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Auf der Tour

Teil 23

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Inhaltsverzeichnis

Chris: Spanischer und kanadischer Besuch

Nach der Rückkehr aus der Schweiz hatte mich der Alltag schnell wieder eingeholt. Allerdings hatten mich keine bösen Überraschungen erwartet. Meine Jungs waren alle gesund zum Trainingsauftakt an Bord gewesen. Damit begann die Vorbereitung auf den Sparkassen Cup. Das Besondere in diesem Jahr war, dass wir Besuch aus der Nadal Akademie aus Manacor hatten.

Dieser Besuch würde heute Abend aus Mallorca eintreffen und Thorsten hatte mich gefragt, ob ich sie vom Flughafen abholen möchte. Das war für mich eine Selbstverständlichkeit und ich hatte Fynn und Dustin gebeten mich zu begleiten. Meine Jungs freuten sich über meine Bitte und entsprechend holte ich sie am Abend in der WG ab. Wir hatten heute etwas früher Schluss gemacht, damit sie noch zur Massage und Physio gehen konnten.

Martina hatte eine Fassbrause für mich bereitgestellt. Das war für mich ein klares Zeichen, noch ein paar Minuten hereinzukommen.

„Wie geht es dir nach deinem Urlaub? Hast du dich gut erholt bei den Eidgenossen?“, fragte sie mich.

„Absolut. Es war ein herrlicher Urlaub und obgleich wir viel gemacht haben, fühle ich mich grandios. Ich freue mich aber auch, wieder mit den Jungs zu arbeiten. Wie war die Zeit hier? Gab es Probleme?“

„Ernsthafte Probleme nicht, aber ich glaube bei Maxi bahnt sich etwas an. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er gerade Probleme mit der Motivation hat. Vielleicht kommt jetzt erst die Wirkung des Verlustes seines Vaters durch. Die großen Jungs kümmern sich toll um ihn und Justin war mit ihm auch einmal abends unterwegs. Seit Dustin und Fynn zurück sind, haben sie auch gleich mit ihm etwas unternommen.“

„Danke, das habe ich eigentlich schon früher erwartet. Umso schöner, dass sich die Jungs um ihn kümmern. Wie hat sich Tim gemacht?“

„Bis auf Kleinigkeiten richtig gut. Sein ADHS macht ihm nur noch gelegentlich zu schaffen, insbesondere, wenn er seine Tabletten nicht pünktlich genommen hat. Da muss ich noch Hinweise geben. Allerdings nimmt er sehr selbstständig die Termine bei seinem Psychologen wahr.“

„Das höre ich gern. Ich werde mich morgen mit Marco treffen. Da werde ich sicherlich auch noch etwas zu Tim und Carlo hören.“

„Ich habe da noch eine Frage. Fynn hatte mir erzählt, dass sie im Urlaub zwei Jungs kennengelernt haben. Er hat gesagt, dass sie mit dir darüber schon gesprochen hätten und die beiden Jungs beim Sparkassen Cup mitspielen würden. Deshalb haben sie mich gefragt, ob sie in der Zeit hier wohnen könnten. Weißt du davon etwas?“

„Ja, Simon und Mattes. Das sind zwei Jungs aus Rügen. Es war so besprochen, dass sie dich fragen sollten, ob es möglich wäre, dass sie hier untergebracht werden könnten. Nicht, dass das schon entschieden sei.“

„Ja, das ist auch in Ordnung. Sie haben gefragt. Ich habe geantwortet, dass sie Tim und Carlo fragen sollen, ob die einverstanden sind. Maxi ist momentan meistens bei seiner Mutter. Justin dürften sie vermutlich schon gefragt haben.“

„Gut, dann werde ich das Thema gleich auf der Fahrt noch einmal mit den beiden ansprechen, wie da der Stand ist. Ich muss jetzt aber auch los, sonst wird es zeitlich eng. Ich gehe mal die Jungs holen und dann machen wir uns auf den Weg. Ich möchte morgen gern mit unseren spanischen Gästen zum Abendessen herkommen. Ist das für dich in Ordnung?“

„Ja, sicher. Ich finde das gut, dass du ihnen gleich alles zeigen möchtest. Untergebracht sind sie im Sportpark Hotel?“

„Ja, Sergio und Marcelo haben dort ein Zimmer. Raphael und Jaime sind jünger und ich würde es gut finden, wenn wir die bei Tim und Carlo einquartieren könnten. Raphael und Jaime sollten hier auch betreut sein. Ich glaube, dass ist besser. Sie sind auch erst vierzehn und fünfzehn. Heute bleiben sie aber im Sportpark für eine Nacht. Sonst wäre das nachher zu viel Unruhe bei Tim und Carlo. Kannst du Tim und Carlo fragen, ob das für sie in Ordnung ist?“

„Das finde ich gut. Ich werde die beiden gleich fragen, ob sie damit einverstanden sind, dass sie jeweils einen Gast bekommen für die nächsten drei Wochen. Platz ist genug in ihren Zimmern. Sie können sich aussuchen, wer wen aufnehmen wird.“

„Danke, dann sehen wir uns morgen Abend. Ich werde das mit unseren Gästen so besprechen.“

Mit einer kurzen Umarmung verabschiedete ich mich von ihr und holte Dustin und Fynn aus ihrem Appartement.

Kurze Zeit später fuhren wir bereits in Richtung Flughafen.

„Seid ihr gespannt wie sich Sergio entwickelt hat? Ich hoffe ja, sie haben in ihrem Team einen Weg gefunden sich zu öffnen.“

„Ja, wobei ich mich mehr auf die Jungs freue und gar nicht so gespannt bin. Sergio hat uns nämlich zwischendurch mit Informationen auf dem Laufenden gehalten. Es geht ihnen gut dort. Carlos Moya hat Wort gehalten und sie werden beide gut unterstützt.“

„Das ist schön. Ich freue mich, dass ihr den Kontakt gehalten habt. Dann könnt ihr ja auch direkt ins gemeinsame Training gehen.“

„Das geht bestimmt. Wie machst du das mit Jaime und Raphael? Trainieren die auch mit uns oder was habt ihr euch überlegt?“

„Nein, das wäre nicht sinnvoll. Marco wird sich darum mit Tim und Carlo kümmern. Aber es kann natürlich sein, dass wir die vier mit Marco zu uns nehmen. Schauen wir mal, wie gut sie geworden sind. Es gibt da übrigens für euch auch eine Änderung.“

Damit hatte ich natürlich sofort ihre ganze Aufmerksamkeit. Fynn blieb gespannt ruhig, während Dustin mehr Schwierigkeiten hatte, ruhig zu bleiben.

„Bevor mich Dustin gleich erschießen möchte, weil ich eine Änderung ankündige, es betrifft eure Aufgaben außerhalb des Platzes.“

Fynn runzelte seine Stirn und fragte:

„Außerhalb des Platzes? Jetzt machst du es aber spannend.“

„Ja, vielleicht wird das auch spannend für euch. Ich habe mit dem Team eine Idee entwickelt. Wir möchten, dass ihr vier für das Turnier einen Coaching Pass bekommt. Eure Aufgabe wird sein, sich um Tim, Carlo, Jaime und Raphael zu kümmern. Und zwar als Coaches.“

„Als Coach? Ach du Scheiße, da haben wir doch gar keine Erfahrungen“, erwiderte Fynn.

„Unsinn, ihr habt schon so viel mitbekommen. Außerdem bekommt ihr dadurch noch mehr Einblick in die Strategie und mentale Arbeit eines Coaches. Ihr werdet das gut machen, ganz sicher.“

Die beiden waren jetzt mit ihren Gedanken beschäftigt. Mehr wollte ich jetzt gar nicht dazu sagen. Ich erwartete, dass sie später noch mit mir das Gespräch suchen würden.

Auf der weiteren Fahrt berichteten sie mir ausführlich von ihrem Urlaub mit den Eltern. Fynn hatte mir zwar schon einen kurzen Bericht gegeben, aber jetzt hatten wir doch noch etwas mehr Ruhe im Auto. Spannend wurde es für mich, als sie mir von Simon und Mattes berichteten. Spürbar für mich war ihre bereits persönliche Beziehung zu den beiden Jungs. Da hatten Fynn und Dustin anscheinend ein gutes Händchen was Kontaktanbahnung betraf.

Es war ihnen wichtig, dass ihre neuen Freunde eine bessere Chance bekommen, ihr Talent zu zeigen.

„Passt mal auf, bis zum Sparkassen Cup ist ja noch etwas Zeit. Wir haben jetzt erst einmal unsere spanischen Gäste zu versorgen. Ich schlage vor, wenn das gut läuft, sprechen wir über eure neuen Freunde aus Rügen. Es würde Sinn machen, sie schon ein paar Tage vor dem Turnier herzubitten. Dann können wir sie mal mit Tim und Carlo trainieren lassen, oder wir lassen euch mal eine Trainingseinheit mit ihnen machen. Ihr als Coach und Trainer auf dem Platz. Das kennt ihr ja bereits aus Rügen.“

„Aber einer von euch sollte sich das dann auch anschauen“, bat Dustin.

„Natürlich werde ich da ein Auge darauf haben. Wenn sie wirklich so gut sind, wie ihr meint, dann schauen wir mal, was wir tun können.

Etwas ganz anderes, Fynn. Wir haben für den Sparkassen Cup eine Aktion mit der DKMS und der AIDS Stiftung von Michael Stich vorbereitet. Ich möchte dich bitten, dass du dafür sorgst, dass Patrick auch wirklich einen Test macht. Und hast du mittlerweile mit ihm über das Thema mal ein richtiges Männergespräch geführt?“ Dustin schaute jetzt nach hinten zu seinem Freund. Fynn fing allerdings an zu lächeln. „Warum habe ich gewusst, dass du das noch einmal ansprechen wirst. Aber im Urlaub habe ich mit Patrick auch darüber noch einmal gesprochen. Eigentlich war das sogar ein gutes Gespräch.“ „Oh, das hört sich gut an. Darfst du mir davon etwas erzählen? Oder habt ihr Vertraulichkeit besprochen?“

„Naja, er hat weiterhin Schiss vor unseren Eltern und möchte nicht, dass sie das jetzt erfahren. Allerdings hat er mir versprochen, dass er mit dir noch ein Gespräch machen möchte. Mir hat er versichert, dass er den Test an dem Wochenende machen will. Und vor allem hat er versprochen, so eine Dummheit nicht mehr zu machen. Und weißt du was, er hat gesagt, dass diese Aktion nicht einmal richtig Spaß gemacht hätte. Er war einfach neugierig und fühlte sich von dem Mädchen geschmeichelt.“

„Hm, das ist doch eine Aussage mit der man etwas anfangen kann. Ich finde es gut, dass du mit ihm darüber sprechen konntest. Wenn er wirklich noch mit mir sprechen möchte, soll er zu mir kommen.“

Dieses Thema war Fynn einfach unangenehm. Da war es praktisch, dass wir uns dem Flughafen Paderborn näherten und ich schon nach einem Parkplatz schaute. Ich entschied mich mit dem VW Bus in der Nähe des Terminals zu parken. Das war zwar kostenpflichtig, aber die spanischen Jungs hatten vermutlich einiges an Gepäck dabei.

In der Ankunftshalle schaute ich zuerst auf das große Tableau auf dem alle ankommenden Flüge aufgelistet waren. Der Flug aus Barcelona war noch nicht gelandet. Ich fragte mich jetzt, warum aus Barcelona, aber sie mussten dort umsteigen.

Ich schaute auf die Uhr.

„Okay, wir haben noch etwas Zeit. Möchte von euch jemand einen Kaffee oder Othello?“

„Ja gern, einen Othello finde ich gut“, antwortete Fynn und gab Dustin in der Halle offen einen Kuss.

Dustin meinte daraufhin:

„Wenn ich so nett überzeugt werde, komme ich natürlich auch mit ins Café.“

„Ich habe nochmal eine Frage zu Simon und Mattes. Sie sind aber nicht schwul und zusammen, wie ihr beide. Oder habe ich da etwas nicht mitbekommen?“

„Nein, sie sind nur beste Freunde. So ähnlich wie Raphael und Jaime. Nur das Raphael halt auch schwul ist. Warum fragst du?“, wollte Fynn wissen.

„Naja, wir müssen sie auch unterbringen. Und ich weiß nicht, ob jemand es gut findet, wenn er einen schwulen Gast auf sein Zimmer bekommen würde. Bei Carlo wäre das sicher gar kein Problem.“

„Wen meinst du damit? Das kann ich mir kaum noch vorstellen. Selbst bei Tim hat sich so viel positiv verändert. Ich glaube, damit hätte er kein Problem mehr.“

Fynn schien sich bei dieser Aussage ziemlich sicher zu sein.

Auch Dustin wirkte nicht beunruhigt.

„Ich habe da sogar das Gefühl, dass gerade Tim da vielleicht neugieriger ist als Carlo.“

Neugieriger? Wie hatte er das denn gemeint? Vielleicht wussten meine Jungs auch schon mehr zu diesem Thema und wollten es aber nicht preisgeben.

Wir hatten den Othello vor uns auf dem Tisch stehen, als die Maschine aus Barcelona einen grünen Punkt bekam. Das hieß, sie war gelandet und wir sollten uns langsam auf den Weg zum Check out machen.

Es dauerte auch nicht mehr lange, dann tauchten die vier mit einem Gepäckwagen im Terminal auf. Noch hatten sie uns nicht gesehen, denn Sergio schaute sich um und auch Raphael wirkte unsicher. Ich beschloss mit meinen Jungs auf sie zuzugehen. Dann hatten sie uns erkannt und ein Lächeln tauchte auf ihren Gesichtern auf.

Die Begrüßung fiel sehr herzlich aus. Auch ich wurde mit einer Umarmung begrüßt. Und eine weitere Überraschung hatten sie mitgebracht, denn das Gespräch fand auf Deutsch statt.

„Wow“, freute sich Fynn, „habt ihr jetzt extra Deutsch gelernt?“

Sergio lachte:

„Ja, Albert Costa meinte, dass wir in Deutschland nicht nur Englisch sprechen sollten. Und Deutsch könnte man immer mal wieder gebrauchen. Also haben wir fleißig geübt. Aber seid bitte nachsichtig mit uns.“

Diese Sätze waren schon sehr ordentlich und steigerten meinen Respekt den Jungs gegenüber. Auch wenn Raphael und Jaime doch noch sehr still waren.

Einige Minuten später hatten sie uns von einer ereignislosen Reise berichtet und wir hatten ihre Taschen bereits in den T6 geladen. Fynn hatte sich auf den Weg gemacht den Gepäckwagen zurückzubringen. „Ihr könnt schon einsteigen. Fynn wird sicher auch gleich zurück sein.“

Dustin öffnete die Schiebetür und schnell waren alle an Bord. Ich konnte Fynn bereits aus dem Terminal zurückkommen sehen. Also startete ich den Bus und fuhr ihm entgegen. Er stieg vorn ein und wir begannen die Rückfahrt nach Halle.

Im Auto tauten auch Raphael und Jaime etwas auf. Alle vier konnten unsere Gespräche zumindest auf Deutsch verfolgen. Einige Vokabeln fehlten ihnen allerdings und es war ein lustiges Gemenge aus Deutsch und Englisch. Mir gefiel das aber gut, dass sie keine Scheu entwickelten ihr Deutsch auch anzuwenden.

„Hört mal ihr vier, wir bringen euch gleich erst einmal ins Sportpark Hotel. Dort werden Raphael und Jaime nur eine Nacht bleiben. Sergio und Marcelo bleiben die drei Wochen dort, weil sie schon volljährig sind und sicher auch gern ein wenig Zeit für sich haben möchten. Raphael und Jaime ziehen morgen dann in die WG um. Also braucht ihr eure Sachen gar nicht groß auszupacken. Habt ihr schon etwas gegessen?“

„Nicht so wirklich“, antworte Sergio, „im Flugzeug gab es nur einen kleinen Imbiss.“

„Gut, dann werden wir gleich noch gemeinsam etwas essen gehen.“

Ich wählte über die Freisprechanlage den Sportpark an. Es war kein Problem kurzfristig einen Tisch zu bekommen. Es war Freitag und meine Jungs mussten morgen nicht in die Schule.

Das Essen gestaltete sich sehr lustig, denn immer wieder versuchten die Spanier mit uns Deutsch zu sprechen und Raphael hatte uns sogar ein paar Begriffe in Spanisch beigebracht.

Am Ende war ich mir ziemlich sicher, dass wir eine lustige Zeit mit den spanischen Gästen haben würden. Ich sollte mich also auf den einen oder anderen Spaß einstellen.

Gegen Mitternacht brachte ich meine Jungs zurück in die WG. Bevor ich mich verabschiedete, fragte mich Fynn:

„Machen wir morgen normales Training?“

„Ja, Raphael und Jaime werden bei Tim, Carlo und Joel trainieren und Sergio bei uns. Marcelo wird bei uns beginnen und wir schauen mal, wie lange er mithalten kann.“

Damit waren sie zufrieden und bedankten sich, dass sie mitfahren durften.

Ich entschied mich, mit dem T6 nach Hause zu fahren. Ich hatte keine Lust mehr das Auto jetzt noch zu tauschen. Sehr müde lag ich dann um kurz vor eins im Bett. Mal schauen was sich in den kommenden drei Wochen so entwickeln würde.

Fynn: Erstes gemeinsames Training mit den spanischen Freunden

Heute würde es mit unseren spanischen Freunden losgehen. Ich war sehr gespannt, wie sie sich in der Zwischenzeit entwickelt hatten. Gestern war leider keine Gelegenheit mehr, nach dem Essen noch Zeit miteinander verbringen zu können.

Entsprechend aufgeregt war die Stimmung bei uns in der WG. Auch Tim und Carlo sollten heute zwei Trainingseinheiten machen. Allerdings mit Marco und vielleicht würden wir am Nachmittag ein gemeinsames Training machen.

„Boah, Schatz“, kam Dustin aufgeregt zu mir in die Küche, „ich freue mich tierisch auf unsere Freunde. Und weißt du was, die Freude ist bei Justin genauso stark. Das ist cool, oder?“

Dustin stellte sich neben mich und gab mir einen Kuss, bevor ich antworten konnte.

„Ja, ich freue mich auch sehr. Aber wenn wir jetzt nicht bald unsere Taschen packen, kommen wir zu spät. Wie weit ist Justin? Maxi kommt direkt von zu Hause zum Training.“

Genau in diesem Moment betrat Justin die Küche.

„Meinetwegen können wir los. Was ist mit euch?“

Dustin hatte mir noch einen Kuss gegeben und danach musste Justin lachen.

„Hahaha, ist ja kein Wunder, dass ihr noch nicht fertig seid. Müsst ihr immer gleich rumknutschen? Ich möchte nicht gleich beim ersten Training mit unseren spanischen Freunden zu spät kommen.“

„Spielverderber. Es macht einfach so viel Spaß mit meinem Schatz zu schmusen. Aber ich will nicht so sein und wir holen jetzt unsere Taschen. Dann können wir los. Wir sind also immer noch rechtzeitig am Platz.“

Selbst als wir die Taschen aus unserem Appartement holten, spürte ich immer noch das Bedürfnis, mit meinem Schatz zärtlich sein zu können. Aber das mussten wir jetzt auf später verschieben.

Am Platz wurden wir bereits von unseren spanischen Gästen erwartet. Sie standen mit Thorsten auf der Terrasse.

„Ah“, meinte Thorsten, als wir die Terrasse betraten. „Da sind ja unsere Cracks. Los, kommt ran hier. Ihr sollt unsere Gäste zum Aufwärmen mitnehmen. Chris mag das nicht, wenn ihr nicht vorbereitet auf den Platz kommt.“

„Jaja, schon gut. Wir kommen ja schon“, erwiderte Justin.

Dustin und ich begrüßten Sergio und Marcelo mit einer herzlichen Umarmung.

Bei Raphael und Jaime war ich mir leicht unsicher, ob das richtig wäre.

Allerdings nahmen sie uns diese Entscheidung ab. Sie kamen auf uns zu und begrüßten uns genauso mit einer Umarmung. Mir gefiel das.

„Wie war denn eure erste Nacht in Halle?“, fragte ich.

„Zu kurz“, kam von Jaime wie aus der Pistole geschossen. Auf Deutsch.

Das führte nach einer Sekunde des Erstaunens zu lautem Lachen von uns allen. Thorsten klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und ließ uns dann allein mit unseren Freunden.

„Kennt ihr euch schon auf der Anlage aus?“, fragte Dustin.

„Nicht so richtig. Aber wir haben wohl gerade nicht genug Zeit für Sightseeing. Wir sollten uns zuerst aufwärmen und zum Platz gehen. Thorsten meinte nur, wir sind heute auf den Plätzen Center eins bis drei.“

„Wir verbinden das Aufwärmen mit einer Runde über die Anlage. Kommt einfach mit.“

Wir brachten unsere Taschen in die Umkleide und trabten locker eine Runde über die Anlage. Kurz bevor wir zu den drei Tribünenplätzen kamen, machte ich noch einen Abstecher auf den großen Parkplatz. Dort standen noch keine Autos und so konnten wir einige kurze Sprints machen.

Jaime und Raphael sollten zu Marco gehen und entsprechend brachte ich sie an den passenden Platz. Tim, Carlo und Joel hatten sich mit dem Seil aufgewärmt. Sie nahmen unsere Gäste aber herzlich in Empfang. Marco begrüßte sie in Englisch. Damit war mein Part erst einmal erfüllt und ich lief zurück zu unseren Plätzen. Chris hatte bereits mit dem Einschlagen begonnen.

„Hi Fynn“, sprach mich Chris an, „nimm dir bitte einen Schläger und geh auf den Center zwei zu Maxi und Sergio. Ich komme gleich zu euch herüber. Einschlagen schafft ihr bestimmt auch noch ohne mich. Hahaha.“

„Klar, das bekommen wir gerade noch so hin“, erwiderte ich lachend.

Dann ging ich die Treppe hoch und auf der anderen Seite wieder runter. Zum Einschlagen stellte ich mich zu Sergio auf die Seite. Schnell hatten wir einen guten Spielrhythmus gefunden. Plötzlich meinte Justin:

„Sollen wir eine Runde Superpunkt spielen?“

Für mich natürlich eine willkommene Gelegenheit mehr in den Spielmodus zu kommen. Sergio hatte zu Beginn etwas Schwierigkeiten uns folgen zu können. Sowohl sprachlich als auch spielerisch. Aber als er dann das Spiel richtig begriffen hatte, mussten wir uns deutlich mehr anstrengen. Erst nach drei Durchgängen bemerkten wir Chris oben auf der Treppe stehen.

Ich brauchte eine Trinkpause und entsprechend ging ich zur Bank. Justin und Sergio kamen ebenfalls zu mir an die Bank und Chris ging die Treppe herab.

„Sieht ja schon ganz ordentlich aus. Ich habe nur bemerkt, dass ihr nicht Deutsch sprechen solltet. Wenn es speziell oder auf dem Platz schnell gehen muss, scheint Sergio Probleme mit dem Verständnis zu haben.“

Das hatte Chris bereits auf Englisch gesagt. Sergio lächelte danach und meinte:

„Danke, Chris. Mein Deutsch ist leider nicht so gut, dass ich alles verstehe. Raphael und Jaime sind da deutlich besser. Es wäre nett, wenn wir auf dem Platz Englisch sprechen können.“

„Kein Problem“, erwiderte ich, „aber du darfst uns das auch direkt sagen. Ihr habt bei euch auf Mallorca unseretwegen auch Englisch gesprochen. Also ab sofort auf dem Platz in Englisch. Und wenn du unser Deutsch nicht gut verstehen solltest, bitte sag es gleich. Wir möchten euch nicht ausgrenzen. Sorry dafür.“

Sergio nickte mit einem Augenzwinkern.

„Sehr schön. Das ist geklärt. Marcelo hatte eben das gleiche Problem. Daher habe ich mir gedacht, ich spreche es hier auch einmal an. Ich habe Marcelo zu Marco geschickt. Das Tempo bei Dustin und Justin war deutlich zu hoch für ihn. Nicht, dass du dich wunderst, warum Marcelo nicht mehr bei mir ist.“

Wieder nickte Sergio und fragte nach:

„Macht es für ihn denn überhaupt Sinn mit euch zu trainieren? Er hatte in den letzten vier Wochen nicht so viel Zeit zu trainieren, weil er viele Prüfungen schreiben musste.“

„Ja, sicher. Er ist gar nicht so schlecht. Nur für das professionelle Training reicht es nicht. Es würde niemandem etwas bringen. Ich denke, bei Marco und den Jüngeren kann er sehr gut mitspielen.“

„Und was machen wir jetzt?“, fragte ich Chris.

Seine Antwort war nicht unbedingt das was ich erhofft hatte. Heute wollte Chris mit uns einige Videoaufnahmen machen, und zwar zur Beinarbeit. Das bedeutete richtig harte Arbeit.

Eine Stunde später waren wir erschöpft. Allerdings war an Feierabend nicht zu denken. Chris zog eine Übung nach der anderen durch und Sergio schien am Limit zu sein. Aber er biss sich durch.

Ein lautes und eindeutiges: „Stopp, Ball anhalten und an der Bank treffen.“

Chris ging kurz zur Videoanlage oben auf der Tribüne und kam wieder zurück, als ich gerade meine Trinkflasche geleert hatte.

„Das war richtig gut heute, Jungs. Ihr habt den Arbeitsteil geschafft. Wir tauschen jetzt, Ihr geht bitte auf den anderen Platz und schickt mir Justin und Dustin. Ihr macht bitte noch etwas Matchtraining. Jeder gegen jeden zwei kurze Sätze bis vier. Danach auslaufen, duschen, Massage und Schluss für heute Vormittag. Wir treffen uns am Nachmittag um halb vier wieder hier. Habt ihr noch Fragen?“

„Ja“, meldete ich mich, „wann sprechen wir über die Aufnahmen?“

Chris begann zu schmunzeln.

„Warum habe ich gewusst, dass diese Frage kommt, Fynn? Das wird entweder morgen oder erst am Montag sein. Vermutlich eher Montag.“

Damit konnte ich leben. Ich mochte ungern zu lange darauf warten.

Das Matchtraining empfand ich nahezu als Erholung. Auch wenn ich gegen beide heute recht locker gewinnen konnte, musste ich konzentriert bleiben. Nachlässigkeiten bestraften sie beide und beinahe hätte ich gegen Sergio einen Satz verloren.

Nachdem wir das Folgeprogramm mit der anderen Gruppe gemeinsam absolviert hatten, standen wir gut gelaunt unter der Dusche. Marco hatte seine Gruppe schon früher in den Feierabend geschickt. Ich wusste auch nicht, ob sie am Nachmittag ebenfalls noch eine Einheit machen sollten.

Dustin hatte heute den Schalk im Nacken. Immer wieder haute er einen lockeren Spruch nach dem anderen raus und wir hatten entsprechend viel unter dem heißen Wasser zu lachen. Es dauerte daher auch einiges länger als sonst bis wir aus der Dusche kamen.

„Was machst du bis zum zweiten Training nachher?“, fragte Justin Sergio.

„Essen und dann ausruhen. Ich fühle mich gerade schon ganz schön platt“, antwortete Sergio.

„Gut, dann sehen wir uns also nachher zum zweiten Training. Chris hat uns heute Abend alle zum Essen bei uns in der WG angemeldet. Jaime und Raphael werden ab heute dann auch bei uns in der WG wohnen.“

„Ach so, also dann hatte Raphael doch recht, als er das heute früh gesagt hatte. Wir dachten, dass hätte er falsch verstanden.“

„Chris hat das für besser gehalten“, erklärte ihm Dustin, „damit sie besser Anschluss finden und nicht alles allein regeln müssen. Sie werden jeweils bei Carlo und Tim untergebracht. Also sag ihnen bitte, dass sie ihre Sachen heute Abend zum Essen mitnehmen sollen. Falls Marco das noch nicht getan haben sollte.“

„Trainieren sie heute Nachmittag nicht mehr?“, fragte Sergio.

„Ich glaube nicht“, erwiderte ich, „nur Marcelo soll heute mit dir bei uns trainieren. Wir werden am Nachmittag nicht so hart arbeiten. Und im Anschluss fährt Chris mit uns in die WG.“

„Ah ok. Und zeigt ihr uns noch das Gelände? Nicht dass wir uns hier verlaufen. Hihihi.“

„Ganz sicher. Chris wird das ganz bestimmt mit euch machen. Vielleicht nach dem Essen heute Abend. Sonst sicher morgen. Ihr sollt erst einmal ankommen.“

Sergio wirkte beruhigt und ich fragte noch:

„Findest du von hier allein zum Sportparkhotel oder sollen wir dich begleiten?“

„Es wäre schön, wenn ihr mir heute noch einmal den Weg zeigen würdet. Ab morgen schaffen wir das dann sicher allein.“

Ich schaute meinen Freund an und Dustin nickte mir nur zu. Also sagte ich zu Maxi und Justin:

„Ihr könnt ruhig in die WG fahren. Wir bringen Sergio ins Hotel. Sagt ihr Martina bitte Bescheid.“

„In Ordnung, alles klar und natürlich informiere ich Martina“, meinte Justin.

Maxi und Justin machten sich auf den Weg in die WG, während wir mit Sergio zum Sportpark aufbrachen. Unsere Taschen ließen wir im Clubhaus stehen. Wir mussten auf dem Rückweg eh wieder über die Anlage, um zur WG zu kommen. Unsere Räder ließen wir auch stehen.

Es war nur ein kurzer Weg.

Im Foyer des Hotels meinte Sergio:

„Wollt ihr noch kurz mit hoch kommen? Oder müsst ihr sofort zurück?“

Dustin machte auf mich den Eindruck, dass er gern noch einige Minuten mit unseren Freunden verbringen wollte, aber mir gefiel das nicht. Martina würde uns zum Essen erwarten.

„Heute ist es besser, wenn wir direkt zurück in die WG kommen. Aber wir können uns ja morgen nach dem Training treffen. Dann können wir das auch mit Chris absprechen. Ich möchte nicht noch einmal den Fehler machen, das nicht mit Chris abgesprochen zu haben.“

„Ja, das kann ich verstehen. Aber dann sehen wir uns morgen nach dem Training und wir können dann in Ruhe etwas quatschen. Wir haben doch einige Dinge zu berichten und ihr doch bestimmt auch.“

„Ein paar schöne Sachen haben wir auch zu erzählen“, antwortete Dustin und lachte.

„Super, darauf freue ich mich schon. Dann sehen wir uns nachher zum Training und morgen setzen wir uns in unserem Appartement zusammen. Vielen Dank, dass ihr mich begleitet habt. Wir sehen uns dann beim Training.“

Mit einer Umarmung trennten wir uns.

Dustin schwieg auf dem Rückweg auffallend. Erst als wir bereits mit den Rädern wieder unterwegs waren, taute er wieder auf.

„Sergio hat sich gut entwickelt, oder? Ich bin mal gespannt, wie sie hier auftreten. Ob sie offen zeigen, dass sie auch ein Paar sind?“

„Ich weiß es nicht, Schatz. Vielleicht ist es auch gar nicht wichtig. Sie müssen sich dabei wohlfühlen. Auf jeden Fall haben sie sich heute alle gut reingehängt. Und ich bin gespannt, was Chris heute Abend vorhat.“

Dustin dachte über irgendetwas nach. Ich konnte ihm das deutlich ansehen. Aber Chris hatte mir die Empfehlung gegeben, in dieser Hinsicht mehr Geduld mit Dustin zu haben und nicht sofort auf ihn zuzugehen.

Wir stellten die Räder in den Schuppen und gingen mit den Taschen ins Haus. Martina erwartete uns bereits.

„Hallo ihr zwei. Habt ihr noch nasse Sachen in euren Taschen? Die anderen haben schon alles ausgepackt und ich hatte sie gebeten auf euch zu warten, bevor sie die Waschmaschine anstellen.“

„Hi Martina, danke schön. Wir packen schnell aus und sollen wir dann die Maschine gleich anstellen?“, fragte Dustin.

Sie zeigte uns nur den Daumen hoch und bat dann:

„Kommt ihr dann auch direkt zum Essen? Die anderen warten schon auf euch und ihr wisst ja, Carlo und Justin haben immer Hunger. Hahaha.“

„Nicht nur die beiden, wir haben auch Hunger. Also kommen wir natürlich auch gleich.“

Gemeinsam hatten wir unsere Taschen ausgeräumt und die Waschmaschine angestellt. Dass ich meinem Schatz dabei auch noch die eine oder andere Zärtlichkeit zugutekommen ließ, hatte zur Folge, dass wir doch nicht ganz direkt zum Essen gingen. Entsprechend wurden wir im Esszimmer empfangen.

„Endlich“, stöhnte Carlo, „ich wette, dass sie wieder erst noch rumknutschen mussten. Wir verhungern und sie vergnügen sich auf unsere Kosten.“

Danach mussten alle grinsen und selbst Maxi applaudierte Carlo für diesen Spruch.

„Bevor wir uns um Kopf und Kragen reden, setzen wir uns einfach hin und fangen an zu essen.“

Nachdem ich das gesagt hatte, herrschte für einen Moment Stille. Dann fing Martina an zu kichern und sehr bald lachten wir uns alle über diese Geschichte kaputt.

„Wie war das Training bei euch, Tim?“, fragte Justin.

„Anstrengend, aber gut. Als Marcelo dazu kam, wurde es richtig lustig.“

„Warum das denn?“, erkundigte sich Martina.

Tim schaute fragend zu Carlo.

„Naja“, zögerte Carlo, „er hat einfach einen obercoolen Akzent in seinem Deutsch. Das klingt einfach lustig. Aber ich finde es total scharf, dass er zuerst versucht Deutsch zu sprechen. Einmal musste ich so lachen, aber ich wollte mich überhaupt nicht über Marcelo lustig machen. Marco hat das aber so interpretiert und mich dafür gleich angemault.“

„Aber du hast das doch gleich richtig gestellt und dich bei Marcelo entschuldigt. Marco hat das übrigens auch sofort akzeptiert.“

„Das finde ich gut“, mischte sich Martina ein, „ich kann mir das schon gut vorstellen, dass sich das manchmal komisch anhört. Aber unser Spanisch würde sich vermutlich genauso seltsam anhören.“

Dann legte Justin ein paar Sätze in fließendem Spanisch in die Runde und alle Augen gingen sofort zu ihm. Martina begann sofort laut zu lachen und klatschte Beifall. Ich hatte kein Wort verstanden und das war mir unangenehm.

„Seht ihr, wie unangenehm das ist, wenn man nicht versteht, was gesprochen wird. Dabei habe ich nur gesagt, dass Spanisch eine tolle Sprache ist und es mir Spaß macht über euch zu lästern, wenn ihr es nicht versteht. Hihi.“

Martina schien ihn wohl verstanden zu haben, sonst hätte sie nicht gelacht.

„Kannst du Spanisch?“, fragte ich sie.

„Ja, zumindest noch ein wenig. Und Justin konnte ich noch verstehen. Und ich finde es richtig lustig, was er gesagt hat. Ein wenig Wahrheit ist da schon dabei.“

Jetzt schaute ich allerdings ziemlich sparsam zu Justin, der mittlerweile in aller Ruhe wieder zum Essen übergegangen war. Dustin nutzte die Situation und begann Justin zu kitzeln. Es dauerte entsprechend nur Augenblicke bis am Tisch ein heilloses Durcheinander herrschte.

Martina holte daher den großen Gong aus der Küche und haute einmal richtig drauf.

Schlagartig war Ruhe am Tisch und alle schauten zu ihr.

„Es ist genug gealbert. Jetzt wird gegessen, und zwar ohne Blödsinn. Ihr könnt euch später wieder auf dem Platz austoben. Vielleicht sollte ich Chris einen Tipp geben, dass ihr noch nicht ausgelastet seid.“

„Untersteh dich“, schimpfte Tim sofort, „das wäre total unfair. Wir sind jetzt auch ganz brav.“

Und so machten wir es auch. Aber mir hatte es viel Spaß gemacht, wieder einmal albern sein zu können.

Chris: Mittagspause im Garten

Das Vormittagstraining endete erfolgreich und es freute mich, wie gut unsere spanischen Gäste sofort integriert wurden. Um mit Marco vor dem Nachmittagstraining noch ein Gespräch haben zu können, hatten wir uns zum Essen im Clubhaus verabredet.

Marco hatte noch Training und ich hatte es mir mit einer kalten Fassbrause auf der Sonnenterrasse gemütlich gemacht.

„Hallo Chris“, hörte ich eine Stimme.

Ich blickte mich irritiert um und erblickte Malte mit zwei Flaschen Fassbrause in der Hand.

„Hi Malte, wo willst du denn mit den beiden Flaschen hin?“

„Nirgendwo. Ich möchte mich eigentlich zu dir setzen und habe dir auch eine mitgebracht.“

„Oh, das ist aber nett. Dann setz dich zu mir. Was hast du angestellt, damit du mich damit bestechen willst?“

„Angestellt? Eigentlich nichts, aber ich habe mich gleich zum Spielen verabredet. Marvin und ich wollen ein Match spielen.“

„Das finde ich gut. Und wie geht es dir sonst? Was macht die Schule?“

Malte hatte sich zu mir gesetzt und wirkte etwas angespannt.

„Eigentlich ist alles gut. Auch in der Schule läuft es ganz ordentlich. Auch wenn ich sicher nicht zu den Strebern zähle.“

„Hahaha, sehr gut. Streber sein ist ja auch nicht so prall. Also an der Stelle machst du es richtig. Immer gut mitkommen ist wichtig.“

„Danke, manchmal wäre es echt schöner, wenn du für mich zuständig wärest und nicht Papa. Er meint, ich müsste immer besser sein. Er ist fast nie zufrieden.“

„Ja, das ist ein Problem, dass sicher nicht nur dir passiert. Aber du kommst gut im Unterricht mit?“

„Bis auf Mathe eigentlich immer. In Mathe habe ich manchmal Probleme. Aber Marvin und ich helfen uns dann gegenseitig.“

„Das ist immer gut. Wenn man sich gegenseitig hilft.“

„Ist das eigentlich immer noch gültig, dass wir auch mal zu dir kommen dürfen, wenn wir es überhaupt nicht hinbekommen?“

„Ja, klar. Wenn ihr es versucht habt und es nicht klappt, dann könnt ihr mich ruhig fragen.“

Malte nickte deutlich entspannter.

„Danke, da ist noch etwas was ich dich fragen wollte. Ich habe heute hier einige spanische Spieler gesehen. Sind die neu?“

„Gut beobachtet. Hier kann man wenig geheim halten. Hahaha. Nein, dies sind Gäste aus der Nadal Akademie aus Manacor auf Mallorca. Sie werden bis zum Sparkassen Cup bei uns bleiben und trainieren.“

„Da sind auch zwei jüngere Jungs dabei. Sind die schon so gut, dass sie bei dir trainieren? Oder dürfen wir die auch mal fragen, ob sie mit uns spielen würden?“

„Ihr dürft sie natürlich fragen. Egal wie gut sie bereits sind. Ich glaube sogar, dass sie sich freuen würden, wenn sie auch Kontakt zu euch bekommen und nicht nur zu Tim, Carlo und Joel. Fragt im Zweifel bei Marco nach. Nicht dass es Überschneidungen gibt mit dem Training. Aber ich finde diese Idee gut. Geht auf sie zu und fragt sie. Außerdem könnt ihr so euer Englisch verbessern. Oder kannst du vielleicht sogar Spanisch?“

„Ich nicht, aber Marvin hat Spanisch gewählt. Dann fragen wir sie mal, ob sie mit uns auch spielen wollen.“

Malte wollte schon aufstehen, aber mir fiel da noch etwas ein.

„Wie kommst du denn mit Marvin im Moment klar? Alles im Lot oder habt ihr noch Stress von der alten Geschichte?“

„Nee, das ist alles cool. Manchmal ist Mama ein bisschen neugierig. Aber sonst ist alles gut.“

„Neugierig? Wie meinst du das?“

„Naja, Marvin möchte manchmal im Internet ein paar Filme gucken. Und, ähm…, also ich finde die auch ziemlich scharf und dann müssen wir aufpassen, dass Mama nichts merkt.“

Ich schaute ihm in die Augen und jetzt wurde es ihm doch unangenehm.

„In Ordnung, ich verstehe. Dann müsst ihr so etwas machen, wenn ihr ungestört seid. Und lasst euch kein schlechtes Gewissen machen. Wenn ihr beide Spaß dabei habt, ist es total in Ordnung. Ich gehe mal davon aus, dass es nicht nur beim Gucken bleiben wird.“

Dabei musste ich schon lachen und ich glaube, dass es Malte jetzt verstanden hatte, was ich gemeint hatte. Er wurde zwar noch ein wenig rot, aber er nickte auch.

„Alles klar, Malte. Von mir erfährt deine Mama nichts von diesen Dingen. Ihr dürft mich aber fragen, sollte es Probleme geben. Ok?“

„Ja, das ist auch echt cool. Marvin hat schon gemeint, dass wir dich noch etwas fragen sollten. Vielleicht kommen wir später noch zu dir. Oder bist du heute gar nicht zu Hause?“

„Heute Abend bin ich mit unseren Gästen in der WG. Aber du siehst ja, wenn ich da bin. Oder wenn ich mal auf der Terrasse sitze. Und nur für dich schon zur Information. Wenn ihr dann nicht so gern draußen mit mir reden wollt, kein Problem. Wir können auch rein gehen.“

Jetzt fing er richtig an zu lachen und meinte zum Abschied:

„Boah, Chris. Du bist echt cool. Ich hätte mich das zu Hause nie getraut zu erzählen. Danke für deine Hinweise und ich werde mit Marvin sprechen. Wir kommen mit Sicherheit noch einmal zu dir.“

„Sehr gerne und euch dann gleich beim Spiel viel Spaß. Wir sehen uns.“

Ich schaute ihm noch einen Moment hinterher, als er die Terrasse verließ. Das hatte Marco wohl gesehen, als er einen Moment später zu mir an den Tisch kam.

„Hi Chris, gab es Probleme mit Malte? Er trainiert mit Marvin bei Toto. Da hatte es doch schon Probleme gegeben.“

„Nein, alles gut. Ich wohne bei Malte im Haus. Seine Eltern sind meine Vermieter. Wir sehen uns also häufiger. Wie war euer Training mit unseren spanischen Gästen?“

Marco setzte sich zu mir an den Tisch.

„Das Training war gut. Was mir momentan nur besonders auffällt, Tim wird immer lockerer und vor allem besser. Er kann sich in den Übungen länger konzentrieren. Du hast auch hier die richtigen Lösungen angeschoben. Das ist wirklich schön zu sehen, wie sich Tim positiv entwickelt. Auch heute hat er gut mit Raphael und Jaime gearbeitet.“

„Das freut mich zu hören. Es wäre ihm sehr zu wünschen, dass er sich jetzt, wie die anderen Jungs, entwickeln kann und nicht mehr sich selbst im Wege steht. Ich glaube weiterhin, dass Tim ein toller Junge ist.“

„Momentan stimme ich dir gerne zu“. Ich habe mal eine persönliche Frage: „Ist es dir schwergefallen die Verantwortung für Tim und Carlo abzugeben?“

„Ehrlich gesagt, dieser Prozess war schwierig für mich. Es war zwar vollkommen klar, dass ich es nicht mehr schaffen würde, mich angemessen um die beiden zu kümmern. Für die großen Turniere sind sie noch nicht gut genug und vor allem zu jung. Aber als Jan mir erklärte, dass er dich zu uns holen konnte, wusste ich Tim und Carlo in guten Händen. Heute geht es mir mit dieser Entscheidung sehr gut. Außerdem habe ich ja immer noch die Möglichkeit ihre Entwicklung zu beobachten.“

„Du beobachtest nicht nur. Du bist immer noch sehr nah an ihnen dran. Außerdem haben sie dich immer noch als ihr Vorbild vor Augen. Insbesondere Tim ist dir sehr dankbar für deine Hilfen. Besonders auffallend ist das, wenn ihr hier zum Training seid. Tim und Carlo freuen sich schon Tage vorher auf das gemeinsame Training mit dir.“

„Ist das nicht für dich schwierig? Soll ich mich etwas mehr zurücknehmen? Ich möchte deinen Einfluss nicht einschränken. Du bist für die beiden verantwortlich.“

„Nein, nein. Das hast du nicht richtig verstanden. Ich finde es positiv, dass sie weiterhin großes Vertrauen zu dir haben. Ich kann immer mit dir reflektieren. Du hast eine pädagogische Fachausbildung und manchmal staune ich heute noch, wie sicher du Tim aus dem Tief geholt hast.“

„Danke. Anderes Thema. Werdet ihr heute Nachmittag noch ein Training machen? Und wie wollen wir morgen arbeiten?“

„Nein, momentan trainiere ich nur einmal täglich mit den Jungs. Du nimmst Marcelo mit zu deinen Jungs oder?“

„Ja, das war so geplant. Wie stark hast du Tim und Carlo heute gefordert? Könnten sie noch eine Einheit machen? Oder nehmen wir sie erst morgen alle zusammen?“

„Wir sollten erst morgen mit allen gemeinsam trainieren. Joel ist ja auch noch dabei.“

„Ach ja, das habe ich total aus den Augen verloren. Gut, dann machen wir morgen zwei Einheiten mit allen gemeinsam?“

„Ja, das ist besser. Und wenn ich Carlo richtig verstanden habe, haben sie sich mit Jaime und Raphael zum Schwimmen verabredet.“

„Oh, sehr schön. Das gefällt mir, dass sich Tim und Carlo um unsere Gäste kümmern. Oder hast du ihnen das aufgetragen?“

„Nein, das ist nicht mehr erforderlich. Da haben sich beide Jungs toll entwickelt. Wie gesagt, seit Tim seine Therapie macht und die Medikamente bekommt, hat er sich toll entwickelt.“

„Es ist wirklich schön zu hören. Ich bin auch sehr gespannt auf den heutigen Abend. Da werden wir unseren spanischen Gästen die WG zeigen und Raphael und Jaime dort unterbringen.“

Jetzt bekamen wir unser Essen und damit war das dienstliche Gespräch unterbrochen.

Nach dem Essen war noch das Wochenprogramm Thema. Wir waren uns einig, so viel wie irgend möglich gemeinsam zu trainieren.

Es dauerte zwar doch einige Zeit, aber dann hatten wir unser Programm für die Woche stehen.

Marco hatte am Nachmittag schon recht früh wieder Trainingsbeginn. Ich konnte noch eine Stunde pausieren. Daher entschied ich mich, noch eine Runde mit meiner neuen Panigale zu drehen.

Jetzt war die Nähe meiner Wohnung zur Anlage ein großer Vorteil. So konnte ich schnell meine Bikersachen anziehen und losbrausen.

Obwohl heute Samstag war und bestes Wetter herrschte, waren noch nicht viele andere Biker unterwegs. Diese Stunde konnte ich in vollen Zügen genießen. Die Kraftentfaltung der neuen V4 Maschine war gigantisch. Die modernere Technik machte sie angenehmer zu fahren.

Leider verlor ich etwas die Zeit aus den Augen. Vor dem Training erneut umziehen klappte zeitlich nicht mehr. Also rollte ich mit einem schnellen Gasstoß auf den Parkplatz. Letzteres konnte ich mir heute nicht verkneifen.

Als ich meine Jacke öffnete und den Helm abnahm, konnte ich das Knistern wieder hören.

Es wurde Zeit, die Motorradsachen schnell auszuziehen, damit es nicht zu warm wurde.

Als ich die Umkleide betrat, herrschte schon reger Betrieb. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass ich dort bereits auf meine großen Jungs treffen würde. Eigentlich war noch etwas Zeit.

„Hi, Chris. Hast du dein neues Spielzeug noch etwas ausgeführt?“

Justin hatte als erster den Weg zu mir gefunden.

„Ja, ich hatte einfach Lust noch etwas durch die Gegend zu ballern. Einfach ein scharfes Gerät, die neue Panigale.“

„Würdest du mich einmal mitnehmen? Ich bin zu Hause mal mit Papa einige Male gefahren. Da war ich aber vielleicht zehn oder elf.“

„Klar, wenn es mal zeitlich passt und das Wetter auch gut genug ist, nehme ich dich gerne einmal mit. Wir könnten das ja mit der Vorbereitung des Besuchs deiner Familie verbinden. Was meinst du?“

„Oh ja, das wäre cool. Ist es denn schon sicher, dass sie in der Woche vom Sparkassen Cup herkommen?“

„Ich habe noch keine Bestätigung von Thorsten, aber mein Stand ist, dass sie in der Woche herkommen.“

„Papa meinte, dass sie so planen würden. Allerdings würde er auch noch auf die finale Zusage von Thorsten warten.“

„Gut, dann spreche ich mit Thorsten das noch einmal ab und ich gehe davon aus, dass Thorsten es im Eifer des Gefechtes nicht mehr auf dem Schirm hat. Du kannst deiner Familie sagen, dass sie bis Montag endgültig Bescheid bekommen.“

Solche Dinge ärgerten mich. Es war klar besprochen, dass das Team Justins Familie offiziell einladen sollte. Aber ich hatte mich darum auch nicht weiter gekümmert. Also würde ich mit Thorsten noch einmal sprechen müssen.

Während ich mich umzog blickte ich mich in der Umkleide um. Mir fehlten Sergio und Marcelo. Allerdings klärte sich das als ich hinaus ging. Dort standen die beiden bereits fertig umgezogen und warteten auf die anderen. Ich begrüßte sie und fragte:

„Wollt ihr euch mit den anderen aufwärmen oder schon mit mir zum Platz kommen?“

„Nein, wir sind noch nicht aufgewärmt. Deshalb warten wir hier auf die anderen, aber uns ist nicht klar, ob Marcelo jetzt wieder mit uns trainiert“, erwiderte Sergio.

„Ja, soll er. Sorry, wenn das nicht klar geworden ist. Jetzt machen wir Matchtraining.“

Marcelo nickte erfreut und Sergio nahm seinen Freund kurz in den Arm und sie sprachen etwas auf Spanisch miteinander.

Ich nahm meine Tasche und ging Richtung der Plätze Center eins und zwei.

Meine Truppe tauchte gut aufgewärmt auf und entsprechend zügig konnte ich mit dem Training beginnen.

Allerdings war bei Marcelo recht bald die Luft raus. Seine Fitness hatte nicht den gleichen Status der anderen. Aber das war zu erwarten und entsprechend nahm ich ihn aus dem Training. Bevor ich ihn zum Auslaufen schickte, konnte ich noch ein Gespräch führen.

„Du solltest nicht versuchen, mit deinem Freund und meinen Jungs mithalten zu wollen. Das würde für dich nicht gut ausgehen. Da ist eine Verletzung vorprogrammiert. Ich finde es gut, was ich von dir gesehen habe. Deine Vorbereitung war etwas anders als von Sergio. Du hast viele Prüfungen geschrieben und wenig trainieren können. Du hast auch ein anderes Ziel als Sergio. Also gib weiterhin dein Bestes und dann ist es doch gut.“

„Klar, das verstehe ich. Allerdings frustriert es auch, wenn ich sehe, wie viel mehr die anderen können. Umso schöner finde ich aber auch die Chance, hier mit Sergio trainieren zu dürfen.“

„Sehr gut. Dann passt das doch. Ich finde es übrigens gut, dass du dich mit Sergio hier nicht versteckst. Wie weit bist du denn mit dem Studium? Hast du alle Prüfungen geschafft?“

„Die Prüfungen für dieses Jahr sind alle geschrieben, aber die Ergebnisse kenn ich noch nicht. Von daher ist der Zeitpunkt zwar gut, aber ich habe mich halt nicht so vorbereiten können, wie ich gerne gewollt hätte.“

„Alles gut, Marcelo. Schau mal, da möchte dich jemand zum Duschen schicken.“

Sergio stand schon einige Augenblicke bei uns und hörte aufmerksam unserem Gespräch zu. Als ich ihm ein Zeichen gab, umarmte er seinen Freund und schickte ihn mit einem Kuss zum Auslaufen.

