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Lucien
Teil 10
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Informationen
- Story: Lucien
- Autor: cdwgrisu
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Inhaltsverzeichnis
- Luc: Zurück in München
- Marc: Überlegungen für die Zukunft
- Luc: Die Pläne für die Zukunft
- Marc: Einige Aufgaben sind noch zu erledigen
- Luc: Der letzte Abend in München
- Marc: Der letzte Morgen in München
- Stef: Die Ankunft ohne Luc
- Luc: Wiedersehen mit Stef in der Schweiz
- Marc: Es kehrte schnell wieder Alltag ein
- Stef: Luc hat Geburtstag
- Luc: Ein schöner Tag
Luc: Zurück in München
Nach den sehr turbulenten Tagen am Nürburgring hatte die restliche Woche keine weiteren Überraschungen mehr parat. Stef und Mario waren wieder in ihre kleine Wohnung gezogen und ich musste wieder bei Karl arbeiten. Wobei das Müssen eher ein Dürfen für mich war. Allerdings gab es bei Karl und Barbara nur ein Thema, welches sie mit mir diskutierten. Die Hochzeit von Mama und Papa. Damit hatte Papa wirklich eine Bombe platzen lassen. Keiner von uns hatte damit gerechnet. Entsprechend heftig wurde bei uns darüber geredet. Die Reaktion darauf war allerdings totale Begeisterung. Mick und Lukas hatten sich wieder ins Studium verabschiedet und Papa wollte sich mit Mama über einen Termin beraten.
Das Wochenende verbrachte ich mit Stef bei mir und den Geigers sehr ruhig. Wir schliefen lange und luden unsere Akkus in Sachen Schlafdefizit wieder auf. In der anstehenden Woche stand nichts Besonderes an. Mario sollte an einer Fortbildung teilnehmen und war entsprechend von Montag bis Freitag nicht in München. Das hieß, Stef war allein in der Wohnung.
Erfreulicherweise hatte er sich mit einem seiner neuen Klassenkameraden etwas angefreundet. Das freute mich sehr, denn Stef war sehr scheu, was diese Kontakte betraf. Er hatte einfach schon zu viel in der Vergangenheit erlebt. Björn machte allerdings einen sehr netten und offenen Eindruck.
„Luc, kommst du bitte mal“, rief mich Michael.
„Klar, ich komme.“
Ich legte die Maus, mit der ich gerade an einem Design für einen Kunden arbeitete, an die Seite und ging in Michaels Büro. Dort saß der Entwicklungs- und Designchef vor seinem Monitor und schaute auf ein Bild.
„Schau mal bitte, was hältst du von diesem Design?“
Er zeigte auf den Monitor und ich konnte ein wildes Flammendesign für eine Viper sehen. Mir war das eindeutig zu heftig.
„Ganz ehrlich Michael, mir wäre das zu krass. Man kann ja durch diese auffälligen Flammen gar nicht mehr die eigentliche Form der Viper erkennen.“
Er schaute mich mit zweifelndem Blick an und legte seine Hand ans Kinn.
„Hm, danke. Ich hatte auch dieses Gefühl. Der Kunde möchte aber so ein auffälliges Design. Was machen wir da? Ich finde es auch nicht besonders schön.“
„Wenn du mich so fragst, ruf den Kunden an und bitte ihn, noch einmal herzukommen. Wir sollten ihm etwas anderes zeigen und darüber sprechen.“
Jetzt passierte wieder etwas Neues für mich.
Michael lächelte und schlug vor:
„Lust auf einen kleinen Wettstreit? Jeder macht einen eigenen Entwurf zum Thema Flammen bei der Viper und der Kunde soll dann aussuchen. Wenn er immer noch diesen Entwurf möchte, bekommt er diesen natürlich auch.“
„Deal“, sagte ich, „und was ist der Einsatz?“
„Der Verlierer muss den anderen zum Essen einladen“, schlug Michael vor.
„Alles klar, machen wir so.“
Ich ging wieder nach nebenan an meinen Arbeitsplatz.
Es dauerte nicht lange und mein Whatsapp meldete sich. Seltsamerweise schrieb mich Björn an. Er fragte, ob ich wüsste, wo Stef sei, denn sie hatten sich ja verabredet. Das wunderte mich, denn Stef war sonst sehr zuverlässig bei Terminen. Ich schrieb ihm zurück, dass ich nichts anderes wüsste, als dass sie sich treffen wollten.
Ich tauchte wieder in meine Arbeit ein, beziehungsweise ich versuchte es, doch es ließ mir keine Ruhe, dass Stef nicht zu dem Termin erschienen war.
Ich rief Stef auf dem Handy an, aber nur seine Mailbox antwortete. Auch das war sehr merkwürdig. Wir hatten eigentlich nie unser Handy aus, wenn wir nicht zusammen waren. Ich legte mein Handy auf den Tisch und in diesem Moment rief mich Björn an.
„Hallo Lucien! Sorry, dass ich dich bei der Arbeit anrufe, aber ich stehe jetzt bei Stef vor dem Haus und alle Jalousien bei ihm in der Wohnung sind noch unten. Ich mache mir doch etwas Sorgen. Was meinst du, soll ich jetzt machen?“
„Das ist echt ungewöhnlich. Pass mal auf, ich frage Herrn Geiger gerade mal, ob Stef sich bei ihm gemeldet hat. Vielleicht hat er es vergessen und mir nur nicht ausgerichtet, denn hier habe ich manchmal keinen Handyempfang. Ich melde mich gleich wieder.“
Ich sagte Michael Bescheid und verließ unser Büro. Auf dem Weg zum Empfang kam mir Karl entgegen.
„Hi Luc, wohin des Weges?“
„Eigentlich wollte ich dich nur fragen, ob sich Stef bei euch gemeldet hat. Er ist nicht zum Treffen mit Björn gegangen. Das ist ungewöhnlich, außerdem sind noch alle Jalousien in der Wohnung unten. Björn hat mich eben angerufen.“
Karl hob die Augenbrauen. Auch er kannte Stef lange genug, dass so etwas sehr ungewöhnlich war.
„Du hast doch einen eigenen Schlüssel, oder?“
„Ja, sicher. Ich kann aber doch nicht während der Arbeit jetzt dorthin fahren.“
„Natürlich fährst du nicht dorthin, aber ich fahre und du kommst mit. Wir fahren da sofort hin. Sag dem Björn, er soll dort auf uns warten.“
Er nahm mich sofort an der Schulter und dirigierte mich in Richtung Parkplatz. Wir kamen am Empfang vorbei und Karl ließ Michael informieren. Nach fünf Minuten waren wir bereits mitten im Verkehr auf dem Weg zu Stefs Wohnung. Ich hatte irgendwie kein gutes Gefühl und Karl spürte das.
„Luc, keine Panik. Vielleicht ist es ihm nur nicht gut und er liegt krank im Bett. Das wird schon nichts Schlimmes sein.“
Ich nickte abwesend. Mein Gefühl sagte mir leider etwas anderes. Als wir einige Minuten später an der Wohnung ankamen, wartete Björn bereits auf uns.
„Hallo Herr Geiger, hi Lucien. Ich habe schon einen Hausbewohner gefragt. Der hat Stefan gestern Abend zuletzt mit einem Mann gesehen.“
Als Björn das sagte, machte es „Klick“ bei mir und Panik breitete sich aus.
„Los, lasst uns schnell in die Wohnung gehen“, sagte ich.
