feld zu spielen.

Der Schiedsrichter gab das Kommando „zwei Minuten“. Also Aufschläge machen und dann mit dem Spiel beginnen. Das spulte ich schon automatisch ab. Gut fühlte ich mich aber gerade nicht.

Erst als Dustin hinter meiner Bank stand und mir noch ein paar aufmunternde Worte zuflüsterte, beruhigte sich mein Herzschlag etwas. Chris würde jeden Augenblick an den Platz kommen. Das hatte mir Dustin gesagt.

Als ich zum ersten Punkt Aufstellung nahm, hatte ich Chris entdeckt. Er saß mit Mo an seinem angestammten Platz. Jetzt konnte das Spiel beginnen.

Mein Gegner hatte sich für Aufschlag entschieden und begann direkt mit zwei Aufschlagpunkten. Ich hatte keine realistische Chance an diese Bälle zu kommen. Das verwunderte und beunruhigte mich etwas. Mit einem derart harten Aufschlag hatte ich nicht gerechnet.

Er gewann seinen Aufschlag und nach dem Seitenwechsel war ich mit aufschlagen an der Reihe.

Es war krass, denn mein Arm fühlte sich an wie Blei. Ich traf keinen ersten Aufschlag und hatte große Probleme in die Ballwechsel zu kommen. Die Konsequenz, gleich ein Break kassiert. Das war frustrierend. Wir hatten so gut trainiert und ich hatte mich gut gefühlt. Wie konnte in so kurzer Zeit das gute Gefühl verlorengehen?

Ich war wütend auf mich. Entsprechend schlecht spielte ich das nächste Spiel und schon stand es 0:3. Als ich auf der Bank saß, wollte ich mir am liebsten das Handtuch über den Kopf werfen, aber ich hatte mittlerweile begriffen, dass mir das nicht half. Also schaute ich fragend zu Chris.

Der saß entspannt neben Mo und gab mir ganz ruhig ein paar Hinweise. Sofort begriff ich was er von mir wollte. Einen Schritt weiter weg von der Grundlinie beim Return und versuchen mit längeren Ballwechseln ins Spiel zu finden. Alles ganz ruhig und aufmunternd.

Ich nahm mein Handtuch, ging wieder auf den Platz und konzentrierte mich neu. Erst einmal den Ball ins Spiel bringen und Rhythmus aufbauen.

Das erste Spiel zum 1:3 hatte ich gemacht. Ein kurzer Blick zu Chris. Der Daumen geht hoch und ein Nicken. Das ist so beruhigend, Chris da draußen sitzen zu haben. Das kann sich kein Mensch vorstellen, der nicht selbst Tennis spielt.

Mein Kopf beruhigte sich etwas und der Arm wurde lockerer. So konnte ich immer mehr den Ball dorthin spielen wo ich ihn hin haben wollte. Mein Gegner geriet damit unter Druck und machte deutlich mehr Fehler.

Mit jedem weiteren Spiel wurde ich wieder selbstbewusster und konnte druckvoller spielen. Bald hatte ich ein Break vor und das gab ich auch nicht mehr aus der Hand. Der erste Satz war mit 6:4 gewonnen. Ich entschied mich, den Platz kurz zu verlassen. Vielleicht konnte mir Chris noch mehr Hinweise geben und vor allem mein Selbstvertrauen stärken. Zufrieden war ich mit meinem Spiel überhaupt nicht.

Und Chris erwartete mich in der Umkleide bereits. Sogar mit einem Lächeln.

„Na, du verwirrtes Huhn. Hat dich noch einmal der schwere Arm heimgesucht? Aber du hast dich gut daraus befreit. Jetzt spiel einfach dein Spiel. Du bist deinem Gegner spielerisch überlegen und kannst das. Zeig es uns, dass du es kannst.“

„Ich weiß auch nicht…“

Weiter kam ich nicht.

„Nicht über das Gewesene jetzt nachdenken. Nur nach vorn schauen. Alles andere nach dem Match. Los, hau ihn weg. Ich glaube an dich und deine Fähigkeiten.“

Er hielt mir seine Hand hin. Ich schlug ab und mit einem frischen Shirt ging es wieder auf den Platz. Auf dem Weg dorthin gingen mir tausend Gedanken durch den Kopf, aber als ich zurück auf dem Platz stand, war der Kopf wieder klar.

Erst beim Seitenwechsel zum 3:0 hatte ich mich das erste Mal umgeschaut. Der Centre Court war gut gefüllt für ein Spiel in der Woche und am Nachmittag.

In den letzten Spielen konnte ich sogar das Anfeuern von den Tribünen wahrnehmen und auch genießen. Ein tolles Gefühl von den Leuten anerkannt zu werden.

Den zweiten Satz hatte ich bis zum 5:0 komplett unter Kontrolle. Dann saß ich erneut auf der Bank und Chris gab mir Zeichen, die ich nicht richtig zuordnen konnte. Er zeigte auf Dustin und dann wieder auf mich mit einer beruhigenden Handbewegung.

Dann machte es „Klick“ bei mir. Dustin musste jetzt als letzter auf den Platz gehen. Ich nickte kurz und schon kam das „Time“ vom Schiedsrichter.

Das war für mich zusätzliche Motivation hier schnell fertig zu werden. Leider schoss ich aber über das Ziel hinaus und wurde ungeduldig. Schnell stand es 5:2 und ich saß ärgerlich auf meiner Bank.

Chris hingegen saß auf der Tribüne, unterhielt sich ganz locker mit Mo, Lars und Zino. Markus war mittlerweile auch hinzugekommen.

Aber während ich noch den Gedanken nachhing, stand Chris auf und machte mir mit einer ganz bestimmten Geste deutlich, was er jetzt sehen wollte.

Er hatte natürlich meine Ungeduld sofort erkannt und forderte mehr Disziplin von mir. Zu Recht.

Also ging ich wieder auf den Platz und fuhr meinen Wutpegel deutlich herunter, spielte wieder ganz solides Tennis und gewann den Satz 6:2. Damit war ich auch in der dritten Runde. Erleichterung machte sich in meiner Brust breit.

Interessanterweise bildete sich am Ausgang sofort eine Menschentraube, die auf mich zu warten schien. Ich schaute nach oben zu Chris, aber die Plätze waren leer. Vermutlich war er direkt zu Dustin gewechselt.

Aber ich hatte mich geirrt. Plötzlich stand Chris am Ausgang des Platzes und schrieb bereits Autogramme. So musste ich nicht mehr so viele Karten oder Bälle beschreiben und war schnell in Richtung Umkleide verschwunden.

Woran Chris immer dachte, ich war erstaunt.

Erst als ich zum Auslaufen gehen wollte, kam er zu mir und gratulierte mit einer festen Umarmung.

„Glückwunsch, aber noch kann man dich nicht alleine spielen lassen. Du und deine Flausen im Kopf. Einmal einfach zu Ende spielen ist dir wohl zu einfach. Hahaha.“

War ja klar, dass ich für meine Fehler noch einen Spruch bekam. Allerdings konnte ich mich auch nicht beschweren, denn es stimmte ja, was Chris sagte.

Während des Auslaufens gingen meine Gedanken in Richtung Dustin. Hoffentlich würde er es besser auf die Kette bekommen als ich.

Eine halbe Stunde später und nach einem Interview für die Vereinszeitung des Veranstalters, saß ich bei meinem Schatz am Platz und konnte beruhigt zuschauen. Selbst Chris blieb sehr entspannt, denn Dustin hatte seinen Gegner komplett unter Kontrolle.

Es war allerdings schon ein wenig strange für mich: Vor wenigen Monaten wäre ich schon total happy gewesen, hätte ich in diesem Turnier die dritte Runde erreicht. Heute zählten wir zu den Favoriten und ich war längst nicht mehr so unsicher, ob ich gut genug sein würde.

Dennoch ärgerte ich mich über meinen Fehler in meinem Spiel. Anstatt der Marschroute konsequent zu folgen, wollte ich mit spektakulären Bällen glänzen und die Zuschauer beeindrucken. Ein Anfängerfehler. Ich hatte geglaubt, dass mir das nicht mehr passieren könnte. Irrtum. Darüber musste ich unbedingt mit Chris in der Nachbesprechung reden.

Ich hatte während des Spieles von Dustin sogar die Ruhe gehabt, meinen Eltern eine Nachricht zu schreiben. Während unserer längeren Reisen war meine Mutter immer in Sorge. Sie hatte Kitzbühel immer noch nicht ganz abgehakt.

„Kannst du für Dustin bitte zwei Schläger vom Saitenservice abholen? Die sollten jetzt fertig sein.“

Diese Frage ließ mich wieder in die Realität zurück kommen.

„Klar, kein Problem. Sind da noch mehr Schläger von uns? Dann kann ich ja mal fragen ob die auch schon fertig sind.“

„Von Justin sollten dort auch zwei liegen und Maxi hat auch zwei abgegeben.“

Der Weg war nicht weit und somit verpasste ich nicht viel von Dustins Spiel. Dustins Schläger waren fertig, aber die anderen würden bis morgen früh dauern. Allerdings bekam ich Probleme, die Schläger an Dustins Bank zu bringen. Ich hatte natürlich einen Teamanzug an und hätte den Weg zum Platz nicht rechtzeitig geschafft. Aber plötzlich kam ein Mann der Security zu mir und verschaffte mir den nötigen Platz. So kam ich genau in der Satzpause an der Bank an und konnte meinem Schatz sogar die Schläger in die Hand geben.

Dustin führte 6:2 und bedankte sich für den Lieferservice mit einem schnellen Kuss. Mitten auf dem Platz. Das überraschte mich und wohl auch das Publikum, denn es dauerte einen Augenblick, dann aber kam Applaus und sogar einige Pfiffe der Begeisterung waren zu hören. Vermutlich wurde ich knallrot im Gesicht. Aber es fühlte sich gut an. Mit einem wohligen Gefühl im Bauch nahm ich meinen Platz neben Chris wieder ein.

„Die anderen Schläger sind erst morgen früh fertig. Sie meinten, dass andere Schläger dringender gemacht werden müssten.“

„Ja, alles gut. Danke. Sag mal, ein Kuss während des Spiels? Das hatten wir noch nicht, oder?“

„Nein, aber ich fand es gut.“

„Ach? Das ist aber eine Überraschung, hihihi“, grinste Maxi.

„Aber viel cooler ist doch, dass die Zuschauer es auch lustig und positiv aufgenommen haben“, ergänzte Justin.

Mir war das Gerede darüber etwas unangenehm und war Chris dankbar für seine Bemerkung:

„Leute, etwas mehr Ruhe bitte. Die Jungs wollen weiterspielen und ich möchte das Spiel verfolgen.“

Schnell war unsere Konzentration wieder bei Dustins Match. Er spielte im Gegensatz zu mir souverän weiter und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Auch den zweiten Satz gestaltete mein Schatz einseitig für sich. Es dauerte keine dreißig Minuten bis Dustin den Matchball verwandelt hatte.

Ich freute mich genauso wie alle anderen aus dem Team. Sogar Chris klatschte noch recht lange nach dem letzten Punkt.

Plötzlich drehte er sich zu mir und fragte:

„Was ist? Willst du deinem Freund nicht angemessen gratulieren? Er hat ein grandioses Spiel gemacht. Los, zisch ab. Dustin wird dich unten am Platz erwarten.“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und rannte sofort los. Und tatsächlich wartete Dustin auf mich und strahlte, als er mich kommen sah. Die Umarmung fühlte sich toll an und es war mir egal, dass viele Leute um uns herum standen, als wir uns küssten.

Erst einige Minuten später, als ich schon wieder bei Chris und Mo stand, kam mir ein Gedanke an den nächsten Gegner und dass wir alle vier in der dritten Runde, also im Viertelfinale standen.

Mo nahm Chris nachdem es etwas ruhiger geworden war in Richtung Clubhaus mit. Wir Jungs standen etwas planlos auf der Tribüne. Lars meinte dann:

„Los, Leute. Wir sollten auch Dustin langsam mal gratulieren. Oder wollt ihr hier Wurzeln schlagen?“

Das war sicher ein guter Vorschlag und entsprechen schnell standen wir vor dem Spielereingang und warteten auf Dustin.

„Ihr habt euch mittlerweile zu den Hauptfavoriten gemacht. Alle vier im Viertelfinale. Und mindestens einer im Halbfinale“, freute sich Lars.

Nanu? Warum einer schon im Halbfinale? Lars schien bereits mehr zu wissen als wir.

„Wie kommst du darauf, dass bereits einer im Halbfinale steht? Hat jetzt schon jemand zurückgezogen?“, fragte ich Lars.

„Nein, aber Maxi und Dustin spielen gegeneinander. Daher wird einer von euch auf jeden Fall im Halbfinale stehen.“

Auf das Tableau hatte ich nicht geschaut. Ich empfand das als nicht so schön, denn ich war davon überzeugt, dass wir alle auch so ins Halbfinale kommen könnten. Aber so war es nun einmal. Besser Dustin spielte gegen Maxi als dass ich gegen meinen Schatz hätte spielen müssen.

Maxi schaute auch nicht begeistert. Zumal Dustin heute ein grandioses Spiel gezeigt hatte.

„Das finde ich total blöd, aber andererseits können wir dieses Spiel auch für Werbung in eigener Sache machen. Wir können den Leuten zeigen wie gut wir zusammenstehen. Auch wenn wir auf dem Platz gegeneinander spielen.“

Mehr wollte Dustin dazu nicht sagen. Er schaute mich dabei mit leuchtenden Augen an, aber ich hatte in diesem Augenblick keine Ahnung was er damit gemeint hatte. Er wollte lieber noch über das gerade gewonnene Spiel reden.

„Das ist echt krass wie cool Chris immer auf der Tribüne ist. Egal was passiert, er lässt dich spüren, dass er immer an dich glaubt. Das ist so geil. Und was macht er wenn das Match vorbei ist? Er geht einfach mit Mo ins Clubhaus als ob nichts passiert wäre.“

„Ja, Schatz. Da sagst du was. Das ist so unglaublich. Ich habe richtig scheiße angefangen und er bleibt ruhig und holt mich einfach wieder runter ohne mir den Kopf abzureißen. Wie man nur so ruhig bleiben kann ist mir ein Rätsel.“

„Er ist nur äußerlich ruhig und cool. Ich bin mir sehr sicher, dass ihn das mega viel Kraft kostet. Aber er weiß halt, dass es für uns Spieler eben wichtig ist, dass er alles unter Kontrolle hat. Oder denkst du, du hättest ohne Chris vorhin gewonnen?“

Ich schaute Justin überrascht an. Aber er hatte es auf den Punkt gebracht. Darüber habe ich heute nicht nachgedacht. Früher habe ich mich das häufiger gefragt. Es war für mich schon zu einer normalen Situation geworden. Das machte mir in diesem Moment ein ganz schlechtes Gewissen. Es war überhaupt nicht selbstverständlich, wie sich Chris für uns engagierte. Ich hatte deshalb gerade eine Idee, die ich mit den anderen noch besprechen wollte.

„Na ja, ganz bestimmt jedenfalls am Ende nicht so eindeutig.“

Dustin ging anschließend duschen und wir hatten eigentlich unser Tagewerk getan. Chris war mit Mo im Clubhaus und was sollten wir jetzt tun?

Maxi hatte eine Idee:

„Also wenn es so ist, dass ich gegen Dustin spielen muss, brauche ich meinen Gegner nicht mehr anzuschauen. Aber wir könnten doch mal am Turnierbüro vorbeischauen, ob noch ein Gegner von euch spielt. Das sollten wir uns dann anschauen.“

Justins Gegner spielte noch auf Platz zwei. Dort saßen wir wenige Minuten später und schauten uns das Match an. Von Chris keine Spur. Sonst schaute er sich auch immer die kommenden Gegner noch an, um uns besser vorbereiten zu können.

Wir unterhielten uns über das Spiel und schnell wurde klar, wer wohl der Gegner von Justin sein würde. Er hatte schon den ersten Satz gewonnen und führte mit einem Break im zweiten Satz.

„Das ist ein Gegner für Justin. Kein Defensivkünstler, sondern sehr aggressiv auf dem Platz. Geht häufig auch ans Netz. Das wird zumindest nicht langweilig, Justin.“

Maxi hatte es auf den Punkt gebracht. Allerdings sollte Justin dabei aufpassen, dass er nicht zu schnell spielen würde. Das Risiko musste unter Kontrolle bleiben.

„Aber allemal besser als ein Schubser, der mir den Ball fünfhundertmal zurückspielt. So macht das wenigstens Spaß.“

„Wie gut, dass Chris das nicht gehört hat. Du weißt doch, dass es ihm egal ist wie der Gegner spielt. Wer ein Turnier gewinnen will, muss jeden schlagen können.“

Mein Schatz hatte es auf den Punkt gebracht und ich musste lachen. Lars und Zino schauten die ganze Zeit schon etwas irritiert über unseren Umgang miteinander.

„Ihr müsst euch keine Sorgen machen. Wir kennen uns schon lange genug, da kommen Frotzeleien schon mal vor. Wenn hier jetzt ein paar Mädels wären, hätten sie mich als Ziel gewählt. Von daher bin ich froh, dass gerade keine da sind.“

In diesem Moment tauchten drei Mädchen bei uns auf und baten uns um ein Foto und Autogramme. Sie waren etwas jünger als wir, vielleicht so dreizehn. Lars und Zino schauten sich an und fingen laut an zu lachen und natürlich war das für Dustin und mich eine Steilvorlage und lachten mit. Es war einfach zu komisch.

Dafür handelten wir uns vom Schiedsrichter eine Ermahnung ein. Wir hatten natürlich damit das Spiel gestört.

Mit einem Handzeichen entschuldigten wir uns sofort und beruhigten uns umgehend.

„Kaum lässt man euch mal allein, schon sorgt ihr für Unruhe und Chaos.“

Ups, das war Chris Stimme hinter uns. Ich drehte mich um und erschrak etwas. Chris stand direkt hinter mir und schaute auf uns herab.

Die Mädchen mussten bis zum nächsten Seitenwechsel auf ihre Fotos warten und wir schauten wieder auf das Spiel. Chris blieb mit Mo und Markus hinter uns stehen. Ich konnte hören wie Chris mit Markus flüsterte:

„Kaum zu glauben, aber sie sitzen tatsächlich am Platz von dem Spiel, dass noch interessant für uns ist. Gefällt mir gut.“

„Ja, und mich beeindruckt ihre Geschlossenheit. Es ist nicht nur Justin hier, sondern alle gemeinsam schauen sich das an. Toll!“

Ein gutes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus. Schön, wenn Chris uns gegenüber anderen Personen lobt. Mein Schatz schien das ebenfalls mitbekommen zu haben, denn er nutzte das, um mir einen Kuss zu geben und flüsterte mir ins Ohr:

„Ich glaube, wir haben es richtig gemacht, hierher zu kommen. Hihi.“

Das hatten natürlich auch die drei Mädels mitbekommen. Sie schauten recht überrascht, aber blieben ruhig. Beim nächsten Seitenwechsel machten wir schnell ein paar Bilder und gaben jedem ein Autogramm. Dann hatten wir wieder unsere Ruhe.

Chris: Der nächste Tag kommt, aber erst morgen

Als ich an den Platz zwei kam, freute ich mich über die Tatsache, dass meine Truppe bereits komplett dort am Court saß und sich das Spiel des kommenden Gegners von Justin anschaute. Respekt! Ohne dass ich ein Wort gesagt hatte.

Nachdem klar wurde, wer Justins Gegner sein würde, nahm ich mir Justin als ersten an die Seite. Wir besprachen die Strategie für den nächsten Tag und die einzige Sache, die ich deutlich ansprach, war die Ungeduld von Justin. Er versprach mir, sehr darauf zu achten und sich nicht verleiten zu lassen, zu schnell die Entscheidung zu suchen.

Für Dustin und Maxi war die Vorbesprechung ebenfalls sehr kurz. Wie immer in solch einer Situation hielt ich mich aus dem Spiel heraus. Das sollten sie fair und offen austragen.

Allerdings musste ich mit Fynn schon etwas mehr ins Detail gehen. Sein Gegner war an Position sechs gesetzt und damit sicherlich kein Spaziergang. Aber Fynn war sehr aufmerksam und hörte mir genau zu. Plötzlich fragte er mich:

„Warum machst du eigentlich schon heute Abend mit jedem von uns die Vorbesprechung? Sonst machst du das doch lieber erst am Tag des Spieles.“

„Ich habe gedacht, dass es euch gar nicht auffällt. Aber gut, dann will ich es dir erklären. Ich möchte heute Abend mit Mo und jedem von euch, der Lust hat, in Ruhe am See sitzen und nicht mehr an Tennis denken müssen.“

„Das kann ich verstehen. Ich finde es übrigens gut, dass du mehr auf diese Dinge achtest. Wir brauchen dich fit und ausgeruht am Platz. Es ist einfach ein geiles Gefühl zu wissen, dass du auf mich aufpasst, wenn ich mal wieder Blödsinn auf dem Platz mache.“

„Hahaha, guter Spruch. Aber danke für die Blumen. Ich hoffe ja, dass ich das in Zukunft weniger oft machen muss. Hast du noch etwas oder können wir essen gehen?“

„Nein, für mich ist alles klar. Essen ist immer gut. Da bin ich sofort dabei. Essen wir hier oder fahren wir mit Mo irgendwo hin?“

„Nein, wir essen hier. Ich möchte mit Markus, Lars und Zino noch den morgigen Ablauf besprechen. Das machen wir vor dem gemeinsamen Essen, sollte der Spielplan für morgen schon stehen. Sonst nach dem Essen.“

Der Weg zum Clubhaus verlief ruhig und auch einmal ohne Fanbelagerung.

Wir bekamen einen großen Tisch und ich bat meine Truppe Platz zu nehmen. Markus fehlte noch mit seinen Jungs.

Als sie nach zehn Minuten immer noch nicht bei uns waren, stutzte ich etwas. Markus war eigentlich sehr zuverlässig.

Dann kam eines der Ballkinder zu uns an den Tisch. Es gab wohl ein Problem mit Zino und Lars und ich wurde gebeten, ins Turnierbüro zu kommen.

Also stand ich vom Tisch auf, sagte meinen Jungs ich würde gleich zurück sein und ging ins Turnierbüro. Dort allerdings herrschte ziemlicher Trubel. Es lag eine Spannung in der Luft und Lars und Zino saßen auf zwei Stühlen, Markus war in einer Diskussion mit dem Supervisor der ATP.

„Hi, was ist passiert?“, fragte ich Markus.