Die kurz geballte Faust von Fynn zeigte mir, dass er sich über den offenen Kuss freute. Ich ließ diese Situation unkommentiert und widmete mich wieder meinen Jungs und dem Training. Das verlief unspektakulär und wurde am Ende von Malte und Marvin beobachtet. Ich schickte meine Truppe zum Auslaufen und dem normalen Programm mit Physio und Massage. Ich selbst brachte meine Utensilien weg und ging duschen.

Gleich hatte ich auch noch einen Termin bei Kolja zur Massage. Ich war schon drei Tage nicht mehr dort und wusste genau, wenn ich heute nicht hingehen würde, hätte ich mir einen bösen Spruch abgeholt. Überrascht stellte ich fest, dass mich Kolja schon erwartete. Normalerweise musste ich immer etwas warten.

„Hi, Chris. Schön, dass du wieder hier bist. Wie geht es deinem Rücken?“

„Hi Kolja, noch gut. Aber ich war auch schon drei Tage nicht mehr hier und wenn ich heute wieder nicht kommen wäre, hättest du mir wahrscheinlich in den Allerwertesten getreten. Da dies schmerzhaft geworden wäre, wollte ich vorbeugen. Nein, Spaß beiseite. Der Rücken ist gut. Aber ich habe eben beim Motorradfahren ein leichtes Druckgefühl gespürt. Auf der linken Seite. Vielleicht kannst du da mal schauen.“

Kolja grinste nur und meinte:

„Na, dann mach mal deinen Oberkörper frei und leg dich auf die Liege.“

Innerhalb weniger Minuten entspannte sich mein Körper und auch mein Kopf leerte sich von den Gedanken an die Arbeit. Erst, als Kolja die linke Lendenwirbelseite abtastete, wurde ich wieder aufmerksam.

Sofort hatte ich dieses Druckgefühl wieder.

„Ich glaube, ich habe die Stelle gefunden. Ich fühle einen Bluterguss. Bist du gestürzt? Oder hast du mit den Jungs wieder ungesund herumgetobt, hahaha?“

„Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Keine Ahnung, wo der herkommt.“

Kolja massierte mich dort einfach weiter. Erstaunlicherweise hatte ich bald weder Schmerzen noch ein Druckgefühl.

Plötzlich sagte er:

„So, das wars für heute. Jetzt steh bitte langsam auf und bewege mal bitte deinen Oberkörper.“

Bei der Drehung des Oberkörpers hatte ich das Empfinden, dass alles entspannt und weich war. Allerdings war ich ein wenig zu flott in der Drehung. Mir wurde für einen kurzen Moment schwindelig und ich musste mich an der Liege festhalten.

Bevor ich reagieren konnte, hatte mich Kolja bereits am Arm gepackt.

„Langsam, Chris. Du musst dem Körper mehr Zeit geben. Geht es jetzt wieder besser?“

„Ja, danke. Alles wieder gut. Mein Denkapparat ist es nicht gewohnt, so entspannt durch die Gegend laufen zu können.“

Kolja schaute mich mit großen Augen an und begann zu lachen. Ein richtiger Lachflash überkam ihn und erst, als er sich wieder beruhigt hatte, meinte er:

„Boah, Chris. Der war gut. Den Spruch kannte ich noch nicht. Aber cool gekontert. Den merke ich mir.“

Dann ließ er mich wieder gehen und gab mir gleich für übermorgen einen neuen Termin. Ich sollte verstärkt auf diese Dinge achten und meinem Körper mehr Aufmerksamkeit widmen. Allerdings wurde die Rückfahrt zur Wohnung noch interessant. Es fiel mir schwer, genug Körperspannung für das Motorradfahren aufzubauen. Entsprechend vorsichtig fuhr ich nach Hause. Kolja hatte ganze Arbeit geleistet und ich wusste, in Zukunft würde ich nicht mehr mit dem Motorrad zur Massage kommen.

Fynn: Der erste gemeinsame Abend in der WG

Unser Nachmittagstraining empfand ich als angenehm im Gegensatz zum Vormittag. Mein Schatz hatte bereits eine Waschmaschine angestellt und ich saß mit Martina in der Küche und bereitete mit ihr das Abendessen vor.

Sie hatte uns gebeten, ihr etwas zur Hand zu gehen. Immerhin waren wir am Abend doch einige Personen mehr als sonst.

Tim und Carlo waren noch mit unseren Gästen unterwegs.

„Kannst du bitte die Paprika, Tomaten und Zwiebeln klein schneiden?“, bat mich Martina.

„Na klar, was möchtest du daraus machen?“

„Einen Teil für den Salat und den Rest in die Lasagne.“

Martinas Lasagne hatte Legendenstatus. Und es war einfach, für viele Personen zu machen. In diesem Moment hörte ich einige laute Stimmen ins Haus kommen. Tim betrat kurz die Küche und fragte:

„Hi, Martina. Hi, Fynn. Eine Frage, wir müssen Jaime und Raphael noch ins Hotel begleiten, weil sie ihre Sachen noch nicht dabei haben. Soll einer von uns helfen oder dürfen Carlo und ich gemeinsam unsere Freunde wegbringen?“

Martina reagierte überrascht und fragte nach:

„Aber ihr kommt dann gleich wieder zurück oder wie habt ihr euch das gedacht?“

„Ja, sicher. Es war ja so besprochen, dass wir auch helfen sollten. Deshalb frage ich.“

„Das finde ich klasse. Dann bringt sie ruhig gemeinsam ins Hotel. Chris wird sie dann später zusammen abholen. Bis gleich.“

Tim nickte einmal und wollte die Tür schließen. Aber Justin und Dustin standen schon hinter ihm, daher ließ er beide vorbei und schloss dann die Tür.

Schnell verteilte Martina weitere Arbeiten.

„Sag mal, Martina, was hast du mit Tim gemacht? Vor vier Wochen hätte er niemals so eine Frage gestellt. Ich finde das cool. Auch auf dem Platz ist mir das schon aufgefallen, dass er viel häufiger ganz nett ist.“

„Ganz nett?“, fragte Justin, „das ist aber total untertrieben. Ich finde, er ist mega nett geworden. Ich kann mich gut mit ihm unterhalten und er ist nur noch selten so albern.“

„Ja, richtig“, bestätigte mein Schatz.

Martina mischte sich jetzt ein:

„Habt ihr ihm das schon einmal so vermittelt? Ich könnte mir vorstellen, dass ihm das etwas bedeutet, dass ihr seine Veränderungen auch bemerkt. Obwohl ihr oft weg seid.“

Kleinlaut musste ich zugeben:

„Nein, so richtig habe ich ihm das noch nicht gezeigt oder gesagt. Aber warum kann er sich jetzt so gut benehmen? Was ist passiert?“

„Das sollten wir wohl Chris fragen. Ich bin sicher, dass er das zu verantworten hat. Er hat doch vor einiger Zeit mit Tims Eltern ein Gespräch gehabt. Chris wird bestimmt wieder eine seiner tollen Ideen umgesetzt haben. So wie er mir auch auf der Kanada Reise geholfen hat.“

„Stopp“, meldete sich Martina, „ihr solltet zuerst Tim fragen. Es betrifft ihn doch und er ist nachher unter uns. Warum wollt ihr zuerst Chris fragen, wenn Tim direkt für euch ansprechbar ist?“

„Weil er bislang bei so einer Frage gleich ausgetickt ist. Allerdings stimmt das schon, vielleicht sollten wir das einfach mal versuchen. Mehr als wieder ausflippen kann er ja nicht. Aber wir sollten das besser fragen, wenn Chris auch dabei ist. Dann kann es zumindest nicht in einer Katastrophe enden.“

Wir hatten schon zu oft mit Tim schlechte Erfahrungen gemacht, aber ich musste zugeben, Martinas Einwand war berechtigt. Mir war es aber lieber, wenn Chris dabei sein würde.

Das Zubereiten des Essens entwickelte sich schnell zu einer lustigen Sache. Als Tim und Carlo zurückkamen, waren wir nahezu fertig und Martina konnte die Kasserollen schon in den Ofen schieben. Tim wirkte etwas enttäuscht, als er das sah.

Carlo war allerdings spontan wie immer.

„Dann lass uns den Nachtisch machen, Tim. Das macht auch viel Spaß.“

Tim schaute Carlo an.

„Ja, mit dir ganz sicher. Was hast du dir ausgedacht?“

Carlo fragte Martina:

„Haben wir noch genug Vanille Eis im Gefrierschrank?“

„Ich schau mal eben nach“, kam von Tim und schon war er an dem Schrank. Er öffnete die Tür und schnell kam lachend:

„Also zwei große Packungen sollten reichen. Aber was willst du damit machen?“

„Zwei heiße Soßen. Einmal Himbeer und einmal Schokolade. Machst du mit?“

„Natürlich, bei Schokolade immer“, lachte Tim.

Und schon fing Carlo an, die entsprechenden Zutaten zusammenzusuchen.

Eigentlich wollte ich mit Dustin jetzt lieber die Zeit noch nutzen, um etwas zu kuscheln, aber Tim in der Küche wollte ich auch erleben. Also blieben wir alle gemeinsam in der Küche sitzen und machten einen Spaß nach dem anderen. Martina hatte sich schnell in das Esszimmer verabschiedet. Sie wollte dort den großen Tisch vorbereiten. Justin wurde das Ganze in der Küche zu unruhig und er wollte mit Martina zusammen den Tisch decken.

Schnell hatte Carlo alles zusammen und gab Tim auch klare Arbeitsaufträge. Tim nickte immer nur und setzte das in die Tat um. Ich war so fasziniert, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie Dustin mit dem Handy ein paar Bilder gemacht hatte.

Wenige Minuten später stellte uns Carlo zwei kleine Schalen zum Probieren auf den Tisch. Ich nahm mir einen kleinen Löffel und testete zuerst die Himbeersauce. Dustin nahm sich die Schokoladensauce zuerst vor. Dann tauschten wir die Schalen und das Ergebnis war eindeutig.

„Grandios, beide“, kam von Dustin.

„Sehe ich ganz genauso. Einfach gut und lecker. Toll gemacht.“

Carlo grinste und auch Tim hatte ein Lächeln im Gesicht.

„Danke, das freut mich, dass es euch schmeckt“, meinte Tim.

Ich stellte die beiden Soßen warm.

Mittlerweile war Martina zu uns gekommen. Sie schaute zur Uhr und meinte:

„Ihr habt jetzt noch etwas Zeit für euch. Aber wenn Chris mit unseren Gästen kommt, solltet ihr auf jeden Fall hier sein.“

Ich schaute Dustin an und fragte in die Runde:

„Kommt ihr mit ne Runde Kickern?“

Da hatte ich bei Carlo und Tim natürlich ins Schwarze getroffen. Sofort gingen wir in den Keller, wo der Kicker stand.

Schnell herrschte reges Treiben und eine super Stimmung. Auch Justin war mittlerweile in den Keller gekommen. Tim war gelöst und hatte auch kein Problem mit dem Verlieren. Es war lustig und wir hatten natürlich komplett die Zeit vergessen.

Plötzlich ging die Tür auf und Chris betrat den Raum. Stille.

„Sagt mal, wollt ihr nichts essen? Schaut mal auf die Uhr! Was für Gastgeber seid ihr denn? Unsere spanischen Gäste warten bereits oben und ihr vergnügt euch hier.“

Es war wieder so eine Situation. Chris blickte total ernst in die Runde und wir fühlten uns ertappt und schuldig. Chris spielte noch für einige Sekunden den Bösen, dann fing er an zu lachen und eine herzliche Begrüßung folgte mit einer Umarmung.

Ich war ihm erneut auf den Leim gegangen.

„So, nachdem es mir wieder gelungen ist euch zu erschrecken, lasst uns nach oben gehen. Unsere Gäste möchten euch sehen und von euch gut betreut werden. Wir wollen gute Gastgeber sein.“

Chris nahm Tim in den Arm und ging mit ihm vorweg. Das war auch ein starkes Signal, denn für Tim war Chris immer noch sehr wichtig.

Oben angekommen stand Martina mit unseren Gästen im Garten. Chris war zielstrebig mit Tim zu ihnen gegangen und wir folgten ihnen. Entsprechend lustig wurde die Begrüßung. Alle Gespräche führten wir auf Englisch.

Chris fragte in die Runde:

„Wollen wir zuerst essen oder wollt ihr unsere Gäste vorher durch das Haus führen?“

„Zuerst essen“, kam von Justin und Maxi wie aus der Pistole geschossen.

Maxi war mit Chris und den Gästen gemeinsam gekommen.

Chris zögerte kurz und fing dann an laut zu lachen. Ich konnte mir auch nicht anders helfen als mit zulachen. Also herrschte schnell eine lustige Stimmung als wir uns an den großen Tisch im Esszimmer setzten.

Allerdings staunte ich jetzt erneut über Tim. Er ging ohne Aufforderung mit Martina und Chris in die Küche. Wenige Augenblicke später kamen die drei mit dem Essen zurück. Sie stellten die Kasserollen und den Salat auf den Tisch und Martina wünschte allen einen guten Appetit.

Während des Essens sprachen wir nicht über Tennis. Von Chris wussten wir genau, dass er das nicht mochte. Allerdings wussten unsere Gäste das nicht, als Raphael eine Frage stellte:

„Warum ist eigentlich Marco nicht mit hier? Er ist doch auch ein Trainer von euch.“

Eigentlich eine gute Frage, aber sofort konnte ich bei Tim und Carlo eine Reaktion spüren. Martina schaute zu Chris. Der wiederum ließ sich beim Essen nicht stören und machte nicht den Eindruck, als ob er darauf antworten wollte.

„Chris ist nicht nur unser Trainer, für mich ist Chris so etwas wie ein Vaterersatz und daher gehört er praktisch zum Inventar wie Martina“, erklärte Tim trocken.

Für einen Moment schauten alle mit großen Augen jetzt zu Chris. Der musste jetzt doch lachen und konnte nicht mehr ausweichen.

„Also gut. Tim hat seine Sichtweise bereits klar geäußert. Ich habe gedacht, ich bin ein guter Gastgeber und leiste euch etwas Gesellschaft. Aber im Ernst. Marco ist unter anderem für Tim und Carlo zuständig. Allerdings ist es bei mir so gewesen, dass ich ja zu Beginn gar keine Traineraufgaben hatte. Wir haben uns mit anderen Dingen beschäftigt. Da war es erforderlich, dass ich hier in der WG auch Gespräche geführt habe. Daraus ist diese Situation dann einfach so entstanden. Eigentlich ist die WG eine trainerfreie Zone. Allerdings habe ich bislang nie das Gefühl gehabt, hier unerwünscht zu sein. Vielleicht sagen die anderen dazu auch etwas.“

Das war natürlich eine Steilvorlage für meinen Schatz. Er hatte schon tief Luft geholt. Allerdings grätschte Martina jetzt dazwischen.

„Überlege erst, Dustin. Niemand hat hier Chris angegriffen. Es war doch eine berechtigte Frage. Woher sollen unsere spanischen Gäste die Entwicklung unserer jetzigen Situation kennen. Chris wird weiterhin hier ein- und ausgehen wie bisher. Jedenfalls solange ihr das auch wollt. Grundsätzlich hat Chris nämlich Recht. Die WG ist als trainerfreie Zone gedacht. Jetzt darfst du dich dazu äußern.“

Dustin hatte wieder ausgeatmet und entgegen meiner Befürchtung, fing er an zu lachen.

„Okay, okay. Ich habe es begriffen. Dennoch finde ich es klasse, dass Chris so häufig hier ist und uns unterstützt. Egal bei welchem Problem. Und ich sehe es wie Tim. Chris ist nicht nur unser Trainer auf dem Platz. Er ist unser Lebenscoach. Er hat uns schon so viele Dinge für unser Leben erklärt und von daher finde ich gemeinsame Abende wie heute einfach nur schön.“

Unseren Gästen schmeckte die Lasagne wohl ziemlich gut. Denn alle nahmen einmal nach und so blieb nichts übrig.

Jetzt stellte Martina eine rein rhetorische Frage:

„Wer möchte noch Nachtisch? Es gibt Vanilleeis mit zwei verschiedenen Saucen.“

Sofort schnellten alle Arme nach oben und Chris und Martina lachten. Chris stellte fest:

„Diese Frage ist überflüssig. Bei Eis hört die Disziplin auf. Aber ich kann es verstehen, da ich auch gern Eis esse. Und wenn Tim und Carlo die Saucen erstellt haben, dann kann ich das auch nicht unterbinden. Also, Nachtisch für alle.“

Sergio und Marcelo beobachteten uns skeptisch. Raphael und Jaime hingegen alberten schon mit Tim und Carlo herum.

„Vorsicht, Jaime. Wenn du jetzt die Saucen kaputt machst, bekommst du richtig Ärger. Die Jungs sind nämlich alle scharf auf die Varianten von Tim und Carlo.“

Jaime drehte sich zu Chris und fragte:

„Sind das eure Saucenspezialisten?“

„Nein“, erwiderte Martina, „aber Carlos Eltern haben ein italienisches Restaurant und im Sommer mit einer kleinen Eisdiele. Und mit Tim hat er schon viele tolle Sachen gemacht.“

Schnell verteilten Tim und Carlo das Eis und stellten die beiden Saucen auf den Tisch. Als wir alle fleißig unser Eis genossen, fragte Chris:

„Habt ihr Raphael und Jaime schon ihr Quartier gezeigt? Oder wissen sie noch nicht, wo sie ab heute wohnen werden?“

„Nein, gezeigt haben wir es ihnen noch nicht, aber Raphael weiß schon, dass er bei mir schlafen wird und Jaime bei Carlo. Ich denke, wir machen ja gleich noch einen Rundgang. Dann können wir ihnen das zeigen.“

Wieder staunte ich über Tim. Er wusste bereits, dass Raphael schwul ist und hatte keinen Protest geäußert, eher im Gegenteil, er schien sich über den Besuch zu freuen.

Als wir das Eis vernichtet hatten, fragte Martina Chris, ob er Lust auf eine Latte hätte.

„Sehr gute Idee. Kannst du das machen, während ich mit den Jungs einmal durch das Haus gehe?“

Danach machten wir uns auf einen Rundgang durchs Haus. Chris fing oben an, damit Jaime und Raphael gleich ihre Sachen dort ablegen konnten.

Allerdings überließ er es Carlo und Tim ihre Zimmer und das Bad zu zeigen. Nachdem Raphael und Jaime ihre Taschen verstaut hatten, zeigte Maxi sein Zimmer und Justin folgte im Anschluss. Auch hier folgte noch der Blick in das Bad. Zum Schluss waren Dustin und ich an der Reihe. Als ich unsere Tür geöffnet hatte, staunten alle Spanier. Sergio fragte:

„Wow, das ist toll eingerichtet. Und ihr habt ein eigenes Bad. Sind die anderen nicht neidisch auf euch?“

Ich schaute meine Freunde an und Maxi erwiderte:

„Auf keinen Fall. Es hat auch für uns Vorteile. So können wir uns mal abends zusammen setzen und haben genug Platz. In den anderen Zimmern ist es doch recht eng. Außerdem haben wir unsere Ruhe, wenn die beiden mal wieder ihren Spaß haben wollen. Hahaha.“

„Gibt es bei euch eine Bettruhe? Oder kann das jeder selbst entscheiden, wann er morgens gut aus dem Bett kommt?“, fragte Jaime mit einem kleinen Grinsen im Gesicht.

Sehr geschickt das Thema gewechselt.

„Wen fragst du damit?“, wollte Chris wissen.

Jaime zuckte mit den Schultern.

„Nun, dann sage ich es mal so“, antwortete Chris, „Maxi, Justin, Dustin und Fynn können im Prinzip so lange aufbleiben, wie sie möchten. Aber sollten sie dabei eine Regel verletzen, gibt das auch Ärger. Vor allem wenn Tim oder Carlo gestört werden. Bekomme ich mit, dass die Trainingsleistung oder die Schule leidet, werde ich eingreifen. Aber bevor hier Unmut entsteht, bislang habe ich das noch nie gebraucht. Hier herrscht eine tolle Teamstimmung. Ich hoffe, dass Raphael und Jaime das auch zu spüren bekommen. Tim und Carlo sollten in der Woche um zehn im Bett liegen.“

Mir kam gerade ein Gedanke in den Sinn, aber ich hatte das Gefühl, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für diese Frage sei. Daher verschob ich das auf eine andere Gelegenheit.

Der Rundgang endete im Keller in den Freizeiträumen und dem Waschkeller. Chris schaute auf die Uhr, meinte zum Abschluss des Rundgangs:

„Wenn ihr wollt, könnt ihr euch noch etwas zusammensetzen. Aber in einer Stunde sollten unsere vier Youngster dann auch langsam ins Bett. Morgen früh ist Training angesagt.“

„Wie kommen Sergio und Marcelo wieder ins Sportpark Hotel zurück?“, fragte Dustin.

„Eine gute Frage“, lächelte Chris, „ich werde sie nachher mitnehmen. Martina wollte noch etwas mit mir besprechen. Ich werde ungefähr in einer Stunde bei euch vorbeikommen und dann die beiden mitnehmen.“

Wir bestätigten Chris das und dann ging er mit Martina in den Garten. Wir wollten uns noch etwas bei uns treffen.

Dustin holte aus der Küche noch ein paar Gläser und ich öffnete schon mal ein paar Sachen zum Knabbern. Sergio und Marcelo nahmen auf dem Zweisitzer Platz, während sich Maxi und Justin auf die Sessel verteilten. Tim und Carlo hatten sich schon mit Jaime und Raphael nach oben verdrückt. Sie wollten noch etwas zocken.

„Wie ist es euch ergangen seit unserem Besuch bei euch? Ich bin total neugierig, wie ihr euch entschieden habt mit eurer Beziehung umzugehen“, fragte Dustin während er die Gläser verteilte.

„Okay, wenn es euch wirklich alle interessiert, erzählen wir gerne etwas. Aber wie ist das für Justin und Maxi? Interessiert euch das?“

„Aber hallo, natürlich interessiert mich das. Wir sind doch Freunde. Egal ob schwul oder hetero. Wir unterstützen Dustin und Fynn ja auch, wo wir können und wo es erforderlich sein sollte.“

Maxi nickte nur Justin zu und dann hörten wir gespannt zu. Sergio und Marcelo hatten einiges zu erzählen. Gott sei Dank war das meiste positiv verlaufen. Das Team hatte es akzeptiert und es gab nur ganz wenige Spieler, die ihre Schwierigkeiten mit ihrer Beziehung hatten. Das Training hatte sich nicht verändert und alle Coaches waren sehr offen damit umgegangen.

Richtig spannend wurde es, als Sergio von ihrem letzten Turnier berichtete. Dort waren sie das erste Mal bei einem Turnier offen als Paar aufgetreten.

„Es gab für uns so ein Schlüsselerlebnis. Als mich Marcelo das erste Mal mit einem Kuss in das nächste Match geschickt hat und mein Gegner neben mir stand. Er fragte mich direkt, ob ich euch auch kennen würde. Er kam aus Österreich und hatte schon viel von euch gehört und auch gelesen. Das war schon komisch und ehrlicherweise war ich in der Situation ziemlich aufgeregt. Es war auch direkt vor dem Match. Das kannte ich alles nicht.“

„Und wie ist es gelaufen? Also das Match?“, fragte Justin.

Sergio fing an zu lachen und erwiderte:

„Haha, eigentlich richtig cool. Ich habe gewonnen und am Ende hat mich mein Gegner wie jeden anderen Gegner auch einfach umarmt. Er hatte mich später sogar zum Kaffee eingeladen. Das heißt, er hat uns eingeladen. Da war Marcelo auch dabei.“

„Cool, genau so muss das sein. Es geht um Tennis und gute Leistungen. Es ist schon krass, dass es erst im 21. Jahrhundert möglich ist, als schwuler Sportler anerkannt zu werden.“

Maxi hatte es auf den Punkt gebracht. Aber er fragte nach:

„Wie ist es bei euch in der Base? Kann Marcelo jetzt auch mal bei dir schlafen? Oder ist das immer noch nicht erlaubt? Und wie gehen die jüngeren Spieler damit um. Ihr habt ja auch viele Urlaubsgäste bei euch in der Akademie.“

„Hihi“, lachte Marcelo jetzt, „warum habe ich diese Frage schon erwartet. Aber ja. Ich darf an den Wochenenden wo Sergio in der Akademie ist, bei ihm sein. Zu den gleichen Bedingungen wie bei euch. Die Aufgaben dürfen nicht darunter leiden. Aber ich muss sagen, es ist wie eine Befreiung für mich. Endlich kann ich meinen Freund auch spontan mal umarmen oder ihm einen Kuss geben. Erst jetzt begreifen wir langsam, dass es eine große Befreiung ist. Dank euch hat sich vieles für uns vereinfacht und verbessert. Die homophoben Typen gibt es überall, aber da wir überwiegend positiv akzeptiert werden, regelt sich das meistens von selbst.“

„Stimmt“, ergänzte Sergio, „da gab es einmal eine Situation mit Raphael. Er hatte sich mit einem Urlaubsgast angefreundet und mit ihm häufiger gespielt und trainiert. Der Junge war sogar ganz gut und auch nett. Irgendwann wurde Raphael dann etwas mutiger und hat sich diesem Jungen mehr genähert. Marcelo und ich hatten das schon ein paar Tage beobachtet. Der andere Junge war mit einer Gruppe anderer Jungs aus Spanien gekommen. Irgendwann saßen Marcelo und ich nach meinem Training dann auf der Terrasse. Raphael fragte uns, ob sie sich zu uns setzen dürften. Und ganz spannend wurde es dann als mir Marcelo einen Kuss gab. Der fremde Junge schaute Raphael an und da hatte er es begriffen. Und wisst ihr was? Er hatte nur auf dieses Signal gewartet. Er nahm Raphaels Hand und küsste ihm auf die Wange. Eine coole Situation. Leider hielt diese Sache nur so lange, wie der Junge bei uns war. Raphael hat aber auch kein Problem damit. Er hat uns dann von den Erlebnissen mit diesem Jungen erzählt. Das war niedlich.“

„Stopp“, unterbrach ich, „meint ihr nicht, wir sollten weiter darüber sprechen, wenn Raphael auch bei uns ist? Ich finde es ja toll, dass es für ihn so unkompliziert läuft, dennoch sollte er bei uns sein, wenn wir darüber sprechen. Oder was meint ihr?“

„Ja, Fynn. Danke für den Einwand. Das stimmt sicher. Allerdings ist da auch nichts Gravierendes passiert. Aber für Raphael war es wichtig zu sehen, dass er für andere Jungs auch interessant sein kann. Es waren seine ersten Erfahrungen. Aber lasst uns das Thema wechseln. Er sollte dabei sein, wenn wir über ihn sprechen.“

Schnell entwickelte sich noch eine interessante Runde und umso erstaunter schauten wir zur Tür als Chris bei uns stand.

„Na, ihr habt euren Spaß, oder? Aber schaut mal auf die Uhr. Ich habe euch schon eine halbe Stunde mehr Zeit gegeben. Ich würde jetzt gerne aufbrechen und unsere Gäste mitnehmen. Die nächsten Tage werdet ihr für diese Runden auch noch Zeit haben. Ihr könnt euch ja morgen Nachmittag nach dem Training treffen.“

Das war mir jetzt etwas unangenehm, denn Chris hatte uns eine klare Zeitvorgabe gegeben. Dennoch blieb er sehr nett und sah das entspannt. Wir verabschiedeten uns von Sergio und Marcelo für heute.

Als Chris mit ihnen vom Hof gefahren war, gingen mein Schatz und ich auch zügig ins Bett. Sonst wären wir am nächsten Morgen nicht ausgeschlafen. Und genau das wäre fatal. Da konnte Chris richtig sauer werden.

Allerdings war dieser Abend sehr schön und ich war zuversichtlich, dass wir noch einiges mit unseren spanischen Freunden erleben würden.

Chris: Es entwickelt sich Überraschendes

Die ersten Trainingstage mit unseren Gästen verliefen für mich recht anstrengend. Meine Trainingsgruppe bestand immer aus deutlich mehr Spielern als sonst. Da Marco leider am Montag und Dienstag erkrankt war, hatte ich auch Tim, Carlo mit Raphael und Jaime zu betreuen. Das war manchmal nicht einfach.

Heute war Mittwoch und die wöchentliche Teamsitzung stand an. Meine Jungs waren in der Schule und unsere Gäste hatten den Wunsch geäußert, unsere Jungs in die Schule zu begleiten. Sie wollten einen Tag in einer deutschen Schule erleben.

Da ich einen guten Draht zur Schulleitung pflegte, war dieser Wunsch einfach zu erfüllen. Es hatte den Vorteil, dass ich kein zusätzliches Programm während der Teamsitzung für den Vormittag entwickeln musste.

Ich saß auf der Terrasse des Clubhauses bei einer Latte Macchiato und wartete auf Maxi. Er hatte mich um ein Gespräch gebeten, dem ich gerne nachkam. Er hatte eine ganz harte Zeit hinter sich und ich war froh, dass er mich um ein Gespräch gebeten hatte.

„Guten Morgen Maxi“, begrüßte ich ihn.

„Hallo Chris. Schön, dass du schon da bist. Darf ich mich zu dir setzen?“

„Natürlich, aber ich wundere mich etwas. Dass du schon so früh dieses Gespräch möchtest. Du hast doch erst heute Nachmittag Training.“

„Ja, ja. Ich weiß, ich zähle nicht zu den Morgenmenschen. Aber heute soll ich gleich zum ersten Mal bei der Teamsitzung dabei sein. Und ich wollte unbedingt vorher mit dir gesprochen haben.“

Maxi bei der Teamsitzung dabei? Was hatte ich verpasst?

„Du machst mich neugierig. Was liegt an?“

„Ähm, zuerst möchte ich mich bei dir entschuldigen, dass ich nicht schon früher mit dir das konkrete Gespräch gesucht habe, aber meine letzten Wochen waren für mich nicht einfach und ich musste mir über Einiges klarwerden. Ich habe viel mit Mama gesprochen. Es geht ihr nach dem Tod von Papa noch immer nicht gut. Du hast sicher auch bemerkt, dass ich viel zu Hause gewesen bin und auch weniger trainiere. Mama hatte mich darum gebeten, mein Ziel mit dem professionellen Tennis aufzugeben, um mehr zu Hause sein zu können. Das war für mich eine ganz schwierige Situation. Allerdings habe ich für mich auch gemerkt, dass mir das viele Reisen im Moment überhaupt nicht gut tut.“

Maxi wirkte emotional angefasst und ich konnte seinen Zustand gut nachempfinden. Es war mir nicht neu, wie sehr er unter dem Tod seines Vaters litt. Er hatte auch bereits mehrfach mit mir das Gespräch gesucht. Ich ließ ihm deshalb jetzt auch die Zeit, sich wieder zu sammeln und nach einigen Momenten setzte das Gespräch mit folgendem fort:

„Ich habe daher für mich überlegt, was ich möchte. Möchte ich weiterhin so viel von zuhause weg sein? Immer mit dem Gefühl, dass Mama sich einsam fühlt und ich damit in meinem Handeln nicht wirklich frei bin. Mein Kopf war oft zu Hause. Das ist für mein Spiel aber nicht gut. Ich habe dich in dieser Frage ganz bewusst nicht um Rat gefragt. Nicht weil du mir vielleicht einen falschen Rat gegeben hättest, sondern weil ich eine Entscheidung treffen wollte, die ich vor mir allein verantworten und mit der ich leben kann. Vorgestern habe ich mich dann mit Thorsten getroffen und ihm das Ergebnis meiner Überlegungen mitgeteilt. Er war der Meinung, ich sollte das heute auf der Teamsitzung bekanntgeben und mit euch das Gespräch suchen. Ich habe nämlich vor Sport zu studieren und eine Trainerausbildung zu machen. Ich will unbedingt auch weiterhin dem Tennis verbunden sein, aber nicht mehr ständig unterwegs sein müssen. Ich halte das nämlich emotional nicht mehr aus, wenn ich mehrere Tage am Stück nicht zuhause bin.“

Jetzt schaute er mich an und wartete auf meine Antwort. Er wirkte verunsichert. Für mich war das sicher eine Überraschung. Aber ich konnte ihn gut verstehen. Wenn er für sich erkannt hatte, dass er mit dem Kopf nicht vollends beim Turniertennis auf dem Platz sein konnte, machte es einfach keinen Sinn, diesen Weg weiter zu verfolgen.

„Wie geht es dir mit dieser Entscheidung? Denkst du, es ist jetzt der richtige Zeitpunkt, einen neuen Weg zu gehen? Und bevor du dir den Kopf zerbrichst, ich habe großen Respekt vor deiner Entscheidung und wenn du das so möchtest, wirst du auch weiterhin auf meine Unterstützung zählen können. Ich nehme an, du hast bei Thorsten gefragt, ob du bei uns die praktische Ausbildung machen kannst. Und deshalb wollte Thorsten, dass du heute zum Meeting kommst.“

„Danke Chris. Ja. Es ist für mich eine große Erleichterung, dass du mich verstehst. Ich will Mama nicht länger leiden sehen. Und wenn ich hierbleiben darf und das Team auf eine andere Art unterstützen kann, dann wäre das perfekt. Ich möchte nämlich auch weiterhin ein Teil des Breakpoint-Teams sein. Ich habe mich hier immer heimisch gefühlt.“

„Ich finde es gut, dass du dir für diese Entscheidung Zeit genommen hast. Und sei unbesorgt, ich verstehe deine Überlegungen und die Vorgehensweise. Über deinen weiteren Weg bei uns werden wir sicher gleich mit den anderen sprechen. Meine Unterstützung hast du. Ich würde es begrüßen, wenn du eine Trainerausbildung machst. Deine Erfahrungen sind wichtig und das Team um Toto wird von dir profitieren. Wissen eigentlich Dustin, Fynn und Justin schon von deiner Entscheidung oder deinen Gedanken dazu?“

„Danke, das bedeutet mir viel, dass du mich unterstützen möchtest. Nein, du bist heute der erste nach Thorsten, dem ich meine Entscheidung offenbart habe. Aber heute Nachmittag werde ich auch mehr wissen. Es kann ja auch sein, dass das Team das nicht möchte. Dann würde ich es dennoch, aber eben woanders versuchen, als Trainer arbeiten zu können und das Studium werde ich auf jeden Fall machen.“

„Ja, das gefällt mir. Du hast dich entschieden und willst das jetzt auch konsequent umsetzen. Allerdings bin ich mir recht sicher, dass du bei uns bleiben kannst. Sonst hätte dich Thorsten nicht zur Teamsitzung eingeladen. Das passt schon.“

Maxi wirkte erleichtert und entspannte sich immer mehr. Wir gönnten uns noch eine weitere Latte und er berichtete mir noch von seiner Mutter und seinen Problemen mit dem Verlust seines Vaters. Es ging auch um einige Dinge des Nachlasses und viele noch unerledigte Sachen. Da kam mir etwas in den Sinn.

„Hast du bei den rechtlichen Problemen mal mit Christian gesprochen? Er kann euch da vielleicht unterstützen.“

„Danke für den Tipp. Wenn wir mit unserem Anwalt nicht weiter wissen sollten, dann komme ich gerne auf das Angebot zurück.“

Sein Blick schweifte danach in die Ferne. Er war gedanklich auf eine andere Ebene gegangen und das war auch für mich total in Ordnung. Er sortierte sich neu und im Anschluss war das kein Thema mehr. Im Gegenteil, er fragte:

„Wie siehst du Tim im Moment? Ich finde, dass er sich gerade stark weiterentwickelt. Gerade auch in seinem Verhalten. Nachdem du das Team auf seine ADHS Erkrankung hingewiesen hattest, ist er wie ausgewechselt. Macht er eigentlich noch seine Therapie?“

„Danke, Maxi. Du hast das gut beobachtet. Ich bin genauso begeistert und freue mich über seine Schritte. Therapie macht er nicht mehr, aber er nimmt weiterhin Termine mit einem Psychologen und lernt 'Autogenes Training'. Damit wird er besser mit seiner Unruhe umgehen können. Die Medikamente sollen keine Dauerlösung sein.“

Mit einem Blick zur Uhr wurde es langsam Zeit für uns in den Besprechungsraum zu gehen. Thorsten hatte ich schon im Vorbeigehen gesehen. Ich nahm an, er wollte unser Gespräch nicht stören. Er wusste sicherlich, warum Maxi bei mir saß.

Die Tagesordnung sah umfangreich aus. Das würde sicher nicht in einer Stunde abzuarbeiten sein. Aber das kam häufiger vor, wenn wichtige Entscheidungen zu treffen waren. Es ging auch um die Planung zum Sparkassen Cup und der Aktion mit der DKMS und der AIDS Stiftung.

Entsprechend voll wurde es im Konferenzraum. Ich blickte mich einmal um als ich ein allgemeines „Guten Morgen“ in die Runde gab. Thorsten kam direkt zu mir und Maxi.

„Hallo ihr Beiden. Ich nehme an, Maxi hat dir seine neue Situation mittlerweile mitgeteilt.“

„Hi Thorsten. Ja, ich bin im Bilde und finde seine Entscheidung richtig. So wie er es begründet, muss er sich so entscheiden. Alles andere wäre Zeitverschwendung und würde nur zu noch mehr Frust führen.“

„Dann nehmt Platz und lasst uns beginnen. Jan lässt sich entschuldigen, aber er ist über alles im Bilde und wird wie geplant zum Sparkassen Cup anwesend sein.“

Wir setzten uns an den großen Tisch und entsprechend der Tagesordnung begann Thorsten mit den organisatorischen Sachen zur DKMS und AIDS Aktion. Da lief alles planmäßig und er übergab dann an Toto und Burghard. Sie gaben eine allgemeine Lagebeschreibung über das Jugendtraining ab und als Toto geendet hatte, fragte Thorsten nach:

„Du hast Marvin gar nicht mehr in deinen Ausführungen erwähnt. Wie ist denn die Lage mit Marvin? Ist die Situation immer noch schwierig oder hat sich etwas getan?“

„Oh, danke für den Hinweis, Thorsten. Doch, die Lage ist seit dem Gespräch und den Hilfen von Chris wirklich besser geworden. Ich bin zufrieden mit seiner Trainingsleistung und vor allem hat sich sein Verhalten positiv verändert. An dieser Stelle auch einmal mein Dank an Chris, der mir ein paar neue Blickwinkel gegeben hat. Bestimmte Dinge habe ich auch bei mir angepasst und versuche, etwas mehr Nähe zu den Jugendlichen zu bekommen.“

Burghard meldete nach Totos Aussage Gesprächsbedarf an.

„Es kann aber nicht sein, dass wir uns ständig an die Spieler anpassen müssen. Die Spieler müssen bereit sein, hart für ihr Ziel zu arbeiten. Gerade bei den Jugendlichen sollten wir auch mal auf den Tisch hauen können und die Richtung vorgeben. Sonst tanzen die uns doch auf der Nase herum und denken Tennis als Leistungssport ist ein Kindergeburtstag.“

Am liebsten hätte ich dazu sofort etwas gesagt. Mir ging direkt der Puls auf gefühlte zweihundert. Thorsten war allerdings schneller.

„In einem Punkt muss ich Burghard zustimmen. Wir geben die Richtung vor und wir tun das auch mal mit klaren Worten. Chris macht das übrigens auch, sollte es nötig sein. Er hat uns gezeigt, dass beides zu vereinbaren ist. Auch die Coaches müssen sich auf bestimmte Situationen einlassen und einstellen. Abgesehen davon, wo ist das Problem? Bisher haben die Ideen von Chris ganz viel bewegt. Und wenn Toto heute sagt, dass er von Chris auch neue Sichtweisen bekommen hat, dann ist viel erreicht. Die ganz harte Linie kann man immer noch auspacken, sollte sie wirklich erforderlich sein. Aber bislang gibt es an Chris Arbeit überhaupt keinen Grund zu zweifeln. Der Erfolg bei Tim und auch bei Marvin gibt ihm jedes Recht, das so zu machen. Tim ist auch ein gutes Stichwort. Marco, kannst du bitte etwas zu Tims Entwicklung berichten. Das war ja auch schwierig.“

„Ja gern. Also aus meiner Sicht läuft das momentan gut bis sehr gut. Martina hat mir aus der WG ähnliches berichtet. Er macht seine Arbeiten sowohl für die Schule als auch in der WG zuverlässig und beim Training ist er auch gut dabei. Er fragt halt mehr als die anderen und möchte verstehen, warum er etwas machen soll. Aber dann macht er auch richtig gut mit. Ich sehe seine Entwicklung positiv. Auch im Umgang ist er freundlicher und entspannt. Allerdings ist für ihn Chris immer noch eine wichtige Person. Er kommt auch häufiger zu mir, gerade wenn es um Tennis geht, aber bei persönlichen Baustellen nutzt er Chris noch häufig als Ratgeber. Ich habe damit aber kein Problem. Ich denke, Chris muss er nicht alles erklären. Gerade wenn es wieder um seinen Vater geht oder um Freundschaften zu anderen Personen. Leistungsmäßig ist er gut dabei. Eine Verbesserung ist spürbar. Ich glaube, dass er in der Rangliste einen Sprung machen wird. So darf er jedenfalls gerne weitermachen.“

Es war gut zu hören, dass auch Marco bei Tim eine ähnliche Wahrnehmung hatte und sich positiv äußerte. Ich überlegte noch ob ich zu Burghard etwas erwidern sollte, aber Thorsten beendete dieses Thema mit einem Themenwechsel.

„Chris, wie ist denn die Situation mit unseren spanischen Gästen? Dadurch, dass Marco erkrankt war, hast du ja einiges zu tun gehabt.“

„Ja, das sollte auch kein Dauerzustand sein, ansonsten bräuchte ich doch eine Unterstützung. Sonst läuft das recht gut. Heute sind sie mit Dustin und Fynn in der Schule. Raphael und Jaime sind mit Carlo und Tim in der Schule. Wir arbeiten also in der Woche nur am Nachmittag intensiv. Justin und Maxi waren zwar vormittags hier, aber ich habe entschieden, dass sie am Vormittag viel Kraftaufbau oder Matchtraining machen sollen. Wobei Maxi gleich noch ein gesondertes Thema wird. Justin entwickelt sich prächtig. Vielleicht lasse ich ihn noch ein Challenger zusätzlich spielen. Er muss ja nicht mehr in die Schule. Aber das ist noch nicht entschieden. Er müsste dann auch allein dort spielen. Ich kann ihn allerdings nicht begleiten, da ich hier am Nachmittag gebraucht werde.“

„Denkst du, dass Fynn, Justin und Dustin auch wirklich am Sparkassen Cup teilnehmen sollten? Sie sind eigentlich schon zu gut“, fragte Toto.

„Ganz klares Ja. Sie bekommen aber auch eine zusätzliche Aufgabe von mir. Sie sollen unsere Youngster während des Turnieres betreuen. Also Tim, Carlo, Marvin und Malte. Dazu noch Raphael und Jaime. Dadurch bekommen sie einen anderen Blickwinkel und lernen Verantwortung zu übernehmen. Sie sollen mehr eigenverantwortlich werden.“

Burghard hatte mir genau zugehört.

„Das finde ich eine tolle Idee, Chris. Genau das würde insbesondere Dustin gut tun. Da könnte dann auch Maxi direkt mit unterstützen. Wobei ich Maxi eigentlich lieber mit in der Turnierleitung hätte. Aber vielleicht geht ja auch beides.“

„Nein“, widersprach Thorsten, „das geht leider nicht. Aus Regelgründen darf die Turnierleitung keinen Spieler während des Turnieres betreuen. Aber das klären wir später. Mir gefällt Chris Idee auch ziemlich gut. Könnten sie auch bei den ganz jungen Spielern unterstützen? Dort haben wir auch Bedarf, da Burghard ja in der Turnierleitung sitzt.“

„Theoretisch sicherlich. Nur kann ich da nicht unterstützen. Ich kenne die ganz jungen Spieler kaum. Die drei sollen mich jederzeit um Rat fragen können. Aber ich kann sie fragen, ob sie das möchten.“

„Nein“, schüttelte Thorsten seinen Kopf, „ich denke, du hast dir das gut überlegt und ich glaube, Dustin hätte viel zusätzlichen Stress, wenn er direkt ihm unbekannte Kinder betreuen soll. Sie sollen unter Chris Führung Trainererfahrungen sammeln. Daran ändern wir auch nichts.“

„Wie ist die Situation mit Justins Familie? Klappt das jetzt mit der Unterbringung?“, fragte ich Thorsten.

„Natürlich klappt das. Ich weiß, ich habe euch nicht informiert, sorry nochmal dafür. Aber es ist alles geregelt. Sie kommen eine Woche vor dem Sparkassen Cup und bleiben bis zur nächsten Turnierreise. Die startet dann am Dienstag nach dem Sparkassen Cup.“

„Okay, danke. Dann kann ich Justin das auch bestätigen und seine Familie kann die Flüge bestätigen.“

Thorsten nickte mir zu und dann kam der Punkt der Tagesordnung, der mir am meisten Aufmerksamkeit abforderte. Maxis Entscheidung den Schwerpunkt seines Lebens auf das Studium zu setzen und wieder zu Hause zu wohnen, um auch seine Mutter zu unterstützen.

Thorsten machte eine kurze Einleitung und übergab das Wort an Maxi.

„Vielen Dank, Thorsten. Ich bin gerade etwas aufgeregt und daher versuche ich mal meine Lage zu erläutern. Mit dem Tod meines Vaters hat sich bei mir und meiner Mutter ganz viel verändert. Ich habe zuerst versucht mich gegen die Trauer und den Schmerz zu wehren, indem ich das verdrängt habe. Dank der Gespräche und der Unterstützung von Chris habe ich aber einsehen müssen, dass ich lernen muss, mit meiner Trauer umzugehen. Um aber eine professionelle Karriere als Spieler anzustreben, muss der Kopf frei sein von negativen Gedanken. Das gelingt zurzeit einfach nicht.“

Maxi war sehr angespannt und an dieser Stelle musste er eine kleine Pause machen. Die Emotionen drohten ihn zu überrollen. Ich nickte ihm zu. Er fing sich und setzte seine Idee fort.

„Ich habe mich mit Chris und vor allem auch mit Thorsten beraten und bin zu dem Entschluss gekommen, meine Ziele neu zu setzen. Ich werde also in drei Wochen ein Sportstudium beginnen und möchte auch nebenher meine Ausbildung zum Tennistrainer machen. Meine Frage an das Team heute wäre, könnt ihr euch vorstellen, dass ich meine Praxisstunden bei euch im Team machen kann, um vielleicht später dann auch im Team mitarbeiten zu können? Ich habe mich hier immer zu Hause gefühlt und möchte gern beim TC Blau Weiß Halle bleiben.“

Es wirkte so, dass die anderen keine Ahnung hatten, was für eine Entscheidung Maxi hier getroffen hatte. Es herrschte Schweigen. Toto und Burghard schauten sich an und waren irritiert.

Burghard fragte nach:

„Hast du das mit deiner Mutter besprochen? Und was sagst du denn dazu, Chris? Ich bin total überrascht über Maxis Entscheidung.“

Ich schaute Maxi an. Aber es wirkte so, als ob er mich bat zu antworten.

„Ganz ehrlich, ich war ebenso überrascht über die Deutlichkeit von Maxis Gedanken. Dass dieser Prozess in ihm arbeitete, wusste ich schon einige Zeit. Es ist zu erwarten, dass der frühe Tod vom Vater zu schwerwiegenden Folgen führt. In allen Prozessen und Gedanken. Da fehlt plötzlich etwas. Und ich habe immer gut nachempfinden können, was Maxi gerade erlebt. Er ließ mich teilhaben. Das hat auch dazu geführt, dass er jetzt für sich diese Lösung und Entscheidung gefunden hat. Sie ist absolut nachvollziehbar und aus meiner Sicht damit auch vollkommen richtig. Er spürt, dass sein Kopf immer wieder von diesen Gedanken an seinen Vater beeinflusst wird. In seinem Alter ist so ein Verlust noch viel schwerer zu verkraften. Ich finde die Idee, jetzt einen Schritt in eine andere Richtung zu wagen, genau richtig. Und ganz ehrlich, der Gedanke, dass Maxi uns bald als Trainer unterstützt, gefällt mir gut. Er kennt die Drucksituationen und was erforderlich ist, um ein richtig guter Spieler zu werden. Ich bin dafür, ihn dabei zu unterstützen und ihm vor allem jetzt das Gefühl zu geben, er gehört weiterhin zu uns. Er soll sein Studium beginnen und sich dann auf die neuen Aufgaben konzentrieren. Ich bin davon überzeugt, Maxi wird ein guter Nachwuchs Coach bei uns. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen, doch eine Frage: „Was für eine Meinung hat eigentlich mein Bruder dazu? Sonst ist er bei Personalentscheidungen doch immer dabei.“

Thorsten fing an zu lachen und auch Maxi tat diese Auflockerung sichtlich gut. Er war doch angespannter, als ich angenommen hatte. Maxi suchte immer wieder den Augenkontakt zu mir.

Thorsten erklärte daraufhin:

„Jan hat nur drei Sätze dazu gesagt, als ich ihn vorgestern darüber informiert hatte. Wenn Chris denkt, dass es richtig ist und er Maxi dabei unterstützen will, dann machen wir das. Chris kennt Maxis Entwicklung wie kein anderer. Chris kennt unsere Teamphilosophie und ich vertraue meinem Bruder total in dieser Entscheidung. Mehr ist dazu wohl nicht zu sagen. Chris, du entscheidest das jetzt also für Jan. Was denkst du dazu?“

„Mehr als ich eben schon gesagt habe wäre nur Wiederholung. Also machen, sage ich.“

„Also gut“, resümierte Thorsten, „ich fasse zusammen. Maxi wird ab sofort aus dem professionellen Training bei Chris aussteigen. Er wird zweimal in der Woche bei Chris mittrainieren und sich dann auf sein Studium konzentrieren. Innerhalb der nächsten Wochen zieht Maxi wieder zu seiner Mutter, um dort auch für sie da sein zu können. Das musst du nicht sofort übers Knie brechen, Maxi. Du wirst das aber sicher auch zügig über die Bühne bringen wollen. Was deine Perspektive hier betrifft, hat Chris gerade klargemacht, wie sich Jan das vorstellt. Mir gefällt das auch sehr gut. Vor allem wenn ich mir überlege, wie Maxi drauf war, bevor Chris ihn in die Finger bekommen hat. Respekt, Chris. Maxi, ich freue mich auf die neue Zusammenarbeit mit dir. Ich möchte aber gleich einen Trainer festlegen, der verantwortlich für die Begleitung hier in der Base ist. Da Chris vermutlich sehr häufig mit Dustin, Justin und Fynn unterwegs sein wird, sollte das jemand anderes übernehmen. Das soll aber nicht heißen, Chris ist komplett raus aus der Sache. Chris soll sich jederzeit daran beteiligen können.“

Thorsten schaute fragend in die Runde. Marco meldete sich.

„Ich würde das gerne machen wollen. Zumal ich ja auch mit Chris eng zusammenarbeite. Ich habe viele Kids unter zwölf Jahren. Damit wäre Maxi gut ausgelastet und er kann sich voll auf das Studium konzentrieren. Chris und ich werden Maxis Praxiseinheiten begleiten und dann sehen wir mal weiter.“

„Sehr schön“, antwortete Thorsten mit einem Lächeln, „genau das war meine Idee. Gibt es Gegenstimmen oder noch Diskussionsbedarf?“

Niemand meldete sich und damit war das entschieden. Thorsten löste unsere Besprechung auf und Maxi stand auf der Terrasse, als ich nach draußen kam. Er schien auf mich gewartet zu haben.