Karl hielt mich allerdings zurück. Er legte mir seine schwere Hand auf die Schulter und meinte ganz ruhig:
„Gib mir bitte den Schlüssel und Björn kommt mit mir mit. Du bleibst erst einmal hier und wartest auf uns. Wir gehen rein und schauen nach.“
„Nein, ich komme mit. Ich will wissen, was hier los ist.“
Karl schaute mich zweifelnd an, aber er wusste genau, jetzt würde ich mich auf nichts mehr einlassen. Also ging ich mit Karl nach oben in die Wohnung. Sie war leer. Das Bett war nicht benutzt und seine Jacke hing an der Garderobe.
Jetzt bekam ich richtig Angst. Stef würde niemals ohne seine Jacke die Wohnung verlassen. Ich begann mir alles Mögliche auszumalen. Plötzlich kam mir ein furchtbarer Verdacht.
„Karl, was ist, wenn der Mann von gestern sein Vater war und er ihn entführt hat?“
Karl drehte sich ruckartig um und wurde richtig wütend.
„Boah, dann muss der Typ sich aber warm anziehen. Ich weiß, was zu tun ist. Komm, wir gehen nach draußen und lassen hier alles so, wie es ist. Ich rufe bei der Polizei an.“
Jetzt war es mit meiner Ruhe vorbei. Ich begann zu zittern und kämpfte mit den Tränen. Sollte der Vater es tatsächlich doch geschafft haben, an Stef heranzukommen.
Draußen realisierte Björn sofort, dass es mir gar nicht gut ging und versuchte, mich zu beruhigen. Wir standen zusammen am Auto, als Karl zu uns kam.
„Die Polizei kommt sofort her. Ich habe sie über den Sachverhalt informiert und der Beamte meinte, er würde sofort eine Streife herschicken. Wir sollen hier warten.“
Er sah mich und meinen aufgelösten Zustand.
„Luc, mach dir jetzt bloß keine Vorwürfe. Damit konnte niemand rechnen. Wenn Stef etwas geahnt hätte, hätte er uns entsprechend informiert. Du kannst nichts dafür. Außerdem, vielleicht ist er auch nur mit jemandem unterwegs.“
Allerdings diese letzte Aussage, das wusste auch Karl, war so unwahrscheinlich wie ein Lottogewinn.
Kurze Zeit später standen wir mit zwei Polizeibeamten in der Wohnung und sie fragten mich nach dem Sachverhalt mit dem Vater. Als ich mit den Ausführungen fertig war, nahm einer der Beamten sein Funkgerät und löste eine Fahndung nach Stef aus. Es sprachen genug Hinweise für eine Entführung oder noch Schlimmeres.
Ich war mit den Nerven ziemlich am Ende und Karl bemerkte dies. Er ließ mich nun keine Sekunde mehr aus den Augen. Mario hatten wir noch nicht erreicht.
„Luc, willst du nicht vielleicht mal bei deinen Eltern anrufen? Vielleicht wissen die ja schon etwas und sonst sollten sie dich hier unterstützen. Meinst du nicht?“
Björn war sichtlich bewegt und auch besorgt. Mir war es unangenehm, dass er sich meinetwegen diesem Stress aussetzte.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich war einfach fix und fertig mit meinen Nerven. Allein der Gedanke, dass sein Vater ihn in seine Gewalt gebracht hatte, löste bei mir Übelkeit aus.
Was mir gut tat, Björn ließ mich nicht allein und kümmerte sich um mich, obwohl wir uns kaum kannten. Er stellte keine Fragen, er war einfach nur da. Nachdem Karl noch einmal mit den Beamten gesprochen hatte, verließ die Streife den Ort des Geschehens. Es sollte die Spurensicherung noch kommen, um vielleicht Hinweise zu erhalten.
„So, ihr beiden. Ich nehme euch jetzt mit in die Firma. Dort kümmerst du dich um Luc und ich werde zusehen, dass Mario zurückkommt.“
Während der Autofahrt gingen mir tausend Gedanken durch den Kopf. Wie krank musste der Vater nur sein, dass er so etwas tun könnte. Plötzlich hielt mir Karl sein Handy hin.
„Hier, da ist jemand für dich.“
Ich nahm abwesend das Handy und meldete mich:
„Lucien Maergener“
Die Stimme, die ich am anderen Ende hörte, tat mir sehr gut.
„Hallo Schatz. Karl hat mir bereits alles erzählt. Marc ist schon unterwegs nach München und ich soll dir sagen, dass du dich nicht zu sehr aufregen sollst. Das wird alles wieder gut.“
„Mama, ich habe Angst. Warum macht der Vater so etwas? Das ist doch krank.“
„Luc, beruhige dich bitte. Du musst einen klaren Kopf behalten, nur so kannst du Stef helfen. Marc hat bereits auch hier die Behörden eingeschaltet und sei dir sicher, diesmal wird der Vater nicht so einfach davonkommen. Marc ist so wütend gewesen. So habe ich ihn schon lange nicht mehr erlebt.“
Als Mama mir das berichtete, konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Björn saß hinter mir und legte seine Arme um mich. Das tat mir sehr gut. Karl fuhr mit uns in die Firma zurück und von dort übernahm er die Regie über das Szenario.
Zuerst marschierte er mit uns in sein Büro. Barbara kam ebenfalls hinzu und hatte für uns eine heiße Schokolade mitgebracht. Da musste ich doch wirklich lachen. Björn war über meine Reaktion so irritiert, dass er mich verwundert anschaute.
„Sorry, aber du hast wirklich immer die passende Idee, wie man mich wieder aufrichten kann.“
Ich liebte heiße Schokolade und Barbara wusste das.
„Kann ja nicht sein, dass du dich so fertigmachen lässt, wenn Stefan uns jetzt mit aller Kraft braucht.“
„Genau, wir müssen zusammenhalten und dann werden wir Stefan schon finden.“
„Guter Plan, Björn“, meinte Karl dann.
In diesem Moment klingelte bei Karl das Telefon auf dem Schreibtisch. Er meldete sich und schnell stellte sich heraus, dass es Mario war. Er war bereits auf dem Rückweg und würde in einer Stunde bei uns sein. Karl informierte ihn noch über die Lage und dann überlegte ich, was ich jetzt tun könnte.
Dann fiel mir etwas ein. Ich schaute bei Whatsapp, ob und wann Stef das letzte Mal online war. Dort konnte ich sehen, dass er seit heute Morgen nicht mehr online war. Aber er war jedenfalls heute noch einmal online. Hoffentlich würde er uns eine Nachricht zukommen lassen können.
Karl war äußerlich die Ruhe selbst, aber innerlich tobte er vor Wut. Wenn er etwas nicht leiden konnte, dann war das Gewalt gegen Kinder. Da konnte er richtig grantig werden. Nach einem Moment des Schweigens traf Karl eine Entscheidung.
„Barbara, du fährst mit den Jungs nach Hause. Falls Stefan dort auftauchen oder er sich melden sollte. Ich denke, Marc wird auch bald bei uns ankommen. Ich werde hier die Stellung und den Laden am Laufen halten.“
Dabei grinste er wieder. Das war ein gutes Zeichen und ich konnte nicht anders als mit ihm zu lachen.
„So gefällst du mir viel besser, Luc. Wir werden Stefan schon finden und der Vater wird ein großes Problem danach haben. Das verspreche ich dir.“
Das war das Zeichen und wir brachen auf, um nach Hause zu fahren. Björn hatte seine Eltern informiert und somit blieb er noch weiter bei mir. Ich fand das sehr schön. Ebenfalls toll war die Reaktion meiner Freunde in der Schweiz. Dort hatte es sich bereits herumgesprochen und alle schickten mir aufmunternde Nachrichten. Leif hatte mich sogar angerufen und mir Mut gemacht. Tommy und Nico waren ebenfalls sehr besorgt, aber sie bauten mich dennoch auf. Sogar Jens und Heiko ließen mir Grüße ausrichten. Dieser Rückhalt meiner Freunde war ein tolles Gefühl.