Der schaute zu mir und atmete tief aus.

„Ah, danke, dass du gekommen bist. Es hat einen Zwischenfall mit meinen beiden Jungs gegeben. Und jetzt will der Supervisor Lars und Zino vom Trainingsbetrieb ausschließen.“

„Äh, ja. Warum? Was haben sie gemacht?“

„Das weiß ich eben noch nicht so genau. Ich konnte noch nicht wirklich mit ihnen sprechen. Es war zuviel Trubel hier.“

Ich drehte mich um und ging zu den beiden sichtlich eingeschüchterten Jungs.

„Los, kommt mit. Wir gehen mal an die frische Luft. Da können wir in Ruhe reden.“

„Wir dürfen nicht gehen, hat man uns gesagt“, erwiderte Zino aufgeregt.

„Das werden wir ja sehen. Ihr kommt mit mir nach draußen. Los, raus hier.“

Ich verließ direkt das Turnierbüro obwohl mich der Supervisor zurückhalten wollte. Ich reagierte überhaupt nicht auf diesen Versuch.

„So, jetzt möchte ich von euch die Geschichte hören. Was ist passiert?“

Die beiden schauten sich an und nickten sich kurz zu, dann begann Lars zu erzählen.

„Wir standen ja mit euch bis zum Ende von Dustins Match am Platz. Als du gegangen warst, wurden wir von drei Typen aus unserem Verein angepöbelt. Sie meinten wir wären wohl genauso Schwuchteln wie die aus Halle. Und wir wären nur zu feige, es auch offen zuzugeben.“

„Wir wollten sofort weggehen, aber sie ließen uns nicht und stellten sich uns in den Weg. Da bekam ich Panik und habe den einen weggeschubst und sind dann weggelaufen“, ergänzte Zino.

„Okay, bis dahin alles richtig gemacht“, erwiderte ich, „was ist jetzt das Problem?“

Zino wurde sehr aufgeregt.

„Sie haben gesagt, wir hätten sie einfach angegriffen und den einen Typen verletzt.“

„Schwachsinn. Ich kenne euch zwar noch nicht lange, aber das traue ich euch nicht zu.“

„Sag das doch dem Supervisor. Der glaubt uns nicht. Und unser Jugendwart ist nicht mehr auf der Anlage.“

„Gut, kommt mit. Das klären wir jetzt. Ich glaube, da ist mal eine Ansage fällig.“

„Warte Chris. Da ist noch etwas, was du wissen solltest.“

„Ja, Zino. Was denn?“

„Ich habe mich eben zu einer Aussage provozieren lassen. Ich habe gesagt, dass Schwule genauso gut Tennis spielen können und dass wir endlich gleichgesinnte gefunden haben. Ich habe mit Lars gestern besprochen, dass wir mit dem Verstecken aufhören wollen. Aber ich habe Angst, jetzt einen Fehler gemacht zu haben. Lars hat noch nicht mit seinen Eltern darüber gesprochen, dass ich sein Freund bin.“

„Gefällt mir auch gut, dass ihr zu euch stehen wollt. Alles andere bekommen wir geregelt. Jetzt sind diese geistigen U-Boote erst einmal fällig.“

Ich drehte mich um und wollte schon wieder hineingehen, da fiel mir noch etwas ein und drehte mich zu den Jungs noch einmal um:

„Egal was gleich da drinnen passiert, ihr sagt nur etwas wenn ihr dazu aufgefordert werdet. Auch wenn ihr provoziert, angegriffen oder sonst etwas passiert. Ich werde mit Markus das aus der Welt schaffen. Verstanden?“

„Ja“, kam von beiden zurück.

„Gut, dann lasst uns wieder hinein gehen.“

Wir betraten erneut das Turnierbüro. Dort herrschte immer noch eine sehr angespannte Stimmung. Markus stand vor dem Tisch des Turnierdirektors, aber den Supervisor konnte ich nirgends sehen.

„So, jetzt können wir in Ruhe reden.“, sagte ich zu Markus und dem Turnierdirektor.

„Sehr gut, ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass ausgerechnet Lars und Zino die drei anderen angegriffen haben. Hast du neue Informationen?“

Ich berichtete beiden und machte deutlich, dass ich die anderen drei umgehend zu sprechen wünschte. Der Turnierdirektor erklärte uns, dass der Supervisor gerade mit den drei sprechen würde und wir uns etwas gedulden sollten.

Bevor ich mir über etwas anderes Gedanken machte, tauchte plötzlich Fynn bei uns auf.

„Kommst du klar oder sollen wir dich unterstützen“, fragte er mich mit ernstem Gesicht.

„Hey, danke der Nachfrage. Du könntest bitte den anderen drei sagen, dass ich hier noch etwas Zeit brauche. Macht euch keine Sorgen. Ihr könnt auch schon mal mit dem Essen beginnen, wir essen dann später.“

„Du spinnst wohl. Wir essen zusammen. Egal wie lange das hier dauert, aber eines sage ich dir schon einmal. Ganz viele im Clubhaus haben uns gesagt, dass sie hinter uns stehen. Überall wird über diese Sache geredet, aber fast nur positiv für Lars und Zino. Die Leute stehen hinter uns.“

„Danke, das wollte ich hören. Du kannst jetzt wieder zu den anderen gehen, sonst regt sich Dustin wieder zu sehr auf.“

„Hahaha, das tut er sowieso und von daher muss ich den eh wieder runterholen.“

Ich zwinkerte Fynn zu und dann verließ er den Raum.

Beim Hinausgehen begegnete er dem wieder hereinkommenden Supervisor. Fynn schaute nur einmal kurz und ging hinaus. Der Supervisor kam zu mir und wollte mit Lars und Zino sprechen.

„Das können Sie gerne machen, aber nur in meiner und Markus Begleitung.“

Er stutzte kurz, aber nickte dann nur einmal und bat uns ihm zu folgen.

In einem Nebenraum befragte er die beiden Jungs und sie erklärten ihre Lage genauso wie sie das mir gegenüber getan hatten. Der Supervisor erklärte uns dann, dass die Aussage der anderen dagegen stehen würde und er nicht sagen könne, wer die Wahrheit sagt. Daher würde er es bei einer Verwarnung für alle belassen. Er wies noch einmal auf den Verhaltenskodex hin und dann durften wir gehen.

Zufrieden war ich damit nicht, aber dass Lars und Zino sich wieder frei auf dem Turniergelände bewegen konnten, war erreicht.

„Warum hast du dich mit diesem Kompromiss zufrieden gegeben? Wir haben wirklich nichts von dem getan, was sie uns vorwerfen. Und was mache ich jetzt mit meinen Eltern?“

Lars war verständlicherweise noch aufgewühlt und auch wütend auf seine Vereinskameraden.

„Das ist der Punkt, der für mich jetzt noch wichtig ist, deine Eltern. Wissen sie denn schon, dass du schwul bist?“

„Ähm, also das ist etwas kompliziert“, kam etwas verlegen.

Zino sprang für ihn in die Bresche und ergänzte:

„Seiner Mutter hat er es erzählt, aber vor seinem Vater hat er mächtig Schiss. Außerdem ist der immer viel unterwegs wegen seiner Arbeit.“

„Na, das ist doch schon mal die halbe Miete. Ich schlage vor, du fragst deine Mutter ob sie nicht herkommen kann. Dann können wir gemeinsam mit ihr sprechen. Falls du das überhaupt möchtest.“

Lars schaute mich mit großen Augen an und antwortete:

„Das würdest du machen? Du würdest dir während des Turnieres für mich extra Zeit nehmen?“

„Natürlich, für diese Dinge muss immer Zeit sein. Egal was der Turnierplan sagt. Aber wir haben morgen genug Luft nach den Spielen.“

Wir kamen jetzt in den Clubraum wo Mo mit meinen Jungs, immer noch wartend, am Tisch saß. Dustin sprang förmlich vom Stuhl auf als er uns bemerkte. Er kam auf mich zu und überfiel mich gleich mit Fragen.

„Hey, mal ganz ruhig. Wir leben doch noch und Lars und Zino bleiben auch bei uns. Also alles im grünen Bereich. Jetzt wird erst einmal endlich gegessen. Los, hinsetzen und bestellen.“

Ich wollte so schnell wie möglich wieder zum Alltag zurück. Gerade für Lars war jetzt unsere Unterstützung wichtig. Markus musste noch mit dem Jungendwart telefonieren, um etwas zu klären, wollte dann aber auch zu uns kommen.

Wir hatten uns alle etwas ausgesucht und die Bestellung aufgeben, da kam Markus auch an den Tisch.

„So, jetzt für alle. Wir werden nichts an unserem Programm oder gar Verhalten verändern. Wir sind normal und diese Deppen sind diejenigen, die krank im Kopf sind. Eine kleine Info noch, was Lars und Zino betrifft. Lars ist nur bei seiner Mutter geoutet, sein Vater weiß davon noch nichts. Dass er mit Zino auch schon einen Partner an seiner Seite hat, das hat er seiner Mutter auch noch nicht erzählt. Da jetzt aber vermutlich einiges an Wirbel entstanden ist, sollten wir besonders bei ihm sein. Ich habe ihn gebeten, mit seiner Mutter zu sprechen und sie im Bedarfsfall morgen mit hierher zu bringen. Dann finden wir sicher Zeit, mit ihr und den beiden mal zu sprechen. Morgen ist für euch ein harter Tag und daher sollt ihr euch nicht vor dem Spiel mit dieser Geschichte beschäftigen. Gibt es bis hierher noch Fragen?“

„Ja, ich habe eine Frage. Dustin und ich haben schon über diese Geschichte gesprochen und wir möchten Lars anbieten, nach dem morgigen Spiel mit seiner Mutter, Zino und ihm zu sprechen und ihnen mal unsere Geschichte erzählen. Vielleicht hilft das deiner Mutter besser zu verstehen was diese Entscheidung für euch beide bedeutet. Die Entscheidung sich nicht mehr verstecken zu wollen.“

„Was ist jetzt deine Frage?“, wollte ich wissen.

„Na ja, wir spielen ein Turnier und wir wollen das nicht einfach ohne deine Zustimmung machen.“

„Hahaha, das ist gut. Also ganz klar, wenn Lars das möchte, macht das. Ich stehe da voll hinter euch. Für diese wichtigen Dinge wird immer Zeit zu finden sein. Ich würde daher vorschlagen, Lars und Zino, ihr seid bitte morgen um halb zehn auf der Anlage. Ich brauche euch zum Einschlagen für die Jungs. Morgen werden jeweils vier Viertelfinale parallel gespielt. Bekommt ihr das hin?“

Die beiden schauten sich an und Zino antwortete:

„Wir würden ja gerne mit euch trainieren, aber wir haben doch Schule. Es sind ja keine Ferien und da können wir nicht einfach nicht zur Schule gehen.“

Oh man, das hatte ich total aus den Augen verloren. Aber natürlich mussten sie in die Schule. Also musste ich anders planen. Aber auch kein großes Problem. Wir vereinbarten also, dass sie nach der Schule kommen sollten. Dann würden wir schauen, wie die Lage auf den Plätzen sein würde.

Markus hatte ich noch gefragt, ob er mir die drei Typen noch zeigen könnte. Ich wollte wissen, um wen es geht und bei wem ich morgen aufpassen musste.

Mo hatte ein tolles Gespür für meine Situation und meinen momentanen Stresslevel. Er lenkte das Gespräch sehr clever auf das Leben in der WG in Halle und er fragte Fynn, kurz bevor das Essen kam:

„Wie ist das jetzt für euch, dass Chris eine Wohnung auch in Halle hat? Fühlt ihr euch jetzt ständig beobachtet und kontrolliert?“

„Nee, das ist total cool, weil Chris jetzt viel weniger hin- und herfahren muss. Außerdem ist Chris auch vorher schon viel bei uns in der WG gewesen. Also ich habe überhaupt nicht das Gefühl, beobachtet zu werden. Jedenfalls nicht außerhalb des Platzes. Auf dem Platz muss Chris uns ja beobachten.“

Lars und Zino hörten diesem Gespräch sehr aufmerksam zu. Dustin stieg natürlich auf Fynns Aussage sofort ein.

„Ich habe es total toll gefunden, dass Chris sich entschieden hat nach Halle zu ziehen. Er hat sehr großen Anteil daran, dass ich heute hier bin und es mir gut geht. Ich kann immer mit meinen Problemen oder Fragen zu ihm gehen. Egal ob wir Training haben oder nicht. Auch hier regelt Chris immer noch viel für uns. Wir versuchen, nur unsere Tennissachen zu regeln und selbst das klappt noch nicht immer. Also ich sehe Chris nicht nur als Trainer, er ist für mich ein Vaterersatz. Und das finde ich toll.“

„Ja“, meldete sich Zino plötzlich zu Wort, „diese Betreuung auch außerhalb des Platzes macht Markus auch richtig toll. Er ist für uns immer ansprechbar. Auch für Dinge, die nichts mit Tennis zu tun haben.“

Jetzt wusste ich, warum mir Markus sofort sympathisch gewesen ist. Er arbeitete nach der gleichen Philosophie wie ich. Das würde in der weiteren Begleitung von Lars und Zino wichtig werden. Sollte es Probleme mit Lars Vater geben, wäre er da eine wichtige Unterstützung für die Jungs.

„Ich finde es ganz wichtig“, erklärte Mo, „was Chris mit seinen Jungs macht und vor allem wie er das tut. Ohne diese Begleitung auch außerhalb des Platzes wird es deutlich schwieriger sein, langfristig Erfolg zu haben. Gerade in dem Alter sind Bezugspersonen so eminent wichtig. Als ich Chris durch seine Geschichten kennengelernt habe, war ich fasziniert von seiner Art, Dinge zu beschreiben. Ich habe erst viel später begriffen, wie viel von dem Geschriebenen in den Geschichten sehr nahe an der Realität ist.“

„Geschichten? Was für Geschichten denn?“, fragte Lars.

Ohje, dachte ich. Das könnte jetzt eine längere Geschichte werden. Ich wollte eigentlich nur noch in Ruhe essen.

Fynn erwiderte:

„Kennt ihr die Seite „Nickstories“? Dort stehen Geschichten von ihm.“

„Was? Jetzt im Ernst? Du schreibst auf Nickstories? Wie geil ist das denn.“

In diesem Augenblick kam glücklicherweise unser Essen. Hoffentlich würden wir nach dem Essen bald nach Bäk aufbrechen. Mein Akku leerte sich zusehends.

Während des Essens spürte ich aufkommende Kopfschmerzen. Das kam sehr selten vor, aber ich wusste auch, dass war ein Warnsignal.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mich Mo beobachtete. Er sagte aber nichts.

Als alle fertig mit dem Essen waren, bat ich um die Rechnung. Die Bedienung kam an unseren Tisch und fragte:

„Alles zusammen oder getrennte Rechnungen?“

„Zusammen und bitte mit Karte“, antwortete ich.

Markus schien überrascht, Lars und Zino waren irritiert.

„Leute, das ist doch wohl selbstverständlich. Ihr opfert eure Zeit, um mich zu unterstützen. Das Einschlagen ist für meine Jungs sehr wichtig. Da kann ich das mal machen.“

Sie bedankten sich und bevor sich die Jungs wieder auf die Nickstories Geschichten besannen, bat ich um Aufbruch. Ich bekam allerdings noch mit, dass sich die Jungs für den nächsten Tag verabredeten, um über meine Geschichten zu sprechen. Anscheinend kannten Lars und Zino Nickstories bereits bestens.

Auf der Fahrt nach Bäk wurden meine Kopfschmerzen deutlich stärker. Hinten war schnell Ruhe eingekehrt und Mo und ich konnten leise und ungestört miteinander reden.

„Du bist gerade nicht in bester Verfassung“, merkte Mo an.

„Wie kannst du das immer so schnell bemerken. Ja, ich habe Kopfschmerzen und fühle mich müde.“

„Ist das ein Wunder? Nach so einem Tagesprogramm wäre ich auch total erschöpft. Und die Kopfschmerzen sind auch ein klares Anzeichen, dass du Ruhe benötigst. Ich finde, du hast heute wieder viel bewegt. Gerade für Lars und Zino und die Matches der Jungs waren ja auch nicht ohne. Also jetzt noch einmal zwanzig Minuten konzentrieren, danach hast du für heute Feierabend.“

„Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Feierabend ist für mich auf einer Turnierreise eher ein Fremdwort. Aber ich freue mich auf die Ruhe am See. Vielleicht können wir uns gleich noch etwas ans Wasser setzen.“

„Ganz bestimmt werden wir das noch machen. Und ich werde dafür sorgen, dass du nicht mehr an Tennis denken wirst. Deine Jungs können zur Entspannung im See noch eine Runde schwimmen gehen und wir werden in Ruhe eine Feierabendfassbrause trinken.“

Darauf freute ich mich wirklich. In Ruhe mit Mo am Wasser zu sitzen, eine Fassbrause zu trinken und über andere Themen als Tennis zu sprechen.

Die Fahrt nach Bäk verlief ohne Probleme und tatsächlich musste ich meine Jungs sogar wecken als ich den Bulli auf dem Parkplatz im Garten abgestellt hatte.

Die vier nahmen ihre Taschen und wollten schon in Richtung Hütte marschieren, da meinte Mo:

„Habt ihr genug Sachen zum Anziehen morgen oder sollen wir noch eine Maschine anstellen?“

Sie schauten sich an und Justin antwortete:

„Wir hängen unsere nassen Sachen unten auf und morgen wäre es vielleicht gut, eine Waschmaschine machen zu können. Dann lohnt sich das.“

„Ein guter Plan. Mo und ich werden uns gleich unten ans Wasser setzen mit einer Fassbrause. Wenn ihr möchtet, dürft ihr gerne dazukommen.“

Sie nickten und marschierten den Weg Richtung Hütte los. Mo und ich gingen in sein Appartement. Ich brauchte etwas Luft zum Atmen ohne die Jungs.

„Möchtest du gleich eine Fassbrause oder nehmen wir vorher einen Othello?“

„Du hast immer gute Ideen, Mo. Lass uns erst einen Othello trinken bevor wir ans Wasser gehen.“

Mo ging in die Küche und bereitete den Othello zu, während ich über die Terrasse Richtung See blickte. Bislang lief auch Lübeck hervorragend. Ich wartete immer noch auf den Haken an dieser Reise. Allerdings hatte ich Mo nicht bemerkt, der mittlerweile mit den Kaffeebechern in der Hand neben mir stand.

„Na, ganz weit weg mit den Gedanken?“

„Naja, kommt darauf an. Ich denke gerade wie gut bislang Lübeck für uns läuft und die Jungs wieder auf dem Weg sind, viele Punkte zu ergattern und sich weiter in der Rangliste zu verbessern.“

„Ja, läuft gut momentan. Deine gute Arbeit zahlt sich aus. Deine Truppe ist auch viel selbstbewusster geworden. So langsam werden sie erwachsen und finden sich in der Welt des Tennis zurecht. Mir gefällt insbesondere Dustins Entwicklung extrem gut. Seit unserer ersten Begegnung hat sich viel bei ihm getan. Sehr schön.“

Mo reichte mir einen Becher und wir genossen den Othello und schauten Richtung Sonnenuntergang. Die Sonne stand noch am Himmel, aber der Horizont bekam schon eine rötliche Färbung.

„Wie lange bleibt es noch hell?“, fragte ich.

„Etwa eine dreiviertel Stunde gibt es fürs Schwimmen noch genug Licht. Danach sollte man wieder aus dem Wasser sein.

Aber du gehst nicht sofort runter zu den Jungs. Wir trinken in Ruhe den Othello und gehen dann zu ihnen und schlagen ihnen das Schwimmen vor.“

„Aber es wird doch schon dunkel. Oder reicht das dennoch?“

Mo gab darauf keine Antwort mehr, er blieb einfach ruhig neben mir stehen und wir schauten gemeinsam zum See hinunter.

Diese Ruhe, aber gleichzeitig auch die Bestimmtheit, die Mo ausstrahlte war faszinierend. Mein Puls beruhigte sich schnell und keine Gedanken mehr an Tennis waren in meinem Kopf. Der Othello weckte meine Lebensgeister wieder und als er mir den leeren Becher abnahm, drückte er mir eine Fassbrause in die Hand.

Wenige Augenblicke später waren wir auf dem Weg ans Wasser. Wir kamen auf die Terrasse am Gartenhaus und die Jungs saßen bereits dort.

„Wenn ihr mögt, könnt ihr eine Runde im See schwimmen gehen“, schlug Mo vor.

Verdutzt schauten sie ihn an.

„Echt? Ich dachte das wäre verboten“, erwiderte Dustin.

„Nein, schwimmen ist erlaubt. Aber mit einem Motorboot auf den See zu fahren ist nicht erlaubt. Außer DLRG und Wasserschutzpolizei fährt nur ein Schiff über den See. Das macht Rundfahrten über den 17 Km langen See. Ansonsten dürfen nur Boote mit E-Motor den See befahren.“

„Cool, dann lasst uns eine Runde schwimmen gehen“, meinte Fynn euphorisch.

Die Jungs sprangen förmlich aus ihren Stühlen.

„Stopp“, rief ich bestimmt.

Alle Köpfe drehten sich zu mir. Auch Mo schien erstaunt.

„Nur zwanzig Minuten lockeres Schwimmen. Kein Wettkampfschwimmen oder übermäßiges Toben und nicht länger, ihr seid sonst morgen schlapp in der Muskulatur.“

Damit hatte ich sie entlassen und sehr schnell tauchte einer nach dem anderen in Badeshorts wieder aus dem Haus auf. Mo und ich hatten unsere Ruhe, nachdem die vier Jungs vom Bootssteg aus hinter dem Schilfgürtel im Wasser verschwunden waren.

Fynn: Schwimmen im See ist toll

Das Wasser war richtig warm und der See am Ufer flach und klar. Dustin und ich schwammen einfach ein paar Meter vom Ufer weg, während Justin und Maxi eher im Uferbereich herumtollten.

Wir standen bis zum Hals im Wasser. Plötzlich spürte ich eine Hand an meiner Hose und zuckte etwas zusammen.

„Hey, was sollen die anderen von uns denken?“

„Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, Justin und Maxi sind dort vorn und wir stehen im Wasser.“

Dustin grinste nur und natürlich machte er unter Wasser mit den Streicheleinheiten an meiner mittlerweile steinharten Männlichkeit weiter. Mein Puls stieg schlagartig an und auch meine Hände gingen auf Wanderschaft. Dustin blieb neben mir stehen und schloss seine Augen. Er atmete tief und ich wurde richtig rattig durch seine Stimulation.

