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Auf der Tour
Teil 28
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Informationen
- Story: Auf der Tour
- Autor: cdwgrisu
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Lovestory
Inhaltsverzeichnis
- Chris: Viel Neues in der Base
- Fynn: Ein spannender Geburtstag mit Überraschungen
- Chris: Soll ich wirklich mit Jan auf die Tour gehen?
- Luc: Die Zusammenarbeit von Jan und Chris begann vielversprechend
- Chris: Eine gute Trainingswoche, neue Bewohner und ein verrückter Freitag
- Fynn: Simon und Mattes kommen an
- Chris: Viel Action vor der Abreise
- Marc: Die Feier von Fynn und Dustin
- Chris: Ein gelungener Abend ohne große Zwischenfälle
- Fynn: Am Tag nach der Party
Chris: Viel Neues in der Base
Heute war Dienstag nach der Rückkehr aus Stralsund und Fynns Geburtstag.
Den gestrigen Montag hatte ich allen frei gegeben. Marc, Sabine und ich hatten den Tag genutzt, ebenfalls eine Auszeit vom Tennis zu machen.
Stef und Luc haben sich natürlich mit Justin, Dustin und Fynn beschäftigt. Besonders schön für mich, sie hatten Sergio und Marcelo mitgenommen. Thorsten hatte Luc dafür einen Teambus zur Verfügung gestellt. Bei der Gelegenheit wurde auch geklärt, dass Marc in Zukunft Team-Fahrzeuge fahren durfte.
Für diese Woche waren einige Veränderungen angekündigt. Unsere neuen Spieler für die WG würden im Laufe der Woche eintrudeln und insbesondere die Ankunft von Carlos spukte mir im Kopf herum. Hoffentlich würde es mit den Eltern keinen unnötigen Stress geben.
Aber Jan hatte mir gestern noch einmal klargemacht, dass die Verantwortung für dieses Projekt nicht bei mir liegen würde. Ich hätte mit den drei großen Jungs genug um die Ohren. Aber ich sollte natürlich in beratender Funktion schon über alles informiert werden. Das wollte ich auch so. Carlos sollte einen so einfachen Start in einen neuen Lebensabschnitt wie nur möglich bekommen.
Ich empfand es als glücklichen Umstand, dass Marc und Sabine in dieser Woche bei uns weilten.
Ab Morgen würde Heikki mit unserer medizinischen Abteilung eine Fortbildung machen. Somit war richtig Programm angesagt.
Außerdem stand heute eine große Teamsitzung an. Marc sollte ebenfalls dazukommen. Also würde es mit Sicherheit auch um das Projekt ATP Tour für die Jungs gehen. Jan hatte mir ja in Stralsund schon eine Andeutung gemacht.
Allerdings hatte er sich, wider Erwarten, mit mir bereits gestern getroffen. Er wollte mir vorab seine Sichtweise geschildert haben und mir auch erklären, warum er diese Entscheidung mit Maxi so getroffen hatte. Ich hatte wirklich den Eindruck gewonnen, dass er mich nicht überfahren wollte und mich auch weiterhin in meinen Entscheidungen nicht bevormunden will. Und das für mich Entscheidende war, ich hatte ein gutes Gefühl dabei. Das ließ mich beruhigt in die heutige Teamsitzung gehen.
Für den Nachmittag hatte ich ein normales Training angesetzt und auch die restliche Woche sollte normal trainiert werden. Lediglich am Freitag hatte ich nur für Justin und Fynn mit Sergio ein Vormittagstraining angesetzt. Am Nachmittag sollten sich die Jungs um die Geburtstagsfeier von Dustin und Fynn kümmern. Die war für Samstag geplant.
Dustin hatte am Freitag seinen achtzehnten Geburtstag. Marc hatte noch keine Andeutungen hinsichtlich Überraschungen gemacht, doch ich war mir sicher, dass wir am Freitag nicht normal trainieren würden. Aber abwarten.
Jetzt saß ich auf der Terrasse vor meiner Wohnung und bereitete mich auf die gleich anstehende Teamsitzung vor. Marc und Sabine würde ich also erst zur Teamsitzung sehen. Allerdings hatte ich auch ein komisches Gefühl, weil ich mich heute auf Überraschungen einstellen sollte. Bei Marc musste ich immer mit verrückten Sachen rechnen.
Eine Sache hatte ich fast vergessen, heute am frühen Vormittag standen die Führerscheinprüfungen der Jungs an. Dustin hatte noch eine Fahrstunde direkt vor der Prüfung zu absolvieren. Das war notwendig geworden, da wir ja früher nach Stralsund gefahren waren. Deshalb war es auch sinnvoll, nur ein Nachmittagstraining anzusetzen.
Plötzlich ertönten einige „Pings“ auf meinem Handy. Da hatte jemand gleich mehrere Nachrichten an mich geschickt. Ich nahm es vom Tisch und als ich die Bilder sah, musste ich lachen. Auf den ersten Bildern grinsten mir Fynn und Dustin mit ihrem Führerscheinen in der Hand entgegen, danach bekam ich doch etwas Herzklopfen, denn die folgenden Bilder zeigten Fynn bereits hinter dem Lenkrad und mit Marc auf dem Beifahrersitz. Fynn durfte doch tatsächlich den Ferrari von Marc fahren. Dustin durfte heute noch nicht, da er ja noch keine achtzehn war.
Wie auch immer es Marc geschafft hatte dort aufzutauchen, diese Aktion war absolut typisch für ihn. Immer das Unmögliche für möglich halten und einen Weg dahin finden.
Auf jeden Fall würden wir heute noch ein lebhaftes und sicher auch lustiges Training erleben.
Es war ein sonniger Tag und ich wollte unbedingt meine Panigale wieder bewegen. Ich war schon wieder zwei Wochen keinen Meter damit gefahren. Also räumte ich meine Sachen in die Wohnung und zog mir meine Motorradsachen an. In den Rucksack kam der Laptop für die Teamsitzung.
Wie zu erwarten war, sprang die Ducati nur widerwillig an. Von einem runden Motorlauf war sie danach noch meilenweit entfernt. Aber sie lief und ich gönnte ihr noch zwei Minuten Warmlaufzeit. Aber dann juckte es mich einfach loszufahren. Diese Geräuschkulisse einer Ducati war einzigartig. Ich rollte die ersten Kilometer noch sehr vorsichtig herum.
Da ich früh genug losgefahren war, konnte ich noch einige Kilometer biken und auch mit mehr Spaß am Gashahn drehen. Was ich dann nach einer ausgiebigen Aufwärmphase getan hatte. Mit knisterndem Auspuff und dem dazugehörigen Gasstoß stellte ich das Geschoss vor dem Clubhaus ab.
Ich ging direkt in die Umkleide um meine Motorradsachen abzulegen und leichte Sportkleidung anzuziehen. Es war Vormittag und daher noch wenig Betrieb auf der Anlage und in der Umkleide.
Mit dem Rucksack in der Hand ging es nach oben in die Gastronomie. Bevor die Sitzung losging, wollte ich mir noch einen Latte Macchiato gönnen. Vom Gefühl her würde es heute eine außergewöhnliche Teambesprechung geben.
„Hallo Chris“, hörte ich vom Eingang einige Minuten später und blickte zum Eingang.
Dort stand ein lachender Marc mit Dustin und Fynn, die mich frech angrinsten. Stef und Luc standen hinter ihnen.
„Los, kommt ran hier. Ich muss doch gratulieren können.“
Alle kamen zu mir und Marc bestellte sich etwas zu trinken. Damit überließ er mir die Jungs allein und ich konnte nicht anders als beide zu umarmen und zu gratulieren.
„Gratuliere euch zum Führerschein und dir, lieber Fynn, zum achtzehnten Geburtstag. Der Tag hat ja gut für euch begonnen. Eine Ferrari Fahrstunde hast du auch schon gehabt, was will man mehr?“
Fynn grinste über beide Ohren und hielt mir seine Führerscheinkarte hin.
„Jetzt können wir dich auf dem Weg zu weiteren Turnieren auch mal entlasten und ein paar Kilometer fahren. Ich freue mich, dass es endlich mit der Prüfung geklappt hat.“
„Das glaube ich euch gerne. Das war ja auch eine schwere Geburt durch die viele Abwesenheit wegen der Turniere. Umso erfreulicher, dass ihr es dennoch im ersten Versuch geschafft habt. Was habt ihr gleich vor? Wir haben Teamsitzung.“
„Wir fahren in die WG und Dustin muss noch etwas für die Schule erledigen. Ich werde ihm dabei helfen, damit wir pünktlich beim Training sind. Außerdem will meine Familie zu meinem Geburtstag kommen. Ich hoffe doch, das ist auch beim Training nachher möglich?“
„Natürlich ist das gar kein Problem. Im Gegenteil, ich freue mich, deine Familie mal wieder zu sehen. Das Training wird sicherlich auch interessant für sie sein.“
Ich hatte jetzt eigentlich erwartet, dass mich Fynn noch fragen würde, was heute im Training anstehen würde. Aber nichts dergleichen.
Sie verabschiedeten sich direkt wieder und fuhren nach Hause. Sehr diszipliniert wie ich empfand. Luc hatte mich noch gefragt, ob er mit Stef mal ein paar Bälle spielen dürfe. Das war natürlich überhaupt kein Problem.
Marc lachte als die Jungs gegangen waren.
„Welchen Witz hast du dir denn gerade erzählt und wo hast du Sabine gelassen?“
„Hahaha, einfach klasse die beiden. Du hast ja das Gesicht von Fynn nicht sehen können als ich sie vor dem Prüfungslokal in Empfang genommen hatte. Dank Thorsten wusste ich den Ort der Prüfung. Um es vorweg zu sagen, Fynn hat viel Gefühl für ein Auto. Selbst mit dem Ferrari war er sehr behutsam und hat sich gut geschlagen. Und Sabine hat sich eine Shoppingtour im Gerry Weber Shop gegönnt. Haben wir noch Zeit für eine weitere Latte Macchiato?“
Bevor ich antworten konnte, kam von hinten ein:
„Klar, dafür ist immer Zeit. Ich nehm' auch einen“, lachte mich mein Bruder an, als er zu uns kam.
„Hallo Bruderherz. Schön, dass ihr alle gesund zurück seid. Hast du dein eigenes Bett schon ausgiebig genutzt?“
Danach umarmte er mich zur Begrüßung. Das wäre früher überhaupt nicht vorstellbar gewesen. Aber umso schöner fühlte es sich für mich an.
Jan hatte drei Latte bestellt und setzte sich mit uns auf die Terrasse.
„Gratuliert hast du Fynn ja sicher schon, aber habt ihr schon einen Überblick für Samstag? Ich glaube, da kommt eine besondere Feier auf uns zu.“
„Ich habe einen guten Überblick“, erwiderte Marc lachend, „aber ich verrate noch gar nichts. Sabine und Thorsten haben einiges mit den Jungs geplant und vorbereitet. Aber ein paar Dinge sind auch für Dustin und Fynn noch geheim.“
„Ich sollte also zumindest zu Beginn vor Ort sein. Aber ich muss am Sonntag früh wieder los. Dennoch werde ich mir das nicht entgehen lassen“, lachte Jan.
„Das wird sicher bei allen Gästen freudig registriert werden, wenn der Chef persönlich anwesend ist“, meinte Marc.
„Na ja, ich habe ja schon von Lucs legendärem Geburtstagsevent gehört. Ich gehe davon aus, dass hier auch einige Überraschungen auf uns zukommen werden.“
Marc lächelte stumm. Das war für mich das klare Signal, es würde mit Sicherheit keine normale Geburtstagsfeier werden.
„Wann kommt Heikki an? Wir bräuchten die genaue Zeit, um einen Fahrdienst zu organisieren“, fragte Jan.
„Ich denke heute Mittag. Moment, ich schaue grade nach.“
Marc schaute in seinem Smartphone nach:
„Um 13:47 in Paderborn am Flughafen. Sind wir mit der Teamsitzung bis dahin nicht fertig? Ich hatte eigentlich geplant, dass ich das übernehme.“
„Ich glaube, er hat Einiges an Gepäck dabei, das passt vermutlich nicht in dein Sportcoupé. Aber du solltest vielleicht dabei sein. Ich denke, ich schicke Maxi und dich mit einem Bus zum Flughafen. Wäre das für dich in Ordnung?“
„Ja natürlich. Das gefällt mir. Danke“, erwiderte Marc.
Jan blieb erstaunlich ruhig bei uns sitzen. Marc erzählte noch ein paar Dinge aus der Schweiz und in den nächsten Minuten tauchten immer mehr Leute aus dem Team auf. Jan verabschiedete sich von uns, um noch ein paar Dinge vorzubereiten. Besonders freute es mich, dass Martina heute mal wieder dabei war. Es ging ja auch um die neue Situation in der WG. Da würde es mit Sicherheit sinnvoll sein, sie an den Planungen zu beteiligen und die zeitlichen Abläufe zu besprechen.
Einige Minuten später saßen wir alle am großen Tisch im Besprechungsraum und Jan hatte gerade die Begrüßung gemacht. Er hatte jetzt noch die Tagesordnung verteilt und damit war es an mir meinen Bericht aus Stralsund zu geben.
Das dauerte doch etwas länger als in Jans Planung vorgegeben. Aber es gab ein paar Nachfragen von Marco und auch Thorsten hatte noch eine Frage zum weiteren Verlauf der Trainingswoche.
„Ist das korrekt, dass ihr mit Sergio in der Woche trainiert?“
„Ja, das ist korrekt. Wobei mit Sicherheit ein paar Einschränkungen am Freitag sein werden. Fynn und Dustin sollen ihre Party vorbereiten.“
Jetzt stieg Jan mit in die Planung ein.
„Ich habe bis einschließlich Samstag auch eine Trainingswoche und möchte daher vorschlagen, ich mache mit Chris eine gemeinsame Wochenplanung. Das kommt allen zugute. Mit Andy Murray zu arbeiten, dürfte für die Jungs sicher ein Anreiz sein. Aber dazu gebe ich gleich noch ein paar Informationen. Lasst uns mit der Tagesordnung normal fortfahren.“
Es standen die Veränderungen in der WG an. Thorsten gab einen kurzen Überblick über die mittlerweile abgeschlossene erste Bauphase. Damit waren im Untergeschoss drei neue Zimmer und ein neues Bad entstanden. Zwei der Zimmer sollten Simon und Mattes beziehen.
„Wir haben noch einen Neuzugang und der ist noch sehr jung“, erklärte Jan, „Carlos ist gerade dreizehn geworden und soll von Marco und Maxi trainiert werden. Chris kennt den Jungen bereits recht gut. Für alle sollte wichtig sein, Carlos ist nicht einfach zurzeit, aber sehr talentiert und intelligent. Seine Eltern sind schwierig und er hat leider viele negative Erlebnisse gehabt. Chris wird gerade zu Beginn eine wichtige Bezugsperson für ihn sein. Das ist für Chris eine zusätzliche Belastung und ich möchte daher, dass Chris aus allen anderen Dingen komplett herausgehalten wird. Fragen bis hierhin?“
Martina meldete sich.
„Wann genau kommen unsere drei Neulinge denn an? Damit wir das vorbereiten können und vor allem auch Tim und Carlo da sind und sich mit kümmern.“
„Carlos wird bereits morgen früh von seinen Eltern gebracht werden“, erklärte Thorsten, „Simon und Mattes werden zwei Tage später, also am Freitag hier ankommen. Darum wird sich Maxi kümmern. Chris ist zwar auch hier zum Training, aber wir möchten ihn damit nicht zusätzlich belästigen. Ich denke, es wird sich eh bald ein gemeinsames Training mal ergeben.“
Jan schaute mich jetzt an. Mir war insbesondere wichtig, dass Carlos hier ordentlich empfangen würde.
„Morgen Vormittag werde ich mal in der WG vorbeischauen und Carlos begrüßen, wenn seine Eltern wieder abgefahren sind. Ich denke, dass wird sinnvoller sein. Martina nimmt die Familie in Empfang, nehme ich an, oder?“
Martina bestätigte das und damit war klar, wo ich mein Mittagessen haben würde. Ich meldete mich direkt zum Essen an, was mit einem allgemeinen Lachen kommentiert wurde.
Es folgten jetzt einige Punkte von anderen Trainingsgruppen. Unter anderem berichtete Toto positiv von Malte und Marvin. Sie hatten sich gut entwickelt und sollten daher auch mal ein paar Jugendranglistenturniere spielen.
Und danach kam Jan zum letzten Tagesordnungspunkt. Ausblick für meine Jungs und da wurde es wirklich noch einmal spannend für mich. Bisher hatte ich mich gewundert, dass Marc die ganze Zeit anwesend war, obwohl erst zum Ende meine Jungs Thema waren.
„Den letzten Punkt wird euch Jan nun erläutern. Wir sollten uns das genau anhören, denn Chris hat mit seiner exzellenten Arbeit für neue Fakten gesorgt.“
Oha, Thorsten machte es aber spannend. Jan fing an zu lächeln, als er das Wort ergriff.
„Danke Thorsten. Aber ich möchte nicht unnötig Spannung aufbauen, da ich genau weiß, dass Chris das gar nicht mag. Und bevor er mich gleich erschießen möchte, was ich jetzt vorstelle, ist eine Idee. Es ist überhaupt nichts entschieden. Allerdings würde ich mich freuen, wenn wir heute dazu eine Entscheidung im Team finden könnten.“
Nanu? Jan hatte sich auf meine Empfindungen eingestellt und nahm Rücksicht. Eine ganz neue Situation für mich.
„Chris ist gerade mit dem ersten Titel von der großen Challenger Tour zurück und Burghard, Thorsten und ich haben bereits zusammengesessen und waren uns einig. Unsere drei Jungs, Justin, Dustin und Fynn, haben sich so schnell entwickelt, dass wir mit ihnen jetzt einige Turniere auf der ATP Serie spielen möchten. Das würde bedeuten, dass wir unsere Challenger Tour nicht fortsetzen. Ich bin davon überzeugt, dank Chris hervorragender Arbeit mit den Jungs, dass wir als nächstes eine komplette Rasensaison spielen sollten. Also Stuttgart Weissenhof, dann hier, unser Turnier, in Halle und als Krönung für die Jungs, Wimbledon. Danach geht es auf die US Hartplatzsaison und um Chris gleich die Angst zu nehmen. Ihr seid gut genug um diesen Schritt jetzt zu machen. Ob es für Wimbledon dann für das Hauptfeld reicht, werden wir sehen. Wenn nicht, kein Problem, dann spielen wir Qualifikation. Ich möchte eure Meinungen dazu hören. Und, keine Sorge Chris, du wirst uns bitte erst ganz zum Schluss deine Sicht dazu geben. Aber zuerst möchte ich alle Fakten offen legen und die anderen dazu fragen. Denn eines ist klar. Chris wird in Zukunft nicht mehr allein alle drei Jungs betreuen können. Das ist auf der großen ATP Tour einfach nicht möglich.“
Das haute mich fast vom Stuhl. Mein Puls schnellte schlagartig nach oben. Außerdem schwirrte mir der Gedanke durch den Kopf, wie ich das mit drei Spielern auf dem Niveau bewältigen sollte. Zur Erinnerung, Jan war mit einem Spieler unterwegs. Ich war gespannt, wie sich mein Bruder das gedacht hatte.
Marc schaute jetzt in die Runde und meldete sich zu Wort. Thorsten wandte sich ihm zu und sagte:
„Bitte, Marc. Du möchtest etwas dazu sagen.“
„Richtig. Ich kenne Chris mittlerweile gut genug um jetzt zu wissen, dass für ihn auch die Finanzierung ein wichtiges Thema ist. Ich habe mir dazu auch ein paar Gedanken gemacht, denn dieser Schritt auf die ATP Tour kommt ja nicht so überraschend. Es war das ausgemachte Ziel. Und ich stimme Jan vollkommen zu. Die Jungs sollten mehr große Turniere spielen. Allein um zu sehen wo sie wirklich stehen. Und ich möchte dieses Projekt weiter unterstützen. Zu dem anderen Bereich habe ich bereits mit Thorsten und Jan ein Agreement getroffen. Das bleibt wie besprochen. Aber Chris braucht eine Unterstützung für diese Turniere. Das ist allein nicht zu machen. Maxi wäre vielleicht in ein oder zwei Jahren dafür bereit, aber noch möchte er nicht komplett wieder herumreisen.“
„Vielen Dank, Marc. Wir begrüßen natürlich so eine Entscheidung und wenn das wirklich klappt, dann wird sich dieses Projekt sehr bald selbst tragen und die Jungs werden dann auch unabhängig werden von finanzieller Unterstützung. Die Gelder auf der ATP liegen deutlich höher und auch die Sponsoren werden ihre Leistungen erhöhen“, erwiderte Thorsten.
„Sehr schön, das gefällt mir“, lachte Jan bevor er auf die Trainersituation erneut einging: „Chris wird mit den Jungs die gleichen Turniere spielen wie ich mit Andy Murray. Daher können wir gemeinsam dieses Projekt beginnen. Sollte es dann mal so sein, dass ich auf einem anderen Turnier bin, wird Maxi Chris unterstützen. Damit muss Maxi nicht sehr oft auf Reisen gehen und kann sich weiterhin um seine Mutter und sein Studium kümmern. Chris und ich werden das Abenteuer gleichberechtigt und gemeinsam bestehen. Ich sage das jetzt so deutlich, da ich weiß, dass ich mich Chris gegenüber nicht immer korrekt verhalten habe. Auch wenn wir bereits sehr große Schritte aufeinander zu gemacht haben, wird dieser Gedanke bei dir, Chris, sicher auch Unbehagen auslösen. Daher sage ich hier ganz klar und bewusst, wir werden gleichberechtigt agieren und ich freue mich auf diese spannenden nächsten Wochen, vorausgesetzt und sofern du dem zustimmst und die anderen auch diesen Gedanken unterstützen. Dazu möchte ich jetzt eure Sichtweisen hören. Chris möchte ich bitten, bis zum Schluss zu warten, denn erst dann kennst du alle Fakten. Fragen? - Nein, dann möchte ich jetzt eure Meinungen hören.“
Marco war der erste, der sich traute, etwas zu dieser Idee zu sagen. Die anderen flüsterten noch leise miteinander. Das störte Jan wiederum. Bevor Marco etwas sagen konnte, fuhr er dazwischen:
„Leute, redet offen. Jeder soll seine Sichtweise dazu äußern können. Sorry, Marco, aber jetzt bist du dran.“
„Danke, Jan. Ich finde es vollkommen richtig, jetzt den Schritt zu versuchen. Alle drei sind in einem guten Flow, haben den ersten großen Titel eingefahren und das motiviert zusätzlich. Abgesehen davon haben alle drei die richtige Einstellung dazu. Vor allem könnten alle, auch Chris, von Jans Erfahrungen auf der Tour profitieren. Abgesehen davon ist mit Andy Murray auch noch ein großer Spieler an Bord. Meine Unterstützung gibt es. Und ich traue es Chris ohne Probleme zu. Das wird laufen, ganz sicher.“
Jan nickte und in meinem Kopf fingen die Gedanken an sich zu verselbständigen. Mit Jan auf der Tour jeden Tag arbeiten? Wollte ich das wirklich? Würde das ohne Schwierigkeiten gleichberechtigt funktionieren?
Thorsten war der nächste, der sich dazu äußerte.
„Aus meiner Sicht wäre diese Idee eine folgerichtige Entscheidung. Jan ist eh bei diesen Turnieren dabei und logistisch wäre das einfach zu bewerkstelligen. Allerdings ist aus meiner Sicht Chris derjenige, der diese Entscheidung fällt, ob das in dieser Form gehen kann oder nicht.“
Burghard stimmte Thorsten zu und Toto und Lennart sahen das genauso. Toto meinte:
„Ich glaube, dieses Team mit Jan und Chris wird eines der stärksten auf der Tour überhaupt sein. Jan hat die Erfahrungen und das Können auf dieser Ebene Spieler zu entwickeln. Chris hat die Jungs dahin geführt wo sie bereits stehen, hat enorme Fähigkeiten in der Psychologie und kann vielleicht auch Andy Murray in schwierigen Situationen helfen. So wie Chris mein Problem mit Marvin und Malte gelöst hat, das kann kaum jemand so schnell und gut wie er. Und, um zu ergänzen, beide Jungs machen heute weiterhin sehr gut mit und es läuft problemlos. Dafür noch einmal vielen Dank an Chris. Du hast mir wichtige Impulse gegeben, die ich so nicht sehen konnte.“
„Sehr schön“, meinte Jan, „dann möchte ich zum Ende jetzt die wichtigste Person in dieser Frage hören. Chris, was denkst du über unsere Gedanken?“
Ok, nun konnte ich nicht mehr länger nachdenken.
„Sportlich wäre das sicher der nächste Schritt und auch das Ziel die drei dorthin zu bringen. Bislang waren unsere Zeitpläne alle zu lang angesetzt. Die Jungs sind einfach unfassbar gut. Mittlerweile traue ich es allen dreien zu, auf der großen ATP Tour zu bestehen. Und auch unter die Top 50 zu kommen. Aber erstens weiß ich nicht, ob ich wirklich dafür als Coach gut genug bin und zweitens weiß ich nicht, ob es schon an der Zeit ist, das zu versuchen. Und die Trainerfrage ist für mich wirklich nicht einfach zu beantworten. Ob ich mit Jan gemeinsam auf der Tour arbeiten kann? Ich weiß es nicht. Es gibt bei mir dabei einfach noch etliche Bauchschmerzen.“
Das Team reagierte jetzt mit Unruhe. Sie hatten vermutlich eine andere Antwort erwartet. Marc schien nicht sonderlich überrascht zu sein.
„Warum habe ich diese Antwort erwartet? Du bist für die Jungs momentan die wichtigste Person überhaupt. Du hast sie dorthin geführt und sie zurück ins Leben geholt. Ich verstehe jetzt deine Unsicherheit aber dennoch. Viele alte Wunden könnten mit Jan aufgemacht werden. Einige davon habt ihr bereits gut aufgearbeitet, einige schlummern noch tief in dir. Sie werden sicher erst zu Tage treten, wenn die Situation dafür kommt. Allerdings sehe ich Jan an dieser Stelle positiv. Er hat große Schritte auf dich zu gemacht und du bist nicht ausgewichen. Dafür muss ich euch großen Respekt zollen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn ihr beide die nächsten Wochen gemeinsam auf die Tour geht. Dann setzen wir uns erneut zusammen und schauen, ob oder was noch zu tun ist. Ich glaube, hier wird heute Geschichte geschrieben. Die ersten schwulen Tennisspieler auf der ATP Tour mit einem schwulen Coach. Und was noch schöner ist, sie werden gemeinsam mit einem der erfolgreichsten Trainer auf der Tour die Tenniswelt aufmischen. Ich freue mich, dabei sein zu dürfen und stehe voll hinter diesem Projekt. Chris, beweise es dir selbst, dass du ein extrem guter Coach bist. Alle, die hier sitzen, wissen ganz genau, wie gut du wirklich bist. Nur du selbst hast Schwierigkeiten an dich zu glauben. Ich möchte dich bitten, probiere es mit Jan aus. Ich glaube ganz fest, dass das einen riesigen Erfolg haben wird. Ihr beide werdet voneinander profitieren. Und damit dann auch die Jungs. Allerdings möchte ich darum bitten, dass Chris jetzt keine Entscheidung treffen muss. Lasst ihm noch etwas Zeit zum Nachdenken.“
„Danke, Marc“, erwiderte Jan, „natürlich muss Chris jetzt keine Entscheidung treffen. Wir sind diese Woche noch gemeinsam im Training und können jederzeit miteinander reden. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir den Versuch starten, gemeinsam auf der Tour für Furore zu sorgen. Aber dass die Jungs bereits die komplette Rasensaison auf der ATP Tour spielen, darüber herrscht Einigkeit? Chris?“
Es war beruhigend für mich, dass Jan mir Zeit für die Entscheidung gab.
„Ja, die Turniere sollten wir probieren. Wenn es noch zu früh ist, können wir ja danach auch wieder auf die Challenger Tour gehen. Aber ich glaube, dass die Jungs gut genug sind. Wenn ihr davon überzeugt seid, dass ich dafür weiterhin der Coach sein soll, dann freue ich mich auf diese Zeit. Ob ich mir das mit Jan auch zutraue, darüber möchte ich mit Marc und Jan noch ein paar Gespräche führen. Ich brauche für mich mehr Sicherheit bei dieser Entscheidung.“
„Sehr schön, danke Chris“, freute sich Jan, „Thorsten wird die Meldungen machen und die Reisepläne ändern. In dieser Woche werden wir viel zusammen machen. Auch mit Andy Murray, der morgen zum Training herkommen wird. Dann können ihn die Jungs kennenlernen und mit ihm arbeiten. Ich glaube gar nicht, dass es eine große Umstellung wird. Du hast sie exzellent darauf vorbereitet. Ich danke dir für deine offenen Worte und deine Bedenken. Aber ich verspreche dir, ich werde mich sehr bemühen, mit dir noch besser zusammenzuarbeiten. Damit möchte ich diese Teamsitzung beenden. Es steht eine spannende Woche bevor, lasst es uns anpacken.“
Damit war der offizielle Teil beendet, aber Marc hatte mich noch gefragt ob ich mit ihm, Heikki und Jan später gemeinsam einen Kaffee trinken gehen würde. Das würde spannend werden, denn mich interessierte das Programm von Heikki sehr. Allerdings hatte ich auch noch ein Nachmittagstraining mit den Jungs. Daher schlug ich vor, sich zum Abendessen zu treffen. Damit waren alle einverstanden. Auch Jan wollte sich dafür Zeit nehmen. Das freute mich, denn ich wusste, dass er immer viel um die Ohren hatte.