Es dauerte noch eine Weile, dann war Papa endlich auch bei uns. Er hatte schon einiges angeschoben und berichtete uns von den neuesten Erkenntnissen.
Plötzlich klingelte es an der Haustür. Barbara öffnete und kam mit zwei Männern zurück. Sie stellten sich als Kriminalbeamte vor und wir versuchten abzuklären, wo sich Stef mit seinem Vater aufhalten könnte.
Während des Gespräches wurde Björn ein wenig unruhig und irgendwie hatte ich das Gefühl, er hatte eine Idee, traute sich aber nicht, sie auszusprechen.
„Was ist, Björn?“, fragte ich ihn.
„Ach nichts, ich hatte nur eine verrückte Idee.“
„Sag schon, vielleicht ist sie ja gar nicht so verrückt.“
„Also gut, aber lacht mich bitte nicht aus. Ich habe im Fernsehen in einem Krimi mal gesehen, dass man ein Handy orten kann. Wenn Stef also sein Handy dabei hat, könnte man dann nicht herausfinden, wo er sich aufhält?“
Stille.
Alle schauten sich fragend an und der eine Kripobeamte reagiert sofort. Er ließ sich die Nummer des Handys von Stefan geben und veranlasste alles Weitere. Nach einigen Momenten hatte ich mich wieder gesammelt.
„Mensch Björn, das ist eine geniale Idee. Hoffentlich können die was erreichen.“
Papa schmunzelte und fragte den Polizisten:
„Wie lange wird das ungefähr dauern, bis man verwertbare Daten bekommt?“
„Das geht relativ schnell. Mittlerweile kann man so ein Handy schon sehr genau orten. Also wenn er es noch bei sich hat, dann werden wir ihn finden. Ganz sicher.“
Das Warten war allerdings zermürbend. Umso aufgeregter waren wir alle, als die ersten Ergebnisse eintrafen. Somit konnte der Ort relativ genau bestimmt werden. Es war eine Gegend außerhalb Münchens. Die Polizei hatte sofort in dieser Gegend die Suche aufgenommen. Wir machten uns ebenfalls auf den Weg in diese Gegend. Papa nahm Karls Hummer und bis auf Barbara fuhren alle mit. Mit dem Hummer würden wir auch durch unwegsames Waldgebiet fahren können.
Wir trafen an einem Platz ein, wo es von Polizisten nur so wimmelte. Die Einsatzleitung hatte sich entschieden, mit einer großen Suchaktion den Druck zu erhöhen. Plötzlich bekam ich eine Nachricht von Stefs Handy.
„Wenn du Stefan lebend wiedersehen willst, sollen sich die Bullen zurückziehen. Ihr habt eine halbe Stunde, von hier zu verschwinden, sonst ist Stefan tot und das wäre doch schade.“
Ich erschrak. Der Typ musste vollkommen krank sein. Ich zeigte den Polizisten die Nachricht. Einer der Beamten ging mit meinem Handy zu einem großen LKW, wo vermutlich die Einsatzleitung untergebracht war.
Papa versuchte mich die ganze Zeit zu beruhigen. Auch Björn war sehr angespannt und die Minuten, bis der Beamte zurückkam, kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Mir war richtig schlecht. Der Gedanke, dass Stef in der Gewalt eines Psychopathen war, löste bei mir Panik und Wut aus.
„Wir haben den Ort sehr stark eingegrenzt und werden unsere Kräfte dort zusammenziehen. Außerdem habe ich das SEK angefordert. Wir haben hier jetzt eine akute Bedrohungslage. Da wollen wir keine Experimente mehr machen. Außerdem versuchen wir, Kontakt mit dem Vater aufzunehmen. Vielleicht können wir ihn ja dazu bewegen, mit diesem Blödsinn aufzuhören.
Die weiteren Ereignisse nahm ich nur noch rein mechanisch wahr. Meine Angst war ins Unermessliche gestiegen und wir konnten nichts mehr tun. Es stellte sich heraus, dass sie sich in einer kleinen Waldhütte verschanzt hatten.
Das SEK war mit voller Ausrüstung angerückt und hatte diese Hütte umstellt. Eigentlich konnte hier niemand unbemerkt einen Schritt tun. Hoffentlich würde der Vater keine Dummheit begehen.
Dieses Warten zermürbte mich. Papa hielt mir immer wieder die Hand und redete beruhigend auf mich ein. Dann kam ein Mann auf uns zu. Er stellte sich als Teil der Einsatzleitung vor und teilte uns mit, dass jetzt der Zugriff erfolgen sollte.
In diesem Moment hörte ich mehrere Explosionen und auch so etwas wie Schüsse.
Das war für mich zu viel. Ich sackte in Papas Armen zusammen. Erst nach einigen Sekunden kehrte ich wieder in die Welt der Lebenden zurück. Papa lächelte mich an und hielt mich im Arm.
„Na Kleiner, geht es dir wieder besser?“
„Was ist mit Stef? Ist er in Ordnung?“
Papa lächelte mich an und half mir hoch. Dann ging er mit mir in Richtung der Hütte, wo bereits einige Polizisten auf uns warteten.
„Na, geht es dir wieder besser?“, fragte mich einer der Beamten sehr freundlich.
Papa nahm mir das Antworten ab.
„Ich denke, es wird uns allen viel besser gehen, wenn wir zu Stefan könnten.“
Der Polizist lachte und begleitete uns zu einem Streifenwagen. Er öffnete die Tür und heraus kam ein sichtlich gezeichneter Stefan. Überglücklich fielen wir uns in die Arme. Er hatte eine leichte Verletzung am Arm, sonst war er körperlich unverletzt. Aber er musste furchtbare Angst gehabt haben, denn die Anspannung fiel erst langsam von ihm ab. Er fing immer wieder an zu weinen und der Polizist empfahl uns:
„Fahrt einfach erst einmal nach Hause. Ich glaube, dort wird es für Stefan am besten möglich sein, zur Ruhe zu kommen. Lasst ihn nicht allein und wir werden morgen bei euch vorbeikommen und alles Weitere besprechen.“
Ich wollte aber wissen, was mit dem Vater passieren wird. Würde er Stef wieder bedrohen können?
„Was wird aus dem Vater? Kommt er wieder frei? Dann muss Stefan wieder Angst haben.“
Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, aber der Beamte musste lächeln.
„Nein, keine Sorge. So schnell wird er nicht mehr die Möglichkeit bekommen, sich seinem Sohn zu nähern. Jetzt wird er erst einmal im Krankenhaus behandelt und dann dem Haftrichter vorgeführt. Macht euch darüber keine Gedanken. Das besprechen wir morgen. Ich habe deinem Vater noch eine Karte mit der psychologischen Betreuung gegeben. Ruft dort an, wenn es bei euch Probleme gibt. Sie wissen Bescheid und kümmern sich dann um euch.“
Papa und ich bedankten uns noch kurz, danach fuhren wir auf dem direkten Weg nach Hause. Allerdings brachten wir Björn natürlich noch nach Hause. Stef war fix und fertig und schlief in meinen Armen ein. Ich konnte zwar nicht begreifen, wie er jetzt schlafen konnte. Aber mir war das egal, denn ich hatte meinen Freund gesund zurück und jetzt würde alles wieder gut werden. Als wir bei Björn angekommen waren, bedankte ich mich noch einmal für seine tolle Unterstützung. Er wollte sich in den nächsten Tagen bei Stef melden. Dann würden wir sicher auch noch einmal gemeinsam etwas unternehmen.
Marc: Überlegungen für die Zukunft
Dieser Tag würde sicher noch lange in mir Nachwirkungen haben. Ich hatte es nicht für möglich gehalten, dass der Vater tatsächlich so etwas noch tun würde. Nach dieser Zeit der Ruhe. Jetzt war es an der Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, ob und wie es für Stef in München weitergehen konnte.