Es dauerte nur wenige Minuten bis ich hemmungslos in die Badeshorts und damit ins Wasser abspritzte. Das war einfach nur geil. Dustin hatte seinen Höhepunkt nur Momente später. Wir schauten uns an und Dustin begann plötzlich zu lachen und meinte:

„Das war jetzt richtig gut. Wir sollten das viel häufiger nutzen.“

„Lustmolch“, erwiderte ich prustend.

Danach schubste ich meinen Freund und er ging für einen Augenblick unter Wasser, weil der Uferbereich nun doch recht steil abfiel. Immerhin sollte der See bis zu 27 Meter tief sein. Spritzend mit Wasser tauchte Dustin wieder auf und zog mich gleichzeitig unter die Wasseroberfläche.

Mit unserem Getobe hatten wir natürlich die anderen auf uns aufmerksam gemacht. Schnell waren sie bei uns und ein wildes Planschen begann. Wir verloren die Zeit aus den Augen. Erst als wir die Stimme von Chris hörten und er winkend am Steg stand, bemerkten wir unsere längst abgelaufene Zeit.

Schnell schwammen wir zurück und stiegen aus dem Wasser. Chris wirkte nicht sonderlich begeistert, aber er sagte nichts als wir ins Haus gingen. Mo blieb die ganze Zeit ruhig auf der Terrasse sitzen. Allerdings beobachtete er uns genau und Chris setzte sich wieder zu ihm an den Tisch als ich die Tür hinter mir zuzog.

„Fuck, das ist wohl richtig in die Hose gegangen“, stöhnte Justin.

Zuerst habe ich fast lachen müssen, denn diese Bemerkung hätten wir auch ganz anders auffassen können.

„Ähm, ja. Das ist wohl richtig. Da dürfte es wohl gleich ein Donnerwetter geben. Aber wir haben es verbockt, also müssen wir das auch ausbaden. Trotzdem war das toll im Wasser zu schwimmen und mal den Kopf komplett frei machen zu können.“

„Nur den Kopf?“, grinste Justin frech.

Jetzt schnellte mein Puls richtig nach oben und Dustin schaute mich genauso entsetzt an.

„Wieso?“, fragte ich scheinheilig.

„Komm, du willst mir doch jetzt nicht erzählen, dass ihr vorhin im Wasser nicht euren Spaß hattet. Ich kann es sogar verstehen, bei diesem straffen Programm.“

Ich entschied mich, die Flucht nach vorn anzutreten.

„Ja, es hat viel Spaß gemacht. Allerdings hatten wir gedacht, dass ihr nichts davon mitbekommen würdet. Wir wollten euch nicht …“

„Lass gut sein, Fynn. Wir kennen uns schon so lange und ich finde es cool, dass ihr nicht mehr so ängstlich seid. Wir werden es für uns behalten und gut ist. Jetzt lasst uns aber schnell zu Mo und Chris gehen, sonst wird das Gewitter noch heftiger, dass gleich über uns hereinbrechen wird.“

Mit einem flauen Gefühl im Magen betraten wir vier die Terrasse. Mo war anscheinend gerade nach oben ins Haus gegangen. Chris saß jedenfalls allein am Tisch. Er schaute uns an, sagte aber immer noch nichts. Ich überlegte einen Augenblick und dann machte es 'Klick' bei mir. Ich erinnerte mich an ein Gespräch mit Chris, das schon länger zurück lag.

„Da die anderen nichts sagen wollen, möchte ich dir etwas zu der Sache von eben sagen. Ich habe mit Dustin das Wasser genossen und ganz ehrlich, es tut mir auch leid, dass wir die Zeit nicht beachtet haben. Aber diese Minuten im Wasser waren so herrlich, ich habe sie total genossen und zum Ende des Tages nicht mehr an Tennis gedacht.“

Die Gesichter der anderen erstarrten förmlich, als ich das gesagt hatte. Chris schaute mir ins Gesicht. Es war immer noch keine Regung zu erkennen. Das machte mich nervös und Dustin fehlte mir an meiner Seite, aber ich hatte das gesagt und stand auch dazu.

Plötzlich begann Chris zu lachen und klatschte laut Beifall.

„Wow! Das gefällt mir richtig gut, Fynn. Es ist nur so, dass zu viel Wasser einfach schlecht für die Muskulatur ist. Also einigen wir uns darauf, in Zukunft ist während eines Turnieres die Performance vorrangig, aber ihr sollt durchaus auch auf euer Wohlbefinden achten. Wenn ihr mit mir das im Vorfeld kommuniziert, dann können wir ganz sicher solche Situationen viel harmonischer klären.“

„Danke für dein Verständnis. Wir wollen ganz bestimmt alles für den Erfolg tun, aber die Minuten im See waren herrlich entspannend. Also was machen wir jetzt?“, fragte ich.

„Nichts. Nehmt euch jeder ein Sitzpolster und setzt euch zu uns. Oder wer schon ins Bett möchte, kann natürlich auch schon schlafen gehen.“

Mo kam gerade mit einem Korb voller Fassbrauseflaschen um die Ecke und stellte diesen auf den Tisch.

Diese Runde wurde noch richtig lustig und als wir gegen halb zwölf in unsere Betten stiegen, ging mir einiges noch durch den Kopf.

Auch Dustin hatte noch Redebedarf.

„Was hatte dich vorhin eigentlich geritten, so eine Ansage zu machen, anstatt kleine Brötchen zu backen? Ich hätte mich das niemals getraut zu sagen.“

„Ja, das hatte ich anfangs auch nicht vor, aber dann erinnerte ich mich an ein Gespräch mit Chris. Da hatte er mir geraten, immer für das mir Wichtige einzustehen und auch klar zu sagen, warum ich etwas getan hatte. Ich war total überzeugt, dass ich es in diesem Moment genau so gewollt hatte. Diese Minuten im Wasser unbeschwert herumzutollen war es mir wert, auch eine Anweisung von Chris nicht so streng zu beachten. Was würde denn schlimmstenfalles passieren können? Wir würden morgen nicht gut spielen und uns damit selbst bestrafen. Wenn das so sein sollte, würde ich beim nächsten Mal besser abwägen, ob es sich lohnt.“

Das Zimmer war bereits dunkel und ich konnte hören wie Dustin tief ausatmete.

„Boah, das ist dir alles durch den Kopf gegangen? Da wäre ich nie drauf gekommen.“

„Aber dir hat es doch gefallen im Wasser? Also warum nicht für die Sache einstehen?“

„Ja, sicher hat mir das gefallen, aber Chris muss auch Jan gegenüber Resultate abliefern. Wir können nicht einfach seine Anweisungen übergehen.“

„Tun wir ja auch nicht. Wir wären auch schön blöd, weil Chris uns damit ja nicht ärgern will. Aber heute wollte ich einfach die Zeit mit dir im Wasser genießen. Beim nächsten Mal wird das vermutlich anders sein und ich werde Chris Anweisung wie immer befolgen.“

„Das wäre für uns vermutlich besser.“

Dann kuschelte sich Dustin ganz eng an mich und diese Nähe forderte geradezu noch eine lustvolle halbe Stunde, bevor wir dann entspannt und glücklich einschliefen.

Am nächsten Morgen spürte ich allerdings genau das wovor uns Chris gewarnt hatte. Meine Beine fühlten sich matt an. Auch im Oberkörper hatte ich das Gefühl keinerlei Spannung aufbauen zu können. Kein guter Start in den Tag, wenn man ein Viertelfinale spielen muss. Aber vielleicht war ich ja auch der Einzige, dem es so erging. Leider stellte sich das als falsche Hoffnung heraus. Auch Justin und Maxi machten keinen frischen Eindruck als wir uns in der klaren Morgenluft auf dem Rasen trafen. Eine etwas gedrückte Stimmung breitete sich aus, als wir über den Rasen zum Frühstück liefen. Aber keiner sagte ein Wort. Als wir an unserem Teambus vorbeigingen, fragte Maxi:

„Wie fühlt ihr euch heute? Bei mir ist es so als ob ich gestern gesoffen hätte. Total schlapp und träge.“

„Jaja“, erwiderte Justin, „wir haben es wohl so gewollt. Wir hätten ja auf Chris hören können, dann wäre es nicht so wie es ist.“

„Aber es ist so wie es ist und wir sollten etwas dagegen machen. Wenn wir uns gehen lassen, machen wir uns Chris gegenüber richtig lächerlich. Er weiß eh, dass wir uns so fühlen. Seine Warnung war eindeutig.“

Dustin hatte ins Schwarze getroffen. Wir mussten schnell wach und vor allem fit für das Viertelfinale werden.

„Wir sollten vor dem Frühstück eine Runde laufen gehen. Das bringt eventuell den Kreislauf in Wallungen.“

Alle Augen richteten sich auf Maxi. Ausgerechnet unser Laufmuffel schlug das vor. Krass.

„Wer sagt Chris Bescheid?“

Alle schauten sich an bis Maxi meinte:

„Ich will das wohl machen. Wann sind wir zurück? In zwanzig Minuten. Wir müssen ja auch trockene Sachen anziehen bevor wir zum Frühstück gehen.“

Damit waren wir einverstanden und als Maxi wieder aus Mos Wohnung kam, trabten wir los.

Es dauerte nur wenige Meter bis ich spürte, dass sich mein Körper wieder besser anfühlte. Das war selbst nach so langer Zeit noch ein wichtiges Erlebnis für mich, wie sensibel mein Organismus auf diese äußeren Einflüsse reagierte. Und Chris hatte uns klar vorgewarnt.

Als wir zurück auf dem Grundstück waren, beeilten wir uns zum Frühstück zu kommen. Erstaunlicherweise hatten Mo und Chris auf uns gewartet. Sie hatten nicht allein gegessen.

„Na, seid ihr jetzt wieder gut drauf? Setzt euch bitte. Die Brötchen werden sonst kalt. Mo hat mit dem Aufbacken extra gewartet.“

„Danke, Chris. Und danke Mo für euer Verständnis. Ich habe heute wieder viel gelernt, auch wenn ich gestern die Zeit im Wasser nicht missen möchte. Aber ich würde es heute anders machen und es tut mir echt leid, dass ich gestern so barsch zu dir war.“

Chris schaute mich an und wieder kam ein Lächeln in sein Gesicht.

„Passt schon. Ihr seid eben ein spezieller Haufen und ich muss auch akzeptieren, dass ihr eben nicht alles einfach von mir übernehmen wollt. Wenn euch heute Morgen dann das Licht aufgegangen ist, dann ist es doch gut. Jetzt lasst uns das abhaken und nach vorn auf das Viertelfinale schauen. Ihr könnt hier noch viel erreichen. Und eines sei euch jetzt schon versprochen. Wasserspiele werden danach nicht zu kurz kommen. Wir werden auf jeden Fall einen Tag länger hier sein, als der letzte im Turnier ist.“

Kaum zu glauben, anstatt uns richtig rund zu machen, blieb er gelassen und spornte uns einfach noch weiter an.

Während des Frühstücks wurde wenig gesprochen. Alle hingen ihren Gedanken nach. Ich musste heute als erster auf den Platz gehen und war im Kopf bereits mit meinem Gegner beschäftigt.

Chris riss mich plötzlich aus meinen Gedanken.

„Ihr kennt euren Ablauf. Fynn beginnt heute und erst in der zweiten Spielrunde gehen die anderen auf den Platz. Zum Spiel von Dustin und Maxi sage ich nichts mehr. Ich werde das ganze Match von Justin begleiten. Dustin und Maxi können heute allein spielen. Nur wenn etwas besonderes sein sollte, bitte ich Fynn mich zu informieren. Der sollte bis dahin mit seinem Spiel abgeschlossen haben. Habt ihr noch Fragen zum Ablauf?“

„Ja“, meldete sich mein Schatz, „werden Lars und Zino uns zum Einschlagen zur Verfügung stehen?“

„Wenn ihr nicht zu früh auf den Platz müsst, ja. Sie haben ja erst noch Schule.“

Damit war das auch geklärt. Chris informierte uns noch, dass Mo erst später nach Lübeck kommen würde, falls es sich noch lohnte. Sonst würden wir uns erst heute Abend wieder hier treffen. Ich fand das schade, aber auch vollkommen nachvollziehbar. Mo hatte uns schließlich das Quartier ermöglicht, aber er hatte keine Verpflichtungen bei uns. Allerdings konnten wir deutlich spüren, dass Mo für Chris eine ganz wichtige Rolle spielte. Nicht nur wegen seiner Stories. Das war uns hier klar geworden.

Zwei Stunden später auf der Anlage in Lübeck herrschte bereits reger Spielbetrieb und ich hatte gerade mein Aufwärmprogramm beendet.

Mein Spiel war auf dem Centre Court angesetzt. Dort fand aber noch ein Spiel der Doppelkonkurrenz statt. Also musste ich noch etwas warten. Chris hatte mir bereits die letzten Hinweise gegeben und war noch zur Toilette.

Dustin und ich standen am Eingang zum Center Court.

„Bist du sehr aufgeregt?“, fragte mich mein Schatz.

„Es geht. Es fühlt sich nicht mehr so schlimm an wie noch vor acht Wochen. Aber mal sehen wie das gleich auf dem Platz wird. Heute bin ich nicht mehr der Außenseiter, heute bin ich Favorit und muss gewinnen.“

„Halt, du musst gar nicht gewinnen. Das ist doch Unsinn. Du machst ein gutes Spiel und dann schauen wir wie das Ergebnis aussieht.“

Dustin hatte mich wieder voll erwischt.

„Jajaja, du hörst dich schon genauso an wie Chris. Allerdings muss ich dir zustimmen. Ich sollte das noch besser verinnerlichen, dass es nicht vordergründig um's Gewinnen geht. Es geht um gute Leistungen. Wie gut, dass ich dich an meiner Seite habe.“

Als Dank zog ich meinen Freund an mich und wir küssten uns innig.

„Fällt das nicht unter Doping?“, hörten wir eine fremde Stimme dicht hinter uns.

Etwas erschrocken trennten wir uns schnell voneinander und bemerkten erst jetzt, dass eine ganze Traube Jugendlicher um uns herum stand, die mit ihren Smartphones Bilder schossen und wir ganz schön dumm aus der Wäsche schauten. Nach der Schrecksekunde klatschten sie dann aber und gaben mir für das Spiel gute Wünsche mit. Ein schönes Gefühl. Erst recht als ein Junge mir zurief:

„Lasst euch von den homophoben Deppen nicht provozieren. Die Mehrheit steht hinter euch.“

Leider konnte ich nicht ausmachen wer das gerufen hatte, aber es tat gut so etwas zu hören.

Wenige Momente später wurden mein Gegner und ich für den Center Court angekündigt. Mein Puls stieg schlagartig an und ich verabschiedete mich von Dustin. Dann betrat ich mit meiner Tasche den Platz.

Die Platzcrew bereitete den Platz noch vor, als ich die Tasche an meiner Bank abstellte. Der Schiedsrichter wartete bereits und bevor ich meine Sachen aus der Tasche nahm, begrüßte ich unseren Stuhlschiedsrichter. Er war nicht viel älter als ich und recht locker. Wir wechselten ein paar freundliche Worte und dann traf auch mein Gegner ein.

Ich griff meinen Schläger und stellte mich am Netz zur Platzwahl auf. Dann kam mein Gegner mit dem Schiedsrichter hinzu und es wurde die Münze geworfen.

Wir gaben uns die Hand und dann ging es auch schon los. Ich hatte die Wahl verloren und mein Gegner hatte sich für Rückschlag entschieden. Ein schneller Blick noch zu Chris Position. Sehr schön, er war bereits da und nickte mir aufmunternd zu.

Dustin saß mit Maxi gemeinsam neben Chris. Das gab mir einen großen Schub. Sie spielten gleich gegeneinander, saßen aber dennoch unmittelbar vorher nebeneinander und unterstützten mich.Das fühlte sich gut an. Wir waren einfach ein tolles Team.

Schon beim Einschlagen legte sich meine Nervosität. Als das „zwei Minuten“ vom Schiedsrichter kam, fühlte ich mich wie befreit. Die folgenden Aufschläge flogen wie von allein ins Feld.

Ein letztes Mal zur Bank und einen Schluck trinken, dann ging es los.

Chris nickte mir erneut ruhig zu und ich ließ mir die Bälle zuwerfen. Einmal schloss ich noch die Augen und konzentrierte mich vor meinem ersten Aufschlag.

Das Match begann schwierig. Beim zweiten Seitenwechsel stand es 1:2 und ich lag ein Break zurück. Wie schon so oft, hatte ich zu ungeduldig begonnen und gleich mein erstes Aufschlagspiel verloren. Jetzt fühlte ich mich besser und war im Spiel. Dennoch spürte ich den Druck, dem Break hinterherlaufen zu müssen.

Das „Time“ ertönte und ich nahm meinen Schläger und stellte mich zum Return.

Erst jetzt bemerkte ich die Zuschauer, die rhythmisch klatschten. Es waren gerade einmal drei Spiele gespielt und hier tobte schon der Bär.

Der erste Punkt ging an mich und wieder lauter Jubel und Klatschen. Der zweite Punkt war ein langer Ballwechsel mit einem tollen Passierball von mir.

Wieder ging das Publikum mit und ich fühlte mich wie auf einer Wolke über den Platz schweben. Halt, stopp. Mir wurde bewusst, dass ich mitten in einem Viertelfinale war. Ein Blick zu Chris. Ich brauchte seine Sicherheit. Und was sah ich? Er saß ruhig wie immer auf seinem Platz und nickte mir zu. Dustin, Maxi und Justin hingegen gingen mit den Zuschauern voll mit.

Chris Ruhe ließ mich sofort wieder landen. Ich begann, mich nur noch von Punkt zu Punkt zu bewegen. Das ließ mich in einen Tunnel eintauchen. Ich konnte alles ausblenden außer Chris und den Ball, den ich gerade spielte.

Das half mir, meinen Gegner zu zerstören. Ich gab im ersten Satz kein einziges Spiel mehr ab. In der Satzpause machte ich mich sofort auf den Weg in die Umkleide. Ich brauchte Chris und seine Ansprache jetzt. Die kurze Zeit des Wartens in der Umkleide kam mir wie eine Ewigkeit vor.

„Hi, das ist richtig gut was du spielst. Denk aber jetzt daran, keine mentale Pause. Weiter Vollgas. Du hast noch nichts gewonnen. Aber wenn du das hinbekommst, hast du alle Trümpfe in der Hand.“

Obwohl ich klar führte, gab mir Chris mit diesen wenigen Worten so viel Sicherheit. Auch seine Ermahnung, mich nur auf den nächsten Ball zu fokussieren, beruhigte mich. Ich hatte es begriffen, das Spiel war noch nicht gewonnen. Chris schlug mir noch kurz auf die Schulter und verschwand wieder Richtung Tribüne.

Im zweiten Satz fühlte ich mich von Spiel zu Spiel sicherer und hatte keine große Mühe, das Match zu gewinnen. Kurz nur ballte ich die Hand zur Faust und ging zum „shake hands“ ans Netz.

Als ich den Schläger in die Tasche gesteckt hatte, blickte ich mich um. Zeigte Chris meinen Daumen hoch und war dann etwas irritiert. Dustin kam nicht zum Gratulieren. Schade. Für einen Augenblick war ich traurig, aber dann wurde mir klar, dass Dustin ja bereits auf dem Platz sein musste.

Schnell zum Auslaufen und duschen. Dann zu meinem Schatz an den Platz. So dachte ich zumindest. Die Zuschauer hatten einen anderen Plan. Ich kam gar nicht vom Platz, weil am Ausgang bestimmt vierzig Leute standen, die alle ein Autogramm oder ein Selfie haben wollten. Das hielt mich erheblich auf und bereits leicht ausgekühlt ging ich auslaufen.

Das Duschen musste heute kürzer ausfallen, denn ich wollte schnellstmöglich zu Dustin an den Platz. Chris würde bei Justin sein und da wollte ich zumindest meinem Schatz moralischen Beistand geben.

Beim Spielstand von 5:4 für Dustin im ersten Satz kam ich an den Platz. Das war ein lustiges Bild, denn beide saßen auf einer Bank und unterhielten sich während des Seitenwechsels. Das führte bei einzelnen Zuschauern zum Schmunzeln. Mir gefiel das gut, denn so zeigten beide, dass sie sich dennoch bestens verstanden. Egal ob sie gegeneinander spielen mussten oder gemeinsam trainierten.

Allerdings musste ich jetzt aufpassen, nicht wieder den Fehler zu machen, für Dustin zu sehr Partei zu ergreifen. Chris würde das mit Sicherheit nicht mehr so tolerant durchgehen lassen. Also blieb ich dort sitzen wo sonst Chris sitzen würde und verfolgte das Match.

Dustin spielte gut, aber Maxi hielt dagegen. Der erste Satz war sehr ausgeglichen. Bei 5:5 hörte ich mir bekannte Stimmen.

„Hi Fynn. Warum bist du so ruhig? Feuerst du deinen Freund nicht an?“

Ich drehte mich um und Lars und Zino standen vor mir. Wir begrüßten uns mit einer Umarmung und sie setzten sich zu mir.

„Sorry, dass wir nicht eher kommen konnten. Aber wir sind nicht früher aus der Schule gekommen.“

„Passt schon. Chris hatte es uns ja gesagt, dass ihr noch Schule habt“, flüsterte ich.

Das Spiel lief ja noch.

Dustin gewann seinen Aufschlag zum 6:5 und wieder nahmen beide auf einer Bank Platz.

„Ach ja, Dustin spielt ja gegen Maxi. Jetzt kann ich auch verstehen, warum du so still bist. Das kommt nicht so gut, wenn der eigene Teamkollege der Gegner ist“, bemerkte Lars.

„Ja richtig. Chris hat mir schon beim letzten Mal gesagt, dass ich mich unfair verhalten hätte. Das passiert mir nicht wieder. Und obwohl ich es Dustin etwas mehr gönne, für Maxi würde ich mich nach den letzten Monaten auch sehr freuen.“

„Wo ist denn Chris?“, fragte Zino.

„Der ist bei Justin am Platz. Aber jetzt müssen wir wieder still sein. Es geht in die Entscheidung im Satz.“

Das zwölfte Spiel entwickelte sich zu einem echten Krimi. Es ging bereits viermal über Einstand als der Schiedsrichter einmal nicht aufgepasst hatte und einen Ball von Maxi nicht ausgab, der wirklich deutlich im „Aus“ war. Das konnte ich sogar von meiner Position erkennen. Dustin hatte den Ball nicht weiter gespielt, aber Maxi bekam den Punkt vom Schiedsrichter zugesprochen. Oh je, ob Dustin das verkraften würde. Er stand noch am Schiedsrichterstuhl und diskutierte mit dem Unparteiischen. Plötzlich ging Maxi auch hinzu und fragte Dustin etwas. Dustin war schon sehr aufgebracht. Er schaute Maxi an und dann gingen sie auf Dustins Hälfte und mein Schatz zeigte Maxi den Abdruck auf dem Platz.