Fynn: Ein spannender Geburtstag mit Überraschungen
Irgendwie hatte ich am frühen Morgen noch gar kein Geburtstagsgefühl. Unsere Führerscheinprüfung stand an und da war ich richtig nervös. Mein Schatz hatte das Glück, vorher noch einmal fahren zu können.
Umso glücklicher war ich, als bei uns beiden alles vorbei war und wir unsere Scheckkarten in der Hand hatten. Erst jetzt konnten Geburtstagsgefühle aufkommen. Aber wir hatten die Rechnung ohne Marc gemacht. Denn als wir aus dem Prüfungslokal herauskamen, stand er dort mit dem schwarzen Ferrari, um uns zum bestandenen Führerschein zu gratulieren. Ich bekam außerdem noch die Geburtstagswünsche und danach drückte er mir den Schlüssel für den Ferrari in die Hand.
„Was soll das jetzt werden?“, fragte ich.
„Hahaha, das ist doch wohl klar. Das wird eine extra Fahrstunde. Ich muss doch sehen, ob du auch Gefühl für etwas mehr Leistung hast. Los, einsteigen. Dustin, du bist heute noch nicht dran, aber stell dich am Freitag schon mal drauf ein, dass wir beide da auch eine Fahrstunde machen werden. Und du musst jetzt bitte hinten einsteigen. Ich möchte gern neben Fynn sitzen um ihm Tipps geben können.“
Mein Puls fing an zu rasen, als ich die Tür öffnete. Marc stand ganz entspannt neben mir und ließ mich einsteigen.
„Fynn, kein Stress. Ich bin immer bei dir und ich glaube ganz fest, dass du das ohne Probleme kannst. Mach einfach das was ich dir sage und alles ist gut. Es ist nur ein Auto.“
„Nur ein Auto, du bist echt komisch. Da steht ein Einfamilienhaus, aber geil finde ich es trotzdem. Und mit dir als Fahrlehrer mache ich auch gern noch eine Extrafahrstunde.“
Marc fing laut an zu lachen, klopfte mir auf die Schulter und dann stieg ich aufgeregt ein. Marc erklärte mir die elektrische Sitzverstellung und die wichtigsten Bedienungselemente. Dann stieg Dustin hinten ein und Marc setzte sich auf den Beifahrersitz.
„So, dann starte mal den Motor“, forderte mich Marc ruhig auf.
Was ich noch gar nicht bemerkt hatte, mittlerweile standen doch einige meiner Fahrschülerkollegen draußen und schauten uns zu. Sehr peinlich, wenn ich jetzt den Motor abwürgen würde.
Allerdings konnte das gar nicht passieren, denn der Ferrari hatte ja ein Doppelkupplungsgetriebe. Es gab kein Kupplungspedal mehr.
Es war ein absolutes Highlight und so typisch für Marc und seine Überraschungen. Die ersten Minuten fuhren wir einfach etwas durch Halle und dann meinte Marc:
„Wir nehmen mal die Autobahnauffahrt der A33. Dann lassen wir den Zwölfender mal richtig atmen.“
Ich bog links ab auf die Auffahrt und mit 100 km/h rollte ich auf die A33. Bislang hatte ich das Gaspedal nur gestreichelt und der Motor war kaum hörbar.
„Pass auf, du schaust mal ob hinter dir frei ist und dann überholst du den LKW vor uns. Du kannst frei bestimmen wie schnell du fahren willst. Aber lass den Pferdchen mal etwas Luft zum Atmen.“
Hinter uns war frei, Blinker gesetzt und dann beschleunigt. Schlagartig sprang die Ganganzeige von fünf auf zwei und der Wagen schoss vorwärts. Ich hatte mich sogar etwas erschrocken, aber dann kam ein unglaubliches Gefühl auf. Was für eine Beschleunigung und Kraftentfaltung. Aber bei 160 km/h ließ ich es bewenden. Wir rollten auf der rechten Spur aus und bei 120 km/h glitten wir in die nächste Ausfahrt und Marc lotste mich zurück nach Halle.
Auf dem Parkplatz empfingen uns Luc und Stef mit einem Lachen. Mir war immer noch etwas warm von der Fahrt, aber Marc lobte mich für mein Gefühl für das Auto. Das tat gut und auch Dustin schien die Fahrt gut überstanden zu haben. Sein Kuss war wunderschön für mich.
Mein Schatz und ich verabschiedeten uns aber schnell in Richtung WG. Dustin wollte unbedingt noch etwas für die Schule erledigen. Das konnte ich ihm auch nicht ausreden, dies ausgerechnet heute zu machen. Aber ich hatte gelernt, ihm das nicht mehr ausreden zu wollen.
Martina war nicht anwesend als wir in die WG kamen. Nur Justin hatte schon auf uns gewartet. Mit einem Lächeln hielt er ein großes Paket in der Hand.
„Herzlichen Glückwunsch, Fynn. Heute ist es vollbracht. Volljährig und Autofahren können. Ich wünsche dir alles Gute und immer eine unfallfreie Fahrt. Damit du in Zukunft auch auf einer Rennstrecke immer gut geschützt bist, habe ich dir etwas besorgen lassen.“
Es folgte eine lange Umarmung. Einfach ein tolles Gefühl so einen Freund neben meinem Schatz zu haben. Justin gab mir das würfelförmige Paket und sein Blick verriet mir jetzt schon, da würde etwas Außergewöhnliches drin sein.
Ich entfernte das Geschenkpapier und was zum Vorschein kam, ließ mich staunen. Ein nagelneuer Rennsporthelm aus Carbon. Und das ganz Verrückte war, er hatte ein Design von Luc und sogar meinen Namen auf der Seite. Luc hatte ebenso wie Stef und Marc unterschrieben, erst danach wurde der Helm noch mit Klarlack versehen. Ein echtes Kunstwerk hielt ich in den Händen.
„Wie geil. Danke, Justin. Das ist eigentlich viel zu wenig, nur Danke zu sagen, aber mehr fällt mir einfach nicht ein.“
Justin freute sich und erwiderte:
„Wie du dir wohl denken kannst, haben Luc, Stef, Marc und Sabine dabei auch geholfen. Ich hoffe er gefällt dir. Und was ich gehört habe, soll er auch schon bald zum Einsatz kommen, hihihi.“
„Sehr witzig. Ich möchte gar nicht wissen, was Marc sich ausgedacht hat. Aber eine ganz andere Frage, was machen wir mit dem Mittagessen? Wir sind heute allein. Die anderen kommen erst spät aus der Schule und Martina ist auch nicht da. Ich hätte die Idee, ich bestelle uns zur Feier des Tages etwas und lade euch zum Essen ein.“
Damit war Justin natürlich sofort einverstanden. Dustin konnte ich nicht fragen, da er schon in unser Appartement verschwunden war, um sich an den Schreibtisch zu setzen. Ich wusste aber genau, was er gerne essen würde. Heute war es mir auch egal, dass es keine Sportlernahrung sein würde. Heute gab es ein Burger Menü, aber von einem richtigen Burger Restaurant und nicht von dem bekannten amerikanischen Schnellrestaurant.
Es gab allerdings noch eine weitere Überraschung für mich, denn Luc und Stef kamen ebenfalls noch zum Gratulieren. Und sie hatten natürlich auch ein persönliches Geschenk dabei. Zuerst vertilgten wir aber gemeinsam unsere Burger.
„So, jetzt musst du aber endlich unser Geschenk auspacken“, drängelte Luc lachend.
„Soll ich mich erst hinsetzen oder überstehe ich das ohne Herzkasper?“
„Hahaha, sehr gute Frage, Fynn. Nein, alles easy. Mach einfach auf. Du hast ja vorhin schon von Justin etwas bekommen.“
Luc lächelte so verdächtig, dass mir klar war, hier war natürlich kein gewöhnliches Geschenk verpackt.
Ich entfernte das Geschenkpapier und vor mir lag ein Kleidungsstück. Es sah aus wie ein Overall. Wie ihn die Mechaniker in einer Autowerkstatt trugen. Und er hatte eine interessante Farbgestaltung. Erst auf den zweiten Blick wurde es mir klar. Er war in Regenbogenfarben gehalten.
Ich hob ihn vom Tisch und hielt ihn vor mich. Da rief Dustin plötzlich:
„Das ist ja ein Rennanzug! Marc hatte so etwas auch getragen. Und erinner dich mal an das Rennen am Nürburgring. Da musste jeder Pilot so etwas anhaben. Wie geil. Jetzt verstehe ich auch den Helm. Da fehlen nur noch die Rennschuhe und du kannst auch mitfahren.“
Luc lachte sich kaputt und dann holte Stef noch einen kleinen Karton hervor. Dort waren natürlich die noch fehlenden Schuhe drin. Somit war mein Rennanzug komplett. Sogar mein Name stand gestickt auf der Brust.
Obwohl Dustin ja erst am Freitag Geburtstag hatte, wusste ich jetzt bereits, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit ein ähnliches Equipment bekommen würde. Dafür hatte Marc ganz sicher gesorgt. Allerdings wurde mir auch bewusst, dieses Ensemble würde auch entsprechend eingesetzt werden. Darauf sollte ich mich einstellen.
Leider hatten wir nicht mehr viel Zeit gemeinsam in der WG noch etwas zu machen. Unser Nachmittagstraining stand noch an.
Entsprechend ging es zwei Stunden später bereits heftig zur Sache. Chris scheuchte uns über den Platz und gab klare Kommandos. Unsere Freunde aus der Schweiz standen oben zwischen den Plätzen und schauten zu. Heute schien kein normaler Trainingstag zu sein. Jan hatte nämlich von Beginn an unser Training beobachtet und stand jetzt mit Marc direkt an unserem Platz. Chris ließ sich überhaupt nicht davon irritieren und zog das Programm durch.
„Stopp, kurze Pause. Etwas trinken und dann zum Abschluss noch etwas Match Training“, rief Chris über den Platz.
Sergio stöhnte etwas über das Programm.
„Puh, das ist heute aber echt heftig. Aber geil.“
Obwohl das heute wirklich anstrengend war, hatte ich viel Spaß auf dem Court. Auch Dustin und Justin waren gut drauf und entsprechend positiv verlief das Training. Auch Jan schien erstaunlich angetan, denn er unterhielt sich angeregt mit Marc ohne sich auch nur einmal in das Training einzumischen.
Zum abschließenden Match-Training tauchte dann Maxi bei uns auf. Er hatte sein Training wohl beendet und sollte nun mit uns spielen. Chris schickte ihn mit Dustin und Sergio auf den Center zwei, während ich mit Justin auf unserem Platz blieb.
„Ich habe eine Frage, Chris“, meldete sich Justin zu Wort, „morgen soll ja der neue Carlos zu uns in die WG kommen. Alle aus der WG werden am Samstag zur Geburtstagsfeier sein. Wie habt ihr euch das mit Carlos gedacht? Simon und Mattes kennen wir ja schon und da ist es klar, dass sie dort auch sein werden, wenn sie am Freitag ankommen, aber was ist mit Carlos?“
Zum ersten Mal seit langer Zeit wirkte Chris überrascht. Als ob er nicht auf diese Situation vorbereitet gewesen wäre.
„Das haben wir noch nicht geklärt. Aber ich finde es gut, dass ihr euch darüber bereits Gedanken macht. Habt ihr euch schon etwas überlegt?“
Eigentlich war das für mich eine klare Sache.
„Ja“, erwiderte ich bestimmt, „er wird ab morgen Teil unserer WG sein. Also sollten wir ihn so schnell wie möglich integrieren. Alle Bewohner der WG sind eingeladen, also auch Carlos. Nur wenn er absolut nicht möchte, dann müssen wir uns etwas überlegen. Vielleicht muss er etwas früher zurück, da er erst dreizehn ist, aber wir haben die Aufgabe, ihm den Einstieg so einfach wie möglich zu machen. So wie das damals bei uns geschehen ist. Das habe ich nicht vergessen, wie sich alle um uns bemüht haben. Oder gibt es dagegen von euch Einwände?“
Chris schaute mich an und fing an zu lächeln.
„Eine tolle Einstellung, Fynn. Ich freue mich sehr über eure Haltung. Ich werde das unterstützen wo ich kann. Und ich habe die gleichen Gedanken dazu wie ihr. Er wird ab morgen ein Teil unserer WG sein, also gehört er dann auch auf deinem Geburtstag dazu. Ich werde dafür sorgen, dass er hingehen wird und ihr sorgt dafür, dass er sich bei uns wohlfühlt. Ist das ein Deal?“
Damit war mir sofort klar, Chris würde sich auch hier wieder viel mehr einbringen als er müsste. Jan hatte uns bereits mehrfach gesagt, dass er nicht möchte, dass Chris sich mit Carlos zu sehr beschäftige. Aber da Chris den Jungen bereits kannte, war uns klar, dass sich Chris kümmern würde. Vielleicht mit Marco gemeinsam, aber er würde es tun.
Das Training wurde wieder aufgenommen und bevor ich überhaupt realisiert hatte, dass ich gegen Justin im Match war, führte er bereits mit 3:0. Sehr ärgerlich. Aber ich wollte mich heute nicht aufregen, sondern einfach dagegen halten. Ich gab noch einmal alles um den Rückstand aufzuholen. Als ob wir ein echtes Match spielen würden. Und tatsächlich, ich konnte den Satz noch mit 7:5 gewinnen.
Allerdings war ich so in das Spiel vertieft, dass ich überhaupt nicht bemerkt hatte, dass meine ganze Familie plötzlich am Platz stand. Patrick hatte sich sogar an die Bank gewagt, um mich zu begrüßen und mir zu gratulieren.
Chris blieb gelassen, obwohl er das eigentlich gar nicht mochte während des Trainings unterbrochen zu werden. Aber als Patrick an der Bank stand, rief Chris über den Platz:
„Treffen an der Bank, kurze Lagebesprechung.“
Chris ging vom Platz und begrüßte meine Eltern. In der Zeit hatte mir Patrick bereits gratuliert und mir ein kleines Päckchen überreicht. Er konnte einfach nicht abwarten. Aber Chris ließ sich heute nicht mehr ärgern und als er dann mit meinen Eltern sogar an den Platz kam, beendete er einfach das Training.
„Leute, es reicht für heute. Jetzt würde eh nichts Sinnvolles mehr herauskommen. Lasst es gut sein, geht auslaufen und duschen. Danach habt ihr einen freien Abend. Ich nehme an, Fynns Eltern wollen mit euch essen gehen.“
Einfach cool, selbst Jan hatte meine Eltern begrüßt und nicht über Chris Entscheidung gemeckert. Er wünschte uns sogar noch einen schönen Abend.
Und wir hatten wirklich einen wunderschönen Abend mit der Familie.
Chris: Soll ich wirklich mit Jan auf die Tour gehen?
Der heutige Tag versprach Spannung und einige zukunftsweisende Entscheidungen. Sabine hatte zum gemeinsamen Frühstück ins Sportpark Hotel eingeladen. Darüber wollte sie auch nicht verhandeln. Ich hätte ein gemeinsames Frühstück bei mir zu Hause bevorzugt, aber Marc hatte mir den Hinweis gegeben, dass wir Sabines Wunsch besser nachkommen sollten.
Also betrat ich gerade den Empfang vom Sportpark und spürte sofort dieses edle Ambiente. Das war es aber auch, was mich immer ein wenig gehemmt sein ließ.
Und natürlich war Sabine bereits vor mir da. Das ließ sie sich nicht nehmen als Gastgeberin. Mit einer herzlichen Umarmung und einem gutgelaunten „Guten Morgen, Chris“ wurde ich begrüßt.
„Hallo Sabine, ich hoffe, ihr habt hier gut geschlafen.“
Sie lachte und erwiderte:
„Aber ganz bestimmt. Hier werden wir immer sehr gut versorgt und ich fühle mich fast zu Hause. Und damit du dich nicht wunderst, Luc und Stef schlafen noch. Sie waren gestern noch lange mit Fynn und Dustin unterwegs.“
„Aha? Ich dachte, die Familie von Fynn war gestern Abend angesagt.“
„Richtig. Und keine Sorge, sie waren nicht irgendwo feiern. Sie haben sich sehr lange mit den Eltern unterhalten.“
„Das finde ich klasse. Ich glaube, Fynn hat es als eine ganz tolle Geste empfunden, dass seine Familie da war.“
„Das denke ich wohl. Es ist einfach wunderschön, wie es dir gelungen ist, diese Familie wieder zusammenzubringen. Dustin und Fynn haben aber auch gesagt, dass sie heute wieder volles Programm haben. Ist das korrekt, dass du mit Jan und Andy Murray trainieren wirst?“
„Ja, aber ich möchte jetzt in Ruhe frühstücken und nicht über die Arbeit sprechen.“
Sabine zuckte ein wenig, weil sie eigentlich genau wusste wie empfindlich ich an diesem Punkt war.
„Entschuldige, natürlich. Lass uns das Frühstück genießen. Der Tag wird anstrengend.“
In der nächsten Stunde war Tennis überhaupt kein Thema und ich genoss diese Situation. Marc erzählte eine lustige Geschichte über den E-Type von Sabine. Und genau diese Situationen erfreuten mich. Mit Freunden über lustige Sachen reden und nicht ständig wichtige Entscheidungen treffen müssen.
Dennoch tauchten sehr bald genau diese Gedanken in meinem Kopf auf. Ich musste mich entscheiden, ob ich wirklich mit Jan gemeinsam auf die ATP Tour gehen sollte.
Sabine spielte hier auch wieder ihre gewohnte Stärke aus. Ich schenkte mir gerade Kaffee nach als sie mich fragte:
„Hast du für dich schon eine Entscheidung gefunden, ob du dir das Projekt mit Jan vorstellen kannst?“
Ich holte tief Luft.
„Ja, ich habe mich entschieden. Es ist richtig, wie Jan es erklärt hat. Für die Jungs wäre es die Belohnung für die letzten Jahre. Ich glaube, es ist auch für mich eine Anerkennung meiner Arbeit. Jan ist erfolgsorientiert. Er sieht mit diesem Projekt den nächsten Schritt auch für die Base. Meine Erinnerungen an die schlimmen Zeiten sind zwar noch immer präsent, aber ich muss Jan auch eine Chance geben, so wie er mir die Möglichkeit gab, mit den Jungs frei zu arbeiten, anders als die Base bis zu diesem Zeitpunkt gearbeitet hatte. Ich habe mir viele Gedanken gemacht und sehe für mich eine große Chance, Altlasten über Bord zu werfen und mich zu befreien. Ich möchte primär eine gute Leistung abliefern, für die Jungs. Sie haben am meisten in dieses Projekt investiert und ich finde, sie haben diese Chance auch mehr als verdient. Aber - , kann ich das wirklich? Bin ich als Coach für diese große Herausforderung gut genug?“
Marc blickte Sabine an und sofort wusste ich, sie hatten sich bereits ausgiebig über die neue Situation beraten. Marc überließ es Sabine, dieses Gespräch zu führen.
„Für uns gibt es niemanden, der das besser könnte als du mit deinem Bruder gemeinsam. Du kennst deine Jungs besser als irgendjemand anderes und sie vertrauen dir mittlerweile vollkommen. Gerade in schwierigen Situationen folgen sie deinen Ratschlägen und Ideen. Jan hat mittlerweile auch begriffen wie gut du bist. Niemand aus seinem Team hätte dieses Resultat in der Zeit erreicht. Nicht weil du so gut bist, sondern weil du so menschlich bist. Du hast immer das Ganze im Auge, nicht nur Tennis und nicht nur den Erfolg auf dem Platz. Und Jan hat auch verstanden, dass er von dir noch etwas lernen kann. Und genau das tut er gerade. Ich glaube, ihr werdet eines der stärksten Teams auf der ATP Tour werden, was man sich nur vorstellen kann. Jan hat die enorme Erfahrung auf der großen Tour und du hast deine Jungs extrem gut vorbereitet. Jan spürt mittlerweile, welche Stärken du hast und wo er von dir profitiert. Genau wie du von deinem Bruder profitieren wirst. Ihr müsst es nur zulassen.“
In meinem Kopf arbeitete es gerade sehr heftig.
Marc schwieg weiterhin. Er schenkte mir frischen Kaffee ein und erst danach fragte er mich:
„Was ist für dich das größte Problem in diesem Projekt? Deine Vergangenheit mit deinem Bruder oder eher die Angst zu scheitern und die Jungs zu überfordern?“
Da machte es in meinem Kopf „Klick“. Als ob mir jemand einen Vorhang wegzog.
„Es ist klar die Vergangenheit mit Jan. Und ich spüre gerade, wie schlecht das ist. Ich stehe mir selbst im Weg. Jan hat mir dieses Angebot gemacht, er möchte mit mir auf die Tour gehen und nicht umgekehrt. Wir können Geschichte schreiben. Und ich kann endlich die schlimmen Jahre überwinden mit neuen, schönen Erlebnissen. Vielleicht sollte ich das einfach auch mal machen. Und nicht mehr so viel zweifeln.“
Sabines Augen leuchteten nach meiner letzten Aussage und auch Marc lachte befreit auf.
„Genau. Macht das einfach so. Geht auf die Tour, spielt Turniere und schaut was passiert. Ich bin mir sicher, ihr werdet dort genauso erfolgreich sein wie bisher. Weil die Jungs sind gut und ihr seid gut als Team. Selbst wenn das nicht funktionieren sollte, kannst du jederzeit wieder allein arbeiten. Aber ich bin mir ganz sicher, so wie Jan dieses Projekt vorgestellt hat, weiß er ganz genau, welche Dinge du beherrschst und er von dir lernen kann. Und genau diese neue Kraft in eurem Team wird euch enorm stark machen. Du solltest heute noch die Jungs über den neuen Plan informieren. Ich glaube, Jan wird überrascht sein, wenn du ihm heute bereits die Zustimmung geben würdest.“
Es war wie eine Befreiung für mich. Ich musste meine Stärken mehr zeigen und auch mal an mich glauben. Die Jungs hatten mir schon mehrfach gezeigt, dass sie mir vertrauten und mir folgen würden. Also, jetzt war es an der Zeit, dass ich über meinen Schatten springen sollte und mich nicht mehr länger selbst einschränkte.
„Gut, dann werde ich gleich vor dem Vormittagstraining mit Jan meine Entscheidung bekannt geben. Wir spielen Stuttgart, Halle und dann auch Wimbledon. Eine neue Stufe des Projektes ist erreicht.“
Und was jetzt passierte, hatte ich überhaupt nicht erwartet. Sabine stand von ihrem Stuhl auf, kam um den Tisch und umarmte mich ganz fest.
„Das ist die beste Entscheidung, die du für dich treffen konntest. Und ich betone es ganz deutlich, für dich! Nicht für das Projekt.“
Marc freute sich und ergänzte nur:
„Ich freue mich, dieses Projekt weiter begleiten und fördern zu dürfen. Ihr werdet mit diesem Team noch ganz viel bewegen. Die Tenniswelt wird staunen und lernen. Auch die Funktionäre werden ihre Widerstände aufgeben müssen, denn zwei schwule Tennisspieler und ein schwuler Coach werden großen Erfolg haben. Lasst euch nicht einschüchtern. Eure Freunde und das Team werden hinter euch stehen und ihr werdet immer mehr neue Freunde auf der Tour finden. Die Zeit ist reif für eine andere Zeitrechnung im Tennis.“
Es war schon komisch. Obwohl sich faktisch nichts verändert hatte, fühlte ich mich nach diesem gemeinsamen Frühstück großartig. Wie befreit von einem großen Druck.
Marc und Sabine blieben im Hotel und wollten später zu unserem Training kommen.
Mein Weg im Clubhaus führte direkt zu Thorsten ins Büro. Dort saß er am PC und wunderte sich über meinen Besuch.
„Guten Morgen, Chris. Wie ist die Lage bei dir? Hast du gut gefrühstückt?“
„Moin, Thorsten. Danke der Nachfrage, ja, das Frühstück war sehr befreiend. Wie immer mit Sabine und Marc.“
Thorsten schaute von seinem PC auf und schien zu ahnen, dass etwas geschehen war.
„Du machst mich neugierig. Was ist passiert?“
„Ich habe mich entschieden. Wir werden das Projekt ATP Tour in die nächste Stufe bringen. Stuttgart, Halle und Wimbledon mit Jan stehen an.“
„Geil“, war die Reaktion von Thorsten. Mehr nicht. Er war so überrascht, dass er wirklich sprachlos war.
Einige Momente später meinte er:
„Toll, ich finde es so klasse, dass du dir das zutraust. Jan hatte mich vorgewarnt, dass du Zweifel haben würdest und mit Sicherheit nicht einfach zustimmen wirst. Was hat dich jetzt überzeugt?“
„Die Tatsache, dass ich lernen muss, meine Ängste zu überwinden. Jan hat mir mehrfach gezeigt, dass er bereit ist aus der Vergangenheit zu lernen und er meine Arbeit respektiert. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dass ich für mich ein neues Kapitel beginne. Lasst uns anfangen. Wir werden gemeinsam Erfolg haben.“
„Es freut mich zu hören, dass du dir diese Chance selbst geben willst. Jan wird sehr erfreut sein und ich kann dir sagen, er freut sich wirklich auf dieses Projekt. Er wird mit dir etwas Neues in der Tenniswelt auf die Beine stellen. Und ich glaube, es wird ein sehr erfolgreiches Projekt. Jan ist bereits auf dem Center eins mit Andy Murray. Ihr sollt bitte einfach hinzukommen. Vielleicht sprichst du mit Jan, bevor die Jungs kommen. Ihr solltet heute das neue Ziel bekanntgeben. Damit sich die Jungs darauf einstellen können.“
„Ja, das werde ich gleich machen. Du machst die Reiseplanung für die kommenden Wochen?“
„Richtig, ich werde alles vorbereiten und planen. Du kannst dich ganz auf die Trainingsarbeit konzentrieren. Willst du Fynns Familie informieren oder sollen wir das übernehmen?“
„Nein, das mache ich heute während des Trainings. Kannst du vielleicht Justins Eltern informieren? Sie sollten auch die neue Situation kennen und wissen, dass ihr Sohn voll im Plan liegt.“
„Geht klar, mache ich. Ich glaube, es wird am Samstag eine große Überraschungsparty werden. Was Justin nämlich noch gar nicht weiß, seine Familie wird am Freitag herkommen und dann können wir es ihnen persönlich erklären.“
„Das ist ja eine echte Überraschung. Soll ich Justin vorwarnen oder bleibt es eine völlige Überraschung?“
„Nein, bitte nicht vorwarnen. Seine Familie wird auf der Party zu den Überraschungsgästen zählen. Nur Fynn und Dustin wissen Bescheid, da sie Justins Familie eingeladen haben.“
„Das finde ich einfach nur toll. Ich glaube, meine Jungs können mich immer noch überraschen. Wie schön. Ich gehe jetzt zu Jan und werde ihm meine Entscheidung mitteilen.“
„Viel Spaß“, grinste Thorsten, als ich das Büro wieder verließ.
Die Entscheidung war gefallen und komischerweise hatte ich jetzt plötzlich keine Zweifel. Ich wollte es probieren und auch für die Jungs wollte ich alles geben. Wenn dieses Projekt funktioniert, dann würde es für Jan und mich auch ganz viele neue Perspektiven öffnen.
Ich hatte den Center 1 erreicht und Jan stand mit Andy Murray, Sergio und Maxi auf dem Platz. Maxi musste richtig ackern und ich fragte mich schon, warum Jan unbedingt so früh mit Murray beginnen wollte. Warum hat er nicht einfach auf meine Jungs gewartet oder darum gebeten, dass einer bereits früher mit Andy trainieren könnte.
Jan hatte mich gesehen und kam sofort über den Platz auf meine Seite. Mit einem fröhlichen Gesicht begrüßte er mich:
„Guten Morgen, Chris. Bist du gut in den Tag gestartet? Wie war es gestern mit dem Geburtstag?“
„Hi Jan, ja, ein gutes Frühstück mit Marc und Sabine hat geholfen gut in den Tag zu starten. Hast du mal eine Minute für mich? Ich habe mich entschieden.“
Jan nickte nur und wir verließen den Platz und stiegen die Treppe hinauf. Maxi und Andy trainierten konzentriert weiter.
„Ich habe heute noch einmal mit Marc und Sabine über deinen Vorschlag gesprochen und ich möchte mit dir gemeinsam das Projekt ATP Tour angehen. Ich will wissen, ob wir gut genug sind und ob ich noch etwas hinzulernen kann. Wenn es uns beiden gelingt, weiter näher zusammenzukommen, dann werden wir als Team enorm stark sein. Du mit deiner Erfahrung im Profitennis und ich vielleicht mit meiner anderen Art mit jungen Menschen umzugehen. Die Tour wird sich an schwule Spieler und Trainer gewöhnen müssen.“
Jan schaute mich mit großen Augen an und mit einem befreiten Lachen erwiderte er:
„Nicht nur an schwule Spieler und Trainer, auch an erfolgreiche schwule Spieler und Trainer. Wir werden Erfolg haben. Und danke, dass du mir diese Möglichkeit gibst. Ich freue mich wirklich sehr auf diese spannende, neue Ära im Tennis.“
Jetzt mache er einen Schritt auf mich zu und umarmte mich ganz fest. Ein intensives Gefühl breitete sich in mir aus. Ich hatte nicht bemerkt, dass mittlerweile auch meine drei Jungs hinzugekommen waren. Fynn stutzte und wirkte verunsichert.