Luc war mit Stef erst einmal in Lucs Zimmer verschwunden und ich wollte sie auch in Ruhe lassen. Doch plötzlich stand Luc wieder im Wohnzimmer.
„Na, wie geht es euch? Was macht Stef?“, wollte ich wissen.
„Er schläft wie ein Stein. Er hat die ganze Zeit nicht geschlafen. Ich will auch nicht lange hier bleiben. Ich will ihn nicht allein lassen, wenn er aufwachen sollte.“
„Luc, es wäre aber schon gut, wenn du auch mal zur Ruhe kommen würdest. Vielleicht lassen wir die Tür auf, damit er uns hören kann, sollte er aufwachen. Es kann nichts mehr passieren.“
Nur widerwillig ließ sich Luc darauf ein, aber er ging zurück, um die Tür zu öffnen und anschließend setzte er sich zu mir.
„Was geht dir gerade durch den Kopf? Du siehst immer noch sehr mitgenommen aus.“
„Ach Papa, ich finde es unglaublich, was hier gerade passiert ist. Ein Vater, der sich an seinem eigenen Sohn für etwas rächen will, was niemand versteht. Ist das normal?“
„Nein, das ist sicher nicht normal. Das ist vermutlich psychisch krank. Aber du sagtest gerade, er wollte sich an Stef rächen. Für was denn? Was soll Stef denn gemacht haben?“
„Stef erzählte mir, sein Vater würde ihm die Schuld geben, dass die Familie zerbrochen sei und er keine Familie mehr habe. Und wenn er keine Familie mehr hätte, dann sollte Stef auch nicht mehr mit mir zusammen sein.“
Bei den letzten Sätzen konnte ich spüren, wie sehr das Luc aufwühlte. Seine Stimme zitterte bei den Worten. Ich nahm ihn in den Arm und streichelte ihm den Kopf.
„Du musst hier nicht den starken Jungen spielen. Wenn du weinen möchtest, lass es einfach geschehen. Ich verstehe dich und deine Wut.“
Barbara hatte während unseres Gespräches mehrfach mit Karl telefoniert und ihn über die Lage informiert. Was mir Sorgen machte, Mario war immer noch nicht in München angekommen. Eigentlich sollte er schon längst zurück sein. Barbara betrat das Wohnzimmer und fragte uns:
„Was meint ihr beiden, sollen wir nicht langsam mal etwas essen? Karl hat gerade angerufen, dass er auch mitkommen würde. Er macht Feierabend in der Firma.“
„Finde ich gut, diese Idee, aber sag mal, weißt du, was mit Mario los ist? Warum ist er immer noch nicht hier?“
„Ach Marc, unsere Bahn streikt gerade mal wieder und Mario saß in Frankfurt fest. Seine nächste Möglichkeit in München anzukommen ist erst in einer Stunde. Aber er weiß natürlich schon Bescheid.“
„Na toll, wenn man die Bahn braucht, ist sie nicht da. Wie immer. - Luc, was meinst du? Sollen wir mal was essen?“
„Was ist mit Stef? Wir können ihn doch nicht hier allein lassen.“
Ich musste lachen, natürlich würde ich Stef nicht allein zurücklassen.
„Na, den gehst du jetzt wecken und dann nehmen wir ihn mit. Er muss doch auch richtig Hunger haben. Und sei lieb zu ihm, wenn du ihn weckst.“
Dabei zwinkerte ich ihm zu und Luc streckte mir seine Zunge heraus. Das war ein gutes Zeichen. Luc schien sich beruhigt zu haben.
Luc verließ das Wohnzimmer und ich blieb mit Barbara allein zurück. Sie schaute mich sehr nachdenklich an.
„Marc, wie soll das weitergehen? Denkst du, es ist gut, wenn Stefan weiterhin in München lebt?“
„Ich weiß es nicht. Aber wir können nicht einfach für ihn entscheiden. Mario hat das Sorgerecht und ich will das auch nicht ohne die beiden entscheiden. Aber so kann es nicht weitergehen. Hast du denn eine Idee?“
„Ja, eine Idee haben wir schon. Allerdings spielt Luc dabei auch eine große Rolle. Karl würde Luc am liebsten sofort als Azubi einstellen und ihn hier in der Firma aufbauen. Karl sieht Luc als seinen Nachfolger. Ich glaube, dass Karl noch nie so große Hoffnungen in einen jungen Mann gesetzt hat. Abgesehen davon, wir mögen den Jungen einfach unheimlich gern.“
„Ich weiß, das spürt man überall. Ich glaube aber auch, dass Luc und auch Stef euch sehr mögen. Sie vertrauen euch. Ich werde mit Luc sicher noch in diesen Ferien über seine Pläne sprechen. Er hat mir so etwas schon angedeutet. Allerdings würde er auch gerne sein Abitur machen. Was für eine Idee hast du denn für Stef?“
Leider kamen in diesem Moment Luc und Stef ins Zimmer und ich hatte wirklich Mitleid mit Stef. Er sah unheimlich müde aus und es schien so, als ob er noch nicht so wirklich anwesend war.
„Na, ihr beiden. Wie geht es dir, Stef?“
„Schon wieder etwas besser. Aber ich weiß nicht, ob ich schon so wirklich begriffen habe, was alles passiert ist. Und es tut mir leid, dass du schon wieder meinetwegen aus der Schweiz herkommen musstest.“
„Bist du bescheuert? Das ist doch vollkommen klar gewesen, dass ich sofort kommen würde. Hör auf, dir darüber Gedanken zu machen. Wie sieht es aus? Hunger?“
„Ja, schon. Aber irgendwie fühle ich mich noch schlapp.“
„Klar, das dauert auch noch etwas. Aber was meinst du, erst einmal eine schöne Dusche und dann mit uns essen fahren?“
Er war einverstanden und Luc blieb so lange bei uns. Wir sprachen nicht weiter über die aktuellen Geschehnisse. Ich hatte die Idee, Mario am Bahnhof abzuholen und ihn mitzunehmen. Luc war davon sehr begeistert. Er freute sich, dass Mario auch wieder bei uns sein würde.
Es dauerte dann auch nicht mehr lange und wir standen alle am Bahnsteig und warteten auf die Einfahrt des Zuges aus Frankfurt. Luc und Stef standen Arm in Arm und immer wieder streichelte Luc über den Rücken von Stef. Ich nutzte die Gelegenheit noch einmal, mit Karl und Barbara ungestört einige Momente zu sprechen.
„Wenn man die beiden so sieht, möchte ich nicht wissen, was wir jetzt für ein Problem hätten, wäre Stef etwas passiert.“
Barbara stöhnte leicht auf und Karl nickte stumm. Karl begann dann laut zu denken.
„Ich will darüber gar nicht mehr nachdenken. Ich möchte eher wissen, wie es weitergehen kann.“
„Ja, Karl. Ich auch, aber das müssen wir mit den Jungs besprechen. Momentan macht es wenig Sinn. Ich schlage daher vor, wir sprechen zuerst mal mit Mario und dann werde ich Luc mal allein befragen. Denn sollte sich Luc entscheiden, jetzt die Ausbildung zu machen, nur um bei Stef bleiben zu können, hielte ich das für falsch.“
Barbara ergänzte: „Ich finde auch, lasst uns erst einmal die Optionen betrachten und danach mit den beiden reden. Jetzt sollen sie sich wieder beruhigen und dafür brauchen sie Ruhe. Ganz ehrlich, Karl, auch wenn dir das gar nicht passt, aber ich bin dafür, dass die beiden ein paar Tage zurück in die Schweiz fahren. Dort haben sie ihre Freunde und die nötige Ruhe. Luc hat bald Geburtstag und danach können sie ja wiederkommen.“
Karl gefiel das nicht sonderlich, weil er sich sehr auf die Unterstützung von Luc gefreut hatte. Sein Ziel war, Luc zu überzeugen, bei ihm in der Firma anzufangen. Allerdings hatte er auch erkannt, in diesem Zustand war es unvernünftig, Luc hier zu halten.