Es dauerte nur Sekunden, aber dann ging Maxi wieder auf seine Seite und Dustin auf die Returnposition. Keine Ahnung was sie besprochen hatten. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen und stinksauer auf den Schiedsrichter. Ausgerechnet in der Situation passte er nicht richtig auf.

Maxi schlug den Ball zweimal von unten ins Netz. Er egalisierte auf diese Art die Fehlentscheidung des Schiedsrichters und es stand wieder Einstand. Die Zuschauer reagierten mit spontanem Beifall für Maxi und ich war echt platt. Maxi hatte meinen Respekt noch mehr gesteigert. Wow, in dieser Situation so zu reagieren ist schon wirklich ganz großes Kino, vor allem, als Maxi den Satz dann im Tie-break ganz knapp verlor. Ich konnte mich zum ersten Mal bei einem Satzgewinn von Dustin nicht richtig freuen.

Lars und Zino gingen nach dem Satz zu Justin und wollten Chris begrüßen. Ich blieb natürlich bei Dustin am Platz.

Mein Herz beruhigte sich etwas. Diese Aufregung brauchte ich echt nicht. Wie gut, dass ich heute nicht mehr spielen musste.

Der zweite Satz war schnell erzählt. Es sah bei Maxi nach Erschöpfung aus. Er konnte das hohe Niveau im zweiten Satz nicht ganz halten. Mein Schatz gewann glatt mit 6:3 und zog damit ins Halbfinale ein. Jetzt wollte ich aber meinem Schatz gratulieren und lief zum Ausgang des Platzes. Auf dem Weg dorthin gratulierten mir sogar fremde Leute zu dem Sieg von Dustin. Sie freuten sich für uns.

Umso heftiger wurde der Siegerkuss von mir. Maxi war schon Richtung Umkleide gegangen. Da musste ich gleich unbedingt noch hingehen. Maxi hatte auch meine Anerkennung verdient. Dieses Spiel hatte unsere Freundschaft noch tiefer werden lassen. Aber jetzt wollte ich die Minuten mit meinem Freund genießen.

Chris: Justin schockt seinen Gegner

Nachdem ich noch die ersten Spiele von Dustin und Maxi gesehen hatte, musste Justin auf den Platz gehen. Seinen Gegner hatte ich schon als gefährlich eingestuft, aber Justin zeigte eine unglaublich gute Performance. Vom ersten Punkt an zeigte er sehr deutlich, wer auf dem Platz das Sagen hatte. Er spielte seinen Gegner förmlich an die Wand. Ich konnte einfach nur immer wieder den Daumen hoch zeigen. Selbst nach dem ersten Satz ließ er nicht einen Augenblick in der Konzentration nach. Entsprechend gute Laune hatte ich, als Lars und Zino zu mir kamen.

Sie gaben mir eine kurze Info über das Match von Dustin und Maxi. Bereits nach den ersten Punkten, die sie von Justin sahen, staunten sie über die Geschwindigkeit, mit der Justin den Ball ins Feld hämmerte. Das war einfach gut und überzeugend.

Interessanterweise waren es bei Justin überwiegend weibliche Fans, die nach dem Spiel ein Foto oder ein Autogramm wünschten. Ich musste schmunzeln als ich mich durch die Traube Mädchen drängelte. Aber Justin freute sich ehrlich, als er mich kommen sah. Schnell befreite er sich und umarmte mich kräftig.

„Danke, Chris. Das war eins meiner geilsten Matches überhaupt. So langsam begreife ich, was ich kann und was ich noch nicht so gut beherrsche. Es macht einfach Bock gegen solche Gegner zu spielen und sie einfach wegzuballern.“

„Hihihi, Justin, der Revolverheld. Immer zwei gelbe Geschosse in der Tasche und keine Angst sie herauszulassen.“

Justin schaute mich mit großen Augen an, zögerte eine Sekunde und fing heftig an zu lachen.

„Aber wie haben Dustin und Maxi eigentlich gespielt? Und wer spielt morgen im Halbfinale gegeneinander?“

Justins Euphorie war kaum zu bremsen, aber ich wollte das in Ruhe mit allen besprechen. Also bat ich ihn, sich bis nach dem Essen in Bäk zu gedulden. Zumindest was die Halbfinals betraf. Dass Maxi verloren hatte, bekam er von Lars und Zino berichtet.

Ich konnte eine leichte Enttäuschung bei Justin erkennen. Ich glaubte, dass er es Maxi besonders gegönnt hätte. Er ging zum Auslaufen und zur Massage, aber selbstverständlich würde er Dustin genauso gratulieren.

Mir ging es ähnlich. Mir war es zwar egal wer gewonnen hatte, aber ich hätte es Maxi aufgrund seiner Situation gegönnt. Dennoch hatte er bereits einen guten Schritt vorwärts gemacht und lag gut im Soll. Besonders schön empfand ich das Bild, dass Dustin und Maxi gemeinsam zu mir gekommen sind. Sie erzählten mir ihre Sichtweise vom Spiel und zwar gemeinsam. Einfach herrlich. Nicht sonderlich analytisch, aber authentisch.

„Also wenn ich euch richtig verstanden habe, hat Maxi verloren, weil er im zweiten Satz nicht mehr zulegen konnte. Ist das korrekt, Maxi?“

„Ja, das stimmt absolut. Ich fühle mich einfach müde und fertig. Dennoch bin ich sehr zufrieden. Ich habe vielleicht gegen den späteren Turniersieger verloren. Das kann so schlimm nicht sein, hihihi.“

„Das werden wir ja noch sehen, wer hier gewinnt. Eigentlich hatte ich das nämlich vor und nicht Dustin.“

Ich hatte mich schon gewundert wo Fynn sein würde, aber mit diesem Einwurf hatte er sich ganz nach vorn gebracht.

Da er lachte, als er hinter der Hecke hervorkam, konnte ich ihm diesen Spruch gerne verzeihen. Er war nicht ernst gemeint und passte sehr gut in die Situation.

„Du hast schon wieder den Schalk im Nacken. Nicht zu fassen, kaum fertig schon wieder große Sprüche klopfen“, stöhnte ich leicht übertrieben.

Im Kopf hatte ich bereits das Halbfinale. Drei Jungs noch im Wettbewerb, das bedeutete erneut, zwei mussten gegeneinander spielen. Und jetzt traf es Justin und Fynn. Aber das sollte erst heute Abend Thema werden. Es sei denn, einer von beiden würde es vorher realisieren und ins Gespräch bringen.

Mir kam noch ein Gedanke in den Kopf. Aber da musste ich zuerst mit Mo telefonieren. Nicht, dass er uns zum Essen eingeplant hatte und das Probleme geben würde. Nach wenigen Sätzen mit ihm war das allerdings geklärt. Jetzt musste ich mir Zino an die Seite nehmen und mit ihm den Abend klären. Deshalb machte ich für meine Jungs eine Ansage:

„Leute, wir treffen uns in einer halben Stunde am Auto. Ich möchte heute nicht erst in der Nacht nach Bäk zurückkommen. Zino und Lars bleiben aber bitte noch einen Augenblick bei mir.“

„Was gibt es denn, Chris?“, fragte Lars.

„Ich habe noch die Situation vorhin im Turnierbüro im Kopf. Habt ihr mit deiner Mutter gesprochen?“

„Ja, ich habe sie gefragt, aber morgen ist das schwierig. Sie muss arbeiten.“

„Gut, dann habe ich eine andere Idee. Zino, deine Eltern haben doch hier ein Restaurant, oder?“

„Ja, sogar ein sehr schönes“, antwortete der Junge lachend.

„Das ist prima. Du meldest uns bitte für heute Abend zum Essen an. Als ganz normale Gäste. Und wir brauchen mit Markus und euch neun Plätze. Bekommst du das noch so kurzfristig hin?“

„Keine Ahnung, aber ich rufe eben mal meine Mama an. Die kann mir sofort sagen, ob heute noch Plätze frei sind.“

Lars dachte über irgendetwas nach. Als Zino mit seiner Mutter telefonierte, fragte er mich:

„Äh, warum neun Personen? Wir sind doch nur acht Leute.“

„Falsch, ich möchte, dass du deine Mutter auch anrufst und sie dorthin einlädst. Sie wird ganz sicher fragen warum und du wirst ihr nur erklären, dass du uns kennengelernt hast und ihr uns unterstützt. Deshalb möchte ich deine Mutter kennenlernen.“

Zino telefonierte noch mit seiner Mutter, während Lars seine Eltern anrief. Das Telefonat dauerte nicht sehr lange, nur Lars machte kein ganz so fröhliches Gesicht.

„Es gibt ein Problem. Mein Vater ist auch zu Hause. Mama sagt, dass sie gern zusammen kommen und euch kennenlernen möchten. Geht das?“

„Na klar, kein Problem. Umso besser.“

Ich gab Zino sofort ein Zeichen, dass wir dann zehn Plätze brauchen, weil die Eltern con Lars auch kommen würden. Das Gesicht von Zino war eine Mischung aus Überraschung, Freude und Panik. Zu komisch.

Es dauerte nur noch wenige Augenblicke bis Zino das Gespräch beendet hatte. Er drehte sich zu mir und erklärte:

„Wir können zum Essen kommen. Auch mit zehn Personen. Meine Mutter war ganz aufgeregt als ich ihr gesagt habe, dass du mit dem Team bei uns essen möchtest. Ich glaube Papa wird wieder irgendetwas Verrücktes auspacken.“

„Woher kennt mich denn deine Mutter?“

„Sie hat natürlich das Turnier verfolgt als ich ihr erzählt habe, dass wir Trainingspartner von euch sein dürfen. Meine Mama ist mein größter Fan. Sie liebt Tennis auch im Fernsehen.“

„Ah so. Wir müssen aber keine Autogramme bei euch geben, oder?“

Zino grinste und zuckte mit den Schultern. Lars hatte das mitbekommen und stieg direkt darauf ein.

„Nein, müssen natürlich nicht, aber Zinos Mama wird euch lieben und bestimmt auch verwöhnen.“

„Okay, alles klar. Das kann ja lustig werden. Wie geht es dir jetzt, Lars? Das könnte vielleicht nicht so einfach für dich werden. Aber wir sind alle bei euch und ich glaube, dass es für dich besser ist, wenn du nicht allein mit der Situation bist. Was denkst du?“

„Ganz ehrlich, ich habe gerade gar keinen Plan, bin total verwirrt. Aber Mama hörte sich freundlich an als ich ihr das erzählt hab. Und Papa wollte sogar unbedingt mitkommen. Das irritiert mich total. Meist hat Papa für so was keine Lust mehr wenn er mal zu Hause ist.“

Als wir dann in unserem Bus saßen und auf dem Weg zum Lokal von Zinos Eltern waren, überkam mich so etwas wie Unruhe. War es richtig, diese Aktion zu machen und Lars beim Coming out bei seinem Vater zu begleiten? Meine Jungs hatten jedenfalls klar Position bezogen. Sie wichen den beiden nicht mehr von der Seite. Insbesondere als wir auf dem Parkplatz angekommen waren und nun gemeinsam auf den Eingang des Restaurants zugingen.

„Wo sollst du denn deine Eltern in Empfang nehmen?“, fragte ich Lars.

„Wahrscheinlich sind sie bereits drin. Ich habe nämlich unser Auto auf dem Parkplatz schon gesehen.“

„Gut, dann lasst uns hineingehen.“

Zino öffnete uns die Tür und meinte zu mir:

„Wartet bitte einen Augenblick vor der Theke. Ich sag Mama Bescheid, dass wir da sind.“

Schon war er hinter der Theke verschwunden und die Bedienung hinter dem Tresen lachte nur. Ich blickte mich einmal um und stellte fest, dass wir uns in einem sehr schön eingerichteten, italienischen Restaurant befanden. Sehr geschmackvoll.

„Guten Abend, herzlich willkommen in unserem Lokal. Zino hat euch schon angekündigt. Euer Tisch ist dort in einem Nebenraum. Da könnt ihr in Ruhe sprechen und müsst vor allem keine Autogramme geben, hihi. Zino hat uns schon erzählt was im Tennisclub so los ist.“

Die Mutter war nicht nur nett, sondern auch lustig. Sie hatte zumindest ein Gefühl für die Situation und ich hatte den Verdacht, dass ihr Zino auch ein wenig von dem Problem mit Lars Eltern erzählt hatte.

Jetzt fehlte aber noch Markus. Ich wollte unbedingt, dass er bei diesem Essen dabei ist. Schließlich sollte er in Zukunft mit der Situation umgehen können.

Einen Moment später tauchten aus dem Nebenraum ein Mann und eine Frau auf, die direkt auf Lars zugingen und sich mit einer Umarmung begrüßten. Wie ich empfand, warm und herzlich.

Lars Vater kam dann auf mich zu, begrüßte mich und meine Jungs. Dabei stellte er sich und seine Frau vor. Alles sehr freundlich und offen. Das passte nicht in mein Bild nach den Erzählungen von Lars.

„Wie war der Tag auf der Anlage? Sind deine Freunde noch im Wettbewerb?“, fragte Lars Mutter.

„Der Tag war wieder richtig toll. Es ist mega cool mit solch guten Spielern spielen zu dürfen. Und Chris ist auch immer nett zu uns. Also ein weiterer perfekter Tag. Und morgen spielen drei von ihnen im Halbfinale. Das ist das Beste überhaupt.“

„Also werdet ihr morgen wieder den ganzen Tag auf der Anlage sein?“, fragte jetzt sein Vater.

„Ja, sollte Chris uns erneut zum Trainieren brauchen. Dann bleiben wir ganz sicher den ganzen Tag dort.“

Zinos Mutter bat uns, in den Nebenraum an den Tisch zu gehen.

Als wir Platz genommen hatten, fragte mich Lars Vater:

„Können Ihnen denn Lars und Zino wirklich helfen? Ihre Spieler sind doch viel besser.“

„Ja, sie helfen uns wirklich sehr. Es ist wichtig, gute Trainingspartner zur Verfügung zu haben. Und wenn sie auch noch gut ins Team passen, umso besser. Ich bin froh, dass die beiden uns unterstützen und sich einsetzen. Von daher war es jetzt nur die logische Folge, dass wir hier zusammensitzen. Es ist sozusagen ein Mannschaftsessen. Es fehlt nur noch Markus. Hat jemand eine Information, warum er noch nicht hier ist?“

Zino erklärte den Grund damit, dass er noch etwas im Club zu regeln hätte. Danach berichtete Zino vom Tagesgeschehen und währenddessen bekamen wir die Speisekarte und die Getränkewünsche wurden aufgenommen.

Natürlich steckten Fynn, Dustin, Zino und Lars ihre Köpfe zusammen und redeten leise miteinander. Genau das störte mich aber gerade. Es machte keinen guten Eindruck, wenn die Jungs nicht offen redeten. Lars Eltern kannten uns überhaupt nicht.

Mit einem kleinen Wink gab ich Fynn deshalb zu verstehen, dass sie bitte eine normale Unterhaltung führen sollten. In diesem Moment stieß Markus zu uns. Er begrüßte Lars Eltern und setzte sich zu uns an den Tisch.

Ich berichtete aus meiner Sicht über den Turnierverlauf und gab Lars Eltern und auch Zinos Mutter eine kurze Zusammenfassung über den Tag. Alle hörten mir aufmerksam zu und als ich geendet hatte, kam von Fynn eine Bemerkung:

„Das hört sich alles ganz einfach und selbstverständlich an, aber ohne Chris und seine Anwesenheit wäre niemand von uns hier in Lübeck gelandet. Auch wenn er nicht direkt mit uns am Platz arbeitet, zieht er im Hintergrund die Fäden und organisiert oder hilft uns, besser trainieren zu können. Wir können uns vollkommen auf Chris verlassen. Dieses Vertrauen ist für mich das herausragende Element unserer Zusammenarbeit. Ich kann mich auf meinen Gegner auf dem Platz fokussieren und alle anderen Dinge hält er von mir fern. Zumindest so lange ich auf dem Court stehe.“

„Sonst würde ich auch Ärger mit Dustin bekommen. Wahrscheinlich auch mit dir, denn du willst ja auch nicht abends allein ins Bett gehen, hihihi.“

Das musste ich anbringen und Dustin nutzte die Gelegenheit Fynn einen Kuss zu geben. Das führte bei Zinos Mutter zu einem Lachanfall und auch Lars Mutter schmunzelte. Lars Vater wirkte einen Augenblick irritiert, aber dann fragte er offen nach:

„Heißt das, Dustin und Fynn, ihr seid ein Paar? Ihr seid schwul und habt kein Problem, das offen zu zeigen?“

„Genau das. Und Chris und das „Breakpoint-Team“ hatten uns von Anfang an dabei unterstützt. Das hat uns in der Entwicklung unseres Selbstvertrauens enorm geholfen. Nur dadurch können wir unsere Leistung auch zeigen. Wir sind einfach nur glücklich darüber. Auch wenn der Weg dorthin nicht immer schön war.“

Während dieses Gespräches zwischen Lars Vater, Fynn und Dustin beobachtete ich Lars und Zino genau. Zino wirkte entspannter als Lars.

Zinos Mutter saß ja auch bei uns am Tisch und sie war diejenige, die jetzt in die Offensive ging.

„Also ist das für euch keine neue Situation, dass Zino schwul ist und gerade dabei ist, seine Position im Leben zu finden.“

Die Gesichter von Lars und seinen Eltern waren jetzt besonders spannend. Lars wäre am liebsten geflüchtet, während es bei seinen Eltern im Kopf arbeitete.

Es war jetzt ein guter Moment für das Essen. Wie bestellt brachte der Service das Essen. Lars schaute mich immer wieder fragend an, während Dustin und Fynn ganz offen mit Lars Eltern ein Gespräch führten. Insbesondere Lars Mutter fragte ihnen Löcher in den Bauch. Justin war schon etwas genervt, dass es auch während des Essens das Thema war. Aber da musste er jetzt durch, denn wir waren auf einem hervorragenden Weg, die Situation für Lars zu klären, ohne dass es zu einer Katastrophe kommen würde.

Plötzlich meinte der Vater von Lars:

„Ich glaube, jetzt dämmert es bei mir. Mein lieber Sohn, kann es vielleicht sein, dass mir eine wichtige Information entgangen ist? Ich bin zwar viel unterwegs, aber deine Mutter hat mir natürlich immer die aktuellen Dinge berichtet. Doch eben hatte Zinos Mutter so nebenbei erwähnt, dass Zino mit Dustin und Fynn gleichgesinnte gefunden hätte. Da du in letzter Zeit eigentlich mehr bei Zino als bei uns warst, könnte es vielleicht sein, dass du auch auf Jungs stehst und dir insbesondere Zino gefällt?“

Jetzt wurde es schlagartig still am Tisch. Auch meine Jungs trauten sich nicht mehr etwas zu sagen. Lars hatte große Augen und zitterte an beiden Händen. Über Zino staunte ich allerdings. Er nahm ganz selbstverständlich Lars rechte Hand, zog ihn an sich heran und gab ihm am Tisch einen Kuss. Da konnte ich nicht mehr anders als laut zu lachen und diese Situation zu kommentieren:

„Auch eine Möglichkeit diese Frage zu beantworten. Nicht schlecht, Zino. Aber ob Lars Eltern das auch so cool finden, kann ich noch nicht sagen. Mir gefiel das eben aber sehr gut.“

Lars Mutter schaute mich nach meiner Aussage an und begann ebenfalls zu lachen. Auch sein Vater schüttelte lächelnd seinen Kopf und stand plötzlich auf. Er ging um den Tisch zu seinem Sohn, der ihn ängstlich anschaute.

Der Vater zog Lars vom Stuhl und umarmte ihn wortlos.

Ein super starkes Zeichen und ich atmete tief aus. Alles richtig gemacht, dachte ich für mich. Lars hatte seinen Vater wohl falsch eingeschätzt. Dennoch empfand ich es richtig, hier gemeinsam zu sitzen und es vielleicht für alle etwas einfacher gemacht zu haben.

„Heißt das, Sie haben kein Problem damit, dass Lars schwul ist und ich der Freund Ihres Sohnes bin?“, fragte Zino jetzt leise.

Eine zwar etwas naive Frage von Zino, aber sie verfehlte nicht ihre Wirkung. Lars Mutter nahm Zino liebevoll in den Arm und erwiderte:

„Ich habe es ja schon geahnt, dass sich zwischen euch etwas anbahnt und mir gefällt das sehr gut. Ich finde, ihr passt gut zueinander. Mein Mann wird sich ganz sicher schnell daran gewöhnen, dass wir nun zwei Söhne haben. Willkommen in unserer Familie, Zino.“

Dustin und Fynn nahmen das zum Anlass beide Jungs einmal ganz fest zu umarmen und Zinos Eltern kamen mit zwei Flaschen Sekt zu uns an den Tisch. Zinos Papa bestand auf das Anstoßen mit allen. Ich erbat mir einen alkoholfreien Drink zum Anstoßen und dann wurde es noch sehr lustig. Vor allem als Zino allen erzählte wie sie beide gemerkt hatten, dass sie mehr als nur Kumpel sind.

Leider war meine Planung, nicht mitten in der Nacht nach Hause zu kommen, fast hinfällig geworden. Um elf Uhr fuhren wir wieder in Bäk auf den Hof. Mo hatte unten am See gesessen und kam uns entgegen.

„Na, ihr habt aber ausgiebig zu Abend gespeist.“

„Das stimmt, Mo. Aber heute war diese Zeit mit Sicherheit gut investiert. Wir haben das Coming out von Lars bei seinen Eltern begleitet und für einen guten Start gesorgt. Jetzt können wir uns beruhigt nur noch um das Halbfinale kümmern. Hast du eine Fassbrause für mich?“

„Hahaha, natürlich. Ich kann doch nicht verantworten, dass deine Jungs morgen einen schlechtgelaunten Chris ertragen müssen. Kommt, lasst uns noch einen Moment ans Wasser gehen. Die Luft ist noch so schön mild.“

Meine Jungs waren platt und entsprechend schnell in der Hütte verschwunden. Mo und ich blieben noch in der lauen Nachtluft am Wasser sitzen.