„Hallo ihr drei, schön dass ihr da seid. Macht euch warm und dann geht es auch richtig los mit Training“, begrüßte sie Jan.
„Wir trainieren gemeinsam?“, fragte Dustin nach.
„Ja, für diese Woche wird Andy Murray euer Trainingspartner sein. Jan wird die ganze Woche mit uns arbeiten. Und bevor ihr euch aufwärmt, möchte ich kurz eine Begrüßung auf dem Platz machen und etwas bekanntgeben.“
Jan ging bereits zurück auf den Platz und holte sich Maxi und Andy an das Netz. Jetzt folgte ich mit den Jungs die Treppe hinunter.
„Was hast du dir überlegt? Oder gibt es etwas ganz Neues mitzuteilen?“, fragte Fynn schon leicht aufgeregt.
„Gleich, Fynn. Bleibt entspannt. Es ist schnell erklärt.“
Wir betraten den Platz und ich konnte den Respekt gegenüber Andy Murray sofort spüren. Jan stellte die Jungs und mich kurz vor. Andy war freundlich und schaute nur etwas irritiert zu mir. Aber er war sehr freundlich.
„So, Chris. Jetzt bist du dran. Andy ist bereits vorbereitet und informiert was wir vorhaben. Du kannst es deinen Jungs jetzt erklären.“
Jan stellte sich aber demonstrativ neben mich. Das gefiel mir.
„Also gut. Es dauert auch nicht lange. Das Team hat sich beraten und wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir unsere Turnierplanung verändern. Wir spielen die komplette Rasensaison auf der ATP Tour. Stuttgart, Halle und Wimbledon. Also zwei Wochen Vorbereitung hier, das bleibt. Nur werden wir ab morgen auf Rasen wechseln. Danach werden wir diese drei Turniere mit Jan gemeinsam spielen. Ich werde mit Jan gleichberechtigt arbeiten und ihr könnt von seiner Erfahrung und den Erfolgen von Andy profitieren. Ich bin davon überzeugt, dass wir eines der stärksten Teams auf der Tour darstellen werden. Ich freue mich auf diese neue Herausforderung und bin mir aber sicher, ihr werdet jetzt erst richtig gut spielen. Für euch ändert sich nicht viel, nur dass ich in den nächsten Wochen mit Jan zusammenarbeiten werde. Habt ihr Fragen?“
„Ähm, keine Frage“, meldete sich Dustin, „aber habe ich das richtig verstanden? Jan will mit uns gemeinsam auf die Tour gehen? Auf die große ATP Tour? Und du findest das gut?“
„Ja!Ja!Ja! dreimal Ja auf deine Fragen als Antwort“, lachte ich.
„Geil, da bin ich dabei. Damit habe ich zwar überhaupt nicht gerechnet, aber einfach geil“, freute sich Fynn und auch Justin strahlte über sein ganzes Gesicht.
Danach schickte ich sie zum Aufwärmen. Das nutzte Jan um mich Andy kurz vorzustellen. Und bevor ich die Chance hatte mich wieder vom Platz zu entfernen, meinte Jan noch:
„Ich werde mal bei Thorsten im Büro vorbeischauen. Chris, übernimmst du bitte für mich.“
Und schon war er verschwunden. Sergio schien sich für die Jungs zu freuen, denn er umarmte alle nacheinander.
„Okay, dann lasst uns weitermachen“, sagte ich und sowohl Maxi als auch Andy gingen zurück auf den Platz und spielten einfach weiter, als ob sich nichts verändert hätte.
Ich beobachtete Andys Bewegungen und den Treffpunkt vom Ball. Andy war ein fertiger Profispieler, der nach einer schweren Hüftoperation wieder zurück in die Weltspitze wollte. Dem musste ich nicht mehr erklären wie er den Ball zu spielen hatte.
Mir gefiel aber der Schwerpunkt des Körpers nicht. Er hatte mir zu viel Rückenlage.
„Geh mal mit dem Oberkörper mehr nach vorn. Zum Ball orientiert. So, genau. Das ist besser.“
Es folgten noch ein paar weitere, kleinere Korrekturen und erstaunlicherweise setzte Andy meine Beobachtungen schnell und direkt um. Interessant war auch seine Reaktion, einige Minuten später bei der nächsten Trinkpause.
„Du beobachtest extrem gut. Ich spürte sofort die Veränderungen. Das ist echt klasse von dir.“
Mittlerweile waren auch meine Jungs hinzugekommen und wir starteten richtig durch. Zuerst hatten die Jungs noch sehr großen Respekt vor dem großen Namen, aber nach wenigen Minuten hauten sich die vier die Bälle richtig hart um die Ohren. Maxi stand jetzt neben mir am Rand.
„Wollte Jan nicht gleich wieder zurück sein?“, fragte ich Maxi.
Er zuckte mit den Schultern, aber es schien ihn auch nicht zu stören. Denn meine Jungs wussten was zu tun war. Nach einer Stunde harter Arbeit ließ ich eine kurze Pause machen. Von Jan war immer noch nichts zu sehen. Aber in der Pause sah ich auch warum. Jan hatte die ganze Zeit von oben Videoaufnahmen gemacht. Na toll.
Er kam die Treppe hinab und lächelte.
„Das sah richtig gut aus. Du hast die Truppe gut im Griff. Auch was du zu Andy gesagt hast, war gut und zielführend. Ich hätte es nicht besser machen können. Sehr schön.“
Nach einer weiteren guten Stunde hatten wir das Training beendet und ich hatte noch einen Termin, den mir Marc vermittelt hatte. Heikki wollte sich meinen Rücken vornehmen und mit mir etwas arbeiten. Damit würde ich mir das Mittagessen in der WG gut verdient haben.
Natürlich hatte Marc dafür gesorgt, dass wir uns in der Physioabteilung treffen konnten. Dort waren alle Geräte vorhanden und wir hatten genug Platz. Heikki hatte auch ein paar Dinge mitgebracht. Ab Morgen wollte er mit unserer Physio- und Medizinabteilung eine Fortbildung beginnen.
Nach einer halben Stunde gemeinsamer Arbeit spürte ich deutlich die Anstrengungen und bekam etwas Sorge, dass ich dieser Belastung nicht standhalten könnte. Heikki machte hingegen keinerlei Anstalten, es etwas weniger anstrengend werden zu lassen. Marc spürte aber, dass ich nicht mehr so locker war.
„Denkst du, dass Chris das noch schafft? Ich glaube, Chris hat bereits leichte Probleme.“
„Keine Sorge, Marc. Ich habe es schon bemerkt. Aber Chris sollte mir vertrauen. Pass auf, Chris, du kannst noch mehr schaffen, wenn du dich auf die Übungen einlassen kannst. Dafür musst du mir vertrauen.“
„Können wir eine kleine Pause machen. Ich muss mich neu konzentrieren. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch schaffe.“
Heikki gewährte mir die Pause und dann quälte er mich noch einmal richtig. Aber ich biss mich durch und bekam ein großartiges Gefühl als er dann sagte:
„Sehr gut, das reicht jetzt für heute. Du hast dich hervorragend geschlagen, Chris. So wirst du noch einiges an Beweglichkeit zurückbekommen. Warte es ab, du wirst am Ende unserer Zeit hier viel mehr an Bewegungsfreiheit haben.“
In erster Linie war ich heute vollkommen erschöpft, aber ich war auch ein wenig stolz auf mich selbst. Ich hatte mich überwunden weiterzumachen.
Aber eine große Pause konnte ich mir nicht erlauben, denn jetzt stand das gemeinsame Mittagessen in der WG an. Mit dem Neuzugang Carlos. Ich war tatsächlich etwas aufgeregt, als ich mich auf den Weg dorthin machte.
Vor der WG stand kein fremdes Auto, also konnte ich davon ausgehen, dass Carlos Eltern schon wieder gefahren waren.
Ich betrat durch die Terrassentür das Erdgeschoss. Aus der Küche konnte ich Geräusche wahrnehmen, aber mehr nicht. Ich öffnete die Tür und Martina stand am Herd und bereitete das Mittagessen vor. Von den großen Jungs war keiner da zum Helfen. Das störte mich.
„Hallo Chris, schön, dass du schon da bist. Dann können wir ja pünktlich essen. Fynn und Dustin hatten gemeint, dass du vielleicht später kommst, da du noch mit Heikki einen Termin hättest. Und bevor du dich beschwerst, dass von den Jungs keiner hilft, sie kümmern sich um Carlos, da Tim und Carlo noch in der Schule sind. Sie sind unten in Carlos Zimmer und zeigen ihm das Haus und den Kicker.“
Dabei musste sie schon schmunzeln. Das gab mir wiederum ein gutes Gefühl. Carlos schien sich unauffällig verhalten zu haben.
„Ja, dann sollte ich mal nach den Jungs schauen oder kann ich dir hier noch etwas zur Hand gehen?“
„Ich bin hier gut im Plan. Geh ruhig zu den Jungs. Der Carlos ist bislang eher sehr schüchtern. Und er freut sich auf dich. Das hat er gleich gesagt als ich ihm sagte, dass du zum Essen kommst.“
„Na, das höre ich gern. Ich finde es auch klasse von den großen Jungs, dass sie sich um ihn kümmern. Sehr schön.“
Ich hatte die Küche verlassen und ging die Treppe hinunter in den Keller. Ich empfand den Umbau mittlerweile gelungen. Helle Farben und der Boden verströmte Gemütlichkeit. Ich hörte Stimmen aus Carlos Zimmer. Ich klopfte an und ein vielstimmiges „Herein“ kam als Antwort.
Als ich das Zimmer betrat, saß Carlos an seinem Schreibtisch und die drei großen Jungs bei ihm auf dem Bett und in den Sesseln.
„Chris“, sagte Carlos überrascht.
Ich ging auf ihn zu und mit einer spontanen Umarmung wurde ich begrüßt.
„Wie geht es dir? Haben sich die Jungs gut um dich gekümmert?“
„Danke, ja. Ich bin hier sehr freundlich begrüßt worden. Trotzdem finde ich es toll, dass du auch hergekommen bist. Dustin und Fynn hatten mir schon viel erzählt. Ich bin zwar echt aufgeregt und auch etwas unsicher, ob ich das alles schaffe, aber ich bin sehr froh, dass du dich für mich eingesetzt hast und mir eine Chance gibst.“
Seine Stimme wirkte nicht so stabil wie er sein wollte. Ich nickte ihm freundlich zu und erwiderte:
„Du bist hier, weil du viel Talent hast und wir davon überzeugt sind, dass wir dir helfen können, wenn du hart an dir arbeitest.“
„... und wenn ich aufhöre, immer nur Stress zu machen, ich weiß.“
Dabei schaute er mir direkt in die Augen. Meine Jungs waren irritiert über diese Art von Carlos. Ich kannte das bereits und konterte:
„Du hast mir nie Stress gemacht, im Gegensatz zu deinen Eltern. Du kannst ein sehr netter Junge sein mit unfassbarem Talent.“
Carlos schüttelte leicht den Kopf und fing an zu lachen.
„Ja ja, ich sollte eigentlich wissen, dass du immer das letzte Wort hast. Ich sollte mich daran gewöhnen, dass du mich durchschaut hast. Aber ich möchte hier wirklich keinen Stress machen. Ich möchte endlich mal in Ruhe, ohne Stress, Tennis spielen.“
„Das bekommen wir hier hin. Du hast meine Jungs ja schon kennengelernt. Wenn du klug bist, frag ihnen am Anfang Löcher in den Bauch. Sie kennen sich hier sehr gut aus und werden dir helfen. Genau wie Carlo und Tim. Die sind aber noch in der Schule. Die kommen gleich zum Essen und dann werde ich noch ein paar Dinge erklären. Hast du jetzt noch Fragen?“
Carlos schüttelte seinen Kopf und das war für mich das Signal zum Essen zu gehen.
Auf dem Weg nach oben konnte ich Carlos Anspannung sehen. Ich drehte mich zu ihm um:
„Martina hast du vorhin aber schon kennengelernt, oder?“
„Ja, sie ist sehr nett gewesen. Hat aber auch klar darauf hingewiesen, dass wir pünktlich zum Essen sein sollen.“
Jetzt stand er neben mir und die anderen drei Jungs mussten kurz stehen bleiben. Ich legte meinen Arm auf seine Schulter und sofort konnte ich etwas Entspannung bei ihm spüren.
„Wir werden pünktlich sein. Außerdem ist Martinas Essen immer lecker. Daher ist man freiwillig pünktlich. Oder was meint ihr, Jungs?“
„Aber hallo!“, lachte Justin, „Martina kocht echt klasse. Und selbst Tim ist mittlerweile immer pünktlich zum Essen. Und das will schon etwas heißen.“
In diesem Moment öffnete ich die Küchentür und natürlich saßen Tim und Carlo schon am Tisch und halfen Martina noch beim Nachtisch. Beide freuten sich, als sie mich sahen. Tim meinte:
„Hi Chris, das ist aber echt cool, dass du mal wieder mit uns zusammen isst. Hi, du bist Carlos, nehme ich an. Willkommen bei uns in der Jungs WG.“
Eine tolle Geste war nun, dass beide Jungs aufgestanden waren und Carlos mit einer freundlichen Umarmung begrüßten.
„Chris, nimmst du Carlos mit zum Tischdecken? Dann kannst du ihm gleich einmal zeigen wo bei uns was steht. Heute gibt es eine Suppe als Vorspeise. Also bitte tiefe Teller auch eindecken.“
„Lass mal, Chris“, meinte Tim, „ich übernehme das für dich. Kommst du mit, Carlos?“
Und schon waren die beiden aus der Küche verschwunden. Es freute mich sehr, dass Tim das so spontan übernommen hatte. Das würde für Carlos viel einfacher sein, das mit Tim zu machen.
„Kann ich Tim helfen?“, fragte Carlo jetzt.
„Los, zisch ab. Nicht dass du Angst haben musst, dass dein Liebster fremd gehen könnte.“
Danach mussten wir alle lachen. Dieser Spruch von Martina war genial. Außerdem würde Carlos auch direkt mitbekommen, dass die beiden zusammen waren und wir hier in der WG einige schwule Jungs hatten.
„Meinst du nicht, wir überfordern Carlos gleich mit so vielen schwulen Jungs?“
„Er wird damit klarkommen müssen. Und es ist besser, er weiß gleich Bescheid als wenn er das von anderen hört. Ich bin auch gespannt, wie er damit umgehen wird. Aber lassen wir ihm Zeit, sich hier zurechtzufinden.“
„Richtig, Chris. Wir werden uns bemühen, dass er sich hier wohlfühlt. Er ist echt aufgeregt gewesen als du eben noch nicht hier warst. Aber er scheint dir sehr zu vertrauen. Er hatte uns von dir und seinen Erlebnissen mit dir erzählt. Er mag dich sehr.“
Fynn hatte ein gutes Gespür für die Situation und auch bei Dustin war ich mir sicher, dass er Carlos unterstützt. Hoffentlich würde Carlos zu Beginn viel zuhören. Dann könnte er gleich spüren, wie das hier lief.
Einige Minuten später saßen alle in einer großen Runde am Tisch und es wurde gegessen. Nach der Suppe war Martina mit Fynn in die Küche gegangen, um den Hauptgang zu holen. Carlos schien beeindruckt zu sein. Er beobachtete alles genau und seine Augen sprangen immer hin und her.
„Ist das hier immer so, dass sich alle zum Mittagessen treffen? Ist das nicht schwierig mit den unterschiedlichen Schulzeiten?“, fragte er dann plötzlich.
„Ja“, erwiderte ich, „das ist auch nur heute möglich. Du hast halt Glück, dass du heute angekommen bist. Morgen wird der zeitliche Ablauf anders sein. Aber die Schule wird ja ab nächster Woche vorbei sein. Dann sind Ferien und die täglichen Abläufe werden sich verändern. Du bekommst morgen dann auch einen Ablaufplan von Marco oder Toto. Vermutlich wird Marco das mit dir besprechen. Und wann immer du eine Frage hast, stelle sie einfach. Martina, Marco oder auch ich sind immer für dich ansprechbar. Wobei ich nicht so oft hier sein werde. Genau wie Dustin, Fynn und Justin. Aber Tim und Carlo werden dir immer zur Seite stehen. Gerade zu Beginn wird vieles für dich ganz neu sein. Je mehr du mit uns sprichst, desto eher wirst du das System hier begreifen. Ich freue mich auf die Zeit mit dir hier. Keine Angst, hier werden Fehler nicht sofort bestraft. Erst wenn du immer wieder denselben Fehler machen solltest, könnte es schwierig werden. Aber du bist dreizehn und darfst Fehler machen. Sonst kannst du auch nicht lernen, eigene Entscheidungen zu treffen.“
Carlos schien mit meiner Antwort komplett überfordert zu sein. Jetzt war es richtig klasse wie die großen Jungs das Zepter übernahmen. Dustin erklärte:
„Sei beruhigt. Wenn du hier ein paar Tage bei uns bist, verstehst du die Worte von Chris viel besser. Ich habe hier zu Beginn auch ganz viel falsch gemacht und erst nach einigen Wochen richtig begriffen, was für eine Chance ich hier bekommen habe. Und eines ist auch ganz klar, Chris untertreibt mal wieder ganz böse, was sein Engagement hier betrifft. Ohne Chris wäre von uns dreien niemand auf dem Sprung in die Weltelite der Top einhundert bei der ATP. Wir fühlen uns hier sehr wohl. Dank Chris.“
„Ja“, antwortete Carlos überraschend fröhlich, „dass Chris ein cooler Typ ist, das habe ich schon ganz lange begriffen. Er hat mir schon mehrfach aus einer schwierigen Situation geholfen und sogar meinem Vater mal die Grenzen aufgezeigt. Daher freue ich mich wirklich, dass Chris hier ist. Die anderen Trainer habe ich noch nicht kennengelernt. Ich bin auch etwas nervös vor dem ersten Training heute Nachmittag.“
„Keine Panik“, lachte Tim nun, „Marco ist auch sehr nett. Und da du gutes Tennis spielen kannst, wirst du sicher klarkommen. Eine Sache sollten wir dir aber vielleicht noch sagen. Hier in der WG wirst du mit schwulen Jungs klarkommen müssen. Ich hoffe, dass dich das nicht schockt wenn du jetzt erfährst, dass ich mit Carlo zusammen bin und Dustin und Fynn ebenfalls ein Paar sind. Damit wirst du leben müssen.“
„Was? Echt jetzt? Ich seid auch zusammen? Von Dustin und Fynn wusste ich das ja schon. Ich habe viel über die Entwicklung von den drei gelesen. Auch von dem üblen Attentat in Kitzbühel hatte ich gelesen. Das war kurz nachdem ich Chris kennengelernt hatte. Aber um auf die Sache zurückzukommen, ich habe keine Probleme mit schwulen Jungs. Allerdings kenne ich bislang auch keine schwulen Jungs so richtig. Wenn ich euch dazu auch Fragen stellen darf, dann sollte das kein Problem geben.“
Wie cool war das denn gerade? Carlos war dreizehn und so entspannt bei diesem Thema. Ich musste anerkennend nicken. Da kam von Tim jetzt noch einer oben drauf.
„Und damit du auch komplett Bescheid weißt, wir haben auch einen schwulen Trainer hier. Chris ist auch von unserem Ufer.“
Die großen Jungs fingen an zu lachen und auch Martina musste grinsen. Carlos schaute mich mit großen Augen an.
„Oh, damit habe ich nicht gerechnet. Und ich habe es bislang auch überhaupt nicht bemerkt. Aber wie gesagt, bislang habe ich mit diesem Thema noch keinerlei Erfahrungen. Ich habe aber auch keine Angst davor. Chris vertraue ich total. Da weiß ich, dass ich immer Hilfe bekommen werde. Aber sollten wir jetzt nicht weiter essen? Ich habe schon noch Hunger.“
Sofort lachten wieder alle am Tisch. Carlos hatte damit einen super Übergang geschafft zu einem anderen Thema und dass er Hunger hatte, war eindeutig zu sehen. Er nahm sich zweimal Nachschlag. Das freute natürlich Martina. Und für mich war das auch ein gutes Zeichen, dass die Nervosität bei Carlos abgeflacht war.
Nach dem Essen hatten sich Tim und Carlo mit Carlos früh vom Tisch verabschiedet. Das war auch in Ordnung, sonst hätten sie den Zeitplan für heute nicht geschafft. Dustin, Fynn und Justin hatten noch etwas Zeit bis zu ihrem Nachmittagstraining und sie übernahmen das Abräumen vollkommen selbständig. Ich konnte mich mit Martina bereits mit einer Tasse Tee auf die Terrasse setzen.
„Erzähl mal von heute Morgen. Wie haben sich die Eltern hier präsentiert?“, fragte ich Martina.
„Seine Mutter hat ihn allein gebracht. Allerdings empfand ich das als Erlösung, als sie endlich wieder gefahren ist. Carlos war nur genervt und hat sich mit ihr gestritten. Ich hatte fast Mitleid mit dem Jungen. Und sein Verhalten, als sie weg war, - das komplette Gegenteil. Er konnte sogar richtig nett sein. Fast schon schüchtern. Unglaublich, dass Eltern so einen starken Einfluss haben und in diesem Fall sicher nicht zum Vorteil von Carlos.“
„Hihihi, ja, da sagst du etwas Wahres. Ich habe ja den Vater auch schon mehrfach erleben müssen. Ich finde es einfach nur erstaunlich, dass sich Carlos vom Charakter noch nicht so verändert hat. Daher hoffe ich sehr, dass es uns gelingt, ihm wieder mehr Spaß am Tennis zu vermitteln. Der Junge ist richtig gut und hat viel Talent. Ich bin von ihm, als Mensch, auch noch nie enttäuscht worden.“
„Du wirst schon wissen warum du Jan gebeten hast, ihn hier aufzunehmen. Ich glaube, er wird hier schnell ankommen. Und dass sich Tim und Carlo auch gleich gut um ihn kümmern, ist auch sehr schön zu sehen. Da hast du viel bei Tim bewegt und erreicht.“
Leider hatte ich nicht mehr allzu viel Zeit, da ich das Nachmittagstraining noch vorbereiten musste.
Luc: Die Zusammenarbeit von Jan und Chris begann vielversprechend
Heute war ein Tag der Geheimnisse. Papa hatte Stef und mich gebeten, mit ihm ein paar Dinge für die große Party vorzubereiten und daher waren wir auch nicht zum Mittagessen in der WG. Obwohl wir von Fynn eingeladen waren.
Papa war mit uns zum Event Center gegangen und wir haben uns dort alles angeschaut. Außerdem hat uns Papa erklärt, was genau sein Geschenk für Fynn und Dustin sein würde. Ich wusste es doch. Wieder einmal hatte sich Papa etwas ganz Besonderes ausgedacht.
Am Nachmittag schauten wir gemeinsam beim Training zu und ich war erstaunt, dass Jan einfach vom Platz ging und Chris das Feld überließ. Allerdings nur für eine recht kurze Zeit. Danach kam er mit dem Video Equipment zurück und filmte das komplette Nachmittagstraining.
Umso überraschter empfand ich Chris Reaktion, als er die Kamera irgendwann bemerkt hatte. Aber noch spannender für Stef und mich war, als Jan uns erklärt hatte, wie er das Training von Chris sah. Es gefiel ihm sehr gut und er lobte Chris immer wieder über die Korrekturen, die er vornahm. Jan wirkte überhaupt sehr entspannt und ich hatte das Gefühl, dass er sich ehrlich auf die Zusammenarbeit mit Chris freuen würde.
Am Ende des Trainings erklärte uns Fynn dann, dass sie noch zur Physio gehen und erst danach Zeit für uns hätten. Heute Abend wollten wir in der WG sein. Fynn hatte alle zu einem Billardabend eingeladen und auch für die Getränke und Knabbersachen gesorgt. Warum er das unbedingt in der WG machen wollte und nicht im Billardcenter, hatte sich mir noch nicht erschlossen. Erst als wir schon auf der Terrasse des Clubhauses saßen, meinte Stef zu mir:
„Ich glaube, ich habe es jetzt. Ich weiß, warum Fynn unbedingt in der WG bleiben möchte. Da ist doch heute ein neuer Bewohner angekommen. Fynn möchte bestimmt, dass er gleich integriert wird. Der neue Junge ist doch erst dreizehn. Da würde es schwierig werden im Billardcenter.“
„Oh ja, danke Stef. Da hätte ich auch drauf kommen können. Das macht Sinn und würde total zu Fynn passen. Ich bin jetzt auch neugierig, wie der neue Junge ist. Mit dreizehn von zu Hause wegzugehen empfinde ich als sehr mutig.“
Stef und ich warteten auf unsere Eltern. Papa hatte die Idee, heute Abend die WG zu besuchen. Aber er wollte erst Chris dazu befragen.
Wenige Minuten später tauchten sie mit Chris auch bei uns auf. Chris wirkte entspannt und lachte, als Papa meinte:
„Also du meinst, wir sollten uns heute Abend einfach selbst in die WG einladen? Fynn ist zwar der Gastgeber, hätte aber bestimmt nichts dagegen?“
„Ja genau“, erwiderte Chris, „für Carlos ist das auch gleich die Gelegenheit euch kennenzulernen. Ihr werdet schließlich häufiger hier auftauchen. Außerdem wird das bestimmt ein lustiger Abend. Wir müssen ja nicht bis zum Ende bleiben, aber ein paar Runden Billard spielen, darauf hätte ich schon Lust.“
„Hoffentlich stirbt er nicht den Herztod, wenn er realisiert, dass dort eine Rennsportlegende zu Besuch auftaucht“, lachte ich.
„Ach was“, erwiderte Chris, „er dürfte Marc doch gar nicht mehr als aktiven Rennfahrer kennen. Dafür ist er zu jung.“
„Wenn du meinst, aber ich finde es eh immer cool, mit Papa zusammen etwas zu unternehmen. Also dann sehen wir uns zum Billard heute Abend. Stef und ich gehen jetzt schon rüber und werden uns mit Fynn und Dustin treffen.“
„Ja, ist in Ordnung. Geht ihr zu Fuß oder wie kommt ihr dorthin?“, fragte Papa.
„Wir wollten fragen, ob du uns vielleicht hinbringen könntest?“, antwortete ich.
„Hier, nimm den Schlüssel für den Ferrari. Ich brauche ihn heute nicht mehr. Aber denk bitte daran, es ist ein Leihwagen. Sabine und ich kommen mit Chris zusammen und werden auch gemeinsam zu Abend essen.“
„Cool. Danke, Papa“, freute ich mich über das Vertrauen.
Ich nahm den Schlüssel und ging mit Stef zum Parkplatz.
„Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet, dass Papa uns den Ferrari gibt. Also sei bloß vorsichtig. Ich will keinen Ärger bekommen“, meinte Stef.
Ich schaute meinen Freund an und musste lachen.
„Ich bin immer vorsichtig beim Fahren. Das weißt du doch. Also, lass uns in die WG fahren.“
Im Auto fragte mich Stef:
„Wann kommt eigentlich Karl mit dem Wohnmobil? Wir sollten Chris vielleicht etwas vorwarnen. Oder ist die Unterbringung von Karl schon geklärt?“
„Natürlich ist das schon geklärt. Und Thorsten weiß Bescheid. Also sollte Chris auch über alles informiert sein. Ich hoffe nur, dass Fynn und Dustin noch nicht wissen, was für Überraschungen auf sie zukommen werden.“
„Dafür sollten wir Chris gut genug kennen“, antwortete Stef, „dass er keine Überraschungen verrät. Das klappt schon, ganz sicher.“
Mein Schatz gab sich damit zufrieden und schon parkte ich vor der WG. Bevor wir klingeln konnten, hörten wir schon Stimmen aus dem Garten. Also ging ich mit Stef um das Haus herum und gleich in den Garten. Dort waren Tim, Carlo und noch ein Junge an der Tischtennisplatte. Den anderen Jungen kannte ich noch nicht. Also musste das vermutlich der neue Bewohner sein. Tim hatte uns bereits bemerkt:
„Ah, hallo Luc, hallo Stef. Schön, dass ihr uns auch besuchen kommt. Dustin und Fynn sind drinnen. Wenn ihr wollt, könnt ihr auch direkt reingehen. Oder spielt ihr eine Runde Rundlauf mit?“
„Wir begrüßen erst einmal Martina und sagen Fynn, dass wir angekommen sind. Danach können wir gern eine Runde Rundlauf spielen.“
Einige Minuten später standen wir mit Dustin, Fynn und Justin gemeinsam an der Tischtennisplatte und spielten Rundlauf. Ich war eigentlich wirklich nicht schlecht an der Platte, aber der neue Junge war eine ganze Liga besser. Da hatte ich nicht den Hauch einer Chance und so standen sich nahezu immer Carlo und Carlos im Finale gegenüber. Carlos wirkte noch still und zurückhaltend, nahezu schüchtern.
In einer neuen Runde waren wir wieder dabei und plötzlich schied Tim als erster aus. Dann folgten Dustin und Justin. Es ergab sich, dass ich tatsächlich einmal in das Finale gegen Carlos kam.
„Möchtest du zuerst aufschlagen oder soll ich beginnen?“, fragte er mich freundlich und zum ersten Mal kam ein leichtes Lächeln in sein Gesicht.