Mittlerweile war der Zug eingefahren und Mario ausgestiegen. Als er seinen Bruder erkannt hatte, lief er direkt auf ihn zu und sie umarmten sich innig. Ich konnte sogar Tränen der Freude und vermutlich auch Rührung erkennen. Das Wiedersehen war sehr emotional für beide. Hoffentlich bekam Mario keine Probleme damit, dass er nicht hier war, als das passierte. Dann hätten wir zusätzlich noch ein neues Problem zu lösen.
Das Abendessen verlief entsprechend nachdenklich und ruhig. Mario wollte sich immer wieder bei Stef vergewissern, dass es ihm gut geht. Mir wurde das irgendwann zu viel. Ich spürte bei Mario das schlechte Gewissen.
„Es ist gut, Mario. Du hörst jetzt auf der Stelle bitte auf, dir Vorwürfe zu machen. Niemand konnte auch nur erahnen, dass so etwas passieren würde. Lasst uns so schnell wie möglich wieder zur Normalität zurückkehren. Sonst hätte euer Vater ja doch Erfolg gehabt mit dieser kranken Aktion. Das will ich nicht zulassen.“
Das half. Stef und Luc wurden sofort hellwach und reagierten mit Ablehnung und Wut. Das wollten sie auf keinen Fall. Also wurde beschlossen, das Thema an diesem Abend nicht weiter zu bereden.
Gegen Ende des Essens fiel Luc ein, dass er am nächsten Tag wieder arbeiten musste. Karl reagierte sofort.
„Luc, du musst morgen nicht in der Firma erscheinen. Wenn du morgen lieber mit Stef und deinem Vater einen Tag verbringen möchtest, mach das. Ihr könnt noch etwas Ruhe gebrauchen. Vielleicht nehmt ihr Mario auch mit dazu und redet mal über die Zukunft.“
Mario war sehr erstaunt und auch Luc schien zu begreifen, dass Karl und ich uns schon ein wenig unterhalten hatten. Entsprechend wenig Gegenwehr kam von ihnen. Wir beendeten den Abend gegen halb elf und fuhren zurück zum Haus von Barbara und Karl. Ich konnte dort im Gästezimmer für eine Nacht bleiben und nutzte die Ruhe, nachdem die Jungs schlafen gegangen waren, um mit Sabine zu telefonieren.
In diesem Gespräch äußerte sie eine ähnliche Ansicht wie Barbara. Die Jungs sollten zurück in die Schweiz kommen. Zumindest für ein paar Tage. Also gut, das wollte ich dann am nächsten Tag mit den beiden besprechen.
Die Nacht verlief ruhig. Stef schien in Anwesenheit von Luc sehr gut geschlafen zu haben, denn am nächsten Morgen sahen beide gut erholt aus. Karl und Barbara waren schon lange in der Firma, als wir uns zum Frühstück trafen.
„Guten Morgen, Jungs. So gefallt ihr mir schon viel besser. Gut geschlafen?“
„Ja, Marc. Sehr gut. Es tut einfach gut, wenn Luc neben mir schläft und ich weiß, dass es ihm gut geht.“
Ich musste lachen, denn Luc hätte das genauso gut sagen können.
„Mario kommt auch jeden Moment. Er bringt noch frische Brötchen mit und dann können wir frühstücken. Ich habe schon alles im Garten vorbereitet. Die Sonne lacht und es wird ein schöner Tag. Also lasst uns nach draußen gehen.“
Während ich mich an den Tisch setzte, schlenderten die Jungs noch einmal Arm in Arm durch den schönen Garten. An einer Gladiole blieben sie stehen. Es schien so, als ob sie über etwas diskutierten.
Mario betrat die Terrasse und legte den Korb mit den Brötchen auf den Tisch.
„Guten Morgen Marc. Wie ist die Stimmung bei euch?“
„Hallo Mario, danke der Nachfrage. Die Nacht war ruhig und ich glaube, die beiden sind sehr glücklich, dass es so schnell zu Ende gegangen ist.“
Mario setzte sich zu mir an den Tisch und wirkte sehr nachdenklich. Ich konnte erahnen, was in ihm vorging. Er machte sich Vorwürfe.
„Was denkst du gerade? Du schaust dir die Jungs an und irgendwas macht dir Sorgen.“
Sein Blick wanderte zu mir und er schüttelte sich einmal.
„Ja, du hast Recht. Ich habe mir die halbe Nacht überlegt, was wäre passiert, wenn Papa diesmal Erfolg gehabt hätte und Stef nicht mehr unter uns wäre.“
„Das kann ich mir gut vorstellen. Allerdings habe ich mir überlegt, was können wir tun, damit alle in Zukunft angstfrei leben können. Außerdem vermute ich, dass euer Vater krank ist. Er gehört in eine Klinik und nicht ins Gefängnis.“
„Marc, das Problem ist doch, ich habe zwar das Sorgerecht, aber ich kann ihn nicht ausreichend beschützen. Ich muss arbeiten und kann nicht ständig bei ihm sein.“
„Zum wiederholten Mal, Mario, hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Diese Aktion hätte auch bei uns passieren können, vielleicht nicht bei uns zu Hause, aber wenn Stef allein unterwegs gewesen wäre, hätte es auch passieren können. Stef ist fünfzehn und muss nicht ständig einen Begleiter haben. Das ist doch krank.“
„Aber er ist oft allein und was wird, wenn Luc zurück in die Schweiz geht? Ich bin oft erst abends zu Hause. Ich fühle mich beschissen, weil ich mich nicht so kümmern kann, wie ich möchte.“
„Ich verstehe dich schon, aber genau deshalb sollten wir uns besprechen. Ich denke, vieles hängt von Luc ab. Sollte er sich entscheiden, erst sein Abi zu machen und nach den Ferien wieder zu uns in die Schweiz zu kommen, dann müssten wir uns tatsächlich überlegen, was wir tun. Wenn er aber direkt in die Ausbildung gehen will, dann würde er ja hier in München bleiben. Das ist aber meine Aufgabe, dies zu klären. Deshalb habe ich eine Bitte. Kannst du heute mit Stef den Vormittag verbringen? Ich möchte mit Luc in Ruhe über ein paar Dinge sprechen, ohne Stef.“
„Klar, aber wie willst du das hinbekommen? Luc wird Stef bestimmt nicht allein lassen wollen. Und zwingen ist jetzt bestimmt auch nicht gut.“
„Keine Sorge, die Kripo kommt in einer Stunde und will Stef noch befragen. Das nehme ich zum Anlass, mit Luc in die Stadt zu gehen. Da fällt das überhaupt nicht auf.“
Mario konnte nicht mehr viel darauf sagen, denn Stef und Luc kamen zu uns an den Tisch.
„Na, habt ihr doch Hunger bekommen? Kommt, lasst uns frühstücken.“
Sie setzten sich und es wurde ein herrliches Frühstück. Die beiden konnten sogar wieder richtig lachen, als Mario von dem Bahnstreik erzählte und den daraus resultierenden Problemen.
„Papa, was liegt heute eigentlich an?“, wollte Luc wissen.