Ich berichtete ihm vom Geschehen mit Lars und seinen Eltern. Mo hörte mir aufmerksam zu.

„Wow, da hat sich Lars aber wohl ganz gehörig in seinem Vater getäuscht. Das ist eine tolle Reaktion von den Eltern. Es tut gut zu erleben, dass es auch Eltern gibt, die großes Verständnis für ihre Kinder haben und über ihren Schatten springen können.“

„Ja, es fühlte sich toll an. Gerade als der Vater dann Lars umarmte und ganz fest an sich drückte. Da bekam ich richtig eine Gänsehaut. Das hat mich bewegt. Im Nachhinein gesehen, hätte ich mich vermutlich gar nicht so einzubringen brauchen, aber ich habe es gern getan.“

„Es entspricht total deiner Haltung als Mensch. Du hast es für notwendig empfunden und einfach getan. So habe ich dich kennengelernt und das zeichnet dich aus. Eigentlich brauchst du deine Kraft für deine Jungs und das Turnier. Dennoch wärest du unglücklich, wenn du den beiden Jungs nicht geholfen hättest und es schief gegangen wäre. Also hast du alles richtig entschieden. Jetzt kannst du dich zurücklehnen und es deinen Jungs überlassen. Sie werden Lars und Zino einen Weg aufzeigen. Du kannst dich wieder ausschließlich dem Turnier zuwenden.“

Ein weiteres Mal verblüffte mich Mo mit seinen Wahrnehmungen. Es fühlte sich großartig an, von ihm verstanden zu sein und er für mich eine Ladestation zu sein. Bei Mo konnte ich meinen Akku wieder aufladen und mich für den nächsten Tag bereitmachen.

„Danke dir, ich muss mich auch wieder ganz dem Turnier widmen. Morgen wird ein anstrengender Tag. Ich würde mich sehr freuen, wenn du uns morgen erneut begleitest. Wie sieht das bei dir aus?“

Mo lächelte und in seiner Ruhe antwortete er:

„Ja, ich würde euch gerne begleiten und unterstützen wenn du es für richtig hältst.“

„Auf jeden Fall wäre das eine Unterstützung. Für mich und vor allem auch für die Jungs. Sie hören dir genauso gut zu wie ich das mache. Vielleicht können sie es sogar noch besser umsetzen als ich. Manchmal brauche ich von dir ja doch noch einen zusätzlichen Tritt in den Hintern, damit ich an meinen Schwächen arbeite.“

„Das stimmt gar nicht. Du arbeitest schon fleißig an dir. Nur nimmst du dir nicht genug Zeit für dich selbst. Daher dauert es bei dir etwas länger bis es auch wirklich in deiner Seele angekommen ist. Aber ich sehe einige gute Entwicklungen bei dir. Mach weiter so und du wirst immer mehr Fortschritte spüren.“

„Hoffentlich, denn diese Turnierreisen kosten mich viel Kraft und Energie. Ich denke oft, dass ich nicht gut genug bin und Jan viele Dinge besser machen würde. Er scheint jedenfalls weniger Verschleiß zu haben als ich.“

„Also das ist mal völliger Unsinn. Du machst ganz viele Dinge richtig gut. Sehr wahrscheinlich anders als dein Bruder, aber für die Jungs optimal. Und dass das anstrengend ist, glaube ich sofort. Deshalb sind die Ruhephasen so wichtig für dich. Da musst du achtsamer werden.“

„Manchmal habe ich das Gefühl, ich hätte einen vierundzwanzig Stunden Arbeitstag bei den Turnierreisen. Irgendwie komme ich kaum innerlich zur Ruhe. Ständig kreist in meinem Kopf entweder das nächste Spiel oder ein anderes Problem was ich lösen muss.“

„Dein Gefühl täuscht dich ganz sicher nicht. Aber du nimmst dir auch keine freien Zeiten. Das muss deinen Akku extrem belasten. Ich würde dich zwischendurch gern einfach mal rausnehmen. Du gibst deinen Spielern doch auch Auszeiten. Warum nicht dir selbst?“

„Und wer soll dann die Verantwortung tragen? Die Jungs? Das geht mal gar nicht. Wenn das in die Hose geht, haben wir ein Problem.“

„Und wenn du mit einem körperlichen Problem ausfällst, muss es doch auch gehen. Du kannst die Jungs auch mal ein paar Stunden allein lassen.“

Mo kannte meine Schwachpunkte genau. Und er legte auch immer wieder den Finger in die Wunde. Entsprechend nachdenklich saß ich mit ihm am Wasser. Wir nahmen uns einige Minuten des stillen Nachdenkens. Diese Gespräche ohne die Jungs hatten schon eine positive Wirkung bei mir. Ich konnte für einige Minuten meine Gedanken nur auf mich und Mo fokussieren.

Mo und ich besprachen noch den Ablauf vom folgenden Tag. Die Halbfinals waren auf zwei Uhr nachmittags angesetzt. Natürlich wurden sie parallel gespielt. Kein Spieler sollte einen Vorteil bekommen.

Erstaunlicherweise konnte ich schnell und entspannt einschlafen. Kein langes Wachliegen mehr nach dem Gespräch mit Mo.

Fynn: Eine tolle Entwicklung und ein heftiges Halbfinale

Die Reaktion von Lars Eltern hatte uns komplett überrascht. Vor allem durch die Angst, die Lars vor seinem Vater hatte, waren wir von einer anderen Entwicklung ausgegangen. Umso schöner war natürlich die Situation beim Essen, als der Vater Lars und auch Zino ganz fest umarmt hatte und klare Unterstützung signalisierte.

Ich lag jetzt mit meinem Schatz im Bett und eigentlich wollten wir schnell schlafen, da morgen für uns beide das Halbfinale anstand. Aber Dustin hatte noch Gesprächsbedarf.

„Hattest du diese Reaktion erwartet? Ich habe mir vor Angst fast in die Hose gemacht, als der Vater plötzlich seine Idee aussprach, dass Lars auch schwul und noch dazu der Freund von Zino ist.“

„Ging mir genauso. Umso geiler war die Reaktion vom Vater. Wenn doch alle Eltern so cool damit umgehen würden. Dann hätten es die schwulen Jungs viel leichter im Leben. Umso mehr schätze ich unsere eigene Situation. Wir können uns in Ruhe entwickeln und dabei auch noch zusammen sein. Manchmal denke ich, wir müssen Chris dankbarer sein.“

Dustin holte tief Luft und erwiderte:

„Ich bin ihm unendlich dankbar, du vermutlich auch. Aber ob wir es auch ausreichend zeigen, das weiß ich nicht. Ich habe für mich entschieden, dass ich mit dem Preisgeld von Leipzig und hier für Chris etwas Besonderes machen werde. Etwas, dass er nicht so einfach bekommen kann, aber dass ihm viel Freude bereiten wird.“

„Das ist eine coole Idee. Da bin ich sofort dabei. Ich hätte auch schon eine Idee, Chris hört gerne Rockmusik. Vielleicht können wir ihm ein paar besondere Konzertkarten besorgen. Ein Meet and Greet vielleicht? Was meinst du dazu?“

Dustin freute sich über meine Zustimmung und wir beschlossen, am nächsten Tag mal mit den anderen beiden zu sprechen. Eine andere Idee war eine Überraschung für seine neue Wohnung in Halle. Auch da hatte ich schon eine Idee, die musste ich aber noch mit Kolja absprechen.

Wir redeten noch einige Minuten über unsere Situation. Meine Eltern hatten mir auch Grüße geschickt und freuten sich über unseren Erfolg. Das fühlte sich für mich immer wieder aufs Neue toll an. Nicht mehr vor meinem Vater Angst haben zu müssen und mich nur noch auf meine Entwicklung konzentrieren zu können. Auch dabei wurde mir bewusst, wie viel Anteile Chris an dieser Situation hatte.

Dustin spürte meine Gedanken und legte seine Hand auf meine Brust. Sofort bekam ich eine Gänsehaut und verspürte ein Kribbeln in meinem ganzen Körper.

Es war schon nach Mitternacht. Trotzdem wollte ich mit Dustin gerne noch einen schönen Abschluss des Tages haben. Dustin schien genauso erregt zu sein und genauso Lust zu verspüren. Entsprechend heftig war mein Höhepunkt. Dustin ging nicht weniger heftig ab.

Obwohl wir uns ziemlich eingesaut hatten, schliefen wir so wie wir waren ein. Entsprechend gefleckt sahen wir am nächsten Morgen aus. Justin und Maxi haben sich ganz sicher ihre Gedanken gemacht als wir morgens in die Dusche verschwanden. Justin hatte ein freches Grinsen im Gesicht und bevor wir gemeinsam zum Frühstück marschierten, meinte er lachend:

„Na, ihr hattet wohl eine wilde Nacht. Jedenfalls habt ihr vorhin so ausgesehen. Hihihi.“

„Sagen wir mal so, wir hatten unseren Spaß.“

Diese coole Antwort von Dustin hatte ich überhaupt nicht erwartet. Entsprechend verwirrt schaute ich meinen Freund an.

„Was ist? Das stimmt doch, oder hat es dir keinen Spaß gemacht?“

„Äh, doch. Sehr sogar.“

Dustin nickte, gab mir einen Kuss und verschwand Richtung Frühstück. Justin schmunzelte nur und klopfte mir auf die Schulter.

„Soll mir nur recht sein. Du bist nicht ausgeschlafen und ich kann leichter gewinnen.“

„Das glaubst du auch nur selbst. Freiwillig gewinnst du nicht. Ich werde mich bis zum letzten Ball wehren.“

„Das will ich hoffen, aber es wäre vermutlich besser, Chris nicht so viel von euren Nachtaktivitäten zu berichten. Er könnte vielleicht nicht so begeistert sein, wenn ihr die wertvolle Nachtzeit nicht zum Schlafen nutzt.“

„Wieso? Sie schlafen doch, vielleicht nicht so wie Chris es erwartet, aber schlafen tun sie doch. Hahaha.“

War ja klar, dass Maxi sich einen Spaß aus unserer Situation machte. Aufregen würde ich mich aber nicht mehr darüber. Letztlich zählte das Ergebnis auf dem Platz. Und ich fühlte mich gut.

Dustin war schon einige Meter voraus, aber wartete auf dem Weg auf mich. Also ging ich schnell hinterher und kam gemeinsam mit meinem Schatz zum Frühstück. Mo und Chris saßen bereits am Tisch und unterhielten sich angeregt. Ein fröhliches:

„Guten Morgen“

kam uns entgegen.

„Guten Morgen“, erwiderten wir und nahmen am Tisch Platz.

„Wo sind denn die anderen beiden?“, fragte Chris.

„Die kommen auch jeden Moment“, antwortete ich.

„Fynn und ich sind geflüchtet, weil sie sich über uns lustig gemacht haben. Wir haben noch ein wenig Spaß in der Nacht gehabt und sahen heute früh etwas wüst aus, bevor wir in der Dusche waren.“

Jetzt war ich allerdings komplett perplex. Chris schaute uns an, Mo zog seine Stirn in Falten und dann fingen beide heftig an zu lachen. Chris klopfte uns beiden auf die Schulter und als Maxi und Justin durch die Tür kamen, konterte er:

„Na, da haben euch die beiden aber den Wind aus den Segeln genommen. Ich finde das total cool, dass sie kein Geheimnis aus ihrer Beziehung mehr machen. Lasst ihnen den Spaß doch und seid nicht so neidisch. Hihihi. Schließlich haben sie eh nur wenig Zeit füreinander.“

Damit war das Thema endgültig erledigt und der Fokus lag ab jetzt nur noch auf den kommenden Halbfinals.

„Gibt es noch etwas zu besprechen?“, fragte Chris als wir mit dem Frühstück fertig waren.

„Kannst du mir noch ein wenig mehr Infos zu meinem Gegner geben?“, fragte Dustin.

„Natürlich, aber lass uns das auf der Anlage machen. Dann können sich Justin und Fynn einschlagen und wir machen die Matchvorbereitung vor deinem Einschlagen mit Lars.“

Ich wusste, dass Dustin schlecht warten konnte. Aber Chris blieb konsequent und auf der Fahrt zur Anlage sprachen wir nur über die Möglichkeit heute Abend entweder eine Dampferfahrt auf dem See zu machen oder mit den Kanus zu paddeln.

„Also sind wir heute mal früher wieder zurück?“, fragte Justin.

„Ja, nach den Matches nur eine schnelle Massage und dann direkt wieder nach Hause. Ich möchte heute nicht länger als nötig auf der Anlage bleiben. Wir haben am See Ruhe und tolle Bedingungen für Erholung. Da müsste ich schon bescheuert sein, wenn wir das nicht auch nutzen.“

„Und hier gibt es auch keine nervenden Autogrammjäger und Presseleute. Vielleicht können wir heute Abend ja auch mal gemeinsam etwas kochen. Da hätte ich richtig Lust drauf.“

Maxi und kochen? Dass ich das noch erleben konnte. Entsprechend erstaunt schaute auch Chris in den Rückspiegel.

Mo drehte sich zu uns um und antwortete:

„Sehr gerne. Das können wir alles machen. Zeit sollten wir genug für alles haben.“

Danach gingen meine Gedanken in Richtung Halbfinale. Chris würde Justin und mich frei spielen lassen, das wusste ich genau. Dennoch spürte ich eine wachsende Anspannung und ein Kribbeln im Bauch. Obwohl uns Chris immer wieder gesagt hatte, dass es ein Spiel wie jedes andere sei, war es für mich ein Halbfinale. Das hatte ich noch nicht allzu oft gespielt auf dieser Ebene.

Dustin und ich hingen unseren Gedanken nach und ich war froh, als wir endlich auf dem Parkplatz ankamen und aussteigen konnten.

„Bevor ihr euch umzieht und vorbereitet: Ich möchte euch in einer halben Stunde auf Platz neun und zehn zum Einschlagen sehen. Lars und Zino werden auch dort sein. Ich gehe direkt zum Turnierbüro und melde uns an. Fragen?“

Chris hatte schon in den Turniermodus gewechselt. Da wurde mir klar, jetzt ging es los und ich musste meine Gedanken sortieren.

Es gab keine Fragen, aber ich fühlte mich unwohl als ich über die Anlage zum Spielerbereich ging. Ich fühlte mich beobachtet und das Klicken der Kameras und die vielen Handys irritierten mich noch zusätzlich. Daher war ich froh, endlich in der Umkleide zu sein und mich ungestört mit meinen Freunden spielbereit zu machen.

„Wie geht es dir?“, fragte mich Dustin sichtlich angespannt.

„Es geht. Ich finde es einfach schade, dass ich gegen Justin spielen muss. Aber das kann ich mir nicht aussuchen.“

„Glaub nicht, dass mir das anders geht.“, hörte ich plötzlich aus einigen Metern Entfernung.

Justin hatte seine Tasche schon geschultert und stand bereit. Er wartete auf mich, damit wir gemeinsam zum Einschlagen gehen konnten. Das fand ich wiederum toll und überhaupt nicht selbstverständlich.

„Immerhin geht es dir nicht besser als mir. Ich bin sofort fertig und wir können dann los.“

Ich gab meinem Freund noch einen Kuss und viel Erfolg mit auf den Weg und dann ging es auf den Trainingsplatz.

Der Weg dorthin war noch relativ unspektakulär, aber als wir am Platz ankamen, standen bereits etwa zwanzig Jugendliche vor dem Eingang und wollten von uns Autogramme haben. Das empfand ich total verrückt. Wir waren selbst noch Jugendliche und mit Sicherheit noch keine Tennisstars. Dennoch wurden wir belagert wie Popstars.

„Was ist denn hier los? Ich glaub, ich bin im falschen Film.“, staunte Justin.

Lars und Zino standen bereits mit Chris an der Bank. Als wir unsere Taschen auf die Bank stellten, hatte jeder bestimmt zwanzig Mal seinen Namen geschrieben.

„So, damit ihr schnell den Kopf wieder frei bekommt, sofort den Schläger genommen und ab auf den Platz. Versucht euch nur auf den Ball zu konzentrieren. Alles drumherum soll euch nicht mehr kümmern.“

Das war einfach von Chris gesagt, aber erst nachdem ich die ersten Minuten gar keinen Ball traf und mich Chris ordentlich gefaltet hatte, gelang es mir, diese Aufgabe zu erfüllen. Danach lief es dann auch wieder normal.

Plötzlich tauchte Mo am Platz auf mit zwei Flaschen Fassbrause in der Hand. Chris winkte ihn zu sich auf den Platz und so standen sie auch am Zaun als wir das Tempo erhöhten. Lars blieb bei uns und Zino spielte auf dem Nebenplatz mit Dustin.

Bei jedem guten Ball wurde am Zaun gejubelt. Hallo? Wir waren beim Einschlagen. So langsam wurde ich doch etwas nervös.

Chris hingegen blieb die Ruhe selbst. Er gab klare Kommandos an Lars und schnell war ich auf Betriebstemperatur. Auch Justin kam auf Temperatur. Nach einer halben Stunde sollten wir noch eine Serie Aufschläge machen.

Mo und Chris standen ungerührt an ihrer Position und als ich an ihnen vorbeigehen musste, um mir Bälle zu holen, bekam ich mit, dass sie sich über Lars und Zino unterhielten. Chris wirkte tiefenentspannt. Das konnte ich von mir nicht behaupten. Plötzlich hörte ich Chris rufen:

„Fynn, schalte den Kopf ab und spiele einfach weiter. Du brauchst deinen Kopf gleich im Match noch häufig genug.“

Ich zuckte wie ein ertappter Sünder zusammen. Aber Chris hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Meine Gedanken hingen der Situation nach. Sie waren nicht auf das kommende Spiel gerichtet.

Ganz schlimm wurde es für mich als ich mit Justin in der Umkleide auf den Aufruf wartete. Dustin war mit seinem Gegner schon auf den Platz gegangen und ich musste mit Justin noch einen Moment warten bevor wir auf den Center Court gehen konnten.

Wir hingen beide unseren Gedanken nach und sprachen jetzt nicht mehr viel miteinander. Plötzlich fragte mich Justin:

„Sollen wir uns auf einer Bank niederlassen oder möchtest du lieber getrennt sitzen?“

„Wenn dich das nicht stört, können wir gerne auf einer Bank sitzen. Wir kennen uns eh auswendig. Da haben wir keine Geheimnisse mehr voreinander. Außerdem hilft uns Chris sowieso nicht bei diesem Match. Da können wir auch miteinander reden. Hihi.“

„Cool, freut mich, dann auf ein tolles Match. Möge der Bessere gewinnen.“

Justin hielt mir seine Hand hin, aber mir war er so wichtig geworden, dass ich eine Umarmung für angemessener hielt. Justin überraschte das, aber er erwiderte sie genauso herzlich.

Kurz danach kam der Supervisor und holte uns zum Platz. Es ging also endlich los.

Beim Betreten des Platzes bekamen wir freundlichen Applaus. Aber was dann beim Einschlagen abging war verrückt. Bei jedem Ballkontakt von mir ertönten Drucklufthörner oder Rasseln. Ich hatte das Gefühl in einem Fußballstadion zu sein.

Für Justin war das mit Sicherheit nicht einfach. Ich hatte deutlich mehr Sympathien bei den Zuschauern. Als wir nach der Einschlagzeit beide auf einer Bank saßen, sagte ich zu Justin:

„Sorry, aber ich kann nichts dafür, dass sie mich so unterstützen. Es ist aber bestimmt nicht gegen dich gerichtet.“

„Naja, es scheint so, als ob Lars und Zino einen Fanclub organisiert haben. Schau doch mal dort drüben das Plakat.“

Justin zeigte auf die Gegentribüne. Ein paar Meter neben Chris Position konnte ich ein Transparent lesen, dass mir das Blut in den Kopf schießen ließ.

Gay ist geil und Fynn und Dustin besonders“, stand dort zu lesen und gehalten wurde es von Lars und Zino und ein paar anderen Jugendlichen aus dem Lübecker Verein.

Sie winkten uns zu und als das „Time“ des Schiedsrichters kam, gab es noch einmal ohrenbetäubenden Lärm von der Tribüne.

Ich schlug mich mit Justin noch einmal ab und dann begann das Match richtig. Schlagartig war absolute Stille auf den Tribünen und wir konnten konzentriert beginnen.

Aber als ich meinen ersten Punkt gemacht hatte, tobte sofort der Mob auf der Tribüne. Es war einfach irre was die dort abzogen. Aber auch Justin wurde fair beklatscht, wenn er gute Bälle gespielt hatte. Allerdings hatte ich die deutlich lautere Unterstützung.

Es gab mir viele positive Gefühle und ich konnte mühelos mit Justins hohem Grundtempo mithalten. Ich hatte nicht einmal das Gefühl, dass es sonderlich anstrengend wäre. Diese Stimmung beflügelte mich enorm. Dennoch war die Situation mit Justin auf dem Platz freundschaftlich wie immer. Auch bei den Seitenwechseln unterhielten wir uns über die Situation. Für mich war es ein Trainingsmatch und kein Halbfinale. Auch Justin wirkte locker wie beim Training. Dennoch spielten wir ernsthaftes Tennis und da keiner von uns eine Schwäche beim Aufschlag zeigte, ging der erste Satz in den Tie-break.

Zum ersten Mal in einem Turnier spürte ich keinen Druck in der Brust als bei 6:6 erneut die Seiten gewechselt wurden. Ich hatte noch einen Aufschlag und schlug nach außen auf. Justin spielte den Ball mit dem Rahmen zurück und entsprechend flatterte der Ball. Ich schaute ihn genau an und dennoch traf ich den Ball unsauber. Justin ging volles Risiko und haute mir den Ball unerreichbar ins Feld. Jetzt hatte Justin bei eigenem Aufschlag Satzball.

Ich ging zum Handtuch und nahm mir Zeit, schaute zu Chris. Er war nicht mehr da. Vermutlich war er zu Dustin gewechselt. Justin wartete bereits ungeduldig, aber ich blieb ruhig. Leider schlug Justin ausgerechnet jetzt ein As. Damit war der erste Satz weg. Mist.

In der Satzpause saßen wir nebeneinander auf der Bank und sprachen über das Spiel. So wie im Training. Einfach cool. Justin machte sogar einen kleinen Scherz.

Die Zuschauer bleiben sehr lautstark auf meiner Seite und pushten mich weiter nach vorn.

Ich beschloss, aggressiver zu spielen und häufiger ans Netz zu gehen. Vielleicht könnte ich dadurch den Rhythmus von Justin brechen.