„Du darfst gern beginnen“, erwiderte ich und dann begann das Finale.
Es wurde bis drei gespielt. Also wer zuerst drei Punkte gemacht hatte, gewann das Spiel. Bei 2:2 hatte folglich Carlos wieder Aufschlag. Und irgendwie hatte ich es geahnt, denn jetzt spielte er einen Aufschlag, den ich nicht einmal getroffen hatte. Aber Carlos freute sich nur zurückhaltend. Ich gratulierte ihm und fragte:
„Wie kann ein Tennisspieler so gut im Tischtennis sein? Man sagt doch immer, dass sich Tennis und Tischtennis nicht verträgt.“
„Ach, ich spiele schon seit ich denken kann. Sowohl Tischtennis als auch Tennis. Ich habe einfach Spaß am Tischtennis. Da kann ich auch mit anderen spielen, die kein Tennis spielen.“
„Na, da wirst du hier auf gute Partner treffen. Carlo spielt auch exzellent Tischtennis, wie du bestimmt gemerkt hast. Er lässt zwar seinen Freund Tim häufiger mal gewinnen, aber eigentlich ist Carlo unser Starspieler beim Tischtennis“, lachte Fynn.
Carlos schaute zu Carlo, der ein wenig rot wurde.
„Cool, ich glaube, hier werde ich mehr Spaß haben als zu Hause.“
In diesem Augenblick kam Martina zu uns in den Garten.
„Jungs, Abendessen. Wollt ihr auf der Terrasse essen? Es ist ja noch schön draußen.“
„Ja“, meldete sich Justin, „draußen haben wir auch mehr Platz. Ich hole mal das Geschirr und Besteck. Hilft einer mit?“
„Ja, ich mache das“, sagte Carlos, „dann lerne ich auch gleich, wo was bei euch liegt und wie das hier läuft.“
Martina nickte anerkennend und erwiderte:
„Das gefällt mir gut. Geh mal einfach mit Justin mit. Und ich brauche noch etwas Unterstützung in der Küche. Einer reicht, wer hilft mir?“
„Ich“, meldete sich Stef und ging einfach mit Martina ins Haus.
Wir bereiteten schnell die Terrasse vor und zwanzig Minuten später saßen wir alle am Tisch und genossen das Abendessen.
Plötzlich wurde es im Garten lebendig. Zwei Jungs und zwei Mädchen kamen durch die Gartentür auf die Terrasse zu. Fynn bekam große Augen. Dustin fing an zu lachen und dann stellten sich die vier Gäste in einer Reihe auf und gaben Fynn zum Geburtstag ein „Happy Birthday“. Das war für mich eine tolle Geste.
Fynn stand anschließend auf und ging auf die vier Gäste zu. Es folgte eine feste Umarmung und dann stellte er uns die neuen Gäste vor.
„Das sind zwei meiner Klassenkameraden und gute Freunde von Dustin und mir. Wie ihr unschwer erkennen könnt, sie sind vom „anderen“ Ufer und haben ihre Freundinnen mitgebracht.“
Das führte zu großer Heiterkeit. Mir gefiel dieser Spruch sehr gut. Auch Carlos hatte es sofort begriffen. Er flüsterte mit Tim etwas. Das hatte Martina bemerkt und sie forderte Carlos auf:
„Hier wird nicht geflüstert. Das musst du dir merken. Wer etwas zu sagen oder zu fragen hat, soll es offen stellen oder warten bis man mit der Person allein ist. Also was gibt es zu klären?“
Carlos lief sofort rot an und alle Augen lagen auf Tim und ihm. Tim rettete Carlos geistesgegenwärtig mit seinem Spruch:
„Carlos hat einfach nur bemerkt, dass es auch noch „Heten“ gibt, hahaha.“
Da brach bei uns Gelächter aus und Justin nutzte die Gelegenheit, Carlos darauf aufmerksam zu machen, dass er ja auch auf Mädchen stehen würde. Jedenfalls war es eine lustige Situation, die von Tim gut gemeistert wurde.
Frank, einer der Klassenkameraden von Fynn, fragte dann Fynn:
„Sag mal, bist du unter die Millionäre gegangen? Oder wem gehört der schwarze Ferrari vor der Tür?“
Jetzt wurde Carlos etwas unruhig. Er schien sich wohl für Autos zu interessieren. Martina wollte schon eingreifen, aber Fynn regelte das sehr clever.
„Nein, keine Sorge, aber wir haben Besuch aus der Schweiz. Der hat sein Auto hier geparkt, damit der Ferrari am Clubhaus keinen Schaden nimmt.“
Coole Antwort.
„Jetzt könnte es allerdings im Keller etwas eng werden. Aber wir werden das schon hinbekommen“, meinte Dustin.
„Wir wollen auch nicht so lange bleiben“, meldete sich Franks Freundin, „wir waren nur der Meinung, zum Gratulieren sollten wir schon persönlich vorbei kommen.“
„Das finde ich auch total cool“, antwortete Fynn, „wir wollten gleich im Keller etwas Billard spielen. Also ein paar Runden könnt ihr doch sicher bleiben, oder?“
„Bevor hier alle n den Keller aufbrechen, ich brauche zwei Freiwillige, die mir helfen, die Küche aufzuräumen“, meldete sich Martina zu Wort.
Justin schaute einmal zu Carlo und als dieser kurz genickt hatte, sagte er:
„Carlo und ich helfen. Die anderen können schon in den Keller gehen. Wir kommen auch gleich nach. Und ich bin mir sicher, wir werden gleich noch mehr Besuch bekommen. Chris wird mit Sicherheit auch noch kommen.“
Auf dem Weg in den Keller fragte Carlos dann Fynn:
„Chris kommt auch noch? Kommen eure Trainer auch zu euch nach Hause? Oder wie läuft das hier?“
„Ja, Chris ist oft hier zu Besuch. Du musst aber keine Sorge haben. Chris ist für uns alle viel mehr als nur Trainer. Mittlerweile gehört er eigentlich zur Familie. Ich freue mich jedes Mal wenn er hier ist. Du wirst das schnell mitbekommen was Chris für uns bedeutet und wie wir miteinander umgehen. Du kannst Chris auch immer ansprechen, egal ob er dein Trainer ist oder nicht. Er wird dir immer zuhören und einen Rat geben oder dir helfen. Aber vielleicht sollte ich dir eine Sache noch mit auf den Weg geben. Du solltest Chris niemals belügen. Das mag er überhaupt nicht. Wenn du einen Fehler gemacht hast, sag lieber gleich dass du etwas nicht hinbekommen hast. Er wird dir dann nie böse sein, sondern dir zeigen, wie man es besser machen kann. Das war für mich am Anfang auch ganz schwierig. Ich hatte es von meinen Eltern nie so erfahren.“
Carlos schaute Fynn mit großen Augen an, dann überlegte er einen Moment bevor er antwortete:
„Ja, das kenne ich von meinen Eltern auch nicht. Aber ich habe Chris bisher auch nur so erlebt. Er hat mir immer geholfen, wenn ich mal wieder in Schwierigkeiten war oder mich schlecht benommen hatte.“
„Übrigens gilt das hier in der WG für alle. Lügen geht gar nicht. Fehler machen gehört zum Leben dazu. Also wenn du Probleme hast, sag es einfach. Wir alle sind für dich da und helfen dir. Aber nur, wenn du dir auch helfen lässt.“
Fynn schaute seinen Freund an, der das gesagt hatte. Er nahm ihn in den Arm und küsste ihn, bevor er sagte:
„Genau richtig. Danke, dass du es so klar gesagt hast. Carlos, du bist ab sofort ein vollwertiges Mitglied unserer WG. Wenn du dich mal nicht gut fühlst oder sonst etwas hast, dann komm zu uns und rede. Wir werden immer zuhören und dir helfen. Auch wenn wir leider viel unterwegs sein werden.“
Was mir jetzt auffiel, Carlos wirkte emotional angefasst. Nicht mehr so cool wie bislang. Das bestärkte mein Gefühl, dass Chris ganz gezielt Carlos hierher gebracht hatte. Aber bevor ich weiter nachdenken konnte, stand er neben mir. Es wurden Zweierteams gebildet und ich hatte mich entschieden, mit Carlos zu spielen.
„Was meinst du, Carlos, wollen wir beide zusammen spielen?“
Er schaute mich überrascht an.
„Bekommst du keinen Ärger mit Stef, wenn du nicht mit ihm spielst?“
„Nein. Schau mal, er hat sich schon mit Dustin zusammengetan. Also was meinst du?“
„Dann gerne. Aber ich habe nicht viel Erfahrung am Billardtisch. Und schon gar nicht gegen Erwachsene zu spielen.“
„Das ist doch vollkommen egal. Wir wollen Spaß haben. Außerdem kann man nur etwas lernen, wenn man es auch macht. Vom Zuschauen lernt man es jedenfalls nicht.“
Jetzt lächelte er wieder. Das Lob tat ihm sichtlich gut.
Einige Zeit später hatten wir bereits ein Match gespielt. Zwar verloren, weil wir zu schlecht waren, aber Carlos entspannte sich zusehends. Ich saß mit ihm auf der Couch und Stef neben mir, als Carlos fragte:
„Wie habt ihr Dustin und Fynn eigentlich kennengelernt? Ihr spielt ja kein Tennis, oder habe ich das falsch verstanden?“
Irgendwie hatte ich diese Frage schon erwartet. Schließlich kannte er uns ja nicht wirklich. Interessant war jetzt allerdings die Reaktion von Fynn. Er hatte die Frage mitbekommen.
„Doch, Luc spielt sogar ziemlich gut Tennis. Für einen Freizeitspieler ist er sehr gut. Aber wir haben Luc bei einem Turnier in München kennengelernt. Seit dieser Zeit sind wir sehr eng befreundet.“
„Darf ich dazu noch eine Frage stellen?“, fragte Carlos.
„Klar“, antwortete Fynn. „Nur zu.“
„Wusstet ihr da schon, dass Luc und Stef auch schwul sind? Sorry, aber ich habe überhaupt keine Erfahrungen mit schwulen Jungs. Ich finde es toll, dass ihr so offen damit umgehen könnt. Bei mir in der alten Schule waren Schwule oft Ziel von Spott.“
„Alles gut, Carlos“, antwortete ich, „und ja, wir haben uns beim Billard zufällig getroffen und es war uns aufgefallen, dass die beiden sehr vertraut waren. Aber offen schwul waren sie zu der Zeit noch nicht. Stef und ich waren offen geoutet und so haben wir uns angefreundet.“
Mehr wollte ich nicht erklären. Ich wollte, dass er weiter Fragen stellen sollte, wenn er mehr wissen möchte.
Hier konnte ich sein Alter doch spüren. Er war eben erst dreizehn und dennoch wunderte ich mich schon über seine trotzdem offene Art. Besonders schön empfand ich, dass sich Tim und Carlo wirklich sehr um ihn kümmerten. Hier war der Teamgedanke absolut angekommen. Das war auch meinem Schatz nicht verborgen geblieben. Denn Stef kam jetzt zu mir und meinte:
„Kommst du mit auf die Terrasse? Ich brauche etwas frische Luft.“
Ich wusste sofort, dass er Gesprächsbedarf hatte und ging natürlich mit nach oben.
„Ich glaube mittlerweile, dass Carlos nicht zufällig hier gelandet ist. Da hat bestimmt Chris auch wieder viel Einfluss gehabt.“
„Ganz bestimmt. Papa wollte uns nicht mehr erzählen, aber ich bin mir sicher, dass Chris hier ganz viel Einfluss hatte.“
Bevor ich antworten konnte, hörte ich hinter uns die Stimme von Chris.
„Wo habe ich viel Einfluss gehabt?“
Ich zuckte zusammen, weil wir nicht bemerkt hatten, dass Chris mit Mama und Papa gekommen war.
„Boah, Chris. Warum musst du uns immer so erschrecken?“
„Na klar, wer über mich spricht, muss immer damit rechnen, dass ich es bemerke. Hahaha.“
Chris stupste dabei Stef leicht an. Stef fing auch an zu lachen und Chris fragte:
„Also, bei was soll ich ganz viel Einfluss gehabt haben?“
„Ach, wir hatten uns gerade über Carlos unterhalten und da kam dann bei Stef die Vermutung auf, dass du vermutlich großen Einfluss gehabt hast, dass Carlos hier aufgenommen wurde.“
Chris erklärte uns die Situation mit Carlos und dann gingen wir gemeinsam wieder in den Keller.
Dort herrschte gute Stimmung, aber Carlos schien auf mich gewartet zu haben. Er fragte:
„Luc, wir sind eben schon mit unserem Spiel dran gewesen. Wo warst du?“
„Oh, sorry. Ich war etwas frische Luft schnappen und habe dabei Chris aufgegabelt. Vielleicht spielen wir ja als nächstes gegen Chris? Was meinst du?“
Natürlich hatten die anderen das mitbekommen und freuten sich über meine Idee.
„Und mit wem soll ich spielen?“, fragte Chris direkt.
„Na, mit mir natürlich“, meldete sich Papa nun mit einem Grinsen.
„Ja“, lachte ich, „das machen wir.“
Carlos wirkte verunsichert. Chris half jetzt.
„Hey, Carlos. Das ist hier total normal. Wir haben immer wieder den Schalk im Nacken. Da brauchst du keine Angst zu haben. Außerdem bin ich ein ziemlicher Amateur am Billardtisch.“
Und so wurde die Verabredung gleich in die Tat umgesetzt. Chris spielte mit Papa gegen Carlos und mich. Und ich wusste natürlich, dass Carlos irgendwann mitbekommen würde, dass Marc mein Papa war.
Die ersten Stöße mit den Kugeln gingen recht sicher an uns und wir führten. Bis plötzlich Papa meinte:
„Chris, was meinst du, gewinnen wir noch?“
„Klar, natürlich. Hahaha.“
„Dann lass uns einen Preis aushandeln. Wenn wir nicht gewinnen, darf Carlos mit mir eine Runde im Ferrari fahren. Wenn wir aber noch gewinnen, dann muss Carlos mir eine Trainerstunde geben.“
Sofort stimmte ich zu.
„Deal“.
Carlos schaute verwirrt zu mir und fragte:
„Bist du dir sicher? Ich bin dreizehn und habe noch nie eine Trainerstunde gegeben. Und ich weiß doch gar nicht…“
„Egal, wir gewinnen einfach und du darfst Ferrari fahren. Beschäftige dich einfach nicht mit einer Niederlage“, lachte ich.
Das Spiel ging weiter und Chris begann richtig gut zu spielen. Ich hatte das Gefühl, ich hatte sein Spiel schlechter in Erinnerung.
Kurze Zeit später hatte Carlos die Chance die schwarze Acht zu versenken und damit hätten wir das Spiel gewonnen. Carlos zitterte sogar ein wenig die Hand als er das Queue auf den Tisch legte. Er konzentrierte sich, aber leider verfehlte der Ball das Loch. Sehr knapp, aber knapp vorbei ist auch daneben. Carlos regte sich richtig auf und wurde sogar etwas wütend.
Chris schaute sich das nur wenige Augenblicke an.
„Stopp, Carlos. Beruhige dich und komm wieder runter. Wir spielen ein Spiel!“
Dann legte er von hinten beide Hände auf Carlos Schultern und schlagartig beruhigte sich die Situation. Carlos atmete tief durch, ließ die Schultern fallen und dann passierte etwas Besonderes. Er lehnte sich förmlich an Chris Brust und schloss die Augen. Chris legte seine Arme um die Brust und hielt Carlos einfach fest im Arm.
„Danke, Chris. Es tut so gut, wenn du da bist. Entschuldige bitte, dass ich mich nicht unter Kontrolle hatte.“
Carlos wirkte niedergeschlagen und traurig. Chris hingegen blieb gelassen und baute den Jungen sofort wieder auf.
„Hey, alles gut. Ich kenne dich ja schon etwas länger. Ich finde es gut, dass du sofort reagiert hast und dich auf mich eingelassen hast. Hier tut dir niemand etwas. Sollen wir weiterspielen oder brauchst du eine Pause?“
„Wenn es okay ist, bitte weiterspielen. Ich möchte einmal in dem Ferrari fahren. Davon träume ich schon lange. Das sind Traumautos.“
Jetzt wirkte er wieder vollkommen ruhig und normal. So langsam wurde mir bewusst, dass Carlos ein besonderer Junge war.
„Dann lass uns weiterspielen und Spaß haben. Ich schlage vor, wir spielen dieses Spiel nicht zu Ende sondern beginnen gleich ein neues Match. Seid ihr einverstanden?“
Alle stimmten sofort zu und so wurde es gemacht. Erst spielten die anderen eine Partie und dann kamen wir erneut an den Tisch.
Dieses Mal lief es eigentlich ähnlich, nur das Chris nun die Chance hatte, die schwarze Acht zu versenken. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen. Was würde passieren, wenn Chris lochen würde? Rastet Carlos dann komplett aus?
Aber Chris verschoss die Acht und Carlos war nun an der Reihe. Und er freute sich keineswegs über den Fehler von Chris. Er nahm einfach das Queue und lochte die Acht mit einem schwierigen Stoß.
„Gratulation“, kam sofort von Chris und Marc. Carlos lächelte, aber er machte keine Show. Im Gegenteil, er wirkte fast schüchtern.
„Ha, Papa, jetzt musst du mit Carlos eine Runde drehen und was macht Chris eigentlich? Er hat doch auch verloren?“, fragte ich.
„Ist das dein Papa?“, fragte Carlos nun erstaunt.
„Ja, Luc ist mein Sohn. Und Stef auch. Ich habe Stef vor einiger Zeit adoptiert. Also du musst dir keine Gedanken machen, Carlos.“
Der Junge nickte, aber irgendetwas beschäftigte ihn noch immer. Erst einige Minuten später ging er zu Chris und stellte ihm eine Frage. Ich konnte nicht hören was genau er gefragt hatte, aber Chris fing an zu lachen und nahm Carlos in den Arm. Dann gingen sie auf Papa zu. Ich hatte eine Ahnung und stellte mich hinzu.
„Entschuldigung, aber ich habe die ganze Zeit überlegt, dass ich Sie schon einmal irgendwo gesehen habe. Und ich glaube, ich weiß es jetzt, aber eigentlich kann ich das überhaupt nicht glauben.“
„Soo? Und warum wechselst du plötzlich zum Sie?“, erwiderte Papa.
Carlos Gesicht färbte sich rot und sein Körper spannte sich an. Chris blieb ruhig und legte ihm seinen Arm auf die Schulter. Chris forderte Carlos auf:
„Frag Marc doch einfach ob er derjenige ist, für den du ihn jetzt hältst. Er wird genauso freundlich sein wie bisher.“
Carlos nickte nur leicht und es fiel ihm schwer seine Hemmungen zu überwinden.
„Na ja, also ich glaube Sie, äh Du bist Marc Steevens. Die Legende des Motorsports. Und ich spiele hier seit Stunden mit deinen Söhnen Billard und habe überhaupt keinen Plan wer ihr seid. Krass!“
„Hahaha“, lachte Papa jetzt, „Sehr richtig erkannt. Ich bin Marc Steevens und Luc und Stef sind zwei meiner Söhne. Aber wir werden häufiger hier sein und du hast das schon richtig gemacht. Du hast uns einfach freundlich begrüßt und dich normal verhalten. Behalte das bitte genau so bei. Ich bin Marc, das ist meine Frau Sabine und meine Söhne kennst du ja schon ganz gut.“
Nach einigen Minuten allergrößtem Respekt Papa gegenüber, normalisierte sich alles wieder und wir hatten noch ganz viel Spaß an diesem Abend.
Chris: Eine gute Trainingswoche, neue Bewohner und ein verrückter Freitag
Am heutigen Donnerstag würden Simon und Mattes ankommen. Die anderen beiden neuen Bewohner der WG.
Die Trainingstage verliefen gut. Jan wirkte entspannt und war auch zufrieden mit meinen Jungs. Ich konnte auch einige Gespräche mit Andy Murray führen. Thema war der mentale Stress nach seiner Hüftgelenksoperation. Würde sein Körper die Belastungen aushalten? Damit beschäftigte er sich immer wieder. Jan hielt sich aus diesen Gesprächen komplett raus. Er meinte, dass ich da mit Sicherheit das Richtige tun würde und viel mehr Erfahrungen hätte als er.
Heute hatte ich das Vormittagstraining allein geleitet, da Jan einen wichtigen Termin mit einem neuen Teamsponsor hatte. Andy war für meine Jungs natürlich ein enormer Ansporn. Leider hatte das auch zur Folge, dass insbesondere Dustin zu hohe Anforderungen an sich stellte. Da zeigte sich die Routine von Andy. Er nahm sich Dustin an die Seite und erklärte ihm in Ruhe, dass manchmal weniger machen mehr im Ergebnis bringt. Danach beruhigte sich Dustin wieder und zog sein Programm normal durch.
Familie Steevens war heute früh noch nicht beim Training, aber das Matchtraining am Nachmittag wollten sie sich anschauen. Ich hatte mit Marco ein paar Situationen besprochen. Wir wollten Tim, Carlo, Joel und auch Carlos mal hinzunehmen. Ich war sehr gespannt wie das laufen würde, aber Carlos sollte so schnell wie möglich in den Alltag integriert werden und dazu zählte auch das Trainieren mit den großen Jungs wenn es passte.
Marc hatte mich gebeten zum Mittagessen zu ihnen in den Sportpark zu kommen. Dem Wunsch kam ich gerne nach.
Ich betrat den gemütlichen Speiseraum des Hotels und natürlich saßen Sabine und Marc bereits am Tisch und erwarteten mich.
„Hallo Chris, wie geht es dir heute? Haben die Jungs wieder gut trainiert?“, fragte mich Sabine.
„Hallo zusammen. Danke, es geht mir gut. Besser als ich dachte. Es läuft momentan richtig gut. Auch die Arbeit mit Jan löst bei mir mittlerweile Freude aus. Meine Jungs machen es mir aber leicht. Auch Andy zieht voll mit. Das gibt mir ein gutes Gefühl.“
„Das freut mich. Es wird euch voranbringen und es wird erfolgreich sein.“
Ich setzte mich zu den beiden an den Tisch und bestellte mir etwas zu trinken. Dann fragte mich Marc:
„Was hast du eigentlich am Freitag geplant? Trainiert ihr normal oder gibst du den Jungs vor der großen Feier einen Tag frei zum Vorbereiten?“
„Da Jan die Turnierplanung für uns ja neu gestaltet hat und wir bereits am Sonntagabend nach Stuttgart aufbrechen, habe ich den Jungs am Freitag trainingsfrei gegeben. Jan wird trainieren. Also für mich ein freier Tag. Warum fragst du? Du hast doch bestimmt schon wieder einen Plan. Hihi.“
„Ja, einen Plan habe ich schon, aber ohne deine Zustimmung kann ich das nicht umsetzen. Ich möchte gern mit euch am Samstag vor der Feier auf den Bilster Berg fahren. Die Jungs bekommen dort ein paar besondere Fahrstunden mit mir. Und damit es dir nicht langweilig wird, habe ich mir für dich auch etwas ausgedacht. Karl kommt ja aus München zur Geburtstagsfeier. Und er bringt etwas mit was euch im Team einen großen Vorteil verschafft. Mehr verrate ich dazu nicht, aber ich möchte mit dir am Freitag ohne die Jungs etwas ausprobieren. Also wäre es gut, wenn du dein Fahrerequipment mitbringen könntest.“
„Oha, aber du denkst an die rostigen Knochen des alten Drachens? Ich möchte schließlich gesund nach Stuttgart aufbrechen. Also morgen nur wir beide zum Bilster Berg? Oder wie habe ich das zu verstehen?“
„Ganz genau. Zumindest ohne deine Jungs. Und Thorsten habe ich bereits informiert. Der hat grünes Licht gegeben. Wir werden für den Samstag, wie schon gesagt, dort auch etwas vorbereiten für die Jungs, aber in erster Linie möchte ich mit dir allein etwas Spaß haben. Luc und Stef wollen den Jungs beim Aufbau helfen.“
Was das wohl wieder geben wird? Marcs Ideen waren bislang immer eher Richtung spektakulär als dezent.
Sabine wechselte jetzt geschickt das Thema. Auch hier spürte ich wieder wie gut die beiden sich ergänzten.
„Sind die beiden Jungs aus Rügen schon angekommen? Oder wie ist da euer Plan?“
„Ach, richtig. Simon und Mattes werden heute auch eintreffen. Geplant ist, dass sie am Nachmittag ankommen werden. Heute kommen sie mit dem Zug. Die Eltern müssen arbeiten und kommen aber dann zum Ende der Probezeit. Dann wird auch besprochen wie es weitergehen soll.“
„So wie ich dich kenne, wirst du sie persönlich am Bahnhof abholen, oder?“, fragte sie nach.
„Nein, das schaffe ich zeitlich nicht. Ich bin da schon beim Training. Aber Maxi wird sie abholen. Er kennt die beiden ja auch bereits aus Stralsund. Heute Abend werde ich mich dann in der WG einfinden und mir Zeit für die beiden nehmen. Aber sie sollen ja auch von Maxi hier trainiert und betreut werden. Von daher will ich das auch Maxi verantwortlich überlassen.“
„Das finde ich einen guten Plan. Du musst nicht immer und überall an der Front stehen. Du bist doch auch ansprechbar, sollte Maxi eine Frage haben. Von daher finde ich das gut. Möge es dir auch so gelingen.“
Dabei schaute sie mich eindringlich an. Ich hatte verstanden was sie mir damit mitteilen wollte. Aber dieses Mal hatte ich mir das ganz fest vorgenommen, nicht ständig in der ersten Reihe zu stehen.
Das Mittagessen selbst war wie immer ein Festessen. Und den obligatorischen Othello gab es dann auf der Restaurantterrasse.
„Wie sieht denn deine Perspektive mit den Jungs aus? Was müsste auf den drei Probeturniereren passieren, damit ihr weiter auf der ATP Tour spielen werdet und nicht zurück auf die Challenger Tour geht?“, fragte Marc.
„Puh, schwierige Frage. Wenn es nach mir geht, dann würde ich überhaupt keinen Wert auf Ergebnisse legen. Ich schaue mir ihr Spiel an und hoffe, sie spielen genauso wie auf der Challenger Tour. Dann werden sie nämlich auch gute Leistungen zeigen. Es ist für mich eine Frage der mentalen Stärke ob sie schon soweit sind. Wir haben Zeit. Sie sind gerade achtzehn geworden. Meine Güte.“
„Sehr gute Haltung. Aber ich bin sicher, dass Jan es ganz ähnlich sieht. Du wirst es richtig machen, wie immer. Und mit Jan hast du einen guten Partner an der Seite“, meinte Sabine jetzt.
„Sabine hat Recht. Es, wird eine erfolgreiche Zeit werden. Jan hat es auch verstanden wie wichtig du bist. Das Training in dieser Woche ist doch klasse gewesen. Du hast auch Andy immer klar vermittelt, was gut und nicht gut war. Und Jan hat es auch gesehen und anerkannt. Ich finde, das war ein guter Start in eine neue Zeitrechnung bei der ATP.“
„Ja, das stimmt. Es hat Freude bereitet und das stimmt mich zuversichtlich. Ich glaube, Jan und ich haben beide dazugelernt. Und die Jungs ziehen auch mit. Also werden wir das genau so angehen. Mit Freude an der Arbeit.“
„Das höre ich gern“, meinte Sabine, „ ihr beide seid eigentlich gar nicht so unterschiedlich was das Ziel betrifft. Ihr wollt beide das bestmögliche Ergebnis. Auf unterschiedlichen Wegen, aber ihr ergänzt euch gut.“
Wir saßen noch einige Minuten dort bevor ich mich wieder zum Training verabschieden musste.
„Kommt ihr mit oder habt ihr etwas anderes geplant?“, fragte ich.
„Wir kommen gleich nach. Ich möchte gern noch etwas von eurem Training sehen. Wenn das für dich in Ordnung geht?“, fragte Marc.
„Natürlich, dann kann ich auch gleich testen ob sich Carlos noch leicht ablenken lässt oder er sich schon ausschließlich auf das Arbeiten auf dem Platz fokussieren kann. Aber ich freue mich immer wenn ihr am Platz seid.“
So verabschiedete ich mich Richtung Platzanlage.
Ich erwartete das Training als anstrengend für mich. Wir wollten mit allen Jungs gemeinsam trainieren. Inklusive Andy Murray. Also würden wir alle drei Center Plätze belegen und auch mit mindestens drei Trainern auf dem Platz sein. Dennoch würde es voll werden. Maxi würde später hinzu kommen und ein paar Videoaufnahmen machen. Er sollte aber vorher noch Simon und Mattes abholen.
Dass Jan mich bereits erwartete, überraschte mich etwas. Er saß schon auf der Terrasse und hatte seinen Laptop vor sich stehen. Als er mich bemerkt hatte, begrüßte er mich gut gelaunt.