„Na. Wie geht es dir jetzt, Maxi?“

„Besser. Viel besser. Ich war schon aufgeregt und angespannt. Deshalb noch einmal danke für deine Unterstützung. Ich hoffe jetzt nur noch, dass meine Freunde mich verstehen und nicht sauer oder gar enttäuscht reagieren.“

„Das glaube ich nicht. Du wirst es ihnen erklären und ich bin sicher, sie werden großes Verständnis für dich haben. Außerdem bleibst du uns erhalten. Ich glaube, du hast für dich jetzt die richtige Entscheidung gefunden. Vor allem entspricht sie deiner Situation. Du solltest es jetzt aber richtig und entschlossen so umsetzen. Zweifle nicht an dir. Und noch einmal für dich, ich werde immer ein offenes Ohr haben und wenn du meine Unterstützung möchtest, sprich mich an.“

„Danke, Chris. Eine Frage habe ich noch. Sollte ich meinen Freunden schon heute Nachmittag meine Entscheidung mitteilen oder lieber erst am Abend in der WG? Ich meine, unsere spanischen Gäste sind beim Training dabei. Ich bin unsicher, ob ich das machen soll.“

„Ich bin der Meinung, du solltest es gerade im Beisein unserer Gäste tun. Dann sehen sie auch, dass es eben nicht ausreicht, nur Talent und Willen zu haben. Auch andere Dinge sind wichtig. Und der Tod deines Vaters war überhaupt nicht vorhersehbar und planbar. Und ich bin mir sicher, sie verstehen dich. Mach daraus kein Drama, sondern schildere deine Gedanken und Gefühle. Ich glaube sogar, Dustin wird es schon ahnen, dass bei dir eine Veränderung kommt.“

Maxi nickte nachdenklich. Ich entschied mich, diese Situation für ihn aufzulockern. Deshalb legte ich meinen Arm auf seine Schulter und forderte ihn auf:

„Komm, lach mal wieder. Du hast dich entschieden und die letzten Wochen waren nicht so leicht für dich. Jetzt beginnt ein neues Leben. Begrüße es mit Optimismus. Fahr nach Hause. Wir sehen uns nachher beim Training.“

Maxi umarmte mich fest und dann trennten wir uns.

Justin: Training und eine traurige Nachricht

Heute Vormittag war ich allein und nutzte die Zeit für eine Krafteinheit im Fitnessstudio. Es war wenig los und entsprechend gut konnte ich meine zwei Stunden arbeiten. Zum Mittagessen wollte ich aber natürlich zurück sein. Wenn Martina für Alle gekocht hatte, war das immer ein Festessen. Ich war gespannt, was es heute geben würde. Wir hatten ja volles Haus mit unseren Gästen.

Nachdem ich meine Tasche ausgepackt und mit frischen Sachen für das nachmittägliche Training gleich neu bestückt hatte, betrat ich unsere Küche.

„Hallo Martina, kann ich dir noch etwas helfen?“, fragte ich.

„Ah, Justin. Wie war es beim Training? Wenn du Lust hast, kannst du den Salat vorbereiten. Dann kann ich hier die Schnitzel fertig braten.“

Eine halbe Stunde später hatte ich alles klein geschnitten und das Dressing fertig.

„Soll ich das Dressing schon über die Sachen schütten oder besser noch warten?“

Martina drehte sich vom Herd um und erwiderte:

„Nein, warte bitte noch. Sonst wird der Salat matschig. Das wäre schade. Du kannst aber bitte einmal in den Keller gehen und eine neue Kiste Wasser holen. Ihr wollt bestimmt auch etwas zum Training mitnehmen.“

Das war eine Selbstverständlichkeit und als ich die Treppe wieder hoch kam, begegneten mir Tim und Carlo mit unserem Besuch.

„Hi Justin, können wir noch helfen?“, fragte Carlo.

„Danke, aber ist alles schon passiert. Habt ihr Martina gefragt, ob ihr noch etwas tun könnt?“

„Ja, sie meinte, wenn du klarkommst, dürfen wir noch etwas nach oben gehen. Sie würde uns Bescheid geben.“

Ich nickte und die vier gingen die Treppe wieder nach oben. Ich fand es spannend zu sehen, wie sich Tim mit Raphael auf Englisch unterhielt. Tim bemühte sich um Raphael, genau wie Carlos um Jaime, aber bei Carlos hatte ich das sowieso nicht anders erwartet.

Es dauerte auch nicht mehr lange und wir waren vollzählig zum Essen.

„Kommt Maxi heute wieder nicht zum Essen?“, fragte Dustin.

„Nein“, erklärte Martina, „Maxi wird die ganze Woche zu Hause sein. Seiner Mutter geht es leider immer noch nicht gut. Er will sich um seine Mama kümmern.“

„Boah, das ist schon echt beschissen für Maxi. Erst hat er wegen seines Vaters viele Trainingseinheiten und Turniere verpasst, hat sich gekümmert und dann stirbt er trotzdem. Jetzt ist er wieder oft nicht hier und verpasst viel Training. Das ist total ungerecht, er tut mir richtig leid.“

Wir schauten alle zu Tim, der das gesagt hatte. Er hatte mir aus der Seele gesprochen und alle anderen konnten sich vorstellen, dass für Maxi die Situation gerade nicht einfach war.

„Vielleicht sollten wir Maxi mal fragen, ob wir etwas für ihn tun können. Wenn er möchte, könnten wir ihn doch auch mal zu Hause besuchen. Dann ist er bei seiner Mutter und dennoch nicht allein zu Hause. Was meint ihr?“, fragte Fynn.

Wir waren uns einig, dass wir das machen wollten. Jetzt war allerdings kaum Zeit, so ein Vorhaben umzusetzen, da wir uns um unsere Gäste kümmern sollten.

„Macht das doch wenn unsere Gäste wieder weg sind. Jetzt seid ihr doch eh die meiste Zeit hier zusammen“, schlug Martina vor.

Ich musste lachen. Allerdings schauten mich die anderen jetzt etwas irritiert an.

„Sorry Leute. Aber genau den gleichen Gedanken habe ich auch gerade gehabt. Deshalb musste ich lachen.“

Nach einer Sekunde lachten alle, auch unsere Gäste.

Der Nachmittag kam näher und damit auch das Training. Chris hatte uns heute vor dem Training zur Anlage am Gerry Weber Stadion gebeten. Dort sollte die Einheit beginnen.

Ich saß in meinem Zimmer und hatte gerade noch eine Mail an meine Familie geschrieben. Chris hatte mir heute Mittag die Bestätigung geschickt, dass sie wie besprochen kommen können. Die Freude auf das Wiedersehen wuchs von Tag zu Tag. Plötzlich klopfte es an meiner Tür.

„Herein.“

Ich drehte mich auf meinem Stuhl zur Tür und staunte. Tim kam mit Raphael herein.

„Stören wir gerade? Wir haben eine Frage.“

„Nee, kommt rein. Ich habe meinen Eltern nur gerade geschrieben, dass sie wie geplant zum Sparkassen Cup kommen können. Was liegt denn an?“

„Raphael hat mich auf eine Idee gebracht. Und wir brauchen dafür deine Hilfe.“

„Okay, was habt ihr euch ausgedacht? Und warum meine Hilfe?“

„Naja, weil du unser Spanisch-Experte bist. Chris hat doch mal erwähnt, dass er früher gern Spanisch in der Schule genommen hätte, wenn es möglich gewesen wäre. Du kannst sehr gut Spanisch und wir würden Chris gern ein paar Stunden Unterricht in Spanisch schenken. Würdest du das vielleicht machen?“

„Coole Idee. Klar, sehr gern. Wenn Chris dazu Lust hat, mache ich das sofort.“

„Ich würde gern auch ein wenig Spanisch lernen, würdest du mir das auch beibringen. Jetzt übe ich ja mit Raphael schon ein wenig, aber wenn sie wieder in Manacor sind, brauche ich da weiter Hilfe.“

„Wenn du wirklich möchtest, dann machen wir das.“

„Könntest du das bitte noch für dich behalten? Ich möchte das noch nicht bekannt machen. Denn wenn ich das nicht hinbekomme, wäre das peinlich und alle würden sich wieder über mich lustig machen.“

Raphael stand die ganze Zeit neben Tim und was jetzt passierte, haute mir fast den Boden unter den Füßen weg.

„Was habe ich dir gesagt? Wenn du freundlich fragst, wird Justin nicht nein sagen.“

Dabei lachte er und gab Tim einen Kuss auf die Wange. Einfach so. Ich zuckte zusammen, denn eigentlich hatte ich jetzt einen kreischenden Tim erwartet. Aber nichts dergleichen passierte. Tim nickte Raphael dankbar zu und erwiderte den Kuss mit einer Umarmung und einem „Gracias“.

Ich war sprachlos. Das hatte ich bei Tim überhaupt nicht erwartet. Es war nichts passiert, aber Tim hatte diese Geste offensichtlich sogar als angenehm erwidert.

„Wir sprechen noch einmal darüber, wenn Chris das nächste Mal hier ist, ja? Jetzt beim Training wäre das nicht klug, oder was meint ihr Beide?“

Sie stimmten mir zu und damit war das erledigt. Wir verabredeten uns, gleich gemeinsam zur Anlage zu fahren.

Als Tim meine Tür wieder geschlossen hatte, musste ich einen Augenblick nachdenken. Tim hatte sich von Raphael offen einen Kuss geben lassen. Das machte mich sprachlos. Aber ich wusste von Dustin und Fynn, es war in der Situation richtig gar nicht darauf einzugehen.

Eine Stunde später standen wir alle auf dem Gelände des Gerry Weber Stadions und Chris, Marco und Charles standen vor uns. Das machte mich allerdings schon etwas nervös, denn Charles war unser Konditions- und Fitnesscoach. Das hieß meistens, viel Arbeit und wenig Freude.

Auch Sergio und Marcelo waren bereits dort. Wir waren, sozusagen, die letzten der Mohikaner.

Chris begrüßte uns und gab uns direkt die Aufgabenverteilung.

„Hallo zusammen. Ich hoffe, ihr habt gut gegessen und seid ausgeruht aus der Schule gekommen. Heute werden wir mal die Kletterwand zum Aufwärmen nutzen. Bildet bitte gemischte Dreierteams. Dann bekommt ihr neue Instruktionen.“

Gemischte Dreierteams? Wie meinte er das?

Aber als Dustin sich mit Sergio und Fynn zusammentat, wurde es mir auch klar. Es sollte immer mindestens einer unserer Gäste in einem Team sein.

Tim, Raphael, Justin, Jaime

Sergio, Fynn, Dustin

Maxi, Marcelo, Carlo

Dann verteilte Chris mit Marco für jede Gruppe ein Klettergeschirr. Unsere Gäste schauten erstaunt die Wand hoch und Jaime fragte:

„Seid ihr euch sicher, dass da nichts passieren kann? Wir haben so etwas noch nie gemacht.“

Chris schmunzelte bei seiner Antwort:

„Keine Sorge, ihr seid alle gut gesichert und ich habe selbst die Wand auf dem orangen Weg geschafft. Wenn ich das schaffe, dann könnt ihr das erst recht.“

Charles gab allen noch einmal eine Einweisung und dabei kam heraus, dass unsere Sicherung von Chris übernommen wurde. Tims Reaktion war schon lustig. Er erklärte Raphael und Jaime:

„Chris weiß was er macht. Wenn ihr genau das tut, was er vorgibt, seid ihr save. Da kann nichts passieren.“

Chris kam zu uns und gab mir das Klettergeschirr:

„Fang du als erster an. Du kannst das schon gut. Dann können sie sehen, wie das funktioniert. Hast du dich schon für einen Weg entschieden?“

Beim Anlegen der Gurte half er mir und ich wollte heute mal einen neuen Weg versuchen.

„Ich probiere heute mal den Blauen. Oder soll ich zuerst einen Weg machen, damit sie sich den auch schon einmal anschauen können?“

„Das ist eine gute Idee. Geh doch erst einmal den gelben Pfad und danach versuchst du den Blauen. Oder du machst das nach einer Pause. Wie du möchtest.“

Ich nickte nur und dann stellte ich mich an den Anfangspunkt. Chris nahm seine Position zum Sichern ein. Erst danach gab er mir das „Go“. Ich stieg in die Wand und sofort hatte Chris das Seil auf Zug genommen. Er nahm solche Dinge extrem ernst. Da durfte ihm jetzt auch niemand dazwischenreden. Das hatten wir mittlerweile gelernt.

Auch die anderen beiden Gruppen waren bereits in der Wand. Dustin hatte sich für den grünen Weg entschieden und Carlo nahm sogar schon den Blauen.

Mein Weg war für mich keine große Aufgabe mehr. Entsprechend zügig war ich oben angekommen. Mit einem Handzeichen signalisierte ich Chris, dass er mich jetzt am Seil nach unten ablassen sollte. Unten angekommen fragte ich Raphael:

„Möchtest du jetzt oder soll ich für mich den blauen Pfad noch versuchen?“

„Boah, das ging so schnell, da habe ich mir das doch nicht merken können. Ich habe echt ein wenig Schiss, dass ich das nicht hinbekomme.“

„Das brauchst du dir gar nicht zu merken. Schau einfach von Griff zu Griff. Lass dir Zeit und wir helfen auch von unten. Kein Stress“, beruhigte Chris.

Raphael wirkte aufgeregt und angespannt. Jetzt mischte sich Tim ein und redete ruhig auf ihn ein. Auch Jaime gab ihm Sicherheit. Chris und ich entschieden jetzt, dass ich zuerst noch den blauen Weg versuchen sollte. Bis dahin könnte sich Raphael das überlegen. Chris würde ihn eh nicht dazu zwingen. Wenn er sich das nicht zutrauen würde, wäre das überhaupt nicht schlimm.

Chris gab mir das Signal, dass ich beginnen konnte. Die ersten Schritte waren noch recht moderat, aber mit jedem weiteren Meter wurde es richtig anstrengend und schwierig. Immer wieder musste ich pausieren und überlegen, wie ich den nächsten Step machen konnte. Nur wenn ich gar nicht weiter wusste, gab mir Chris von unten einen Hinweis. Auch Chris wirkte konzentriert und überwachte jeden meiner Handgriffe. Ich war richtig außer Atem als ich am Ziel ankam. Das gab mir aber auch ein megagutes Gefühl, diesen Parcours geschafft zu haben.

Chris seilte mich nach unten ab und schlug mich ab. Ich öffnete den Klettergurt und übergab ihn an Jaime. Er wollte zuerst klettern und den gelben Weg versuchen.

„Denk dran, es kann nichts passieren. Auch wenn du abrutschen solltest, Chris wird dich sichern und dich heile nach unten bringen. Versuche dich nur auf den nächsten Stein zu konzentrieren. Das schaffst du.“

Ich schlug Jaime ab und cool war jetzt Tim. Er machte auf ihn zwei Schritte zu und umarmte ihn zur Aufmunterung. Raphael wirkte jetzt ruhiger und ich war mir sicher, dass er es auch probieren würde.

Auf jeden Fall war ich jetzt durstig und hatte mich auch aufgewärmt. Ich griff mir meine Trinkflasche und ein Handtuch, das ich mir in den verschwitzten Nacken legte.

Tim und Raphael schauten gebannt nach oben, wie sich Jaime die Wand empor arbeitete. Wobei das sehr behende und elegant bei ihm aussah. Wenn er wirklich das erste Mal an einer Kletterwand war, dann hatte er jedenfalls Talent.

Chris seilte Jaime nach kurzer Zeit wieder ab. Freudestrahlend übergab dieser Raphael seinen Gurt. Chris half beim Anlegen und dabei erklärte ihm Jaime, wie er am besten vorankommen würde.

Tim blieb etwas abseits stehen und erst als Raphael am Startpunkt stand, ging er auf ihn zu und gab ihm die „fünf“ zum Start.

Raphael begann vorsichtig, fast zögerlich. Bevor Chris helfend eingreifen konnte, gab Tim von unten ein paar gute Hinweise wie Raphael greifen sollte. Nach den ersten erfolgreichen Schritten, bekam er Vertrauen und es ging deutlich zügiger voran.

Als er wieder herab schwebte wartete Tim bereits und empfing ihn mit einer Umarmung. Raphael strahlte und übergab sein Geschirr an Tim.

„Das war viel geiler als ich gedacht habe. Mega cool“, platzte es aus Raphael heraus, „und man muss sich immer konzentrieren. Sonst geht das schief. Das kribbelt richtig.“

Tim war bereits in die Wand gestiegen und Chris hatte wieder seine Position eingenommen. Tim nahm auch den blauen Weg und da er noch einiges kleiner als ich war, hatte er an einer Stelle deutlich Schwierigkeiten, den nächsten Griff zu erreichen. Jetzt hing er dort fest. Aber erstaunlicherweise gab er nicht auf, er wählte eine ganz andere Lösung. Er stieg für einen Zwischenschritt auf einen orangenen Stein. Damit gelang ihm der Übergang dann doch.

„Klasse Idee, Tim“, rief ihm Chris zu. Tim schaute aus drei Meter Höhe nach unten und machte dann einen Fehler. Er war für einen Augenblick unaufmerksam und rutschte vom Stein ab. Verlor den Halt und sauste nach einem kurzen Schlag gegen einen Stein etwa einen halben Meter nach unten. Ich erschrak und hielt die Luft an. Aber Chris hatte aufgepasst und Tim sicher abgefangen.

Auch Raphael und Jaime hatten sich erschrocken und waren ziemlich blass geworden. Tim bekam aber sicher wieder Boden unter die Füße und Chris half ihm beim Ablegen der Gurte. Tims Hände zitterten leicht und er hatte sich eine Schürfwunde am Knöchel zugezogen.

Chris sprach ganz ruhig mit ihm und schnell beruhigte er sich wieder.

„Danke, Chris. Es ist gut zu wissen, dass du immer aufpasst und ich mich auf dich verlassen kann. Aber obwohl ich weiß, dass nicht viel passieren kann, habe ich mich furchtbar erschreckt, als es plötzlich abwärts ging.“

„Nicht nur du hast dich erschrocken“, meldete sich Raphael von hinten.

„Gut, dann sind ja jetzt alle wach und wir können auf den Tennisplatz wechseln. Die anderen brauchen noch einen Augenblick länger, aber wir gehen schon mal rüber. Bei dir alles okay, Tim?“

Chris versuchte einfach zur Tagesordnung überzugehen. Das half Tim am besten, mit dem Schreck umzugehen.

Unterwegs erklärte Chris nur einmal noch kurz:

„Jetzt wisst ihr auch, warum ihr nur in die Wand sollt, wenn eine ausgebildete Person die Sicherung übernehmen kann. Das ist absolut wichtig.“

Interessanter war allerdings jetzt Carlos Frage:

„Wird Charles gleich auch wieder dabei sein?“

Chris drehte seinen Kopf zu Carlo und fing ganz plötzlich an zu lachen. Dann nahm er Carlo in den Arm und erwiderte:

„Hahaha, nein. Ihr braucht nicht zu meckern. Gleich machen wir ein wenig Taktik und Strategie-Training, während ihr einen Satz spielt. Also kein Stress.“

Eine beruhigende Nachricht. Obwohl mir schon bewusst war, das Fitness- und Krafttraining wichtig für uns ist. Ohne das wäre eine professionelle Vorbereitung unmöglich. Es machte aber einfach keinen Spaß, sich stundenlang von Charles quälen zu lassen.

Dann passierte allerdings doch noch etwas Seltsames. Chris holte uns vor der Anlage einmal kurz alle zusammen.

„Bevor wir jetzt auf den Platz gehen, möchte ich darum bitten, dass wir uns nach dem Training alle im Besprechungsraum treffen. Dort bekommen wir eine wichtige Information.“

Ich schaute meine Freunde an und irgendwie schien keiner einen Plan zu haben was dort anstehen könnte.

Entsprechend gespannt waren wir, als Chris die Nachmittagseinheit beendet hatte und alle nach der Dusche im Besprechungsraum Platz genommen hatten. Thorsten war nicht dabei. Also wohl eine interne Geschichte. Dustin und Fynn wirkten angespannt. Aber ich wunderte mich über Maxi. Er hatte neben Chris Platz genommen.

„So“, begann Chris, „bevor unnötiger Stress entsteht, möchte ich kurz eine Einführung machen und dann wird Maxi euch etwas mitteilen. In den letzten Wochen hat sich bei Maxi viel verändert. Leider nicht sehr positiv. Durch den plötzlichen Tod seines Vaters haben sich gravierende Dinge ereignet und auf diese Situation hat Maxi natürlich auch reagiert. Wir waren in stetem Austausch und heute ist dann eine Entscheidung gefallen. Maxi, möchtest du kurz erläutern, was das in Zukunft für dich bedeuten wird.“

Maxi holte tief Luft. Ich bekam ein beklemmendes Gefühl.

„Also gut. Danke, Chris. Wie ihr sicher bemerkt habt, war ich seit Papas Tod viel bei meiner Mutter zu Hause. Dadurch habe ich auch erneut einige Trainingseinheiten verpasst. Meiner Mutter geht es immer noch nicht gut und nach ihrer Krebserkrankung habe ich Sorge, dieser Druck könnte sich auch dort negativ auswirken. Ich möchte meiner Mama zur Seite stehen und ich kann einfach nicht so viel Zeit für Tennis aufwenden, wie es notwendig wäre. Daher habe ich mich mit Chris beraten und ich bin zu der Entscheidung gekommen, meine Ziele neu auszurichten. Ich werde baldmöglichst mit einem Studium beginnen und wieder zu Mama nach Hause ziehen. Ich möchte euch um Verständnis für meine Entscheidung bitten und mich bei euch bedanken für die große Unterstützung in dieser für mich traurigen Zeit. Ich werde nur noch zweimal in der Woche trainieren und meinen Schwerpunkt auf das Studium legen. Wann immer es möglich ist und ich noch gut genug bin, werde ich euch zum Training zur Verfügung stehen. Vielleicht aber auch irgendwann auf der anderen Seite. Nämlich als Trainer. Das Team hat mir die Möglichkeit gegeben, hier sowohl meine Trainerscheine zu machen und ebenso auch Erfahrungen sammeln zu können. Ich fühle mich hier zu Hause und möchte dem Team auch gerne etwas zurückgeben.“

Stille!

Niemand traute sich etwas zu sagen. Was mir vollkommen entgangen war, Maxi hatte diese persönliche Erklärung auf Deutsch gemacht. Chris bat mich, das für unsere Gäste kurz zu übersetzen. Als ich fertig war, schaute ich in entsetzte Gesichter. Sie hatten ja dieses ganze Drama nicht mitbekommen.

„Habt ihr Fragen an Maxi? Für dich Maxi, ich stehe dir auch weiterhin immer als Freund und Ratgeber zur Verfügung. Ich freue mich für dich, dass du eine Entscheidung gefunden hast und bin mir sicher, du wirst deinen Weg finden.“

Dann stand Chris auf, um Maxi ganz fest zu umarmen.

Das war ein Hammer am Nachmittag, den ich nicht erwartet hatte. Entsprechend ging es auch den anderen, als wir uns ohne Maxi auf den Weg zurück in die WG machten. Es herrschte eine gedrückte Stimmung.

Chris: Fokus wieder auf Tennis legen

Nachdem sich Maxi seinen Freunden gegenüber erklärt hatte, war die Stimmung für ein, zwei Tage nicht besonders gut. Allerdings habe ich in dieser Zeit nur Zustimmung und Verständnis für Maxi erfahren. Beim Training selbst, spürte ich die Unsicherheit nicht. Insbesondere mit Dustin und Fynn hatte ich noch ein längeres Gespräch in der WG. Im Ergebnis wurde ihre Entschlossenheit recht deutlich, ihren begonnenen Weg konsequent weitergehen zu wollen.

Etwas anderes war mir positiv bei Tim aufgefallen. Er arbeitete sehr zielstrebig an seiner Fitness und auch sein sonstiger Trainingseinsatz war erkennbar angestiegen. Außerdem wirkte er im zwischenmenschlichen Bereich selbstbewusster und offener. Mir gefiel das sehr gut und nach Absprache mit meinen großen Jungs und mit Marco hatte ich Tim bis zum Sparkassen Cup zu den großen Jungs genommen.

Unsere spanischen Gäste hatten sich gut integriert und eigentlich machten sie sich nur durch ihre sprachliche Besonderheit bemerkbar. Ansonsten hatten sie den gleichen Status wie unsere Spieler.

Für Justin stand heute noch ein besonderes Ereignis an. Seine Familie würde bis zu unserer Abreise zum nächsten Turnier zu Besuch ankommen. Mit seinem Vater hatten wir bereits im Vorfeld eine klare Regelung getroffen. Er hatte zugesagt, sich aus der Tennis-Betreuung von Justin komplett herauszuhalten.

Eine Sache wurde allerdings auch immer deutlicher. Wenn Dustin und Fynn vormittags in der Schule sein mussten, litt das Trainingspensum auf Dauer zwangsläufig. Für mich beinhaltete das einen Gewissenskonflikt. Einerseits war ich mir vollkommen bewusst, dass die Schule für Fynn in diesem Jahr Vorrang hatte. Dadurch bestand aber die Gefahr, seine gute Position in der Rangliste zu gefährden. Dustin würde seine Schule erst im nächsten Jahr abschließen und deshalb hatten wir für ihn eine andere Regelung getroffen. Er sollte in der letzten Woche vor unserer nächsten Turnierreise auch morgens mit Justin und unseren Gästen trainieren. Fynn musste noch zwei Klausuren schreiben und konnte daher nicht in der Schule fehlen.

Ich saß am Sonntagnachmittag mit Martina in der Küche der WG bei einer Tasse Tee. Ich wartete auf Justin, um mit ihm zum Flughafen fahren zu können.

Plötzlich meldete sich mein Handy.

„Hallo?“

„Hi Chris”, meldete sich eine mir sehr bekannte Stimme.

„Hallo Marc, wie geht es euch? Was kann ich für dich tun?“

„Danke der Nachfrage. Uns geht es gut. Luc ist sehr fleißig in München und Stef geht es auch bestens. Ich habe eine Frage, könnten wir vielleicht schon am Donnerstag anreisen? Ich habe am Mittwoch einen Termin in München bei Karl und würde Luc und Stef gleich mitnehmen wollen.“

„Okay, das macht dann auch Sinn. Hast du schon mit Thorsten wegen der Hotelbuchung gesprochen?“

„Ja, das schon. Er sagte, das wäre kein Problem, aber er wollte, dass ich mit dir zuerst die Abläufe bespreche. Du hast zusätzlich schon die anderen Gäste zu betreuen.“

„Hahaha, das ist doch ganz was anderes. Ich muss euch doch nicht betreuen. Ihr seid eher eine Hilfe. Gerade für Dustin und Fynn. Also ihr seid hier herzlich willkommen. Wann sollen wir euch abholen?“

„Danke, wir landen am Donnerstag um 11:47 in Hannover am Flughafen. Kannst du das bitte organisieren?“

„Natürlich. Ich werde das so planen, dass ich das persönlich machen kann. Das Training wird Marco hier so lange übernehmen. Das ist kein Ding. Ich freue mich auf unser Wiedersehen. Sabine kommt auch mit, oder?“

„Ja sicher. Sie freut sich auch schon. Sie ist schließlich der Grund für unseren Termin in München. Wir benötigen ein neues Auto für sie.“

„Oh, warum das denn? Der CTV ist doch noch gar nicht so alt.“

„Er ist zwar nicht alt, aber leider kaputt. Ein LKW hat ihr die Vorfahrt genommen und jetzt braucht sie ein neues Auto.“

„Oha, aber ihr ist nichts passiert?“

„Nein, die Sicherheitssysteme haben funktioniert und Schaden verhindert. Aber das Auto ist ein Totalschaden.“

„Nun, dann ist der Unfall hoffentlich schnell vergessen. Wir werden hier alles vorbereiten und du musst dich nicht darum kümmern.“

Nach dem Telefonat schrieb ich Thorsten sofort eine Nachricht. Er sollte die Umbuchung im Sportpark vornehmen.

Martina fragte nach:

„Ist bei den Steevens etwas vorgefallen?“

Ich erklärte ihr den Sachverhalt, als Justin in die Küche kam.

„Moin, Chris. Wir können starten.“

„Hallo Justin, setz dich noch einen Moment. Ich möchte meinen Tee noch austrinken, dann können wir los.“

Er nahm sich auch eine Tasse und trank mit uns einen Tee, wirkte dabei aber unruhig.

„Freust du dich auf deine Familie?“, fragte Martina.

„Oh ja. Ich vermisse sie schon manchmal, obwohl ich mich hier auch sehr wohl fühle. Aber umso mehr freue ich mich jetzt auf diese gemeinsame Woche. Für Chris und dich bedeutet das aber wieder zusätzliche Arbeit.“

„Das ist schön, dass du dich freust. Und mach dir keine Gedanken über die zusätzliche Arbeit für uns. Dein Vater unterstützt uns doch auch und entlastet mich damit. Außerdem finden wir das ganz wichtig, dass ihr euch zumindest hin und wieder sehen könnt.“

Ich trank meine Tasse leer und Justin sprang sofort auf. Seine Unruhe war deutlich spürbar. Also verabschiedete ich mich von Martina und brach mit Justin Richtung Flughafen auf.

In der Ankunftshalle schauten wir auf die große Anzeigetafel. Der Flieger war gerade gelandet und entsprechend unruhig wartete Justin auf seine Familie. Als Aaron als erster durch den Zollausgang heraus kam, gab es für Justin kein Halten mehr. Er lief auf seinen Bruder zu und sie umarmten sich stürmisch.

Schon erstaunlich. Sonst war Justin der selbständige, fast erwachsene Junge und hier zeigte sich seine Jugendlichkeit. Aber es beruhigte mich auch.

Auch seine Eltern freuten sich bei dem Anblick, als sie Aaron folgten. Die Begrüßung fiel nicht minder herzlich aus. Ich hielt mich etwas im Hintergrund. Aaron hatte mich entdeckt und stürmte auf mich zu.

„Hallo Chris, wie geht es dir? Ich freue mich so, dass ich endlich mal in Deutschland sein kann.“

Dabei umarmte er mich genauso herzlich wie seinen großen Bruder zuvor.

„Herzlich willkommen in Deutschland, Aaron“, erwiderte ich.

Aaron stand neben mir und ich hatte meinen Arm um seine Schulter gelegt. Seine Eltern kamen mit Justin nun auch zu mir und wir begrüßten uns ebenfalls herzlich.

„Auch ihr seid herzlich willkommen in Deutschland. Hattet ihr eine gute Anreise?“, fragte ich.

„Danke für den freundlichen Empfang, Chris. Ja, der Flug war gut. Es ist schön zu sehen, dass Justin von euch weiterhin so familiär begleitet wird“, lachte seine Mutter.

Justin hatte bereits den Gepäckwagen übernommen und wunderte sich über seine Mutter. Sie hatte mich auf Deutsch begrüßt. Damit hatte er genauso wenig gerechnet wie ich.

Aaron setzte noch einen drauf, indem er ebenfalls auf Deutsch ergänzte:

„Wir haben fleißig Deutsch gelernt und ich kann schon viel mehr verstehen. Wenn die anderen Jungs zusammen reden, kann ich endlich auch mitbekommen was sie sagen.“

Dabei grinste er schelmisch und Justin war das schon fast unangenehm.

„Super“, antworte ich, „das finde ich toll. Justins Deutsch ist mittlerweile auch nahezu perfekt. Dann lasst uns zum Auto gehen. Ihr seid bestimmt müde vom langen Flug.“

„Und hungrig“, kam sofort von Aaron.

Justin verdrehte gleich die Augen und auch John schaute streng seinen Jüngsten an.

„Okay, okay. Das ist eindeutig. Schaffst du es noch bis Halle, oder verhungerst du vorher?“, fragte ich lachend.

„Na gut, das geht so gerade noch“, lachte Aaron.

„Dann habe ich ja Glück gehabt. Lasst uns zum Auto gehen, dann sind wir auch schneller zu Hause.“

„Es ist schade, dass Dustin und Fynn nicht mitgekommen sind“, merkte Aaron auf der Autobahn an. Justin war das sofort unangenehm und wollte schon giftig reagieren, aber seine Mama war schneller:

„Mein lieber Sohn, überlege mal wie das gehen soll. Wo sollten wir dann sitzen, wenn die beiden auch mitgekommen wären. Du solltest erst nachdenken, bevor du solche Aussagen machst.“

Justin schaute seine Mutter dankbar an und auch John, der neben mir vorne saß, ließ das nicht kommentarlos stehen.

„Du kannst froh sein, dass Chris so nett zu dir ist. Eigentlich war das unhöflich so zu meckern. Wir sollten dankbar sein, dass sich Chris für uns so viel Zeit genommen hat.“

Aaron schwieg und schaute aus dem Fenster.

Ich erklärte John unsere Planung für die kommende Woche und den Ablauf beim Sparkassen Cup.

„Oh, diese Aktion mit der DKMS und der AIDS Stiftung finde ich klasse. Du sagst, dass die Familie Steevens auch unterstützt?“

„Ja, richtig. Da Luc selbst eine Leukämieerkrankung überstanden hat, war es Marc ein besonderes Bedürfnis sich zu beteiligen. Wir vom Breakpoint Team wollen unseren Beitrag leisten, für diese Sache zu werben.“

Wir unterhielten uns noch einen Moment über das Turnier. John erkundigte sich auch über die neueste Entwicklung bei Maxi.

„Wie gehst du damit jetzt um? Ist das eine Enttäuschung für dich, dass Maxi das Ziel Profitennis nicht erreichen wird?“

„Enttäuschung? Nein, überhaupt nicht. Ich stehe absolut hinter seiner Entscheidung. Er hat es versucht und ist nicht an seinem Talent oder seinen fehlenden Fähigkeiten gescheitert. Sein Leben hat ihm einen Strich durch den Plan gemacht. Die neue Situation und sein Befinden hatten gar keinen anderen Schluss zugelassen. Mein Respekt vor seiner Wahl ist sogar gewachsen. Er hat für sich einen anderen Weg ins Auge gefasst und wir werden ihn dabei weiterhin unterstützen.“

Kurze Zeit später stellte ich den Wagen vor dem Sportpark Hotel ab und wir verließen das Auto. Aaron wurde sofort lebendig und tobte gleich mit Justin auf dem Parkplatz herum.

„Lasst uns einfach hineingehen. Sie werden schon merken, wenn wir nicht mehr bei ihnen sind“, forderte ich Justins Eltern auf.

Diese hatten bereits ihre Zimmerkarten erhalten, als die beiden Jungs zu uns kamen. John übergab Aaron seine Schlüsselkarte und machte aber auch gleich eine klare Ansage:

„Damit das für dich klar ist. Wenn du dich hier auf der Anlage bewegst, hast du den Anweisungen der Mitarbeiter vom Team Folge zu leisten. Ich möchte keine Beschwerden hören. Auch Justin hat für dich Verantwortung.“

Aaron wirkte genervt, aber als ich ihm noch erklärte:

„Es ist halt so, dass wir ab morgen hier einige Gäste auf der Anlage haben werden und viel los sein wird. Ich bin nicht ständig für dich ansprechbar. Daher erwarte ich von dir, dass du dich an die Regeln hältst. Bei Fragen ist immer jemand vom Team für dich da. Alle wissen wer du bist und können dich unterstützen bzw. dir helfen.“

Jetzt hatte er begriffen, dass auch ich weniger Toleranz walten lassen würde. Er beruhigte sich und ich brachte Justins Familie ins Restaurant. Eigentlich hatte ich gedacht, ich würde ihnen so viel Zeit wie möglich allein geben und wollte mich für heute verabschieden. John bat mich aber zum Essen zu bleiben. Dieser Bitte kam ich gerne nach. Ich bekam einige interessante Informationen über die Entwicklungen im Tennis in Kanada.

Fynn: Die Tage vor dem Sparkassen Cup wurden anstrengend

Mittlerweile hatte ich nur noch die heutige Klausur zu schreiben und dann wäre das Thema Schule erst einmal durch. Mein Schatz hatte schon alle wichtigen Termine in der Schule fertig und konnte seit gestern wieder mit Justin auch am Vormittag trainieren.

Einerseits freute ich mich für ihn, andererseits fehlte er mir in der Schule. Da half auch das häufige Schreiben nicht viel.

In der letzten Stunde meiner Klausur spürte ich immer stärker aufkommende Kopfschmerzen. Meine Konzentration ließ nach. Zum Glück erinnerte ich mich an die Hilfen von Chris. Da ich genug Zeit hatte, entschloss ich mich eine Übung des Autogenen Trainings zu machen. Chris hatte mir das beigebracht und mittlerweile konnte ich das auch erfolgreich anwenden. Innerhalb nur weniger Minuten entspannte ich mich und die Kopfschmerzen waren verschwunden. So gelang es mir, auch die letzten Aufgaben noch abzuarbeiten und mit einem guten Gefühl dann die Schule zu verlassen. Ab morgen würde ich wieder den Fokus auf Tennis legen können.

Dustin hatte mich in der WG schon erwartet. Mit einem Kuss und einer liebevollen Umarmung begrüßte er mich in unserem Appartement.

„Endlich alles geschafft? Ab jetzt können wir dann wieder mehr für Tennis tun“, lachte er.

„Oh ja, ich hätte wirklich nicht gedacht, dass diese Klausuren mich so anstrengen würden. Aber jetzt ist es ja geschafft.“

Dustin nutzte die Situation und führte mich in unser Schlafzimmer. Ich staunte, denn er hatte sich Mühe gegeben und mit Duftkerzen und anderen Kleinigkeiten für eine intime und gemütliche Stimmung zu sorgen.

„Wow“, wunderte ich mich, „ist heute etwas Besonderes? Wir haben doch einen normalen Trainingstag.“

„Ja, du bist wieder den ganzen Tag an meiner Seite. Das finde ich großartig.“

Dann umarmte er mich und innerhalb weniger Minuten lagen wir ohne Klamotten in unserem Bett. Die nächsten Minuten wurden intensiv, aber wunderschön.

Allerdings hatte dieser lustvolle Empfang von meinem Schatz auch einen Nachteil. Als wir zum gemeinsamen Mittagessen an den Esstisch kamen, schauten uns alle an und Carlo konnte sich nicht zurückhalten.

„Na, Dustin hat wohl große Sehnsucht nach seinem Freund gehabt.“

Das führte zu großer Heiterkeit bei allen anderen. Dustin blieb jedoch cool und konterte:

„Ja, und ich habe dafür gesorgt, dass wir jetzt entspannt zum nachmittäglichen Training gehen können.“

Martina stellte das Essen mit Hilfe von Tim und Justin auf den Tisch und klatschte spontan Beifall für Dustins Antwort.

„Tja, Carlo. Damit hat dir Dustin wohl klar gesagt was Sache ist. Sie machen eben kein Geheimnis mehr aus ihrer guten Beziehung. So, anderes Thema. Wie sieht euer Programm heute aus?“

„Wir haben normales Training mit Chris und Marco. Ab morgen machen wir dann wieder volles Programm mit zweimal Training am Tag. Außerdem wollte uns Chris morgen unsere Aufgaben beim Sparkassen Cup erklären.“

Justin hatte unseren Arbeitsplan gut im Kopf und ich war ihm dankbar, denn ich hatte momentan oft Probleme, all die vielen Dinge richtig sortiert zu bekommen.

„Wann kommen denn eure Freunde aus Rügen?“, fragte uns Martina.

Verdammt, das hatte ich auch komplett aus den Augen verloren. Die Klausuren hatten meine ganze Aufmerksamkeit gefordert.

„Simon und Mattes kommen am Mittwochabend am Bahnhof an. Chris wird sie mit mir dort abholen und dann hier herbringen.“

„Wo sollen die denn noch pennen? Jaime schläft ja bei mir und Raphael bei Tim. Wie habt ihr das gedacht?“, fragte Carlo.

„Eigentlich sollten sie, wie die meisten anderen auswärtigen Spieler, auf der Anlage zelten, aber Chris hat das nicht zugelassen, da sie noch sehr jung sind und ohne Begleitung kommen. Deshalb werden die beiden bei uns auf der Wohnzimmer Couch schlafen. Man kann diese zu einem Doppelbett ausklappen. Für die wenigen Tage sollte das gehen.“

Wow, Dustin hatte das alles schon vorbereitet. Davon hatte ich überhaupt nichts mitbekommen. Entsprechend überrascht schaute ich wohl. Das wollte Tim nun nutzen, aber Martinas Kommentar kam ihm zuvor.

„Bevor du jetzt deinen Senf dazu gibst, Fynn konnte sich darum nicht kümmern. Er hatte drei wichtige Abschlussprüfungen in der Schule. Und das ist mit mir und Chris so abgesprochen. Für die wenigen Tage wird es hier eben etwas kuscheliger zugehen. Aber ich finde es richtig, dass die beiden nicht allein auf der Anlage zelten.“

„Ich habe doch gar nichts gesagt“, protestierte Tim.

„Allerdings im Gegensatz zu früher“, grinste er bereits und fing auch an zu lachen.

„Wollen wir uns heute vor dem Training gemeinsam aufwärmen?“, fragte Raphael unvermittelt.

„Wie meinst du das?“, fragte ich ratlos.

„Naja, ich finde das langweilige Einlaufen und Seilspringen doof. Wie wäre es denn, wenn wir alle zusammen eine Runde Basketball spielen. Ich habe gesehen, dass an der Ballwand auch ein Basketballkorb steht.“

„Ich habe zwar überhaupt keinen Plan von diesem Spiel und bin in der Schule da eine völlige Niete, aber das wäre sicher lustiger als Seilspringen“, kommentierte Carlo diese Idee.

„Wir sind jetzt auch genug Leute um zwei Mannschaften zu bilden. Also ich wäre auch dafür.“

Das war mir klar. Tim hatte immer eine Abneigung gegen das Warmlaufen oder Seilspringen. Allerdings gab es seit einiger Zeit bei diesen Dingen keine Probleme mehr mit ihm.

Unsere Teams waren ausgeglichen und es herrschte entsprechender Ehrgeiz zu gewinnen. Die Verlierermannschaft musste alle Trainingsplätze abziehen. Wir hatten eine gute Dreiviertelstunde vor Trainingsbeginn begonnen und es stand unentschieden als plötzlich Chris bei uns auftauchte.

„Was geht denn hier ab?“, fragte er lachend.

Wir unterbrachen unser Spiel und Tim war es, der als erster Chris eine Erklärung gab.

„Hi Chris, wir hatten alle keine Lust auf Seilspringen oder Laufen zum Aufwärmen. Wir sind genug Leute um zwei Mannschaften zu bilden. Da haben wir gedacht, wir wärmen uns so auf. Das ist doch auch in Ordnung, oder?“

„Hahaha, sehr gut. Ihr seid ja richtig kreativ. Also - weitermachen.“

Chris ging Richtung Clubhaus. Aber wenige Momente später, tauchte er umgezogen wieder bei uns auf.

„Darf ich ein paar Minuten mitspielen? Ich bin aber kein guter Basketballer.“

Das überraschte und freute mich ungemein. Chris spielte noch einige Minuten länger mit uns als eigentlich gedacht war.

„So“, unterbrach er plötzlich unser Spiel, „genug aufgewärmt. Wir sehen uns in fünf Minuten auf den Plätzen Center eins bis drei.“

„Wer muss eigentlich jetzt den Platz abziehen? Hat noch einer den Spielstand im Kopf?“, fragte Dustin.

Wir schauten uns alle ratlos an. Chris hatte die rettende Idee:

„Vergesst das Ergebnis. Es hat mir richtig Spaß gemacht und ich danke für eure Eigeninitiative. Für die Zukunft, wann immer ihr solche Ideen zum Aufwärmen habt, macht es einfach. Wenn ich dann mit etwas nicht einverstanden sein sollte, werde ich es sagen. Aber sowas dürft ihr immer gern als Alternative machen.“

Auf dem Weg zu den Plätzen herrschte bei uns gelöste Stimmung. Raphael hatte wie immer den Schalk im Nacken. Allerdings trieb er es manchmal auch zu weit. Heute war ausgerechnet Tim sein Opfer. Ob das klug war, würde sich bald zeigen. Dustin hatte es kommen sehen und bereits versucht Raphael etwas einzubremsen.

Tim wirkte bereits richtig genervt und als Raphael versuchte ihn mit Wasser aus seiner Trinkflasche anzuspritzen, war es soweit. Tim ging zwei schnelle Schritte auf Raphael zu und alle hielten die Luft an. Ich hatte Angst vor Tims Reaktion. Aber erstaunlicherweise kam nur eine klare Ansage von Tim an Raphael.

Für einen Moment gab dieser dann Ruhe. Selbst Sergio und Marcelo waren bereits genervt.

Da wir bei Chris und Marco angekommen waren, beruhigte sich die Situation erst einmal. Chris teilte die Gruppen ein und wir verteilten uns auf alle drei Plätze.

Interessant für mich, Chris hatte Tim und Raphael auf einen Platz geschickt und zwar mit Dustin.

Sergio und ich spielten bei Chris auf dem Center zwei.

Justin und Jaime waren bei Marco auf dem Center drei.

Für Sergio und mich hatte Chris einige richtig heftige Aufgaben und entsprechend war ich nur mit mir beschäftigt. Plötzlich wurde es auf dem Platz eins laut und es gab lebendiges Gekreische.

Chris ging die Treppe in Richtung Platz eins hoch und ich ahnte Böses. Vermutlich war es Tim jetzt doch zu bunt geworden und er hatte Raphael eine Retourkutsche verpasst. Was genau vorgefallen war, konnte ich nicht mitbekommen.

Es dauerte einige Minuten bis Chris wieder bei uns am Platz auftauchte.

„Wir tauschen bitte einmal durch. Sergio geht auf Platz eins und schickt mir Raphael. Fynn geht auf Platz drei und schickt mir Justin. Nach einer halben Stunde kommen wir hier alle zusammen.“

Chris erwähnte aber mit keiner Silbe den Vorfall auf dem Platz eins. Allerdings musste ich innerlich grinsen, als ich Raphael sehen konnte wie er von seinem Platz auf meinen Platz wechselte. Er war klatschnass. Ich wusste zwar nicht was passiert war, aber in meinem Kopf hatte ich schnell die Bilder dazu.

Eine halbe Stunde später und reichlich verschwitzt kamen wir erneut bei Chris zusammen. Marco stand bereits neben ihm.

„So, den ersten Teil unserer Einheit haben wir erledigt. Bevor ich auf den kommenden Teil eingehe, habe ich das Bedürfnis ein paar Sätze zum Verhalten zu sagen.“

Aha, also doch. Chris hatte alles mitbekommen. Jetzt war ich gespannt.

„Zuerst möchte ich Tim ausdrücklich loben. Obwohl Raphael ihn ständig provoziert und Tims Signale nicht ernstgenommen hat, hat Tim nicht wie früher gleich radikal reagiert. Und als Raphael es dann immer noch nicht lassen wollte, hat Tim mit dem Wasserschlauch angemessen reagiert. Gefällt mir sehr gut, Tim.“

Tim wuchs gefühlt um einen Meter als Chris das gesagt hatte. Raphael spürte, dass er wohl schlechte Karten bekam.

„Ich möchte aber generell darauf hinweisen, dass ich während des Trainings solche Spielereien nicht mag. Wir machen hier ernsthafte Arbeit und sind nicht im Kindergarten. In diesem Fall ein paar klare Worte an Raphael, wenn dir Tim mehrfach signalisiert, dass du aufhören mögest, dann solltest du das ernst nehmen. Bei der nächsten Situation werde ich hart eingreifen und Tim davor schützen, hier vielleicht einen Fehler zu begehen. Jeder von meinen Jungs weiß ganz genau was ich damit meine. Wenn Tim dazu etwas sagen möchte, dann kann er das gleich noch im Anschluss tun. Für unsere spanischen Gäste zum Verständnis. Ich bin für viele Späße zu haben, aber nicht endlos und schon gar nicht wenn es das Training behindert. Fragen?“

Justin fing an zu kichern und auch Sergio konnte sich nur mit Mühe beherrschen. Aber es half nichts, wir mussten alle laut lachen. Außer Tim, Carlo und Raphael. Chris stand mit Marco ziemlich ratlos in unserer Runde.

Als wir uns etwas beruhigt hatten, erklärte Sergio:

„Sorry Chris. Aber wenn du wüsstest, dass wir alle dieses Spiel schon seit Tagen beobachtet hatten, und wir bereits mehrfach Raphael vorgewarnt hatten, dann könntest du verstehen, warum wir jetzt lachen müssen. Ich glaube nämlich, dass Raphael Tim gar nicht ärgern will. Eigentlich hat er ganz andere Ziele.“

Tim schaute Raphael an und wurde richtig rot. Genauso rot wie Raphael selbst. Chris schaute jetzt zu Marco und beide zwinkerten sich und Tim zu.

„Ah ja, sehr interessant“, grinste Chris, „also gut. Lassen wir das so stehen und die klare Ansage an alle. Keine weiteren Spielchen während des Trainings. Weitere Anmerkungen?“

Es blieb still und damit war das für Chris erledigt. Allerdings schickte er Raphael zum Umziehen. Darüber ließ er überhaupt nicht mit sich reden. Im Gegenteil, er verteilte noch einen Elfmeter an ihn, da er erwarten würde, dass sich Raphael eigenverantwortlich umgezogen hätte.

Im Anschluss gab Chris neue Vorgaben und ließ uns ein kleines Turnier spielen. Mit kurzen Sätzen und gab demjenigen, der gerade Pause hatte seine Korrekturen. Marco machte Videoaufnahmen.

Für mich sah das richtig gut aus. Ich fühlte mich auch prima und konnte alle „Matches“ gewinnen. Zum Ende musste ich noch gegen Dustin spielen, der heute genauso gut drauf war und ebenfalls alles gewonnen hatte. Sozusagen ein richtiges Endspiel.

Bevor es losging, hatte Chris aber noch eine Sache.

„Ich möchte von euch beiden jetzt noch einen richtigen Satz sehen. Die anderen können auslaufen und duschen gehen. Justin möchte ich nach der Dusche hier noch einmal sehen. Ich möchte mit euch noch etwas besprechen.“

Chris: Familie Steevens und viel Unruhe für mich

Beim Spielstand von 4:3 für Fynn tauchte John mit seiner Familie auf. Ich winkte ihnen zu und bat sie zu mir an den Platz zu kommen. Aaron nutzte das gleich, um sich auf die Bank auf dem Platz zu setzen.

„Aaron, hast du Dustin oder Fynn gefragt ob du das darfst?“, fragte ich.

Er drehte seinen Kopf zu mir und nach einer Gedenksekunde stand er wieder auf und setzte sich auf die Tribüne direkt am Platz.

„Es ist gut zu sehen, dass du Aaron im Griff hast“, lachte seine Mutter.

„Wo sind denn die anderen Jungs?“, fragte mich John.

„Die habe ich bereits unter die Dusche geschickt. Aber Justin kommt gleich wieder hierher. Ich möchte noch etwas besprechen. Da es nur die drei betrifft, bot sich das so an. Wie habt ihr euch eingelebt? Ist alles zu eurer Zufriedenheit?“

„Danke der Nachfrage. Alles perfekt. Der Sportpark ist ein hervorragendes Hotel. Ich fühle mich wie im Urlaub“, erwiderte John.

„Wir sind doch auch im Urlaub, Papa“, meldete sich Aaron.

„Nein“, erklärte ich ihm, „dein Papa wird mich in dieser Woche auch etwas unterstützen. Aber keine Sorge, ihr könnt euch auch mit Justin einige Sachen anschauen. Ihr habt ja noch zwei Tage bis zum Beginn des Turnieres. Habt ihr schon eine Idee was ihr euch ansehen wollt?“

„Ja“, meinte John, „zwei oder drei Dinge haben wir uns ausgesucht. Aaron möchte unbedingt nach Paderborn ins Computer Museum. Da wollten wir dich fragen, ob sich das wirklich lohnt. Justin hätte wohl auch Interesse da mitzukommen.“

„Das lohnt sich auf jeden Fall. Ich weiß allerdings gerade nicht was für eine aktuelle Ausstellung gezeigt wird. Wenn Justin da auch hin möchte, solltet ihr vielleicht morgen fahren. Danach beginnt das Turnier und ich gehe davon aus, dass Justin recht weit kommen wird. Andere Dinge könnt ihr ja auch tagsüber ohne Justin machen. Am Montag und Dienstag könnt ihr dann noch weitere Touren machen, bevor wir auf unsere nächste Turnierreise gehen.“

In diesem Moment tauchte Justin wieder bei uns auf. Fynn und Dustin spielten einen Tiebreak und von daher war das ein perfektes Timing,

Justin setzte sich neben seinen Bruder und das war für mich ein klares Signal. Justin sollte so viel Zeit wie möglich mit seiner Familie bekommen.