„Stef bekommt gleich Besuch von der Kripo und muss noch einige Dinge klären. In der Zeit gehen wir beide in die Stadt, ich habe da etwas zu erledigen und brauche dich dabei. Dann kann Mario mit Stef hier in Ruhe das mit der Polizei regeln.“
„Kann ich nicht hierbleiben bei Stef? Ich möchte ungern, dass er allein mit der Polizei reden muss.“
„Luc, er ist doch nicht allein. Mario wird bei ihm bleiben, außerdem kannst du ja schlecht etwas über ihre Vergangenheit erzählen. Also bitte.“
Luc war nicht so begeistert, aber er akzeptierte das schließlich. Mit einem Kuss verabschiedete er sich von seinem Freund. Wir verabredeten uns zum Mittagessen bei Karl in der Firma. Anschließend verließ ich mit Luc das Haus und wir machten uns auf den Weg in die Stadt. Allerdings hatte ich einen Punkt vollkommen übersehen. Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr mit der Straßenbahn oder U-Bahn gefahren. Luc kannte sich zwar sehr gut aus, aber ich hatte natürlich nicht daran gedacht, dass ich vielleicht erkannt werden könnte.
Wir saßen in der Straßenbahn, als plötzlich ein Junge zu uns kam. Er war vielleicht zwölf.
„Entschuldigung, aber sind Sie Herr Steevens?“
Luc verdrehte die Augen und musste lachen. Ich konnte auch nicht anders und begann zu lachen. Das irritierte den Jungen. Ich antwortete deshalb schnell.
„Ja, der bin ich. Warum?“
„Könnte ich von Ihnen ein Autogramm auf mein T-Shirt bekommen?“
Er reichte mir einen Stift und ich unterschrieb auf dem Shirt. Glücklicherweise brauchten wir nur noch eine Station zu fahren und somit blieb es bei diesem einen Autogrammwunsch.
Luc und ich liefen durch die Innenstadt und er wurde langsam ungeduldig.
„Papa, wo willst du eigentlich mit mir hin und warum brauchst du mich dafür?“
„Gleich, wir sind sofort da. Dann verstehst du, was ich meine.“
Wir bogen in eine kleine Seitenstraße und standen vor einem kleinen Laden. Dort war noch ein richtiger Goldschmied tätig. Das hatte mir Barbara verraten. Ich wollte hier die Eheringe anfertigen lassen. Dabei sollte Luc mir helfen. Er hatte ein großes Talent für so etwas.
Wie gesagt, wir standen vor dem kleinen Laden und Luc staunte ein wenig. Ich schob ihn deshalb schnell durch die Tür.
Eine ältere Dame begrüßte uns sehr freundlich und schien uns auch nicht erkannt zu haben. Sie fragte nach unserem Anliegen und ich erzählte kurz, was ich suchte. Sie lächelte und antwortete dann:
„Herr Steevens, wir fühlen uns geehrt, Ihnen bei ihrer Hochzeit behilflich zu sein. Warten Sie bitte einen Moment. Ich werde meinen Mann bitten, Sie zu beraten.“
Soviel zum Thema nicht erkannt werden. Aber es gefiel mir sehr, wie sie mich ansprach. Ich war ein Kunde, nicht nur der Rennfahrer. Einige Augenblicke später kam ein etwa siebzigjähriger Mann vermutlich aus der Werkstatt. Er hatte noch die typischen Utensilien am Kopf und er begrüßte uns per Handschlag. Auch Luc wurde von ihm persönlich begrüßt. Das machte bei mir schon einmal großen Eindruck.
„Was dürfen wir für Sie tun?“
„Ich habe vor, meine langjährige Freundin und die Mutter von Lucien zu heiraten, ich benötige dafür ein paar besondere Ringe. Allerdings möchte ich vorab schon sagen, sie sollen schlicht bleiben.“
Der Mann legte sein Werkzeug beiseite und wir kamen ins Gespräch. Luc schien das zu langweilen, denn er schaute sich die vielen tollen Schmuckstücke an. Es gab hier auch Armbanduhren, vor allem aber Uhren von Manufakturen, nicht nur Rolex und Tissot, sondern eben auch viele verschiedene von Hand gefertigte Chronometer. Ich wusste, dass sich Luc für solche Dinge sehr interessierte. Er hatte aber noch nie eine solche Uhr haben wollen. Er betonte immer, er wäre noch zu jung für so ein edles Stück.
Nachdem ich mich eine Weile mit dem Goldschmied unterhalten hatte, kamen wir auf die Ringe konkret zu sprechen. Ich wollte keine goldenen Ringe, sie sollten silbern aussehen. Vielleicht noch in Weißgold.
Der Mann lächelte:
„Wissen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen. Das könnte Ihnen vielleicht gefallen.“
Er nahm einen Ring aus einer der Vitrinen und ich konnte sofort erkennen, der Mann hatte genau verstanden, was mir gefallen würde. Luc kam auch zu mir und wir schauten uns nun gemeinsam dieses tolle Schmuckstück an. Luc fiel sofort dazu etwas ein.
„Papa, diesen Ring etwas breiter und dann mit kleinen Steinchen. Aber so, dass die Steine nicht hervorstehen, sondern in die Fläche des Ringes eingelassen sind. Das wäre genial.“
Der Juwelier nickte anerkennend:
„Nun, da scheint jemand sehr genaue Vorstellungen zu haben. Dir ist aber bewusst, dass dies sehr aufwendig ist zu machen.“
„Ich habe ihn genau deswegen mitgenommen. Er ist unser Künstler und hat gutes Vorstellungsvermögen. Aber genau so etwas schwebt mir vor. Nur, ich würde gerne Steine nehmen, die im Licht unterschiedliche Farben erzeugen.“
Verstehend nickte der Mann:
„Kein Problem. Das lässt sich alles machen. Allerdings müssen Sie sich im Klaren sein, dass das entsprechend den Preis erhöhen wird.“
„Das ist mir durchaus klar, aber spielt keine wirkliche Rolle. Können Sie mir zwei solcher Ringe anfertigen?“
„Sicherlich, es wird nur einige Zeit in Anspruch nehmen. Wie eilig ist es denn?“
Ich musste schmunzeln.
„Nicht so eilig, ich muss mich mit meiner Freundin noch auf einen Termin einigen. Allerdings sollte es noch in diesem Jahr sein.“
„Also dann wird das gar kein Problem werden. Länger als drei Wochen werde ich nicht dafür benötigen. Ich bräuchte nur die Maße von Ihrer Frau. Von Ihnen kann ich den Finger ja hier direkt vermessen.“
„Kein Problem, das würde ich ihnen zeitnah schicken. Am besten vielleicht einen Ring von ihr, den sie aktuell gern trägt?“
Wir einigten uns dann auf diesen Auftrag.
„Möchten Sie eine Anzahlung haben für diesen Auftrag?“, fragte ich sicherheitshalber.
Er verneinte dies und dann widmete ich mich Luc noch einmal. Er stand wieder vor der Vitrine mit den Uhren. Dort lagen wirklich sehr schöne Chronometer. Ich war der Meinung, er hätte sich einen dieser Kunstwerke verdient. Er sollte sich davon einen aussuchen. Leider lehnte er das sofort ab. Er war der Meinung, momentan würde es Wichtigeres geben, als eine teure Uhr. Auch das war wieder so typisch für ihn. In diesem Moment klingelte Lucs Handy. Er schaute mich fragend an. Ich nickte ihm zu und er verließ den Laden, um zu telefonieren. Diese Gelegenheit nutzte ich.
„Sagen Sie, mein Sohn hat einen sehr netten Freund als Partner und ich würde gern beiden dieselbe Uhr mit einer Widmung schenken. Haben Sie so etwas in dieser Art da?“
Sofort ging der Mann nach hinten in die Werkstatt und legte mir zwei sehr edle Schachteln auf die Vitrine. Er öffnete beide und ich wusste sofort, diese oder keine. Sie waren wunderschön, aber ganz schlicht. Mit einem edlen Lederarmband.