„Hi Chris, wie war es bei Sabine und Marc? Bist du gut versorgt worden?“
„Hallo Jan, ja, wie immer bestens. Wie ist das eigentlich mit den Übernachtungskosten für Familie Steevens? Wir sind immer als Gäste exzellent behandelt worden, wenn wir in der Schweiz waren.“
„Mach dir keinen Kopf darüber. Natürlich übernimmt das Team die Kosten für Marc und seine Familie. Hier sind sie unsere Gäste. Wie ich gehört habe, warst du bereits in der WG und hast mit Carlos gesprochen. Wie ist dein erster Eindruck?“
„Ja, der erste Eindruck ist wie erwartet. Er ist schüchtern und verängstigt. Aber seine Angst äußert er leider noch in Aggressionen. Da wird einiges an Arbeit auf uns zu kommen. Dennoch bin ich immer noch von unserer Entscheidung überzeugt.“
„Sehr gut, ich freue mich, wenn du hin und wieder ein Auge auf ihn hast, aber ich möchte dich daran erinnern, dass Marco und Maxi für ihn verantwortlich sind. Nicht falsch verstehen, du kannst immer für Carlos ansprechbar bleiben, aber du hast andere Dinge zu regeln. Gerade weil wir viel unterwegs sein werden.“
„Ja, das weiß ich. Wie hast du dir gleich das Training vorgestellt? Es wird recht voll werden.“
„Haha, ja, das könnte wohl sein. Andy wird erst einmal nur mit den großen Jungs trainieren, aber wir werden zum Ende hin rotieren, so dass jeder einmal mit Andy gespielt hat. Auch Tim, Carlo, Joel und Carlos sollen einmal mit ihm trainiert haben. Ich würde vorschlagen, ich bin bei Andy auf dem Platz verantwortlich, du bist auf dem Center-2 mit deinen drei beschäftigt und Marco auf dem Center-3 und wir mischen immer wieder durch. Es soll Matchtraining sein. Da können wir viel tauschen und schauen wie sich gerade die Jüngeren so anstellen.“
„Wenn Carlos später bei dir ist, wird er mit Sicherheit sehr aufgeregt und angespannt sein. Er regt sich schnell auf und wird wütend. Versuche das frühzeitig einzubremsen, dann wird es nicht so heftig. Auch wenn er schon merkt, dass es hier anders als zu Hause abläuft, braucht er noch viel Unterstützung.“
„Danke für den Hinweis. Ich werde ein Auge drauf haben. Aber er muss auch lernen, dass ihm hier niemand etwas tun wird. Er soll sich einfach entwickeln. Das wird Zeit brauchen, ist mir schon klar. Aber Gewaltausbrüche sind einfach nicht zu akzeptieren. Zumindest nach einer Zeit der Eingewöhnung nicht.“
„Natürlich. Aber jetzt zu Beginn ist es immens wichtig, dass er Vertrauen auch zu den anderen Coaches findet. Gerade zu Marco und Maxi. Ich bin mir sicher, dass er dann eine gute Entwicklung machen wird.“
„Das ist sicher richtig, aber kann ich dir mal eine Frage stellen? Warum bist du so mit Carlos beschäftigt? Das ist nicht deine vorrangige Baustelle. Du magst den Jungen, oder?“
„Ja, ich kenne ihn schon drei Jahre und weiß, was er daheim alles erleben musste. Der goldene Käfig beschreibt es eigentlich ganz gut.“
„Martina hat mir von deinem Besuch am Dienstag berichtet. Sie war beeindruckt wie gut es dir gelungen war, Carlos wieder zu beruhigen. Er scheint begriffen zu haben, dass wir ihm helfen möchten. Das ist eine gute Voraussetzung für seine Entwicklung. Ich kann dir versprechen, wir werden ihn unterstützen wo es nötig ist. Und natürlich bleibst du für ihn ansprechbar. Und wenn es zu Konflikten kommt, du hier bist und gefragt wirst, dann entscheide auch weiterhin. Du musst nicht vorher Marco oder Maxi fragen. Nur damit das geklärt ist. Ich möchte, dass du in jeder Situation eine Entscheidung treffen kannst, wenn es erforderlich ist.“
„Danke, das gibt mir Sicherheit und ich kann meine Erfahrungen weiterhin einbringen. Ich habe Carlos verstanden und weiß was sein Problem ist. Ich bin mir sicher, wenn er etwas Abstand von zu Hause hat und hier richtig angekommen ist, wird er hier durchstarten. Das wird aber noch Zeit benötigen.“
„Er bekommt diese Zeit. Seine Erlebnisse müssen mit neuen Eindrücken positiv überlagert werden. Erst danach kann er sich hier voll entwickeln. Darum ist es gut, dass er hier so früh angekommen ist. Für Martina wird das sicher nicht so einfach werden, aber Tim und Carlo werden sie unterstützen. Ich glaube das wird gut werden. Für uns und für Carlos.“
Dass Jan sich so positiv zu Carlos äußerte, freute mich. Eigentlich hatte ich Jan in dieser Hinsicht immer als sehr erfolgsorientiert und auch stringent in der Erwartung von Verhalten in Erinnerung.
Eine Stunde später war das Training in vollem Gange und meine Jungs spielten einen Satz. Der dritte im Bunde war jeweils bei Andy und Jan. Da meine Truppe sehr selbständig und diszipliniert war, konnte ich auch einmal bei Jan und Andy schauen. Genau wie bei Marco. Besonders freute ich mich, dass Carlos voll konzentriert bei der Sache war. Er hatte sich nicht einmal aufgeregt. Und sein Level war nicht so weit weg von Joel. Tim und Carlo waren deutlich besser. Leider hatte sich Sergio beim Aufwärmen verletzt und musste das Training abbrechen. Da sollte jetzt zuerst eine genaue Diagnose gemacht werden.
Ich wechselte wieder zu Jan und dort meinte er zu mir:
„Was denkst du? Wenn deine Jungs ihren Satz zu Ende gespielt haben, wollen wir mal etwas Doppel spielen? Ich würde Tim und Carlo zusammen spielen lassen, Joel kann mit Justin ein Doppel bilden und Carlos geht mit Andy auf den Platz. Fynn und Dustin sind eh gesetzt. Was meinst du?“
„Grundsätzlich coole Idee. Ich weiß nur nicht ob Carlos das hinbekommt. Nicht dass es nach einem guten Training noch Stress gibt.“
„Deshalb würde ich vorschlagen, du bleibst bei Andy und Carlos am Platz. Das wird ihm etwas mehr Sicherheit geben. Beginnen wir mit Andy und Carlos gegen Dustin und Fynn. Dann ist deine Anwesenheit auch für Carlos klar.“
„Ja, das halte ich für eine gute Sache. So machen wir das.“
Und es lief wirklich gut. Nach dem ersten Schreck für Carlos, spielte er locker und gut mit. Andy führte ihn gut auf dem Platz und Carlos ließ sich auch führen. Auch meine Jungs waren voll konzentriert und es entwickelte sich ein sehenswertes Doppel. Es wurde sogar auch auf dem Platz gelacht.
Irgendwann hatte ich Marc und Sabine mit Luc und Stef entdeckt. Luc und Stef wechselten natürlich mit Dustin und Fynn den Platz. Marc hingegen blieb immer so stehen, dass er von oben zwei Plätze einsehen konnte.
Es lief richtig gut und alle waren voll dabei und der Spaß kam auch nicht zu kurz. Einige Zeit später hatten wir gutes Tennis gesehen und Maxi war mittlerweile mit Simon und Mattes zurück. Ich hatte sie kurz begrüßt, aber ich musste wieder an den Platz.
Wir hatten uns darauf geeinigt, dass Maxi sich heute um sie kümmert und sie in die WG begleitet. Dort sollten sie sich einrichten und ankommen. Morgen wäre auch kein Training, aber Marco hatte für den Samstagmittag ein Training angesetzt.
Als ich zurück an meinen Platz gehen wollte, kam mir Jan schon entgegen.
„Ah, du kommst zurück. Sind Simon und Mattes gut angekommen?“
„Ja, alles gut gelaufen. Maxi bringt sie in die WG und ich kann wieder an den Platz kommen.“
„Sehr schön, ich habe den Jungs gesagt, dass wir zum Schluss noch ein besonderes Doppel spielen wollen. Dafür brauche ich dich aber auf dem Platz. Carlos soll mit Andy spielen.“
Nanu, was für ein besonderes Doppel jetzt? Carlos hatte die ganze Zeit mit Andy gespielt und vor allem richtig gut gespielt. Er war sicher noch nicht gleichwertig mit den anderen Jungs, aber mir hatte es gut gefallen. Und nur einmal wurde es brenzlig, weil Carlos einen leichten Ball verschlagen hatte und sich aufregte. Aber Andy nahm ihn einfach in den Arm und führte ihn direkt zum nächsten Punkt. Auch eine Möglichkeit Carlos einzubremsen.
„Wo willst du denn noch hin?“, fragte ich Jan.
„Bin gleich zurück, ich muss noch etwas holen. Kannst du bitte an den Platz von Andy und Carlos gehen. Ich komme da auch gleich hin.“
Also gut, dann mache ich das mal so, dachte ich. Und tatsächlich standen jetzt alle Jungs inklusive Marco auf dem Center-1 und warteten auf uns.
Die Familie Steevens stand oben auf der Tribüne und Sabine fragte mich im Vorbeigehen:
„Was kommt denn jetzt noch? Jan meinte, es gäbe noch ein besonderes Doppel. Weißt du mehr?“
„Nein, keinen Plan. Ich bin genauso unwissend wie ihr. Vielleicht ist Struffi überraschend hier, aber ich weiß es wirklich nicht.“
Ich traf auf dem Platz einen sehr aufgeregten Carlos, den Andy aber gut im Griff hatte. Allerdings kam Carlos jetzt zu mir.
„Was wird das jetzt? Jan meinte, Andy und ich sollen noch einen Satz ein Showdoppel spielen. Wäre es nicht besser, wenn das Fynn oder Dustin für mich spielt. Die sind doch viel besser als ich.“
„Ich bin mir sicher, Jan hat sich das genau überlegt und weiß warum du spielen sollst. Warten wir doch mal ab, er wird sicher gleich zurück sein. Dann werden wir es ja sehen.“
Carlos konnte genauso schlecht abwarten wie ich früher. Das war schon ein wenig lustig wie angespannt er war. Aber ich holte ihn dann doch zu mir, legte meinen Arm auf seine Schulter und lachte:
„Also, wenn du so angespannt auf den Platz gehst, tust du dir weh. Soll ich dich mal etwas massieren?“
Carlos schaute mich mit großen Augen an und erwiderte direkt:
„Cool, ja mach das. Das hat mir früher immer geholfen.“
Ich hatte mich hinter ihn gestellt und knetete jetzt seine steinharten Schultern. Sofort entspannte sich der Junge wieder und genoss es sichtlich von mir massiert zu werden.
In diesem Moment kam Jan zurück an den Platz. Er hatte zwei Schläger und eine Dose neuer Bälle dabei.
„So, alle da?“, fragte er in die Runde, „Sehr schön, dann kann es ja losgehen. Und bevor mich alle mit Fragen bombardieren, Andy und Carlos spielen jetzt gegen ein Legenden Doppel. Ein Doppel, dass früher als unschlagbar galt. Es ist zwar schon fast vierzig Jahre her, aber dieses Doppel hat bis heute noch nie verloren.“
Das löste natürlich noch mehr Unruhe bei den Jungs aus. Aber Dustin fiel es dann auf, er meinte:
„Jetzt habe ich es. Jan und Chris werden zusammen gegen Andy und Carlos spielen. Sie waren früher in der Jugend ein extrem gutes Doppel. Das könnte passen.“
Alle Augen waren komischerweise nun auf mich gerichtet. Allerdings dauerte es nur Sekunden bis alle klatschten und jubelten. Mir schoss der Puls schlagartig auf hundertachtzig Schläge. Das meinte Jan doch nicht ernst?
Aber genau so kam es. Er reichte mir einen Schläger und meinte:
„Das wurde schon lange mal Zeit, dass wir beide gemeinsam auf dem Platz stehen und ich freue mich total, dass es heute klappt. Und bevor du dich aufregst, ich habe Christoph vorher gefragt ob er das genehmigt. Also komm, einen Satz richtig Spaß haben.“
Tja und dann ging es auch schon los. Noch etwas aufwärmen und einschlagen und dann starteten wir. Meine ersten Bälle waren sehr vorsichtig und Carlos haute mir direkt zwei Bälle um die Ohren. Dabei freute er sich mächtig. Bis er merkte, dass Fynn und Dustin draußen am Zaun seine Freude überhaupt nicht teilen konnten.
Beim ersten Seitenwechsel musste ich da eingreifen. Ich machte den Jungs ganz deutlich klar, dass alles im grünen Bereich ist und sie keine Angst haben müssten. Und dann wurde es noch richtig lustig auf dem Platz. Als ich gut aufgewärmt war, konnte ich viel aggressiver spielen als sonst. Ich fühlte mich außerordentlich gut auf dem Platz. Nur beim Aufschlag und den Volleys über Schulterhöhe war ich noch vorsichtig.
Jan und ich spielten ein gutes Doppel und konnten die beiden auch so manches Mal ärgern. Aber gewinnen konnten wir natürlich nicht. Darum ging es auch gar nicht. Und Carlos strahlte über sein ganzes Gesicht als wir den Platz abgezogen hatten. Jan stand neben mir an der Bank und meinte:
„Großes Kompliment, Chris. Das war ziemlich gut was wir gespielt haben. Ich hoffe, dein Rücken wird es gut verkraften. Du machst Fortschritte in der Bewegungsmöglichkeit.“
„Danke, ja. Es war sehr lustig und ich bin auch zufrieden mit meinem Spiel. Das darf gern so bleiben.“
Carlos bekam dieses Gespräch auch mit. Er machte zwei Schritte zu mir und fragte dann leise:
„Ist das wirklich richtig, dass du eigentlich gar nicht mehr spielen durftest? Erst nach einigen medizinischen Hilfen ging es doch wieder?“
Bevor ich antworten konnte, war Dustin schneller:
„Ja, und genau deswegen sind wir auch über diese spontanen Spiele nicht begeistert. Aber ich muss sagen, dass sah gut aus, Chris. Habt ihr früher häufiger zusammen gespielt?“
„Ja“, antwortete Jan, „wir haben sogar bis ich sechzehn war in einer Herrenmannschaft mit unserem Vater gespielt. Erst hat Chris mit Papa gespielt und das letzte Jahr haben wir dann zusammen Doppel gespielt. Und wir waren schon recht gut.“
„Wie gut?“, wollte Carlos neugierig wissen.
„Wir sind deutscher Meister bei den U16 gewesen. Leider haben wir danach nicht mehr zusammen gespielt. Dazu möchte ich aber jetzt nichts mehr sagen. Oder Chris?“
„Richtig, das ist Vergangenheit. Heute spielen wir wieder zusammen und wer weiß, vielleicht werden wir ja noch einmal ein Turnier bei den Ü55 spielen. Haha, für eine Deutsche Meisterschaft wird es wohl nicht reichen.“
Als ich unter der Dusche stand, fühlte ich mich glücklich. Und auch Jan war entspannt, als wir uns mit Marc und Sabine noch zu einem Getränk auf der Terrasse trafen. Die Jungs waren noch zur Physio und dann von mir nach Hause entlassen worden.
Fynn: Simon und Mattes kommen an
Das Training ist anstrengend gewesen und ich war froh, endlich in unserem Appartement die Beine für einen Moment hochlegen zu können. Allerdings hatten wir noch zwei Neuankömmlinge für unsere WG bekommen. Simon und Mattes waren schon im Hause als wir heimkamen.
Martina, Tim und Carlo hatten sie in Empfang genommen. Chris würde auch noch zum Abendessen kommen und Dustin wollte sie jetzt auch willkommen heißen.
„Kommst du mit? Ich möchte unseren Rügener Freunden „Hallo“ sagen. Oder bist du zu müde dafür?“
„Na klar, ich komme mit. Obwohl es gerade auf dem Sofa sehr angenehm ist.“
Aber die Begrüßung hatte natürlich Vorrang. Wir wurden auf Rügen auch sehr zuvorkommend behandelt und ich freute mich auch für die beiden. Hier könnten sie ihre Grenzen wirklich ausprobieren und schauen, wie weit es gehen kann.
Wir brauchten auch nicht lange zu suchen, denn Tim und Carlo kamen gerade aus der Küche und hatten ein paar Getränkeflaschen in den Händen, als wir ihnen begegneten.
„Ah, ihr seid auch zurück vom Training. Simon hat schon nach euch gefragt. Kommt ihr mit runter?“
„Hi Tim. Danke, dass ihr euch gekümmert habt. Und genau das war jetzt unser Plan. Haben Simon und Mattes schon ausgepackt?“
„Jep, wir haben etwas geholfen und jetzt wollten wir bis zum Essen noch etwas in Ruhe trinken.“
Zu viert gingen wir die Treppe hinunter und auch die Tür von Carlos Zimmer stand offen. Das war ein gutes Zeichen, dass er auch mit dabei war.
Und tatsächlich saßen alle in dem neuen Zuhause von Simon und Mattes um den Tisch und unterhielten sich. Auch Carlos hörte ihnen aufmerksam zu.
Als wir den Raum betraten wurden wir freundlich mit einer Umarmung begrüßt.
„Ah, endlich seid ihr auch fertig mit dem Training und wir können uns begrüßen“, lachte Simon.
„Ja, Chris und Jan haben uns heute richtig gefordert. Aber jetzt ist Feierabend und wir haben für euch Zeit. Es geht erst morgen weiter.“
„Das ist schön, dann können wir ja auch Dustin nachher noch gratulieren“, lachte Mattes.
„Auf gar keinen Fall“, blockte mein Schatz, „dafür bin ich viel zu kaputt und müde.“
„Ja sicher“, lachte Simon, „du willst doch nur deinen Spaß haben mit Fynn. Gib es doch zu.“
Das fing ja gleich lustig an mit den beiden, aber ob Carlos das auch dachte? Entsprechend versuchte ich gar nicht mehr darauf einzugehen. Aber Tim konterte direkt und auch richtig gut:
„Also Carlo und ich gehen mit Sicherheit früher ins Bett. Morgen ist für uns ein volles Trainingsprogramm angesagt. Und Jan ist auch die ganze Woche noch hier und wird sicher auch bei uns einmal zuschauen. Und für euch ist morgen ebenfalls das erste Training angesagt. An eurer Stelle würde ich keine Nightsession mehr machen, sondern zeitig ins Bett fallen. Das ist aber nur ein gutgemeinter Rat.“
„Dass ich das erleben darf“, lachte jetzt Justin, „Tim ist vernünftig geworden. Cool. Ich gehe auch gleich ins Bett, ich bin nämlich komplett gar für heute. Und gratulieren kann ich auch morgen früh noch. Dustin wird mir schon nicht weglaufen, hihihi.“
Jedenfalls saßen wir noch eine halbe Stunde zusammen und dann zogen Dustin und ich uns zurück. Wir waren beide müde. Außerdem hatte ich schon noch ein wenig Bedarf nach Kuscheleinheiten.
Allerdings entwickelte sich der folgende Morgen dann umso spannender. Obwohl wir beide keine Schule mehr hatten und Dustin und ich trainingsfrei, wurden wir um kurz nach acht geweckt. Mit einem Geburtstagsständchen von allen. Auch Carlos stand mit in unserem Appartement. Eine ganz tolle Geste für meinen Schatz. Dustin wirkte ziemlich beeindruckt. Er hatte mit dieser Nummer überhaupt nicht gerechnet. Umso größer war die Freude bei ihm.
Er bedankte sich bei jedem mit einer Umarmung. Erst danach ging es unter die Dusche und zum gemeinsamen Frühstück.
Als wir die Terrasse betraten, staunte ich nicht schlecht. Dort saßen Marc, Sabine, Luc, Stef und auch Chris und warteten auf Dustin. Die anderen WG Mitbewohner waren gerade dabei mit Hilfe von Martina das Frühstück fertig vorzubereiten. Da tauchten sogar Sergio und Marcelo noch auf. Auf einem kleinen Beistelltisch lagen bereits einige Geschenkpäckchen für Dustin. Damit hatte er auch nicht gerechnet. Das konnte ich an seinem verwirrten Gesichtsausdruck sehen.
Marc gratulierte zuerst:
„Herzlichen Glückwunsch, Dustin. Alles Gute zur Volljährigkeit und mögen deine Wünsche in Erfüllung gehen. Unsere Geschenke bekommst du morgen auf der Feier. Genieße den heutigen Tag und lass es ruhig angehen. Für dich ist nur die Vorbereitung für deine Feier angesagt. Also, lass dich nicht stressen.“
Dann folgten Umarmungen und die guten Wünsche von allen Anwesenden. Erst, als alle auch gratuliert hatten, begann das Frühstück. Mein Schatz war beeindruckt und emotional berührt. Eigentlich hatte ich eine kleine Dankesrede erwartet, aber Dustin wirkte in sich gekehrt.
Chris fragte:
„Ist alles in Ordnung, Dustin? Du bist so still.“
Mein Schatz nickte nur stumm, aber in seinen Augen erkannte ich die Gefühle, die ihn zu überrollten drohten. Chris hatte auch diesmal wieder ein gutes Gefühl für die Situation und gab mir mit einem Zeichen zu verstehen, dass wir kurz hineingehen sollten, damit er sich wieder sammeln konnte.
In der Küche umarmte ich meinen Freund und so beruhigte er sich recht schnell wieder. Nur Chris kam ganz kurz herein und schaute nach uns. Sofort ging er aber wieder hinaus.
„Entschuldige, Schatz“, flüsterte Dustin, „aber es geht schon wieder. Wir können wieder nach draußen gehen. Es tut so gut, solche Freunde zu haben. Einfach nur wunderschön.“
Mit einem Kuss gab ich meine Zustimmung.
Als wir wieder heraus kamen, reagierte niemand. Alle beschäftigten sich mit dem Frühstück und das taten wir nun auch ausgiebig. Erst, als alle fertig waren, gab es für Dustin nur von Luc und Stef doch schon ihr Geschenk. Das heißt, Justin war ja ebenfalls daran beteiligt. Dustin erhielt wie ich eine komplette Rennfahrerausrüstung mit einem Helmdesign von Luc. Obwohl Dustin darauf vorbereitet war, wirkte er tief beeindruckt von diesen sehr persönlichen Dingen.
Um Dustins Emotionen ein wenig auf ein Normalmaß herunter zu bringen, fragte ich in die Runde:
„Wir werden uns gleich an die Vorbereitungen für morgen machen. Möchte jemand von euch uns dabei helfen und mitkommen?“
Simon und Mattes meldeten sich spontan, aber da hatte Chris ebenso schnell sein Veto eingelegt, denn sie sollten zu ihrem ersten Training antreten. Also begleitete uns nur Justin. Später dürften die anderen dazukommen.
„Was habt ihr eigentlich alles vorbereitet?“, fragte uns Justin auf dem Weg zum Convention Center auf dem Gelände des großen Stadions.
„Wir haben nur die Getränke und das Essen vorbereitet. Ach ja und den DJ. Alles andere hat Thorsten gemacht und wahrscheinlich haben Marc und Chris auch mit geplant. Das wird morgen also eine Überraschungsfeier.“, erwiderte Dustin leicht angespannt.
„Na ja“, lachte ich, „einige Gäste sind immerhin schon bekannt. Dein Onkel kommt noch heute Mittag und Karl kommt auch aus München her. Was sonst noch so passiert, werden wir erst morgen sehen. Aber bislang waren alle Partys, die Sabine in irgendeiner Form geplant hat, ein voller Erfolg. Schauen wir mal. Unsere Freunde aus der Schule haben sich alle angemeldet. Und Chris hat überall zugestimmt. Daher bin ich recht entspannt.“
Als wir in die Halle kamen, staunte ich nicht schlecht. Dort war eine kleine Bühne aufgebaut und die Soundanlage war auch schon installiert. Überall liefen Techniker herum. Und sie hatten alle Shirts von Thorstens Event Center an.
Es dauerte nicht lange und ein junger Mann kam auf uns zu.
„Moin Jungs, schön, dass ihr schon da seid. Dann können wir mal einen Rundgang machen und alles besprechen.“
Er stellte sich noch als Sascha vor und war der Chef der Aufbau- und Event- Crew. So langsam wurde mir bewusst, das würde eine interessante Feier.
Aber als wir den Rundgang beendet hatten, hörte sich das sehr gut an und auch von der Gästezahl war das noch überschaubar. Allerdings hatte ich bei Luc und Stef das Gefühl, dass sie uns einige Dinge vorenthalten hatten. Aber das war eigentlich auch klar, Marc hatte ihnen mit Sicherheit untersagt, über Details der Überraschungen zu sprechen. Ich richtete mich jedenfalls auf einen spannenden Samstagabend ein.
Heute hatten wir genug zu tun und entsprechend müde war ich am späten Nachmittag als wir alles soweit vorbereitet hatten und nicht mehr vor Ort sein mussten.
„Das ist doch echt nicht mehr normal, was Thorsten hier für uns organisiert hat“, meinte Dustin dann auf dem Rückweg mit Luc und Stef, „Chris muss doch denken, wir sind steinreich bei so einer Geburtstagsfeier.“
„Ganz bestimmt nicht“, widersprach Luc, „er wird wissen wie das gelaufen ist. Und so wie ich Papa einschätze, hat er auch seine Finger im Spiel. Abgesehen davon, eure Party dürfte einiges harmloser werden als mein achtzehnter Geburtstag. Ich möchte gar nicht mehr daran denken. Das nahm gar kein Ende mit den verrückten Überraschungen.“
Hoffentlich würde das nicht einmal ansatzweise so heftig werden. Aber für Dustin stand heute noch ein Besuch an. Sein Onkel hatte mir vor einigen Minuten geschrieben, dass er auf der Platzanlage auf uns warten würde. Ich bat deshalb meine Freunde, auf dem Rückweg noch einmal über die Anlage zu gehen.
„Warum das denn?“, fragte Justin, „ich möchte mal meine Beine lang machen.“
„Kannst du ja auch gleich, aber ich habe da noch etwas zu erledigen. Und es wäre nett, wenn ihr mitkommen würdet.“
„Außerdem dürften Mattes und Simon noch dort sein. Sie haben je heute Training. Ich finde, dass wäre gut, wenn wir sie abholen würden“, ergänzte Dustin.
Damit überzeugte er natürlich auch Justin.
Als wir zurück auf die Anlage kamen, saß Frank auf der Terrasse und er unterhielt sich angeregt mit Thorsten und Jan. Mein Schatz hatte anscheinend noch nicht mit Frank gerechnet, denn es dauerte doch ein paar Momente bis er Frank erkannt hatte. Umso euphorischer wurde die Begrüßung.
„Wie geil ist das denn? Du bist schon hier. Ich habe erst morgen mit dir gerechnet.“
Dabei umarmten sie sich intensiv. Frank wirkte genauso erfreut wie Dustin.
Somit hatten wir den Abend mit Frank für uns.
Eigentlich hätte ich Chris gern mit dabei gehabt, aber Frank meinte, dass Chris noch mit Marc unterwegs sei.
Chris: Viel Action vor der Abreise
Heute war es also mal wieder soweit. Marc hatte für mich einen Tag Bilster Berg angesetzt. Ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass es nicht bei ein paar Runden in seinem Leihwagen bleiben würde.
Und genau so entwickelte es sich auch. Bereits die Anfahrt zur Rennstrecke versprach spannend zu werden, denn nachdem wir nach dem Frühstück in der WG gestartet waren, dauerte es nur eine halbe Stunde bis Marc auf einem Parkplatz anhielt.
„So, zum Aufwärmen kannst du jetzt weiterfahren. Dann ist die Umstellung auf ein richtiges Sportgerät nicht mehr so groß.“
Das Lächeln in seinem Gesicht, sprach für sich. Dieses Mal versuchte ich mich nicht aufzuregen und seinen Ferrari recht gelassen zu bewegen. Das klappte auch ganz ordentlich, denn als wir vor dem großen Eingangsbereich des Bilster Berges standen, meinte Marc:
„Also mittlerweile scheint dich ja ein Ferrari fast zu langweilen. So ruhig bist du sonst nicht gefahren. Sehr schön, Chris.“
Ich erwiderte seine Aussage bewusst nicht. Es hätte Marc nur noch mehr Freude bereitet, mich zu prüfen und zu testen, wie viel Talent ich noch haben würde. Das einzige was mir ernsthaft Sorge bereitete, war mein Körper. Hoffentlich würde es nicht zu heftig werden. Das es mir viel Freude bereiten würde, war mir schon bewusst und entsprechend kam jetzt doch etwas Aufregung auf.
Marc war ausgestiegen und in die Anmeldung gegangen. Er kam mit zwei Plastikkarten wieder zurück und setzte sich neben mich.
„So, jetzt kannst du bitte durch den rechten Eingang fahren und bis vor das Tor Nummer zwanzig. Dort sind wir am Ziel.“
Schon beim Aussteigen konnte ich hören, dass hinter dem geschlossenen Tor Stimmen zu hören waren. Marc ging voran und öffnete eine kleine Seitentür. Als wir die große Boxengarage betraten, stockte mir der Atem.
Dort stand mitten in der Halle ein perfekt vorbereiteter Lancia Delta Integrale in Martini Optik. Er hatte Schweizer Kennzeichen und damit war klar, das war Marcs privater Lancia. Wenn er so einen Aufwand betrieben hatte, war mir klar, das war nicht das einzige Fahrzeug was heute hier auftauchen würde. Jetzt sollte ich mit allem rechnen.
„Damit du mich nicht gleich umbringst, du musst keine Sorge haben, dass irgendjemand aus Halle heute hier herkommen wird. Die sind alle mit der morgigen Feier beschäftigt. Lediglich aus München ist jemand gekommen, den du auch gut kennst.“
Dabei lachte er befreit auf und schon kam Karl Geiger auf uns zu.