Nachdem ich eine kurze Manöverkritik gegeben hatte, wollte ich mit den drei Jungs ihre Aufgaben besprechen.

„Bevor ich euch in den Feierabend schicke, möchte ich euch erklären was wir uns überlegt haben. Der Sparkassen Cup ist für uns ein wichtiges Nachwuchsturnier. Wir beobachten dabei mögliche neue Talente für unser Team. In diesem Jahr wird es etwas größer ausfallen, da wir ja die Aktion mit der DKMS und der AIDS Stiftung haben. Da unsere Coaches auch in der Turnierleitung eingebunden sind, haben wir Bedarf an Unterstützung. Diese Unterstützung soll euch zufallen. Ich möchte euch jeweils zwei Spieler zuordnen, die ihr betreuen sollt. Nicht erschrecken, ich bin immer für euch ansprechbar bei Unsicherheiten oder Problemen. Aber ich möchte, dass ihr eigene Ideen und Strategien entwickelt. Ich traue euch das zu und bin sehr gespannt, wie es euch gelingen wird.“

Die Reaktion war unterschiedlich. Insbesondere bei Fynn war ich mir nicht so sicher, ob er das richtig aufgenommen hatte. Dustin schien das spannend zu finden und für Justin war das überhaupt kein Problem.

„Weißt du schon, um welche Spieler wir uns kümmern sollen?“, fragte Fynn.

„Ja, sicher. Deshalb treffen wir uns ja hier. Ihr sollt zur Vorbereitung etwas Zeit bekommen. Fynn, du wirst dich um Simon und Mattes kümmern. Sie werden auch bei euch wohnen. Dustin wird sich um Zino und Lars kümmern. Die haben sich nämlich auch angemeldet. Sie kommen allerdings mit Lars Eltern und einem Wohnmobil. Die kennt ihr schon.“

„Echt? Das ist ja cool. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Und wen hast du für Justin vorgesehen?“, fragte Fynn.

„Marvin und Malte sollen von Justin begleitet werden. Du kennst die beiden doch auch schon. Gerade bei den beiden möchte ich wissen, ob sie sich auch an Regeln halten, die nicht von mir aufgestellt wurden, sondern von Justin. Wenn das Probleme gibt, möchte ich sofort eine Rückmeldung haben. Das ist, sozusagen, ein Versuch. Generell möchte ich am Abend mit euch kurz über den Verlauf sprechen. Solltet ihr am Tage Fragen haben, könnt ihr Toto, Burghard, Marco oder mich jederzeit ansprechen. Habt ihr Fragen dazu?“

„Ja“, meldete sich Fynn, „ab wann sind die denn hier. Können wir mit denen hier noch ein Training absolvieren?“

„Klärt das bitte gleich selbstständig. Wendet euch an Thorsten und regelt das. Natürlich könnt ihr auch trainieren, sollten sie rechtzeitig ankommen. Ich möchte lediglich eine Info über den Sachstand bekommen.“

Damit waren alle einverstanden und mit einer leichten Unruhe bei Dustin und Fynn trennten wir uns. Für mich war jetzt Feierabend und den wollte ich endlich wieder nutzen für mein Motorrad.

Nachdem ich gut zu Abend gegessen hatte, nahm ich meine Motorradkleidung und bereitete mich für eine Ausfahrt vor. Ich war gespannt, ob meine neue Vierzylinder Panigale genauso zickig sein würde wie meine alte Maschine.

Bevor ich die Jacke anzog, schob ich sie unter dem Carport hervor und drückte den Startknopf. Der Anlasser ratterte und sie sprang direkt an. Natürlich mit einem Ducati typischen Kaltlauf. Wer das nicht kannte, hatte Sorge, dass der Motor ernsthaft erkrankt ist.

Für mich war das eine Symphonie in meinen Ohren.

Schnell zog ich meine Jacke und die Handschuhe über. Zum Schluss der Helm und dann ging es los.

Innerhalb weniger Minuten hatte ich wieder Vertrauen gefunden. Entsprechend stieg der Fahrspaß deutlich an. Jede Bewegung am Gashahn setzte das Kraftwerk unverzüglich in Vortrieb bei geiler Geräuschkulisse um.

Allerdings spürte ich nach einer Stunde intensiven Fahrens eine Ermüdung in den Armen. Ich überlegte, wo ich eine Pause einlegen könnte. Die Entscheidung fiel zugunsten einer kleinen Biker-Kneipe, wo ich mir eine kalte Cola gönnte.

Die neue V4 forderte mich als Fahrer mindestens genauso wie meine V2. Allerdings nicht mit dem gleichen Kraftaufwand, aber durch die höhere Leistung mit erhöhter Aufmerksamkeit. Auf dem Rückweg spürte ich deutlich die aufkommende Müdigkeit. Entsprechend vorsichtig fuhr ich auf direktem Weg nach Hause.

Lustig wurde es noch einmal, als ich dann die Panigale ins Carport stellen wollte. Malte hatte mich natürlich gehört und stand sofort bei mir und schaute sich das Gerät genauestens an.

„Na Malte, habe ich das auch ordentlich gemacht? Oder hast du Einwände?“

Er schaute mich mit großen Augen an und wusste gar nicht, wie er damit umgehen sollte.

„Du hast mich doch genau beobachtet. Also darf ich doch nachfragen, ob alles richtig war. Hahaha.“

„Sorry Chris, ich wollte dich echt nicht kontrollieren. Ich finde das Bike einfach nur geil. Schade, dass es noch so lange dauert, bis ich sowas auch selbst fahren darf.“

„Würde Kristin es denn erlauben, dass du einen Motorradführerschein machst?“

„Naja, Mama findet es nicht toll, aber Papa hat schon zugestimmt. Außerdem würde es ja auch bedeuten, dass ich selbst überall hinfahren kann. Meine Eltern müssten mich nicht mehr fahren.“

„Das ist klar, nur was hilft es, wenn du selbst fahren kannst, aber du schwer verletzt im Krankenhaus liegst, weil du dich auf die Nase gelegt hast.“

„Ja, ja. Das ist schon richtig, aber es macht mir einfach richtig Bock zu fahren.“

„Woher weißt du das eigentlich? Du bist doch noch nie selbst gefahren, oder doch?“

Jetzt bemerkte Malte, dass er sich wohl verraten hatte. Aber entgegen früherer Versuche sich herauszureden, erklärte er:

„Ich bin einmal verbotenerweise mit dem Moped von einem Schulkameraden gefahren. Er hatte mich gefragt, ob ich ne Runde drehen wollte.“

„Auf der Straße?“, fragte ich etwas besorgt.

Malte ahnte, dass er da nicht so wirklich auf Zustimmung stoßen würde und entsprechend vorsichtig nickte er nur.

„Oh, ich finde zwar gut, dass du es zugibst, aber auf der Straße ohne Führerschein geht einfach nicht. Außerdem würde dein Freund auch richtig Ärger bekommen, weil du noch gar keinen Führerschein haben kannst. Du bist noch zu jung. Ich bitte dich, in Zukunft solche Dinge deshalb zu unterlassen. Dieses Mal schweige ich dazu, weil du es mir freiwillig erzählt hast. Zwinge mich aber nicht zu anderen Maßnahmen.“

Malte zuckte zusammen als ich das gesagt hatte. Er fragte kleinlaut nach:

„Du hast ja recht, aber bist du früher nie etwas gefahren was du noch nicht durftest? Es macht doch tierisch Spaß.“

„Malte, das waren ganz andere Zeiten. Als ich so alt war wie du, hatten wir viel weniger Verkehr auf der Straße. Und ja, ich bin auch mal Motorrad gefahren als ich noch keinen großen Führerschein hatte. Genauso verboten wie deine Aktion, nur hatte ich damals immerhin schon den Klasse 1b Führerschein. Du hast noch gar keine Lizenz.“

Er nickte und ich konnte ihn ja auch verstehen. Es ist verlockend, aber eben auch mordsgefährlich. Ich versuchte, ihm das in Ruhe noch einmal zu erklären und als ich fertig war, meinte er:

„Okay Chris. Ich habe es begriffen. Ich werde es nicht mehr tun. Aber darf ich dich vielleicht bitten, mit mir mal eine Runde auf deinem Bike zu drehen. Ich würde mich tierisch freuen.“

Da brauchte ich nicht lange zu überlegen.

„Du versprichst mir jetzt in die Hand, dass du nicht mehr ohne Führerschein irgendetwas auf der Straße bewegen wirst?“

Er streckte seine Hand aus und ich schlug ein.

„Dass das jetzt so etwas wie ein „Ehrenwort“ war, ist dir klar?“

„Jap“, kam kurz zurück, aber mit einem ernsten Gesichtsausdruck.

„Gut, dann gilt der Deal. Ich werde dich mitnehmen auf dem Bike. Aber den genauen Zeitpunkt müssen wir besprechen. Jetzt steht erstmal der Sparkassen Cup an. Da werde ich wohl kaum Zeit zum Fahren haben.“

Ich sollte leider recht behalten, denn die Tage bis zum Beginn rannten nur so vorbei. Es gab viel vorzubereiten und zu organisieren.

Allerdings gab es auch positive Beobachtungen. Meine großen Jungs nahmen ihre neuen Aufgaben anscheinend ernst. Sie hatten sich bei mir erkundigt, wo sie sich Informationen über ihre Spieler besorgen können. Und sie hatten mir tatsächlich ihre „Trainingspläne“ zur Prüfung vorgelegt. Ich musste schmunzeln, als ich am gestrigen Abend das durchgesehen hatte.

Heute wollte ich das mit allen drei besprechen. Maxi hatte ich zur Unterstützung von Toto eingeteilt.

Besonders aufmerksam beobachtete ich die Entwicklung bei Tim. Er hatte durch seine Erkrankung an ADHS zuerst Schwierigkeiten mit der neuen Situation. Mittlerweile drehte sich das aber zu seinem großen Vorteil. Er hatte es akzeptiert und hatte sein Verhalten konsequent verändert. Immer wieder bat er um ein beratendes Gespräch mit mir und er fing auch an, zu Marco mehr Vertrauen aufzubauen.

Dass sich die neue Situation mit unseren spanischen Gästen so positiv entwickeln würde, hatte ich nicht erwartet. Raphael und Tim wurden ein gutes Team und sie übernahmen bei den jüngeren Spielern so etwas wie die Leitfiguren. Tim bekam das sehr gut. Er nahm seine neue Rolle an und dadurch arbeitete er konsequenter an seinen Baustellen.

Raphael hatte viel Selbstvertrauen und davon profitierte Tim auch. Ich hatte lediglich darauf zu achten, dass durch Raphael mit seiner Unbekümmertheit meine Jungs nicht das Ziel aus den Augen verlieren. Er hatte Tennis für sich als Hobby und auch viel Spaß dabei. Allerdings wäre diese Haltung auf Dauer für meine Jungs nicht akzeptabel.

In diesen Wochen tat es allen allerdings sehr gut, diese Lockerheit zu nutzen. Heute wollte ich ein Abschlusstraining für unsere Jungs machen. Ab morgen würde es in den Turniermodus gehen.

Auch auf der großen Wiese am Tennisclub bauten sich immer mehr Zelte auf. Einzelne Wohnmobile standen auf dem Parkplatz. Durch die Dimension der Bundesligaspiele war ausreichend Platz vorhanden.

Auch die Anlage füllte sich zusehends, denn die bereits angereisten Spieler benötigten entsprechende Trainingsmöglichkeiten.

Mittlerweile stand ich auf dem Center eins mit Dustin, Fynn, Justin und Sergio. Die anderen hatte ich zu Marco geschickt. Ich wollte heute ganz bewusst nur mit meinen vier großen Jungs trainieren.

„Ich möchte, dass ihr jeweils einen Satz jeder gegen jeden spielt. Unter Wettkampfbedingungen. Das heißt ihr macht eine reguläre Wechselpause und es findet während des Satzes kein Coaching statt. Nach einem Durchgang gibt es Manöverkritik. Habt ihr Fragen?“

Dem war nicht so, also gab ich für jeden Platz neue Bälle aus und gab ihnen fünf Minuten Einschlagzeit.

Natürlich hatten alle genug Zeit gehabt sich aufzuwärmen und auch einzuschlagen.

Ich nahm meine Position zwischen den beiden Plätzen ein und konnte von oben hervorragend beide Spiele beobachten.

Natürlich dauerte es nicht lange und Aaron stand neben mir. John hatte gefragt, ob er Aaron auf der Anlage lassen könne. Er wollte mit seiner Frau zum Einkaufen fahren.

„Wie gut ist Justin bereits? Kann er wirklich mal auf der ATP Tour spielen?“, fragte mich Aaron, nachdem Justin mit 2:0 gegen Dustin führte.

„Ich werde diese Frage jetzt nicht beantworten. Schau einfach mal genau hin und beobachte alle Spieler. Abgerechnet wird immer zum Schluss und wenn du dir ein eigenes Bild gemacht hast, dann darfst du mich gerne noch einmal dazu befragen.“

Ziemlich ratlos schaute er mich an, aber fing nicht an zu meckern sondern beobachtete die Spiele aus verschiedenen Positionen.

Am Ende der Spielserie hatte sich meine Einschätzung bestätigt. Es gab keinen klaren Sieger. Jeder hatte Sätze gewonnen. Das machte eben meine Jungs aus, ihre Ausgeglichenheit.

Beim kommenden Sparkassen Cup war ich gespannt, ob es ihnen gelingen würde trotz der Doppelbelastung eine gute Performance zu zeigen. Ich wollte sie dabei auch eigenverantwortlich die Matchvorbereitungen machen lassen. Ich stand ihnen als Trainer zwar zur Verfügung, aber sie mussten sich ihre Dinge bei mir abholen und nicht von mir vorgeschrieben bekommen.

Diese Idee hatte ich von John übernommen. Auch für mich war das ein Experiment. Konnte ich das wirklich aushalten, meine Jungs eigenverantwortlich agieren zu lassen, auch wenn der ein oder andere daran scheitern würde.

Ich war für einen Augenblick in meinen Gedanken versunken als mich Marco ansprach:

„Na, wo warst du denn gerade?“

„Oh! Hi, Marco. Ich hab‘ dich gar nicht bemerkt.“

„Allerdings, hahaha. Ich hatte mich schon gewundert, warum du keine Antwort gegeben hast.“

Mist, ich fand das unangenehm, aber Marco blieb locker und stellte seine Frage erneut.

„Kannst du dir gleich einmal die Situation bei Tim und Carlo ansehen? Irgendwas muss da vorgefallen sein. Carlo ist heute richtig aggressiv auf dem Platz und hat Tim auf dem Platz klar geschlagen. Deutlicher als bislang üblich.“

„Ja, kann ich mal machen, aber ich denke ich kenne das Problem. Carlo hat Schwierigkeiten mit der Situation an sich. Raphael hat sich zwischen die beiden gedrängt und Raphael versucht gerade mit Tim anzubandeln. Ist mir schon einige Male aufgefallen.“

Jetzt schaute mich Marco mit großen Augen an und fing an zu lachen.

„Das meinst du doch nicht ernst? Ausgerechnet bei Tim? Aber dann verstehe ich nicht, warum Tim weiterhin so gut mit Raphael kann. Eigentlich müsste er doch auf Protest aus sein, da Raphael ja bei ihm auf dem Zimmer untergebracht ist.“

„Ja? Warum das denn? Vielleicht findet Tim das ja gar nicht so schlecht.“

Jetzt hatte ich ihn total verwirrt. Es dauerte einen Moment, aber dann machte es „Klick“.

„Ach du Scheiße. Wenn das stimmt, dann haben wir aber ein Problem, wenn Raphael wieder nach Mallorca zurück geht.“

Ich nickte, aber erwiderte:

„Vielleicht auch nicht. So wie ich Tim gerade erlebe, probiert er vieles aus. Er testet sich selbst und mir gefällt das richtig gut. Carlo hat aufgrund der veränderten Situation nicht so die Möglichkeit mit Tim zu reden. Vielleicht entwickelt sich da so etwas wie eine Eifersucht auf Raphael. Ich möchte das beim Sparkassen Cup noch beobachten. Außerdem solltest du vielleicht mal das Gespräch mit Carlo suchen. Er braucht den Hinweis zu der Situation.“

„Ich verstehe. Aber ich fühle mich diesem Gespräch noch nicht gewachsen. Ich kenne sie noch nicht gut genug, um auch bei diesem Thema zu helfen.“

„Deshalb solltest du zuerst mit Carlo sprechen. Er ist da eigentlich unkompliziert und auch offen in seinen Gefühlen. Du darfst ihm aber auch gerne dann den Hinweis geben, dass er noch zu mir kommen darf, wenn er das möchte. Ich will aber, dass du zuerst für sie zuständig bist. Sie sollen das auch lernen, dass sie mit dir genauso gut Probleme außerhalb des Platzes ansprechen und/oder lösen können.“

Marco machte keinen glücklichen Eindruck und ich konnte ihn auch verstehen. Es war für ihn nicht so angenehm jetzt auch solche Dinge anzugehen. Aber irgendwann musste er damit beginnen.

Dennoch nahm ich mir im Anschluss für einige Minuten die Zeit auch bei Marcos Gruppe zu schauen. Allerdings wirkten Tim und Carlo unauffällig in ihrem Verhalten. Sie freuten sich beide über meine Anwesenheit und gaben in den letzten Minuten noch einmal richtig Gas.

Das Besondere, Carlo verließ mit Tim, Raphael und Jaime gemeinsam den Platz und auch in die Umkleide. Marco hatte das natürlich auch bemerkt und gab mir mit einem Schulterzucken seine Verwunderung zu verstehen.

Es beruhigte mich und so wollte ich das auch erst einmal auf sich beruhen lassen. Mittlerweile hatte ich ein gutes Gefühl auch bei Tim. Er würde bei ernsthaften Problemen zu mir kommen, genau wie Carlo.

Ich freute mich über den letzten ruhigen Abend für die nächsten Tage. Ab morgen wäre die Familie Steevens auch hier und das Turnier begann in die heiße Phase zu gehen.

Ich hatte mit Marco noch den kommenden Tag abgesprochen und mich für das Training abgemeldet. Ich wollte Marc mit seiner Familie vom Flughafen abholen und da würde ich sicher nicht vor 16 Uhr am Nachmittag zurück sein.

Den ruhigen Abend hatte ich genossen und entsprechend gut gelaunt gefrühstückt. Ich war jetzt auf dem Weg zum Club, um mir dort einen der Teambusse zu holen.

„Guten Morgen, Chris“, begrüßte mich Thorsten als ich sein Büro betrat.

„Moin Thorsten. Alle Mann an Bord oder gibt es Ausfälle für das Turnier?“

„Nein, alles bestens. Deine Jungs sind mit Marco und Toto auch gut versorgt. Wann bist du mit Marcs Familie wieder zurück? Wir sollten für euch einen Tisch zum Essen reservieren. Oder was meinst du?“

„Danke, aber ich habe etwas anderes vor. Ich möchte mit den Steevens zu Carlos Eltern zum Essen fahren, denn ich habe einen Gedanken im Kopf und glaube, dass es gut wäre, dort mal ein Stimmungsbild zu bekommen.“

Thorsten schaute mich nur einen Moment an, fing an zu lächeln und erwiderte:

„Ohhhh, ich sehe schon an deinen Augen, dass du einen Plan hast. Lass mich raten, es geht um die Situation zwischen Tim und Carlo.“

„Ja, eigentlich geht es um die gesamte Situation in der Truppe. Raphael bringt da etwas Bewegung hinein und das erzeugt Spannung bei Carlo und Tim. Ich möchte mal von Carlos Eltern eine Rückmeldung über die Situation bei Carlo bekommen.“

„Dann mach das so. Hier hast du die Schlüssel und die Papiere für den Bus. Hat Marc dir schon gesagt, was er mit dir vorhat? Oder kommt er ohne genauen Plan hierher?“

„Bislang weiß ich nur, dass er aus München kommt, weil er ein neues Auto für Sabine benötigt. Aber bei Marc muss man immer mit Überraschungen rechnen.“

„Allerdings, aber du machst das schon, hihihi. Dann wünsche ich dir eine gute Fahrt und denk nicht hinter deinen Jungs her. Wir übernehmen deinen Part. Es wäre gut, wenn du dich später meldest, ob alles gut geklappt hat. Die Familie Steevens habe ich in der großen Suite untergebracht. Dort sind sie ungestört und können bei Bedarf auch ungestört ihre Mahlzeiten einnehmen. Da hier viele Jugendliche unterwegs sein werden, dürfte es für Marc sonst recht hektisch werden.“

„Danke. Ich mache mich auf den Weg und melde mich später.“

Auf dem Weg zum VW Bus begegnete mir Toto und lachte mich an.

„Hi Chris. Na, flüchtest du von deiner Truppe?“

„Moin Toto, ja ich brauche mal eine Auszeit. Die nerven rum und wollten unbedingt bei dir trainieren. Da habe ich ein Einsehen gehabt und sie zu dir geschickt.“

Toto lachte weiter und zeigte mir den Daumen hoch.

"Dann gute Fahrt und bring sie heil ans Ziel. Wir sehen uns dann spätestens morgen."

Eine Stunde später parkte ich den Bus in der Nähe vom Terminal in Hannover. Zeitlich war ich gut unterwegs und gönnte mir sogar noch einen Kaffee. Von dort konnte ich die große Ankunftstafel beobachten und las hinter dem Flug von meinen Freunden, dass der Flug als pünktlich angekündigt wurde.

In meinem Kopf sortierte ich meine Situation und die Tatsache, dass ich erneut auf mehreren Schauplätzen agierte. Meine Jungs waren mir wichtig und ihre Entwicklung machte gute Fortschritte. Komischerweise war ich nicht mehr so skeptisch, ob sie eine Chance hätten, auf die ATP Tour zu kommen. Ihre Fähigkeiten würden sicherlich ausreichen, aber es gab auch viele andere Faktoren.

Eine weitere Frage tauchte in meinen Gedanken auf. Sollte ich mich wirklich in die Situation von Tim und Carlo einmischen und vielleicht mit Hinweisen Einfluss nehmen? Mir kam die Idee, mit Sabine über diese Sache zu sprechen. Sie hatte in vielen Dingen sehr ähnliche Vorstellungen und Gedanken wie ich, was solche Situationen betraf.

Nachdem ich meinen Kaffee bezahlt hatte, ging ich durch die Halle Richtung Ausgang der Ankunftflüge.

Es wartete nur wenige Minuten und dann kamen die vier mit einem Gepäckwagen auf mich zu. Luc und Stef winkten schon von weitem. Ich ging ihnen entgegen und wir begrüßten uns mit einer herzlichen Umarmung. Mittlerweile sah ich die Familie Steevens als echte Freunde und nicht mehr nur als Unterstützer oder Sponsor. Marcs Berühmtheit war für mich eh nie wichtig gewesen. Auch wenn diese Berühmtheit hilfreich auch manche Situation hat lösen können.

„Hallo ihr vier. Ich freue mich, euch mal wieder bei uns begrüßen zu dürfen. Wie war eure Anreise?“

„Hallo Chris, danke für die herzliche Begrüßung. Der Flug war ruhig und wir können gleich durchstarten“, erwiderte Luc lachend.

Wenige Minuten später saßen wir im Auto und rollten auf die A352 Richtung Halle.

„Wie machen sich deine Jungs? Wie stellt sich die neue Situation für die Gruppe dar?“, fragte Marc.

„Sie sind gut drauf, arbeiten fleißig und sind froh, dass die Klausuren geschrieben sind. Wir können also in der nächsten Woche wieder auf die Tour gehen. Da steht zuerst ein 250er Turnier in Mailand an. Von dort geht es nach Kroatien. In Split wird da ein Challenger gespielt.“

„Oha, es geht also jetzt auf die großen ATP Turniere“, fragte Marc.

„Ja, wir wollen schauen, wie weit sind die drei mittlerweile. Es soll aber eher eine Standortbestimmung sein. Wir haben eine harte Trainingsphase beendet und jetzt möchten wir sehen, was die Jungs dazugelernt haben. Ich hätte es zwar lieber gehabt, zuerst ein Challenger zu spielen, aber das war halt nicht machbar.“

„Dafür haben beide Orte wunderschöne Altstädte und Split liegt direkt am Meer“, erwähnte Sabine mit einem Lächeln.

„Schatz, Chris wird da kaum Zeit haben zum Shoppen oder Bummeln“, konterte Marc.

„Naja“, antwortete ich, „ich versuche schon, Zeit auch für diese Dinge zu generieren. Definitiv wird es in Split einen Besuch am Strand geben mit Baden im Meer. Mailand ist die Stadt der Mode, dafür sind die drei nicht so zu begeistern, hahaha. Aber da werde ich mit Sicherheit auch etwas Kultur machen.“

„Für Mailand habe ich sogar schon eine Idee, aber da muss ich noch etwas abklären. Ich denke, das regeln wir in den nächsten Tagen von Halle aus. Das wird den Jungs und vor allem dir bestimmt besser gefallen als Klamotten kaufen gehen.“

Marcs Grinsen sprach Bände. Da wusste ich, dass er wieder einen außergewöhnlichen Plan verfolgen würde.

„Hast du heute Nachmittag Lust, mit den Jungs zu trainieren?“, fragte ich Luc.

„Ist das nicht störend für die Turniervorbereitung?“, entgegnete er.

„Nein, überhaupt nicht. Es wird das Abschlusstraining für den Sparkassen Cup sein. Da wollte ich den Schwerpunkt auf das Matchtraining legen. Wenn du willst, baue ich dich mit ein.“

„Cool, dann gerne. Auch wenn ich mit Sicherheit kein gleichwertiger Gegner bin. Das wird aber Spaß machen. Wann wird das starten?“

„Um halb vier. Und eigentlich habe ich die Truppe heute bei Toto und Marco abgegeben. Aber ich denke, wir werden nach dem Mittagessen rechtzeitig zurück sein. Ich werde Marco gleich informieren, damit er das planen kann.“

Ich schickte Marco eine Sprachnachricht und dann erklärte ich den Steevens meinen Plan bezüglich des Mittagessens.

Sabine kniff für einen Augenblick ihre Augen zusammen und fing direkt an zu schmunzeln. Sie hatte sofort begriffen, dass ich mit dieser Aktion einen konkreten Plan verfolgte.

Als wir am Restaurant von Carlos Eltern eintrafen, bekam ich allerdings einen Geistesblitz, der mich etwas beunruhigte. Ich hatte nicht berücksichtigt, dass ich mit Marc in Italien fast eine nationale Legende an meiner Seite hatte. Jetzt war das aber nicht mehr zu ändern und wir bewegten uns auf den Eingang zu. Ich ging voran und als ich an der Theke stand und mich Carlos Mutter begrüßte, spürte ich sofort wieder diese Herzlichkeit, die auch Carlo ausstrahlte.

„Hallo Chris, es freut uns sehr, dass du wieder bei uns Gast bist. Wir haben dir deinen Tisch vorbereitet.“

Carlos Mutter ging voraus und sie schien noch nicht realisiert zu haben, welche Gäste ich heute an meiner Seite hatte. Umso besser.

Der Tisch war nett gedeckt und sofort spürte ich diese familiäre Atmosphäre in ihrem Lokal. Die Getränkewünsche wurden aufgenommen und jeder bekam eine Karte gereicht.

Die Bestellung wurde eine recht schnelle Sache und Marc fragte anschließend:

„Kannst du uns schon etwas zum Ablauf der nächsten Tage sagen?“

„Ja, sicher. Morgen beginnt das Turnier in allen Altersklassen. Die U21 wird erst am Abend beginnen. Ab 14 Uhr wird gespielt. Die offizielle Eröffnung wird es erst gegen 17 Uhr geben. Da wird auch die DKMS und AIDS Aktion vorgestellt. Es wäre schön, wenn ihr an dieser Eröffnung teilnehmen würdet. Wir haben auch die Presse dazu eingeladen. Es wird eine kleine Pressekonferenz geben. Aber im Mittelpunkt sollen die Spieler stehen.“

„Wirst du nur deine Jungs begleiten oder wie ist das geplant?“, fragte Sabine.

„Ich werde sicher auch auf meine Jungs achten, aber in erster Linie werde ich beobachten und nach Talenten Ausschau halten. Justin, Fynn und Dustin sind bei diesem Turnier sicher die Favoriten und werden vermutlich alle bis zum Halbfinale kommen. Sie sind einfach schon zu gut für diese Art der Turniere. Dennoch halten wir es für wichtig, dass sie sich bei unserem Turnier präsentieren und sich auch für die Jüngeren mit einbringen.“

„Wie genau sieht das aus? Und was mich interessiert, wie gehen eigentlich die jüngeren Spieler bei euch mit der offenen Beziehung von Dustin und Fynn um? Werden sie auch von den Zehnjährigen akzeptiert?“

Stef hatte sich auf diese Frage wohl vorbereitet, denn Luc schien unglücklich darüber zu sein. Marc hingegen wirkte so, als ob er von diesem Thema wusste. Er hielt sich aber zurück.

„Klares JA. Beide werden voll akzeptiert. Gerade von den ganz jungen Spielern. Das liegt aber auch an ihnen selbst. Sie haben keinerlei Berührungsängste mehr. Sie gehen auf die Kleineren zu und spielen auch hin und wieder mit ihnen. Fynn hat mir gesagt, dass er viel häufiger Zeit haben möchte, da es ihm Freude bereitet mit den Kleineren etwas zu machen. Das geht natürlich nicht, weil wir viel unterwegs sind. Aber ich freue mich über diese Haltung.“

„Wie ist das mit Maxi entstanden? War diese Entscheidung für dich eine Überraschung und wie geht er damit um? Ich könnte mir vorstellen, dass er jetzt noch mehr Probleme zu lösen haben wird. Und er hat dich nicht mehr als seinen Mentor, wenn er nicht mehr im Team ist.“

Marc hatte einen guten Überblick, aber einige Dinge waren ihm dann doch nicht bewusst.

„Für mich war seine Entscheidung nur die Konsequenz aus seiner Situation. Er hatte in den letzten Wochen viel Zeit bei seiner Mutter verbracht und sich dort gekümmert. Mein Eindruck war, dass ihm das viel Sicherheit gebracht hatte. Daher habe ich ihm auch diese Zeit gegeben und ihm Freiräume beim Training eingeräumt. Fynn, Dustin und auch Justin hatten und haben auch immer ein offenes Ohr für ihren Freund. Und was mir ganz wichtig ist, er kann mich weiterhin jederzeit um Rat fragen. Außerdem stimmt deine Aussage nicht, er ist auch weiterhin ein Teammitglied. Nur in anderer Funktion. Wir möchten ihn hier als Trainer mit aufbauen. Er bleibt uns also erst einmal erhalten. Nur eben in einer anderen Rolle.“

„Das ist aber eine Überraschung. Damit habe ich nicht gerechnet. Umso besser gefällt mir das. Darf ich fragen wessen Idee das war?“

Dabei hatte Marc wieder so ein Lächeln im Gesicht, aber dieses Mal musste ich ihn da enttäuschen.

„Fragen darfst du gerne, aber es war Maxis ureigenste Idee. Er hat in der letzten Teamsitzung seine Situation erläutert und erklärt, was er jetzt machen möchte. Ich finde es gut, dass er sich so entschieden hat und für sich einen klaren Zukunftsplan entwickeln konnte. Er möchte ein Studium beginnen. Da war es für uns nur die logische Konsequenz, ihn bei uns zu integrieren. Er kennt doch bereits die Teamphilosophie und wird sich schnell einarbeiten.“

„Also du traust ihm das auch zu?“, fragte Luc skeptisch.

„Absolut. Maxis Entwicklung war in den letzten Monaten sehr positiv. Er ist erwachsen geworden und hat sich seiner Situation gestellt. Ich bin sicher, er wird im Breakpoint Team eine gute Ergänzung werden. Gerade für die Arbeit mit den Jugendlichen, die Tennis nicht als Leistungssport sehen. Sie werden immer viel Spaß beim Training haben.“

Mittlerweile hatten wir unser Essen verarbeitet und Marc hatte dem Service ein Zeichen gegeben. Er fragte in die Runde:

„Wie sieht das mit einem Nachtisch aus?“

Eine rein rhetorische Frage. Luc und Stef nickten nur und auch Sabine lächelte. Also gab es noch etwas Süßes hinterher.

Carlos Mama kam persönlich an unseren Tisch und Marc bat um die Dessertkarte für einen Nachtisch. Aber da kam ein anderer Vorschlag.

„Herr Steevens, wenn wir schon die Ehre ihres Besuches haben, dann möchten wir darum bitten, Sie und ihre Familie zu überraschen.“

Marc bestellte also nur eine Runde Kaffee in verschiedensten Variationen. Da hatte jeder einen anderen Geschmack. Mir war es nach einem Othello.

Carlos Mama bedankte sich und entfernte sich wieder in Richtung Theke.

„Das ist mal eine angenehme Situation. Sie haben uns erkannt und dennoch sind wir hier vollkommen unbehelligt geblieben. Papa, wenn ich mich richtig erinnere, hat Carlo mir mal erzählt, dass sein Vater ein großer Ferrari Fan ist“, meldete sich Luc zu Wort.

Kurze Zeit später kam Carlos Mama mit den Kaffees und fragte:

„Wäre es vielleicht möglich, für meinen Mann ein Foto zu machen? Er hat viele Jahre ihre Karriere verfolgt.“

„Aber sicher ist das möglich, aber wir sollten ihren Mann dazu holen. Bevor wir aufbrechen, machen wir ein gemeinsames Foto.“

Carlos Mama freute sich und wollte schon wieder gehen.

„Ich habe da auch eine Bitte bzw. Frage. Wenn Sie gleich einmal einen Moment Zeit hätten, würde ich mich freuen mit ihnen etwas zu besprechen. Es geht um Carlo.“

Sie schien darauf gewartet zu haben. Ihre Antwort kam direkt:

„Sehr gern, Chris. Ich habe gehofft, dass du herkommen würdest. Es hätte mich gewundert, wenn du die momentane Situation nicht bemerkt hättest. Wenn ihr euren Nachtisch bekommen habt, komme ich und wir können uns darüber unterhalten.“

Der Nachtisch stellte allerdings eher ein Kunstwerk dar. Es war eine italienische Eiskreation der Extraklasse. Und hervorzuheben, ein Partnerbecher für Marc und Sabine und für Luc und Stef.

Als wir uns da durchgearbeitet hatten und erneut eine Runde Heißgetränke geordert hatten, setzte sich Carlos Mama zu uns.

„Es ist schön zu wissen, dass Sie mein Anliegen ernst nehmen. Ich möchte einfach von Ihnen eine Beschreibung der aktuellen Situation. Ich habe den Eindruck, dass es Spannungen zwischen Tim und Carlo gibt, die es so bislang nicht gab. Und ich würde gerne wissen wollen, ob es an der neuen Konstellation mit Raphael liegen könnte.“

"Zuerst einmal möchte ich vorschlagen, dass wir uns duzen. Ich heiße Manuela, aber bitte auch gerne Manu."

Dann wiegte sie ihren Kopf hin und her und erwiderte:

„Ganz genau kann ich das nicht beantworten, aber Carlo ist verunsichert. Er weiß nicht, wie sich Tim gerade zu ihm stellt. Carlo möchte Tim als besten Freund nicht verlieren, aber Tim macht zurzeit sehr viel mit Raphael und ich glaube, dass Carlo damit Probleme hat.“

„Danke für das 'Du'. Welche Art von Problemen? Hat er dir gegenüber dazu etwas gesagt?“

„Nein, nicht direkt. Das wäre auch nicht seine Art. Er spricht solche Dinge immer indirekt an. Er würde uns gegenüber niemals sagen, dass im Team etwas nicht korrekt wäre. Dennoch fühlt er sich im Moment unwohl.“

„Das glaube ich sogar. Ich empfinde es ähnlich. Obwohl sich faktisch an Carlos Situation nichts verändert hat. Außer dass Raphael immer wieder versucht, mit Tim in Kontakt zu kommen. Und Tim das sogar auch erwidert. Ich habe eine ganz vage Vermutung.“

Sie hörte gespannt meinen Ausführungen zu.

„Ich glaube nämlich, sowohl Tim als auch Carlo haben bemerkt, wie sehr sie sich gegenseitig brauchen. Jetzt ist aber Raphael in Tims Nähe gekommen und Raphael hat deutlich weniger Berührungsängste als Carlo. Denn Carlo hat früher schon einige Male versucht Tim näher zu kommen. Das hatte Tim bisher immer klar abgelehnt. Und jetzt hat Tim für sich entdeckt, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn man einen Jungen nett findet. Das hat er mit Raphael ausprobieren können. Raphael wird bald wieder nach Mallorca zurück gehen, Carlo wird Tim immer als Freund erhalten bleiben. Allerdings sollte Carlo mit Tim sprechen. Er sollte Tim zu verstehen geben, dass er sich von ihm gerade ungerecht behandelt fühlt.“

Sabine schaute mich an und dann fing sie plötzlich an zu lachen. Marc schüttelte irritiert seinen Kopf und fragte:

„Warum lachst du jetzt? Ich glaube, für Carlo ist das im Moment überhaupt nicht witzig.“

„Entschuldige Schatz, aber mir ist gerade etwas klar geworden. Und ich glaube, Chris hat es schon lange erkannt. Er wollte jetzt nur eine Bestätigung.“

„Mama, kannst du mal aufhören in Rätseln zu sprechen. Ich verstehe gerade nur Bahnhof.“

Ich blickte in das Gesicht von Carlos Mama, die mich freundlich anschaute und mir zunickte.

„Nun“, mischte ich mich ein, „ich habe vor einiger Zeit schon gedacht, dass es Carlo ganz recht gewesen wäre, wenn sich Tim genauso zu ihm hingezogen fühlen würde wie Carlo zu Tim. Tim hat aber bislang nicht dazu stehen können, dass er Carlo sehr mag. Sie sind beide noch sehr jung und suchen nach ihrer Position im Leben. Jetzt tauchte Raphael auf, der ganz offen mit seiner Homosexualität umgeht und Tim mehrfach offen angeflirtet hat. Das hat Tim irritiert und Carlo ein wenig eifersüchtig gemacht. Ganz banal gesagt, Tim hat vermutlich seine Position gefunden und ich glaube, wenn Raphael wieder nach Spanien zurückgeht, dann wird sich Tim sehr schnell wieder mit Carlo zusammentun. Und dieses Mal wohl recht eindeutig. Tim hat sich entschieden und im Grunde zeigt er Carlo das auch. Ich glaube, ich weiß was zu tun ist. Denn was Tim gerade macht, ist nicht besonders klug bzw. rücksichtsvoll und tut Carlo weh. Und das wird Tim gar nicht wollen.“

Carlos Mama schaute mich an, Sabine fing erneut an zu lächeln und jetzt hatte es auch Luc begriffen. Spontan sagte er:

„Ha, jetzt habe ich es begriffen. Carlo möchte Tim wieder mehr für sich haben und Tim hat geschnallt, dass er auch auf Jungs steht. Jetzt ist nur noch Raphael dazwischen, der Tim die Augen geöffnet hat und ihm die Angst nimmt, sich doch auf Carlo mehr einzulassen.“

„Haben sie darüber mit Carlo schon einmal sprechen können?“, fragte ich seine Mutter.

„Nein, Chris. Leider nicht so wie ich es gerne getan hätte, aber für mich als Mutter ist mir schon vor einigen Wochen bewusst geworden, dass Carlo Tim sehr mag. Und um das klar zu sagen, mein Mann und ich hätten damit überhaupt kein Problem. Es wäre nur bitter, wenn Tim unserem Sohn jetzt unnötig weh tut, ohne es zu wissen. Ich würde es daher begrüßen, wenn Chris mit Tim und Carlo einmal sprechen würde.“

Es war beeindruckend wie deutlich die Mama von Carlo diese Konstellation sehen konnte und dabei noch voll hinter Tim stand. Sie hatte Verständnis für sein Handeln.

„Vielen Dank für Ihre Einschätzungen. Sobald es die Situation ermöglicht, werde ich zuerst mit Carlo sprechen. Dann schauen wir mal, was wir als nächstes machen sollten. Es ist aber für mich beruhigend zu wissen, dass sie als Eltern weiterhin hinter ihrem Sohn stehen.“

Wieder eine neue Baustelle, die es alsbald abzuarbeiten galt. Und das sollte ich übernehmen und nicht Marco zuschieben. Ich sollte es aber mit Marco besprechen. Mal abwarten, wie sich das Turnier jetzt entwickelte.

Fynn: Die neue Aufgabe stresst ganz schön

„Los, spielt den Ball etwas mehr cross in die Ecken und noch einmal Gas geben!“

Ich hatte mir einen Trainingsplatz geben lassen und stand mit Simon und Mattes auf Platz zehn. Dustin wollte mit Zino und Lars trainieren. Sie waren etwas später angekommen und standen deshalb auch noch nicht unmittelbar für ein Abschlusstraining bereit.

Ich hatte meine Gäste bereits eine halbe Stunde über den Platz gescheucht und wollte jetzt noch einen kurzen Satz spielen lassen, als plötzlich Chris mit John und Marc an unseren Platz kam.

Simon und Mattes wussten natürlich noch nicht, dass wir so prominenten Besuch hatten. Chris blieb einige Meter vom Platz entfernt und schien Marc etwas zu erklären. Simon und Mattes hatten glücklicherweise noch keine Gelegenheit zu erkennen, wer da an ihrem Platz stand. Daher beschäftigte ich sie einfach und so konnten wir auch ungestört weitermachen.

Eine halbe Stunde später hatte ich beide unter die Dusche geschickt und saß bei meinem Schatz am Platz. Zino und Lars hatten mich begrüßt und die Stimmung war wieder sehr locker.

Plötzlich tauchte Tim bei uns auf.

„Hallo Fynn, kann ich dich um einen Gefallen bitten?“

„Hi Tim. Was liegt an? Wobei kann ich dir helfen?“

„Mir sind schon zwei Saiten gerissen und ich habe nur noch einen Schläger. Kannst du mir vielleicht einen von deinen Rackets geben? Ich habe meine schon abgegeben, aber das dauert noch etwas, da recht viel zu tun ist.“

„Klar, kein Problem. Aber du weißt, dass ich etwas härter besaite. Also nicht wundern. Die Schläger sind in meiner Tasche. Sie steht auf der Terrasse.“

„Cool, danke schön. Ich brauche ihn auch nur für den Fall, dass meiner kaputt gehen sollte.“

„Kein Problem. Ich brauche ihn heute nicht mehr. Du kannst ihn also bis heute Abend behalten. Nur morgen brauche ich ihn zurück.“

Tim bestätigte das und bedankte sich ein zweites Mal. Danach schaute er noch einen Moment bei Dustins Gruppe zu.

„Sieht ganz gut aus, was die Beiden da machen. Zino schätze ich etwas besser ein als Lars. Lars macht einen zu verkrampften Eindruck“, merkte Tim an.

„Das sehe ich genauso. Was macht ihr heute noch?“

„Wir spielen noch einen Satz und dann machen wir Schluss für heute. Wollen wir unsere Gäste vielleicht noch an die Kletterwand einladen?“, fragte Tim.

„Coole Idee, aber wer soll uns da beim Sichern helfen? Vielleicht wäre es besser, wir machen gemeinsam etwas ohne dass wir Hilfe benötigen. Wir könnten ne Runde bowlen gehen. Das haben wir schon ewig nicht mehr gemacht.“

„Au ja. Das ist cool. Wir sollten gemeinsam essen und dann anschließend los.“

„Ich bleibe hier noch etwas bei Dustin, melde Zino und Lars bei Martina zum Abendessen an und du bestellst die Bowlingbahn. Okay?“

„Deal, so machen wir das. Das wird bestimmt cool.“

Tim hielt mir die Hand hin und ich schlug ein. Als er wieder ging, dachte ich einen Augenblick darüber nach wie sehr sich Tim positiv verändert hatte.

Immer noch konnte ich Chris mit Marc und John auf der Wiese stehen sehen. Sie schauten sich das Geschehen auf der Anlage an. Morgen würde das Turnier beginnen und ich war schon ein wenig nervös. Auch weil morgen der Aids-Test mit Patrick sein würde.

Lars und Zino machten einen guten Eindruck beim Training. Für reine Freizeitspieler waren sie gut. Hier wäre vielleicht das Erreichen der zweiten Runde möglich und dann mal schauen. Zino musste schon bei der U18 Konkurrenz mitspielen. Lars konnte noch U16 spielen. Beides waren gut besetzte Klassen.

Mattes und Simon spielten noch in der U14 Klasse und da war wirklich alles vertreten. Vom reinen Hobbyspieler bis zum richtigen Talent. Entsprechend groß war das Feld. Aber das war ja auch vom Team so gewollt. Mattes und Simon kamen nach der Dusche noch mit nassen Haaren zu mir an die Bank.

„Hey, ihr solltet euch die Haare föhnen. Wenn ihr hier krank werdet, wäre das richtig blöd.“

„Boah, Fynn. Du hörst dich schon genauso an wie meine Mutter“, stöhnte Mattes.

Simon blieb ruhig. Ich überlegte, wie würde Chris in dieser Situation reagieren?

„Mütter haben manchmal auch Recht mit ihrer Sorge. Also geht ihr jetzt Haare föhnen und zwar direkt. Darüber diskutiere ich auch nicht mit euch.“

Aber mein Herzschlag raste. Wie würden sie reagieren und was würde ich dann machen?? - Es gab keine weitere Diskussion. Simon zog seinen Freund am Arm und sie marschierten ohne weiteren Protest ab. Allerdings konnte ich erkennen, dass Simon seinem Freund einige Dinge recht energisch erklärte. Für mich war das eine komische und ungewohnte Situation.

Während dieser Situation hatte ich gar nicht bemerkt, dass Chris mit Marc und John zu mir gekommen waren. Chris fragte mich:

„Na, wie läuft es bei euch? Hast du alles im Griff?“

„Ah, hi Chris. Auf dem Platz läuft es gut. Aber mit manchen Sachen habe ich so meine Schwierigkeiten. So wie eben gerade.“

„Was war denn? Ich habe nur gesehen, dass du Simon und Mattes weggeschickt hast.“

„Ja, sie kamen vom Duschen mit klatschnassen Haaren. Da habe ich gesagt, dass ich das anders möchte.“

„Das war sicher richtig. Sehr gut. Wo ist das Problem?“

„Naja, ich fühle mich halt komisch. So eine klare Ansage zu machen bin ich nicht gewohnt. Was hätte ich jetzt gemacht, wenn sie sich geweigert hätten?“

„Ah ja, ich verstehe. Genau darum geht es aber auch in der für euch neuen Situation. Denn dann wird es euch noch leichter fallen, meine Entscheidungen besser zu verstehen. Jetzt habt ihr nicht mehr nur für euch Verantwortung. Aber ein Hinweis von mir, wenn du in einer anderen Situation nicht weiter wissen solltest oder mit deiner Autorität an Grenzen stößt, zögere nicht mich zu Hilfe zu holen. Ihr müsst hier nicht alleinige Verantwortung tragen. Ich finde es aber toll, wie du das wahr nimmst. Das ist die beste Voraussetzung für gute Entscheidungen. Und schick sie ruhig zu mir, wenn du glaubst, dass bei einer Situation noch Nachbesserungsbedarf gibt. Ich werde euch immer unterstützen. Genau wie alle anderen Trainer. Sprecht Marco, Toto oder auch Burghard an.“

„Danke.“

Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass Chris erneut seine Erwartungshaltung erklärt hatte. Damit konnte ich gut leben.

„Seid ihr für morgen gut drauf?“, fragte mich Chris.

„Ja, ich denke schon. Die Favoritenrolle haben wir schon ja bereits einmal in Lübeck gehabt. Sollte hier ähnlich werden, nur dass hier alle Augen auf uns schauen werden. Aber ich will eine gute Leistung zeigen. Wir haben hart und gut gearbeitet. Daran wird es nicht liegen.“

„Falscher Schluss. Das wird euch den Vorteil bringen, weil ihr hart und gut gearbeitet habt“, erwiderte Marc sofort. Chris musste lachen. Was sollte ich jetzt noch sagen. Ich zuckte mit den Schultern und ließ es so stehen, schaute Chris aber fragend an. Der machte jedoch keinerlei Anstalten dazu etwas zu sagen. Er zwinkerte mir lediglich zu. John hatte sich aus dem Gespräch völlig herausgehalten.

„Dann macht euch mal einen netten Abend. Was habt ihr mit Luc und Stef heute noch vor?“, fragte er.

„Wir haben gerade die Idee besprochen, heute Abend ne Runde bowlen zu gehen. Und zwar mit allen zusammen. Das wird sicher lustig.“

„Oh ja, allerdings“, lachte Chris und wünschte uns viel Spaß.

Er wollte sich mit Marc und Sabine einen netten Abend machen. Ich bekam noch die Erinnerung an die Eröffnungsveranstaltung morgen und dann ließen sie mich mit Dustin und unseren Gästen allein zurück.

Dustin machte ebenfalls kurz darauf Feierabend und schickte Lars und Zino zum Duschen. Bevor ich ihm beim Wegräumen der Trainerutensilien half, bekam er aber einen Kuss.

„Hmm, das hat mir gefehlt. Ich möchte noch Nachschlag haben“, grinste Dustin und legte mit einer festen Umarmung und einem weiteren Kuss nach.

Wir waren dabei allerdings so abgelenkt, dass wir nicht bemerkten, dass uns Simon und Mattes beobachteten. Sie hatten sich die Haare geföhnt und waren zurückgekommen.

„Ups, sorry. Wir haben euch nicht bemerkt“, meinte Dustin.

„Hey, kein Problem. Wir wollten auch nicht stören, aber wie geht es denn heute weiter? Wir haben noch keinen Plan was jetzt passiert.“

„Ich gehe duschen und Fynn wird euch erklären was wir geplant haben. Es wird euch nicht langweilig werden, hihihi.“

Mein Schatz hatte heute echt den Schalk im Nacken. Mir gefiel das gut. Auch mal albern sein können. Das fühlte sich gut an. Mattes schien damit noch leichte Schwierigkeiten zu haben. Er meinte, nachdem Dustin zum Duschen gegangen war:

„Ist Dustin jetzt sauer, dass wir euch gestört hatten?“

„Quatsch, wie kommst du denn darauf? Alles gut. Wir wissen nur schon, was für ein Abendprogramm angesagt ist. Und das wird nicht langweilig werden. Wir gehen jetzt zum Essen in die WG. Da erklären wir dann, was wir heute noch machen wollen. Wir haben nämlich auch Besuch aus der Schweiz bekommen und den habt ihr noch nicht kennengelernt. Das machen wir dann beim Essen.“

Je mehr ich jetzt an das gemeinsame Essen dachte, desto weniger konnte ich mir vorstellen, wie wir in der WG alle entsprechend Platz haben würden. Martina hatte uns aber auch nichts gesagt, ob und wie wir bei den Vorbereitungen helfen könnten. Hoffentlich würde das alles klappen.

Dass meine Sorgen unbegründet waren, zeigte sich spätestens, als wir mit unseren Gästen den Garten bevölkerten. Dort stand eine lange Tafel aus Bierzelttischen und Martina hatte wie immer alles bestens im Griff. Wir brauchten nur noch die Sachen auf den Tisch zu stellen und Platz zu nehmen.