Und tatsächlich war Justin zu Beginn des zweiten Satzes etwas unaufmerksam. So kam ich zum Break und führte jetzt 2:0.

Das Publikum tobte und die Tröten machten einen irren Lärm.

Bei meinem Aufschlag konzentrierte ich mich ganz besonders auf den ersten Service. Hohe Quote und viel Variation, wenig Topspeed. Justin konnte sich nicht auf den Ball einstellen und musste abwarten, dadurch hatte ich oft die Gelegenheit, auch Serve an Volley zu spielen. Komischerweise fühlte ich mich heute wohl bei dieser Spielart. Bald stand es im zweiten Satz 4:1 und wir saßen beim Seitenwechsel auf der Bank. Justin fragte mich grinsend:

„Du willst echt einen dritten Satz spielen, oder?“

„Joar, wenn du mich lässt, werde ich dich noch einen Satz länger ärgern. Irgendwie macht das gerade richtig Bock. Wenn ich jetzt noch wüsste wie es bei Dustin steht, wäre ich vollends zufrieden.“

„Du kannst ja Chris mal fragen. Er sitzt bestimmt dort am Platz. Hahaha.“

„Sehr witzig. Er würde mich vermutlich direkt vierteilen. Aber weißt du was, so ein Halbfinale macht schon mehr Spaß als gegen einen unbekannten Gegner. Ich habe viel weniger Stress. Wie geht es dir damit?“

„Macht Laune, aber ich möchte nicht wissen was Chris denkt, wenn wir hier so entspannt auf der Bank sitzen.“

Das „Time“ vom Schiedsrichter unterbrach unsere Unterhaltung.

Justin ließ sich die Bälle geben und weiter ging das Match. Er schlug zweimal richtig gut auf, da war nichts für mich zu holen. Danach entwickelte sich ein langer Ballwechsel, ich traute mich nicht anzugreifen, aber dann spielte Justin eine Rückhand etwas zu kurz und ich ging voll auf den Ball drauf, rückte ans Netz nach.

Leider traf ich den Ball unsauber und der trudelte gerade mal ins T-Feld bei Justin. Ein Elfmeter. Justin stürmte heran und zog voll durch. Ich hatte mich für eine Seite entschieden und lief direkt in den Ball hinein. Scheiße, das war nicht gut.

Stille und Dunkelheit.

Chris: Schreck auf dem Platz

Ich saß mit Mo auf der Tribüne bei Dustin und an einem erstklassigen Match. Die Zuschauer honorierten das hohe Niveau ebenfalls mit viel Lärm und Unterstützung insbesondere für Dustin, der seinen Gegner komplett unter Kontrolle hatte und ruhig sein Match spielte. Er hielt sich konsequent an die Marschroute und mein Gefühl sagte mir, da würde nicht mehr viel passieren.

Bei Fynn auf dem Platz schien etwas passiert zu sein, denn ich konnte die Unruhe von den Zuschauern hören. Maxi kam in diesem Moment zu uns gelaufen und war sehr aufgeregt.

„Komm bitte schnell, Fynn liegt auf dem Platz und regt sich nicht mehr. Justin hat ihn mit einem Ball am Kopf getroffen.“

Mist, das war blöd. Schnell lief ich mit Maxi an den anderen Platz und ließ mir kurz den Hergang berichten. Es war ein unglücklicher Zufall, der zu diesem Vorfall geführt hatte. Als wir ankamen war Justin bereits bei Fynn und kümmerte sich.

Fynn regte sich aber nicht. Ich musste so schnell wie möglich auf den Platz.

„Kannst du bitte dafür sorgen, dass Dustin auf seinem Platz bleibt. Wenn er davon erfährt, dreht er garantiert am Rad. Ich kümmere mich um Fynn.“

Danach war ich die Treppe direkt zum Platz hinunter gelaufen und einmal quer über den Platz zu Fynn und Justin gesprintet. Mir war es egal, dass das nicht erlaubt war. Ein Security- Mann hatte sogar versucht mich aufzuhalten, aber das Publikum hatte glücklicherweise an meinem Teamanzug sofort erkannt, dass ich zu Fynn gehöre und dem Mann einen Hinweis gegeben.

Ich kniete bei Fynn und hatte schnell seine Atmung geprüft. Alles in Ordnung. Das war das Wichtigste, dass er nicht seine Zunge verschluckt hatte. Allerdings war auch schon eine dicke Schwellung unterhalb der Schläfe erkennbar. Der Schiedsrichter hatte mittlerweile einen Beutel mit Eiswürfeln gebracht und auch der Turnierarzt war verständigt.

Justin wirkte vollkommen konsterniert. Aber darum konnte ich mich jetzt noch nicht kümmern. Fynn fing an zu husten und das war das Signal für mich. Ich nahm Fynns Oberkörper in den Rautekgriff und richtete ihn vorsichtig auf.

Die Zuschauer realisierten die positive Entwicklung und spendeten Applaus. Mein Puls beruhigte sich etwas und ich half Fynn auf die Beine.

„Boah, wo ist der Bulldozer?“, fragte mich Fynn noch benommen.

Seinen Humor hatte er noch, ein gutes Zeichen. Ich hielt ihm den kleinen, gelben Filzball hin und entgegnete:

„Hier, das ist der Übeltäter und der da“, ich zeigte auf Justin, „ist verantwortlich für deinen Zustand.“

Wir waren mittlerweile an der Bank angekommen und ich schaute mir die Beule an Fynns Kopf an. Da Fynn immer noch leicht benommen wirkte, war meine Entscheidung schon gefallen. Das Spiel war zu Ende. Mal sehen wie ich das Fynn schonend beibringen konnte. Vermutlich gar nicht. Erstaunlicherweise fragte mich Fynn gar nicht, sondern mit einem Lächeln im Gesicht sagte er:

„Das ist auch eine Möglichkeit, den Gegner außer Gefecht zu setzen. Aber beim nächsten Mal sieht das wieder anders aus.“

Es war ihm anscheinend bewusst, dass es nicht weitergehen würde. Justin wirkte niedergeschlagen. Aber auch erleichtert, dass es Fynn wieder besser ging.

„Okay“, gab ich dem Schiedsrichter die Information, „das Spiel ist zu Ende und Justin zieht ins Finale ein. Es wäre viel zu gefährlich weiterzuspielen.“

Der Schiedsrichter bestätigte meine Aussage und gratulierte Justin. Die Zuschauer waren zwar erleichtert, dass es Fynn besser ging, aber auch enttäuscht, dass das Match so beendet wurde.

„Kannst du bitte Fynns Tasche zusammenpacken und mitbringen? Ich möchte mit Fynn ins Clubhaus und ihn dann vom Turnierarzt genauer untersuchen lassen.“

Justin nickte und begann die Sachen einzupacken.

„Sollen wir dir helfen?“, hörte ich zwei bekannte Stimmen fragen.

Ich schaute mich um und Lars und Zino standen an der Bank.

„Oh ja. Das wäre klasse. Nehmt ihr Justin Fynns Sachen ab. Wir gehen schon in die Umkleide.“

Fynn und ich hatten schon den Platz verlassen, da winkte ich Lars zu mir. Ich hatte etwas Wichtiges vergessen.

„Kannst du zu Dustin gehen und ihm ausrichten, dass es Fynn gut geht. Er soll bitte ruhig weiterspielen.“

Lars nickte nur und hoffentlich hatte Dustin nicht zu viel von den Dingen hier mitbekommen. Sonst würde es sicher unmöglich für ihn werden, sein Spiel konzentriert fortzusetzen.

Erst als ich mit Fynn in der Umkleide angekommen war, stabilisierte sich sein Zustand merklich. Allerdings sah sein Kopf doch arg mitgenommen aus. Der Turnierarzt kam hinzu und begann Fynn eingehend zu untersuchen. Der gab aber schnell Entwarnung.

„Ich habe einen ordentlichen Brummschädel. Hoffentlich geht das bald vorbei.“

Fynn wirkte besorgt. Ich beruhigte ihn:

„Ja, das geht sicher bald wieder vorbei. Die Schwellung ist auch nicht mehr größer geworden. Du musst dich heute etwas schonen, aber morgen sollte das viel besser sein. Der Doktor hat dir ja grünes Licht gegeben. Wir nehmen dich also ganz normal mit nach Bäk. Es ist keine weitere Behandlung erforderlich.“

Justin saß die ganze Zeit neben Fynn. Freuen konnte er sich nicht über den Erfolg, aber auch das gehörte zum Tennis dazu. Ich wollte jetzt so schnell wie möglich wieder zu Dustin an den Platz. Daher bat ich Justin bei Fynn zu bleiben und erst an den Platz zu kommen, wenn sich Fynn dazu in der Lage fühlte.

Was mich bei Dustin erwartete, hatte ich mir nicht erträumt. Fast alle Zuschauer waren natürlich jetzt zum anderen Halbfinale gewechselt. Entsprechend voll waren die Tribünen auf dem kleineren Platz.

Mo und Maxi saßen noch auf ihren Plätzen und sie hatten meinen Platz freigehalten. So konnte ich schnell wieder mit Dustin Blickkontakt aufnehmen. Maxi hatte mich kurz über den weiteren Verlauf informiert und mich vor einem wütenden Dustin gewarnt.

Der Spielstand verriet mir auch, dass Dustin natürlich etwas mitbekommen und vollkommen den Faden verloren hatte. Er lag plötzlich im zweiten Satz mit 2:5 zurück und wirkte verunsichert.

Bei diesem Spielstand konnte ich das erste Mal mit ihm wieder Blickkontakt aufnehmen. Er wollte natürlich sofort ein Zeichen von mir, was mit Fynn ist. Ich zeigte ihm den Daumen hoch und das ich alles andere mit ihm nach dem Spiel klären würde.

Wirklich ruhiger wurde Dustin dadurch allerdings nicht. Er verlor den zweiten Satz mit 2:6 und stürmte anschließend vom Platz in Richtung Clubhaus.

Also lief ich direkt hinter ihm her und traf ihn wartend vor der Umkleide.

„Was ist bei Fynn passiert? Warum sind schon alle Zuschauer zu meinem Spiel gewechselt. Normalerweise würde das Match noch nicht zu Ende sein.“

Wie gut, dass Dustin vor der Umkleide gewartet hatte und nicht hinein gegangen war. Das wäre mit Sicherheit noch schwieriger geworden.

„Hey, nun komm wieder runter. Fynns Spiel ist von mir beendet worden, da er einen Ball an den Kopf bekommen hatte und er benommen war. Das war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Es geht ihm schon wieder viel besser. Eine Schwellung unter dem Auge ist aber noch vorhanden. Du musst dich nicht unnötig sorgen. Es ist alles unter Kontrolle und er wird auch gleich zu dir an den Platz kommen. Allerdings musst du jetzt schnell wieder zurück auf den besprochenen Weg. Sonst ist das Match vorbei und du kommst nicht ins Finale gegen Justin.“

Dustin schaute mich mit einem durchbohrenden Blick an. Ich erwiderte seinen Blick regungslos. Er sollte sofort den Eindruck bekommen, ich würde ihn mit seiner Sorge sehr ernst nehmen.

„Heißt das, du hast das Spiel abgebrochen? Also war es gefährlich weiterzuspielen?“

„Ja, das ist korrekt.“

„Und jetzt geht es ihm aber wieder besser? Ich kann wirklich unbesorgt weiterspielen?“

„Ja, genau so. Und ich würde mich freuen, wenn du das auch tun würdest. Und nicht nur ich würde mich freuen, auch Fynn würde es tun.“

Dustin blieb noch für einen Augenblick regungslos stehen. Dann gab er sich einen Ruck und erwiderte:

„Danke, das wollte ich hören. Sorry, aber ich kann es nicht einfach ausblenden. Aber jetzt werde ich mich wieder auf meinen Gegner konzentrieren und ich werde gewinnen.“

Dustin drehte sich auf dem Absatz um, lief zurück zum Platz und ließ mich ziemlich verwundert stehen. Ich wollte gerade wieder auf die Tribüne zurück als Fynn mit Justin aus der Umkleide kam.

„Puh, ihr durftet aber keine Sekunde eher herauskommen. Wie geht es dir jetzt?“, fragte ich Fynn.

„Es geht schon besser. Mir ist nicht mehr schwindelig. Ich habe Dustin gehört, daher habe ich extra gewartet. Ich hoffe, dass das richtig war.“

„Aber auf jeden Fall. Super mitgedacht. Dann lasst uns gehen. Dustin will ja jetzt gewinnen. Mal schauen ob er das hinbekommt.“

„Wärst du sauer, wenn er jetzt verliert? Ich meine, er hat sich meinetwegen aufgeregt. Das ist zwar blöd, aber ich glaube, ich hätte genauso reagiert.“

„Nein, ich werde bei so einer Situation niemals sauer sein. Es ist eine menschliche Reaktion. Auch wenn sie unnötig ist. Er müsste wissen, dass ich bei einer ernsten Lage ihn nicht einfach weiterspielen lassen würde. Aber lass uns jetzt zum Platz eilen. Er braucht uns dort.“

Das Publikum tobte gerade als ich mit den Jungs wieder auf meinem Platz ankam. Fynn und Justin setzten sich ebenfalls und zwar so, dass Fynn für Dustin gut sichtbar war. Dustin hatte das erste Spiel im dritten Satz gewonnen und erwartete jetzt den Aufschlag seines Gegners.

Mo flüsterte mir zu:

„Das ist einfach unglaublich, wie die Zuschauer hinter Dustin stehen. Ich hätte das nicht für möglich gehalten, dass ihr derartig unterstützt werdet. Richtig klasse.“

Dustin fokussierte sich auf den Ball und begann mit einem grandios offensiven Return, rückte direkt ans Netz nach und schon stand es 0:15.

Das Publikum war sofort da und pushte Dustin, der sich wie ein Gockel aufpumpte und vorwärts marschierte. Das sah genauso wie im ersten Satz aus. Das war gut auch für meine Nerven.

Lars kam zu mir und meinte: „Ich finde es mega cool, dass Dustin sich wieder gefangen hat. Wenn Zino das passiert wäre, wüsste ich nicht ob ich einfach weiterspielen könnte.“

„Sei dir sicher, einfach ist das für Dustin gerade ganz bestimmt nicht. Ich habe großen Respekt vor dieser Reaktion.“

„Du wirkst aber so ruhig und gelassen als ob du nichts anderes erwartet hättest.“

„Das täuscht, Lars.“, mischte sich Maxi ein, „Chris ist keine Maschine, aber er braucht seine ganze Aufmerksamkeit jetzt für das Match. Daher lasst ihn bitte in Ruhe. Ihr könnt später alle Fragen nachholen.“

Ich schaute Maxi dankbar an und war froh, keine Antwort geben zu müssen. Dustin hatte währenddessen das 3:0 im dritten Satz gemacht. Das entwickelte sich gut und mein Puls beruhigte sich ein wenig.

Beim Spielstand von 4:1 gab es eine neue Situation, die kritisch hätte werden können. Es gab einige Zuschauer, die für Dustins Gegner waren und ihre Felle davon schwimmen sahen. Jetzt begannen sie mit homophoben Parolen gegen Dustin Stimmung zu machen. Fynn rutschte bereits unruhig auf seinem Platz hin und her. Ein deutliches:

„Du gehst nirgendwohin und bleibst hier sitzen.“, von mir stoppte sein Bestreben, den Leuten gegenüberzutreten.

„Wo sind Lars und Zino hin?“, fragte plötzlich Markus.

Ich zuckte zusammen.

„Los, geh sie sofort suchen. Sie sollen jetzt keinen Unsinn machen“, gab ich Markus den Auftrag.

Er stand direkt auf und machte sich auf die Suche, während die Pöbeleien immer deutlich zu hören waren. Ich wollte versuchen unauffällig herauszufinden von wo genau diese Störungen kamen, als plötzlich Unruhe auf der anderen Seite der Tribüne aufkam.

Die große Gruppe mit dem Transparent reagierte mit deutlich mehr Lärm und machte die Störenfriede damit nicht mehr hörbar. Innerlich musste ich lachen über diese clevere Reaktion.

Das Beste daran war, dass fast alle Zuschauer sich jetzt an den Anfeuerungen beteiligten und die kleine Gruppe der Störer damit übertönt wurden. Dustin konnte die Pöbeleien nicht mehr wahrnehmen.

„Das ist ja cool“, freute sich Fynn, „ich bin mir sicher, dass Lars und Zino dafür gesorgt haben. Schau mal, Chris, neben dem Transparent sitzt Zino. Dann dürfte Lars nicht weit sein.“

Dafür hatte ich allerdings in diesem Moment keine Zeit, denn das Spiel ging auf die Zielgerade und Dustin stand kurz vor dem Finaleinzug. Entgegen meiner sonstigen Gelassenheit, pushte ich Dustin laut, als er sich den ersten Matchball erkämpft hatte.

Unangenehmerweise hatte Dustin mich wohl gehört. Sein Kopf drehte sich jedenfalls spontan in meine Richtung. Für einen Augenblick wirkte Dustin irritiert, dann begann er zu lachen und zeigte auf mich.

Beim nächsten Punkt dauerte es sehr lange bis Ruhe eingekehrt war, aber Dustin blieb geduldig und konzentrierte sich lange vor dem möglicherweise letzten Aufschlag.

Dann warf er den Ball hoch und schlug ihn mit voller Wucht ins Feld. Sein Gegner brachte den Ball zwar ins Feld zurück, aber viel zu kurz. Dustin machte drei schnelle Schritte ins Feld und versenkte die gelbe Filzkugel unerreichbar im Feld. Vorbei und gewonnen. Auch Dustin hatte das Finale erreicht.

Ich riss meine rechte Hand nach oben und ein lautes „Yes“ folgte.

Dustin freute sich immens und ließ richtig Dampf ab. Er hüpfte nach dem shake-hands über den Platz und die Zuschauer applaudierten begeistert. Fynn war schon Richtung Bank unterwegs.

Mo und ich schauten uns an und Mo nickte anerkennend:

„Großes Kino, Chris. Du kannst stolz auf deine Jungs sein. So ein Team zu haben, ist toll. Ich freue mich sehr für euch. Ihr erntet jetzt die ersten Früchte eurer harten Arbeit. Wunderbar.“

„Danke“, erwiderte ich, „es fühlt sich gerade sehr gut an. Hoffentlich wird die Stimmung nicht noch kippen. Einige Leute sind einfach zu dumm für diese Welt.“

„Richtig“, sagte Mo, „aber gerade weil sie so dumm sind, solltest du dich nicht zu sehr damit beschäftigen. Hier habt ihr jedenfalls deutlich mehr Unterstützer als die homophoben Deppen. Du solltest heute mit deinen Jungs schnell nach Bäk fahren und Energie tanken für morgen. Ich lade euch zum Essen ein. Das habt ihr verdient.“

Ich musste schmunzeln. Mo konnte mir so sehr den Rücken frei halten, dass ich immer wieder aufs Neue staunte.

Was ich allerdings gar nicht bemerkt hatte, weil ich mit den Rücken zum Platz stand, Dustin war mit Fynn die Treppe zu uns hinaufgelaufen und fiel mir von hinten um den Hals.

Ich erschrak für einen kurzen Moment, aber als ich mich umgedreht hatte, musste ich Dustin ganz fest umarmen. Was dieser Junge in der kurzen Zeit für eine Entwicklung gemacht hatte, war unfassbar schön.

„Na, großer Krieger. Nun ist es also soweit. Finale mit zwei Spielern vom „Break-Point-Team“. Ich bin stolz auf dich. So wie du dich hier präsentiert hast, war das ganz großes Kino.“

„Danke, Chris. Aber die Zuschauer und Freunde von Lars und Zino sind auch echt geil. Hier habe ich das Gefühl, wir sind die neuen Helden. Hihihi.“

„Aber nicht, dass dir das jetzt zu Kopf steigt. Denn ihr seid keine Helden, ihr seid nette Jungs, die gutes Tennis spielen und sich toll entwickeln. Aber Helden sehen anders aus.“

„Jaja, Chris. Das weiß ich auch. Außerdem würdest du uns in den Arsch treten, sollten wir den Boden unter den Füßen verlieren.“

„Passt schon, Dustin. Genieße den Moment, aber nicht zu lange. Morgen steht ein Finale an.“

Damit entließ ich den Jungen zum Auslaufen und Massage. Fynn wollte ihn natürlich begleiten. Mo nahm mich auf direktem Wege mit ins Clubhaus.

„Othello?“, fragte er.

„Ja, sehr gern. Und was meinst du zu einer Portion Eis für alle?“, erwiderte ich.

„Eis ist immer gut. Deine Jungs werden bestimmt auch nicht nein sagen. Aber erst in Ruhe ohne die Jungs einen Othello. Als Belohnung für dich.“

Im Clubraum herrschte reges Treiben und bevor ich mit Mo an einen Tisch gelangen konnte, musste ich zahlreiche Autogramme und sogar noch ein Interview für die Tenniszeitung geben.

Als ich endlich zu Mo an den Tisch kam, lachte er.

„Na, du musst auch jede Frage mitnehmen. Jetzt setz dich aber und ich möchte keine weiteren Fragen zu Tennis mehr hören, solange wir hier sitzen.“

„Sehr gerne. Mir geht das auch gehörig auf den Keks, aber da ist auch die Repräsentation des „Break-Point“ Teams. Ich kann schlecht sagen, ich habe keine Lust auf Fragen und lasst mich in Ruhe. Aber jetzt mache ich eine Pause und nur mit dir und unserem Othello.“

Für einen Augenblick schloss ich meine Augen und genoss den ersten Schluck des heißen Getränks.

„Hm, das tut gut. Obwohl heute ein guter Tag war, bin ich schon wieder ziemlich kaputt. Die Aufregung um Fynns Unfall hat jetzt nicht wirklich geholfen, Entspannung zu erleben. Und ganz ehrlich, ich glaube auch nicht, dass ich damit schon durch bin. Das wird mich noch beschäftigen.“

„Warum denkst du das? Es ist doch nicht so schlimm. Nur, dass Fynn sein Match nicht zu Ende spielen konnte.“

„Eben. Und Dustin macht sich garantiert noch Gedanken und für Justin ist das auch nicht so einfach. Wenn es ganz blöd läuft, sehen wir morgen ein ziemlich schwaches Finale. Aber vielleicht sollte ich mir jetzt einfach keine Gedanken darüber machen.“

„Nicht nur vielleicht. Ganz sicher solltest du das nicht jetzt tun. Hihi, du lernst doch noch dazu.“

Danach bestellte Mo noch einmal zwei Othello und lachte.