„Hallo ihr beiden. Herzlich willkommen am Bilster Berg. Wir werden heute viel Spaß zusammen haben. Für Chris haben wir einige Überraschungen vorbereitet damit er gut auf die große ATP Tour starten kann.“
Karl begrüßte mich mit einer herzlichen Umarmung.
„Hallo Chris, du machst ja Sachen mit deinen Jungs. Als mich Marc über die neue Situation informiert hat, war ich schon etwas überrascht. Wie geht es dir?“
„Hallo Karl, danke, noch geht es mir bestens. Und um dich zu beruhigen, ich war auch sehr überrascht über Jans Angebot und seine Ideen. Aber jetzt freue ich mich auf diese Aufgabe.“
„Sehr schön, wir haben dir aus München auch etwas mitgebracht. Das zeigen wir dir dann heute Abend in Halle. Jetzt wollen wir mal einen richtigen Männertag machen, ohne Zuschauer.“
Marc war bereits direkt zum Lancia gegangen. Er schaute in den Motorraum und sprach mit einem jungen Mann. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich den Studenten aus der Schweiz, mit dem sich Marc seine Werkstatt teilte.
„Chris, Stephan und Heiko kennst du ja bereits. Sie waren so freundlich, mir den Gefallen zu tun und sich für uns Zeit zu nehmen.“
Ich begrüßte beide und mir gingen gerade ein paar seltsame Gedanken durch den Kopf.
„Bevor wir unsere Rennanzüge anziehen, gehen wir mal zur Rennstreckenkunde. Damit wir uns nicht verfahren“, lachte Marc.
Eine Stunde später stieg mein Puls beim Umziehen. Seit Ewigkeiten einen Delta auf einer Rennstrecke fahren. Das weckte schlimme Erinnerungen, aber auch Freude.
„Wir machen jetzt ein paar gemeinsame Runden zum Kennenlernen des Autos. Meinen Lancia kennst du ja schon aus der Schweiz. Hier in der Nähe, in Herford gibt es einen Lancia Spezialisten, der hat mir das Getriebe neu aufgebaut und verbessert. Daher bot sich dieser Test geradezu an. Wir haben je nach Ladedruck bis zu 650 PS. Aber damit wir sicher unterwegs sind, habe ich die Leistung auf 500 PS eingeregelt. Das sollte auch reichen.“
Oh ja, dachte ich. Das reichte sicher.
Schon beim Einsteigen spürte ich die Freude auf dieses Erlebnis. Wir schnallten uns fest und dann drückte ich den Startknopf. Was für eine Geräuschkulisse. Ein Traum von Auto und ich durfte ihn auf dieser schwierigen Piste richtig fahren. Wie geil war das denn bitte!
Leider passierte dann in der zweiten, ruhigen, Einrollrunde auf der Geraden, dass auch die Bilder wieder auftauchten, die ich seit Jahren in Träumen hatte. Ich zuckte zusammen, aber heute wollte ich mir den Spaß nicht nehmen lassen und gab Gas. Ich wollte diese Bilder wegschieben und es gelang mir. Selbst in der Mausefalle konnte ich noch richtig schnell fahren und in einem Drift über alle vier Räder durch die Kurve rutschen. Marc zeigte mir immer wieder den Daumen hoch und freute sich unter dem Helm.
„Sehr gut machst du das. Du hast den Wagen vollkommen im Griff. Fahr so schnell wie du dich fühlst“, kam über die Gegensprechanlage.
Das nutzte ich aus und machte noch sieben schnelle Runden, aber dann spürte ich die Reifen deutlich abbauen. So machte es keinen Sinn mehr richtig schnell zu fahren. Dennoch hatte ich noch drei Runden einen großen Spaß mit dem Auto.
In der letzten Runde ließ ich den Turbo abkühlen und rollte dann in die Box zurück.
Beim Abschnallen hatte ich ein großes Glücksgefühl in der Brust. Marc lachte als er seinen Helm abnahm. Meine Hände zitterten sogar leicht als ich den Helm in die Hand nahm. Stephan reichte mir eine Flasche Wasser.
„Na, was sagst du zu meinem Schmuckstück?“, fragte Marc.
„Einfach ein geiles Gerät. Super hergerichtet und fährt sich großartig. Ich glaube, dass ist nur noch mit einem Auto aus dem Fiat Konzern zu toppen. Dem S4. Aber ich habe leider keine Ahnung wie sich so etwas fährt. Das habe ich noch nicht probieren dürfen. Davon gibt es nur so wenige fahrbereite Exemplare noch. Es gibt ein Video von Niki Schelle im S4 bei einem Bergrennen mit Mathias Malmedie auf dem Beifahrersitz. Einfach göttlich wie Schelle dem arroganten Malmedie das Fürchten lehrt. Hahaha.“
„Hahaha, ja das Video kenne ich auch. Das ist echt krass. Wenn man sich überlegt, der S4 ist bereits über dreißig Jahre alt und heute immer noch eine Waffe auf der Piste. Es gab Exemplare, die hatten fast tausend PS. Und das auf der Rallye Strecke, unglaublich.“
Karl kam jetzt auch zu uns und strahlte über das ganze Gesicht.
„Wow, das sah richtig gut aus. Man konnte sofort sehen, dass es dir viel Spaß gemacht hat. Abgesehen davon, dass du dieses Auto voll im Griff hast. Das Motto lautete, quer geht immer, oder?“
„Hahaha, sehr gut. Ja, es hat viel Spaß gemacht. Sinnlos über die Strecke zu toben, ist eigentlich nicht mehr meins, aber das war geil.“
Marc hatte sich schon wieder etwas abgesetzt und sprach mit einem Mann in der Box. Der nickte und verließ dann wieder die Box.
Karl meinte:
„So, jetzt bekommt Marc auch ein Spaßgerät. Ich habe aus München auch etwas Neues mitgebracht. Unsere neueste Errungenschaft, frisch aus der Technikabteilung. Würdest du bitte mal ein paar Runden damit fahren und mir sagen was du davon hältst?“
„Na, da bin ich mal gespannt. Luc hat mir gar nichts davon erzählt, dass ihr ein neues Projekt am Start habt.“
„Das sollte er auch nicht. Es war ja auch geheim. Eigentlich sind es sogar zwei neue Projekte. Das eine soll für den regulären Markt sein und das andere ist eher ein Aushängeschild für unsere Technikabteilung. Was ist, hast du Lust dir das anzuschauen?“
Jetzt war ich gespannt. Marc wusste nicht was ihn erwartete. Das war etwas ganz Neues für mich. Karl schien ihn überrascht zu haben.
„Wo hast du das Gerät denn stehen? Hier steht es jedenfalls nicht.“
Genau in diesem Augenblick erwachte in der Nachbargarage ein großer Achtzylinder mit einem Donnergrollen. Karl grinste und Marc fing an zu lachen. Danach marschierten wir aus dem Tor in die mittlerweile geöffnete Nachbarbox.
Was wir dort zu sehen bekamen, raubte mir fast den Atem. Karl hatte seine nagelneue Corvette C8 in der GT3 Konfiguration mitgebracht. Die Crew ließ den Boliden warmlaufen und Karl erklärte Marc:
„Da ist das Stück. Du darfst heute die ersten Meter auf der Strecke fahren. Wir haben sie nur auf dem Prüfstand abgestimmt und einen kleinen Funktionstest gemacht.“
„Ein wirklich bildschönes Auto. Wenn sie nur ansatzweise so fährt wie sie aussieht, werden wir viel Freude haben. Wo liegen wir leistungsmäßig?“
„Bei 750 PS und über tausend Newtonmeter Drehmoment. Das sollte ordentlich vorwärts gehen. Vor allem haben wir nur Zwölfhundert Kilo Gewicht. Also gut Dreihundert weniger als beim Straßenfahrzeug.“
Diese Daten flößten mir Respekt ein. Damit war mir klar, das war ein Fahrzeug für Profis. Marc hatte sich seinen Helm mit dem H.A.N.S. System genommen und meinte dann:
„Ok, dann lass uns mal ein paar Runden fahren. Setzt du bitte deinen Helm auch auf, Chris.“
„Ich soll mitfahren?“
„Ja, Karl hat für heute extra den Beifahrersitz eingebaut. Also steig ein und dann schauen wir mal.“
Wenige Minuten später bollerte Marc im ausgedrehten siebten Gang über die Zielgerade. Unsere erste schnelle Runde stand an und Marc tastete sich an den Grenzbereich heran. Er kannte die neue C8 ja auch noch nicht. Nach zwei Runden hatte Marc den Grenzbereich ausgelotet, nur in der Mausefalle waren wir noch nicht an der Rutschgrenze.
„Ein sehr gutes Fahrwerk und mehr als ausreichend Leistung. Da haben die Jungs in München ein tolles Gerät gebaut“, hörte ich über die Gegensprechanlage.
Marc steuerte die Boxen an und ließ alle Werte checken und vor allem den Reifendruck anpassen. Danach meinte er zu Karl, der an der Fahrertür stand:
„Ich hätte Lust mal fünf oder sechs schnelle Runden am Stück zu fahren und mich an den Grenzbereich zu tasten. Oder ist es noch zu früh dafür?“
„Hahaha, nein. Dafür habe ich sie ja hergebracht. Damit du mal den Jungs zeigst was das Gerät kann. Wenn du zufrieden bist, werden wir ein garantiert scharfes Schwert haben.“
Marc nickte nur und das Grinsen konnte ich erahnen, denn schon bei der Ausfahrt aus der Box ließ es Marc sportlich knacken.
Was jetzt folgte, zeigte mir, dass Marc sich bislang zurückgehalten hatte. Jetzt tobte er sich richtig aus und ließ die C8 über die Strecke fliegen. Das raubte mir zeitweise den Atem, so hohe G-Kräfte konnte das Auto erzeugen. Unglaublich.
Marc konnte auf den Zentimeter genau das Fahrzeug in den Scheitelpunkt zirkeln und schon früh wieder beschleunigen. Ein richtiges Renngerät. Der Motor, direkt hinter dem Fahrer, brüllte mit einem wunderschönen Klangbild. Einfach atemberaubend.
Allerdings spürte ich an einigen Stellen mit Bodenwellen meinen Rücken. Das war nicht gut. Ich wollte Marc aber auch nicht unterbrechen in seinem Fahrrhythmus. Aber nach der dritten schnellen Runde, sprach ich in die Gegensprechanlage:
„Marc, kannst du mich bitte an der Box aussteigen lassen. Ich habe Probleme mit den kurzen Bodenwellen. Mein Rücken beschwert sich massiv.“
Marc blickte zu mir herüber und sofort nahm er Tempo raus. Das wiederum führte natürlich zu Unruhe an der Box. Marc steuerte umgehend die Garage an und ich öffnete die Tür um aussteigen zu können.
Michi, der technische Leiter bei Geiger Cars, kam sofort an die Fahrertür. Ich hatte mich mittlerweile abgeschnallt und war ausgestiegen.
Karl fragte:
„Was ist los? Gibt es ein Problem oder weshalb hat Marc die Fahrt abgebrochen?“
Ich schüttelte den Kopf und erklärte ihm:
„Nein, keine Sorge, dein Auto läuft hervorragend, aber meine Wirbelsäule verträgt diese brutalen Schläge durch das harte Rennfahrwerk nicht. Es ist mir einfach zu gefährlich. Daher habe ich Marc gebeten, mich aussteigen zu lassen.“
Marc hatte mittlerweile den Motor erneut gestartet und die Boxen wieder verlassen. Ich fühlte mich gut und war mir sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. So konnte ich mich weiterhin normal bewegen.
Wie hart das Fahrwerk der neuen C8 war, sollte sich schnell zeigen. Marc fuhr noch drei weitere Runden unter Rennbedingungen und plötzlich schlich er nur noch um die Strecke. Die C8 rollte ganz langsam zurück in die Garage und ich konnte erkennen, dass sie hinten rechts etwas tiefer lag als auf der anderen Seite.
Die Mechaniker stellten sie auf die Rollbretter und schoben sie zurück in die Box. Marc stieg aus und meinte nach einem kurzen Gespräch zu mir:
„Vermutlich ist die Aufhängung oder die Dämpfung gebrochen. Du hast richtig reagiert, das Fahrwerk ist wirklich sehr hart gewesen. Das war schnell, aber nicht standfest. Da muss noch nachgebessert werden. Was macht dein Rücken? Musst du dich jetzt schonen? Oder können wir noch etwas Spaß auf der Strecke haben?“
„Ja, alles gut. Ich habe es dieses Mal frühzeitig beendet. Sorry, dass ich deine Fahrt so unterbrochen hatte. Aber dafür geht es jetzt wieder gut und ich spüre keine weiteren Einschränkungen.“
„Das ist gut zu hören. Die C8 muss jetzt erst einmal umgebaut werden. Daher können wir uns jetzt ein weiteres Spielzeug anschauen. Das wird dir sicher gefallen. Du wirst es sicher noch aus deiner Rallyezeit kennen.“
Auf direktem Weg ging es zurück in die Nachbarbox und dort standen nun zwei Fahrzeuge unter grauen Planen verdeckt.
Sofort war zu erkennen, dass eins der Autos mit gewaltigen Flügeln ausgestattet war. Das andere Fahrzeug schien recht klein zu sein.
Marc begrüßte zwei Personen und kam zurück zu mir.
„Ich habe für dich zwei Leute eingeladen, die ihre Spielzeuge mitgebracht haben. Davon kommt einer extra aus Ingolstadt. Der andere hat eine italienische Diva mitgebracht. Sollen wir mal schauen gehen?“
„Wenn du etwas machst, dann immer gleich volles Programm. So halbe Sachen liegen dir nicht. Aber ich bin neugierig was du jetzt vorhast.“
Dann begann Marc die Planen zu entfernen und es kamen zwei Rallyelegenden zum Vorschein. Ein Audi S1 Sport Quattro und tatsächlich ein Lancia Delta S4. Zwei Gruppe B Monster, die zu ihrer Zeit die erfolgreichsten Rallyeboliden waren. Sie hatten alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Allerdings waren sie auch brandgefährlich. Henri Toivonen, ein finnischer Pilot, ist in einem S4 bei einer Rallye verbrannt. Ich hatte vor beiden Geräten den allergrößten Respekt.
Marc stellte mir Timo Witt vor, den Leiter der Audi Tradition Abteilung für historische Fahrzeuge.
„Ihr seid doch jetzt nicht extra nur für diesen Tag hierhergekommen?“, fragte ich direkt.
Timo lachte und auch Marc schmunzelte.
„Nein, ganz so verrückt sind wir dann doch nicht. Aber wir haben übermorgen hier eine Veranstaltung mit historischen Fahrzeugen. Marc hatte uns gebeten heute schon hier zu sein und diesen Wunsch haben wir ihm gern erfüllt. Marc hat bereits viel für unsere Marke getan, da machen wir das gern“, erklärte uns Timo.
Danach zeigte er uns was er für ein Exemplar mitgebracht hatte. Auf dem vorderen Kotflügel standen zwei Namen, die Herzklopfen bei mir auslösten. Dort stand:
Walter Röhrl
oben und
Christian Geistdörfer
unten.
„Ist das ein original Quattro von Walter Röhrl?“, fragte ich.
„Ja, dieses Auto ist Walter Röhrl bei seinem Sieg der Rallye Monte Carlo gefahren.“
Das beeindruckte auch Marc. Timo erklärte uns das Fahrzeug und mir wurde bewusst, dass es vom Prinzip sehr ähnlich aufgebaut war wie mein damaliges Rallyeauto. Nur dass der S1 ein Leistungsmonster war. Über 600 PS bei einer Tonne Gewicht. Das war eine Ansage. Und wir redeten hier über das Ende der achtziger Jahre.
Timo stieg dann in den S1 und startete den Motor. Sofort bekam ich eine Gänsehaut. Dieser Fünfzylindersound war einfach unfassbar geil.
Dann stellte er das Triebwerk wieder ab und verließ den Fahrersitz. Mit einem Lächeln drückte er mir den Schlüssel in die Hand und meinte:
„Hier, du bist mit Sicherheit einer der Richtigen, die mit diesem Gerät angemessen umgehen können. Also habt etwas Spaß und tobt euch aus. Ihr dürft richtig angasen. Das Auto ist absolut wettbewerbstauglich. Zur Info, wir haben den Motor mit ca. 600 PS ausgestattet. Das sollte zum Spaß haben reichen.“
Ich hatte das Gefühl, mir schlug das Herz bis zum Hals. Aber Marc ließ mir überhaupt keine Zeit zum Nachdenken. Er reichte mir meinen Helm und sagte trocken:
„Los, einsteigen und du fährst. Damit kannst du vermutlich besser umgehen als ich.“
Dabei legte er sein breitestes Grinsen auf.
Ich empfand diesen Spruch ziemlich anmaßend, aber als der Motor aufbrüllte, hatte ich das vergessen. Mit dem allergrößten Respekt fuhr ich den Fünfzylinder warm. Erst als ich dann das erste Mal richtig Vollgas gab, tobte ein Orkan durch den Innenraum. Ein Fauchen, Zischen und Pfeifen hallte durch die offenen Fenster.
Sehr bald konnte ich sogar mit dem Gruppe B Monster einen sauberen Drift fahren. Allerdings nur so lange ich den Fuß auf dem Gas hielt. Vorsichtiges Streicheln quittierte der S1 mit trägem Untersteuern und unwilligem Fahrverhalten. Mit dem Linksbremsen hatte ich zu Beginn meine Schwierigkeiten, aber ich gewöhnte mich wieder an diese Eigenart der alten Turbomotoren. Damit musste man den Ladedruck aufrecht erhalten und das Auto in die Kurve zwingen.
Hier war jeder Handgriff mit harter Arbeit verbunden und entsprechend schnell wurde ich müde und erschöpft. Aber diese zehn Runden waren einfach gigantisch. Eine Abkühlrunde folgte und als wir das Monster wieder in der Box abgestellt hatten, war ich sehr glücklich. Marc hatte mir einen Traum aus der Jugend erfüllt.
Es dauerte einige Momente bis ich wieder in der Lage war zu sprechen. Die Eindrücke waren überwältigend.
„Du hast aber auch gar nichts verlernt. Von wegen gemütlich rollen. Das war spektakulär schnell. Ich glaube, wir fahren mal zusammen eine richtige Rallye und du fährst und ich mache den Beifahrer“, grinste Marc.
„Auf gar keinen Fall, das hält mein Rücken nicht mehr aus und wenn es auch noch so verlockend ist, das mache ich nicht. Ich möchte meine Gesundheit nicht mehr gefährden. Auf der Rundstrecke sind die Schläge längst nicht so hart wie auf der Sonderprüfung einer Rallye. Aber ein paar Runden schnell fahren, geht mit dem Monster ganz gut. Wobei du sicher viel schneller damit fahren kannst.“
„Auf der Rundstrecke vielleicht, aber auf einer Sonderprüfung sicher nicht. Das war verdammt gut, was du hier gerade gezeigt hast.“
Besonders interessant war jetzt das Verhalten von Timo. Er kam zu unserem Gespräch hinzu und wirkte fast sprachlos. Er fragte Marc:
„Sag mal, wer ist dieser Verrückte? Diese Show hat sonst nur noch einer gezeigt und der gilt bekanntlich als eine Legende. Mega cool wie du dieses Monster beherrscht hast. Respekt. Du musst früher sehr schnell unterwegs gewesen sein.“
„Nein, alles Quatsch“, erwiderte ich lachend, „ich bin ein paar Läufe zur Deutschen Rallyemeisterschaft gefahren. Auf Amateurniveau und sicher nicht besonders erfolgreich. Das war für mich gar nicht bezahlbar zur damaligen Zeit. Leute wie Walter Röhrl oder ein Stig Blomqvist waren ganz andere Helden in der Zeit.“
„Das mag sicher sein, aber du hast dieses Monster erstaunlich gut im Griff. Das kann nicht jeder und ich kann sagen, Marc hat nicht untertrieben als er uns um diesen Tag gebeten hatte. Du weißt was du auf der Stecke tust.“
Die Audi Mannschaft widmete sich nun dem Auto und Marc wollte schon mit mir zum S4 gehen, aber ich brauchte noch etwas mehr Zeit um mich zu beruhigen.
„Langsam Marc, ich bin ganz zittrig vom Quattro Monster. Meine Sinne sind noch ganz betäubt. Ich möchte mir dieses Kunstwerk der Technik in Ruhe anschauen.“
Ich leerte noch eine weitere Wasserflasche und erst danach fühlte ich mich bereit mir den S4 anzuschauen. Der Besitzer hatte für uns die Hauben geöffnet und die ganze Technik lag nun offen zur Besichtigung.
Heute wurde mir deutlich bewusst, wie filigran dieses Rohrrahmenkonstrukt gewesen ist. Im Grunde war das ein Motor auf Rädern. Der hintere Bereich war mit Luftleitblechen und Schläuchen zugebaut. Der eigentliche Motor war kaum erkennbar. Und es wurde auch klar, dass die Insassen im Prinzip auf dem Tank gesessen haben. Nicht gerade vertrauenserweckend, aber damals war das nicht so wichtig. Es ging um die maximale Performance. Und heute wäre das mit Sicherheit undenkbar, damit Motorsport zu betreiben.
Der Besitzer erklärte uns das Fahrzeug sehr genau. Auch wie die Turbo mit Kompressor Kombination genau funktionierte. Lancia hatte damals das Problem der Turbomotoren lösen wollen, im unteren Drehzahlbereich zu wenig Leistung zu generieren. Der Kompressor schob schon ab Leerlaufdrehzahl mächtig an und oben kam dann der Turbo ins Spiel.
Der Innenraum bestand aus zwei Schalensitzen und vielen Schaltern. Alles im Design der Achtziger Jahre.
Ich sollte einmal Platznehmen, um eine passende Sitzposition einzustellen. Währenddessen lief der Motor bereits warm.
Für mich würde damit ein großer Traum in Erfüllung gehen. Dieses legendäre Auto hatten noch nicht viele Piloten bewegen dürfen.
Nachdem meine Sitzposition passte, sollte Marc einsteigen und auch für ihn wurde eine Einstellung gefunden. Da jetzt einmal alles passte, sollte Marc zuerst ein paar Runden fahren. Auch er hatte diese Rakete noch nie bewegt. Seine Freude darauf war deutlich spürbar.
Während Marc sich anschnallte, konnte ich mit dem Besitzer ein paar Worte sprechen.
„Wird dieses Gerät noch regelmäßig bewegt oder ist das eher ein Sammelobjekt?“
„Also bewegt wird es schon, aber eher bei Showveranstaltungen und nicht mehr im Wettbewerb. Es gibt einfach zu wenige Leute, die das richtig fahren können. Ich habe mal ein Bergrennen versucht und bin fast in der Mauer gelandet. Danach habe ich das anderen, talentierteren Piloten überlassen. Für mich ist es ein Traum eine solche Legende zu besitzen und auch mal im Straßenverkehr zu fahren.“
„Damit auf der Straße fahren? Wow, das ist bestimmt eine Show für sich. Ich freue mich tierisch, einmal ein paar Runden fahren zu dürfen. Habe aber auch großen Respekt vor der gewaltigen Leistung. Wo liegen wir da heute?“
„Momentan gute 700, aber wir können jederzeit am Dampfrad drehen und bis 1000 PS sind möglich. Allerdings geht das natürlich zu Lasten der Lebensdauer. Die 700 sind stabil und noch beherrschbar. Danach wird es heftig.“
Das erzeugte bei mir Herzklopfen. Ich hatte noch nicht oft die Gelegenheit, Fahrzeuge mit derartigen Leistungsdaten zu bewegen.
Marc hatte mittlerweile seinen Helm aufgesetzt und sich angeschnallt. Mit kurzen Gasstößen ließ er den Motor aufbrüllen und diese Kulisse war atemberaubend. Ein Fauchen und Kreischen breitete sich in der Halle aus. Daher rollte er zügig in die Boxengasse.
Dort startete er direkt auf die Strecke. Der Sound war atemberaubend. Das Pfeifen und Fauchen des Turbos mit dem Kreischen vom Kompressor war angsteinflößend.
Nach nur einer Runde kam Marc zurück an die Box. Er winkte mich an die Fahrertür und meinte:
„Setz deinen Helm auf und nimm auf dem Beifahrersitz Platz. Das ist so irre das Teil. Das musst du erleben.“
So euphorisch hatte ich Marc bislang nicht oft erlebt. Daher stieg ich mit einem mulmigen Gefühl ein. Aber es war einfach eine einmalige Chance. Die konnte ich nicht verstreichen lassen.
Und was ich dann auf dem Beifahrersitz erleben durfte war einfach nur unglaublich. Selbst ein so erfahrener Pilot wie Marc hatte mit dem Biest zu kämpfen. Aber ich erkannte auch, dass Marc versuchte, damit so präzise zu fahren wie mit einem Rundstreckenrennwagen. Das klappte natürlich überhaupt nicht. Dafür war der S4 überhaupt nicht gebaut worden.
„Das Teil lässt sich total schlecht in die Kurven dirigieren und es untersteuert ohne Ende. Wie konnten die damals damit schnell fahren?“
Marc fluchte und war total unzufrieden mit dem schlechten Fahrverhalten. Nach sechs weiteren Runden steuerte er die Boxen an und wirkte niedergeschlagen. Wir stiegen aus und nahmen die Helme ab.
„Ich kann immer noch nicht glauben, dass die Piloten damals damit schnell fahren konnten. Das Teil ist unfahrbar.“
„Ich weiß nicht, Marc, aber du musst bedenken, es ist kein präzises Rundstreckengerät wie M3 oder ein Sierra Cosworth aus den Achtzigern. Es ist ein Rallyebolide, der will vielleicht anders gefahren werden.“
Marc schaute mich an und fragte:
„Du meinst, ich sollte gar nicht versuchen den Scheitelpunkt einer Kurve anzupeilen?“
„Zumindest nicht so wie du das gemacht hast. Ich würde es anders probieren.“
„Jetzt hast du mich neugierig gemacht. Du fährst und ich sitze daneben. Das möchte ich sehen ob du das Miststück bändigen kannst.“
Ohje, was hatte ich getan. Genau das wollte ich doch eigentlich vermeiden. Ich wollte nicht mehr schnell durch die Kurven hämmern. Das wäre für meinen Rücken ganz sicher nicht gut sein. Aber kneifen wollte ich nun auch nicht. Ich sollte es zumindest mal für eine Runde probieren.
Und natürlich war Karl auch mittlerweile bei uns und hatte unserem Gespräch gelauscht. Er musste noch mehr Öl ins Feuer gießen.
„Wenn Chris es gelingt dem S4 Manieren beizubringen und besser um die Ecken kommt als Marc, bekommt ihr eine Belohnung. Dann werde ich euch für ein Jahr das Wohnmobil kostenlos zur Verfügung stellen.“
Was für ein Wohnmobil, dachte ich. Marc lachte und erwiderte:
„Hahaha, guter Vorschlag, Chris weiß zwar noch gar nicht um was es geht, aber das ist ein Deal. Chris muss jetzt nämlich zeigen ob er das wirklich hinbekommt wie er das eben sagte.“
Tja, so saß ich wenige Minuten später hinter dem Steuer des S4 und gewöhnte mich an das wirklich besondere Verhalten des Boliden. Nach einer Runde hatte ich es einigermaßen verstanden und begann vor den Kurven das Auto regulär anzustellen und generell quer um die Kurven zu fahren. Also sozusagen das Auto in einer kontrollierten Instabilität zu halten.
Und siehe da, es folgte genau meinen Befehlen und ich bekam Vertrauen. Also konnte ich immer mehr Tempo aufnehmen und dann machte es plötzlich einen Riesenspaß, damit über die Strecke zu toben.
So bemerkte ich überhaupt nicht wie oft wir schon über Start und Ziel gefahren waren, aber plötzlich hatte ich den Audi S1 formatfüllend im Rückspiegel als ich in die Mausefalle driftete. Der Audi versuchte tatsächlich dort zu überholen. Das war für mich unmöglich und entsprechend blieb ich auf meiner Linie. Der S1 schoss einfach über den Rasen neben der Strecke und war vorbei. Sofort nahm ich vor Schreck Tempo raus.
„Was war das denn? Wer ist so verrückt mit einem S1 so einen Stunt zu fahren?“, fragte ich in die Gegensprechanlage.
Selbst Marc zuckte nur mit den Schultern. Ich rollte jetzt nur noch entspannt um die Strecke und daher dauerte es nicht mehr lange bis der Audi erneut auftauchte. Allerdings hatte mich jetzt der Ehrgeiz gepackt. Ich wollte versuchen an dem S1 dranzubleiben und mir anschauen, wie gut er über die Piste fegte.
Und genau das tat er sehr überzeugend. Ich musste mich wirklich sehr anstrengen um an dem Fahrer dranzubleiben. Schnell ließ meine Kraft und Konzentration nach und ich entschied mich das Vorhaben abzubrechen. Aber bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich einen riesigen Spaß gehabt mit dem S4.
„Ich habe gar nicht gewusst wie gut und schnell du noch bist. Das war ganz großes Kino. So wäre ich niemals mit dem Biest umgegangen. Da hätte ich viel zu viel Schiss gehabt abzufliegen. Respekt.“
Ich blickte zu Marc herüber, der mir den Daumen hoch zeigte.
Als ich in der Box den Motor abgestellt und den Gurt geöffnet hatte, kam Karl schon aufgeregt auf uns zu.