Das erstaunlichste aber war die Ruhe beim Essen am Tisch. Es wurde kaum gesprochen und erst als Martina anschließend die Frage stellte:

„Möchte noch jemand ein Eis als Nachtisch?“, kam Leben in den Garten.

Natürlich schnellten alle Hände in die Luft und Martina lachte.

„Ich wusste doch, wie ich euch bestechen kann. Aber einer muss in den Keller gehen und die Kiste Magnum aus der Truhe holen. Die anderen nehmen bitte schon etwas mit ins Haus.“

Tim holte das Eis und wir anderen räumten ab. Schön fand ich, dass unsere Gäste alle unaufgefordert mithalfen. So brauchte jeder nur einmal etwas mitzunehmen. Tim hatte den Karton geöffnet auf den Tisch gestellt, so dass sich jeder ein Eis herausnehmen konnte.

Ich nutzte die Stille, um meinen Plan für den Abend zu erklären. Und es gab nur Zustimmung. Spannend empfand ich die Situation mit Luc und Stef. Bislang hatte von unseren Gästen noch niemand Luc mit Marc in Verbindung gebracht. Auch nicht, als sich Mattes und Simon darüber unterhielten. Simon hatte Marc schon am Platz schon erkannt und Mattes wollte das nicht glauben.

Auf dem Weg zum Bowling gab es dann noch eine kuriose Situation: Simon hatte Luc wohl neben seinem Vater stehen sehen und ihn gefragt, ob er eigentlich wüsste, wer da neben ihm stehen würde. Stef schaute für einen Moment total irritiert, spielte erkennend aber dann das Spiel sofort mit. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht anzufangen zu lachen. Luc regelte das ganz cool auf seine Weise. Er stellte sich nämlich unwissend und sagte dazu:

„Ganz ehrlich, selbst wenn ich es bemerkt hätte, es wäre mir ziemlich egal. Ich habe mich gut mit ihm unterhalten und Chris hat sich auch völlig normal verhalten. Von daher habe ich gar nicht darauf geachtet.“

Simons Reaktion war herrlich:

„Boah, ich würde komplett ausflippen. Marc ist mein Motorsport-Held. Hoffentlich ist er morgen auch noch auf der Anlage. Dann frage ich um ein Autogramm.“

„Das machst du auf gar keinen Fall“, korrigierte ihn Dustin sofort, „bei uns auf der Anlage werden Gäste nicht um Autogramme gefragt. Schon gar nicht von unseren Spielern.“

Simon zuckte zusammen und fing an zu maulen. Da tat er mir schon ein wenig leid. Aber er wollte sich daran halten, als Dustin ihm dann auch noch den Grund erklärt hatte, weshalb Marc bei uns zu Gast sei.

„Okay, aber ich hätte trotzdem schon gerne ein Autogramm von ihm. Aber ich kann das verstehen, dass er vermutlich ständig gefragt wird. Das ist bestimmt nervig.“

Luc und Stef gingen die ganze Zeit neben uns und bekamen das natürlich alles mit. Luc musste sich sehr zurücknehmen. Alle aus unserem Team spielten das Spiel mit. Es war richtig lustig. Gut, dass wir bald am Bowlingcenter ankamen, dann waren wieder andere Themen gefragt.

Chris: Ein hektisches Wochenende

Heute sollte das Turnier starten und entsprechend früh war die Teambesprechung um neun Uhr angesetzt. Training fand auf keinem Platz mehr statt.

Als ich um kurz nach halb neun auf den Parkplatz fuhr, standen nur zwei Autos dort. Die Pagode von Jan und Thorstens Auto.

Ich nahm meine Tasche mit den Unterlagen und dem Laptop und marschierte direkt ins Clubhaus. Auffallend waren die vielen Zelte auf der Wiese hinter dem Clubhaus. Ein paar Wohnmobile parkten auf dem Außenparkplatz. Auch dort standen noch einige Zelte. Unsere Crew war bereits mit den letzten Aufbauarbeiten beschäftigt. Auch die Stände der DKMS und der AIDS Stiftung waren bereits an ihren Plätzen. Dort kümmerten sich die Mitarbeiter der Stiftungen um den perfekten Aufbau.

„Hi Chris, schön dass du bereits da bist. Möchtest du auch einen Latte Macchiato?“, fragte mich Jan.

„Guten Morgen zusammen, ja sehr gern. Wo treffen wir uns gleich? Im Besprechungszimmer ist ja jetzt die Turnierleitung untergebracht.“

„Richtig, wir setzen uns einfach im Clubraum zusammen. Später wird Thorstens Büro dafür herhalten, aber wir sind nur jetzt noch einmal in der großen Runde zusammen. Hoffentlich jedenfalls.“

Erstaunt fragte ich meinen Bruder:

„Bist du das ganze Turnier hier? Ich dachte, du bist unterwegs.“

Ich war meinem Bruder an die Theke gefolgt und nahm dort meine Latte in Empfang.

„Nein, ich bin nicht die ganze Zeit anwesend. Nur heute zur Eröffnung. Ich fahre nachher noch nach Bremen.“

Thorsten saß bereits am großen Tisch im Clubraum und telefonierte. Er winkte mich an den Tisch, bat mich aber, eine Sekunde zu warten, während er das Telefonat beendete.

„Guten Morgen Chris, alles im Lot bei dir? Wie sind die Jungs drauf?“

„Hi Thorsten, gestern beim Abschlusstraining war noch alles gut. Mal sehen, wie sie den Abend überlebt haben.“

„Hahaha, sehr gut. Dann bin ich ja beruhigt. Pass auf, Marc kommt auch gleich zu unserer Besprechung. Deine großen Jungs haben heute alle in der ersten Runde ein Freilos. Das heißt, sie spielen erst heute Abend ihr erstes Match. Du hast sie ja mit anderen Aufgaben betraut. Brauchst du da noch Unterstützung oder klappt das so?“

„Nein, das sollte alles laufen. Marco ist doch auch noch da. Hast du noch etwas für mich, oder weshalb fragst du?“

„Nicht direkt, aber ich würde dich gerne bitten, bei den U12 und U14 Konkurrenzen genauer zu schauen. Dort könnten für uns ein paar interessante Spieler dabei sein. Du hast heute am meisten Zeit dafür. Schau dich bitte einmal um und vielleicht fällt dir ja jemand ins Auge.“

„In Ordnung. Spielt Joel eigentlich auch mit?“

„Ja, genau deshalb sollst du dich bitte da auch etwas umschauen. Wie verhält er sich, wenn er allein spielt. Marco ist sehr positiv, was seine Entwicklung betrifft.“

Ich nickte und dann ging ich noch einmal an die frische Luft. Ich schlenderte über die Anlage und plötzlich hörte ich jemanden sagen:

„Guten Morgen Chris. Schon so früh auf der Anlage. Sind Dustin und Fynn auch schon hier?“

Ich schaute mich um und dann sah ich Zino vor einem Zelt stehen.

„Guten Morgen Zino. Nein, die schlafen wohl noch. Sie müssen auch noch nicht spielen. Bist du heute schon früh dran?“

„Ja, gleich die erste Spielrunde. Ich möchte mich gleich richtig einschlagen und hoffe, dass ich gut spielen kann.“

„Oha, bist du gestern mit den anderen zum Bowling mitgegangen oder bist du früh im Bett gewesen?“

„Doch, zum Bowling war ich noch mit. Lars und ich sind aber danach dann zurück. Die anderen haben noch in der WG zusammengesessen. Das wurde uns aber zu spät.“

„Kluge Entscheidung. Ich hoffe sehr, dass meine Jungs sich ihrer Verantwortung bewusst waren und es keine Nachtsession bis heute früh wurde.“

Zino wurde jetzt bewusst, dass seine Aussage für seine Freunde von Nachteil sein könnte. Er schwieg etwas betroffen.

Ich schaute ihn an und musste einfach lachen.

„Hey, alles gut. Es ist doch nicht deine Verantwortung, was die anderen gemacht haben. Und wenn sie zu lange Party gemacht haben sollten, werde ich es gleich auf dem Platz sehen. Schauen wir mal. Und keine Sorge, ich weiß, wie ich mit deiner Information umgehen muss. Macht einfach euer Ding und zeigt was ihr könnt. Ich wünsche euch jedenfalls ein gutes Turnier.“

Ich verabschiedete mich von ihm. Die Teambesprechung stand für mich an.

„Guten Morgen allerseits, ich hoffe, es sind alle an Bord und wir können starten.“

Jan hatte die Begrüßung gemacht und danach an Thorsten übergeben. Der fuhr mit dem Briefing fort.

„So, Leute. Heute wird es wieder einmal ernst mit dem Sparkassen Cup. Wie ihr schon bemerkt habt, in diesem Jahr haben wir deutlich mehr auswärtige Spieler. Von daher seid bitte aufmerksam und unterstützt die Turnierleitung bei Fragen oder Unklarheiten. Marco, Toto, Lennart, Jan und Chris werden mit Maxi die „Outdoor” Arbeit leisten. Der Rest sitzt in der Turnierleitung. So bald als möglich, stellt eure Berichte und Beobachtungen in unser 'Team-Tool' ein. Dann können alle mitlesen und auch ein Auge auf die interessanten Spieler haben. Chris hat unsere großen Jungs, also Justin, Dustin und Fynn ebenfalls mit Coaching- Aufgaben betraut. Seid bitte für diese drei besonders ansprechbar. Chris kann nicht überall sein. Wir starten das Turnier mit den Klassen U12 und U14, um 17Uhr beginnt die offizielle Eröffnung. Deshalb bitte ich alle aus dem Team, sich um 16:30 auf die Tribüne von Center eins einzufinden. Von dort geht es dann zur Bühne und Gerry Weber wird die offizielle Eröffnung vornehmen. Im Anschluss werden die DKMS und die AIDS Stiftung ihre Aktionen vorstellen und dann kommt noch zum Abschluss Marc hinzu, der seine Schirmherrschaft erklären wird. Bis hierher Fragen?“

Allgemeines Kopfschütteln und Schweigen zeigte an, dass dem nicht so war.

„Sehr schön. Dann schlage ich vor, wir lösen jetzt unser Treffen hier auf und sehen zu, dass wir ein tolles Event haben. Das Wetter wird sich von der guten Seite zeigen.“

Nachdem alle den Raum verlassen hatten, stand ich auf der Terrasse und staunte nicht schlecht. Obwohl es noch recht früh war und kein reguläres Training angesetzt war, spielte Justin mit Sergio auf Platz vier. Da ging ich jetzt hin. Von den anderen war noch nichts zu sehen.

Justin hatte mich sofort entdeckt und als ich am Platz stand, unterbrach er den Ballwechsel und kam zu mir. Sergio kam ebenfalls hinzu und beide begrüßten mich.

„Wo hast du denn Marcelo gelassen? Raphael und Jaime werden wohl noch schlafen, hihihi“, fragte ich Sergio.

„Ja, es war spät geworden nach dem Bowling und die anderen pennen alle noch. Ich wollte aber noch einmal ein paar Bälle schlagen und Justin hatte auch Bewegungsdrang.“

„Sehr gut. Das gefällt mir. Ich möchte euch nicht länger aufhalten. Oder gibt es noch etwas, Justin?“

„Naja, vielleicht nur, also….“

„Ja?“

„Es war sehr spät gestern, aber wir haben keinen Alkohol getrunken. Nur wurde es wirklich spät. Zu spät.“

„Wie spät? Und auch mit den jüngeren Gästen?“

„Halb zwei und ja auch mit Simon, Mattes und Raphael.“

„Gut, danke. Justin. Ich bin froh, dass du mir vertraust. Sei dir sicher, ich werde angemessen damit umgehen. Ich denke, alle werden heute merken, dass das keine gute Idee war. Aber darüber werde ich mit Fynn und Dustin sprechen. Wie lange werdet ihr noch spielen? Ich würde gern mit dir sprechen bevor ich mit den anderen rede.“

„Wir können auch sofort aufhören. Ich möchte das aus der Welt haben. So kann ich mich eh nicht mehr richtig konzentrieren.“

„Gut, dann geht duschen und wir treffen uns im Clubhaus. Sergio, du musst dir keinen Vorwurf machen. Du bist hier Gast und außerdem erwachsen. Auch bist du bereits mit Justin auf den Platz gegangen. Wir sehen uns heute Nachmittag.“

Ich drehte mich um und verließ den Platz. Es gab einiges zu besprechen mit meinen Jungs.

Während des Wartens auf Justin tauchte Marc mit Sabine bei mir auf. Sie setzten sich zu mir an den Tisch und Marc fragte mich:

„Hi Chris, könntest du mir jemanden zum Spielen organisieren? Eigentlich wollte Luc mit mir spielen, aber den habe ich heute noch nicht gesehen. Ich nehme an, dass er erst spät ins Bett gekommen ist.“

„Hallo ihr beiden. Für wann hattet ihr euch denn verabredet?“

„Wir hatten keine konkrete Zeit abgesprochen, aber es sollte ja vor dreizehn Uhr sein, damit die Crew die Plätze noch wieder herrichten kann. Vierzehn Uhr soll ja Beginn der ersten Spiele sein.“

„Alles klar, kein Problem. Ich habe jetzt noch ein Gespräch mit Justin und kümmere mich dann um dein Anliegen. Sagen wir in einer Stunde kannst du herkommen. Dann wirst du einen Spielpartner bekommen.“

Marc nickte und wollte schon aufstehen, aber Sabine machte keine Anstalten ihm zu folgen. Sie schaute mich an und bemerkte:

„Was ist vorgefallen? Du wirkst verärgert. Sind die Jungs zu lange unterwegs gewesen?“

„Ich kann dir die Frage nicht beantworten, da ich noch nicht genug Informationen habe. Deshalb wollte ich mit Justin jetzt sprechen. Er war als einziger mit Sergio zur normalen Zeit auf dem Platz.“

„Oh, ich verstehe. Sollten Luc und Stef daran beteiligt gewesen sein, möchte ich dich bitten es uns zu sagen. Nimm bitte keine besondere Rücksicht auf Luc und Stef. Wenn sie Mist gemacht haben, müssen sie dafür auch geradestehen.“

Ich nickte ihr zu und anschließend verabschiedeten sie sich. Marc bestätigte noch einmal eine Stunde später wieder am Platz zu sein.

Gerade, als beide gegangen waren, tauchte Justin bei mir auf. Er hatte Marc und Sabine noch gesehen und fragte:

„Hat Marc etwas zu gestern gesagt?“

„Nein, und selbst wenn, ich würde dir jetzt sicher nichts dazu sagen. Erst möchte ich von dir etwas zu dem Abend hören.“

„Jaja, ich habe schon verstanden. Wenn Papa rausbekommt, dass ich daran beteiligt war, bekomme ich richtig Zoff. Da habe ich echt keinen Bock drauf.“

Justin berichtete mir dann von dem eigentlich lustigen und vollkommen harmonischen Abend. Bis zu dem Moment wo Tim, Carlo und Raphael sich um halb eins ins Bett verabschiedeten. Mattes und Simon wollten ebenfalls ins Bett, aber da sie bei Fynn und Dustin schliefen, war das praktisch nicht möglich. Da fragte ich nach:

„Haben Dustin und Fynn die beiden jetzt ernsthaft nicht zur Ruhe kommen lassen?“

„Naja, schon. Aber sie mussten sie mit Sicherheit später nochmal stören, denn wir sind in den Keller gegangen und haben dort noch zusammen gesessen. Also dürfte die Nacht für Mattes uns Simon etwas unruhig geworden sein.“

Ich nickte nur und ließ Justin weiter erzählen.

Es war zumindest kein Alkohol im Spiel, wurde aber jedenfalls sehr spät bzw. früh, bis sich das Treffen auflöste. Luc und Stef sind dann mit Dustin und Fynns Rädern ins Hotel gefahren und Dustin, Fynn und Justin waren wohl erst gegen halb drei in der Früh im Bett.

„Gut, und du bist dann mit Sergio zum Platz gefahren und hast trainiert. Im Gegensatz zu der anderen Bande.“

Er nickte. Ich spürte meinen Ärger immer stärker. Vor allem hatte ich von den Jungs immer noch nichts gesehen und das Turnier sollte bald beginnen. Wann wollten sie die Matchvorbereitung mit ihren Spielern machen? Daher beschloss ich, direkt in die WG zu fahren. Ich bedankte mich bei Justin und spürte aber auch seine Sorge.

„Was wirst du jetzt tun? Ich meine, sie werden sich denken können, dass ich dir berichtet habe.“

„Das können sie ruhig wissen. Ich habe dich hier auf dem Platz getroffen, dich befragt und du hast korrekt und wahrheitsgemäß geantwortet. Also ein völlig korrektes Verhalten von dir. Und im Gegensatz zu ihnen bist du zum Training auf den Platz gegangen. Ich glaube, sie sollten einfach den Ball ganz flach halten und zusehen, dass sie in die Pötte kommen. Heute ist ein denkbar schlechter Zeitpunkt, um meine Gelassenheit auszutesten.“

Ich beendete das Gespräch mit Justin und bat ihn, sich bis um 13 Uhr mit seiner Familie zu beschäftigen und gemeinsam mit ihnen Mittag zu essen. Bis dahin würde ich das Geschehen in der WG geklärt haben.

Bevor ich dazu kam, hatte ich noch für Marc einen Trainingspartner zu organisieren. Ich entschied mich, erneut Lennart zu bitten, mit ihm eine Einheit zu spielen. Sie kannten sich bereits und da wäre es am einfachsten.

Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es bereits kurz nach elf Uhr war. Meine Geduld war am Ende. Ich stieg ins Auto und fuhr ziemlich geladen in die WG.

Als ich dort eintraf, war noch ziemliche Ruhe im Haus. Zuerst verschaffte ich mir einen Überblick. Martina war noch den Wocheneinkauf machen und nur Tim, Carlo und ihre beiden Gäste, Raphael und Jaime, saßen in der Küche beim Frühstück. Tim erschrak förmlich als ich die Küche betrat.

„Chris? Was machst du denn hier? Ist etwas passiert?“, fragte er besorgt.

„Guten Morgen erst einmal. Wo ist der Rest der Truppe? Was ist mit Dustin und Fynn? Wo sind Mattes und Simon?“

Carlo und Tim schauten sich an und da wusste ich genau, dass sie noch nicht wach waren. Ich drehte mich um und ging zu Dustin und Fynn. Klopfte an die Tür und als ich keine Antwort erhielt, öffnete ich sie.

Simon und Mattes lagen beide noch tief schlafend auf der Couch und Dustin und Fynn vermutlich ebenso noch in ihrem Bett.

„Hallo? Jemand zu Hause?“, fragte ich laut.

Ich wollte bei den Jungs nicht noch ins Schlafzimmer gehen. Simon und Mattes wurden jetzt wach und auch nebenan tat sich etwas.

Einige Augenblicke später öffnete sich die Tür und Dustin stand mit ganz kleinen Augen im Wohnzimmer. Jetzt realisierte er allerdings die Situation und reagierte blitzschnell:

„Schatz, ich glaube, du solltest besser sofort aufstehen. Chris ist hier und wir haben wohl komplett verpennt.“

Ich hörte nur noch:

„Was? Wie spät ist es? Oh, scheiße. Das gibt Ärger.“

Ich sagte kurz:

„Ihr habt zehn Minuten, dann möchte ich euch in der Küche sehen. Und zwar allein.“

Danach verließ ich ihr Appartement und ging zurück in die Küche. Dort räumten die vier gerade ihre Frühstückssachen zusammen.

Tim traute sich nicht mich zu fragen, aber er schien zu ahnen, dass meine Stimmung leicht gereizt war. Carlo meinte:

„Du bist richtig sauer. Haben sie einen Termin verpennt? Oder was ist los?“

„Ja, das kann man so sagen. Ich denke, es ist besser für euch, wenn ihr jetzt eure Sachen packt und zur Anlage fahrt. Ich komme auch gleich, wenn ich hier fertig bin.“

Sie bestätigten mir das und nachdem mir auch Simon und Mattes im Wesentlichen bestätigt hatten, was mir Justin schon berichtet hatte, wünschte ich ihnen viel Spaß.

Um das klarzustellen. Ich war nicht sauer über die Tatsache, dass sie heute früh nicht auf dem Platz waren. Es war kein offizielles Training angesetzt, aber das entsprach dennoch nicht einer professionellen Einstellung, insbesondere, wenn sie Besuch hatten, erwartete ich, dass sie rechtzeitig im Bett sind und vor allem die anderen nicht darunter zu leiden hatten. Von der Matchvorbereitung mit ihren „Schützlingen“ ganz zu schweigen.

Außerdem war das eine Sache, die wir bereits in der Vergangenheit besprochen hatten.

Entsprechend still setzten sich die beiden zu mir an den Tisch. Ohne sich um ihr Frühstück zu kümmern.

„Wollt ihr euch kein Frühstück machen?“

„Doch, aber du hast doch bestimmt noch anderes zu tun und wir können das gleich noch machen“, erwiderte Fynn.

„Nein, ihr solltet jetzt direkt frühstücken. So viel Zeit habt ihr nämlich nicht mehr. Wann wollt ihr denn die Matchvorbereitung mit euren Jungs machen?“

An dieser Stelle spürte ich, dass sie keinerlei Erfahrung in Struktur und Organisation für andere Umstände außer den eigenen hatten.

Sie machten sich jetzt ein Müsli und als sie nach wenigen Minuten wieder am Tisch saßen, hatte ich mich schon wieder etwas beruhigt. Was sie zum Frühstück aßen war vorbildlich.

„Also, ist es ausnahmsweise mal in Ordnung, wenn ich schon anfange? Ich muss nämlich zügig wieder auf die Anlage zurück.“

„Ja, das ist schon okay. Wir haben ja schließlich dafür gesorgt, dass du herkommen musstest“, erwiderte Dustin.

„Allerdings“, startete ich. „Wir müssen noch einmal über bestimmte Dinge sprechen. Ihr seid jetzt in der Rolle eines Trainers und habt die Aufgabe, eure Spieler optimal vorzubereiten. Das heißt aber nicht, dass ihr eure eigene Situation als angehende Profisportler aus den Augen verlieren solltet. Ich kann verstehen, dass ihr mit Luc und Stef die Zeit nutzen wollt und ihr euch viel zu erzählen habt. Jetzt sind allerdings auch noch andere Gäste hier und das macht es nicht einfacher. Allerdings bis in den frühen Morgen zu quatschen und dann auch noch zu verpennen, das ist inakzeptabel und unprofessionell. Und es ist kein neues Problem. Das hatten wir schon einmal. Wenn ihr schon die Nachtruhe der Jüngeren stören müsst, dann seid ihr pünktlich und vorbildlich am nächsten Tag. Allerdings möchte ich jetzt zum letzten Mal ansagen müssen, die Nachtruhe von den jüngeren Spielern und Gästen ist uneingeschränkt zu beachten. Ist das so schwer zu begreifen?“

Beide saßen wie begossene Pudel am Tisch. Ich hatte zwar Verständnis für ihre Situation und sie zeigten sonst so viel Disziplin, aber sie mussten auch lernen, dass es Grenzen einzuhalten gilt.

„Nein, Chris. Das ist eigentlich klar und eindeutig“, erklärte Fynn.

„Aber? Warum klappt das dann nicht?“

Beide schaute mich bedröppelt an. Fynn nahm sich ein Herz:

„Es ist für mich manchmal schwierig einzuschätzen, ob dies oder jenes noch geht oder ob ich das besser lassen sollte. Ich hatte nicht geplant, dass wir so lange zusammensitzen würden. Ehrlich. Ich wollte rechtzeitig im Bett sein. Ich weiß auch, dass ausreichend Schlaf für mich wichtig ist. Auch wenn ich gerade kein Turnier spiele. Und was mir wichtig ist, Dustin und ich tragen hier ganz allein die Verantwortung für diese Sache. Bitte sei nicht auf die anderen sauer.“

Für mich war das ehrlich gemeint und daher nickte ich zustimmend. Allerdings hatte ich noch einen weiteren Punkt anzusprechen:

„Gut, damit bin ich einverstanden. Warum konntet ihr dann aber nicht rechtzeitig aufstehen? Meint ihr nicht, dass es besser ist, zeitig auf der Anlage zu sein, sich einzuschlagen und eure Spieler auf die Matches vorzubereiten? Oder mache ich das anders mit euch?“

„Nein“, kam von beiden synchron.

Da musste ich lachen. Da erkannte ich Dustin und Fynn wieder. So liebte ich sie. Entwaffnend offen.

„Okay. Ich möchte euch mit der neuen Situation nicht überfordern. Vielleicht hilft es euch, wenn wir uns jeden Tag um halb neun zur Tagesbesprechung treffen. Und ich muss zugeben, dass ich zu wenig Struktur vorgegeben habe. Ihr seid unerfahren in der Trainerrolle. Lasst uns nach vorne schauen und das gemeinsam besser managen. In einer dreiviertel Stunde möchte ich euch in Teamkleidung auf der Anlage sehen. Dass ihr eure eigenen Sachen dann auch schon dabei haben solltet, dürfte klar sein. Ihr habt keine Zeit, vor euren eigenen Spielen noch einmal in die WG zu fahren. Habt ihr noch Fragen?

„Nein, das ist verstanden, Chris.“

„Gut, des Weiteren erwarte ich von euch ein vorbildliches Verhalten, wie ich das bisher immer von euch gesehen habe. Und kümmert euch auch gleich um Patrick, dass er seinen Test auch wirklich macht und ihr auch.“

„Geht klar. Eine Frage habe ich noch. Dürfen wir uns eigentlich schon bei der DKMS registrieren lassen? Wir sind doch noch keine achtzehn.“

„Ja, dürft ihr. Aber ihr dürft erst mit achtzehn tatsächlich spenden. Bis dahin seid ihr, sozusagen, in Bereitschaft.“

„Okay, danke. Dürfen wir unsere Taschen jetzt packen? Sonst schaffen wir nicht rechtzeitig auf der Anlage zu sein.“

„Ja, das ist in Ordnung. Und noch etwas. Wenn ihr selbst um neun Uhr morgens spielen müsst, dann müsst ihr natürlich entsprechend früher da sein. Das dürfte euch aber wohl klar sein, oder?“

„Ja, das ist natürlich klar. Wenn wir früh spielen müssen, sind wir auch rechtzeitig und ausgeschlafen da. Und ich möchte mich entschuldigen für unsere Schlampigkeit. Ich möchte es besser hinbekommen.“

„Gut, ich akzeptiere die Entschuldigung, erwarte aber auch ein verbessertes Verhalten in Zukunft mit diesen Dingen. Nicht, dass ihr euch das angewöhnt.“

Sie schüttelten ihren Kopf und ich hatte das Gefühl, es war alles gesagt und entließ sie zum Packen ihrer Taschen.

Für mich bedeutete das jetzt, zurück zur Anlage und mit Marco den Ablauf absprechen.

Nachdem ich alle Vorbereitungen und auch mit Marco die notwendigen Absprachen getroffen hatte, stand nun die erste Runde bei der U12 und U14 Konkurrenz an. Ich konnte in Ruhe über die Anlage gehen und beobachten. Von meinen Spielern war niemand dabei. In der U14 spielten allerdings Joel, Simon und Mattes. Dazu kam noch Malte. Marvin musste schon U16 spielen. Genau wie Carlo. Tim hätte noch U14 spielen können, aber U16 war für ihn deutlich interessanter.

Marco hatte etliche bei den U12 Spielen zu betreuen.

Um 14 Uhr war Spielbeginn und ich konnte feststellen, dass meine großen Jungs fleißig mit ihren Schützlingen in Gesprächen waren. Das gefiel mir vom ersten Eindruck gut. Allerdings musste ich mich auch zwingen, mich da nicht einzumischen. Deshalb entschied ich, mir eine Latte zu besorgen und mich auf die Terrasse zu setzen. Von dort ließ sich ein großer Teil der Anlage sehr gut überblicken bzw. konnte ich das Spielgeschehen beobachten.

Es war schon viel los und etliche Eltern wuselten mit ihren Kindern über die Wege zu den Plätzen. Plötzlich tauchte Kristin auf der Terrasse auf.

„Hallo Kristin, möchtest du dich zu mir setzen?“, fragte ich sie.

Sie schaute irritiert, lächelte aber sofort, als sie mich gesehen hatte.

„Hallo Chris, das ist eine Überraschung. Du sitzt auf der Terrasse und nicht am Platz?“

Sie setzte sich zu mir und bestellte sich auch einen Latte Macchiato.

„Bist du noch gar nicht im Einsatz?“, fragte sie mich.

„Doch, natürlich. Aber von hier kann ich sehr gut beobachten und meine Jungs spielen erst heute Abend. Ich darf also einfach nur den anderen zuschauen und berichten was ich sehe. Wie ist die Lage bei euch? Mit Malte ist alles wieder im Lot?“

„Danke, ja. Wir können uns nicht beschweren. Dank deiner Unterstützung hat sich vieles beruhigt und auch mein Mann ist nicht mehr so skeptisch mit Marvin. Malte erzählt auch wieder mehr von seinen Dingen. Du hast einiges bei ihm in Bewegung gebracht. Jetzt sind ja spanische Gäste hier. Davon hat Malte schon erzählt. Er hat sogar einmal mit einem Jungen gespielt. Raphael hieß er, glaube ich. Der ist wohl schon ganz schön gut.“

„Ja, das ist richtig. Raphael ist schon ganz gut für sein Alter. Das freut mich, dass Malte mit Raphael gespielt hat. Ist Malte wieder sehr aufgeregt? Er macht sich immer einen Kopf vor offiziellen Spielen.“

„Oh ja, er ist sehr angespannt. Aber er freut sich auch auf das Turnier. Er hat noch nicht viele Gelegenheiten bekommen sich vor dir zu präsentieren. Ich hoffe nur, dass er nicht zu enttäuscht ist, sollte er schnell verlieren.“

Kristin wirkte ebenso angespannt, aber sie versuchte ruhig zu bleiben.

„Er hat doch überhaupt keinen Druck. Niemand erwartet etwas von ihm - außer vollem Einsatz. Aber ich verstehe was du meinst. Mal schauen, ob ich da etwas unterstützen kann.“

Justin sollte sich um die beiden kümmern. Da würde ich ihm einen Hinweis geben, dass er beiden viel Spaß am Turnier vermitteln sollte und Ergebnisse keine Rolle spielen.

Kristin schaute mit mir über die Anlage und sie hatte bemerkt, dass Dustin und Fynn sich um die jüngeren Spieler kümmerten.

„Sag mal, hast du deinen Jungs die Aufgabe gegeben sich um die jüngeren Spieler zu kümmern? Mir fällt nämlich auf, dass Dustin und Fynn mit anderen Jungs zusammen sind. Die kenne ich zum Teil gar nicht.“

„Hahaha. Ja. Gut beobachtet. Sie haben die Aufgabe, meine Rolle zu übernehmen und ihre ersten Erfahrungen als Coach zu sammeln. Und ich muss sagen, bislang machen sie das großartig. Und bevor du mich schlägst, für Malte und Marvin ist Justin zuständig. Er wird die beiden während des Turnieres betreuen.“

„Das finde ich großartig. Aber sind sie damit nicht überfordert? Sie haben doch keinerlei Erfahrung damit. Außerdem sind ihre Spieler nur wenig jünger als sie selbst.“

„Ach, das sehe ich anders. Außerdem haben alle Coaches ein Auge auf die Jungs. Sie können jederzeit um Rat fragen, sollte es erforderlich sein. Und ich habe auch ein wachsames Auge auf sie.“

Kristin stutzte einen Moment, dann fing sie an zu lachen. Sie schüttelte ihren Kopf als sie erwiderte:

„Das hätte ich mir auch denken können. Du willst sie in ihrer neuen Rolle beobachten und sie sollen lernen, sich einem Match aus einer anderen Perspektive anzunähern. Das finde ich klasse.“

Mittlerweile waren die ersten Spiele in vollem Gange und auch für meine Jungs ging es los. Sie hatten sich bereits zu den ersten Matches an den Platz begeben und nahmen ihre Rolle sehr ernst.

Ich entschied mich, einen Rundgang über die Anlage zu machen. Das erste Match was ich mir etwas länger anschaute, war das von Joel. Er zeigte eine gute Performance und hatte seinen Gegner im Griff. Ich war mir sicher, dass er das nach Hause spielen würde.

Auf dem Nebenplatz spielte Simon und Fynn stand am Zaun. Ich beobachtete drei Aufschlagspiele und konnte erkennen, wie Simon Probleme hatte mit Fynn Kontakt aufzunehmen. Er war das Spielen mit einem Coach sichtlich nicht gewohnt. Fynn hatte sich auf diese Situation nicht vorbereitet. Für ihn war es selbstverständlich, mich an einer bestimmten Position am Platz zu haben. Nach einigen Minuten stellte ich mich zu Fynn.

„Na, wie läuft es bei euch? Alles im Griff?“

„Hallo Chris, nein, nicht so wirklich. Mir gelingt es nicht, zu Simon Kontakt aufzunehmen. Er versteht nicht, was ich ihm sagen will. Warum klappt das nicht so wie mit dir? Das ist nervig.“

„Eine Gegenfrage, was hast du mit ihm besprochen? Er ist es wahrscheinlich gar nicht gewohnt, dass sein Coach am Zaun steht und ihn unterstützt. Also versuch, dich auf einfache Dinge zu beschränken. Gib ihm Sicherheit und klare Hinweise. Er hat gerade genug anderen Stress im Kopf.“

Fynn nickte still. Dann geschah etwas Spannendes. Simon machte zwei Doppelfehler in Folge. Damit bekam sein Gegner einen Breakball. Simon wirkte hektisch und unkonzentriert. Fynn hätte am liebsten eine klare Ansage gemacht. Das war natürlich verboten. Aber Simon musste sich aus der Ecke des Platzes einen Ball holen. Dabei ging er direkt vor uns her.

„Nimm dir mehr Zeit und wirf den Ball höher. Sei nicht ängstlich.“

Ich hatte mich entschieden hier einzugreifen. Ich wollte Fynn damit nur zeigen, wie er Simon besser helfen könnte.

Simon schaute zu mir und nickte. Dann stellte er sich erneut zum Aufschlag und konzentrierte sich länger. Der nächste Punkt war seiner.

Auch den folgenden Ball entschied er für sich und hatte damit Spielball. Fynn feuerte ihn an und Simon nickte.

Jetzt begann Simon häufiger zu Fynn zu schauen. Er hatte es begriffen und ich konnte Fynn wieder die Führung überlassen. Als ich den Platz verließ, hatte sich Simon freigespielt und das Match unter Kontrolle.

Fynn hatte die richtige Idee gehabt, aber es war für ihn noch schwierig, den richtigen Zugang zu Simon zu finden. Aber ich war zuversichtlich, dass sie das in der nächsten Runde besser hinbekommen würden.

Simon zeigte jedenfalls, dass er mehr Talent als andere Spieler mitbrachte. Er hatte meine Hinweise direkt umsetzen können. Da sollte ich genauer hinschauen.

Bei Malte und Justin herrschte eine ganz andere Stimmung. Justin ging lockerer mit Malte um. Justin versuchte, Malte auf die lockere Art zu unterstützen. Für Malte sicher richtig. Druck machte er sich schon genug und Justin hatte ein gutes Gespür für die Situation. Malte spielte gut und ich ließ Justin das allein managen. Wie sich später zeigte, war das richtig, denn Malte hatte dieses Spiel gewonnen und stand ebenso wie Simon in der zweiten Runde. Das war mehr als ich von Malte erwartet hatte.

Besonders spannend wurde es, als Marvin und Mattes auf den Platz gehen mussten. Sie spielten gegeneinander und damit waren auch Fynn und Justin Konkurrenten. Natürlich waren Simon und Malte auch bei ihren Freunden am Platz. Für mich ein klares Zeichen, mich komplett in die Beobachterrolle zu begeben.

Das Spiel selbst war nicht besonders hochklassig, aber es war spannend und ausgeglichen. Letztlich behielt Mattes die Oberhand. Er war im Kopf schon etwas weiter als Marvin. Dennoch verhielt sich Marvin sportlich in der Niederlage. Kein Zicken und ein faires Gratulieren kam nach dem Matchball. So mochte ich das. Das habe ich Marvin später auch gesagt. Lob musste auch in einer Niederlage kommen.

Diese ersten Spiele zeigten teilweise schon gutes Tennis. Simon und Mattes waren für mich völliges Neuland. Ich kannte sie überhaupt nicht und war umso positiver angetan von ihrem Auftreten und ihrer Art zu spielen. Sie machten den Eindruck, dass sie nicht sehr weit von Joel weg waren. Für Tim und Carlo würde es noch nicht reichen, so dachte ich es zumindest.

Mittlerweile war ich so im Turniermodus, dass ich überhaupt nicht mehr daran gedacht hatte, mit der Familie Steevens Gäste zu haben. Marc hatte mit Lennart eine Stunde gespielt und Sabine schien ihm zugeschaut zu haben, denn ich konnte Sabine die Treppe zur Terrasse hochgehen sehen. Da beschloss ich, mit ihr einen Kaffee zu trinken. Immerhin hatte ich jetzt doch etwas Pause und musste mich bald mit meinen Jungs auf ihre Matches vorbereiten. Die nächste Runde der jüngeren Jahrgänge wurde erst nach der ersten U21 Serie gespielt.

„Das finde ich schön, dass du dir Zeit nimmst mit mir einen Kaffee zu trinken. Marc kommt auch gleich und dann können wir uns ein paar Minuten Ruhe nehmen.“

Es war mir klar, Sabine hatte einen klaren Plan und ich sollte mir jetzt die Zeit nehmen. Also setzte ich mich zu ihr an den Tisch. Sie hatte bereits für mich eine Latte bestellt und als der Service die Getränke brachte, kam Marc auch hinzu.

„Das ist toll, Chris, dass du dir für uns etwas Zeit nehmen kannst. Wir müssen etwas besprechen.“

„Ja, gern. Warum habe ich das schon geahnt? Worum es wohl gehen wird? Um die Aktion von gestern vielleicht?“

„Allerdings“, kam von Sabine bestimmt.

Sie wartete, bis sich Marc zu uns gesetzt hatte und legte dann los.

„ Was genau ist gestern schief gelaufen? Du bist heute Vormittag ziemlich ungehalten gewesen. Und ich möchte jetzt keine Besänftigung mehr hören. Schließlich ist Luc auch nicht zu dem Tennistermin mit Marc erschienen. Da liegt doch der Verdacht nahe, dass es einen Zusammenhang gibt.“

Eine neue Situation für mich, Marc wirkte ebenfalls etwas angefasst. Dass Luc seine Verabredung nicht eingehalten hatte, störte ihn immens.

„Also gut. Bevor ich von euch gesteinigt werde, gebe ich euch eine kurze Zusammenfassung.“

Danach schilderte ich ihnen die Geschehnisse und als ich zum Ende bemerkte, dass ich Luc und Stef heute noch gar nicht gesehen hätte, war es um die Ruhe von Marc geschehen.

„Ich habe begriffen was passierte. Umso ärgerlicher bin ich jetzt. Luc trägt einen Teil der Verantwortung für dieses Fehlverhalten und er ist hier Gast. Das ist für mich schwer zu akzeptieren und er kann froh sein, dass wir nicht zu Hause sind. Ich hoffe aber sehr, dass du ihm noch etwas Passendes sagen wirst. Es kann nicht sein, dass er eure Arbeit behindert und die Abläufe beeinflusst. Das überlasse ich aber ganz allein dir. Von mir hat bereits eine Ansage bekommen, weil er die Verabredung nicht eingehalten hat und einfach nicht erschienen ist.“

„Dann kann ich mir ungefähr vorstellen, dass Stef jetzt bestimmt begeistert ist und freudestrahlend mit Luc auf die Anlage kommen wird.“

Damit hatte ich gewonnen, denn Sabine begann nach einer Denksekunde zu lachen. Auch Marc schüttelte schmunzelnd seinen Kopf. Genau in diesem Moment erschienen Luc und Stef wie bestellt bei uns am Tisch. Stef wirkte ziemlich verärgert und als sie das Lachen wahrnahmen, hatte Luc ein gutes Gespür für die Situation.

„Hi, ich nehme an, ihr habt gerade über uns gesprochen und Chris hat bestimmt wieder eine seiner Weisheiten von sich gegeben. Bevor mich Stef für heute vollends ignoriert, möchte ich mich entschuldigen. Es war überhaupt nicht meine Absicht, Chris Abläufe zu behindern. Es war vielleicht zu sorglos, sich noch mit Fynn und Dustin zusammenzusetzen und so lange noch zu quatschen.“

Sabine schaute ihren Sohn an und dabei hatte sie Stef auch ganz genau im Blick, als sie sagte:

„Chris hat es eben sehr schön gesagt, Stef sei begeistert und bestens gelaunt, wenn ihr auf die Anlage kommt. Genauso ist es eingetreten, hahaha. Einfach klasse, wie gut Chris meine Kinder schon kennt.“

„Setzt euch bitte“, forderte Marc nun die beiden auf.

Stef wirkte verunsichert und das erstaunte mich schon etwas. Denn dieser Vorfall war überhaupt nicht dramatisch. Hier fiel Stef wieder in sein altes Verhalten zurück. Es war ihm total unangenehm, aufgefallen zu sein.

Die Jungs nahmen bei uns Platz und Marc orderte auch für die beiden Getränke.

„Wie läuft das Turnier bislang?“, fragte Marc.

Stef und Luc wirkten angespannt. Luc kannte ich so noch gar nicht.

„Ich finde gut. Meine Jungs machen ihre neue Aufgabe bislang sehr ordentlich. Trotz der anfänglichen Startschwierigkeiten. Ich bin aber sehr neugierig, wie sie dann ihre eigenen Spiele bewältigen. Sie müssen gleich noch selbst spielen. Und ich möchte Lucs Entschuldigung annehmen. Aber auch euch sei gesagt, Dustin, Fynn und Justin sind für sich selbst verantwortlich. Sie hätten selbst dafür sorgen können, dass sie pünktlich auf der Anlage sind. Jetzt machen sie einen guten Job und ich bin mir sicher, sie werden alles versuchen dieses Turnier gut zu spielen.“

Luc und Stef hörten genau zu, Sabine fragte nach:

„Also bist du zuversichtlich, dass sie keine großen Nachteile haben werden durch den Mangel an Schlaf.“

„Absolut. Das werden sie hinbekommen. Und ich glaube auch daran, dass sie aus dieser Erfahrung wieder etwas lernen werden. So, Themenwechsel. Ich sehe nämlich gerade, dass Tim und Carlo da vorne stehen und sich nicht trauen an unseren Tisch zu kommen.“

Ich winkte den beiden zu, dass sie ruhig herankommen dürften. Tim ging voran und fragte mich:

„Wir müssen gleich auf den Platz gehen. Ich habe aber ein Problem mit den Griffbändern. Thorsten wollte mir für heute eine Packung besorgen, aber er hat es leider vergessen und ich wollte fragen, ob du vielleicht noch ein paar Griffbänder für uns hast.“

„Sicherlich. Das bekommen wir hin. Hier ist mein Autoschlüssel. In meiner Tennistasche im Kofferraum ist eine Packung mit Griffbändern. Nehmt euch genug heraus und bringt mir dann bitte den Schlüssel zurück.“

Tim bedankte sich und beide liefen zügig los.

Mit einem Blick auf die Uhr erkannte ich die fortgeschrittene Zeit. Ich sollte mit Dustin, Justin und Fynn die Gegneranalyse machen. Allerdings hatte ich gerade keinen Plan wo sie sich momentan aufhielten. Ich wollte Fynn bereits anrufen, als ich eine Nachricht von Dustin erhielt.

Dort fragte er nach der Vorbereitung und wo wir uns treffen würden. Ich schlug daher vor, auf den Parkplatz zu gehen. Dort wäre vermutlich nicht so viel los. Also schrieb ich ihm zurück, dass wir uns dort an meinem Auto treffen würden.

„Bleibt ihr noch einen Moment hier sitzen? Ich mache jetzt die Vorbesprechung mit den Jungs. Oder wollt ihr mitkommen?“

Luc und Stef schauten sich an. Marc wollte mit Sabine am Tisch bleiben. Luc meinte:

„Wenn es nicht stört, dann würde ich schon gern einmal dabei sein.“

„Gut, dann kommt bitte mit. Und wundert euch nicht, wenn wir das gleich teilweise auf Englisch machen. Sergios Deutsch ist noch nicht so gut, dass er das alles verstehen kann.“

Kurze Zeit später traf ich mit Luc und Stef am Treffpunkt ein. Erfreut stellte ich fest, die Jungs waren bereits alle da und auch John, Justins Vater, stand bei ihnen.

Das vereinfachte den Ablauf. Wir könnten anschließend gemeinsam dann zur offiziellen Eröffnung gehen und im Anschluss daran würden meine Jungs aktiv auf dem Platz in das Turnier starten.

„Hi Jungs, ich hoffe es stört euch nicht, wenn Luc und Stef heute bei der Gegneranalyse dabei sind.“

Meine Jungs freuten sich über das Interesse von Luc und Stef. Ich begann mit Dustin und konnte nach wenigen Minuten die Marschroute abhaken. Eigentlich sollte da in der ersten Runde nicht viel anbrennen.

Fynn hatte den Vorteil, dass er seinen Gegner schon kannte. Er hatte bereits vor einigen Wochen mal gegen ihn spielen müssen.

Bevor ich eine Richtung vorgeben konnte, machte Fynn einen Vorschlag:

„Wenn du nichts dagegen hast, sage ich einmal was ich mir überlegt habe.“

„Natürlich, sehr gern. Schieß los, ich höre zu.“

„Also, er ist Linkshänder und ich muss insbesondere beim Return aktiv auf den Ball gehen, damit ich den Ball besser kontrollieren kann. Außerdem sollte ich versuchen, von Beginn an Druck aufzubauen und nicht zu passiv zu sein. Je weniger Zeit er zum Nachdenken bekommt, desto früher macht er vermutlich einen Fehler. Bei der letzten Partie habe ich zu lange gezögert und ihn ins Spiel kommen lassen. Das möchte ich heute verändern. Direkt auf Angriff spielen und das Spiel dominieren. Sollte ich das nicht hinbekommen, kann ich immer noch das Tempo wieder rausnehmen. Ich glaube, dass ich mittlerweile so gut bin, dass er mir nicht mehr gefährlich werden kann. Aber das heißt nicht, dass ich ihn nicht mehr ernst nehme. Aber ich habe keine Angst vor ihm.“

Luc wunderte sich ein wenig über Fynns selbstbewusstes Auftreten. Stef fand es fast schon übertrieben sicher. Mir hatte es gut gefallen und als einzigen Hinweis gab ich Fynn mit auf den Weg, jeden Punkt mit maximaler Konzentration zu spielen.

Justins Gegner war ein Defensiv Spieler. Das mochte er überhaupt nicht und entsprechend genervt war er bereits. Dem wollte ich direkt entgegentreten.

„Wo ist dein Problem? Meinst du nicht, dass du mittlerweile viel mehr Möglichkeiten entwickelt hast, um solche Gegner an die Wand zu spielen? Ich gehe davon aus, dass du diesen Spieler förmlich zerlegen wirst. Er kann dir nicht mehr gefährlich werden. Selbst wenn du zu Beginn Fehler machst, wirst du gut genug sein, ihn mit mehr Geduld zu schlagen.“

Justin fing an zu lächeln und das war das Signal für mich. Ich konnte mich zum Abschluss beruhigt mit Sergio beschäftigen.

Sergio machte sich ziemlich viel Druck. Ich hatte den Eindruck, Sergio wollte uns beweisen, dass seine Trainingswochen bei uns gerechtfertigt seien. Da hatte ich noch etwas Arbeit vor mir, aber beließ es zuerst einmal mit der Gegneranalyse. Ich war überzeugt, dass Sergio dieses Spiel ohne Schwierigkeiten meistern würde. Die gesamte Situation würde ich zu einem späteren Zeitpunkt mit ihm in Ruhe besprechen.

Die Zeit raste nur so. Thorsten stand plötzlich bei uns und forderte uns auf, zum Treffpunkt für die Eröffnungsveranstaltung zu gehen. Es gab nur noch zwei laufende Spiele und Matches würden erst im Anschluss wieder neu angesetzt werden.

Gespannt war ich auf Marcs Rede. Ich hatte mitbekommen, dass Luc sich erbeten hatte, nicht selbst etwas zu dem Thema sagen zu müssen. Das empfand ich als absolut nachvollziehbar.

Was mir komplett entgangen war, die Anlage war mittlerweile mit Menschen gefüllt. Es herrschte reger Betrieb. Dafür hatte ich noch gar keinen Blick gehabt. Daher war ich froh, dass ich Marco am Treffpunkt fragen konnte, wie denn die Lage bei seinen Schützlingen war.

„Sieht gut aus bislang. Tim, Carlo und Joel spielen gleich noch und sonst sieht es bei den U12-ern auch richtig gut aus. Ich habe mir übrigens mal die beiden Jungs aus Rügen angeschaut. Das sieht sehr ordentlich aus, dafür dass sie nur zweimal in der Woche trainieren.“

„Das freut mich, dass du einen ähnlichen Eindruck hattest. Warte mal bitte. Ich muss Fynn gerade noch etwas fragen. Dann bin ich wieder da.“

Ich drehte mich um und machte zwei Schritte zu Fynn, der mit seinem Bruder und seinen Eltern etwas Abseits stand. Ich gab ihm ein Zeichen, dass er zu mir kommen möge.

„Was gibt es denn, Chris?“

„Ich wollte nur wissen, ob ihr jetzt den Test schon gemacht habt? Und denkt ihr bitte daran, gleich bei der Eröffnung bei uns zu stehen. Unsere Spieler sollen alle gemeinsam erkennbar sein.“

„Ja, wir haben alle den Test gemacht. Patrick auch. Hat alles geklappt. So langsam werde ich doch etwas aufgeregt. Simon und Mattes wollen auf jeden Fall bei meinem Spiel zuschauen. Mattes meinte nur, er könnte schließlich von seinem Coach noch etwas lernen. Das macht es nicht einfacher.“

„So ein Blödsinn. Du bist mittlerweile so viel besser geworden, dass ich behaupten kann, dieses erste Match wird für dich ein gutes Trainingsmatch werden. Bleib locker und denk nicht an irgendein Ergebnis. Spiel einfach wie immer.“

Dabei hatte ich meinen Arm auf seine Schulter gelegt und spürte die sofortige Entspannung bei Fynn.

Es arbeitete in ihm. Er wollte es vermutlich besonders gut machen. Allerdings hatte ich genau dafür eine Strategie entwickelt.

Jetzt stand aber die offizielle Eröffnung an. Thorsten, Jan, Burghard und Gerry Weber standen bereits am Mikrophon unten am Platz. Ich blieb mit Marc und seiner Familie oben stehen. Meine Jungs waren bereits auch eingetroffen und was mich freute, sie hatten ihre „Schützlinge“ auch dabei.

Es gab ein lautes „Knacken“ und Jan übernahm die Begrüßung.