„Jaja, ich geb mich geschlagen. Aber wenn die Jungs sich beschweren, dann darf ich sie zu dir schicken?“

„Klar, wenn sie sich beschweren. Allerdings glaube ich kaum, dass sie das tun werden.“

Mo kannte die Jungs mittlerweile gut. Beschweren würden sie sich ganz sicher nicht, aber sowohl Justin als auch Dustin würden ganz sicher noch ein Gespräch suchen. Erstens hatten wir so ein Finale noch nicht und zweitens hatten beide ihre Probleme mit dieser Situation. Mal abwarten, was mich da ereilen würde.

Der zweite Othello wurde gebracht und Mo und ich redeten über den kommenden Abend. Eigentlich waren wir heute früh in Lübeck fertig und ich wollte so schnell wie möglich zurück. Allerdings würden die Jungs garantiert aufs oder ins Wasser wollen.

„Wirst du deinen Jungs heute einen freien Abend geben oder müssen sie sich schon auf das Finale vorbereiten?“

„Hihi, beides. Zuerst werden sie mit Sicherheit großen Hunger haben. Daher werden sie bestimmt sehr erfreut sein, dass du mit ihnen in dein Stammlokal gehen möchtest. Danach wird ja immer noch etwas Zeit sein. Allerdings glaube ich nicht, dass Justin noch einmal vor einem Match Schwimmen gehen wird.“

„Warum nur Justin? Dustin ist doch auch sehr lernfähig.“

„Ich könnte mir vorstellen, dass Fynn und Maxi auf jeden Fall ins Wasser gehen werden. Ob sich Dustin da zurückhalten wird, kann ich dir nicht sagen. Allerdings habe ich mir vorgenommen, heute keine Ansage zum Abendprogramm zu machen. Ich werde das Ganze erst einmal nur beobachten.“

Eine halbe Stunde später saßen wir alle in unserem Bus und waren auf dem Weg zum Essen. Mo hatte die Idee, direkt auf dem Rückweg zum Essen zu fahren. Dann wäre mehr Zeit am Abend übrig. Die Jungs waren damit sofort einverstanden. Fynns Gesicht sah schon besser aus, aber die Schwellung war noch deutlich erkennbar.

Für Dustin keine einfache Situation, aber ebenso für Justin. Ich war sehr gespannt, wie sich der Abend entwickeln würde.

Fynn: Unzufrieden und enttäuscht

Mein Kopf dröhnte und ich war gefrustet. Die Chance auf ein Finale hatte mir einer meiner besten Freunde zerstört. Allerdings sicher nicht absichtlich. Dennoch war das Resultat bitter. Dustin hatte schon einige Male versucht, mich zu trösten. Irgendwie hatte ich mich auf ein mögliches Finale mit meinem Schatz eingerichtet.

Chris hatte seit dem Matchabbruch noch nicht viel mir gesprochen. Und ich wollte es auch noch nicht. Zu sehr schmerzte mich dieser Spielabbruch. Um Missverständnissen vorzubeugen, Chris hatte keinen Fehler gemacht. Er musste sich so entscheiden und das wusste ich auch.

Ich hing meinen Gedanken nach und hatte nicht bemerkt, dass Dustin neben mir eingeschlafen war. Maxi schrieb mit seiner Mutter und einigen Freunden, war also auch beschäftigt. Justin hingegen schaute die ganze Zeit aus dem Fenster. Mo und Chris unterhielten sich vorn.

„Warum bist du so nachdenklich?“, fragte ich Justin.

„Ich fühle mich nicht so gut. Es ist mir einfach unangenehm, so gewonnen zu haben. Es tut mir einfach sehr leid für dich. Und, ganz ehrlich, ich weiß nicht so wirklich wie ich mich jetzt verhalten soll.“

In diesem Moment schaute Chris in den Rückspiegel und kniff für eine Sekunde seine Augen zusammen. Sagte aber nichts.

„Ich glaube dir sofort, dass es dir unangenehm ist. Dennoch bin ich dir überhaupt nicht böse. Es ist eben so passiert. Dass du mich nicht absichtlich abgeschossen hast, weiß ich ganz genau. Und ich würde mir wünschen, du machst alles genau so weiter wie bisher. Für mich ändert sich gar nichts an unserer Freundschaft.“

Justin schaute mich an und was dann geschah, überraschte mich komplett. Er drehte sich zu mir um und umarmte mich wortlos. Es fühlte sich gut an und es war mir wichtig, dass zwischen Justin und mir nichts zwischen uns stand. Ich glaubte, dass uns das damit gut gelungen war.

Wenige Minuten später stiegen wir an Mos Lieblingsrestaurant aus. Beim Aussteigen spürte ich meinen Kopf wieder etwas mehr. Sogar ein leichter Schwindel machte sich bemerkbar.

Dustin hatte meine leichte Unsicherheit sofort bemerkt und stand gleich neben mir.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er mich besorgt.

„Jaja, passt schon. Der Kopf brummt halt noch etwas. Aber jetzt geht es wieder. Lass uns reingehen. Ich habe Hunger.“

Das war das Stichwort, Maxi schien schon darauf gewartet zu haben, denn er erwiderte:

„Endlich, ich habe schon gedacht, heute gibt's gar nichts mehr zu essen.“

Das war natürlich für Chris die Steilvorlage.

„Als ob du jemals schon an einem Tag eine Mahlzeit verpasst hättest. Aber ich kann euch beruhigen. In der nächsten Woche habt ihr wieder geregelte Essenszeiten und vor allem geregelte Schulzeiten. Dann wird das kein Problem mehr sein, hihihi.“

„Boah, du bist gemein, Chris. Wie kannst du uns jetzt an Schule erinnern?“, protestierte Dustin kopfschüttelnd.

„Warum? Maxi hatte sich beschwert und da musste ich doch reagieren.“

Chris hatte keine Miene verzogen und Mo nickte ihm nur zustimmend zu. Dann ging Mo einfach hinein und Chris folgte ihm.

Wieder waren wir Chris auf dem Leim gegangen. Das wurde mir jetzt auch klar. Dennoch hatte er nicht die Unwahrheit gesagt. Nächste Woche war für uns seit längerer Zeit mal wieder eine normale Schulwoche.

„Blödmann, Maxi. Jetzt hast du Chris auf diesen Gedanken gebracht. Toll, echt jetzt.“

Dustin spielte auch mit. Ich war irgendwie nicht in Bestform und nicht in der Stimmung.

Als wir alle am Tisch Platz genommen hatten, schauten wir uns an den Wänden um. Dort hingen neue, andere Gerichte als beim letzten Mal. Wieder sehr interessante Dinge und wir fanden alle wieder etwas Passendes. Es wurde erneut ein Festessen und natürlich von Mo mit einem geilen Nachtisch beendet.

Dass Chris da nicht interveniert hatte, erstaunte mich schon ein wenig. Denn gesund war dieser Nachtisch für uns ganz sicher nicht.

„Mhh, das war wieder lecker“, grinste Maxi.

„Ja, und morgen rollen wir über den Platz“, stöhnte Justin.

„Ach was, das muss auch mal sein dürfen. Außerdem könnt ihr ja gleich noch eine Runde paddeln gehen. Dann habt ihr das ganz schnell wieder abgearbeitet.“, lachte Chris.

„Das gefällt mir gut, Chris. Schick deine Jungs noch ein wenig aufs Wasser. Dann können wir in Ruhe noch etwas in der Abendsonne sitzen.“

Mo hatte hier ganz klar zum Ziel, dass Chris am Abend mehr zur Ruhe kommt. Das konnte ich deutlich spüren, dass sich Mo um das Befinden von Chris sorgte.

Eine besondere Überraschung kam noch von Mo, er bestand darauf heute Abend das Essen für alle bezahlen zu dürfen. Er lud uns einfach ein und ließ sich von Chris auch nicht überreden. Eine schöne Geste, die wir alle mit Applaus beantworteten.

„Ihr habt hier so eine starke Gruppenperformance gezeigt, das muss ich honorieren. Jeder unterstützt den anderen, selbst jetzt wo morgen ein Finale von Justin und Dustin ansteht, seid ihr genauso miteinander umgegangen wie sonst. Das finde ich beeindruckend.“

Wir schauten uns an und Maxi war derjenige, der unsere Gedanken aussprach:

„Chris hat uns darauf vorbereitet und jetzt erleben wir diese Situation. Es fühlt sich für mich geil an. Zwei meiner Freunde im Finale und ich freue mich für sie. Genauso wie sie sich für mich freuen würden. Und Mo, das ist dann der Unterschied zu anderen Spielern, wir sind immer als Team unterwegs. Uns gibt es nicht im Einzelfall, nur im Paket.“

„Und dieses Paket wird immer schwerer. Chris hat immer drauf geachtet, dass wir alles genauso machen wie immer, egal welcher Erfolg gerade kommt. Ich hoffe auch, dass Chris mir sofort in den Arsch tritt, sollte ich mal nicht bemerken wenn ich den Boden unter den Füßen verliere.“

Chris lachte:

„Worauf du dich verlassen kannst, Fynn. Und zwar schneller als dir lieb sein würde. Aber momentan kann ich mir das nur schwer vorstellen. Aber ich bleibe wachsam. Verlass dich drauf.“

Chris nahm mich dabei kurz in den Arm und drückte mich fest. Genau diese Kleinigkeiten gaben mir so viel Sicherheit. Einfach ein schönes Gefühl.

Etwa eine halbe Stunde später hatte Chris den Bulli bei Mo geparkt und wir unsere Taschen ausgepackt. Mo und Chris waren oben geblieben. Maxi hatte schon die Kanus ins Auge gefasst. Auch Justin wollte unbedingt damit aufs Wasser. Dustin und ich waren noch unschlüssig. Ich fühlte mich noch nicht so besonders und mir war noch ein wenig schwindelig.

Als wir dann in Schwimmsachen auf der Terrasse standen, fragte Maxi:

„Und, was ist? Kommt ihr mit paddeln oder müssen Justin und ich allein fahren?“

Ich schaute zu meinem Schatz und Dustin gab eine schnelle Antwort:

„Wir bleiben hier und genießen die Sonne am Steg. Ihr könnt ja trotzdem fahren. Vielleicht haben die Jungs da drüben ja Lust, mit euch ein Rennen zu fahren.“

Dabei zeigte Dustin auf eine Gruppe Jugendlicher, die auf dem Nachbargrundstück gerade ihre Paddelboote klarmachten. Mo hatte uns erklärt, dass dort eine Freizeiteinrichtung für benachteiligte Jugendliche sei. So eine Art Freizeitheim. Wie eine Jugendherberge. Allerdings sah diese Gruppe Jungs etwas jünger aus. Vielleicht dreizehn oder vierzehn.

Sie hatten zwei Zweisitzer bereits ins Wasser gelassen und ein drittes Boot wurde gerade Richtung Wasser getragen.

Das sah recht geübt aus, denn die beiden Boote im Wasser paddelten bereits vom Steg weg.

Maxi und Justin hatten sich entschlossen das Boot zu nehmen. Aber ohne Mos Einweisung und Erlaubnis sollten sie das nicht von der Wand nehmen. Entsprechend marschierten sie Richtung Haus. Dustin und ich machten es uns in den Liegestühlen direkt auf der Seeterrasse gemütlich. Von dort konnten wir einen großen Teil des Sees überblicken und waren dennoch windgeschützt. Ein herrlicher Platz zum Relaxen.

Kurze Zeit später kamen die beiden mit Chris und Mo zurück. Mo zeigte ihnen wie sie das Boot von der Wand nehmen konnten und gab ihnen die Paddel.

„Also ihr könnt euch auf dem See frei bewegen, denn das Ausflugsschiff fährt heute Abend nicht mehr. Allerdings achtet bitte auf die Zeit. Ihr solltet unbedingt im Hellen wieder hier sein. Es gibt nur leichte Strömungen im See. Das sollte für euch kein Problem sein. Hier sind aber noch zwei Schwimmwesten für den Ernstfall. Das ist Pflicht beim Paddeln auf dem See.“

Ohne zu diskutieren legten sie die Westen an und trugen das Boot zum Steg. Mo half ihnen noch beim Wassern und ermahnte sie zur Vorsicht. Chris schaute die ganze Zeit nicht besonders fröhlich zu. Ich glaubte, dass Chris von dieser Aktion nicht begeistert war.

Allerdings stiegen Justin und Maxi souverän in das Boot und paddelten gleich im Takt los. Das sah gekonnt aus.

Mo schaute ihnen einige Minuten hinterher und auch Chris entspannte sich wieder etwas.

„Also du kannst wirklich beruhigt sein, Chris. Die beiden sitzen nicht das erste Mal in so einem Boot. Ich habe ein gutes Gefühl. Sie werden jedenfalls mit Boot zurückkommen. Vielleicht nass, aber nicht schwimmend.“

„Sehr witzig, aber du hast recht. Das sieht wirklich elegant aus. Also gut, sollen sie ein wenig paddeln. Sie sind auch nicht allein auf dem Wasser. Da drüben sind noch drei Boote.“

Chris zeigte auf die Boote der Jungs von nebenan.

Dustin und ich legten uns wieder in die Liegestühle und Chris blieb noch am Steg stehen, während Mo bereits zurückgehen wollte. Er wartete aber auf Chris.

„Kommst du wieder mit hoch? Deine Jungs können das auch allein. Außerdem sitzen Fynn und Dustin am Wasser. Sie werden uns schon Bescheid geben, wenn etwas sein sollte.“

Chris drehte sich um und im Weggehen bat er uns:

„Sollte es irgendein Problem geben, ruft mich sofort an. Habt ihr ein Handy hier liegen?“

Ich hob mein Handy an und Chris nickte zufrieden als er sich mit Mo wieder nach oben bewegte.

Nebenan herrschte auf dem Rasen auch reges Treiben der Jugendlichen. Aber es war nicht störend laut. Wir konnten uns in Ruhe weiter unterhalten.

Ich schloss meine Augen und die Sonne wärmte meinen Körper. Auch Dustin entspannte sich schnell wieder und ich war sogar für einen Moment weggedöst.

Dustin hatte mich unsanft angestuppst und meinte aufgeregt:

„Los, wach endlich auf. Ich glaube, Justin und Maxi haben Probleme mit einem anderen Boot.“

„Hä, was ist los. Ach so. Wo?“

Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu realisieren was los war.

„Schau, da vorn. Maxi versucht mit dem Paddel das andere Boot wegzudrücken.“

Ich schaute aufs Wasser und etwa fünfzig Meter vom Ufer entfernt lagen zwei Boote enganeinander im Wasser und ich konnte nur drei Insassen erkennen. Wo war der vierte aus dem anderen Boot? Da sah ich einen Kopf im Wasser und irgendwie sah das komisch aus. Der Junge im Wasser hielt sich am Paddel von Maxi fest, machte aber keine Anstalten wieder ins Boot zu kommen.

Plötzlich begann Justin mit dem Arm in unsere Richtung zu winken. Das war für mich das Signal. Sofort nahm ich das Handy und rief bei Chris an.

Auch nebenan standen ein Betreuer am Wasser und schaute auf den See. Er machte auch einen besorgten Eindruck.

Chris: Wassernotfall zum Abschluss

Mo und ich saßen in der Abendsonne auf der Terrasse und sprachen über die Entwicklung von Nickstories und die letzte Challenge. Mo hatte, wie immer, alle Challenges genau gelesen und für sich auch eine Analyse gemacht.

Zwei Flaschen Fassbrause standen auf dem Tisch und ich war gerade ganz weit weg vom Tennis, als sich mein Handy meldete. Ich zuckte zusammen als ich den Anrufer sah, Fynn.

„Ja, was gibt es?“

„Kannst du bitte sofort runterkommen. Es gibt ein Problem auf dem Wasser. Vielleicht bringst du Mo auch mit.“

Dieser Satz ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Mo hatte sofort begriffen, dass es am Wasser ein Problem gab. Sofort machten wir uns auf den Weg zum Steg.

Dort angekommen hatte Mo mit einem Blick erkannt, dass es bei Maxi und Justin ein Problem gab. Er nahm mich am Arm und meinte:

„Los, wir nehmen das andere Boot und fahren hin. Deine Jungs haben ein Problem mit dem anderen Boot. Da muss etwas passiert sein.“

Ohne zu zögern nahmen wir das Kanu von der Wand und innerhalb von drei Minuten hatten wir die Schwimmwesten an und das Boot lag im Wasser. Ich stieg zuerst ein und dann Mo hinter mir.

Schnell paddelten wir zu den Jungs im Wasser. Dennoch dauerte es ein paar Minuten bis wir vor Ort waren. Die Lage stellte sich schon problematisch dar. Ein Junge aus dem anderen Boot hatte sich beim Sprung aus dem Boot verletzt und hielt sich nun bei Maxi am Paddel fest. Er kam ohne Hilfe nicht mehr zurück ins Boot, konnte aber den Weg auch nicht zurück schwimmen.

Der zweite Junge im anderen Boot war vollkommen panisch. Mo übernahm die Regie und gab klare Anweisungen. So beruhigte sich auch der andere Junge wieder und wir konnten uns um den verletzten Jungen im Wasser kümmern.

Martin, der Junge im Wasser, klagte über Schmerzen im Beckenbereich. Er war vermutlich auf irgendetwas im Wasser gefallen, als er aus dem Boot gesprungen war.

Mo beorderte Maxis Boot neben das andere Boot und sie sollten es stabilisieren. Mo und ich zogen Martin aus dem Wasser und hievten ihn zurück in sein Boot. Dabei hatte er starke Schmerzen und weinte. Es ließ sich aber nicht anders machen.

Dann nahmen wir das Boot der beiden anderen Jungs in die Mitte und geleiteten es zurück. An unserem Steg konnten wir am einfachsten anlegen. Natürlich standen dort Dustin und Fynn aufgeregt und warteten auf uns.

„Könnt ihr Martin bitte vorsichtig aus dem Boot heben und auf den Rasen legen. Dann können wir auch aussteigen und uns um den Jungen kümmern. Nehmt ihr dann bitte die Boote aus dem Wasser.“

Mo hatte komplett die Kontrolle übernommen und ich konnte mich um die Verletzungen von Martin kümmern.

Thomas, der andere Junge, war ziemlich aufgelöst und darum kümmerte sich jetzt Justin, während ich Maxi über den Bach zum Freizeitheim geschickt hatte. Allerdings war der Betreuer schon zu uns unterwegs gewesen. So waren sie schnell wieder bei uns.

Ich hatte Martin kurz untersucht und konnte schnell Entwarnung geben. Es gab keine Bewegungsausfälle und keine offenen Verletzungen. Es sah nach einer schmerzhaften Beckenprellung aus. Zur Sicherheit sollte aber sein Betreuer mit ihm ins Krankenhaus zum Röntgen fahren.

Dustin hatte bereits vorsichtshalber schon einen Rettungswagen alarmiert. Das gefiel mir richtig gut. Er hatte es eigenständig entschieden.

Als ich etwas mehr Zeit hatte, stellte ich mich zu meinen Jungs. Insbesondere Dustin wirkte aber sehr aufgewühlt.

„Hey, du hast perfekt reagiert und einen Notruf abgesetzt. Selbst wenn der Rettungswagen nicht notwendig gewesen wäre, war das eine komplett richtige Entscheidung. So spart das wertvolle Zeit. Und wenn er nicht gebraucht worden wäre, auch kein Problem. Dann wäre er wieder zurückgefahren und gut ist.“

Dustin nickte nur. Er war bewegt, aber Fynn gab ihm Sicherheit und schnell beruhigte sich die Situation. Lukas, der Betreuer schickte Thomas los, um einen zweiten Betreuer zu holen.

Der Rettungswagen konnte zu uns in den Hof fahren. Also schickte ich Maxi nach oben an die Straße.

Innerhalb einer Viertelstunde löste sich die Situation auf. Der Rettungsdienst nahm Martin und einen Betreuer als Begleitung auf und wir konnten unsere Boote wieder in die Halterungen an der Hüttenwand legen.

Lukas, stand noch bei uns und bedankte sich für unsere schnelle Hilfe.

„Leute, das war große Klasse. Vielen Dank für die Hilfe. Ich glaube, dadurch ist das Ganze glimpflich ausgegangen.“

„Das war doch selbstverständlich, das hättet ihr genauso gemacht, wenn wir in Not gewesen wären“, antwortete ich. Und Mo ergänzte:

„Insbesondere solltet ihr euch bei den Jungs bedanken, die auf dem Wasser sofort gemerkt hatten, dass etwas nicht stimmt.“

„Ja, das ist richtig. Wir machen heute Abend noch ein Lagerfeuer. Falls ihr Lust habt, seid ihr herzlich eingeladen. In einer Stunde wollen wir anfangen.“

Eine nette Geste, wie ich fand.

„Danke, das ist bestimmt ein gutes Zeichen auch für die anderen Jugendlichen. Wir werden sicher mal rüber kommen. Wie lange kann ich nicht sagen, da wir morgen noch ein wichtiges Tennisturnierendspiel haben.“

Lukas nickte und ging dann wieder zu seinen Kindern auf die andere Seite des Baches.

„Ok, dann lasst uns hier mal alles wieder aufräumen und die restliche Abendsonne noch genießen. Noch mehr Aufregung brauche ich nicht mehr.“

„Hey, Chris. Aber du musst zugeben, langweilig wird es mit uns jedenfalls nicht“, grinste Maxi.

„Stimmt, aber ich habe schon genug graue Haare. Dennoch habt ihr euch großartig verhalten. Ich bin stolz auf euch alle.“

„Aber ihr habt auch super reagiert. Gerade Mo, vielen Dank für die schnelle Hilfe. Es tut uns leid, dass wir euren ruhigen Abend gestört haben.“

Justin wirkte sichtlich bewegt, Mo nahm das zum Anlass etwas Ablenkung ins Spiel zu bringen.

„Keine Ursache, Justin. Dafür sind wir ja auch letztlich da. Jetzt lasst uns noch etwas Eis essen. Oder habt ihr keinen Appetit auf Eis?“

Das war zwar eine rhetorische Frage, aber so waren alle Jungs schnell mit uns auf dem Weg nach oben auf die Terrasse. Mo verteilte schnell die Teller und stellte eine große Packung Vanilleeis auf den Tisch.

Während des Eisessens wurde nur wenig gesprochen. Ich konnte aber spüren, dass Justin und Maxi doch etwas nachdenklich wirkten.

„Was beschäftigt euch?“, fragte ich offen in die Runde.