„Du bist ja völlig verrückt. Das sah mega krass aus, wie du mit dem Gerät um die Ecken gepfiffen bist. Und wenn du gleich siehst, wer eben im S1 gefahren ist, dann wird es noch heftiger wie gut du bist. An dir ist ein richtig guter Rallyepilot verloren gegangen.“
Ich hatte keine Ahnung was er damit gemeint hatte. Aber Spaß hatte das Ganze gemacht, gar keine Frage. Auch wenn ich morgen mit Sicherheit enormen Muskelkater haben würde. Das war es mir heute Wert gewesen.
„Kann mir jemand eine Flasche Wasser geben? Ich habe richtig Durst.“
Timo grinste verdächtig als er mir die Flasche gab. Warum das so war, konnte ich erfahren als der Audi S1 jetzt in die Boxen rollte. Ich konnte es bereits am Helm erkennen, wer da am Lenkrad gedreht hatte. Kein Geringerer als Walter Röhrl!
Und als er sehr entspannt aus dem Wagen gestiegen war, kam er lachend auf mich zu.
„Großen Respekt, du kannst richtig gut Autofahren. Mit diesem Monster so schnell über den Kurs zu fegen, das können nicht mehr viele Piloten. Wo bist du früher gefahren? Das war großes Kino.“
„Nirgendwo, jedenfalls nicht professionell und regelmäßig. Ich bin ein paar Läufe zur Deutschen Rallyemeisterschaft in den Achtzigern gefahren. Aber für regelmäßige Einsätze fehlte mir das Geld. Und heute würde ich mir das mit diesen Legenden nicht leisten können. Daher bin ich sehr glücklich, dass mir Marc das heute ermöglicht hat.“
„Ich werde mit den Audileuten sprechen“, meldete sich Timo zu Wort, „du solltest häufiger mal die Gelegenheit bekommen, bei bestimmten Veranstaltungen einen klassischen Audi zu fahren. Das war richtig gut und vor allem hast du ein Gefühl für die alte Technik und wie man damit umgehen muss.“
„Danke für euer Lob, aber das waren nur ein paar Runden und ich bin körperlich nicht mehr in der Lage, über einen längeren Zeitraum so schnell zu fahren. Aber für kleinere Events würde ich natürlich nicht nein sagen. Sofern mein Zeitplan es erlaubt.“
Ich hatte sogar noch die Gelegenheit mich mit Walter Röhrl auszutauschen und Marc testete erneut die C8 von Karl. Damit war mein Tag auch mehr als ausgefüllt und ich spürte sehr deutlich meine Schultern.
Als wir dann auf dem Weg nach Hause waren, fragte mich Marc:
„Wie geht es dir jetzt? Hast du Probleme mit dem Rücken? Du hast es ja schon heftig fliegen lassen.“
„Außer, dass ich komplett platt bin und mir die Schultern und Oberarme schmerzen, bin ich sehr glücklich. Das war ein geiler Tag und ich kann nur Danke sagen. Du hast mir einen Traum erfüllt.“
„Möchtest du bei Heikki eine Massage haben? Dann frage ich ihn mal, ob er das gleich noch macht. Danach ist dann Schonung für dich angesagt. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass du noch so gut hinter dem Steuer bist. Du hast mir im S4 gezeigt wie schwierig das Monster zu fahren ist, aber wenn man es kann, dann geht es auch richtig vorwärts.“
Die Massage holte ich mir natürlich noch gerne ab, aber danach war ich froh, als ich endlich zu Hause die Beine hochlegen konnte. Der morgige Samstag würde nicht weniger anstrengend werden.
Marc: Die Feier von Fynn und Dustin
Heute, am Samstag, stand die Feier von Dustin und Fynn an. Ich hatte leichte Sorge, dass mein gestriges Programm bei Chris zu Problemen geführt hatte. Daher hatte ich mich entschieden, bei Chris persönlich zum Frühstück zu erscheinen. Natürlich hatte ich mich zuvor angemeldet und entsprechend hatte Chris die Terrasse schon vorbereitet. Das sah sehr lecker und gemütlich aus.
„Bist du gut in den Tag gestartet? Ich habe leichte Bauchschmerzen, dass es gestern doch zu viel gewesen sein könnte. Sabine hat mächtig mit mir geschimpft, als sie von unserem Programm gehört hatte.“
„Hahaha, danke, dass du dir Gedanken machst, aber bis auf ein leichtes Ziehen in den Oberarmen ist alles gut. Ich möchte einfach noch einmal Danke sagen. Das war ein unfassbar toller Tag für mich. Aber jetzt müssen wir uns um die Feier von Dustin und Fynn kümmern. Das wird auch heftig werden.“
„Nein, du musst dich darum überhaupt nicht kümmern. Das ist nicht deine Baustelle. Sabine, Thorsten und ich werden das mit Dustin und Fynn regeln. Du hast bis heute Abend freie Wahl was du tun möchtest. Aber das Festgelände ist tabu für dich.“
„Jaaa, das habe ich jetzt verstanden. Mir wird bestimmt etwas einfallen. Vielleicht unterstütze ich Marco beim Training und werde mal den neuen Jungs auf den Zahn fühlen.“
„Sehr gute Idee. Du musst wissen, Sabine hat für dich natürlich auch eine Überraschung vorbereitet. Sie war der Meinung, dass die Jungs ohne deine Hilfe niemals da wären wo sie heute bereits sind. Und wie du dir sicher denken kannst, hat sie die Jungs dazu befragt. Und rate mal was sie geantwortet haben?“
Ich hatte richtig Spaß daran mit Chris mal etwas herum zu blödeln. Und Chris ließ sich sogar direkt darauf ein. Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber umso schöner empfand ich das.
„Dem alten Mann noch eine Überraschung machen? Nee, das ist nicht nötig“, erwiderte Chris lachend.
„Hahaha, wenn sich das einer getraut hätte zu sagen, wäre er von Dustin wohl erschossen worden. Nein, sie haben eine tolle Idee gehabt und ich muss sagen, da wurde deutlich, wie dankbar sie dir wirklich sind. Manchmal denke ich, du könntest ihr Ersatzvater sein. Ein ganz besonderes Verhältnis hat sich da entwickelt. Fällt es dir schwer sie ins Erwachsenenleben zu entlassen?“
„Ja und nein. Ich werde sie ja schon weiter begleiten und beraten. Und ich glaube, sie haben für sich eine Entscheidung getroffen. Es wird sich grundsätzlich nicht viel verändern, nur weil sie jetzt volljährig sind. Aber ich freue mich für sie, dass sie sich weiterentwickelt haben und große Schritte in die Selbstständigkeit gemacht haben.“
Jetzt spürte ich bei Chris, wie sehr er sich mit den Jungs identifizierte ohne ihnen etwas überzustülpen. Genau das war es, was ich immer versucht habe herauszufinden. Diese Verbundenheit ohne eine Abhängigkeit zu erzeugen.
Es war ein lustiges Frühstück und wir hätten uns noch stundenlang weiter bei Chris auf der Terrasse unterhalten können, aber ich wollte noch auf das Gelände der Feier. Es gab noch einiges einzurichten und aufzubauen. Chris hatte sich entschieden mit seiner Panigale eine Runde zu fahren und anschließend beim Training von Carlos, Simon und Mattes zuzuschauen.
Heikki würde heute noch zurückfliegen und den Transfer zum Flughafen hatte ich übernommen. Aber zuvor hatte ich ihn noch gebeten, sich erneut Chris Rücken vorzunehmen. Das würde er am Platz regeln. Marco hatte ich eingeweiht und entsprechend sollte das klappen.
Allerdings war der Nachmittag schon mit einigen Sachen für die große Feier verbunden. Insbesondere hatte ich für Dustin und Fynn einige kleine Spielchen vorbereitet, die ich noch aufbauen musste. Dabei halfen mir aber Justin und später auch Maxi. Für Justin würde es heute auch noch eine große Überraschung geben. Chris hatte seine Familie eingeladen und ich hätte das auch erst am Abend bekanntgemacht. Aber Chris war der Meinung, dass jede Minute für Justin wichtig sei. Also hatte ich die drei zum Event Center bestellt und wollte Justin dort überraschen.
Chris wollte dabei sein und entsprechend hatte er sich mit Marco abgestimmt. Karl und ich hatten gerade das neue Wohnmobil mit den Werbeaufdrucken für „Geiger Cars“ und der „breakpoint base“ in Position gebracht als Justin mich fragte:
„Wie sollten wir das Suchspiel aufbauen? Direkt auf der Bühne für den DJ oder auf der Tanzfläche?“
„Am DJ Pult bitte. Die Tanzfläche wird vollständig gebraucht. Ich komme einmal mit, dann kann ich dir das genau zeigen.“
Wir standen wenige Augenblicke später direkt am DJ Pult und blickten auf die Tanzfläche.
„Hier kannst du das aufbauen. Aber lege bitte diese Plane noch darüber. Sonst wird es keine Überraschung mehr. Und der DJ müsste auch gleich kommen. Da braucht er diesen Gang noch frei.“
Justin stand neben mir und ich konnte Chris bereits aus einiger Entfernung auf uns zu kommen sehen. Aaron, der kleine Bruder von Justin war kaum zu bändigen. Er hatte seinen Bruder bei mir wohl schon entdeckt. Justin war noch immer völlig ahnungslos und hatte seine Familie noch nicht wahrgenommen. Doch plötzlich entfuhr ihm ein:
„Ach du Scheiße, das kann doch gar nicht sein.“
„Na“, lachte ich seinem Blick folgend, „hast du sie endlich entdeckt? Chris war der Meinung, heute wäre eine gute Gelegenheit, deine Familie mal wiederzusehen. Ich glaube, die Überraschung ist uns gelungen.“
„Wie geil“, kam es von Justin und dann hatten sich Aaron und er bereits schon umarmt.
Das war eine ganz innige Begrüßung. Es wirkte absolut echt und ehrlich. Beiden war die Freude ins Gesicht geschrieben. Danach begrüßte Justin seine Eltern. Chris winkte mich hinzu und ich begrüßte die Familie natürlich auch.
„So“, erklärte Chris, „ab jetzt bist du von den Vorbereitungen befreit. Kümmer dich um deine Familie. Und wenn ihr etwas braucht, dann meldet euch. Wir sehen uns aber bitte um sieben hier am DJ Pult für die Eröffnung der Feier.“
„Seid ihr euch sicher, dass ihr Justin jetzt nicht mehr benötigt?“, fragte seine Mutter.
Chris reagiert sofort.
„Ja, machen Sie sich keine Gedanken. Wir möchten, dass Sie mit Justin so viel Zeit wie möglich haben. Machen Sie sich eine schöne Zeit. Ich glaube, Sie haben sich viel zu erzählen. Außerdem starten wir ja bereits Morgen auf die Rasentour.“
Justin bedankte sich bei Chris sichtlich gerührt. Aber anschließend gingen die vier glücklich zusammen vom Gelände.
„Ich glaube“, sprach ich zu Chris, „das ist schon einmal gut gelungen. Ich finde es schön, wie Justin seinen kleinen Bruder begrüßt hat.“
„Oh ja, ich war zwar ein wenig überrascht über diese Intensität aber Justin hat ein sehr enges Verhältnis zu seinem Bruder und es ist manchmal für ihn nicht einfach ganz ohne Familie zu sein. Da kann ich noch so nah dran sein, da fehlt ihm die Rückendeckung durch die Familie. Gespannt bin ich auf Stuttgart. Was Justin noch nicht weiß, seine Familie wird ihn auf das Turnier in Stuttgart und nach Halle begleiten. Sie bleiben zwei Wochen in Deutschland. Hoffentlich klappt das jetzt mit dem Vater besser.“
„Ja, ich finde, dafür haben wir auch eine kleine Belohnung verdient. Lass uns etwas Kaltes trinken gehen. Ich glaube, die Theke ist bereits gut gefüllt. Da sollte für uns etwas dabei sein.“
Überall wurden die letzten Dinge aufgebaut und Kabel verlegt. Thorsten hatte ein paar Jungs seiner Konzert Crew aktiviert und die wussten ganz genau, wie man am besten aufbaut. Etliche Freunde aus der Schule halfen auch beim Aufbau. Für mich ein gutes Zeichen, dass beide Jungs völlig anerkannt und sehr beliebt waren.
„Prost“, sagte Chris zu mir und wir stießen unsere Cola Flaschen aneinander.
„Tja, nun sind die beiden volljährig. Die Zeit ist ganz schön schnell vergangen. Ich kann mich noch gut an unsere erste Begegnung in München erinnern. Und eines ist mir ganz wichtig, sie haben sich unglaublich positiv entwickelt. Dank deiner guten Führung und Betreuung. Wann kommt eigentlich Fynns Familie?“
„Ja, du hast recht. Ich kann mich auch noch sehr gut an den Anfang erinnern. Fynns Eltern werden pünktlich zur Party kommen. Frank, Dustins Onkel, wird zusammen mit der Familie kommen. Was sonst noch so passieren wird, wirst du sicher besser wissen als ich.“
So langsam kehrte immer mehr Ruhe ein. Es war alles vorbereitet und nur der DJ baute sein Equipment noch auf. Das würde eine gute Geburtstagsparty werden. Da war ich mir sicher.
Kurz vor sieben hatte sich die Partylocation schon gut gefüllt. Fynn und Dustin begrüßten ihre Gäste am Eingang persönlich. Das hatten sie sich von Lucs Party abgeschaut. Chris hatte ich noch nicht gesehen. Hoffentlich würde er rechtzeitig erscheinen, denn Karl hatte gleich zu Beginn die Bekanntgabe seines neuesten Unterstützungsprojektes angekündigt.
Es gab schon Getränke und auch Musik. Sabine stand neben mir und ich musste zugeben, das sah richtig klasse aus. Schon um kurz nach sieben war der Platz vor dem Zelt gut gefüllt. Vor den Theken standen schon etliche Gäste und ließen sich Getränke reichen. Was mir besonders auffiel, viele der noch jugendlichen Gäste tranken alkoholfreie Cocktails oder Limonaden. Der von Fynn ausgedachte Saftstand wurde gut angenommen. Dort gab es frisch gepresste Obstsäfte mit Mineralwasser oder Tonicwater.
Und dann passierte eine Überraschung. Chris stand mit Jan und seiner Frau am Eingang. Damit hatten die Jungs nicht gerechnet. Aber umso herzlicher wurde die Begrüßung und Dustin reichte direkt ein paar Getränke.
„Das haben die Jungs echt gut im Griff. Jeden einzelnen Gast persönlich zu begrüßen“, freute sich Sabine neben mir.
„Weißt du wo Luc und Stef sind? Die habe ich noch gar nicht wahrgenommen“, fragte ich meinen Schatz.
„Ja“, lachte Sabine, „die sind sich umziehen gegangen und werden jeden Augenblick erscheinen. Chris soll gleich mit Dustin und Fynn die Feier offiziell eröffnen. Danach gibt es die ersten Geschenke und Überraschungen.“
Kaum waren Luc und Stef anwesend, marschierten sie gemeinsam mit Dustin und Fynn Richtung Bühne.
Sabine, Chris und Jan standen mit mir mittlerweile hinter der Bühne und das war der Moment für die Eröffnung. Ich betrat die Bühne.
„Hallo und herzlich willkommen. Ihr werdet euch jetzt fragen, warum stehe ich hier und nicht Fynn mit Dustin. Das hat natürlich einen Grund.“
Jetzt konnte ich das gespannte Gemurmel in den Menschen hören. Jan kam hinter mir auf die Bühne.
„Auch mit mir habt ihr sicher nicht unbedingt gerechnet, aber ich möchte mir diesen Teil der Feier nicht entgehen lassen. Daher möchte ich die beiden Geburtstagskinder Dustin und Fynn zu uns auf die Bühne bitten. Sie mögen ihre Familien bitte mitbringen.“
Das schien bereits bei den Jungs für Verwunderung zu sorgen, aber sie kamen mit allen nach oben auf die Bühne. Auch Frank, Dustins Onkel war dabei. Die Gäste applaudierten und es dauerte einen Moment bis wieder Ruhe eingekehrt war. Jan gab mir ein Zeichen.
„Damit wir nicht zu lange auf die erste Partymusik und das Abrocken warten müssen, möchten wir, Sabine, Karl und ich, gemeinsam mit Chris das erste Geschenk abgeben. Karl, dein Auftritt bitte.“
Ich hörte den Dieselmotor vom Wohnmobil und dann tauchte Karl in einer großen Wolke von Diskonebel auf.
Dustin und Fynn schauten vollkommen ratlos auf das Wohnmobil. Karl stellte den Motor ab und verließ durch die Seitentür das Fahrzeug.
„Herzlich willkommen auch von mir“, begann Karl lachend, „alles Gute zum Geburtstag euch beiden. Ihr seid nun in den Club der Erwachsenen aufgenommen worden, habt den Führerschein gemacht und bekommt von Marc, Chris, Jan und mir dieses Wohnmobil für einen zweiwöchigen Urlaub. Ihr könnt damit hinfahren wohin ihr möchtet.“
Karl übergab symbolisch den Schlüssel an Dustin. Danach fuhr er fort:
„Damit eure Reisen zu den Turnieren auch für die anderen Nachwuchsspieler etwas einfacher werden, stelle ich euch dieses Fahrzeug kostenlos zur Verfügung. Damit jeder sofort sehen kann, wo ihr herkommt, hat es natürlich die passende Folierung der Breakpoint Base. Ich wünsche dem Team damit allzeit gute Fahrt und viel Spaß.“
Jan kam hinzu und erwiderte:
„Vielen Dank, lieber Karl. Das ist eine großartige Idee und ich bin sehr dankbar und erfreut über deine Unterstützung und dein Engagement. Dazu muss ich für unsere Gäste ergänzen, Karl hat uns schon eine längere Zeit immer unterstützt und insbesondere Chris immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Dass wir jetzt offiziell eine Partnerschaft haben, freut mich sehr. Vielen vielen Dank.“
Das löste bei allen Gästen Applaus aus. Karl schien bei allen damit auf große Begeisterung zu stoßen. Also ein voller Erfolg. Meine letzte Überraschung wollte ich erst später machen. Chris hatte ich gebeten dabei mitzuwirken.
Nachdem nun Dustin und Fynn ihre Gäste noch einmal begrüßt hatten, konnte aber die Party Fahrt aufnehmen und der DJ machte einen guten Job. Schnell füllte sich die Tanzfläche und auch am Grill war reger Betrieb. Ein gelungener Start in die Party.
Chris: Ein gelungener Abend ohne große Zwischenfälle
Die ersten Stunden hatten eine tolle Stimmung aufgebaut und überall wurde gelacht, getanzt und auch etwas getrunken. Aber es gab nur Bier und keinen hochprozentigen Schnaps. Die Cocktailbar hatte sogar drei alkoholfreie Cocktails im Angebot. Und genau dahin wollte ich jetzt gehen. Ich hatte Lust, mir einen solchen Cocktail mixen zu lassen.
Bei den wartenden Gästen entdeckte ich Carlos mit Tim und Carlo. Jetzt war ich gespannt, was die drei wohl zu trinken bestellten. Tim ging für alle drei an die Theke und bestellte. Ich konnte nicht hören was genau er bestellt hatte, aber er bekam drei unterschiedliche Cocktails, die er direkt an Carlo und Carlos weiterreichte. Carlos zog an dem Strohhalm und verzog sein Gesicht. Ich entschied mich, drei Schritte näher heranzugehen. Jetzt konnte ich hören, wie Carlos meckerte:
„Seid ihr bescheuert? Da ist Alkohol drin. Ich mag das nicht. Wenn Chris das erfährt, gibt das richtig Ärger. Ich wollte einen alkoholfreien Cocktail, hatte ich extra gesagt.“
Tim schaute erschrocken und probierte sein Glas. Plötzlich fing er an zu lachen.
„Scheiße, du hast meinen bekommen und ich habe hier deinen. Der hier ist ohne Alkohol. Sorry. Bitte glaub mir, das war keine Absicht.“
Sie tauschten die Gläser und sofort hellte sich Carlos Gesicht wieder auf.
„Hmm, lecker. Genau so etwas mag ich. Ich brauche keinen Alkohol um gut drauf zu sein.“
Dabei lachte er befreit auf und die drei Jungs marschierten Richtung Tanzfläche. Ich holte mir auch mein Getränk ab und beobachtete das Geschehen. Insbesondere über Carlos freute ich mich. Er tanzte gelöst und strahlte über sein Gesicht. Das hatte ich schon lange nicht mehr so gesehen.
„Na, wem schaust du gerade so interessiert zu?“, fragte mich mein Bruder plötzlich.
„Oh, hallo Jan. Ich habe dich gar nicht bemerkt. Ich beobachte das Geschehen und stelle fest, die Stimmung ist gut und alle haben Spaß. Ich hätte gedacht, dass viel mehr Alkohol getrunken wird. Aber so macht das richtig Laune.“
„Bis auf die für uns grässliche Musik hast du vollkommen Recht. Ich hätte auch mal Lust zu tanzen, aber bei der Musik habe ich keinen Bedarf. Wir sind wohl einfach schon zu alt. Aber wenn ich mir die Jungs anschaue, die haben ihren Spaß und darum geht es schließlich.“
„Ja, da magst du ins Schwarze getroffen haben. Besonders Carlos macht mir Freude. Er ist voll im Geschehen und Tim und Carlo kümmern sich echt toll. Wir haben schon tolle Jungs in der WG.“
In diesem Moment fuhr der DJ die Musik herunter und ich hörte Dustins Stimme:
„Liebe Gäste, liebe Freunde, wir haben heute schon ganz viel Spaß gehabt, aber ich sehe leider weder Chris noch Jan oder einen anderen der Coaches oder älteren Gäste auf der Tanzfläche. Daher haben wir entschieden, ab jetzt gibt es dreißig Minuten Musik aus einer anderen Zeit. Ich weiß, dass Chris sich jetzt freuen wird. Also lasst uns weiter abfeiern und viel Spaß haben.“
Jan und ich schauten uns fragend an, aber direkt folgte der AC/DC Klassiker „Thunderstruck“ und sofort tobte der Bär. Alle Hände gingen nach oben und alles sang mit. Jan zog mich auf die Tanzfläche und jetzt hatte ich richtig Spaß. Es folgte ein Partyknaller nach dem anderen und innerhalb weniger Minuten war ich komplett verschwitzt. Aber die Tanzfläche war immer noch voll, auch mit den jüngeren Gästen.
Der DJ machte einen hervorragenden Job und es blieb nicht bei einer halben Stunde. Die Menge rockte richtig ab.
Auch Dustins Onkel hatte ich schon auf der Tanzfläche gesehen. Dass Aaron mitten im Geschehen war, wunderte mich überhaupt nicht. Aber dass Carlos mit so viel Freude mittendrin war, das empfand ich als großes Glück.
Eine besondere Situation ergab sich allerdings doch noch.
Frank kam zu mir und meinte:
„Hast du für uns ein paar Minuten Zeit? Fynn und Dustin würden es begrüßen, wenn du mit uns einen leckeren Cocktail trinken würdest.“
An seinem Gesicht konnte ich erkennen, dass dieser Grund nur vorgeschoben war. Für mich wurde deutlich, dass hier einfach Dustins altes Verhalten wieder ans Tageslicht trat. Ich folgte Frank deshalb kommentarlos in eine ruhigere Ecke und dort warteten bereits Fynns Eltern mit Dustin und Fynn. Patrick war erstaunlicherweise nicht dabei.
„Was liegt denn an, dass ihr so ein Geheimnis um dieses Treffen macht?“, lachte ich.
„Wir möchten heute die Gelegenheit nutzen, mit dir einmal über unsere Situation zu reden“, begann Fynn, „Papa möchte dir auch etwas mitteilen.“
„Gut,- dann lasst uns doch mal schauen, wo wir in Ruhe etwas reden können“, erwiderte ich.
„Ich glaube, ich weiß bereits, wo wir hingehen können“, kam von Dustin.
Und ohne weitere Worte drehte er sich um und ging. Wir folgten ihm und wenige Augenblicke später wusste ich auch, wohin er wollte. Kurz darauf standen wir mitten auf dem großen Platz vor dem Center Court der Gerry Weber Arena.
„Weißt du Chris, wir haben überhaupt noch keine richtige Gelegenheit gehabt, mal über diese unglaubliche Entwicklung nachzudenken“, begann Fynn, „vor drei Jahren haben wir uns im Prinzip durch einen Zufall kennengelernt. Jan hatte dich gebeten mich bei einer Turnierreise zu betreuen. Ich vermute, weil ich mich zu der Zeit häufiger schlecht benommen hatte. Und wenn ich ehrlich bin, war ich damals auch gar nicht begeistert. Aber als ich geschnallt hatte, dass du ein vollkommen anderer Coach bist, kam wieder ein Ziel in meinen Fokus. Wie es dir gelungen ist, mich und dann auch Dustin dahin zu bringen wo wir heute stehen, ist mir immer noch ein Rätsel, aber ein wunderschönes Rätsel.“
Fynn wirkte ehrlich angefasst und auch seine Eltern schienen überrascht über diese Worte. Herr Grehl sprang seinem Sohn jetzt auch sofort zur Seite.
„Wissen Sie, wenn es Ihnen nicht so schnell gelungen wäre, Fynns Vertrauen zu gewinnen und mit Ihrem Fachwissen auch in unserer Familie einzugreifen, dann wären wir ganz sicher heute nicht hier. Weder Fynn würde auf dem Sprung zu einem Tennisprofi stehen, noch würde unsere Familie wieder zueinander gefunden haben. Heute ist Fynn volljährig, hat mit Dustin einen wundervollen Partner und wir sind wieder eine Familie, der es gut geht. Wir finden, dass es ein guter Zeitpunkt ist, einmal diese Entwicklung auch zu benennen. Wir wissen, dass es Ihnen nicht wichtig ist, im Mittelpunkt zu stehen, aber wir möchten uns bei Ihnen für ihre Hilfe und ihr Fachwissen bedanken. Ich hatte Fynn auch gefragt, ob wir Ihnen mit irgendetwas eine Freude machen könnten, aber er meinte, das würde Ihnen wohl eher unangenehm sein.“
Jetzt hielt es Fynn nicht mehr aus. Er machte einen Schritt auf mich zu und umarmte mich einfach wortlos. Auch Dustin war überrascht über diese Reaktion. Aber als ich mich von Fynn wieder gelöst hatte, tat er es seinem Freund gleich.
„Vielen Dank für Ihre Worte und euch beiden für diese Reaktion. Aber ich kann diese Anerkennung nur zurückgeben. Ihr habt alle enorm viel dafür getan. Sie, Herr Grehl, mit Ihrer Bewältigung des Alkoholproblems und der Bereitschaft, viele Altlasten zu bearbeiten und aus der Welt zu schaffen, all dies hat erst diese Entwicklung möglich gemacht. Vielleicht wäre Fynn trotzdem ein guter Spieler geworden, aber die Zusammenführung seiner Familie hat viele Kräfte zusätzlich freigesetzt. Dafür haben Sie meinen vollen Respekt. Ich weiß sehr genau wovon ich spreche. Auch nach über dreißig Jahren Abstinenz kann ich mich noch sehr gut an meine Krisenzeit erinnern. In einem Punkt möchte ich ohne Einschränkungen zustimmen. Wir haben gemeinsam viel erreicht und jetzt kann erneut ein neues Kapitel begonnen werden. Darauf freue ich mich mit Ihnen und euch.“
„Aber“, meldete sich Dustin jetzt, „du hast dafür gesorgt, dass wir überhaupt noch hier sein können. Gerade für mich hast du extrem viel getan. Ich habe wieder eine richtige Familie und mit Fynn auch noch einen wunderbaren Freund bekommen. Ich weiß, heute ist eigentlich nicht der richtige Moment, so schwierige Dinge zu besprechen, aber ich bin einfach sehr glücklich.“
„Und wir möchten dir schon ankündigen, dass wir uns noch mehr Zeit nehmen wollen und dir einmal richtig Danke sagen möchten.“
Dabei wirkte Dustins Stimme überhaupt nicht mehr stabil. Diese Situation wurde emotional, auch für mich. Daher hielt ich es für angemessen, jetzt wieder mehr den Fokus auf die Zukunft und natürlich auch die Feier zu legen.
„Ich finde“, begann ich daher, „wir sollten wieder zurück auf die Feier gehen. Ihr seid schließlich die Gastgeber. Wir werden ab Montag wieder viel Zeit gemeinsam verbringen. Daher nutzt diese Zeit mit eurer Familie. Ihr werdet erst in zwei Wochen wieder zusammenkommen können, wenn das große Turnier in Halle beginnt.“
Frank hatte mich noch um einen Gefallen für den morgigen Tag gebeten, dem ich gern nachkam.
Kurze Zeit später war ich wieder mitten im Geschehen und erschrak etwas als ich auf die Uhr schaute. Es war bereits halb eins.
Ich hatte auch ein wenig Mitleid, als ich Carlos dann zurück in die WG schicken musste. Er war halt erst dreizehn. Aber es gab keinerlei Protest von ihm, im Gegenteil, er fragte mich nur:
„Könnte mich vielleicht jemand begleiten. Ich bin mir noch nicht so sicher, ob ich den Weg schon allein finde. Aber ich möchte auch keinen von der Party wegholen.“
„Natürlich gehst du nicht allein zurück. Ich werde dich gern begleiten. Ich brauche eh mal etwas Ruhe zwischendurch.“
Ich sagte Fynn Bescheid, dass ich Carlos in die WG begleiten würde und er Tim und Carlo informieren möge. Nicht, dass sie sich Sorgen machten, wenn Carlos nicht mehr hier wäre.