„Ein herzliches Willkommen an Sie, liebe Eltern und euch, liebe Spieler und Spielerinnen. In diesem Jahr findet unser Sparkassen Cup unter einem besonderen Motto statt. Wir haben die AIDS Stiftung und die DKMS mit einer speziellen Aktion an Bord. Dazu werden wir gleich noch gesondert etwas sagen. Zuerst aber ein paar Informationen zum Turnier.“

Jan erklärte den groben zeitlichen Ablauf und gab eine Übersicht und die zusätzlichen Möglichkeiten für die Spieler. Jeder durfte auch die Kletterwand zu bestimmten Zeiten ausprobieren. Außerdem gab es Gutscheine für das Catering für jeden Spieler. Bevor er an Thorsten übergab, machte Jan noch eine Anmerkung:

„In diesem Jahr möchten wir jeden Besucher, der mindestens siebzehn Jahre alt ist, bitten sich bei der DKMS registrieren zu lassen. Damit kann Leben gerettet werden. Niemand kann sich vor einer Leukämieerkrankung schützen. Es kann also jeden treffen und dann wird jeder Erkrankte froh sein, wenn es für ihn den passenden Knochenmarkspender gibt. Das Registrieren ist für jeden kostenfrei und völlig risikolos. Damit es für euch etwas vorstellbarer wird, haben wir heute einen besonderen Gast, nein, eine besondere Gastfamilie eingeladen. Sie haben euch genau zu diesem Thema etwas mitzuteilen. Marc, würdest du bitte mit deiner Familie zu uns herunterkommen?“

Und jetzt gab es doch eine leichte Unruhe bei den Zuschauern, aber bei Mattes und Simon wurde es besonders lustig. Sie hatten natürlich jetzt bemerkt, dass Luc und Stef ebenfalls mit Marc und Sabine die Treppe hinunter kamen. Simon fragte Fynn:

„Warum gehen Luc und Stef jetzt mit Marc Steevens hinunter? Sind das etwa Söhne von Marc?“

Fynn musste jetzt lachen und alle anderen Jungs lachten auch laut. Das allerdings war jetzt deutlich zu hören. Jan schaute zu uns fragend herauf.

Ich machte ein paar Schritte zu meinen Jungs.

„Leute, beruhigt euch wieder. Ihr stört gerade die Veranstaltung. Und um das kurz zu machen, ja, Luc und Stef sind zwei von Marcs Söhnen. Und ihr solltet jetzt genau zuhören was sie euch zu erzählen haben.“

Ich gab meinem Bruder per Handzeichen ein Signal, dass er jetzt fortfahren sollte.

„Marc Steevens ist bereits häufiger Gast bei uns gewesen und durch die Freundschaft von Luc und Stef zu unseren Spielern Fynn, Dustin und Justin hat sich eine enge Partnerschaft entwickelt. Marc und insbesondere Luc sind prädestiniert, um euch die DKMS näher zu bringen. Daher möchte ich jetzt das Wort an Marc übergeben.“

„Danke Jan“, begann Marc, „ich freue mich sehr, wieder bei euch und mit den Jungs einmal bei einem Turnier in Halle dabei sein zu können. Mit Chris habe ich ja schon einige Turniere erlebt. Heute habe ich aber ein persönliches Anliegen an jeden von euch Zuschauern. Die DKMS hat für mich als Vater eine sehr große Bedeutung und ich bin dieser Organisation dankbar. Sie hat es ermöglicht, dass ich überhaupt meine heutige Frau und Mutter von Luc und Stef kennenlernen konnte.“

Es wurde vollkommen still auf der Tribüne und als Marc fortfuhr, konnte ich die Anspannung bei Luc deutlich sehen.

„Vor einigen Jahren war Luc an Leukämie erkrankt und es gab nur die Hoffnung einer Knochenmarkspende. Sonst wäre sein Leben mit dreizehn Jahren zu Ende gewesen. Wir hatten das große Glück, dass es einen passenden Spender für Luc gab, der auch bereit war, wirklich als Spender bereit zu stehen. Nach einer langen Zeit des Leidens und der Genesung ist Luc heute vollständig genesen und steht hier neben mir.“

Dabei nahm er Luc liebevoll in den linken und Stef in den rechten Arm.

„Es ist mir daher ein persönliches Anliegen für die DKMS einzustehen und sie zu unterstützen. Sie können viele Leben retten und jeder kann dazu beitragen. Eigentlich mag ich mich gar nicht mehr so gerne in der Öffentlichkeit zeigen, aber bei dieser Sache stehe ich hier gern und möchte mit meiner Bekanntheit dafür werben, sich bei der DKMS zu engagieren. Chris und Thorsten haben mich vor einigen Wochen über diese Veranstaltung informiert und ich war begeistert, dass sie das mit einer Aktion verbinden wollten. Ich wünsche mir also möglichst viele neue Registrierungen. Außerdem freue ich mich auf gutes Tennis und neue Talente. Was das Breakpoint-Team für Talente entdecken kann, sieht man bei Fynn, Dustin und Justin. Sie stehen auf dem Sprung zur großen ATP-Profitour und haben bereits einige Erfolge vorzuweisen. Ihr Coach Chris sorgt dafür, dass sie weiterhin hart arbeiten, aber dennoch sich in Ruhe entwickeln können. Ich bin sehr glücklich, Chris bei einem Turnier kennengelernt haben zu dürfen. Leider musste ich aber auch miterleben, was in Kitzbühel passiert ist. Das hat mich dazu gebracht, dieses Team zu unterstützen und meine Bekanntheit auch für die Gleichberechtigung homosexueller Sportler einzusetzen. Mittlerweile hat der Mut des Teams, ein schwules Spielerpaar zu unterstützen weite Kreise gezogen. Auch bei der ATP ist das angekommen. Es ist zwar immer noch ein weiter Weg, aber die ersten Schritte sind gemacht. - Jetzt habe ich aber genug gesagt. Ich wünsche allen Teilnehmern und Eltern ein gutes Turnier und eine schöne Veranstaltung. Vielen Dank!“

Lauter Applaus kam auf. Auch viele der jungen Spieler klatschten nach Marcs Ansprache. Jan schien Luc gefragt zu haben, ob er auch selbst etwas dazu sagen möchte. Luc hatte aber mit dem Kopf geschüttelt. Jan respektierte das und übernahm wieder das Mikrofon.

„Vielen Dank, Marc. Wir wissen deine Unterstützung sehr zu schätzen und freuen uns über die gute Zusammenarbeit. Insbesondere möchte ich meinem Bruder Chris danken, dass er diese Herausforderung angenommen hat und mit diesem Projekt sehr erfolgreich unterwegs ist. Jetzt möchte euch Gerry Weber noch kurz etwas mitteilen.“

Jan übergab das Mikro an Gerry und es folgte eine charmante Eröffnungsrede zum diesjährigen Sparkassen Cup. Zum Schluss wünschte er allen Teilnehmern ein gutes Turnier und ganz viel Spaß beim Tennissport.

Jan erwähnte zum Ende noch die wichtigen Sponsoren für solch ein Turnier und erklärte das Event für offiziell eröffnet.

Für mich ein gutes Signal. Ich mochte diese Art der Eröffnungen nicht besonders. Dieses Mal blieb es mir erspart in den Vordergrund gehen zu müssen.

Fynn: Ein unglaubliches erstes Match vor eigenem Publikum

Die letzten Minuten vor meinem ersten Match empfand ich anstrengend. Da auch Dustin parallel spielen musste, konnte ich ihn nicht richtig in sein Spiel schicken. Chris hatte mir mitgeteilt, dass er die ersten Aufschlagspiele bei meinem Schatz schauen würde.

Ich hätte diese Begleitung zu Beginn nicht so dringend nötig wie Dustin. Hatte Chris gemeint. Dennoch fühlte ich mich extrem nervös und unruhig. Obwohl ich eigentlich die letzten Minuten vor dem Betreten des Platzes fokussiert sein sollte und allein wäre, konnte ich das heute schlecht aushalten. Daher zog ich es vor, nur mit Justin ein paar Bälle bei Dustin zu schauen. Chris stand an seinem gewohnten Platz und Dustin führte schnell mit 3:0 und einem Break. Dann hörte ich den Aufruf meines Spiels und als ob ich es geahnt hatte, musste ich auf den 'Center 1' gehen.

Mein Gegner war einige Jahre älter als ich, aber von der Rangliste her war ich deutlich höher eingestuft. Wobei mir gar nicht bewusst war, dass außer uns und Sergio hier niemand in der Weltrangliste geführt wurde.

Als wir den Platz betraten wünschten wir uns gegenseitig ein gutes Match und dann tauchte ich komplett in den Tunnel ein. Während der fünf Minuten Einschlagzeit hatte ich alles um mich herum ausgeblendet.

Als der Schiedsrichter dann „noch zwei Minuten“ ansagte, schaute ich mich das erste Mal um. Es waren sogar einige Zuschauer auf der Tribüne. Als ich hinter mich auf die Ränge schaute, musste ich schmunzeln. Dort standen sie alle zusammen. Tim, Carlo, Raphael, Jaime, Simon, Mattes, Zino und Lars. Justin fehlte leider, aber der musste ja selbst jeden Moment auf den Platz gehen.

Als das „time“ kam, ging ich zur Bank und nahm mir das Handtuch mit auf den Platz, trank noch einen Schluck aus meiner Flasche und schaute in die Runde. Ein heftiges Gefühl durchströmte meine Brust. Das hatte ich schon lange nicht mehr so intensiv.

Ich hatte die Wahl gewonnen und mich für Aufschlag entschieden. Allerdings bevor ich starten konnte, kam große Unruhe auf der Tribüne auf und ich musste noch etwas warten. Leicht genervt schaute ich zu der Gruppe Menschen, die für die Unruhe verantwortlich war.

Dann musste ich aber doch lachen. Marc war mit seiner Familie zu mir an den Platz gekommen und wurde von einigen Fans umlagert. Hier gab es natürlich keine V.I.P. Boxen und jeder konnte zu Marc gehen. Erst als zwei Security Leute dafür sorgten dass Ruhe einkehrte, konnte ich aufschlagen. Luc und Stef hatten sich zu unserer „Fan-Gruppe“ begeben und setzten sich ausgerechnet neben Mattes und Simon. Leider konnte ich nicht länger schauen, denn ich musste das Match beginnen.

Es war ein schwieriger Beginn, denn mein Kopf war nicht ausschließlich mit meinem Gegner beschäftigt, sondern ich habe noch einige Augenblicke darüber nachgedacht, wie Simon und Mattes jetzt damit umgehen würden, dass Luc und Stef Söhne von Marc sind.

Erst bei 0:40 und dem rhythmischen Klatschen meiner Freunde hatte ich geschnallt, dass die ersten drei Punkte schon weg waren. Das regte mich tierisch auf. Mit ordentlicher Wut im Bauch haute ich meinem Gegner zwei Asse und einen Service Winner um die Ohren. Danach hatte ich meine Betriebstemperatur erreicht und gewann doch noch mein Aufschlagspiel.

Beim ersten Seitenwechsel musste ich mich zwingen nicht auf die Tribüne zu schauen. Chris war noch bei Dustin und ich musste mich schnellstmöglich ausschließlich auf das Match einlassen.

Ich wusste, dass mein Gegner nicht sonderlich gut aufschlagen würde. Daher wollte ich sofort aggressiv returnieren. Aber nach diesem Fehlstart? Ich entschied mich anders und wollte den Ball zuerst ins Spiel bringen.

Das führte allerdings zu einem zähen Spielverlauf mit längeren Ballwechseln. Das wollte Chris nicht. Ich konnte zwar kein Break machen, aber im folgenden Aufschlagspiel mein Service glatt durchbringen. Bei 2:1 saß ich auf der Bank und schaute an die Stelle an der Chris stehen würde. Sie war immer noch leer. Chris war also noch bei Dustin. Hoffentlich gab es dort keine Schwierigkeiten.

Das „Time“ des Schiedsrichters weckte mich aus meinen Gedanken. Wieder hatte ich mich nicht nur auf mein Spiel konzentrieren können. Das war nicht gut.

Jetzt hatte ich mir vorgenommen konsequent Chris Strategie zu folgen und zum Angriff überzugehen. Entsprechend hart schoss ich den ersten Return zum Gegner zurück. Sofort geriet er unter Druck und ich konnte recht einfach einen Punkt machen.

Was danach passierte kann ich gar nicht mehr genau sagen, ich tauchte in den Tunnel ein und erst als ich im zweiten Satz bereits mit 4:1 führte, konnte ich wieder meine Umgebung wahrnehmen. Selbst Chris hatte ich immer nur am Rande wahrgenommen.

In diesem Moment schaute ich von der Bank hinauf zu Chris, der stand dort mit Marc und unterhielt sich ruhig mit ihm. Dennoch gab er mir beruhigende Zeichen.

Zehn weitere Minuten später hatte ich den Matchball verwandelt und war in das Achtelfinale eingezogen. Erleichtert packte ich meine Sachen zusammen und verließ den Platz.

Leider war Dustin noch nicht fertig und daher beeilte ich mich, um noch einen Spielstand zu erhaschen, bevor ich unter die Dusche gehen wollte.

Ich kam gar nicht bis zu Dustins Platz, denn Simon und Mattes kamen mir entgegen und gaben mir die wichtige Information.

„Du brauchst dich nicht mehr zu beeilen“, lachte Simon, „Dustin ist auch gleich fertig und wird gewinnen. Und wenn ich Chris richtig verstanden habe, solltest du lieber gleich duschen gehen.“

Boah, das war wieder ein echter Chris. Er wusste ganz genau, was ich denken würde und hatte schon im Vorfeld reagiert. Also gut, bevor ich mich in die Nesseln setzte, bedankte ich mich für die Info und ging direkt auslaufen und duschen.

In der Umkleide war viel los und entsprechend schnell wollte ich wieder nach draußen, aber als ich aus der Dusche herauskam, saß mein Schatz auch schon auf der Bank und grinste mich an.

„War das bei dir auch so einfach wie bei mir?“, fragte er und ergänzte:

„Sind wir wirklich schon so viel besser geworden oder warum geht das hier so leicht zu gewinnen? Das macht mich stutzig.“

„Schön finde ich, dass du auch gewonnen hast. Dafür bekommst du erst einen Siegerkuss und dann können wir uns über alles weitere unterhalten.“

Ein schönes Gefühl sich so belohnen zu können, ohne Angst haben zu müssen. Dustin grinste als wir uns wieder getrennt hatten.

„Schade, wir hätten schön gemeinsam duschen können“, grinste er fies.

„Bist du verrückt? Hier sind so viele Leute. Das wäre doch nur peinlich geworden.“

Dustin fing an zu lachen und grinste immer breiter.

„Woran du schon wieder gedacht hast, ich wollte einfach nur mit meinem Schatz eine Dusche nehmen und über das Match sprechen. Hihihi.“

Wieder hatte mich Dustin auf den Arm genommen. Aber mir machte es nicht mehr viel aus. Auch nicht, obwohl hier einige andere Spieler dabei waren.

„Das Sprechen über das Spiel überlassen wir besser Chris. Jetzt sollten wir zusehen, dass wir unseren Nachwuchsspielern in die nächste Runde verhelfen. Und Justin spielt jetzt auch noch. Also haben wir noch einiges zu tun.“

Dustin beeilte sich mit dem Duschen und dann standen wir bei Justin gemeinsam mit unseren Gästen am Platz. Chris hatte sich etwas von den anderen zurückgezogen. Dort hatte er mehr Ruhe sich um Justin zu kümmern.

Simon und Mattes standen schon mit ihren Taschen bei Justin am Platz. Sie mussten noch wie Tim und Carlo ein zweites Match spielen. Wir brauchten erst morgen wieder zu spielen.

Dennoch holte uns Chris zu sich. Dafür nahm er sich auch während des Spieles Zeit. Das bewunderte ich immer noch.

„Hi, ihr beiden. Wie ist es euch ergangen? Justin hat sein Match gut unter Kontrolle. Er macht nicht mehr als nötig und wird sicher gewinnen.“

„Es ist immer noch etwas Besonderes hier in Halle zu spielen. Dafür lief es ganz gut. Ich glaube aber, ich muss besser spielen, um hier weit zu kommen. Und es ist ein neues Gefühl, wenn ich weiß, dass draußen zwei sitzen, die mir besonders zuschauen.“

Ich hatte gerade gar keinen Plan wie Dustin das gemeint hatte. Allerdings wusste Chris sofort Bescheid. Lachend erwiderte er:

„Ja, das glaube ich dir sogar, aber jetzt verstehst du auch, warum ich so ungerne selbst auf dem Platz spiele, wenn ihr zuschaut. Zino und Lars wollen noch etwas lernen, genau wie Simon und Mattes. Marvin und Malte sitzen schließlich auch bei den anderen dort drüben. Also Justin weiß auch, dass er hier unter Beobachtung steht.“

In diesem Augenblick kam John mit Aaron zu uns. Aaron gab Dustin und mir die „high five“ und grinste breit.

„Glückwunsch, ihr habt vorgelegt und Justin muss nachziehen. Sonst wird es für ihn peinlich. Hahaha.“

John hatte das natürlich mitbekommen, aber Chris war schneller.

„Warum sollte es für ihn peinlich werden? Wenn sein Gegner besser sein sollte, dann geht eine Niederlage in Ordnung. Aber da Justin der klar bessere Spieler ist, wird er auch deutlich gewinnen. Also hör auf so einen Unsinn zu verbreiten.“

Ups. Das waren sehr deutliche Worte von Chris. Das kam selten vor, dass er so klare Ansagen machte. Umso wirkungsvoller die Reaktion von Aaron. Er setzte sich leise auf den Sitz und schaute seinem Bruder zu. John grinste nur fröhlich und tickte Chris dankbar auf die Schulter.

„Bevor wir zu Justins Spiel zurückgehen, was war denn bei dir zu Beginn los, Fynn. Du hast mit 0:40 begonnen.“

Scheiße! Das konnte doch gar nicht sein. Woher wusste das Chris nun schon wieder? Er war doch noch gar nicht an meinem Platz. Bevor ich antworten konnte, fing Chris an zu lachen.

„Mann, Fynn. Glaubst du immer noch, ich bekomme hier in Halle nicht ständig Informationen von den anderen Coaches? Hier könnt ihr mir gar nichts verheimlichen. Zumindest auf dem Platz nicht.“

„Jaja Chris. Schon gut. Aber du hast Recht, ich war schlecht in das Match gestartet und ich weiß auch warum. Ich war noch mit der Situation drumherum beschäftigt und nicht mit meinem Spiel. Das hat mich auch richtig wütend gemacht und entsprechend sauer habe ich dann aufgeschlagen. Dennoch glaube ich, dass ich ein gutes Match gemacht habe.“

„Das gefällt mir gut, was du dazu zu sagen hast. Diese Erfahrung wird dich weiterbringen. Ich kenne dich schon einige Zeit und das passiert dir nicht wieder. Es ist gut, dass es hier passiert ist. Auch wenn man hoher Favorit ist und der Gegner eigentlich keine Gefahr darstellt, darf man nicht nachlässig sein. Lerne daraus und dann wirst du noch stärker im Kopf sein. Du bist auf dem richtigen Weg.“

Dann schubste er mich leicht an der Schulter und meinte noch:

„Los, zischt ab ihr beiden. Ihr müsst noch die Vorbereitungen für eure Jungs machen. Justin wird hier auch ohne euch gewinnen. Er hat mit Aaron sowieso seinen größten Fan hier sitzen.“

Wir blieben aber dennoch noch zwei Spiele am Platz und ich war mir auch sicher geworden, Justin würde glatt gewinnen. Beim Stand von 6:3; 2:0 verließen wir das Spiel und wollten uns um unsere Jungs kümmern. Simon und Mattes hatten beide ihre Taschen dabei. Sie würden bald ihr zweites Spiel machen müssen. Für Simon war der nächste Gegner eigentlich nicht unlösbar, während für Mattes ein schweres Los anstand. Er musste nämlich gegen Joel spielen. Für mich jetzt auch eine schwierige Situation. Eigentlich gab es von Chris die Vorgabe, bei solchen Situationen kein Coaching zu machen. Ich entschied mich mit Joel zu sprechen. Ich wollte ihm die Lage erklären. Ich traf ihn auf der Terrasse. Dort stand er mit seinen Eltern.

„Schön, dass ich dich hier noch treffe, Joel. Ich habe ein kleines Problem. Chris hat mir ja die Aufgabe gegeben Mattes und Simon zu betreuen und jetzt spielt Mattes gegen dich. Ich weiß nicht, wie ich mich nun verhalten soll.“

Joel schaute mich an und fing an zu lachen.

„Ach, das wusste ich gar nicht. Aber finde ich cool, dass ihr auch einmal als Coach im Einsatz seid. Dann wisst ihr ja, wie anstrengend das für Chris oft sein muss.“

„Danke, ja. Das habe ich mittlerweile voll begriffen. Aber jetzt müsste ich eigentlich Mattes gegen dich coachen und will das aber gar nicht. Du bist ja ein Teamkollege.“

„Was hat Chris denn gesagt? Er hält sich doch in diesen Situationen auch immer komplett aus dem Spiel heraus.“

„Ja, das stimmt. Ich sollte das vielleicht auch so tun. Chris kann ich nicht fragen, er sitzt….“

„Warum kannst du mich nicht fragen?“ hörte ich hinter mir Chris Stimme.

Ich drehte mich um und erschrak. Chris stand lachend vor mir und meinte:

„Sorry, Fynn. Aber ich habe es nicht auf dem Schirm gehabt, dass Mattes jetzt gegen Joel spielt. Es gelten bitte die gleichen Regeln wie bei mir. Du lässt beide frei spielen und bist nur stiller Beobachter. Und, Justin hat gewonnen, falls du das noch wissen möchtest.“

Es war mir immer schon ein Rätsel, wie Chris diese Dinge im Gefühl hatte. Sofort war er gestartet und hatte mich gesucht, um mir das mitzuteilen. Er hatte gewusst, dass mich das in Schwierigkeiten bringen würde. Und wieder hat er mir gezeigt, dass er immer für uns da ist, wenn er gebraucht wird. Das ist einfach cool.

Ich erklärte Mattes umgehend die neue Situation und war gespannt wie sich dieses Spiel entwickeln würde. Joel war aus unserem Team in Halle, er hatte die Favoritenrolle, aber Mattes war für mich nicht chancenlos.

Als ich eine halbe Stunde später mitten im ersten Satz auf der Tribüne saß, hatte ich ein bis dahin ausgeglichenes Match gesehen. Mattes konnte absolut mithalten. Es fiel mir allerdings schwer, vollkommen neutral zu bleiben.

Plötzlich setzte sich zuerst Marc auf der rechten Seite und Chris dann auf der linken Seite neben mich.

„Na“, frotzelte Chris, „gar nicht so einfach immer neutral bleiben zu müssen.“

„Nein, das ist korrekt. Aber andererseits ist es auch einfach. Ich kann besser nur beobachten und mir Dinge merken, die ich mit Mattes hinterher besprechen sollte. Simon hat noch etwas Wartezeit, das vereinfacht mir die Arbeit.“

„Jetzt kannst du Chris vielleicht besser verstehen, wenn er euch am Abend sagt, dass er nach einem Turniertag kaputt ist“, meinte Marc.

„Allerdings“, antwortete ich.

Auf dem Platz tat sich gerade etwas. Mattes hatte seine erste Breakchance und der Ballwechsel war bereits in vollem Gange. Keiner wollte den Fehler machen und entsprechend oft wurde hin und her gespielt.

Mattes spielte einen hohen Topspin Ball an die Grundlinie und stürmte dann unvermittelt ans Netz. Joel hatte damit nicht gerechnet und Mattes bekam eine Chance für einen Schmetterball, den er auch zum Break nutzte.

Dieser Ball hatte Folgen. Im Anschluss hatte Joel etwas den Faden verloren und wirkte verunsichert. Ich war hin und hergerissen. Einerseits hätte ich Joel hier ein gutes Ergebnis gewünscht, aber ich hatte auch die Aufgabe mich um Mattes zu kümmern.

„Mattes macht ein gutes Spiel. Er spielt absolut das was er momentan kann. Clever und mit Übersicht. Das Talent ist auf jeden Fall vorhanden. Auch seine ruhige Art gefällt mir gut. Wie sieht das bei Simon aus? Kennst du seinen nächsten Gegner?“

„Ja, ich habe ihm doch einiges mit auf den Weg geben können. Aber er ist nervös und angespannt. Vor allem wollte er unbedingt noch bei Mattes zuschauen, aber ich wollte das nicht so gern. Es würde ihn in seiner Konzentration stören.“

„Hm, okay. Würdest du das gut finden, sollte ich dir untersagen, bei Dustin ein paar Spiele zu schauen? Nur weil du bald auf den Platz gehen musst. Los, zisch ab und hol Simon zu uns. Er soll seinem Freund zuschauen und vielleicht kann er ja auch noch etwas von dem Match lernen.“

Das war jetzt unangenehm. Chris hatte mir klargemacht, dass ich hier zu streng war. Ich wollte schon aufstehen, aber Chris hielt mich am Arm und meinte:

„Bleib sitzen. Mattes braucht dich jetzt hier. Das Spiel ist am Ende des ersten Satzes, da geht man als Coach nicht weg. Schon gar nicht wenn es so eng ist. Aber mach dir keinen Stress. Simon wird gleich zu uns kommen. Ich habe ihn eben schon im Clubhaus getroffen und ihm gesagt, dass er trotzdem kommen soll. Auch gegen deine Ansage. Er war nämlich sauer und das war mir aufgefallen.“

„Oh, danke. Ich war einfach unsicher, ob es gut für ihn sei. Aber dein Argument mit Dustin habe ich überhaupt nicht im Kopf gehabt. Ich hätte dich vielleicht fragen sollen.“

„Sehr guter Gedanke, Fynn. Wenn du das jetzt im Kopf behältst, dann ist es doch gut. Ich bin angetan von eurer Arbeit hier als Coaches. Du lernst dazu und machst dir Gedanken. Sehr schön. Und vergiss bitte nicht, die Verantwortung trage ich mit den anderen Coaches für euch. Ihr könnt nicht alles richtig machen. Das sieht schon sehr ordentlich bei euch aus.“

Und tatsächlich, Simon kam zu uns an den Platz. Allerdings traute er sich nicht, sich neben Marc zu setzen. Daher machte Chris etwas Platz zwischen ihm und mir und Simon konnte sich so zwischen Chris und mich setzen.

Mattes gewann den ersten Satz und Simon freute sich für seinen Freund. Allerdings spürte ich auch den steigenden Druck bei ihm. Chris hatte es wohl auch bemerkt. Er begann mit Simon ein leises Gespräch.

„Wie gefällt dir das Turnier bislang? Es ist ganz schön weit weg von Rügen. Und ohne eure Eltern ist das auch nicht so einfach, oder?“

„Es ist mega spannend und ich finde es cool. Aber ihr kümmert euch auch super um uns Spieler. Dass uns Fynn betreut macht vieles einfacher. Dafür wollte ich mich auch noch bedanken. Es ist ein tolles Turnier und für mich das erste Turnier überhaupt, das diese Größe hat. Hoffentlich kann ich gleich wieder einigermaßen den Ball ins Feld spielen. Ich bin aufgeregt und da Mattes sogar die Chance hat sein zweites Spiel auch zu gewinnen, muss ich mich noch mehr anstrengen. Ich will auch eine gute Leistung zeigen.“

„Mach dir nicht so viel Stress. Geh auf den Platz und spiele einfach. Fynn hat dir sicher ein paar gute Ideen mitgegeben. Fokussiere dich nur auf dich und denke nicht an die anderen oder was vielleicht eure Eltern erwarten. Ihr seid hier um Erfahrungen zu sammeln. Und was ich bislang gesehen habe, gefällt mir schon gut. Du musst dich freispielen. Das wird schon. Fynn wird gleich mit dir auf den Platz gehen und dich von Anfang an begleiten. Ich werde bei Mattes und Joel bleiben. Also das wird schon. Mattes macht ein gutes Spiel und ich glaube sogar, dass Joel ihn unterschätzt hat. Das könnte ihm das Genick brechen. Warten wir mal ab.“

Das war wieder so typisch für Chris. Er hatte die Situation erkannt, analysiert und sofort eine Entscheidung getroffen. Er ließ mich mit Simon gehen und übernahm meine Rolle bei Mattes am Platz. Einfach so. Krass.

Simon und ich machten uns auf den Weg Richtung Parkplatz. Dort hatten wir mehr Ruhe. Die letzten Minuten vor seinem Match wollte ich mit ihm allein sein.

„Chris ist echt ne coole Socke, oder?“, fragte mich Simon.

„Oh ja, das stimmt. Er hat seine Augen überall. Und was ich besonders klasse finde, er kann mir etwas erklären, ohne dass ich mich schlecht fühle. Auch wenn ich etwas noch nicht richtig gemacht habe. Ich wollte dich echt nicht ärgern, als ich dir gesagt hatte, dass du bei Mattes besser nicht zuschauen sollst. Aber Chris hat mir gezeigt, dass ich bei Dustin auch zuschauen würde.“

„Das ist schon in Ordnung, mach dir keine Gedanken. Ich kann dich verstehen, aber ich will wissen, wie mein Freund spielt. Genau, wie er auch bei mir zuschauen würde. Wir verstehen uns fast blind. Und ich fühle mich hier echt toll. Vielleicht sind wir doch nicht so schlecht wie uns immer im Verein gesagt wird.“

„Na, wenn ich da an eure Nummer eins im Verein denke, dann wird mir immer noch schlecht. So eine Wurst. Ihr seid gut. Vor allem mit dem geringen Aufwand, den ihr betreibt. Ich denke, ihr könntet noch viel mehr. Aber schauen wir mal. Hast du mittlerweile gemerkt, dass Luc der Sohn von Marc Steevens ist?“

„Hahaha, ja. Allerdings. Da habt ihr uns ja ordentlich auf den Arm genommen. Aber Luc und Stef sind richtig nett. Dennoch würde ich gern noch ein Autogramm von Marc bekommen. Vielleicht klappt das ja doch noch.“

„Hahaha, ja, keine Sorge. Das bekommen wir bestimmt noch hin. Aber es ist einfach lästig, wenn er hier von dir auf der Anlage angesprochen wird. Es wird sicher noch eine Gelegenheit geben. Am einfachsten wäre es, du gewinnst einfach deine Klasse und Marc gibt dir bei der Siegerehrung das gewünschte Autogramm auf den Siegerpokal.“

„Sehr witzig. Aber das wäre natürlich das Geilste überhaupt. Jetzt gilt es aber erst, das nächste Spiel zu machen. Dann sehen wir weiter. Glaubst du, ich habe eine Chance?“

„Na klar, solange der Matchball nicht gespielt wurde ist immer eine Chance zu gewinnen. Nein, Spaß beiseite, du hast bislang ein gutes Spiel gemacht und warum nicht wieder ein gutes Match zeigen? Ich glaube an deine Fähigkeiten und Chris tut es auch, sonst hätte er uns nicht erlaubt euch einzuladen. Mattes wird sein zweites Spiel hoffentlich gut beenden. Egal ob er gewinnt oder verliert.“

Simon wirkte nachdenklicher als sonst. Allerdings konnte das auch unmittelbar vor dem Spiel täuschen. Dann kam der Aufruf der Turnierleitung und Simon sollte auf dem 'Center 2' spielen. Das war ein Tribünenplatz. Also machte ich mich mit ihm auf den Weg dorthin. Sein Gegner kam aus Mettmann. Eine Stadt im Ruhrgebiet und hatte seine erste Runde in drei Sätzen gewonnen. Ein defensiver Spieler.

Erfreulich fand ich, dass Tim und Carlo mit Raphael zu mir kamen. Sie hatten alle ihre ersten Matches gewonnen und mussten jetzt noch auf die zweite Runde warten. Tim fragte mich:

„Fynn, dürfen wir uns zu dir setzen oder stört dich das?“

„Na klar dürft ihr. Ich freue mich über jede Unterstützung. Wie läuft es bei euch?“

„Gut, alle noch dabei. Weißt du wo Chris ist?“

„Ja, er sitzt bei Mattes am Platz. Damit ich mich um Simon kümmern kann. Wann seid ihr wieder dran?“

„Sobald wieder Plätze frei werden, spielen wir unsere zweite Runde. Wie gut, dass wir morgen wohl erst ab elf Uhr spielen müssen. Ihr müsst morgen früh anfangen.“

Mist, das wäre blöd. Ich mochte es nicht, früh am Morgen spielen zu müssen, aber das konnten wir uns nicht aussuchen.

Simon schickte ich auf den Platz nach unten und das Einschlagen begann. Tim, Carlo und Raphael saßen neben mir.

Das Match begann und sofort war ich gefragt, denn es gab eine strittige Entscheidung gleich im ersten Aufschlagspiel. Jetzt fragt sich der Leser bestimmt, warum ein Problem? Dafür gibt es doch den Schiedsrichter. Nein, Schiedsrichter gab es nur in der U21 Klasse. Alle anderen Spiele wurden ohne Schiedsrichter gespielt. Zu 99% auch überhaupt kein Problem.

Heute hatte ich allerdings genau dieses eine Prozent erwischt, das mit dieser Regelung nicht gut umgehen konnte. Simons Gegner nutzte direkt jede Möglichkeit, um zu einem eigenen Vorteil zu gelangen. Gleich der zweite Punkt musste diskutiert werden. Simon blieb in der Situation noch ruhig, aber als es im dritten Spiel erneut zu einer Fehlentscheidung seines Gegners kam, wurde er aggressiv. Das war natürlich nicht klug. Aber ich konnte ihn auch verstehen. Jetzt musste ich versuchen die Situation zu retten.

Dass Tim, Carlo und Raphael neben mir saßen, half mir auch nur bedingt. Sie unterstützten mich zwar, aber nicht unbedingt durch kluges Verhalten.

Jetzt wäre es gut, wenn ich Chris an meiner Seite hätte. Der würde sicher schnell wissen was zu tun wäre. Ich versuchte Simon nur auf das Spiel zu lenken und seinem Gegner klarzumachen, dass ich jede Fehlentscheidung sehen würde. Also stellte ich mich immer auf die Seite von Simons Gegner. Damit stand er immer unter meiner Beobachtung. Allerdings konnte ich so nicht gut mit Simon kommunizieren.

Beim Stand von 4:3 für Simon hatte sich das Match beruhigt. Es wurden aber ewig lange Ballwechsel und Simon konnte seine gute Vorhand kaum einsetzen. Mir wurde klar, das würde ein sehr langes und zähes Spiel werden. Oder ich müsste Simon dazu bringen mutiger zu werden. Auch auf die Gefahr einer höheren Fehlerquote. Sollte ich das machen? Was wäre, wenn er dadurch das Match verliert? Ich war mir überhaupt nicht sicher, was ich machen sollte. Und Simon schaute immer häufiger zu mir.

Ich traute mich einfach nicht eine Entscheidung zu treffen. Eine beschissene Situation für mich. Plötzlich tauchte Luc mit Stef bei uns auf und sie hatten Chris dabei. Chris schaute nur drei Punkte und kam sofort zu mir.

„Hey, was läuft denn hier ab? Kann Simon nicht mehr Druck machen oder traut er sich nicht? So wird das mega anstrengend und ganz wacklig. Das kann auch ins Auge gehen, obwohl er spielerisch eigentlich der bessere Spieler ist.“

„Ja, ich weiß. Aber ich traue mich nicht Simon zu sagen, dass er offensiver spielen soll. Was ist denn, wenn das nach hinten losgeht. Ich habe Angst eine falsche Entscheidung zu treffen.“

Und was jetzt passierte war wieder ein Lehrbeispiel, warum Chris für uns so wertvoll war. Es gab keine ironische Bemerkung oder gar eine Kritik.

„Schick ihn nach vorn. Er soll vorwärts spielen und mehr Druck aufbauen. Er soll mit seiner Vorhand den Gegner aus dem Platz treiben und am Netz den Punkt machen. Ganz einfach. Und zweifele nicht an dir, du hast nichts falsch gemacht. Aber vielleicht schickst du beim nächsten Mal Carlo oder Tim früher los. Du musst das doch gar nicht allein entscheiden. Ich bin genau dafür da. Tim hat mir das gut erklärt, aber warum erst jetzt?“

Simon bekam jetzt von mir klare Hinweise und er schien es auch direkt begriffen zu haben. Denn schon beim nächsten Punkt schlug er viel härter zu und spielte auch einen Vorhand Slice um den Ball flach zu halten und gut ans Netz zu rücken.

Aber warum Tim, geisterte mir durch den Kopf. Ich hatte doch niemanden um Hilfe gebeten.

Ich schaute Chris fragend an. Dann fing er an zu lachen.

„Jetzt sag nicht, dass du Tim nicht losgeschickt hast? Er ist zu mir gekommen und hat mir gesagt, dass du Hilfe brauchst. Da bin ich gleich los. Luc und Stef wollten mitkommen, aber ich habe gedacht, du hättest Tim zu mir geschickt.“

„Ehrlicherweise nein. Ich bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dich zur Hilfe zu holen. Ich sollte mich dann wohl bei Tim bedanken, dass er so cool war.“

Chris zwinkerte mir zu und blieb jetzt das ganze Match bei mir. Mischte sich aber überhaupt nicht direkt in das Coachen ein. Er gab mir nur unglaublich viel Sicherheit und Simon spielte ein geiles Match. Er marschierte einfach weiter vorwärts und hatte seinen Gegner bis zum 4:1 im zweiten Satz voll im Griff. Und was jetzt kam war wieder so typisch. Simons Gegner begann erneut zu bescheißen. Sofort begann mein Puls zu rasen und Simon gab das Spiel zum 4:2 ab. Bei 4:3 wurden die Seiten gewechselt und Simon wurde unsicherer. Aber jetzt nahm Chris das Zepter in die Hand, ging zu Simons Gegner und machte eine Ansage, die ich leider nicht hören konnte. Aber das musste eindeutig gewesen sein, denn Chris bewegte sich von dem Moment an nicht mehr vom Platz weg. Er wurde zum Schatten von Simons Gegner. Das verunsicherte ihn und Simon wurde wieder der Herrscher auf dem Platz. Mit 6:3 gewann Simon als der klar bessere Spieler. Aber ohne die Unterstützung von Chris wäre das vermutlich anders ausgegangen.

Simons Freude war auch nicht wirklich zu erkennen. Er ärgerte sich über das Verhalten seines Gegners. Chris nahm ihn am Ausgang in Empfang und gratulierte ihm mit einer festen Umarmung. Eine tolle Geste, und meine Freunde jubelten auch mit.

Erst jetzt konnte ich mich etwas entspannen und ging ebenfalls zum Gratulieren. Als ich hinzu kam, hatten Luc und Stef gerade Simon zum Sieg gratuliert.

„Danke, Fynn. Du hast mir sehr geholfen. Das war echt blöd, als der Typ anfing zu bescheißen. Ich habe nicht gewusst, wie ich das regeln sollte. Ich hatte einfach Schiss.“

„Das glaube ich dir sofort, dass das total doof ist. Aber du musst dich wohl bei Tim bedanken, denn der ist einfach zu Chris gegangen und hat um Hilfe gebeten. Ich habe mich nicht getraut, um Hilfe zu bitten.“

Das hatte Chris leider gehört. Er kam sofort zu uns und griff ein:

„Das stimmt ja gar nicht, Fynn. Du hast einfach gar nicht daran gedacht. Das ist etwas total anderes. Und ja, Tim hat die richtige Entscheidung getroffen, die du vermutlich auch getroffen hättest, wenn du nicht in der Rolle des Coaches gewesen wärest. Ich finde es gut, wie du mit dieser Situation umgegangen bist. Aber noch besser hat Tim reagiert. Er hatte erkannt, dass du Hilfe benötigst. Dann richtig reagiert und alles ist gut. Wir sind eben ein starkes Team und nicht ein Einzelner ist gut. Wir sind gut. Und noch eine Sache, Mattes hat gegen Joel tatsächlich gewonnen. Ich muss zugeben, dass mich das etwas überrascht hat.“

Chris: Neue und gute Entwicklungen

Der erste Turniertag verlief erfolgreich. Alle meine großen Jungs waren noch im Wettbewerb, auch Sergio hatte sich gut präsentiert.

Raphael und Jaime hatten es deutlich schwerer. Allerdings waren beide nach hartem Fight noch im Rennen.

Heute wollte ich mich auch mal bei Tim und Carlo am Platz sehen lassen. Auch wenn Marco für die beiden verantwortlich war.

Allerdings begann der heutige Spieltag mit der U21 Konkurrenz und das hieß, Action am frühen Tag. Fynn konnte ich einiges zu seinem Gegner mit auf den Weg geben, Dustin spielte gegen einen mir Unbekannten. Da hatte ich nur Daten aus Jans Datenbank zur Verfügung.

Justin hatte dieses Mal mit Sergio einen echten Gegner. Da würde sich heute zeigen, ob Justin gerade mental dazugelernt hatte.

Und genau dort stand ich jetzt am Zaun. Natürlich blieb ich am Platz neutral und hielt mich bei der Unterstützung für Justin komplett aus dem Spiel. Aaron und auch die anderen aus unserem Team mussten darauf keine Rücksicht nehmen und unterstützten Justin tatkräftig und lautstark.

Und dann passierte wieder etwas, das nur Justin konnte. Er lag recht früh mit einem Break zurück und das machte ihn wütend. Anders als bei Fynn und Dustin ließ ich das aber erst einmal laufen. Justin feuerte einen Return nach dem anderen in Sergios Feld. Dort schlugen die Bälle kleine Krater in den Platz und Sergio stand staunend an der Grundlinie. Innerhalb weniger Minuten hatte Justin das Break ausgeglichen und sich selbst zu einer Breakchance gespielt. Einfach faszinierend, wie er seine Wut steuern konnte und in positive Energie umwandelte.

Besonders positiv empfand ich das Auftreten unserer jüngeren Spielergruppe mit Tim, Carlo und Raphael. Sie hatten sich zu Rudelführern gemausert und in ihrem Schlepptau tauchten immer Marvin, Malte, Simon, Mattes, Lars und Zino auf.

Ich konnte beobachten, wie sie gemeinsam an den Platz von Justin kamen und Tim nach mir Ausschau hielt. Dann hatte er mich gesehen und alle kamen geschlossen zu mir. Sie setzten sich in meiner Nähe auf die Tribüne, aber sie sprachen mich nicht an während des Spieles. Erst als Justin den ersten Satz gewonnen hatte, fragte mich Tim:

„Justin schießt heute wieder scharf, oder? Das ist ja unfassbar, wie er seine Vorhand einsetzt. Hast du eine Idee wie schnell die ist?“

„Wie schnell? Hihi. Nein, ich habe keine Ahnung wie schnell, aber für Sergio jedenfalls zu schnell. Allerdings ist es ein gutes Match. Schade, dass einer von beiden heute schon im Achtelfinale ausscheiden muss. Da sind einige schlechtere Spieler im Feld. Aber so ist das im Tennis. Sergio hat in Deutschland keine Ranglistenposition, daher konnte er nicht gesetzt werden. Wir hatten es versucht, aber der DTB hat uns das nicht erlaubt.“

„Das ist doch total bescheuert. Wieder typisch DTB, da sitzen einfach zu viele verkalkte Opas. Genau wie im Verband in Kamen.“

Tim hatte mit Sicherheit recht, aber ich wollte jetzt nicht darauf eingehen, denn das würde dem exzellenten Match der beiden Spieler nicht gerecht werden.

„Daher genieße ich gerade ein geiles Spiel und denke nicht über den DTB oder gar WTV nach. Und ihr solltet das auch so tun. Wie ist bei euch die Lage? Kennst du deinen nächsten Gegner?“

„Ja, ich habe sogar schon einmal gegen ihn gespielt. Damals aber verloren. Heute will ich gewinnen und Marco hat mit mir schon eine Strategie besprochen. Carlo hat auch eine lösbare Aufgabe. Wie sieht es denn bei Dustin und Fynn aus? Haben sie auch so schwere Gegner? Dann wäre das Turnier echt mega besetzt.“

„Nein, keine Sorge. Ich denke, dass das hier bereits ein gutes Halbfinale gewesen wäre. Aber die Auslosung ist halt so. Dustin und Fynn werden es hoffentlich nicht so schwer haben wie Justin und Sergio.“

Während dieses Gesprächs saßen seine Freunde alle auf der Tribüne und schauten fasziniert zu. Justin hatte mittlerweile das Match unter Kontrolle. Heute würde er sich nur selbst schlagen können. Sergio hatte trotz starker Gegenwehr keine realistische Chance zu gewinnen. In dieser Deutlichkeit zum Ende hatte ich es auch nicht erwartet. Allerdings freute ich mich für Justin und dass unsere Arbeit Erfolg zeigte.

Nach dem Matchball konnte sich Justin auch nicht richtig freuen. Es wirkte, als wäre es ihm unangenehm, gegen Sergio so deutlich gewonnen zu haben. Sergio hingegen gratulierte freundlich und als sie ihre Taschen genommen hatten, sprachen sie auch wieder normal miteinander. Die Rivalität war auf dem Platz geblieben. Das war mir persönlich sehr wichtig.

Als nächstes stand Fynns Match an und er spielte parallel zu Dustin. Thorsten hatte dieses Mal Dustin auf dem 'Center 1' angesetzt und Fynn auf dem 'Center 2'. Das war für mich eine deutliche Erleichterung und der „Heimvorteil“. So konnte ich recht gut zwischen beiden Partien hin und her wechseln.

Bei Dustin wusste ich, dass der Beginn eine wichtige Rolle spielte. Daher machte ich mich sofort auf den Weg, um mit ihm noch ein kurzes Gespräch zu haben. Dustin stand mit Fynns Eltern vor dem Eisstand als ich hinzu kam.

„Ah, schön dass du vor dem Match noch zu mir kommst. Ich bin doch etwas nervös.“

Nanu? Dustin konnte direkt zugeben nervös zu sein. Das hatte ich noch nicht so häufig erlebt. Herr Grehl stand mit Patrick gegenüber und Fynns Mutter neben ihm. Ich hatte den Eindruck, dass es Dustin gut tat jetzt nicht allein zu sein.

„Das ist erst einmal nicht schlimm. Wollen wir noch ein paar Meter gehen und reden?“, fragte ich Dustin.

Der nickte nur und mit einem dankbaren Blick von Fynns Mutter gingen wir Richtung Ausgang. Dustin machte einen angespannten Eindruck.

„Was geht dir gerade durch den Kopf?“, fragte ich ihn.

„Nicht so viel. Ich habe Schwierigkeiten mich zu konzentrieren. So viele Menschen, die gleich auf der Tribüne sitzen, alle Trainer vom Team werden mich beobachten und alle erwarten von mir einen klaren Sieg. Das empfinde ich gerade eher als unangenehm. So sehr wie ich mich über die Unterstützung unserer Familie und den ganzen Hallensern freue. Ich würde jetzt gern auf den Platz gehen.“

„Ja. Kann ich verstehen, aber ich möchte dir mit auf den Weg geben, dass es ein Turniermatch wie jedes andere sein wird. Du solltest es positiv sehen, dass du Unterstützung bekommst und nicht als Erwartung an einen Sieg. Konzentriere dich nur auf den Ball und den nächsten Punkt. Spiele den Gegner und nichts anderes. Ich werde wie besprochen bei dir bleiben, bis du voll im Spiel bist. Auch wenn Fynn bereits nebenan spielen sollte. Jetzt bin ich nur für dich da.“

Dabei legte ich meinen Arm auf seine Schulter und ich wunderte mich doch über seine Anspannung. Eigentlich konnte ihm sein Gegner nicht wirklich gefährlich werden. Und er sollte das auch wissen. Aber ich wusste auch wie sensibel Dustin war. Er spürte jede Veränderung der Situation und im Umfeld. Deshalb erstaunte mich seine Frage nicht wirklich:

„Hast du mitbekommen was zwischen Raphael und Tim gelaufen ist und das Carlo damit nicht so gut zurechtkommt?“

„Ja, das habe ich mitbekommen. Aber ich sehe das gerade nicht als ein Problem, mit dem du dich beschäftigen solltest. Oder wie kommst du ausgerechnet jetzt auf dieses Thema?“

Er zuckte nur mit den Schultern, da wusste ich, das war für ihn ein Ablenkungsmanöver. Er wollte sich nicht mit seiner Nervosität auseinandersetzen.

Ich nahm ihn in den Arm und wir gingen weitere Schritte weg vom Eingang. Bald standen wir mitten auf dem großen Parkplatz, um uns herum einige Wohnmobile.

„Es fällt dir schwer, die Situation zu genießen, oder? Eigentlich ist es doch toll, der eigenen Familie zeigen zu dürfen was man gelernt hat. Du musst niemandem vom Team mehr etwas beweisen. Wir wissen genau was du mittlerweile kannst. Und das reicht ganz sicher für fast alle Spieler, die hier teilnehmen. Ich möchte, dass du jetzt auf den Platz gehst und Spaß hast in Halle zu spielen. Genauso wie sich eure Eltern freuen mal zuschauen zu dürfen. Also lach mal wieder und spiele das Spiel. Ich freue mich auf dein gutes Spiel und bin sicher, dass du eine gute Leistung zeigen wirst.“

„Es ist dir nicht wichtig, dass ich gewinne? Es ist unser Turnier und wir sind die großen Favoriten.“

„Ist es mir jemals wichtig gewesen, dass einer von euch gewinnt?“, fragte ich ihn ohne weitere Erklärungen.

Das zeigte Wirkung. Es schien „Klick“ gemacht zu haben. Aber was Dustin dann aussprach, hat mich berührt.

„Es ist einfach toll, dass du immer für uns ansprechbar bist und mich ernst nimmst. Du bist anders als die meisten anderen Menschen, die ich kenne. Umso schöner ist es, dass du mein Freund und Trainer bist. Ich fühle mich jetzt wieder besser, weil ich spüre, was du von mir erwartest. Ich weiß, dass das blöd klingt, aber jetzt kann ich sicher auf den Platz gehen und ein gutes Spiel machen.“

Dabei stand er jetzt vor mir und ich hatte das Bedürfnis ihn zu umarmen. Ein bewegendes Gefühl für mich, genauso wie für Dustin. Aber jetzt ging er mit einem Lächeln und holte seine Tasche. Ich schaute ihm einen Augenblick hinterher, dann ging ich wieder an meinen angestammten Platz auf der Tribüne.

Wie Dustin mit dieser Situation umging, das zeigte sich dann auf dem Platz. Innerhalb weniger Minuten hatte er das Zepter in der Hand und ließ seinem Gegner keine Zeit, zu Atem zu kommen. Er schickte ihn von rechts nach links und machte dann einfach den Punkt. Nicht dass er ihn vorführte, überhaupt nicht, aber er gab ihm auch keine realistische Chance auf wichtige Punkte. Sehr überzeugend. Und es beruhigte mich. Dustin konnte mittlerweile seine Position auch auf dem Platz konsequent umsetzen.

Ich konnte ruhig zwischen Fynns Match und seinem hin- und herwechseln. Das war für mich nicht so stressig wie bei den Challenger- oder Futureturnieren. Entsprechend gut gelaunt kam ich nach beiden Partien ins Turnierbüro.

Thorsten empfing mich mit einem Lächeln und meinte:

„Das läuft doch gut für uns. Marco war auch gerade hier und hat gemeint, dass seine Truppe auch noch gut dabei sei. Tim hat den ersten Satz gewonnen. Carlo und auch Raphael haben immer noch alle Möglichkeiten. Das gefällt uns gut.“

„Ja, das gefällt mir auch. Ich würde jetzt aber gern einmal bei Simon und Mattes schauen. Ich glaube, dass die beide mehr Talent haben als wir bislang wussten. Immerhin hat Mattes gegen Joel gewonnen.“

„Ja, das ist der nächste Punkt, den ich mit dir besprechen wollte. Toto hat wohl bei beiden schon mal geschaut und war auch angetan von ihrem Spiel. Simon spielt auf Platz neun und Mattes auf Platz vier.“

„Danke für die Info, ich nehme mir eine Fassbrause und geh dann mal über die Anlage.“

Mittlerweile ging es schon auf die Mittagszeit zu und ich spürte ein Hungergefühl. Deshalb entschied ich mich, zuerst bei den beiden Jungs schauen zu gehen und dann vielleicht mit Marc und seiner Familie gemeinsam Mittag zu essen.

Sowohl Simon als auch Mattes waren bereits Ende des zweiten Satzes. Allerdings mit unterschiedlichen Vorzeichen. Simon hatte seinen ersten Satz gewonnen und Mattes verloren. Was für mich erkennbar war, die Verunsicherung beider Jungs. Sie hatten heute ohne die Begleitung ihrer Coaches beginnen müssen. Erst seit einigen Minuten waren auch Dustin und Fynn an ihrem Platz. Justin hatte sich unaufgefordert um die beiden gekümmert. Das gefiel mir sehr gut. Dieses Teamplay zeichnete uns aus. Ich konnte mich absolut auf die Jungs verlassen.