Justin schaute von seinem Teller auf:

„Dass ich erneut gemerkt habe, dass das Leben immer schnell zu Ende sein kann und es egal ist, wie alt man ist. Wir sollten unser Leben nicht unnütz verplanen.“

„Tun wir ja auch nicht“, erwiderte Fynn, „wir verplanen ja nicht, wir stecken uns Ziele. Allerdings hast du in dem Punkt recht, dass ich mir manchmal etwas mehr Spontanität wünschen würde. Ohne Kritik an irgendjemanden. Einfach mal Training sausen lassen und mit einem Freund ins Schwimmbad gehen, wenn ich Lust dazu habe. Ich habe zum Beispiel das Gefühl, mit meinen Klassenkameraden viel zu wenig Zeit zu haben.“

„Das stimmt, Schatz. Aber wir werden ja in der nächsten Woche wieder in der Schule sein. Vielleicht finden wir ja da die Zeit für eine Aktion mit ihnen.“

Mich wunderten diese Äußerungen, denn bislang hatten ihre Klassenkameraden keine so große Rolle in ihrer Freizeitgestaltung gespielt. Aber darauf würde ich in Zukunft mehr achten.

„Leute, wenn ihr weiterhin so gut arbeitet, dann wird es immer Freiräume für eure Freunde geben. Aber wenn ich davon nichts weiß, kann ich auch nicht reagieren. Sagt mir doch einfach, wenn etwas anliegt.“

„Und der Trainingsplan? Du musst Jan gegenüber doch sicher nachweisen, dass wir uns an die Pläne halten. Dann bekommst du Stress, das will ich auch nicht.“

„Blödsinn! Wenn ich entscheide, euch für einen Nachmittag mal frei zu geben, dann wird mich niemand dafür kritisieren. Letztlich zählt das Ergebnis, eure Entwicklung. Also lasst es mich wissen und nach einer Lösung gemeinsam schauen. Wir finden sicher eine Passende.“

Als Mo und ich die Teller wieder in die Küche gebracht hatten, gingen wir alle noch für zwei Stunden ans Lagerfeuer im Freizeitheim. Insbesondere Maxi und Justin wurden dort besonders euphorisch begrüßt. Schnell kamen wir in Gespräche und es wurde noch sehr lustig. Als die Betreuer ihre Gitarren herausholten, sangen sogar meine Jungs mit. Ein gelungener Abend und es freute mich, dass meine Jungs schnell wieder zum Alltag übergehen konnten. Der verunglückte Junge war auch zurück und es ging ihm wieder besser. Es war keine Fraktur und er durfte auch direkt wieder mit zurück ins Lager.

Der nächste Tag war Finaltag und wir waren schon recht früh zur Anlage gefahren. Mo hatte uns erneut begleitet und natürlich waren Lars und Zino auch wieder bei uns. Allerdings das Einschlagen ließ ich von Maxi und Fynn übernehmen.

Ich hatte mir ganz fest vorgenommen, das Finale zu genießen und mich in keinster Weise einzumischen. Lediglich sorgte ich dafür, dass beide ihre Ruhe hatten und vor dem Spiel von niemandem belästigt wurden. Auch keine Presseanfragen wurden von uns beantwortet.

Lars und Zino hatten ihren „Fanclub“ wieder am Start und entsprechend lebhaft verlief bereits das Einschlagen.

Mo und ich hatten auf dem Center Court eine ganze Box bekommen. Dort würden auch Maxi und Fynn noch Platz finden. Markus hatte sich zu seinen Jungs auf die gegenüberliegende Seite gesetzt.

Vor Spielbeginn gab eine richtige Spielervorstellung mit dem Turnierdirektor und dem Stadionsprecher. Justin wurde nach seinem Namen gefragt und er erklärte dem Publikum, dass er aus Montreal in Kanada kommt. Dustin wurde natürlich auch nach seiner Herkunft befragt. Allerdings gab er nur die Auskunft aus Halle zu kommen. Mehr wollte er nicht zu sich sagen. Ich konnte es verstehen und war heilfroh, dass der Sprecher keine weiteren Fragen dazu mehr stellte.

Justin hatte den Münzwurf gewonnen und sich für Aufschlag entschieden. Das hatte ich auch nicht anders erwartet.

Dann begann die fünfminütige Einschlagzeit und ich stellte mein Handy auf lautlos. In diesem Moment fing es an zu vibrieren und auf dem Display stand ein Name mit dem ich gerade überhaupt nicht gerechnet hatte. Marc Steevens konnte ich lesen.

„Hi Marc, wie geht es euch? Wir haben schon länger nichts mehr von euch gehört.“

„Hallo Chris, ja, aber keine Sorge. Ich weiß sehr gut Bescheid. Thorsten hat mich immer auf den neuesten Stand gebracht. Ich wollte dich bewusst nicht bei den beiden Turnieren stören. Jetzt dürften ja Justin und Dustin gleich auf den Platz gehen. Da wollte ich noch vorher gratulieren und meine Freude zum Ausdruck bringen.“

„Danke, sehr nett von euch. Sie sind übrigens schon auf dem Platz und schlagen sich ein. Es geht also gleich los.“

„Oh, dann hatte ich eine andere Zeitinformation. Ich will nicht länger stören. Kann ich nachher noch einmal anrufen?“

„Aber natürlich. Ich denke, du willst ja vielleicht auch mit den Jungs sprechen. Ich schreibe dir eine Nachricht, wann es am günstigsten ist, ok?“

„Ja, das ist gut. Dann ein gutes Spiel ohne weitere Zwischenfälle und bis später.“

„Wer war denn das?“, fragte Fynn etwas genervt.

„Das war Marc und hat uns viel Spaß gewünscht.“

„Woher weiß der eigentlich immer, was bei uns passiert? Telefonierst du ständig mit ihm?“

„Nein, ganz sicher nicht. Aber Thorsten wird ihn ständig auf dem Laufenden halten. Und ich finde es klasse, dass er sich immer für uns interessiert.“

„Das ist sicher korrekt. Ich wundere mich einfach nur. Er hat doch bestimmt tausend andere Dinge um die Ohren. Dennoch ist er immer bestens informiert und hält Kontakt. Ich finde es geil, dass sich Marc weiterhin für uns interessiert.“

„Genau, und wie sieht das mit Luc und Stef aus? Habt ihr Kontakt zu ihnen?“

„Ja“, antwortete Fynn lächelnd, „ wir schreiben regelmäßig“.

„Und wie geht es ihnen in München?“

„Sehr gut. Luc muss wohl viel bei Karl arbeiten, aber er freut sich über die Chancen bei Karl.“

„Das hört sich doch gut an.“

Ein „Time“ des Schiedsrichters ließ unser Gespräch abbrechen und meine Konzentration auf den Platz richten. Ich war gespannt wie sich dieses Match entwickeln würde. Beide Jungs sah ich auf Augenhöhe. Justin hatte den besseren Aufschlag, dafür konnte Dustin auch längere Ballwechsel gehen.

Und genau so entwickelte sich der erste Satz. Dustin versuchte das Tempo zu verlangsamen, während Justin zum Ziel hatte, möglichst schnelle Punkte zu machen. Dabei machte Justin zu viele Fehler und gab Dustin damit einen Vorteil und somit ging der erste Satz mit 6:4 an Dustin.

Das führte natürlich zu einer großartigen Stimmung bei Dustins Fans von der anderen Seite der Tribüne. Ich empfand es etwas unglücklich, denn Justin wurde zwar auch unterstützt, aber bei weitem nicht so laut wie Dustin von Lars und Zinos Gruppe.

Allerdings bekam Fynn natürlich ein Stimmungshoch. Er feuerte seinen Freund auch lautstark an. Allerdings achtete er darauf, dass gute Punkte von Justin von ihm genauso beklatscht wurden.

Obwohl ich mich eigentlich komplett hätte entspannen können, spürte ich einen erhöhten Puls. Ich war nicht angespannt, aber aufgeregt. Es entwickelte sich nämlich ein sehr hochklassiges Match im zweiten Satz. Justin hatte gemerkt, dass er etwas weniger Risiko gehen musste. Dadurch zwang er Dustin immer häufiger weiter hinter die Grundlinie und konnte so einfacher ans Netz vorrücken.

Der zweite Satz ging in den Tie-break. Die Spannung war spürbar, aber dennoch gingen die beiden freundschaftlich miteinander um. Manchmal saßen sie auch wieder auf einer Bank. Ein tolles Bild.

Beim Stand von 7:7 gab es einen unglücklichen Punkt für Justin. Ein Netzroller verhalf ihm zu einem Satzball bei eigenem Aufschlag.

Dustin fluchte laut und war gefrustet. Justin hatte sich selbstverständlich entschuldigt. Das gehörte zum Tennis dazu und es gleichte sich meistens im Verlauf eines Spieles auch aus.

Dustin verlor allerdings für einen kleinen Moment die Konzentration und dadurch auch den nächsten Punkt und damit den Satz. Es ging also in den entscheidenden dritten Satz.

Das Publikum reagierte etwas parteiisch und machte leichte Unmutsgeräusche nach dem Satzball. Das missfiel mir. Es gab dafür keinerlei Gründe. Allerdings musste Justin lernen, damit umzugehen.

Während der Satzpause gab es sogar eine „La ola“ Welle.

„Möchtest du eine Fassbrause oder lieber einen Othello?“, fragte mich in diesem Moment Mo.

„Äh, eine Fassbrause bitte“, antwortete ich leicht erstaunt.

Mo griff in seinen Rucksack und holte eine kalte Flasche hervor.

„Wow, die ist ja noch richtig kalt. Wie geht denn das?“, fragte ich überrascht.

„Das ist ein Kühlrucksack. Das ist sehr praktisch im Sommer.“

Die kalte Fassbrause tat mir gut und entspannte mich etwas. Das Spiel ging in den dritten Satz und begann genauso spektakulär wie der zweite Satz geendet hatte.

Beide schenkten sich auf dem Platz nichts, aber beim Seitenwechsel nahmen sie immer wieder auf derselben Bank Platz. Beide konzentriert und vertieft in das Spiel, dennoch immer fair und freundlich zueinander.

Für mich ein Hochgenuss den beiden zuzuschauen. Einfach toll.

Mir war es vollkommen egal, wer von beiden den Turniersieg schaffen würde. Ich müsste eh den Verlierer wieder aufbauen und ein wenig trösten. Allerdings machte ich mir einen kleinen Spaß daraus, Fynn genauer zu beobachten. Am liebsten wäre er näher an die Bank gegangen und hätte seinem Freund Tipps gegeben. Das traute er sich aber dann doch nicht. Er hatte seine Lektionen gelernt und respektierte den Teamgeist.

Ein halbe Stunde später spitzte sich das Match erneut zu. Es stand 5:4 für Justin und Dustin schlug gegen den Matchverlust auf. Wie so oft erschien hier der sogenannte schwere Arm. Er bekam keinen ersten Aufschlag ins Feld und Justin schoss ihm zwei Returns um die Ohren, die ihm kurz darauf zwei Punkte brachten. Damit stand es 0:30 und der Druck auf Dustin wuchs immens.

Aber anstatt sich aufzuregen oder gefrustet zu sein, nahm er sich etwas mehr Zeit und konzentrierte sich auf den Aufschlag. Zwei erste Aufschläge brachten ihm ein 30:30. Es folgte ein sehr langer und harter Ballwechsel, der für beide an die Grenzen ging. Das glücklichere Ende hatte Justin und damit den ersten Matchball.

Fynn wirkte wie paralysiert. Er schaute mit starrem Blick auf den Platz als Dustin sich zum Aufschlag stellte. Der Ball war im Spiel und plötzlich spielte Justin einen Stopp. Unglaublich cool beim Matchball den ersten Stopp überhaupt zu spielen. Das Match war vorbei und Justin hatte das Future Turnier in Lübeck gewonnen, Dustin hatte den zweiten Platz belegt und Fynn war durch das Halbfinalspiel Dritter. Was für ein erfolgreiches Turnier nach dem bereits extrem erfolgreichen Event in Leipzig.

Fynn war traurig, aber nicht enttäuscht und applaudierte Justin auch fair. Ich drehte mich um und schlug ihm vor:

„Wenn du zu Dustin gehen möchtest, mach das jetzt. Während der Siegerehrung wird es dir nicht erlaubt sein auf dem Platz zu sein.“

Ich hatte es kaum ausgesprochen, da flitzte er schon nach unten. Maxi blieb bei Mo und mir und ich musste einmal tief durchatmen.

„Gratuliere, Chris. Das war erneut eine tolle Teamleistung und das gibt doch bestimmt wieder viele Ranglistenpunkte. Vom Siegerscheck ganz zu schweigen, oder?“

Mo umarmte mich dabei und ich freute mich über diese tolle Leistung der Jungs. Es entwickelte sich eine gewisse Stabilität in der Leistung. Jetzt musste der nächste Schritt gemacht werden. Dafür brauchen die Jungs aber auch Ruhe nach solchen Anstrengungen. Von daher war die kommende Woche in Halle jetzt gut und wichtig.

Die Siegerehrung wurde vorbereitet und der Turnierdirektor stand bereits auf dem Platz. Er hatte mit beiden Spielern schon gesprochen und Dustin war zu Fynn an den Rand des Platzes gegangen. Dort konnte Fynn endlich seinem Freund angemessen gratulieren. Natürlich mit einem langanhaltenden Kuss. Auch die Umarmung mit Justin war herzlich und ehrlich. Es war schön mit anzusehen, dass Fynn Justin diesen Sieg genauso gönnen konnte wie seinem Freund.

Fynn gab mir mit Handzeichen zu verstehen, dass mich die drei gerne unten an der Bank hätten Eigentlich überhaupt nicht mein Ding, aber ich dachte heute wäre eine Ausnahme angemessen.

Ich ging also nach unten hinter die Bank wo mich Fynn in Empfang nahm.

„Dustin und Justin wollten dich unbedingt hier unten haben. Ich habe keine Ahnung was sie vorhaben.“

„Ja, schon gut. Warten wir es ab.“

Dann begann die Siegerehrung und natürlich wurden auch vorher Interviews mit beiden Spielern geführt. Als Dustin gefragt wurde, wie es ihm in Lübeck gefallen hat, gab er folgende Antwort:

„Wenn man in ein Finale kommt, gefällt es einem immer besser als nach einer Erstrundenniederlage.“

Das führte zu Heiterkeit auf der Tribüne und auch ich musste schmunzeln.

Dustin fuhr fort:

„Aber hier wurden wir sehr freundlich empfangen und gut umsorgt. Es war für mich eine neue Situation plötzlich als Favorit in ein Turnier zu gehen. Auch war für mich neu, dass wir etliche Autogramme geben mussten und Presseanfragen hatten. Das irritierte mich. Aber unser Coach Chris hat uns ruhig durch diese neue Situation geführt und mir gezeigt, was wirklich wichtig ist. Das wir hier auf gleichgesinnte Spieler gestoßen sind, gibt mir die Bestärkung, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, uns nicht mehr zu verstecken und zu meiner Homosexualität zu stehen und auch mit meinem Freund Fynn offen an meiner Seite aufzutreten. Wem das nicht passt, der hat halt Pech gehabt. Uns wird es auch in Zukunft nur gemeinsam geben.“

Da kam erneut lauter Beifall auf.

Der Moderator fragte vorsichtig nach:

„Heißt das, ihr habt hier das Gefühl bekommen, willkommen zu sein?“

„Ja, absolut und dafür möchte ich ein Dankeschön loswerden. Ihr seid ein tolles, fachkundiges Publikum gewesen und insbesondere im Halbfinale habe ich die Unterstützung gebraucht. Vielen Dank und ich glaube, wir kommen im nächsten Jahr wieder.“

Das löste natürlich die größte Zustimmung aus.

Jetzt war Justin an der Reihe und es schien den Anschein zu haben, dass sich die beiden Jungs abgesprochen hatten, wer was zu welchem Thema sagt, denn Justin übernahm jetzt das Mikrofon:

„Zuerst einmal möchte ich mich für diese tolle Woche hier in Lübeck bedanken. Das Turnier war hervorragend organisiert und ich bin hier immer freundlich behandelt worden. Dass ich hier als Sieger sprechen darf, ist ein wenig glücklich. Das Halbfinale hatte leider ein unschönes Ende gefunden und ich war mir überhaupt nicht sicher, das gewinnen zu können. Von daher ist dieser Sieg auch ein wenig meinem Freund Fynn zu widmen. Viel mehr möchte ich aber diesen Sieg unserem Trainer Chris zuschreiben. Er hat immer für uns den richtigen Rat und ist immer mit Tat zur Stelle. Ich weiß, dass du es nicht so magst in der Öffentlichkeit zu stehen, aber heute bestehe ich darauf mit dir gemeinsam das Siegerfoto zu machen. Schließlich ist mit Dustin auch ein Spieler unseres „Break-Point Teams“ zweiter geworden. Den Sponsoren möchte ich danken, dass dieses Turnier stattfinden konnte und für meinen Teil möchte ich im nächsten Jahr meinen Titel gerne verteidigen. Vielen Dank.“

Danach brandete lauter Applaus auf. Dustin und Justin winkten mich auf den Platz. Jetzt entschied ich mich, entgegen der normalen Vorgehensweise, Fynn mit auf den Platz zu nehmen. Es war mir egal ob das erwünscht war oder nicht. Ich wollte es so, Punkt.

Dustin freute sich natürlich über die Entscheidung und entsprechend empfing er seinen Freund auf dem Platz mit einem Kuss. Ausgerechnet diese Szene sollte später in der Presse stehen. Mir war es egal, den Jungs auch, also alles richtig gemacht.

Bevor wir ins Auto steigen konnten, wurde noch etwas gefeiert. Auch Lars und Zino waren bei uns wir mussten uns voneinander verabschieden. Mit Markus hatte ich vereinbart, dass ich sie einmal zu einem Trainingslager nach Halle einladen werde.

We are the Champions“ von Queen erklang in unserem Bus auf der Rückfahrt. Sowohl aus den Lautsprechern als auch aus den Kehlen der Jungs. Der Siegersekt hatte anscheinend einige Hemmungen abgebaut und entsprechend stieg die Stimmung. Wie gut, dass die Fahrt nach Bäk nur eine halbe Stunde dauerte. Dort ließ ich die Jungs erst einmal ihr Quartier aufräumen. Ich packte ebenfalls meine Tasche zusammen und genoss mit Mo noch einen Othello auf der Terrasse.

„Wie lange seid ihr unterwegs bis nach Hause?“, fragte er.

„Kommt auf den Verkehr an. Die A7 ist ja immer so ein Nadelöhr. Heute denke ich, werden wir um die vier Stunden brauchen.“

„Oha, das ist ja noch 'ne Ecke. Das könnte mit den Jungs in der Stimmung anstrengend werden.“

„Hahaha! Das könnte stimmen. Allerdings glaube ich, dass sie gleich im Bus schnell einschlafen werden. Der Sekt wird seine Wirkung zeigen.“

In diesem Moment kamen die vier Jungs den Weg zu uns herauf und stellten ihre Taschen vor dem Bulli ab. Anschließend kamen sie zu uns.

„Seid ihr fertig mit packen und ist unten alles tiptop in Ordnung?“

„Ja, wir haben alles aufgeräumt und hier in dem Müllsack ist die Bettwäsche, die uns Mo gegeben hatte.“

Mo freute sich, dass die Jungs daran gedacht hatten und brachte den Sack schnell ins Haus. Irgendetwas hatten die vier aber noch vorbereitet, denn als Mo wieder heraus kam, ging Justin auf ihn zu und überreichte ihm ein kleines Päckchen.

Mo war genauso überrascht wie ich. Vor allem stellte ich mir die Frage, wie hatten sie das organisiert? Wo konnten sie denn noch einkaufen gehen? Er nahm das Präsent an und bevor er es auspacken konnte, erklärte Justin:

„Wir möchten uns für deine Gastfreundschaft bedanken. Es ist nur eine Kleinigkeit, aber vielleicht gefällt dir das ja und du kannst es gebrauchen.“

Mo begann sein Geschenk auszupacken und als das Papier entfernt und er sich den kleinen Karton angesehen hatte, begann er zu lächeln.

„Herzlichen Dank. Das ist eine sehr liebe und gelungene Überraschung. Das kann ich sogar sehr gut gebrauchen. Aber wie seid ihr denn dazu gekommen? Ihr hattet in Lübeck doch gar keine Zeit das zu besorgen. Außerdem gibt es das nur in einem Spezialgeschäft.“

Mo reichte mir die kleine Schachtel und ich konnte dann erkennen, was die Jungs für ihn mitgebracht hatten. Es war eine kleine Flasche eines exklusiven Massageöls. Mo schien es jedenfalls zu gefallen und auch benutzen zu wollen.

„Naja“, erwiderte Maxi, „wir haben den Turnier-Physiotherapeuten gefragt. Er hatte diese Idee und hat das für uns besorgt. Also brauchten wir auch nicht extra einkaufen zu gehen. Wir hoffen, du kannst das gebrauchen.“

„Ja, das ist ein sehr gutes Öl. Ich kenne es und habe es auch schon verwendet. Vielen Dank nochmal. Aber fürs nächste Mal sei gesagt, dass das nicht notwendig ist. Ihr seid hier immer willkommen.“

Danach war der Moment des Abschieds schon wieder gekommen. Mir ging die gemeinsame Zeit mit Mo wieder viel zu schnell vorbei. Aber es war eine gelungene Turnierwoche und ich würde ganz sicher Mo erneut besuchen kommen. Ich profitierte sehr von seiner Anwesenheit und seinen Impulsen für meinen Alltag. Wir umarmten uns und Mo tat dies auch mit jedem meiner Jungs. Dann stiegen wir in den Bulli und winkten noch, bis wir um die Ecke verschwunden waren.

In der nächsten Woche stand eine ganz normale Trainingswoche in Halle an. Am Montag war Teambesprechung. Da würde ich sicher einen Bericht abgeben müssen und im Anschluss würden die weiteren Aktionen besprochen.

Glücklicherweise waren alle vier auf der Rückfahrt sehr schnell eingeschlafen. So wurde es eine ereignislose, entspannte Rückfahrt und ich konnte die Jungs wohlbehalten in der WG abliefern. Ich blieb in Halle in meiner neuen Wohnung und war am Abend früh im Bett. Aber ich hatte mir vorgenommen mit den Jungs noch einen gemeinsamen Abend zu planen. Diese Leistung sollte gebührend Anerkennung finden. Auch mit Tim und Carlo in der WG. Aber erst in der kommenden Woche würde das Thema werden.

Marc hatte sich auch noch einmal gemeldet und uns zum Erfolg gratuliert. Somit fand diese Turnierreise ein gutes Ende.

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