„Können Sie mir die bitte gravieren? Jeweils die Geburtstage und Namen der beiden.“
„Selbstverständlich, Sie können die Uhren morgen abholen.“
„Wunderbar.“ Ich gab ihm meine Kreditkarte und damit waren die Uhren bezahlt. Das war etwas, was ich schon ganz lange machen wollte. Für Mick und Lukas hatte ich das damals auch getan.
Luc war mittlerweile fertig und wieder hereingekommen. Ich verabschiedete mich von dem Juwelier und dann brachen wir wieder auf. Wir hatten noch genug Zeit, bis wir bei Karl sein sollten.
„Was meinst du, sollen wir uns mal ein Eis gönnen? Da hinten ist eine kleine Eisdiele.“
Luc war einverstanden und wenige Minuten später saßen wir, jeder vor einem großen Eisbecher, am Tisch.
„Wie geht es dir heute?“, wollte ich von ihm wissen.
„Eigentlich geht es mir gut, aber ich habe Angst, dass Stef wieder Albträume bekommt und seine Angstzustände zurückkehren. Ich bin so wütend auf diesen kranken Vater.“
Sofort spürte ich die Emotionen bei ihm. Es wühlte ihn stark auf.
„Luc, ich habe mir auch meine Gedanken gemacht. Allerdings möchte ich von dir mal hören, wie stellst du dir denn deine Zukunft vor? Karl hat dir ja ein Angebot gemacht. Darüber sollten wir doch einmal sprechen.“
„Ja, ich weiß. Natürlich bin ich hin und hergerissen. Ich würde einerseits gerne bei ihm arbeiten und eine Ausbildung machen, aber ich möchte andererseits auch mein Abitur machen. Momentan habe ich das Gefühl, er wäre sehr enttäuscht, wenn ich nicht bei ihm anfange. Er hat schon so viel für Stef und mich getan.“
„Deshalb reden wir miteinander. Ich habe es auch gemerkt. Allerdings ist doch auch die Beziehung zu Stef ein Thema. Du hättest noch zwei Jahre Schule bis zum Abitur. Stef hat noch ein Jahr bis zur mittleren Reife. Und München ist für Stef allein zurzeit kein gutes Pflaster. Mario will sich kümmern, aber kann nicht wirklich. Er hat einfach zu wenig Zeit für Stef.“
Luc hörte mir aufmerksam zu und ich konnte erkennen, wie seine Gedanken sich sortierten.
„Du hast dir doch auch schon etwas überlegt, sonst würdest du nicht mit mir darüber sprechen.“
„Luc, ich und auch deine Mutter machen uns immer Gedanken über euch. Nur können und wollen wir nicht mehr über euch entscheiden, sondern mit euch entscheiden, was ihr für einen Weg gehen könnt.“
„Papa, ich möchte Stef aber auch nicht allein lassen, gerade jetzt, nach diesem Erlebnis. Ich weiß doch noch gar nicht, wie er das verkraften wird.“
„Das weiß niemand, das wird er nicht einmal selbst wissen. Umso wichtiger ist es, dass wir alle gemeinsam uns zusammentun und eine Lösung suchen, die allen gerecht wird.“
„Gut, Papa, darf ich dich etwas fragen?“
„Schieß los, was hast du dir überlegt?“
„Aber reg dich nicht gleich auf, sondern lass mich bitte zu Ende erzählen.“
Ich musste lachen, denn er hatte Recht, manchmal unterbrach ich meine Kinder sehr schnell, wenn sie zu sehr von der Realität abwichen. Ich nickte Luc zu, also begann er zu erzählen.
„Ich glaube, Stef ist hier momentan in München überfordert. Mario hat einfach nicht genug Zeit und ist selbst zu sehr mit seiner Situation beschäftigt. Ich habe folgende Idee. Ich gehe wieder zurück, mache mein Abitur und fange anschließend bei Karl eine Ausbildung an. Vielleicht kann ich sogar ein Duales Studium machen. Stef kommt für diese Zeit mit in die Schweiz, kann dort seine Schule fertig machen und bekommt Abstand zu seiner Geschichte. Er kann dort, wenn nötig, sogar mit seinem Psychologen weiterarbeiten. Danach schauen wir, was er machen möchte.“
Ich war vollkommen sprachlos, denn so einen Gedankengang hatte ich nicht von Luc erwartet. Er war ja noch fünfzehn, aber das, was er mir hier gerade auf den Tisch gelegt hatte, war exakt das, was ich mir überlegt hatte.
„Du weißt aber auch, dass Mario das Sorgerecht für Stef hat. Er muss damit einverstanden sein. Dass Stef damit einverstanden ist, setze ich mal voraus. Du hast vermutlich schon mit ihm gesprochen.“
„Nein, ich habe noch nicht mit ihm darüber gesprochen, weil ich das erst mit dir geklärt haben wollte.“
„Dann machen wir folgendes, ich spreche mit Mario und du mit Stef. Und anschließend machst du das mit Karl aus. Er hat ein Recht auf Klärung. Ich glaube allerdings, dass er dich gut versteht und diese zwei Jahre warten wird. Außerdem wirst du ja sicher in den Ferien immer mal wieder hier sein.“
Luc stand auf und umarmte mich wortlos. Das geschah in der Öffentlichkeit nur noch selten. Umso schöner fühlte sich diese Geste für mich an.
„So, dann lass uns aufbrechen. Karl erwartet uns gleich zum Essen in der Firma. Außerdem möchte ich mir deinen Camaro mal ansehen.“
Wir machten uns anschließend auf den Weg zu Karl. Dort trafen wir auch auf Mario und Stef, die bereits auf uns warteten.
Luc: Die Pläne für die Zukunft
Zur Begrüßung wurde ich von Stef mit einer Umarmung und einem intensiven Kuss überrascht. Anschließend gingen wir alle in ein in der Nachbarschaft liegendes Restaurant. Es war ein Italiener. Entsprechend bestellten Stef und ich uns eine Pastaplatte für zwei Personen. Wir hatten einen großen Tisch bekommen und jetzt sollten einige Dinge geklärt werden. Mich interessierte zuerst aber, wie würde es mit dem Vater weitergehen.
„Also“, begann Mario, „die Kripo hat uns heute Morgen besucht und wir haben ihnen den Sachverhalt erläutert. Stef wird euch gleich noch erzählen, was genau passiert ist. Ich möchte vorher aber euch allen danken. Ihr habt uns erneut aus dieser schlimmen Lage herausgeholfen. Ohne einmal zu zögern. Ich weiß gar nicht …“
Bevor er weitersprechen konnte, unterbrach Karl ihn sehr direkt.
„Es ist gut. Du musst dich nicht bedanken für eine Selbstverständlichkeit. Du bist mein Mitarbeiter und ihr seid für uns schon lange gute Freunde geworden. Jetzt schauen wir nach vorne. Also, sag an. Was habt ihr jetzt vor?“
Mario schaute genau wie Stef vollkommen konsterniert in die Gesichter von Karl und Barbara. Beide lächelten und auch Papa schien schon mehr zu wissen. Mario brauchte einen Moment, um sich zu fangen. Das nutzte Papa.