Auch hier ging es um den Einzug in das Viertelfinale und was ich sowohl von Simon als auch von Mattes zu sehen bekam, überzeugte mich in Gänze. Lediglich bei Mattes gab es zum Ende einen Champions Tiebreak den er souverän gewinnen konnte. Damit kam es jetzt zu einem weniger schönen Aufeinandertreffen der beiden Freunde. Sie mussten im Viertelfinale gegeneinander spielen.

Das hieß aber, ein Halbfinalteilnehmer war sicher. In den anderen Klassen kamen doch die ersten Niederlagen und somit konnte ich beim Mittagessen Marc dennoch einen ordentlichen Lagebericht geben.

„Unsere großen Jungs sind noch alle dabei. Malte hat leider heute Vormittag verloren, aber auch wieder eine gute Leistung gezeigt. Tim, Carlo, Dustin, Justin und Fynn sind also vom Breakpoint Team noch dabei. Hinzu kommen noch Simon, Mattes, Zino und Raphael von unseren Gästen. Das lässt sich doch sehen.“

Marc hatte mir aufmerksam zugehört und auch Luc schien zufrieden zu sein. Sabine fragte mich:

„Wie ist denn die Situation bei Tim und Carlo? Hat sich da die Lage geklärt?“

„Ich kann es dir aktuell gar nicht genau sagen. Marco ist ja beim Turnier dort verantwortlich. Ich möchte erst nach dem Turnier mit Carlo und Tim sprechen. So lange sie sich korrekt verhalten und auch noch gutes Tennis spielen, habe ich keinen Grund mich sofort einzumischen. Momentan habe ich auch genug anderes zu tun. Sollte es so weitergehen, dann müsste ich Dustin und Fynn aus ihrer Rolle als Coach entlassen. Sollten sie alle drei das Halbfinale erreichen, dann sollen sie sich auch nur noch damit beschäftigen. Dann möchte ich die Betreuung von Simon und Mattes entweder selbst machen oder ich werde Maxi dazu nehmen.“

„Du bist schon wieder voll in deinem Tunnel. Kannst du zwischendurch auch noch runterfahren und dich erholen? Ich habe den Eindruck, dass du sehr viel um die Ohren hast. Muss das so ablaufen?“

Marc gefiel Sabines Kritik an meiner Art nicht. Allerdings hörte er unserem Gespräch weiterhin nur zu. Luc und Stef waren mittlerweile auch bei uns angekommen und somit nutzte ich das gemeinsame Essen, um komplett vom Tennis abzuschalten. Marc hatte mir die Chance gegeben über Autos und Lucs Arbeit in München zu reden.

„Aber dein Camaro Cabrio ist noch in gutem Zustand? Oder gibt es da mittlerweile Probleme?“, fragte ich Luc.

„Nein, alles bestens. Papa meint aber, ich sollte mir ein Alltagsauto zulegen, aber in München kann ich eigentlich immer einen Firmenwagen nutzen, sollte ich ein Auto benötigen.“

„Und Stef? Was machst du, wenn du mal ein Auto benötigst? Du kannst ja Karl schlecht fragen, ob du einen Firmenwagen nehmen darfst. Oder fährst du jetzt gar kein Auto mehr, seit du deinen Führerschein bestanden hast?“

An Sabines und Marcs Reaktion wusste ich, dass ich ungewollt ein heikles Thema angeschnitten hatte.

„Ich fahre wenig selbst, das stimmt. Aber im Moment kann ich mir kein eigenes Auto leisten, erst wenn ich selbst Geld verdiene.“

Ich nickte, schaute aber zu Marc, der schon Luft geholt hatte. Das wäre jetzt aber der falsche Zeitpunkt gewesen. Ich entschied mich daher Marc mit einem Blick zu verstehen zu geben, nichts dazu zu sagen. Er hatte mich verstanden.

Plötzlich tauchte Maxi bei uns aufgeregt auf.

„Chris, kannst du bitte mal kommen. Aaron hat sich verletzt und Justin kann seine Eltern gerade nicht finden. Ich glaube, es wäre besser, wenn du mal einen Blick darauf werfen könntest.“

Das war jetzt genau das was ich nicht gebrauchen konnte. Vor dem Viertelfinale einen Zwischenfall. Justin würde als erster auf den Platz gehen müssen.

„Ja, danke für die Information. Wo ist Aaron jetzt? Ist das was ernstes?“

„Er ist in der Umkleide und ich glaube, dass es schon was Größeres ist. Er ist beim Klettern abgerutscht und gegen die Wand geknallt.“

Das hörte sich nicht gut an. Ich machte mich sofort auf den Weg. Hatte Luc noch gebeten, mal nach meinen Jungs Ausschau zu halten und insbesondere nach Justins Eltern zu gucken.

In der Umkleide saß Aaron ziemlich blass auf der Bank und hielt sich seinen linken Arm. Justin saß bei ihm und redete beruhigend auf ihn ein. Als er mich kommen sah, entspannte sich Justins Körper.

„Na, was ist passiert?“, fragte ich Aaron.

„Wir waren klettern und bevor du dich aufregst, wir waren alle gesichert in der Wand. Aber ich bin abgerutscht und dann gegen die Wand geknallt. Da hat der Arm richtig geknackt und seitdem tut das richtig weh und ich kann den Arm kaum mehr bewegen.“

Obwohl er starke Schmerzen zu haben schien, wirkte er noch erstaunlich ruhig. Ich beugte mich jetzt zu Aaron hinunter und schaute auf den Arm auf dem bereits ein Kühlpack lag. Dennoch konnte ich die Schwellung schon sehen.

„Hast du deine Eltern schon informieren können, Justin?“

„Ja, aber sie sind gerade im Sport Park Hotel etwas essen und brauchen noch ein paar Minuten bis sie hier sind.“

„Gut, ich denke, Aaron muss ins Krankenhaus zum Röntgen. Ich kann aber versuchen, ob ich Christoph erreiche. Dann könnten wir das auch in seiner Praxis machen.“

„Ich muss mich gleich aufwärmen, sonst wird das eng mit dem Viertelfinale. Aber ich möchte Aaron jetzt auch nicht allein lassen.“

„Du bleibst auf jeden Fall bei Aaron bis deine Eltern kommen. Um alles andere kümmere ich mich. Kann ich dich mit Aaron allein lassen um zu telefonieren?“

Justin nickte und ich verließ die Umkleide. Telefonieren oder über Thorsten Christoph rufen lassen. Ich entschied mich zu letzterem.

Innerhalb weniger Minuten tauchte Christoph bei der Turnierleitung auf.

„Wo brennt's denn, Chris? Wenn du nach mir rufen lässt, muss schon was Böses passiert sein.“

Ich erklärte ihm die Situation und sofort holte er seinen Notfallrucksack und wir gingen gemeinsam in die Umkleide. Thorsten hatte ich gebeten, Justins Spiel einige Minuten zu verzögern.

In der Umkleide angekommen spürte ich sofort, dass es Aaron schlechter ging. Er war noch blasser geworden und Justin hatte ihm ein nasses Handtuch in den Nacken gelegt. Christoph erfragte die Lage und schaute sich den Unterarm an.

„Das sieht nicht so toll aus. Ich denke, wir sollten das sofort röntgen. Wir gehen zum Parkplatz und fahren in meine Praxis neben dem Stadion.“

In diesem Augenblick betrat John die Umkleide. Entgegen meiner Erwartung blieb er ruhig und tröstete Aaron. Kein Spruch, kein Meckern. Wir verließen den Raum und draußen stand wartend die Mama.

„Kann ich mich jetzt aufwärmen?“, fragte Justin.

„Kein Stress, Justin. Thorsten weiß Bescheid und wird dein Spiel erst aufrufen, wenn ich ihm das Signal gebe, dass wir alles geklärt haben. Willst du deinen Bruder begleiten?“

„Ja, würde ich schon gerne, aber ich kann ja nicht…“

„Dann geh mit. Und mach dir keinen Kopf über dein Viertelfinale. Wir haben genug Spielraum nach hinten. Wir können andere Spiele vorziehen. Das hat jetzt Vorrang. Wenn klar ist, was genau kaputt ist, dann kannst du mich bitte anrufen.“

„Meinst du wirklich? Dann gehe ich mit und danke für deine Hilfe.“

„Alles gut, das passt schon. Aaron, das wird wieder in die Reihe kommen. Wir sehen uns dann später und dann erzählst du mir, was Christoph gemacht hat. In Ordnung?“

Dabei zwinkerte ich ihm zu und wollte ihm etwas die Angst nehmen. Seine Mutter hatte jetzt die Lage im Griff und ich konnte mich wieder um das Turnier kümmern.

Marc und Sabine saßen immer noch an unserem Tisch. Sabine schien mich erwartet zu haben.

„Schön, dass du wieder zurück bist. Wie geht es Aaron und wie geht es Justin?“

Marc bestellte mir noch einen Latte Macchiato. Luc und Stef waren wohl schon zu den anderen Jungs gegangen.

„Aaron hat Schmerzen und ich vermute, dass der Arm gebrochen ist. Justin macht sich Sorgen, dass er nicht rechtzeitig zum Aufwärmen kommt. Ich habe ihm gesagt, dass er sich nur um seinen Bruder kümmern soll und alles andere uns überlassen kann. Jetzt hat Christoph das Zepter in der Hand und die Eltern sind auch wieder bei den beiden. Das wird also kein Problem mehr werden. Justin wird mich anrufen, sobald eine klare Diagnose möglich ist.“

„Okay. Dann setz dich bitte und ruhe dich noch etwas aus. Deine Jungs sind gut versorgt. Luc und Stef sind bei Dustin und Fynn und haben von mir die Ansage bekommen, sich um deine Truppe zu kümmern. Du hast noch Pause.“

Wenn ich Sabine nicht so gut gekannt hätte, wäre ich jetzt vermutlich ärgerlich geworden, aber sie wusste halt ganz genau wie ich ticke. Marc fing schon an zu lachen und bevor ich antworten konnte, kam von ihm:

„Das ist eine Anweisung von der Chefin. Der solltest du Folge leisten. Ansonsten sind diplomatische Spannungen nicht ausgeschlossen, hihihi.“

„Oh ja, das kenn ich schon. Und ich bin ja nicht blöd. Also trinke ich in Ruhe mit euch einen Kaffee und werde mich erst danach wieder mit Tennis befassen.“

Sabine klatschte spontan und lachte.

Die folgenden Minuten taten mir auch gut. Keiner störte uns am Tisch und die wenigen Minuten Ruhe waren wichtig für mich. So viel hatte ich mittlerweile gelernt und nutzte das auch für mich.

Dennoch musste ich mich wieder um den weiteren Ablauf kümmern. Fynn und Dustin würden jetzt sicher früher auf den Platz gehen müssen, da Justin noch verhindert war. Daher machte ich mich auf die Suche nach ihnen. Aber ich brauchte nicht lange zu suchen. Tim lief mir über den Weg und meinte:

„Falls du Dustin und Fynn suchst, die sind mit Luc und Stef an Platz dreizehn.“

„Danke. Wie ist die Lage bei dir? Wann musst du wieder ran?“

„Ich hole jetzt meine Tasche und gehe auf Platz vier. Carlo muss auch gleich wieder spielen. Thorsten hat irgendwie den Ablauf verändert.“

„Ja, ich weiß. Ich kenne auch den Grund, aber lass dich nicht verunsichern. Du bist gut genug und wirst das managen. Ich versuche auch bei euch mal zu schauen. Kann es aber nicht versprechen.“

„Danke, das wäre natürlich toll, wenn du auch bei uns mal schauen kommst. Ich weiß aber, dass du schon viel zu tun hast. Marco kümmert sich auch gut um uns. Trotzdem würde ich mich freuen.“

Ich nickte ihm zu und machte mich auf den Weg zu meinen Jungs.

Sie standen nicht am Platz, sondern sie schlugen sich eigenverantwortlich ein. Das beruhigte und erfreute mich.

„Hallo Chris, schön dass du wieder zurück bist. Was ist mit Aaron und Justin?“, fragte mich Fynn vom Platz aus.

Ich holte mir die beiden am Netz zusammen und nahm alle anderen aus unserer Runde, die dort am Platz waren, hinzu.

„Aaron hat eine Armverletzung. Ich vermute der Unterarm ist gebrochen. Christoph hat sich dem angenommen und damit ist der Junge bestens versorgt. Die Eltern übernehmen ab jetzt wieder und Justin kommt sicher auch gleich zurück. Ihr könnt euch also ganz auf euer Viertelfinale konzentrieren.“

„Das hört sich beruhigend an. Dann kann ich mich jetzt auf meinen Gegner stürzen. Wird Justin sein Match noch spielen?“

„Natürlich. Sein Bruder hat doch den Arm kaputt und nicht er. Und so gut wie ich Justin schon kenne, wird sein Gegner jetzt einen Helm und Schutzkleidung benötigen. Es wird scharf geschossen.“

Als Raphael das sagte, musste ich spontan auflachen.

„Da stimme ich dir voll zu und hoffe, Justin denkt nicht mehr an den Zwischenfall. Aber mir gefällt es, dass sich Justin für Aaron verantwortlich fühlt und besorgt ist.“

Ich setzte mich noch einige Minuten bei den Jungs an den Platz. Was ich zu sehen bekam, erfreute mich. Sehr ernsthaft wärmten sie sich auf. Als ob sie bei einem ATP Turnier wären.

Wie gut ihnen das tat, sah ich dann eine halbe Stunde später während ihrer Matches. Ihre Gegner hatten keine wirkliche Chance auf einen Satzgewinn. Zu dominant waren Dustin und Fynn mittlerweile. Und beide spielten nicht eine Minute überheblich. Sie schlachteten ihre Gegner nicht ab, aber sie ließen auch nichts anbrennen. Energie sparen war wohl das Motto.

Das schnelle Spiel ermöglichte es mir, bei Tim und Carlo vorbeizugehen und mir ihr Spiel anzuschauen. Auch dort sah ich exzellentes Tennis und freute mich, dass sie auch unter Marcos Training sich weiter positiv entwickelten.

Dass Carlo auch mich in seine Kommunikation auf dem Platz einband, hatte ich erwartet. Aber auch Tim nutzte jede Möglichkeit mit mir zu kommunizieren. Und das sehr konkret auf die jeweilige Spielsituation bezogen, obwohl er seinen Gegner gut unter Kontrolle hatte. Es gab keine Schlampigkeiten mehr und er ließ nichts anbrennen. Damit standen auch Tim und Carlo im Halbfinale ihrer Konkurrenz.

Das war nicht unbedingt zu erwarten gewesen, da beide bei den U16-ern spielten. Marco und ich trafen uns im Anschluss zu einer Fassbrause und einer Lagebesprechung auf der Terrasse.

„Läuft richtig gut. Unsere Truppe ist in allen Konkurrenzen noch gut vertreten. Besonders erwähnenswert sind Tim und Carlo. Bei den U16 sind beide im Halbfinale morgen. Das hatte ich nicht erwartet. Zumal doch einige sehr gute Spieler im Feld waren.“, meinte Marco.

„Ja, korrekt. Ich habe eben die Viertelfinale von beiden gesehen. Wenn sie das morgen auch noch einmal zeigen können, geht da noch mehr. Wer mich bislang jedoch am meisten überrascht hat, waren Mattes und Simon. Ich glaube, dass wir da mal genauer hinschauen sollten. Die haben beide großes Talent und sind im Kopf ganz bodenständig. Fynn und Dustin hatten die beiden ja während ihres Urlaubs auf Rügen kennengelernt und empfohlen, sie zu diesem Turnier einzuladen.“

„Ja, ich habe das auch schon von Toto gehört. - Wie ist das jetzt bei Justin eigentlich weitergegangen. Ich habe ihn schon einige Zeit nicht mehr gesehen. Ist es doch eine ernstere Verletzung bei seinem Bruder, so dass er nicht weiterspielen möchte?“

„Ja und nein. Also die Verletzung ist doch so schwer gewesen, dass eine Operation notwendig wurde. Justin wird aber sein Viertelfinale spielen. Thorsten hat es in Absprache mit Justins Gegner ans Ende des Tages gelegt. Ob Justin das aber ausblenden kann, wird sich gleich zeigen. Das Spiel hat gerade begonnen und ich werde mir das genau anschauen. In dieser Situation möchte ich Justin ungern allein lassen.“

„Das kann ich verstehen, dann lass uns doch unsere Besprechung dort am Platz machen. Justin wird es gut tun, wenn du am Platz bist.“

Das nahm ich gerne an und als wir zum 'Center 1' kamen, saßen zwar viele Haller Fans mit am Platz, aber als Justin mich erkannt hatte, tauchte ein Lächeln in seinem Gesicht auf. Der Spielstand war ziemlich eng. Das gefiel mir nicht, aber ich war auch nicht ganz unvorbereitet. Daher verschob ich das Gespräch mit Marco und begab mich an meinen gewohnten Platz in der Ecke des Courts. Justin hatte auch bereits mit mir begonnen zu kommunizieren.

Er zeigte mir deutlich an, wie schwer es für ihn war, sich zu konzentrieren. Der Spielstand zeigte ein 5:6 im ersten Satz bei Justins Aufschlag. Jetzt musste ich schnell eine Lösung für ihn finden. Ich bemühte mich seine Aufmerksamkeit zu erreichen, dass er sich vor jedem Aufschlag mehr Zeit nehmen und nur von Punkt zu Punkt denken sollte.

Komischerweise gelang es ihm gut, genau das machen zu können. Er schlug sehr konzentriert auf und brachte damit das Spiel zu null durch. Tie-Break. Und auch dort spielte er gutes Tennis. Als ob eine Veränderung stattgefunden hätte. Jedenfalls spielte sich Justin frei und schoss dann im zweiten Satz wirklich jeden Ball auf die andere Seite und gab kein einziges Spiel mehr ab. Sein Gegner hatte nicht mehr den Hauch einer Chance. Das würde eine interessante Nachbesprechung werden.

Jedenfalls hatten wir unsere Ziele mehr als erfüllt und morgen sollte wieder ein guter Tag werden.

Fynn: Gutes Turnier bislang und gute Stimmung im Team

Chris hatte bislang in allen Dingen Recht behalten. Dustin, Justin und ich hatten uns gut als Coach geschlagen und trotzdem selbst gutes Tennis gespielt. Für Justin wurde es allerdings erheblich schwieriger, da Aaron nach seiner Arm-Operation noch im Krankenhaus lag.

Daher hatte Chris entschieden, ihn von seiner Aufgabe, mit Malte zu arbeiten, zu entbinden. Justin sollte sich nur noch auf seine Spiele konzentrieren und seinen Bruder in der Klinik besuchen können.

Ich hatte mich ab jetzt auch nur noch um Simon zu kümmern. Mattes hatte das Match gegen seinen Freund knapp verloren. Dennoch tat das der Stimmung keinen Abbruch.

Am Samstagabend saßen alle von uns noch im Turnier befindlichen Spieler, deren Betreuer bzw. Eltern auf der großen Wiese an Platz dreizehn. Dort hatte der Verein einen großen Schwenkgrill aufgebaut und es gab Würstchen und Salate für alle, sozusagen eine Art Players Party. Es gab genügend kalte Getränke, jedoch auch für die Eltern weder Bier noch andere alkoholische Getränke. Das gefiel mir besonders gut.

Ich saß neben meinem Schatz und hatte eine Bratwurst in der Hand als Justin zu uns stieß. Er hatte als letzter sein Viertelfinale noch gespielt, weil er vorher im Krankenhaus bei seinem Bruder war.

„Hi Justin. Glückwunsch, ich finde es toll, dass du trotz der Aufregung um Aaron gewonnen hast. Jetzt stehen wir alle drei im Halbfinale und einer von uns wird auf jeden Fall ins Finale kommen.“

„Danke, Fynn. Ja, ich bin auch froh, dass Chris mir geholfen hat. Erst als er bei mir am Platz war, konnte ich mich wirklich auf mein Spiel konzentrieren.“

„Da staune ich auch immer wieder bei meinen Matches. Sobald ich mit Chris am Platz kommunizieren kann, fühle ich mich viel sicherer. Manchmal denke ich aber auch, dass wir mittlerweile auch ohne ihn besser klarkommen sollten. Warum können wir noch nicht allein spielen?“

„Warum? Dann bräuchten die ganzen Profis doch auch nicht ständig ihre Coaches am Platz zu haben. Sie sind ständig dabei. Also warum sollte ich ganz ohne Chris spielen wollen? Ich freue mich über jedes Spiel, welches er an meinem Platz begleitet.“

Was wir nicht bemerkt hatten, mittlerweile hatten sich Luc und Stef neben uns gesetzt. Auch meine Freunde aus der Schweiz gaben mir Sicherheit. Lustig war allerdings immer noch das Verhalten von Simon und Mattes. Sie hatten ihre Schwierigkeiten, sie nur als Freunde zu sehen. Anders verhielt es sich bei Lars und Zino, beide hatten mittlerweile kaum noch Berührungsängste.

„Wie geht es deinem Bruder? Ist die Operation gut verlaufen?“, fragte Luc.

„Danke, ja. Der Arzt meinte, dass er wohl morgen aus dem Krankenhaus darf, wenn die Wunde trocken und geschlossen ist. Mir wäre es aber lieber, er würde einen Tag länger dort bleiben, dann kann hier nichts passieren. Und er wird wohl die beiden Platten noch ein paar Monate drin behalten müssen.“

„Und dann vermutlich auch wieder rausoperieren lassen, oder?“

„Jap, das ist wohl so. Aber heute denke ich nur noch an morgen und das Halbfinale. Ich möchte ein gutes Match zeigen, und zwar ohne dass Chris wieder eingreifen muss.“

„Komm, das ist erst morgen dran. Lass uns jetzt den Abend mit den Freunden und Gästen angenehm fortsetzen. Kommst du mit zu Simon und Mattes? Die sitzen da vorn so alleine.“

„Können wir machen, aber hol sie doch zu unserem Platz. Luc und Stef möchte ich jetzt nicht allein lassen. Das ist immer interessant was sie zu erzählen haben.“

Und so saßen wir bald in einer größeren Runde an zwei zusammengestellten Tischen und waren gerade bei einer lustigen Anekdote von Luc bei Karl in München.

Luc hatte von einem Kunden berichtet, der seine Corvette bei Karl zur Inspektion gegeben hatte und als Ersatzfahrzeug eine neue C8 bekam. Es ging um die Rückgabe, die sich etwas ungewöhnlich gestaltete.

„Also ihr habt seine Corvette C6 in der Werkstatt gehabt“, fragte Simon nach, „und dabei festgestellt, dass das Getriebe nicht mehr sauber klang. Dann kam der Kunde zurück mit der neuen C8 und was passierte dann?“

„Naja“, erklärte Luc, „ich sollte ihm jetzt mitteilen, dass sein Auto nicht mehr ganz in Ordnung sei und wir noch eine Getriebespülung machen sollten. Das ist bei Automatikgetrieben sinnvoll nach ca. 100 000 km.“

„Wieviel Kilometer hatte denn seine schon gelaufen?“, fragte Dustin.

„Ca. 130 000. Was schon ganz ordentlich für eine C6 ist. Da wäre es schon sinnvoll, das zuerst zu versuchen, bevor man das Getriebe ausbaut und revidiert.“

„Das ist wohl so. Was kostet so eine Getriebespülung?“, wollte Malte wissen.

„Mit 350 Euro ist man gut dabei. Je nach Fahrzeug und Typ. Also im Verhältnis zu einer Getrieberevision sehr günstig. Jedenfalls hatte ich ihm das gerade erklärt und gefragt, ob er damit einverstanden wäre, als er mir eine Gegenfrage stellte. Mario stand neben mir und hatte nicht mit dieser Frage gerechnet. Er hatte nämlich gefragt, ob er die Autos nicht tauschen könnte. Also neue C8 gegen seine C6 und einem bestimmten Zuzahlungsbetrag.“

„Cool, da hat sich Karl bestimmt gefreut. Ein solches Auto verkauft man bestimmt nicht täglich. Was hast du ihm geantwortet?“, fragte Malte grinsend.

„Naja, seine C6 und 80 000 Euro, dann könnte er die voll ausgestattete C8 bekommen. Ich hatte das als Scherz gemeint, denn ich hatte keine Ahnung, was Karl ihm für seine C6 noch bieten würde.“

„Was kostet denn so eine C8 neu?“, fragte Simon jetzt nach.

„110.000 ungefähr plus die Extras“, kam überraschenderweise von Tim wie aus der Pistole geschossen.

„Du bist echt gut informiert, Tim“, stimmte Luc zu, „aber mit Zulassung und einigen Gimmicks, die schon in diesem Auto verbaut waren, sollte es etwas mehr sein. Jedenfalls guckte der Kunde mich nur einen Moment lang an und meinte dann, „Deal, wo kann ich den Vertrag unterschreiben?“. Damit hatte ich jetzt aber ein Problem, denn ich hatte ja keine Ahnung, was er für seine noch bekommen würde.“

„Hahaha, das war jetzt aber eine blöde Situation. Wie bist du da wieder rausgekommen?“ fragte ich.

„Naja, ich habe den Kunden gebeten einen Moment zu warten und bin zu Karl ins Büro, habe ihm die Lage erklärt und gedacht, jetzt bekomme ich richtig einen Einlauf. Aber Karl lachte nur und kam direkt mit mir mit. Er redete kurz mit dem Kunden, schaute sich die C6 an und hat sofort zugestimmt.“

Jetzt schauten wir uns alle erstaunt an. Damit hatte ich auch nicht gerechnet.

„Dann war das bestimmt keine normale C6. Karl ist da voll der Geschäftsmann. Was für eine C6 war das denn? Eine ZR1 oder was?“

Tim hatte richtig den Plan von diesen Autos. Luc zwinkerte ihm zu und erklärte uns:

„Nein, keine ZR1. Das wäre mir auch aufgefallen. Aber es war eine besondere C6. Sie war bei der NASCAR in den USA als Pace Car eingesetzt worden. Davon gab es nur sechs Stück, die dafür umgebaut wurden. Also eine richtige Rarität und die wollte Karl seiner Sammlung gerne einverleiben. Entsprechend schnell hatte er sich mit dem Kunden geeinigt und dem Kunden die neue C8 überlassen. Die C6 ist dann bei uns in der Werkstatt komplett zerlegt worden und bekam den vollen Service. Jetzt steht das gute Stück bei Karl im Showroom.“

„Krass, und der Kunde hat das nicht gewusst, dass er so eine Rarität besessen hatte? Da habt ihr also sozusagen einen echten Schnapper gemacht“, lachte Tim.

Nachdem wir noch einige Minuten mit Luc und Stef über Autos und die Arbeit von Luc in München gesprochen hatten, kam Maxi zu uns in die Runde. Das fand ich toll. Er hatte seine Arbeit erledigt und wollte noch etwas mit uns gemeinsam zusammen sein.

Jetzt hatte er natürlich das Halbfinale von Dustin und mir zum Thema gemacht. Und unsere auswärtigen Freunde damit komplett verwirrt. Denn Maxi hatte Dustin und mich damit aufgezogen, dass wir uns schon auf ein Ergebnis geeinigt hätten, damit der Sieger im Finale mehr Energien hätte. Leider hatten Simon, Mattes, Lars und Zino das für bare Münze genommen und sich total darüber aufgeregt, wie unfair das gegenüber Justin wäre. Justin spielte das Spiel aber mit, er meinte nämlich ganz trocken:

„Warum regt ihr euch darüber so auf. In der Formel 1 gibt es auch die Stallregie. Es ist doch nur sicher, dass ein Finalist aus dem Breakpoint-Team kommt. Was ist denn, wenn ich mein Halbfinale verliere? Dann hätten sich Dustin und Fynn gegenseitig verausgabt und würden im Finale platt sein. Wie blöd ist das denn?“

Was Justin clever gemacht hatte, er ließ Chris da außen vor. Damit vermied er, dass einer unserer Freunde Chris darauf angesprochen hat. Das wäre mehr als peinlich geworden.

Simon und Mattes waren immer noch etwas ungehalten, aber als ich ihnen dann erklärt hatte, dass wir sie die ganze Zeit auf den Arm genommen hatten, beruhigten auch sie sich schnell.

Es wurde ein lustiger und auch entspannter Abend. Sogar Tim und Carlo waren wieder wie früher die besten Freunde. Keine Ahnung, ob es da zwischen den beiden eine Klärung gegeben hatte. Eigentlich auch nicht so wichtig, solange sie sich so verhielten. Auch Raphael war nicht mehr bei Tim so anhänglich.

Gegen halb elf ging der Abend dann ruhig zu Ende und ich spürte meine Beine und meine Müdigkeit. Alle Halbfinale waren auf zehn Uhr angesetzt. Damit war um acht für uns die Nacht zu Ende.

Und ich freute mich auf den Sonntag, denn es waren außer uns dreien noch einige andere Spieler aus dem Breakpoint Team im Wettbewerb.

Entsprechend gut war die Stimmung beim Frühstück. Tim, Carlo und unsere Gäste aus Rügen hatten bereits in der Küche lebendig den Tisch gedeckt.

Beim Blick auf die Uhr staunte ich allerdings, denn es war gerade mal acht Uhr und Tim war bester Laune und hatte sogar frische Brötchen geholt.

„Was ist denn hier los? Frische Brötchen und der Tisch gedeckt? Was habt ihr angestellt?“, fragte ich und in dem Moment kam Martina in die Küche.

Sie schüttelte ihren Kopf und lachend kommentierte sie die Situation:

„Dass ich das noch erleben kann. Tim und Carlo haben freiwillig das Frühstück gemacht. Ich glaub es ja nicht.“

„Ja ja“ grummelte Tim, „ich gebe es ja zu, ich bin nicht der Morgenmensch. Aber heute ist Finaltag und ich kann mit meinen Freunden immer noch einen Titel gewinnen. Außerdem habe ich noch etwas zu sagen. Aber das mache ich erst, wenn Chris wieder bei uns ist.“

Nanu? Was war das denn? Tim bekam richtig Humor und war überhaupt nicht mehr gleich beleidigt oder empfindlich wie eine Mimose.

Eine Viertelstunde später war der Tisch voll besetzt und wir mitten im Frühstück. Raphael und Jaime waren für ihre Verhältnisse recht ruhig, dafür waren Simon und Mattes ziemlich aufgeregt. Martina wurde das bald zu bunt.

„Könnt ihr beide auch mal fünf Minuten ruhig sein? Die anderen möchten in Ruhe frühstücken.“

„Danke, Martina“, stimmte Justin zu.

Ihn störte diese Unruhe mit Sicherheit am meisten. Maxi wäre früher schon längst ausgerastet, aber seit er nicht mehr in der WG wohnte, war Justin unser Problemfall am frühen Morgen.

„Simon sollte seine Energie für den Platz aufsparen. Meine Güte, wie kann man nur so aufgedreht sein. An einem Sonntag kurz nach acht.“

Auch mein Schatz war leicht genervt. Ich konnte ihre Aufregung aber verstehen. Sie waren weit weg von ihrem Zuhause und Simon spielte in einem Halbfinale bei einem Ranglistenturnier. Außerdem hatte ich das Gefühl, Chris schaute genauer auf unsere beiden Freunde. Sollte ich ihnen das vielleicht mitteilen? Aber vielleicht würde Simon dann nur noch nervöser? Ich entschied mich, das für mich zu behalten.

Luc holte uns mit dem Teambus aus der WG ab. Als wir alle unsere Taschen im VW Bus verstaut hatten und uns hingesetzt hatten, kehrte plötzlich Ruhe im Auto ein. Simon und Mattes saßen in der letzten Reihe und schwiegen. Die ganzen zehn Minuten bis zur Anlage sprachen sie kein Wort mehr. Auch Dustin und ich fokussierten uns bereits auf unser Spiel. Chris würde uns wie immer frei spielen lassen und sich still in eine Ecke setzen. Oder aber er würde Justin coachen, da er dort nicht neutral sein musste.

Als wir den Bus verlassen hatten und auf die Anlage kamen, ging Luc neben uns. Stef wartete bereits am Eingang auf uns. Mit einem Kuss empfing er Luc und begrüßte uns auch sehr herzlich.

„Wer geht zur Turnierleitung und meldet uns an?“, fragte Justin.

Tim meldete sich, aber das fand ich nicht nötig. Er hatte mit Carlo das Frühstück gemacht und ich war der Meinung, entweder Justin, Dustin oder ich sollten das übernehmen ... Dustin hatte den gleichen Gedanken und erwiderte:

„Nein, Tim. Du hast schon das Frühstück gemacht. Einer von uns geht und sagt Thorsten Bescheid, dass alle Spieler aus der WG da sind.“

Tim nickte Dustin dankbar zu.

„Hat Chris etwas gesagt auf welchen Plätzen wir uns einschlagen können?“, fragte ich Dustin.

„Nein, aber wir wollten eh zu ihm gehen und ihn begrüßen. Ich denke, er sitzt bestimmt auf der Terrasse und trinkt seine morgendliche Latte Macchiato.“

Also machten wir uns wie eine Karawane auf den Weg zur Terrasse. Und tatsächlich saß Chris dort allein an einem Tisch und vor ihm stand eine Latte Macchiato. Darüber musste ich lachen als ich zum Turnierbüro abbog.

Thorsten saß dort noch allein vor seinem Rechner.

„Guten Morgen Fynn, wie ist die Lage bei euch?“

„Moin Thorsten, bei uns ist alles gut. Wir wollen heute ein paar Titel holen. Es sind alle Spieler, die in der WG untergebracht sind, anwesend.“

„Sehr schön. Dann könnt ihr euch auf den Plätzen zwölf und dreizehn einschlagen. Die sind für euch den ganzen Tag reserviert. Ich wünsche euch einen guten Finaltag und habt Spaß. Chris ist auch schon da. Falls ihr euch noch nicht gesehen habt.“

„Danke. Doch, gesehen habe ich ihn schon, aber zuerst wollte ich uns anmelden. Er saß eben auf der Terrasse. Die anderen werden sicher schon mit ihm gesprochen haben.“

„Hahaha, sehr gut. Kommen deine Eltern heute auch wieder?“

„Ja, wenn die Spiele beginnen, wollten sie wieder zuschauen. Ich möchte mich übrigens noch bedanken für eure Unterstützung bei unseren HIV-Tests.“

Thorsten nickte und zwinkerte mir zu und danach verließ ich das Büro wieder. Draußen wollte ich Chris jetzt richtig begrüßen.

Chris: Finaltag

Am heutigen Sonntag standen nur noch die Halbfinals und Finals an. Die Felder hatten sich gelichtet, genau wie die Campingwiesen.

Ich hatte mich entschieden, auf der frühmorgendlichen Terrasse sitzen zu wollen und den Tag ruhig mit einer Latte Macchiato zu beginnen.

Die Ruhe hielt nicht lange an, denn ab neun erwartete ich Leben auf der Anlage. Um zehn sollten die Halbfinals beginnen und zumindest meine Truppe sollte gleich zum Aufwärmen antreten.

Marc und Sabine hatten sich heute auch erst um zehn zu den Spielen angesagt.

Gerade hatte ich meinen zweiten Latte erhalten als ich mir bekannte Stimmen wahrnahm. Diese klare Stimme konnte nur Carlo sein. Und tatsächlich kam das ganze Rudel geschlossen auf die Terrasse. Schnell hatten sie mich erreicht und begrüßten mich herzlich. Dass die Stimmung gut und gelöst war, spürte ich sofort. Selbst Tim wirkte entspannt. Er war mitten drin und auch Carlo war in seiner Nähe. Das gefiel mir.

Lediglich Mattes wirkte angespannter als sonst. Seinen besten Freund hatte er an seiner Seite und dennoch machte er einen unsicheren Eindruck. Die beiden hatte ich schon die letzten Tage gut beobachtet. Heute war ich gespannt, ob Mattes wieder so gutes Tennis spielen würde, auch wenn er heute sicher mehr in den Fokus aller rücken würde.

Nachdem mich alle begrüßt hatten, kam Fynn durch die Terrassentür nach draußen.

„Guten Morgen, Chris. Wie ich sehe, bist du gut versorgt. Hoffentlich haben sie genug Fassbrause kaltgestellt. Sonst haben wir deine schlechte Laune auszuhalten.“

Nanu? Fynn am frühen Morgen schon zu Scherzen aufgelegt. Sehr schön.

„Naja, Thorsten kennt mich ja auch und Marco mag mich auch nicht schlecht gelaunt, also müsst ihr keine Sorge haben. Wenn ich jetzt noch gutes Tennis von euch zu sehen bekomme, hat niemand etwas zu befürchten.“

Alle lachten laut, nur Simon und Mattes blieben unsicher inmitten der Freunde. Ich verteilte die Truppe auf die Trainingsplätze. Bis auf Mattes sollten sich alle frei verteilen. Mit Mattes hatte ich etwas anderes vor.

„Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Ich möchte mit dir einige Minuten in Ruhe reden. Bevor Simon auf den Platz geht, kannst du wieder bei ihm sein. Komm, setz dich zu mir.“

Das tat er zwar, aber seine Unsicherheit war spürbar.

„Haben wir etwas angestellt? Du hast uns bislang nie so zu einem Einzelgespräch gebeten. Das fühlt sich an wie in der Schule.“

„Hast du denn ein schlechtes Gewissen?“, fragte ich mit einem Augenzwinkern.

Er zuckte mit den Schultern.

„Entspann dich. Es ist alles gut. Ich wollte nur mal kurz von dir hören, wie es euch hier in Halle gefällt? Ihr seid für euren Trainingsaufwand richtig gut. Und ihr lernt schnell dazu. Mir gefällt das. Meine Jungs haben mir nicht zu viel von euch versprochen.“

„Danke. Das ist schön zu hören. Ich fühle mich mit meinen neuen Freunden hier wohl. Es ist nur schade, dass wir morgen wieder nach Hause fahren müssen. Hier kann man echt cool trainieren. Und auch die Trainer sind alle cool und nett. Da macht auch hartes Arbeiten sicher Freude.“

„Sehr schön, Mattes. Bist du mit deiner Leistung hier zufrieden? Du hast ja leider gegen deinen Freund spielen müssen und dann verloren.“

„Ja, ich bin sogar sehr zufrieden. Dass ich gegen Simon verloren habe, wundert mich nicht. Er ist zurzeit besser als ich. Aber ich habe hier gut gespielt. Vielleicht schafft Simon ja noch eine Überraschung. Wir sind beide nicht gesetzt und daher ist Halbfinale für Simon sehr gut.“

„Allerdings. Ich habe euch beide die letzten Tage etwas genauer beobachtet. Und ich muss sagen, ihr habt beide Talent. Fühlt ihr euch in eurem Verein wohl?“

„Es geht so. Wir würden schon gerne mehr trainieren, aber in unserem kleinen Verein auf Rügen ist das schwierig. Außerdem sind ein paar Erwachsene komisch. Sie denken, dass sie mehr Rechte haben als die Jugendlichen. Wenn wir mal gegen einen Erwachsenen spielen dürfen sind sie oft beleidigt, wenn sie verlieren. Manche fangen dann sogar an zu betrügen.“

„Ja, ich habe von Fynn schon gehört was ihnen im Urlaub passiert ist. Aber ich glaube, er hat eurem Angeber dort eine Lehrstunde gegeben und vielleicht bewirkt es ja etwas.“

„Ups. Das war eigentlich nicht geplant, dass er davon berichtet. Ich fand das einfach nur peinlich. Vor allem haben wir überhaupt keinen Plan gehabt, wie gut Fynn und Dustin tatsächlich schon sind. Umso schöner, dass sie auch danach noch mit uns gespielt haben.“

„Das erwarte ich aber nicht anders. Beide Jungs sind tolle Kerle. Spielerisch und vor allem auch charakterlich. Deshalb wundere ich mich darüber überhaupt nicht. Auch nicht, als sie mich gebeten hatten, euch hierher einzuladen. Ihr könnt Tennis spielen und seid schon recht weit im Kopf für euer Alter. Wie ist das mit euren Eltern? Stehen die hinter eurem Hobby?“

„Ja, das tun sie. Auch wenn sie schon gestutzt haben, als wir ihnen von der Einladung erzählt haben.“

„Hahaha, das kann ich mir vorstellen. Ich möchte jetzt mit dir noch nicht darüber sprechen. Das machen wir, nachdem Simon fertig ist. Jetzt möchte ich dir etwas über seinen Gegner erzählen und dich bitten, ihm vor dem Spiel etwas davon zu berichten. Fynn muss gleich selbst sein Halbfinale spielen und kann euch daher nicht betreuen.“

Mattes hatte bereits erwartet, dass Simon ohne Fynn klarkommen müsste. Aber er freute sich, dass ich ihm einiges über den Gegner berichten konnte und mit ihm eine Strategie gemacht hatte.

Er bedankte sich für das Gespräch und verließ mich mit einem Lächeln. Dass sich fremde Erwachsene so um sie kümmern würden, hatten sie nicht erwartet. Das ist mir bei diesem Gespräch deutlich geworden. Umso klarer wurden meine Vorstellungen. Dieses Halbfinale würde ich versuchen mir anzuschauen.

Nach einer kurzen Absprache mit Marco wer wann spielen wird, hatte ich mir einen Ablaufplan im Kopf gespeichert. Da alle Halbfinals parallel gespielt wurden, hatte ich mich für zwei Matches entschieden, die ich genauer beobachten wollte. Zum einen natürlich Justins Match und dann das von Simon. Sein Gegner war deutlich höher in der deutschen Rangliste notiert. Ich war gespannt, ob sich Simon davon beeindrucken lassen würde oder ob er erneut nur den Punkt spielen konnte.

Thorsten hatte meiner Bitte entsprochen und diese beiden Matches nebeneinander angesetzt. Dadurch konnte ich auf der Tribüne oberhalb von Center eins und zwei beide Spiele begleiten.

Dort stand ich nun und schaute mir die Einschlagphase an. Justin wirkte angespannt. Das kannte ich nicht mehr. Warum er sich diesen Druck heute machte, konnte ich nicht erkennen. Simon hingegen war nervös, aber er hatte keine Angst vor seinem Gegner. Das zeigte er in den lockeren Schwüngen seiner Schläge. Mir gefiel das gut.

„Na, bist du wieder im Turniermodus“, hörte ich plötzlich.

Ich drehte mich um und vor mir standen Sabine und Marc. Beide lachten und ich begrüßte sie mit einer Umarmung.

„Guten Morgen. Schön, dass ihr mich unterstützen wollt. Dann bin ich nicht mehr allein hier oben. Dustin und Fynn spielen hinten auf dem Center drei. Ich gehe davon aus, dass Luc und Stef dort sein werden.“

„Guten Morgen, Chris. Ja, Luc hat uns schon berichtet. Warum bist du hier oben und nicht bei Justin am Platz?“

„Weil ich mir beide Spiele anschauen will. Ich möchte Simon beobachten. Die beiden Jungs aus Rügen haben einen hervorragenden Eindruck gemacht. Und ich habe eine Idee im Kopf. Die beiden Jungs haben viel Talent, werden aber nicht ausreichend gefördert und trainieren nicht ausreichend.“

Sabine schüttelte ihren Kopf, während Marc nur vielsagend lächelte.

„Dir reicht es wohl nicht mit deinen Jungs unterwegs zu sein. Warum bist du jetzt auch noch hinter den beiden Jungs her?“

„Schatz, du hast Chris nicht richtig zugehört. Er will sich doch gar nicht persönlich um die beiden Jungs kümmern. Aber er sondiert für das Team nach Talenten. Ich glaube, ich habe Chris verstanden. Lasst uns doch bitte das Thema wechseln. Wird Justin Probleme bekommen in seinem Halbfinale?“

„Danke, Marc. Das Team sucht durch das Turnier nach neuen, förderungswürdigen Talenten. Daher ist es auch meine Aufgabe, die Augen offen zu halten. An meiner eigentlichen Aufgabe ändert sich dadurch nichts, Sabine. Ich habe nicht vor, mir noch mehr Arbeit aufzuhalsen. Dennoch glaube ich, dass wir uns mit Simon und Mattes genauer beschäftigen sollten. Und ich hoffe für Justin, dass er mit der Situation weiter zurecht kommen wird.“

„Weißt du wie es seinem Bruder geht? Ist er noch in der Klinik?“, fragte Sabine.

„Nein, die ganz aktuelle Lage von heute kenne ich noch nicht. Das habe ich vorhin bei der Begrüßung vergessen zu fragen.“

„Jetzt lässt du ihn sicher besser erst einmal spielen. Schade ist es schon, denn seine Eltern werden sich jetzt bestimmt um seinen Bruder kümmern und nicht seinem Halbfinale beiwohnen. Fynns Eltern habe ich heute schon begrüßt. Sie sitzen mit Luc und Stef bei Dustin und Fynns Spiel.“

„Genau, das werde ich auch machen und bin auch neugierig wie gut Justin das wegstecken kann.“

Da sich die Einschlagzeit dem Ende zuneigte, nahm ich meine übliche Position am Platz ein. Justin nickte mir zu und das war für mich ein gutes Signal. Er war bereits nur mit dem kommenden Match beschäftigt.

Entsprechend furios startete er in den ersten Satz. Innerhalb weniger Minuten hatte er ein Break geschafft und lag mit 3:0 in Führung.

Auf dem Nebenplatz entwickelte sich das Geschehen deutlich schwieriger. Simon fightete aber um jeden Punkt und konnte mithalten. Mattes saß direkt hinter der Spielerbank und leider machte er den Fehler, dass er versuchte Simon mit Ratschlägen zu unterschützen. Das missfiel dem Gegner. Ich hielt mich zurück, aber mir war schnell klargeworden, dass das so nicht bleiben konnte.

Bevor sich weiteres Ungemach aufbauen konnte, gab ich Mattes mit Zeichen zu verstehen, dass er zu mir herauf kommen sollte. Das tat er auch umgehend.

„Was gibt es denn, Chris. Ich möchte Simon gern weiter unterstützen. Er ist total aufgeregt.“

„Unterstützen darfst du, aber bitte von hier oben. Und ich möchte keinen weiteren Versuch sehen, die Regeln so eindeutig zu missachten. Es gibt hier ein Coachingverbot.“

Er schaute mich mit großen Augen an.

„Ist das schon verboten, wenn ich beim Seitenwechsel mit ihm spreche?“

„Allerdings. Das ist so nicht erlaubt. Simons Gegner hat sich auch schon darüber aufgeregt. Also, lass das bitte ab jetzt. Du darfst ihn anfeuern und natürlich unterstützen, aber nicht ständig mit ihm über das Spiel sprechen.“

An dieser Stelle ist deutlich geworden, dass beide wenige Erfahrungen mit derartigen Turnieren hatten. Daher nahm ich ihm das auch nicht übel. Und erfreulicherweise beruhigte sich die Situation auf dem Platz wieder, so dass beide Spieler auch wieder freundlicher miteinander umgingen. So sollte das sein.

Ich drehte mich wieder mehr Justins Match zu und erlebte einen fulminant spielenden Justin. Er schoss mit allem was gelb und rund war und das auch noch sehr präzise. Sein Gegner war ihm nicht gewachsen. Justin hatte zusätzlich noch Freude an diesem Spiel. Und was mir ganz wichtig war, er führte seinen Gegner nicht vor. Dennoch war das Ergebnis mit 6:0 und 6:2 mehr als deutlich.

Also würde es auf jeden Fall ein Finale des Breakpoint Teams geben. Deutlich spannender verlief das Match von Simon auf dem Center zwei. Bei 6:6 im ersten Satz ging es in den Tie-break. Das machte auch deutlich wie unterschiedlich diese beiden Partien waren. Auch die Schlaggeschwindigkeit unterschied sich deutlich. Nicht nur dem Alter geschuldet.

Beide versuchten, möglichst keine Fehler zu machen und mit wenig Risiko zu agieren. Das kostete Kraft und Nerven. Und ganz ehrlich, Simon zog mich in seinen Bann. Es war spannend und emotional packte mich das Spiel. Allerdings wurde ein großes Defizit bei Simon deutlich. Sein Aufschlag war zu harmlos und ohne Variation. So kam er immer wieder bei eigenem Aufschlag in Bedrängnis.

Plötzlich tauchte Marco bei mir auf.

„Hier steckst du. Ich nehme an, Justin hat gewonnen. Carlo und Tim sind auch fertig. Ich habe sie zuerst Auslaufen und Duschen geschickt. Erst danach dürfen sie zu Fynn und Dustin gehen.“

„Sehr gut. Und wie ist es gelaufen? Tim hatte eigentlich die größeren Chancen auf ein Finale.“

„Ja, hatte ich auch gedacht. Aber es war bei beiden sehr knapp. Letztlich hat Carlo mit viel Pech verloren. Tim ist im Finale. Er hat sehr verkrampft gespielt. Ich glaube, dass er wieder viel Druck spürt. Hast du eine Idee wie ich ihm da helfen könnte?“

„Ist er noch offen für ein Gespräch oder fällt er wieder in sein altes Verhalten zurück?“

„Er sagt schon selbst, dass er es besonders gut machen und unbedingt gewinnen wollte. Ich glaube sogar, dass es etwas mit dir zu tun hat. Allerdings blockt er jede Frage von mir dazu.“

„Alles klar. Dann rede mit ihm über etwas anderes als Tennis. Er soll sich ablenken und vielleicht mit Carlo oder mit Raphael und Jaime etwas machen.“

Nebenbei hatte ich das Match von Simon immer wieder im Blick. Er kämpfte verbissen und ließ sich auch nicht von einigen spektakulären Punkten seines Gegners beeindrucken. Mattes war mindestens genauso angespannt wie ich. Diese Jungs beeindruckten mich immer mehr und entsprechend stieg mein Puls. Den ersten Satz hatte Simon mittlerweile gewonnen und ich hatte gehofft, er könnte sich dadurch etwas freispielen oder sein Gegner würde nachlassen. Aber weder noch. Es blieb total ausgeglichen und Simon war körperlich am Limit. Ich versuchte, ihn daran zu erinnern, sich mehr Zeit zwischen den Punkten zu nehmen.

Marco war wieder gegangen. Aber er wollte mit Tim sprechen und ihn auf das Finale vorbereiten.

Als Luc plötzlich bei mir auftauchte, stutzte ich.

„Was gibt es, Luc? Sind Dustin und Fynn fertig?“

„Nein, sie müssen in den dritten Satz gehen, aber ich wollte fragen, ob du vielleicht einmal kommen kannst. Drüben sitzt eine Gruppe, die sich immer wieder über Dustin und Fynn lustig machen. Sie veralbern ihre Beziehung und lästern über Schwule.“

Das hatte ich hier in Halle überhaupt nicht erwartet. Aber das war auch ein Weckruf. Wir waren halt noch nicht in der Normalität angekommen.

„Ich komme. Und kannst du mir bitte einen Gefallen tun. Geh bitte ins Turnierbüro und bitte Thorsten er möge dorthin kommen. Ich brauche ihn als Turnierdirektor.“

Mattes hatte ich kurz informiert und wechselte sofort den Platz. Mein Puls fing leider auch an zu rasen. Schnell hatte ich mir einen Überblick verschafft und konnte Stef bei den anderen Freunden sehen. Die Gruppe der Störer hatte ich auch schnell ausgemacht. Sie waren clever genug, nicht unsportlich in die Ballwechsel zu grölen. Das taten sie allerdings bei Fehlern von Dustin und Fynn. Justin saß mittlerweile inmitten unserer Gäste und Freunde. Plötzlich stand er auf und lief sehr zielstrebig auf die Störenfriede zu. Eine Konfrontation bahnte sich an. Das wollte ich auf jeden Fall vermeiden.

Mit einigen schnellen Schritten ging ich Justin entgegen und fing ihn rechtzeitig ab.

„Stopp. Was hast du vor?“

Justin erschrak, denn er hatte mich vorher nicht gesehen.