Die Nacht war mild und sternenklar. Daher entschied ich mich, den Weg zu laufen. Außerdem tat mir gut, von der lauten Musik und dem Trubel weg zu kommen.
Die ersten Minuten gingen wir schweigend nebeneinander. Aber Carlos hatte Redebedarf.
„Ist das für dich jetzt nicht total blöd? Mit mir von der Party zu gehen, nur damit ich nach Hause komme.“
„Nein, ganz bestimmt nicht. Im Gegenteil, ich freue mich, dass es dir gut gefallen hat und wir nicht darüber streiten müssen, dass du früher nach Hause gehen musst.“
„Schade finde ich es schon, denn es hat mega Bock gemacht. So langsam verstehe ich, warum Tim und Carlo immer so von der Base schwärmen. So eine Party wäre zu Hause für mich undenkbar gewesen. Meine Mutter hätte mir das niemals erlaubt. Ich durfte ja nicht mal in den Ferien bei einem Freund übernachten.“
„What? Warum das denn nicht? Das ist doch vollkommen normal in deinem Alter. Hat deine Mutter Angst, dass du verloren gehen könntest oder warum?“
„Hahaha“, lachte Carlos, „keine Ahnung, aber so ungefähr habe ich mich gefühlt. Es könnte ja was passieren oder ich könnte ja vielleicht etwas Verbotenes machen. Das war so ätzend.“
Das konnte ich mir gut vorstellen. Das musste schlimm gewesen sein.
„Aber du hast ja schon auch Blödsinn gemacht. Was ich so gehört habe, warst du nicht immer einfach für deine Eltern.“
„Jaja, ich weiß. Aber kannst du das nicht verstehen? Wenn du nichts darfst, dann musst du ja verbotene Sachen machen. Ich möchte einfach nur leben, mit Freunden zusammen sein und ohne Zwang etwas tun können. Chris, du glaubst gar nicht, wie geil diese ersten beiden Tage hier für mich waren. Ich fühle mich wie neu geboren, ehrlich jetzt. Das ist so cool hier.“
Und jetzt wurde es richtig emotional. Carlos wollte mir noch etwas erzählen, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst. Und hier wurde sein Problem offensichtlich. Er schämte sich so stark, dass er weglaufen wollte. Ich legte ihm einfach meine Hand auf die Schulter und drehte ihn zu mir. Da flossen auch schon die Tränen.
Ich umarmte ihn einfach und drückte ihn ganz fest an mich. Erst nach einigen Augenblicken entspannte er sich etwas. Ich hielt ihn einfach umarmt fest und strich mit der Hand über seinen Rücken.
Ein ganz leises „Danke“ war zu hören.
„Wofür, Carlos?“
„Dass du mich verstehst und ich nicht mehr allein bin. Hier habe ich zum ersten Mal gefühlt, akzeptiert zu werden. Das fühlt sich so cool an. Auch, dass du mir heute erlaubt hast, auf die Party zu gehen. Das hätten meine Eltern nicht zugelassen. Und ich habe mich doch gut benommen, oder nicht?“
„Absolut, alles bestens. Sollen wir weitergehen oder möchtest du noch etwas loswerden?“
Carlos löste sich etwas aus meiner Umarmung, ging aber ganz eng neben mir. Ich legte ihm meinen Arm auf die Schulter und die Situation entspannte sich wieder.
„Jetzt verpasst du meinetwegen die Überraschung für Dustin und Fynn. Marc hatte doch gesagt, dass er noch eine Überraschung mit im Gepäck hat. Das ist doch total doof. Dustin und Fynn sind bestimmt enttäuscht, dass du jetzt nicht dabei bist.“
„Selbst wenn das jetzt so wäre, hätte ich damit überhaupt kein Problem. Du brauchst eine Begleitung und das wussten wir vorher. Aber ich kann dich beruhigen. Ich habe das mit Marc abgesprochen und die Jungs haben darauf bestanden, diese Überraschung dann morgen in der WG zu machen. Bevor wir auf die Reise nach Stuttgart gehen. Also, alles gut und du kannst beruhigt ins Bett gehen.“
Dabei klopfte ich ihm auf die Schulter und lachte.
Carlos schaute mich an, zögerte einen Moment, dann erwiderte er:
„Okay, so langsam begreife ich, was Tim mir gestern gesagt hat. Er meinte, du würdest eh immer das letzte Wort haben und uns eh mindestens einen Schritt voraus sein. Aber weißt du was? Ich fühle mich wieder viel besser als eben. Es gibt mir Sicherheit, dass du hier bist und auch wenn du unterwegs sein wirst, weiß ich jetzt, dass ich dich immer ansprechen darf. Ich freue mich wirklich, dass du mir diese Möglichkeit gegeben hast. Ich will sie nutzen.“
Das waren ganz andere Töne als ich sie bisher von ihm kannte, aber ich wusste schon lange, dass er oft von seinen Eltern in diese Rolle gedrängt wurde.
Ich war weiterhin davon überzeugt, dass er bei uns richtig durchstarten könnte. Wenn er wirklich ernsthaft an sich arbeiten würde, könnte das großen Erfolg nach sich ziehen.
Als wir an der WG ankamen, fragte er mich:
„Kommst du noch mit rein? Oder gehst du jetzt direkt zurück zur Party?“
„Ich gehe höchsten nach Hause, aber wenn du es möchtest, komme ich noch kurz mit rein.“
Fünfzehn Minuten später lag er in seinem Bett und ich wünschte ihm eine gute Nacht. Carlos hatte ein Lächeln im Gesicht als ich mich verabschiedet hatte.
Fynn: Am Tag nach der Party
Meine Güte war das eine Feier. Die letzten Gäste waren um halb drei nach Hause gegangen. Mein Schatz und ich waren bis zuletzt gut drauf gewesen, da wir beide überhaupt keinen Alkohol getrunken hatten. Ich hatte meine Lektion gelernt und da wir heute noch nach Stuttgart aufbrechen würden, war mir das vorher bereits ganz klar. Aber auch unsere Gäste hatten sich vorbildlich verhalten. Mir war niemand negativ aufgefallen. Lediglich aus Dustins Klasse gab es zwei oder drei, die ein wenig zu viel Bier getrunken hatten. Auch Maxi hatte recht wenig Alkohol genossen.
Leider war es auch wieder typisch für Chris, dass er Carlos nach Hause gebracht hatte und dadurch bereits sehr früh von unserer Feier verschwunden war. Für Carlos sicher schön, dass Chris ihn begleitet hatte, aber ich hätte es anders noch schöner gefunden.
Selbst Justin hatte sich dazu geäußert. Allerdings freute er sich über den Besuch seiner Familie riesig. Thorsten hatte ihn informiert, dass sie bis zum Turnier in Halle bleiben würden. Damit würde es mit Aaron und Carlos in der WG sicher nicht langweilig werden. Aber in Stuttgart und Halle könnte es mit seinem Vater schwierig werden. Wir waren gespannt.
Dustin und ich saßen am Frühstückstisch und hatten bereits zwei Brötchen gegessen als Justin hereinkam. Er hatte noch ganz kleine Augen und wirkte überhaupt nicht wach.
„Boah, ihr seid schon fit und wach? Wie schafft ihr das, schließlich seid ihr bis zum Ende geblieben. Und ich habe auch nur zwei Bier getrunken.“
„Wir haben überhaupt keinen Alkohol getrunken“, erwiderten wir beide fast im Chor.
Danach mussten wir drei lachen. Und dadurch war Justin wach und munter.
„Setz dich zu uns, wir haben sogar noch Kaffee für dich über“, bot ich Justin an.
„Klasse, das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Wisst ihr wie unser Tagesplan aussieht? Wann brechen wir nach Stuttgart auf?“
„Ja, wissen wir. Zuerst müssen wir aber zum Aufräumen. Abfahrt nach Stuttgart wird gegen drei Uhr am Nachmittag sein. Chris wird uns hier abholen. Also solltest du rechtzeitig deine Tasche packen, falls du es noch nicht getan hast.“
„Ihr hört euch schon fast genauso an wie Chris. Aber ihr habt Recht. Ich werde als erstes meine Tasche packen. Dann komme ich auch zum Aufräumen. Kann meine Familie dabei auch helfen?“
„Klar“, antwortete Dustin, „jede helfende Hand ist willkommen. Wir hoffen auch, dass einige aus unseren Klassen helfen. Sonst wird es sehr anstrengend werden. Aber das war es wert. Ich finde, es war eine geile Party. Und wir sollten uns bei Thorsten und Jan auch noch einmal bedanken.“
„Ja“, stimmte ich zu, „auf jeden Fall sollten wir das noch machen. Und wir sollten Chris nicht vergessen. Er war es immerhin, der uns das erst möglich gemacht hat. Ohne Chris wären wir nämlich gar nicht hier.“
„Stimmt“, antworte Justin nachdenklich, „ aber das sollten wir vielleicht in Stuttgart machen. Mit einem guten Turnier im Rücken. Chris mag es doch nicht so, wenn man ihn vor vielen Leuten hervorhebt. Deshalb ist er auch mit Carlos so früh gegangen. Marc hat doch deswegen seine letzte Überraschung noch auf heute verschoben. Ich bin Chris genauso dankbar wie ihr. Auch wenn ich erst später hinzugekommen bin. Aber ohne Chris und die Breakpoint Base wäre ich sicher nicht annähernd so weit gekommen. Selbst mein Dad hat mittlerweile begriffen, wie wichtig das für mich hier ist. Und das will schon etwas heißen.“
Ich war erstaunt über Justin. Denn in dem letzten Satz steckten viele Emotionen. Wir schwiegen für einen Augenblick, aber bevor ich weiter nachdenken konnte, hörte ich Stimmen im Flur.
„Erwartet ihr so früh schon Gäste?“, fragte Justin.
Mein Schatz schaute mich ebenso unwissend an und wir zuckten beide mit den Schultern. Da ging auch schon die Tür auf und Chris stand im Raum.
„Guten Morgen zusammen. Ich habe hier ein paar Besucher mitgebracht. Dustin und Fynn sollten sich jetzt dafür etwas Zeit nehmen, denn gestern war das bei dem ganzen Trubel wohl kaum möglich.“
Chris machte einen Schritt an die Seite und dann stand meine Familie mit Frank in der mittlerweile zu engen Küche.
„Guten Morgen die Herren“, begrüßte uns mein Vater.
Das war mir in der Tat höchst unangenehm, denn wir hatten gestern wirklich kaum Zeit für die Familie gehabt. Chris war uns anscheinend wieder mal einen Schritt voraus, denn er sagte:
„Hier ist es deutlich zu eng. Bevor ihr auf komische Ideen kommt, Justins Familie wartet draußen und ihr habt heute den klaren Auftrag, euch nur um die Familie zu kümmern. Nach dem Mittagessen brechen wir mit Jan nach Stuttgart auf. Bis dahin habt ihr frei für eure Familienangehörigen.“
„Was ist denn mit Aufräumen von der Feier? Das macht sich nicht von allein“, erwiderte Dustin.
„Hahaha, nein. Aber ihr räumt heute nicht auf. Dafür sind genug Leute von Thorstens Team vorhanden. Eure Familien sehen euch so selten, da ist jede zusätzliche Stunde wichtig. Also wir sehen uns zum gemeinsamen Mittagessen im Sportpark. Mit euren Familien und Jan und Andy Murray. Danach brechen wir nach Stuttgart auf. Noch Fragen?“
Das war sicher schon vorher vom Team so geplant und vorgesehen, dennoch machte es mir ein schlechtes Gewissen. Es war unsere Feier, wir hatten dazu eingeladen und fehlten jetzt beim Aufräumen. Aber Chris ließ erst gar keine Zweifel zu. Er meinte noch:
„Ich werde euch jetzt allein lassen. Eure Eltern haben mir erzählt, was sie mit euch unternehmen möchten. Dort habt ihr Ruhe und Zeit füreinander. Ich wünsche euch ein paar schöne gemeinsame Stunden.“
Damit drehte er sich einfach um, verabschiedete sich von unseren Eltern und ging. Wieder eine sehr typische Reaktion von ihm. Umso bewusster wurde mir jetzt, wie sehr uns Chris immer wieder den Rücken freihielt. Das mussten wir bald mal deutlich zum Ausdruck bringen. Aber natürlich war ich auch unglaublich dankbar für die geschenkte Zeit mit meiner Familie, die sich nach dem ganzen Schlamassel wieder so wunderbar zusammengefunden hatte. Ich fühlte mich augenblicklich gut mit der Entwicklung und glücklich.
„Wie schaut es denn bei euch aus?“, fragte mich Mama, „Habt ihr Lust mit uns einen Ausflug zu machen?“
Ich schaute Dustin an und da Frank wohl auch dabei sein würde, stimmten wir schnell zu.
„Gut, dann lasst uns aufbrechen. Frank hat das Ziel ausgewählt und wir möchten jetzt gern die Zeit mit euch nutzen. Wer weiß, wann unsere Weltenbummler in Sachen Tennis wieder in Halle seid.“, lachte mein Vater uns jetzt fröhlich an.
Dieses Lachen erinnerte mich sofort an unsere schönen Jahre in meiner frühen Kindheit. Bei den dann blitzartig auftauchenden Gedanken an die schlimmen Jahre bekam ich ungewollt sofort auch eine Gänsehaut. Mein Schatz hatte es natürlich bemerkt. Aber er nahm mich nur kurz in den Arm, gab mir einen liebevollen Kuss und schon ging es mir wieder gut.
Mama hatte das sofort erfasst, aber sie ließ es auf sich beruhen. Sie gab mir nur mit einem Blick und ganz leichtem Kopfnicken die Bestätigung.
Im Team Bus hatten wir alle genug Platz und Papa fragte:
„Seid ihr jetzt aufgeregt, wenn es auf die große ATP Tour geht, oder ist das mittlerweile normal geworden, auf eine Turnierreise zu gehen?“
„Beides“, erwiderte ich, „es ist eigentlich nichts Besonderes mehr, aber dieses Mal dann doch. Wir gehen mit Jan und Andy Murray auf die Reise und spielen drei ATP Turniere hintereinander. Das hatten wir noch nie. Ich bin auch etwas unruhig, ob ich das körperlich verkrafte.“
„Fährt Chris nicht mit?“, fragte Patrick sofort dazwischen.
„Wie kommst du darauf? Natürlich fährt Chris mit. Ohne Chris würde ich das nicht machen“, reagierte Dustin leicht gereizt.
Im Gegensatz zu früher hatte Patrick Dustins Reaktion gut eingeschätzt und schwieg. Ich nahm Dustins Hand und Frank spürte die leichte Spannung sofort.
„So, damit wir heute noch einen schönen Tag haben, habe ich uns etwas Besonderes gebucht. Es geht in die Luft.“
Wir bogen auf eine große, freie Wiese auf der ein Heißluftballon stand. Da rutschte mir schon ein wenig das Herz in die Hose. Ich hatte mit so etwas überhaupt nicht gerechnet.
Eine Stunde später schwebten wir alle nahezu geräuschlos durch die Luft. Nur der Brenner rauschte hin und wieder, wenn der Pilot etwas Gas freiließ, um die Höhe zu regulieren.
Ich stand mit Dustin neben Papa und Patrick. Mama stand mit Frank auf der anderen Seite des Korbes. Papa fragte:
„Chris macht wirklich unglaublich viel für euch. Manchmal habe ich das Gefühl, er ist ein Ersatzvater für euch. Jetzt seid ihr erwachsen. Habt ihr das Gefühl, für den kommenden Lebensabschnitt gut vorbereitet zu sein?“
„Ja, absolut. Vor allem, weil Chris uns weiterhin begleiten wird. Ich vertraue ihm total und weiß genau, dass er uns immer gut beraten wird. Ohne Chris würde ich dieses Abenteuer nicht machen. Er kennt uns wie kein anderer. Jan wird uns auch helfen, aber Chris wird die Schlüsselfigur sein und bleiben. Auch wenn wir jetzt „erwachsen“ sind. Für mich ändert sich eigentlich überhaupt nichts.“
Dustin schaute mich wortlos an, aber ich spürte seine Emotionalität und nahm seine Hand. Das war seine Art der Zustimmung. Frank hatte genau zugehört und legte Dustin ganz behutsam seine Hände auf die Schultern. Das tat meinem Freund gut.
„Es ist für mich eine ganz besondere Situation mit euch hier im Korb eines Ballons zu sein. Als diese Geschichte begann, hatte ich große Sorge ob Dustin den nächsten Tag erleben würde. Heute bin ich sehr glücklich, dass sich euer Weg so entwickelt hat. Chris hat ganz sicher einen großen Anteil, aber auch ihr habt den Mut gehabt, Chris zu folgen und euch von ihm leiten zu lassen. Und jetzt startet ihr im professionellen Tennis durch. Und wir als Familie stehen zusammen und reden miteinander. Ich finde das unglaublich schön.“
Nach einem Moment Schweigens, sagte Papa:
„Ja, das ist wirklich sehr schön. Ich finde, wir als Familie haben Chris sehr viel zu verdanken. Er hat uns immer wieder auf den rechten Weg gebracht und dafür gesorgt, dass euer Weg so geworden ist. Wenn ihr nachher nach Stuttgart aufbrecht, werde ich Chris dazu noch etwas geben. Er ist ein ganz außergewöhnlicher Mensch.“
Die Fahrt im Ballon entwickelte sich immer mehr zu einem absoluten Highlight. Wir hatten wunderbares Wetter und gefühlt nur ganz wenig Wind. Ich stellte mir nur die Frage wie sollten wir rechtzeitig in Halle sein. Die Richtung war nicht vorhersehbar, da allein der Wind in den unterschiedlichen Höhen die Flugbahn bestimmte.
Aber unser Pilot hatte uns erklärt, dass ein Bodenteam ständig in Funkkontakt mit uns war. Sie folgten uns am Boden und würden uns dann auch am Landeplatz aufnehmen und zum Startort zurückbringen. Das beruhigte mich, denn zu spät zur Abfahrt zu kommen, würde eine mittlere Katastrophe sein.
Spannend wurde es noch einmal bei der Landung. Unser Pilot hatte sich zwar eine große Wiese als Landeplatz ausgesucht, aber irgendwie trieb uns der Wind in Bodennähe in eine andere Richtung. Das würde so nicht hinhauen, das wurde bald klar. Also musste der Pilot schnell eine Alternative suchen.
Der Pilot stoppte das weitere Absinken, aber die warme Luft durch den Einsatz des Brenners ließ der Ballon nicht schnell genug aufsteigen. Wir steuerten auf einige Baumwipfel am Rande der großen Wiese zu. Die Warnung bzw. Aufforderung kam umgehend:
„Festhalten!“
Und schon rutschten wir durch die Baumkronen und wurden ordentlich durchgeschüttelt. Der Pilot blieb total gelassen und jetzt zeigte der Brenner Wirkung. Wir gewannen rasch wieder an Höhe und konnten dann auf dem angrenzenden Acker sicher landen.
Sofort erkundigte sich der Pilot nach unserem Befinden. Aber es ging uns gut. Niemand hatte sich verletzt und nachdem wir den Korb verlassen hatten, freute ich mich über dieses einmalige Erlebnis. Absolut toll.
Allerdings hatte ich noch eine ganz wichtige Sache vergessen - die Ballonfahrertaufe! Jeder Passagier, der seine erste Fahrt gut überstanden hatte, bekam eine rituelle Taufe mit einer Urkunde, in der sein neuer Name, das Datum und der Pilot vermerkt war. Getauft wurde man mit Sand aus den Ballastbeuteln und Sekt. Das gab eine ordentliche Sauerei, aber da mussten wir durch.
Auf der Rückfahrt war natürlich dieses Erlebnis das Thema. Tennis geriet in den Hintergrund und ich empfand das als angenehm. Frank hatte sich wieder einmal etwas ganz Besonderes für uns ausgedacht.
Erst nach der erforderlichen Dusche in der WG tauchte das Thema Tennis bei uns wieder auf.
„Nehmen wir unsere Taschen schon mit oder nicht?“, fragte ich meinen Schatz.
„Lass uns die hier lassen. Wir können doch schnell hier herkommen und sie einladen. So war es doch auch besprochen, Chris holt uns hier ab.“
Also gut, dann ließen wir sie stehen. Ich sah Justins Taschen auch noch im Flur stehen und stellten unsere Taschen einfach daneben. Danach gingen wir vor die Tür und in diesem Moment tauchte der schwarze Ferrari von Marc auf.
Das bedeutete natürlich, das Mittagessen würde mit Sicherheit nicht normal ablaufen.
„Hallo, die Herrschaften. Mir wurde gesagt, hier würde ein Fahrdienst gebraucht. Bitte einsteigen und anschnallen.“
Das war so typisch für Marc. Immer für einen Scherz zu haben. Auch wenn die Fahrt nur kurz war, lustig war sie auf jeden Fall. Und mit einem Grinsen im Gesicht betraten wir das Sportpark Hotel.
„Ist Justins Familie auch beim Essen dabei?“, fragte Dustin.
Marc lachte, als er antwortete:
„Ja, natürlich. Jan würde so eine Aktion niemals ohne alle Beteiligten machen. Und seid beruhigt, wir dürften die letzten sein. Alle anderen sitzen bereits im Biergarten und warten auf uns.“
Bevor wir den Garten betraten, war mir nach einem intensiven Kuss für meinen Schatz. Marc ließ uns einfach im Gang stehen.
Natürlich hatten alle bemerkt, dass wir dann einen Moment nach Marc den Garten betraten. Es gab zwar keine Kommentare, aber ein leises Gemurmel war schon zu vernehmen. Mittlerweile war mir das vollkommen egal geworden. Wir wussten ja auch, dass unsere Freunde voll hinter uns standen. Nur Chris erlaubte sich eine kleine Spitze.
„Na, wolltet ihr euch noch etwas Liebe gönnen, bevor ihr zu uns in den Garten kommt?“
Dabei lachte Chris befreit auf. Das war selten. Umso erfreuter registrierte Sabine diese Reaktion. Jan begrüßte uns und dann nahmen wir am großen Tisch Platz.
Das Essen selbst war wie immer erstklassig. Für mich war das jedes Mal etwas Besonderes und überhaupt nicht selbstverständlich. Auch das unsere Familien einfach dazugehörten.
Als Marc dann fragte:
„Wer möchte noch einen Kaffee, Espresso oder ähnliches?“
spürte ich ein intensives Gefühl von Zusammengehörigkeit. Das ließ mich vielleicht etwas leichtsinnig werden, denn ich hatte das Bedürfnis etwas sagen zu wollen.
Marc hatte die Bestellung abgegeben und fragte mich dann:
„Möchtest du etwas mitteilen? Du machst zumindest den Eindruck, als dass du etwas sagen möchtest.“
Keine Ahnung wie er das bemerken konnte, aber nun gab es kein Zurück mehr. Ich nickte und schlagartig herrschte Ruhe am Tisch. Marc hatte nämlich seine Hand gehoben.
„Liebe Freunde, Fynn möchte euch etwas mitteilen. Daher bitte ich um Aufmerksamkeit.“
„Danke, Marc. Ich weiß zwar nicht, wie du das bemerken konntest, aber ja, es stimmt. Ich möchte etwas sagen. Es ist hier vielleicht nicht der richtige Ort, aber es ist die richtige Gelegenheit. Es sind alle für mich wichtigen Personen anwesend. Vielleicht fehlt noch Gerry Weber, aber egal. Es ist mir ein Bedürfnis einmal zurückzuschauen. Wo unsere Reise vor über drei Jahren begann und ich ganz ehrlich überhaupt keine Vorstellung hatte, was uns in dieser Zeit alles begegnen würde. Aber heute ist es mir wichtig einmal „Danke“ zu sagen. Danke an alle Anwesenden, denn ohne euch wären wir heute nicht hier. Ich hatte Tennis immer nur als Freizeit gesehen und als es mir damals richtig schlecht ging, hat sich Chris einfach um mich gekümmert. Ohne Fragen zu stellen. Er war einfach nur immer da. Damals habe ich mich oft gefragt, warum Chris plötzlich da war. Er hat mich vor einer ganz schlimmen Fehlentscheidung bewahrt. Er war es, der Dustin und mich immer unterstützt hat und immer mit einer richtigen Entscheidung neben uns stand. Ich sage bewusst, neben uns, nicht vor uns. Er hat uns immer einbezogen und ernst genommen. Das habe ich in der Schule oft anders erlebt. Erst hier in Halle mit der Begleitung von Martina in der WG habe ich gemerkt, was alles möglich war. Jetzt sitze ich hier mit meiner Familie, meinem Freund und Freunden in einem Luxusrestaurant. Das ist einfach ein unglaublicher Weg in drei Jahren. Vor allem wird Chris jetzt sagen wollen, es geht doch erst gerade los. Ja, ein neues Kapitel steht an und zum ersten Mal habe ich keine Angst davor, etwas Neues zu erleben und zu machen. Ich möchte mich weiterhin verbessern und dazulernen. So wie es Chris immer wieder gesagt hat.“
Plötzlich spürte ich sehr starke Gefühle in meiner Brust, die mich aufwühlten. Ich musste einen Schluck trinken.
„Und bevor ich mich hier um Kopf und Kragen rede, muss ich noch auf eine Sache von unserer Feier eingehen. Unser jüngster Bewohner der WG Carlos, ist ganz neu und hat ähnliche Schwierigkeiten mit seiner Familie wie Dustin und ich gehabt hatten. Dennoch hat er sich toll auf der Feier vergnügt. Leider musste er um Mitternacht in die WG zurück. Wer hat sich darum gekümmert? Natürlich Chris. Dafür hat er unsere Feier frühzeitig verlassen und Carlos sicher in die WG begleitet. Und jetzt ist es mir ein Bedürfnis und auch an der Zeit, Chris für alles zu danken. Dieses Danke kann jedoch unsere tiefe Dankbarkeit nur andeuten. Aber Marc und Sabine haben uns bei dem folgenden Geschenk auf eine Idee gebracht. Marc, jetzt ist die Gelegenheit für deine letzte Überraschung, die eigentlich noch auf der gestrigen Feier verkündet werden sollte.“
Mein Herz raste als ich geendet hatte. Keiner traute sich etwas zu sagen. Alle Augen waren immer noch auf mich gerichtet. Aber mein Vater lächelte und nickte mir zu. Das war unglaublich, was dies bei mir auslöste: Ein Glücksgefühl sondergleichen übermannte mich quasi.
„Okay“, übernahm Marc nun das Wort, „dann will ich das auch gerne tun. Wie ihr beide ja schon angemerkt habt, habt ihr mit Chris einen unglaublich talentierten Rallyefahrer als Trainer. Ihr habt bereits eure Rennfahrerausrüstung bekommen, Chris hat sie schon länger und hat ja auch bereits mit mir einige Rennerfahrung gemacht. Luc hatte mich auf diese Idee gebracht, da ihr ja jetzt auch selbst fahren dürft. Es gibt in Europa eine Rallyeserie mit historischen Fahrzeugen. Die 'Audi Tradition Abteilung' hat mir versprochen, für eine Veranstaltung zwei Audi Quattro zu stellen, mit denen wir dann teilnehmen werden. In welcher Paarung auf den Autos wird noch geklärt. Ich möchte Chris damit auch einmal die Gelegenheit geben, sich zu beweisen, wie gut er eigentlich gewesen wäre. Welche Veranstaltung das genau sein wird, hängt von eurem Turnierplan ab. Aber wir werden das jedenfalls im nächsten Jahr machen. Versprochen! Und jetzt wünsche ich euch einen guten Start auf der ATP Tour in Stuttgart. Ihr habt es euch verdient mit tollen Leistungen und ich bin überzeugt, dass wir es richtig gemacht haben, euch zu unterstützen. Eure Breakpoint-Base ist etwas Besonderes. Jan, pass gut auf deinen Bruder auf. Du wirst ihn noch weiter brauchen. Und in einem sei dir sicher, wenn Sabine mitbekommen sollte, dass du deinen Bruder nicht gut behandelst, wirst du ein großes Problem bekommen.“
Schweigen.
Dann fing Jan plötzlich an zu lachen. Andy Murray schaute höchst irritiert zu ihm und in die Runde. Er hatte vermutlich nicht alles verstanden was Marc gesagt hatte.
„Okay, diese Warnung habe ich verstanden“, begann Jan immer noch lachend, „aber ich kann heute mit voller Überzeugung sagen, Chris hat mich ganz besonders in den letzten Monaten von seinen Fähigkeiten restlos überzeugt und mir viel beigebracht. Ich habe erkannt, wie sehr ich meinem Bruder früher fehl eingeschätzt habe. Ich freue mich deshalb umso mehr, dass wir nun gemeinsam dieses neue Kapitel aufschlagen und gemeinsam erfolgreich auf der Tour sein werden. Ich danke Marc sehr für die Unterstützung. Karl musste heute früh bereits abreisen, aber auch ihm habe ich noch Danke sagen können. Um das Ganze nicht zu sehr in die Länge zu ziehen, möchte ich jetzt nur darauf hinweisen, dass wir bereits in zwei Stunden nach Stuttgart aufbrechen müssen. Wir treffen uns alle am Clubhaus und starten von dort. Vielen Dank.“
Puh, was hatte ich da angestoßen?!
Aber es fühlte sich gut für mich an. Mal sehen, wie sich das entwickeln würde. In Stuttgart war nur Justins Familie dabei, aber in Halle würden unsere Eltern auch dabei sein. Darauf freute ich mich sehr.
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