„Wo kommst du denn jetzt plötzlich her? Ich will den Arschlöchern mal den passenden Text ansagen. Die benehmen sich unmöglich. Und eigentlich möchte ich denen eine reinhauen.“

„Das habe ich mir gedacht. Aber das wirst du nicht machen. Das regeln wir und nicht du. Thorsten ist auf dem Weg hierher. Dann sehen wir weiter. Wie steht es bei Dustin und Fynn?“

„Fynn führt. Dustin regt sich viel zu sehr auf. Zuerst lief es ruhig weiter, aber im dritten Satz verlor Dustin den Faden.“

In diesem Moment hörte ich eine Beleidigung, die mich persönlich betraf. Das war jetzt so laut zu hören gewesen, dass ich befürchtete bei Dustin würden jetzt alle Sicherungen durchbrennen. Und tatsächlich verließen sowohl Dustin als auch Fynn wutentbrannt ihren Platz und stürmten auf die Störer zu.

Eine Eskalation bahnte sich an.

Ich konnte Thorsten bereits am Platz erkennen. Aber auch alle anderen aus unserer Gruppe waren nun aufgestanden und wollten sich einmischen.

Ich entschied mich spontan zu einer Aktion. Ich pfiff ohrenbetäubend laut über den Platz. Meine Jungs hatten sofort begriffen, was sie zu tun hatten. Sie blieben auf der Stelle stehen und schauten verwundert zu mir.

Thorsten kam zu mir, ließ sich die Situation erklären. Danach nahm er sein Funkgerät und ließ die Störer zuerst einmal vom Platz entfernen. Ohne jede weitere Diskussion. Erst nach einigen Minuten konnte ich mich zu meinen Jungs bewegen. Dustin saß total aufgelöst auf seiner Bank und Fynn neben ihm. So war eine Fortsetzung des Halbfinales nicht sinnvoll. Ich stellte mich vor die Bank und holte mir Luc und Stef hinzu.

„So, ihr beiden. Hört mal zu. Ihr geht jetzt vom Platz. Luc und Stef begleiten euch. Und dann beruhigt ihr euch wieder. Ihr wollt doch diesen Schwachmaten nicht den Gefallen tun, dass sie ihr Ziel erreichen. Das übernimmt Thorsten jetzt. Ich will jetzt auch nicht mit euch darüber diskutieren. Das können wir später noch tun. Also, zischt ab.“

Fynn nahm seinen Freund in den Arm und zog ihn von der Bank hoch. Dabei schaute mich Dustin an.

Ich nickte ihm zu und dann sollten sie zur Ruhe kommen. Luc und Stef begleiteten sie und ich holte Justin zu mir.

„Ich möchte, dass du mit Sergio und Marcelo ein Auge auf die beiden hast. Sollte irgendetwas passieren, komm zu mir. Sofort! Ich gehe zu Thorsten und schaue mal was noch zu tun ist.“

Justin versprach mir, sich darum zu kümmern.

Im Turnierbüro war Thorsten nicht anzutreffen. Daher nahm ich mir ein Funkgerät und sprach ihn damit an. Er war gerade dabei, auf dem Parkplatz dafür zu sorgen, dass die Störer die Anlage verlassen mussten.

Als ich aus dem Turnierbüro herauskam, hörte ich eine bekannte Stimme.

„Wo willst du hin? Du kommst mit mir auf die Terrasse und wir trinken zusammen einen Othello.“

Sabine stand wie ein General vor mir und machte ein todernstes Gesicht.

„Das ist nicht mehr deine Baustelle. Marc hat das mit Thorsten in die Hand genommen. Das wird reichen. Verlass dich darauf. Diese Idioten werden euch nicht mehr belästigen. Wir können einen Othello trinken.“

Nach einer Schrecksekunde musste ich lachen. Einfach laut lachen.

„Hahaha, sehr gut. Wirklich. Kaum drehe ich euch mal den Rücken zu, greift Marc wieder in die große Kiste. Aber ich bin mittlerweile so klug geworden, dass ich nicht widerspreche und mich beruhige. Lass uns gehen.“

Sie entspannte sich wieder und lächelte. Wortlos gingen wir nach draußen und nahmen an einem Tisch Platz.

„Wo sind Fynn und Dustin?“, fragte sie mich.

„Ich hoffe, dass sie mit Luc und Stef irgendwo sind, wo Ruhe ist. Dann sollen sie ihr Match zu Ende spielen. Wenn sie das nicht mehr wollen, dann ist das für mich auch okay. Dann lose ich den Sieger aus.“

„Das meinst du doch wohl nicht ernst, oder? Den Sieger auslosen?“

„Nein, oder doch. Ich muss zugeben, dass ich so eine Situation noch nicht hatte. Ich kenne die Regeln bei so einer Situation überhaupt nicht. Aber ich denke auch, dass es nicht dazu kommen wird.“

Wir bekamen unseren Othello und auch Marc und Thorsten kamen jetzt an unseren Tisch.

Wir bekamen eine kurze Lagebeschreibung und die Sicherheit, dass uns diese Idioten nicht mehr belästigen würden.

Thorsten fragte mich:

„Wie geht es dir?“

„Es ist in Ordnung, aber es nervt. Ich kann meine Jungs auch verstehen. Sie wollten mich schützen.“

„Mach dir darüber keinen Kopf. Sie haben sich vorbildlich verhalten. Kannst du mit Dustin und Fynn über die Fortsetzung ihres Halbfinals sprechen? Oder soll ich das Marco machen lassen?“

Jetzt meldete sich Sabine.

„Ich gehe mit Chris zu den Jungs. Niemand kann das besser als Chris. Aber er soll nicht allein gehen. Ich gehe mit.“

Das empfand ich als eine tolle Geste und nahm ihr Angebot dankend an. Also machten wir uns auf den Weg zu den Jungs.

„Du weißt doch bestimmt, wo sie mit Luc und Stef hingegangen sind, oder?“, fragte ich auf dem Weg.

„Ja, sie sind auf den Spielplatz gegangen. Dort warten sie auf dich.“

„Du meinst auf uns.“

„Nein, ich begleite dich nur dorthin. Du solltest allein mit ihnen sprechen. Was wirst du ihnen raten?“

„Wenn ich nur den kleinsten Zweifel habe, werde ich das Spiel abbrechen. Aber ich denke, Dustin wird das nicht wollen.“

Was jetzt kam, bekam schon komische Züge. Als mich Luc und Stef kommen sahen, standen sie auf und verließen den Spielplatz und Sabine nahm ihre Söhne in Empfang. Ich setzte mich zu Dustin und Fynn auf den Rasen.

„Hi Chris. Es ist schön zu wissen, dass es dir gut geht“, kam leise von Fynn.

„Wie geht es euch? Habt ihr euch etwas beruhigen können?“

„Es geht. Aber als diese Typen dich beleidigten, hätte ich sie echt gerne umgehauen. Wenn du nicht gepfiffen hättest, wäre das richtig böse geworden“, erklärte Dustin immer noch erregt.

„Ja, dafür kenne ich dich mittlerweile zu gut. So ist es aber doch viel besser. Wir machen uns doch nicht mit solchen geistigen U-Booten die Hände schmutzig. Das haben wir nicht nötig. So, wie soll es mit dem Halbfinale weitergehen? Spielt ihr noch den Satz fertig?“

„Sollten wir machen. Es wäre Justin gegenüber nicht fair und sofort würden die Spekulationen kommen. Eigentlich ist ja auch nichts passiert. Gott sei Dank.“

Diese Aussage von Dustin erfreute mich. Er konnte mittlerweile besser solche Situationen einschätzen. Fynn überlegte einen Moment, fragte nach:

„Du hast dich entschieden? Wir spielen weiter?“

„Ja, ich will weiterspielen. Können wir uns noch einmal ein paar Minuten einschlagen?“

„Ihr könnt ganz normal fünf Minuten Einschlagzeit nehmen. Wie nach einer Regenpause. Ich finde es wichtig, Dustin, dass du zu Ende spielst. Es ist für deine Entwicklung wichtig. Das Ergebnis interessiert mich nicht. Hätte mich auch ohne diesen Zwischenfall nicht interessiert.“

Ich schickte die beiden wieder auf den Platz. Die Freunde würden eh am Platz sein und aufpassen. Ich wollte ganz bewusst nicht dabei sein. Der Druck für Dustin war so schon sehr hoch.

Als ich im Clubhaus ankam, wartete Thorsten auf mich und hielt mir mein Funkgerät hin.

„Warum nimmst du das nicht mit? Dann hättest du viel schneller Hilfe anfordern können. Ich habe mir schon etwas dabei gedacht diese Geräte zu verteilen.“

„Jajaja, das stimmt. Ich mag diese Teile nicht sonderlich. Aber jetzt werde ich brav sein und es mitnehmen.“

Thorsten zwinkerte mir zu und wir stimmten noch einmal den Zeitplan ab. Der Beginn der Finals würde sich um etwa eine halbe Stunde nach hinten verschieben.

Ich machte zur Beruhigung eine Runde über die Anlage und schaute bei den verschiedensten Matches zu. Allerdings führte das zu sich verselbständigenden Gedanken. Immer wieder kam ich zu Dustin und Fynns Spiel. Deshalb entschied ich mich, entgegen meines vorigen Entschlusses, doch zu dem Match der beiden zu gehen.

Als ich die Treppen zum Center drei hochgestiegen war und auf den Court hinunter blickte, hatten mich unsere Jungs schnell entdeckt. Sie schickten Tim zu mir los. Ich wusste genau was sie von mir wollten. Als Tim bei mir war, kam ich ihm zuvor.

„Du musst nichts sagen, ihr wollt, dass ich zu euch an den Platz komme, oder?“

„Ja, und nicht nur wir möchten das. Dustin und Fynn haben auch nach dir gefragt. Sie wollen dich dabei haben. Würdest du also mit mir kommen?“

„In Ordnung, weil du mich so nett gebeten hast, werde ich euch den Gefallen tun. Also, lass uns gehen.“

Gemeinsam kamen wir bei den anderen auf der Tribüne an. Es stand 4:1 für Fynn im dritten Satz und beide saßen gemeinsam auf der Bank. Das nutzten die anderen aus, um mich lautstark in Empfang zu nehmen. Das wiederum bemerkten Dustin und Fynn auf ihrer Bank. Sie schauten zu uns nach oben und Fynn begann zu lächeln. Er sagte etwas zu seinem Freund, der im Anschluss zu mir hoch winkte.

Ich reagierte mit einem Gruß zurück, mehr nicht. Sie sollten sich wirklich auf ihr Match fokussieren. Das war schwer genug unter den Bedingungen. Aber ich konnte auch erkennen, dass sich Dustin mit meinem Erscheinen am Platz deutlich entspannte.

Am Ende reichte es Fynn zum Sieg. Aber es gab keinen Jubel und auch kein anderes Zeichen des Sieges. Statt des üblichen shake-hands umarmten sie sich und es folgte ein viel stärkeres Signal. Fynn gab Dustin einen Kuss. Direkt am Netz! Das löste bei mir Gänsehaut aus. Es war eine wunderbare Geste der Stärke und deutlicher als Worte es auszudrücken vermocht hätten.

Deshalb entschied ich mich, doch hinunter zu gehen an die Bank. Ich umarmte Dustin zuerst. Dabei spürte ich immer noch seine Anspannung und fragte:

„Was ist los? Das Match ist doch vorbei. Du kannst dich entspannen.“

Dabei hatte ich ihn immer noch in der Umarmung. Er löste sich und erwiderte:

„Es geht nicht um das Match. Das hatte ich schon lange bevor du an den Platz kamst abgehakt. Ich habe Angst gehabt, dass dir etwas passiert sein könnte.“

„Also wieder die Angst, die dich einfach überkommt. Da ist also noch Bedarf an Arbeit. Aber ich finde es gut, dass du es jetzt so klar äußerst.“

„Hast du vorhin keine Angst gehabt? Diese Typen sind doch unberechenbar. Und du hast uns gesagt, dass du dir Hilfe nehmen wolltest, damit du diese Erlebnisse bearbeiten kannst. Jetzt wieder so eine Sache. Ich habe wirklich…“

„Stopp, Dustin. Natürlich geht da auch mein Puls hoch und ich bin äußerst angespannt und vielleicht sogar auch wütend. Aber ich werde mich von diesen Schwachmaten nicht einschränken lassen. Wir müssen klare Kante zeigen und das haben wir und werden wir auch weiterhin machen. Nachher haben wir mit Justin und Fynn ein ganz starkes Finale und auch mit Tim und Simon sind zwei von euren Freunden im Finale. Also ein ganz tolles Turnier bislang. Marco hat bei den ganz Kleinen auch zwei Haller im Finale. Von daher läuft das hier doch toll. Und auch die Aktionen mit der DKMS und der AIDS Stiftung werden super angenommen. Lasst uns nach vorne schauen und keine Sekunde länger als notwendig sich mit den Vollidioten aufhalten bzw. beschäftigen.“

Alle Freunde standen natürlich immer noch bei uns und hatten meinen Worten zugehört. Für einen Augenblick herrschte Stille, dann kam ausgerechnet von Tim:

„Richtig so. Genauso muss es sein. Chris hat es auf den Punkt gebracht. Wir lassen uns nicht einschüchtern. Vielleicht sollten wir neben der Vereinsfahne eine Regenbogenflagge hissen.“

Alle schauten jetzt Tim an.

Eine mega gute Idee.

Dann meinte Carlo:

„Lass uns das machen. Wer kann das genehmigen, Chris? Wen müssen wir dafür fragen?“

„Gerry Weber als Vorstandsvorsitzenden des Vereins. Das ist Sache des Vereines und nicht des Breakpoint-Teams. Aber ich unterstütze das sofort und es würde noch wirkungsvoller sein, wenn ihr persönlich bei Gerry fragt, ob das erlaubt wird.“

Tim nickte nur und ich war gespannt, was daraus werden würde.

Allerdings standen heute erst einmal die Finals an.

„Denkt ihr bitte daran, rechtzeitig noch etwas vor den Finals zu essen. Nicht dass jemand einen Hungerast bekommt.“

Ich ließ die Jungs zurück und machte mich auf den Weg zum Clubhaus. Aber mein Wunsch auf ein paar Minuten Ruhe würde vermutlich nicht in Erfüllung gehen. Thorsten würde mit Sicherheit mit mir über den Vorfall noch sprechen wollen. Dennoch ging ich von außen auf die Terrasse. Ich schaute mich nach einem freien Tisch um, da winkte Sabine mich zu ihrem Tisch. Marc saß wieder entspannt neben ihr.

„Wie ist die Stimmung bei den Jungs? Und wie geht es dir?“, fragte Sabine als ich mich an den Tisch setzte.

„Dustin hat, wie erwartet, die größten Probleme mit der Lage. Er hat das als persönlichen Angriff gegen mich empfunden und das ist für ihn sehr bedrohlich. Die anderen sind jetzt aber alle bei ihm und ich denke, zum Finale wird wieder die gewohnte Stimmung bei den Jungs herrschen.“

„Thorsten hat den Typen Platzverbot erteilt. Da es ausnahmslos keine Vereinsmitglieder sind, wird es schwierig, gegen sie Maßnahmen zu ergreifen. Es sei denn, du machst eine Anzeige bei der Polizei.“

„Blödsinn. Das ist es doch gar nicht wert. Ich möchte einfach hier solche Typen nicht haben. Ändern können wir sie eh nicht. Danke für deine Unterstützung und dass du Thorsten unterstützt hast.“

Marc nickte mir zu. Als eine Servicekraft herauskam, bestellte er einen Othello für uns. Sabine hatte mich die ganze Zeit beobachtet.

„Wie geht es dir jetzt?“, kam ihre erneute Nachfrage.

„Wieder besser. Und ich bin froh nicht allein gewesen zu sein. Aber jetzt schaue ich nach vorn und freue mich auf die Finalspiele.“

Nebenbei konnte ich Malte und Marvin beobachten. Sie hatten sich ein Eis geholt und standen am Rande der Terrasse. Sie redeten angeregt miteinander und schienen sich nicht einig zu sein.

Erst als Tim zu ihnen stieß und etwas erklärte, beruhigte sich die Unterhaltung. Dann kamen sie zu uns an den Tisch.

„Hast du mitbekommen, dass Simon sein Halbfinale doch noch gewonnen hat?“

„Nein, da ist mir die Situation mit den Störern dazwischengekommen. Aber umso schöner, dass er noch gewonnen hat. Dann wird Mattes während des Finals bestimmt bei ihm am Platz stehen.“

„Das wäre also für dich in Ordnung, wenn er nicht bei Fynn und Justin schaut?“, fragte Tim.

„Natürlich ist das in Ordnung. Und ich werde mit Sicherheit auch bei dir vorbeischauen.“

Das Tim sich darüber freuen würde, war mir bewusst, aber dass er dazu sogar äußerlich eine Regung zeigte, das überraschte mich. Mit einem leisen „Danke“ und einer Umarmung verließ er mich in Begleitung von Marvin und Malte. Ich schaute ihnen für einen Augenblick nachdenklich hinterher als mich Marc fragte:

„Was hältst du von einem guten Mittagessen?“

Diese Frage wurde wieder so eigenartig betont, dass mir klar war, dass er schon wieder einen Plan hatte. Heute waren mir Sabine und Marc immer einen Schritt voraus. Doch ich wollte mich dieser Situation nicht erwehren und erwiderte deshalb lachend:

„Oh, essen ist immer gut und gutes Essen ist noch besser. Was habt ihr vor?“

„Nun ja“, erklärte Sabine, „du brauchst auch ein bissel Ruhe und hier findest du beim Essen bestimmt keine Erholung. Also haben wir überlegt und entschieden, dass wir rüber in den Sportpark gehen, um uns dort etwas Ruhe zu gönnen.“

„Einverstanden, aber ich muss mich noch bei Thorsten abmelden und dann können wir losgehen.“

„Nein, das brauchst du nicht mehr zu machen. Thorsten weiß bereits Bescheid und hat dem zugestimmt. Er wird Marco bitten, für diese Zeit auch auf deine Jungs ein Auge zu haben. Aber zu den Finals sind wir zurück. Du musst ja keine Matchvorbereitung machen. Justin spielt gegen Fynn und Mattes wird von Dustin betreut und vorbereitet. Du wirst erst wieder während der Spiele gebraucht und vor allem dann zur Siegerehrung.“

Jetzt spürte ich ein warmes Gefühl in der Brust. Sabine hatte alles bedacht und zog ihre Linie konsequent durch. Sie zeigte mir genau die Stellen auf, an denen ich mein Verhalten noch nachjustieren musste. Ich sollte nicht mehr so viele Dinge gleichzeitig regeln wollen. Entsprechend muss wohl mein Blick gewesen sein, denn Marc begann zu lachen:

„Hahaha, Schatz. Jetzt glaube ich hat Chris es begriffen. Wir können los.“

Schnell hatte Marc den Tisch verlassen und Sabine und ich folgten.

„Du bist doch hier nicht für alles verantwortlich. Du hast deine Jungs und deine Jungs haben von dir eine Aufgabe erhalten. Marco und das Team sind auch noch da. Also nimm dir die Auszeiten und fühle dich nicht ständig für alles verantwortlich. Weißt du, deine großen Jungs sind toll. Sie kümmern sich um ihre Freunde und Gäste und haben auch ein Auge auf die jüngeren Spieler wie Tim und Carlo. Glaub mir, du bekommst sofort eine Rückmeldung, falls es irgendwo Probleme geben sollte. Aber du musst ihnen auch die Freiräume einräumen, respektive überlassen, und für dich nutzen.“ Sabine konnte es einfach nicht lassen, noch einmal in dem Topf umzurühren. Aber nun sollte es auch genügen, was ich einmal mehr zum Ausdruck brachte.

Das Essen im Hotel war wieder ein Fest und es war mir gelungen während dieser Zeit nicht an das laufende Turnier zu denken. Als wir nach dem Dessert noch einen Othello tranken, fragte mich Marc:

„Hast du dir mittlerweile einen Psychologen ausgesucht? Ich möchte, dass du so schnell wie möglich damit beginnst. Ihr werdet immer wieder in für dich schwierige Situationen kommen.“

„Ich habe mir einen Therapeuten gesucht, ja. Jetzt warte ich auf die Kostenzusage meiner Krankenkasse. Erst dann kann ich auch die Termine für mich machen. Das praktische dabei ist, dass ich nach den ersten Gesprächen sogar online Termine wahrnehmen kann. Das ist für mich natürlich gut. So kann ich auch während einer Turnierreise an mir arbeiten.“

„Das ist nicht dein Ernst. Du wartest jetzt auf die Zusage deiner Krankenkasse? Das war anders besprochen. Du nimmst dir diesen Therapeuten und fängst an zu arbeiten. Die Kosten werden nicht dein Problem sein. Egal wer die Kosten übernimmt, du jedenfalls nicht. Das war klar so abgesprochen.“

Ich wusste es. Marc hatte es nicht vergessen. Also musste ich auch hier zugeben, von Vereinbartem abgewichen zu sein, nämlich das Annehmen von Hilfe und Zusagen auch einzufordern.

„Ich werde wohl besser gleich am Montag mit dem Mann einen Termin vereinbaren. Nicht, dass ihr mich noch persönlich dorthin begleiten werdet.“

„Eine kluge Entscheidung“, lachte Sabine, konnte es aber dennoch nicht unterlassen, gleich noch einen draufzusetzen:

„Du wirst lernen müssen, dir Hilfe zu nehmen und zwar ohne schlechtes Gewissen. Und solange du das noch nicht beherrschst, werden wir aufpassen. Hihihi.“

Auf der Anlage hatte sich Marc ins Turnierbüro verabschiedet. Thorsten wollte mit ihm die Geschenkgutscheine für die Sieger unterschreiben. Die Finalisten erhielten Sachpreise.

Sabine und ich standen zwischen den Centern eins und zwei unter einem Sonnenschirm. Wir waren noch allein und ich war mir sicher, dass war auch ihr Plan gewesen.

„Weißt du eigentlich, wie erfolgreich ihr mit diesem Turnier wieder seid? So etwas zu organisieren und umzusetzen erfordert viel Manpower und euer Team zeichnet sich genau darin aus. Jeder ist voll dabei. Und du solltest das Team mehr und besser nutzen. Warum willst du so viele Dinge selbst und allein managen? Du bist doch eigentlich der Teamplayer schlechthin. Aber es fällt dir so schwer, dir eine Pause zu nehmen und aufzutanken. Dazu muss man dich fast prügeln. Wann wirst du das besser hinbekommen?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht will ich mir beweisen, dass ich genauso gut arbeite wie Jan. Vielleicht brauche ich das für mein Ego? Ich kann es dir nicht sagen. Was ich sicher weiß, ich will das bestmögliche Ergebnis erzielen. Das Team investiert so viel Zeit und Geld, das muss optimal genutzt werden.“

„Weißt du was, Chris? Es wird wirklich Zeit, dass du an dir intensiver arbeitest. Du hast schon viel erlebt und ertragen müssen. Erst mit deinem Bruder, dann mit deiner Homosexualität und dem sich verstecken müssen. Dann deine Alkoholsucht und letztlich der schwere Unfall mit den fatalen Folgen. Und immer wieder hast du dich aufgerafft und bist aufgestanden. Das kostet viel Kraft. Aber auch deine Energie ist endlich. Du wirst älter und brauchst mehr Regeneration. Mach endlich nur für dich etwas. Ich mache mir Sorgen, dass du bald ausgebrannt bist und krank werden könntest. Deine Jungs sind fast erwachsen und benötigen dich nicht mehr ständig um sich herum. Und eines ist vollkommen klar. Sollte dir etwas zustoßen, dann wäre der Verlust für Fynn und Dustin enorm. Sie machen sich mehr Gedanken um dich als du dir vorstellst.“

„Ich weiß das. Ganz bestimmt. Und ich weiß das auch zu schätzen, ehrlich. Es gibt mir ein tolles Gefühl so anerkannt zu sein. Die Vergangenheit kann ich aber nicht ungeschehen machen. Sie beeinflusst mich mehr als ich möchte und als ich mir eingestehen kann. Auch meine Ängste sind größer als ich zugeben kann. Als ich mit Jan in New York durch die Straßen gegangen bin und diese Panikattacke bekam, erst da ist es mir wirklich bewusst geworden, dass ich das nicht allein bewältigen kann. Aber jetzt werde ich das für mich nutzen und aufarbeiten. Ich habe es mir fest vorgenommen.“

Sabine hörte mir genau zu. Sie antwortete nicht, sie ging einen Schritt auf mich zu und umarmte mich mit den Worten:

„Das zu hören, beruhigt mich. Ehrlich. Und gönne es dir.“

Dass Thorsten zu uns gestoßen war, hatten wir beide nicht bemerkt.

„Störe ich gerade?“, fragte er.

„Nein, nein. Alles gut. Was liegt denn an?“

„Wir möchten mit den Finalspielen beginnen und dafür möchte ich dich mit auf den Center 1 nehmen, um dort den Menschen den Ablauf zu erklären. Dafür möchte ich dich und die anderen Coaches auf dem Platz haben.“

„Na, das bekomme ich noch hin. Wann soll ich wo sein?“

„Sehr schön, hahaha, dann in zehn Minuten auf dem Center 1. Marc weiß für die Siegerehrung bereits Bescheid. Vorher möchte ich dich aber noch zu Mattes und Simon etwas fragen.“

„Ja? Was gibt es dazu?“

„Sollten wir die beiden zu einem Trainingslehrgang einladen? Oder sollten wir direkt mit den Eltern Kontakt aufnehmen und den beiden anbieten bei uns zu wohnen und zu trainieren?“

Damit überraschte mich Thorsten jetzt. Ich hatte nicht gedacht, dass das Team so schnell reagieren würde.

„Ich wäre dafür, sie zuerst für eine Zeit auf Probe einzuladen. Dann sollten wir die Eltern einladen zu einem Gespräch. Wenn sie das von vornherein ablehnen, bräuchten wir uns darüber keine weiteren Gedanken mehr zu machen.“

„Gut, ich werde mit Jan Kontakt aufnehmen und dann besprechen wir das auf der nächsten Teamsitzung. Das Training auf Probe finde ich eine gute Idee. Zwei Wochen in den Herbstferien und dabei die Eltern einladen. Was denkst du?“

„Das ist ein guter Plan. Besprecht das nächste Woche. Ich werde dann schon in Italien sein.“

„Genau deshalb wollte ich schon deine Meinung hören. Wir werden darüber reden und wenn ihr zurück seid, schauen wir mal.“

Thorsten verließ uns wieder und für ein paar Minuten konnte ich meinen Gedanken nachhängen bis es Zeit wurde auf den Center 1 zu gehen. Bevor ich die Treppe hinunter ging, erkannte ich unsere Jungs unten am Eingang. Ich ging die Treppe hinunter und wurde von Burghard in Empfang genommen. Erst danach winkte ich meiner Truppe zu. Insbesondere Dustin schaute ich mir an. Er wirkte wieder fröhlich und sicher im Kreis seiner Freunde. Ein gutes Zeichen.

Die Tribünen füllten sich merklich und dann knackte es einmal und Thorsten begann:

„Liebe Spieler und liebe Eltern. Jetzt sind also die Finale beim diesjährigen Sparkassen Cup erreicht und wir erwarten noch einmal hochklassige Spiele. Ich möchte an dieser Stelle erneut auf die Aktionen der DKMS und der AIDS Stiftung hinweisen, möchte aber jetzt schon sagen, dass die Resonanz überragend gewesen ist. Dafür allen Menschen unser großer Dank. Das Team der Breakpoint Base wünscht jetzt allen Teilnehmern und Eltern tolle Finalspiele und ich möchte darum bitten, bei der späteren Siegerehrung aller Finalteilnehmer anwesend zu bleiben. Die Finalisten haben es verdient, vor angemessener Kulisse von unserem Ehrengast Marc Steevens geehrt zu werden. Jetzt übergebe ich das Mikro an Burghard. Er wird die Paarungen mit den jeweiligen Plätzen bekannt geben. Vielen Dank und viel Spaß!“

Burghard verlas die Paarungen und für mich wurde klar, sie hatten die drei Center Courts mit den attraktivsten Spielen belegt. So konnte ich sowohl bei Justin und Fynn als auch bei Tim zuschauen. Insgesamt war unser Team bestens in den Finals vertreten.

Bevor es auf die Plätze gehen würde, wollte ich mit Justin und Fynn noch sprechen. Entsprechend schnell verließ ich den Center 1 und suchte nach den Jungs. Ich konnte sie nirgends mehr sehen. Dustin war auch nicht mehr auffindbar. Ich konnte mir allerdings denken, dass sie sich schon in der Umkleide vorbereiten würden. Dorthin führte also mein Weg. Und tatsächlich saßen die drei dort mit Maxi auf einer Bank und redeten miteinander.

„Da ist ja Chris. Ich wusste doch, dass er noch kommen würde“, hörte ich Dustin laut sagen.

„Na klar, was habt ihr denn gedacht? Ich möchte doch ein gutes Spiel sehen und dafür wünsche ich euch alles Gute. Frage an Dustin, wie geht es Simon?“

„Puh, schwierige Frage. Er ist mega aufgeregt. Ich hoffe, er macht sich nicht in die Hose.“

„Na, das glaub ich nicht. So schön wäre das Muster in der Hose dann auch nicht.“

Für eine Sekunde schauten mich die Jungs fassungslos an, dann brachen sie in Gelächter aus.

„Der Spruch war gut, Chris. Hahaha!“, meinte Fynn und gab mir Fünf.

„Also gut, dann auf mit euch auf die Plätze. Zeigt den Menschen was ihr könnt und habt Spaß auf dem Platz. Möge heute der Bessere gewinnen.“

Ich klatschte noch einmal in die Hände und dann ließ ich sie allein. Ich wollte noch einmal nach Tim schauen und vielleicht würde mir Simon auch noch begegnen.

Und genau das geschah in dem Augenblick als ich an den Plätzen zehn und elf vorbei ging. Dort spielte sich Simon mit Tim warm. Carlo und Mattes standen am Zaun und schauten ihnen zu. Carlo hatte mich erspäht und winkte mir aufgeregt zu. Also nahm ich mir die Zeit zu ihnen zu gehen.

„Hi Chris, bist du zufrieden mit dem Verlauf des Turniers? Simon ist ziemlich aufgeregt und er hat großen Respekt vor seinem Gegner. Er hat Angst, dass er heute nichts mehr auf die Reihe bekommt. Tim ist gut drauf. Er will gewinnen und weißt du was? Er würde den Sieg dir widmen. Obwohl wir mit Marco einen tollen Trainer bekommen haben, hat Tim nicht vergessen was du für ihn schon getan hast.“

„Dann hoffe ich mal, er denkt jetzt nicht eine Sekunde mehr an diesen Plan. Er soll sich nur mit dem Gegner beschäftigen. Alles andere ergibt sich dann automatisch.“

Tim hatte mittlerweile bemerkt, dass ich bei ihnen am Zaun stand. Er hatte den letzten Ball angehalten und ging auf uns zu. Simon hatte uns noch nicht bemerkt und wunderte sich über Tims Verhalten. Bevor Simon sich aufregen konnte, kam von Tim:

„Sorry Simon, aber Chris ist zu uns gekommen. Da möchte ich mir doch noch ein paar Tipps abholen. Vielleicht hat er für dich auch noch Informationen.“

Tim kam zu uns heran und entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, verließ er den Platz und kam zu uns auf die andere Seite des Zaunes. Er war bereits gut verschwitzt. Das Einschlagen hatte Tim also ernst genommen und sich wirklich gut vorbereitet.

Allerdings tat er etwas für mich Überraschendes. Er umarmte Carlo und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Carlo reagierte überrascht, aber überhaupt nicht ablehnend. Er erwiderte diese Zuneigung sogar. Simon und Mattes hatten das natürlich mitbekommen. Aber sie reagierten beide nicht sichtbar.

„Ich denke, ihr wisst beide bereits alles über euren Gegner. Also genießt das Spiel. Es ist kein besonderes Spiel. Es ist ein Match wie jedes andere.“

Carlo schaute mich an. Er schien unsicher zu sein. Wie sollte er sich verhalten? Innerlich war das für mich ein Fest. Tim hatte für sich eine Entscheidung getroffen und Carlo hatte ihm zugestimmt. Wunderbar!

„Carlo, du bleibst bitte bei Tim am Platz. Simon wird von Marco und mir betreut. Solltest du meine Hilfe benötigen, kommst du einfach rüber zum Center 1. Alles andere wird sich auch später noch finden können.“

So langsam tauchte ich in den Finaltunnel. Obwohl ich Justin und Fynn entspannt zuschauen wollte, spürte ich die Aufregung und Anspannung bei mir wachsen.

Eine gute Stunde später war die Lage anders. Die Tribünen der Center eins bis drei waren gut gefüllt und die Stimmung bestens. Das Match von Justin und Fynn entwickelte sich zu einem Highlight, auch für die anderen Zuschauer. Viele lange Ballwechsel mit hohem Tempo und Spielwitz.

Tim spielte ebenfalls ein starkes Finale. Sein Gegner galt als Favorit, aber davon war nichts mehr erkennbar. Das Match entwickelte sich ausgeglichen und so ging es im ersten Satz in den Tie-break.

Bei Simon war meine Überraschung noch größer. Er spielte nach zögerlichem Beginn viel mutiger nach vorn und dominierte das Match. Der erste Satz ging deutlich mit 6:3 an Simon.

Ich entschied mich allerdings, dort nicht länger zu verweilen, da Marco bereits am Platz stand. Mein Weg führte zurück zu Tim.

Seine Art zu spielen beeindruckte mich. Viel fokussierter und konzentrierter bei jedem Ball. Die Nachlässigkeiten waren verschwunden und er kommunizierte mit mir über den Blickkontakt. Hier war mein Gefühl sehr klar. Tim würde dieses Spiel gewinnen. Trotz der schlechteren Position in der Rangliste. Auch die Zuschauer pushten Tim immer wieder nach vorn. Gerade nach den langen Ballwechseln.

Ebenfalls konnte ich den Jubel und den Applaus von Justin und Fynns Platz vernehmen. Das war mit Sicherheit das technisch beste Match des Tages. Allerdings hatte es für mich nur einen geringen sportlichen Wert. Daher entschied ich mich, Tims Match zuerst zu Ende zu verfolgen.

Und ich wurde belohnt mit einem faszinierenden zweiten Satz. Es wurde um jeden Punkt gefightet und erst nach dem wichtigen Break zum 4:3 für Tim kippte das Spiel zu seinen Gunsten. Der Gegner brach nach diesem Break ein und Tim konnte den eigenen Aufschlag zum 5:3 gewinnen. Allerdings wurde es dann wieder sehr spannend, denn der Gegner begann plötzlich nur noch den Ball ins Feld zu schaufeln. Eigentlich war dies etwas, was Tim bislang große Probleme bereitet hat. Aber heute zeigte er, was er dazugelernt hat. Er blieb geduldig und machte sofort Druck, wenn es eine Chance gab. Damit entschied Tim dieses Spiel ebenfalls für sich und gewann mit 6:3 das Match in zwei Sätzen.

Tim packte bereits seine Sachen in die Tasche als ich an der Bank ankam. Er hatte mich noch nicht bemerkt. Umso größer war seine Freude als ich ihm auf die Schulter schlug und ihm mit einer Umarmung gratulierte.

„Sehr starkes Match. Ich bin begeistert. Du hast viel dazugelernt und vollkommen verdient gewonnen.“

„Danke, Chris. Dieses Lob bedeutet mir viel. Es freut mich sehr, dass du bei mir zugeschaut hast. Wie sieht es denn bei Justin und Fynn aus? Oder weißt du etwas von Simons Spiel?“

Carlo stand schon wartend im Gang.

„Simon hat den ersten Satz gewonnen und spielt auch richtig gutes Tennis. Justin und Fynn machen eine Show aus ihrem Spiel.“

„Okay, dann gehe ich mal auslaufen und duschen. Vielleicht kann ich ja noch etwas von den beiden Matches sehen.“

Carlo begleitete seinen Freund und gratulierte Tim sogar mit einer innigen Umarmung und einem kaum sichtbaren Kuss. Dann verschwanden sie in Richtung Umkleide. Ich ging die Treppen hinauf und zurück zu Fynn und Justin. Dort hatten sich mittlerweile alle anderen aus meiner Truppe versammelt und feierten das Spiel.

Das Match ging in die Endphase und dort zauberten beide noch einmal richtig. Der Spaß von beiden Freunden an diesem Spiel war sichtbar. Sie spielten wie im Training und zeigten alle Schläge aus ihrem Repertoire. Da ging mir das Herz auf. Sie hatten sich wohl darauf geeinigt den Zuschauern etwas bieten zu wollen.

Und die Zuschauer honorierten das mit Applaus und einer grandiosen Stimmung auf dem Platz.

Fynn und Justin machten eine Show aus diesem Finale. Dass sie selbst mich noch überraschen konnten, zeigte sich dann beim Spielstand von 4:4 im dritten Satz. Der Schiedsrichter machte eine klare Fehlentscheidung. Nicht schön, aber es war menschlich.

Jetzt diskutierten die Jungs mit ihm über eine Korrektur der Entscheidung. Das war regeltechnisch leider nicht möglich. Das wussten die Jungs auch ganz sicher, aber sie hatten bereits eine andere Idee, die sie verfolgten. Es war ein offizielles Finale, da es auch Ranglistenpunkte gab. Also musste der Schiedsrichter so entscheiden.

In jedem anderen Turniermatch hätten sich die beiden auf eine Lösung nach ihrer Art geeinigt. Heute wollten sie aber etwas anderes erreichen. Sie holten Thorsten als Oberschiedsrichter an den Platz und redeten auf ihn ein. Als Thorsten plötzlich anfing zu lachen und auch der Schiedsrichter auf dem Stuhl anfing zu grinsen, wurde mir klar, sie hatten ihr Ziel erreicht. Doch was das Ziel sein würde, war mir noch nicht klar.

Allerdings packte der Schiedsrichter plötzlich seine Sachen und verließ wortlos seinen Stuhl. Das Publikum bekam das natürlich mit und es wurde ganz still auf den Tribünen.

„Du wirst unten am Platz gebraucht“, hörte ich plötzlich eine mir gut bekannte Stimme.

Dustin stand vor mir und zeigte nach unten. Sein Gesicht wirkte ernst, aber da ich ihn genau kannte, konnte ich in seinen Augen auch ein Leuchten erkennen. Sie hatten also etwas ausgeheckt. Wollte ich mitspielen?

Meine Neugier war stärker als die Skepsis, also ging ich nach unten zu Thorsten und den beiden Jungs auf den Platz.

„Kannst du dich bitte auf den Schiedsrichterstuhl setzen?“, fragte mich Thorsten.

„Machst du Witze? Das ist nicht erlaubt. Ich habe keine offizielle Lizenz und was soll das jetzt?“

„Besser du sitzt da oben als dieser Vollpfosten von eben.“

Justin hatte das todernst gesagt, das hieß, er hat versucht ernst zu bleiben. An seinen Augen konnte ich erkennen, dass es gespielt war. Also wollte ich ihnen den Spaß gönnen und setzte mich auf den Stuhl. Beim Spielstand von 4:4 übernahm ich also die Rolle des Stuhlschiedsrichters.

Natürlich kannte ich die Regeln dafür und wusste auch das Ipad mit dem Programm zu bedienen. Jetzt war ich allerdings gespannt was noch so alles passieren würde.

Das Match verlief bis zum 6:6 ohne weitere Besonderheiten. Aber dann wurde es noch interessant. Die beiden machten eine richtige Show aus ihrem Spiel und auch das Publikum wurde einbezogen. Fynn kommunizierte mit den Leuten auf der Tribüne und auch Justin spielte mit. Irgendwann holten sie Aaron auf den Platz, der auch ein paar Punkte spielen sollte. Das durfte ich natürlich nicht einfach so zulassen. Es war gegen die Regeln. Entsprechend heftig diskutierten Justin und Fynn mit mir. Eine richtige Show und es schien ihnen Spaß zu machen, mich ein wenig auf den Arm zu nehmen.

Nach etwa zehn Minuten Unterbrechung konnte weiter gespielt werden und als es 15:15 im tie-break stand, wurde mir klar, dass dieses Spiel nicht so einfach zu Ende gehen würde. Justin und Fynn hatten sich abgesprochen. Die Zuschauer freute es, denn sie bekamen noch exzellentes Tennis zu sehen.

Erlöst wurde ich dann beim Stand von 27:26 für Justin. Er schlug ein As und beendete das Match. Jetzt gab es standing ovations von den Zuschauern und natürlich mussten die Spieler dem Schiedsrichter die Hand geben. Justin stand vor dem Schiedsrichterstuhl und bat mich herunter zu kommen.

Also stieg ich hinunter und dann brach es über mich herein. Justin und Fynn umarmten mich und anschließend hoben sie mich einfach auf ihre Schultern und ließen mich hochleben. Alle Zuschauer machten eine La ola Welle. Mir war das absolut unangenehm.

Als sie mich dann wieder abgesetzt hatten, meinte Justin:

„Sorry, Chris. Aber du hättest uns doch nicht freiwillig so eine Chance gegeben Danke zu sagen. Daher haben wir Thorsten um Hilfe gebeten.“

„Hahaha, ich habe es doch geahnt, dass ihr etwas im Schilde führtet. Ich muss zugeben, eine coole Show habt ihr geliefert. Da halte ich das jetzt auch gut aus. Aber jetzt bitte wieder normal ohne Überraschungen.“

„Danke, Chris“, meldete sich nun Dustin und gab seinem Freund einen Kuss, „es ist so schön, dich als Freund und Coach zu haben. Du hast uns das Leben zurückgegeben und dafür sind wir unendlich dankbar.“

Er machte einen Schritt auf mich zu und es folgte eine ganz feste Umarmung.

„Alles gut, Jungs. Ich freue mich genauso über eure Entwicklung und möchte aber das Lob an euch zurückgeben. Ihr habt es gewollt, euch zu entwickeln und nicht aufzugeben. Lasst uns also gemeinsam weitermachen und noch weitere Erfolge suchen.“

Bevor ich weitersprechen konnte, kam Thorsten zu mir.

„Komm nicht auf die Idee gleich bei der Siegerehrung zu fehlen. Ich möchte dich hier gleich neben mir stehen sehen. Marc kommt auch und Gerry wird die Pokale überreichen.“

„Jajaja, schon gut. Ich weiß was sich gehört und werde nicht kneifen. Aber die anderen aus dem Team sind auch dabei, oder?“

Das bestätigte mir Thorsten. Also verließ ich den Platz und bevor ich mir etwas überlegen konnte, stand Carlo vor mir. Tim und Raphael standen neben ihm.

„Auch wir müssen uns bedanken. Du hast uns in Ruhe gelassen. Ich nehme an, du hast mitbekommen, dass ich nicht gut auf Raphael zu sprechen war.“

„Naja, leicht ist mir das nicht gefallen. Gerade während eines Turnieres ist das nicht so glücklich gewesen. Aber was ist denn nun Sache bei euch dreien?“

Raphael meinte daraufhin:

„Ich glaube, das ist hier jetzt der falsche Ort, aber ich möchte dir nur sagen, dass ich Tim nur dazu bringen wollte, zu sich und zu seinen Gefühlen gegenüber Carlo zustehen. Ich glaube, es ist jetzt alles geklärt und ihr solltet morgen mal in Ruhe miteinander sprechen.“

Dabei schaute ich mir Tim und Carlo an und beide liefen knallrot an. Ich musste lachen. Einfach nur lachen.

„In Ordnung, bevor ich gleich einen nächsten Lachanfall bekomme, morgen um halb drei treffen wir uns in der WG. Da besprechen wir alles Weitere. Jetzt ist Siegerehrung und wie ich sehe, ist momentan alles im grünen Bereich, oder?“

Die beiden nickten etwas schüchtern, aber Tim legte seinen Arm um seinen Freund und sie gingen mit Raphael gemeinsam zu den anderen Freunden.

Der letzte Akt des Turnieres stand an. Siegerehrung!

Alle Finalisten hatten sich auf dem 'Center 1' eingefunden und dort hatte Thorsten mit seinem Team die Pokale und Preise aufgebaut. Auch die Presse war mittlerweile bei uns und die anwesenden Eltern und Freunde der Finalisten saßen auf der Tribüne. Thorsten hatte sich bereits mit Gerry Weber und Marc aufgestellt. Es würde also jeden Moment losgehen können.

Thorsten testete kurz das Mikro und begann dann zu sprechen:

„Liebe Tennisfreunde, liebe Spieler und Eltern, liebe Sponsoren, es ist wieder soweit, der Sparkassen Cup ist zu Ende und die Sieger sind ermittelt. In diesem Jahr hatten wir ein stark besetztes Feld. Wir haben erstklassiges Tennis gesehen und nun möchte ich Gerry Weber bitten, die Siegerehrung mit unserem Ehrengast, Marc Steevens zu übernehmen.“

Applaus brandete auf und Gerry begann dann mit dem Verlesen der Namen und der zugehörigen Konkurrenz. Er startete bei den jüngsten Spielern. Die waren immer sehr aufgeregt und es war lustig zu beobachten als sie von Marc ihren Preis überreicht bekamen. Der ein oder andere war extrem schüchtern und Marc lockerte die Situation mit ein paar lustigen Sprüchen auf.

Dann kam die Konkurrenz mit Simon an die Reihe. Simon war ja immer noch scharf auf ein Autogramm von Marc. Ich wusste, dass Marc da etwas für ihn und Mattes vorbereitet hatte. Also nannte Gerry das Ergebnis und ein paar Informationen zu Simon und übergab dann das Mikrofon an Marc.

„Lieber Simon, du bist in diesem Jahr einer unserer besonderen Gäste gewesen. Dustin und Fynn hatten Mattes und dich zu uns eingeladen und ihr seid der Einladung gefolgt. Jetzt ist es doch tatsächlich passiert. Du hast das Turnier in deiner Klasse gewonnen und ich darf dir den Siegerpokal und einen Gutschein des Break-Point-Teams überreichen.“

Marc nahm den Pokal und einen gekennzeichneten Umschlag und überreichte ihn Simon. Was Marc zu ihm noch sagte, war nicht zu verstehen, denn Marc hatte das Mikrofon ausgeschaltet. Aber Simon reagierte sofort, denn er machte den Umschlag auf und bekam große Augen. Marc zwinkerte ihm zu und sprach ein paar ruhige Worte ohne Mikrofon zu ihm. Erst danach setzten Thorsten, Gerry und Marc die Siegerehrung fort.

Es verlief alles normal weiter, bis Tim an der Reihe war. Auch hier sprach Gerry ein paar schöne, persönliche Sätze zu ihm. Tim wirkte berührt. Zumindest hatte er damit nicht gerechnet und als Marc ihm den Pokal und den Umschlag überreichte, wirkte Tim wirklich unsicher. Aber dann traute er sich doch, Marc um das Mikrofon zu bitten. Er wollte ein paar Sätze sagen. Marc übergab lächelnd das Mikrofon.

„Ähm, ja. Liebe Tennis Fans, es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, dass ich als Teilnehmer an der Siegerehrung etwas sagen möchte, aber in diesem Jahr habe ich ein besonderes Bedürfnis hier jemandem Danke zu sagen. Es geht um meinen Trainer, eigentlich müsste ich sogar sagen Ex-Trainer, aber Chris ist für mich immer noch sehr wichtig. Du hast zu verantworten, dass ich vor einiger Zeit eine neue Chance hier bekommen habe, obwohl ich einige Fehler gemacht hatte. Erst heute begreife ich langsam, wie wichtig es ist, jemandem vertrauen zu können. Du hast mir vertraut und dich für mich eingesetzt. Sogar gegen Jan und Toto. Ich bin sehr dankbar für dein Vertrauen und möchte diesen Pokal und diesen Sieg dir persönlich widmen. Vielen Dank für deine Geduld mit mir.“

Für einen Augenblick war totale Stille in der Luft. Die Vögel zwitscherten und ich konnte sogar das Rauschen der Blätter hören. Dann brandete lauter Applaus für Tims Worte auf. Tim war mittlerweile zu Carlo an den Rand gegangen. Carlo umarmte seinen Freund und Tim winkte mir danach mit dem Pokal zu. Das machte mir eine Gänsehaut. Wie gut, dass Gerry die Siegerehrung fortsetzte.

Zum guten Schluss war die U21 Konkurrenz an der Reihe. Dort standen mit Justin und Fynn zwei gute Freunde und entsprechend locker verlief diese Ehrung. Im Anschluss sollte noch ein Foto mit allen Siegern und Platzierten gemacht werden. Leider hatte Gerry die Idee, dass auch alle Trainer und Beteiligte des Teams mit auf das Foto sollten. Auch für die Sponsoren. Da konnte ich nicht kneifen, egal wie ungern ich Fototermine hatte.

Einige Minuten später standen alle auf dem Center 1 und sollten vor dem Netz Aufstellung nehmen. Plötzlich hatte ich Simon und Mattes neben mir und beide waren sehr aufgeregt.

„Ist das wirklich ernst gemeint mit dem möglichen Probetraining hier in Halle? Wenn meine Eltern da zustimmen, könnte ich hier mit Simon zusammen trainieren, wohnen und auch zur Schule gehen?“

„So ist das gemeint. Ihr könnt in den nächsten Ferien zu uns kommen und für zwei Wochen richtig trainieren. Dann würden wir zum Ende der Zeit eure Eltern einladen und das mit ihnen besprechen. Aus meiner Sicht seid ihr große Talente, die bislang nicht richtig gefördert wurden. Und vielleicht noch eine Information für euch und eure Eltern. Macht diese Entscheidung nicht von der finanziellen Seite abhängig. Wir möchten dies euch anbieten und wir würden mit Sicherheit eine Lösung finden. Zumindest für eine begrenzte Zeit. Wir haben einen Förderpool, aus dem Spieler finanziell unterstützt werden können. Also redet mit euren Eltern in Ruhe darüber. Bei Fragen könnt ihr immer mit uns Kontakt aufnehmen.“

„Danke, Chris. Das ist so unglaublich viel mehr als wir je erwarten konnten. Diese Zeit hier war mega cool. Wir haben jetzt schon so viel dazugelernt und vor allem auch neue Freunde gefunden.“

„Sehr schön. Freunde sind immer gut und wichtig. Dann genießt euren hoffentlich nur vorübergehend letzten Abend und feiert noch etwas mit euren Freunden. Morgen geht es für euch wieder zurück nach Rügen. Ich werde mit Dustin, Fynn und Justin dann am Dienstag nach Mailand aufbrechen.“

„Cool, was für ein Turnier ist das dort?“

„Ein ATP 250 er“, kam jetzt von Dustin, der unsere Unterhaltung mitbekommen hatte.

„Ein echtes Grand Prix Turnier? Das ist ja geil. So richtig mit Weltranglistenpunkten und Siegprämien. Wie krass.“

Simon wirkte beeindruckt. Obwohl er ja mittlerweile wissen sollte, dass unsere Jungs schon einige Turniere auf dem Level gespielt hatten. Aber er war auch von dem Angebot nach Halle zu kommen sehr aufgeregt.

Das Foto war gottseidank schnell abgehakt und ich hatte endlich Schluss für heute. Mein Plan war es, mit Marc und Sabine den Abend ruhig ausklingen zu lassen.

Thorsten gab mir noch die Rückmeldung über den hervorragenden Verlauf der DKMS und AIDS Aktion und danach durfte ich mich aus dem Tagesgeschehen verabschieden. Die nächsten Wochen würden wieder spannend und anstrengend werden.

Aber heute wollte ich mit Marc und Sabine in Ruhe den Abend verbringen. Und das begannen wir nicht im Sportpark, sondern bei Carlos Eltern im Restaurant. Und natürlich blieb es nicht nur bei einem gewöhnlichen Essen, und es wurde sehr lustig. Schade, dass meine Freunde morgen wieder zurück in die Schweiz abreisten, aber wir hatten schon weitere Pläne geschmiedet.

Davon mehr im nächsten Teil.

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