„Also ich fange jetzt einfach mal an. Mario, du hörst bitte sofort auf, dir Vorwürfe zu machen. Allerdings ist auch Fakt, so wie es war, geht es nicht. Stef kann momentan hier in München nicht bleiben. Es sind zu viele Erinnerungen und böse Erlebnisse, die jetzt wieder aufgewühlt wurden. Mario hatte mir ja bereits gesagt, dass er sich mit dieser Situation überfordert fühlt. Er kann nicht in Ruhe arbeiten, wenn er gleichzeitig immer in Angst um Stef hat. Mario und ich waren uns im Prinzip einig. Jetzt habe ich eben mit Luc gesprochen und er hat mir einen Vorschlag unterbreitet, den ich persönlich sofort unterstützen würde. Ich bin der Meinung, wir essen jetzt erst einmal, dann gehen Luc und Stef ein bisschen spazieren und ich werde mich mit Karl und Mario mal zusammensetzen. Sozusagen Teambesprechung. Was meint ihr?“
Es wurde von allen zugestimmt und für mich würde das bedeuten, ich musste jetzt Stef erklären, dass ich mich entschieden hatte, zurück in die Schweiz zu gehen, Abitur zu machen und erst anschließend bei Karl in München anzufangen. Wie genau, das musste ich noch klären, aber der Hauptpunkt war, ich musste Stef erklären, dass er mit mir kommen soll.
Nach dem Essen verteilten sich alle in die Grüppchen. Stef und ich beschlossen in den Park zu gehen. Immer wieder nahm er meine Hand und ich konnte seine Anspannung fühlen.
„Luc, du hast dich entschieden. Ich spüre es. Du gehst zurück und machst dein Abitur, oder?“
Er schaute mich ängstlich an, ich nahm ihn in die Arme und drückte ihn ganz fest an mich.
„Ich habe mich entschieden, ja. Aber du bist ein ganz wichtiger Teil meiner Entscheidung. Papa und ich haben heute Vormittag viele Sachen besprochen. Ich möchte, dass du mit mir zurück in die Schweiz kommst. Hier wirst du nicht zur Ruhe kommen. Du machst dort deine Schule fertig, genau wie ich und dann können wir hier in München zusammen wohnen und ich werde bei Karl anfangen. Ich will nicht mehr ohne dich zurück.“
Stef schien vollkommen überrascht, er war sprachlos. Ich erklärte ihm meinen Plan und er bekam immer größere Augen. Als ich fertig war, schien er nicht zu wissen, was gerade passiert war. Ich legte meine Arme um ihn und seine Augen füllten sich mit Tränen.
„Hey, Schatz, nicht weinen. Es gibt doch gar keinen Grund mehr, traurig zu sein.“
Er schluckte und dann kam ein Satz, der mich sehr glücklich machte.
„Ich bin nicht mehr traurig, aber ich kann noch nicht glauben, was du gerade gesagt hast. Heißt das, wir bleiben zusammen und ich darf mit dir in der Schweiz leben?“
Ich kam nicht mehr dazu, noch etwas zu sagen, denn nachdem ich genickt hatte, fiel er mir um den Hals und küsste mich so intensiv, dass mir ein wenig die Luft weg blieb.
Wir schlenderten dann noch ein wenig wortlos durch den Park. Für einen Moment war Stef glücklich, bis zu dem Moment, wo er sich klar wurde, wie das finanziell gehen sollte.
„Aber Luc, wie sollen wir das alles bezahlen? Ich kann doch nicht weiterhin kostenlos im Internat wohnen. Mario bezahlt mir zwar den Unterhalt, aber für das Internat reicht das doch niemals.“
Bei diesem Gedanken wurde er wieder sehr traurig. Ich nahm seine Hand und ich wusste zwar auch noch nicht, wie das gehen würde, aber Papa hätte das nicht vorgeschlagen, wenn er sich nicht dazu etwas überlegt hätte.
„Eines weiß ich, dafür wird es eine Lösung geben. Ganz sicher. Würdest du denn mitkommen wollen?“
Er gab mir keine Antwort, nur einen Kuss und eine feste Umarmung. Dann kam nur ein leises
„Ja“.
Jetzt würde es nur noch darauf ankommen, was Papa mit Karl erreichen würde. Sicher würde ich mit Karl noch ein längeres Gespräch führen, aber ohne Rückendeckung von Papa, machte das keinen Sinn.
„Dann komm. Lass uns zu Papa und Karl gehen. Ich glaube, da stehen jetzt einige Entscheidungen an.“
„Denkst du nicht, Karl wird enttäuscht sein? Er hat schon so viel für uns gemacht und jetzt sagst du ihm, dass du doch nicht die Ausbildung bei ihm machst.“
„Ich weiß es nicht, aber ich werde ja bei ihm anfangen, nur nicht jetzt, sondern erst nach dem Abitur. Aber ich hoffe, er wird das verstehen und mich dennoch weiter unterstützen.“
Nun war ich derjenige, der die Anspannung spürte. Ich musste mit Karl Klartext reden. Ihm meinen Vorschlag unterbreiten und hoffen, dass er damit einverstanden war.
Als wir zu den anderen zurückkehrten, wurden wir bereits erwartet. Es schien fast so, dass Papa mit den beiden bereits eine Strategie beschlossen hatte, denn sie unterhielten sich sehr gelöst und entspannt. Von Entspannung konnte bei mir aber überhaupt nicht die Rede sein. Allerdings nahm mir Karl den ersten Schritt ab.
„Na, Luc. Was hast du Stef für eine Idee unterbreitet? Ich glaube, wir sollten hier mal in die weitere Zukunft schauen. Marc hat uns eben sehr deutlich gezeigt, dass ich wohl bei Dir einen Konflikt ausgelöst habe. Das tut mir leid, ich wollte dich nicht beeinflussen. Du bist immer bei mir willkommen. Egal ob in diesem Jahr oder erst in zwei Jahren.“
Dabei stand er auf und kam auf mich zu. Es folgte eine innige Umarmung, die mich völlig überraschte. Darauf folgend lachte er mich laut an und es schien ihm sichtlich Freude zu bereiten, mich zu verwirren.
„Komm, setzt euch wieder zu uns. Erzähl uns von deinen Vorstellungen. Ich bin jetzt auch still.“
Papa fing an zu lachen und auch Mario grinste uns frech an.
„Also gut, folgendes. Stef kann momentan nicht in München bleiben, weil sich Mario nicht ausreichend kümmern kann und zu viele schlechte Erinnerungen geweckt wurden. Ich würde gerne mein Abitur machen und erst dann hier bei dir mit der Ausbildung anfangen. Ich weiß, dass du mich lieber schon jetzt einstellen möchtest, damit ich dich bald entlasten kann. Aber ich habe einen anderen Vorschlag. Stef und ich gehen zurück in die Schweiz, bis wir unsere Schule fertig gemacht haben. Dann werde ich volljährig sein und möchte ein duales Studium machen. Das wird zwar mehr Stress bedeuten, aber dadurch kann ich schon früh hier arbeiten und gleichzeitig studieren. Außerdem würde ich mir hier mit Stef dann eine eigene Wohnung nehmen und Mario kann sich auf seine Arbeit und sein Leben konzentrieren. Oder wir nehmen uns gemeinsam eine größere Wohnung.“
Karl schaute mich freundlich an und zwinkerte mir zu. Allerdings hatte ich mit Papas Reaktion nicht gerechnet.
„Alles schön und gut, aber wie stellt ihr euch das vor? Wo soll Stef in der Schweiz wohnen? Das Internat steht nicht mehr zur Diskussion. Es dürfte nicht zu bezahlen sein, denn Mario wird jetzt voll für Stef aufkommen müssen, da er ein volles Gehalt hat.“
Ich hatte nicht mit dieser Frage gerechnet, denn ich dachte, Papa hätte sich dazu bereits etwas überlegt. Sonst würde diese ganze Diskussion doch keinen Sinn machen.
Stef reagierte entsprechend aggressiv:
„Was habe ich dir gesagt, es geht so nicht.“
Er wollte schon aufspringen und weglaufen. Papa war allerdings schneller und hielt ihn fest. Stef wehrte sich und erst, als Karl laut wurde, zuckte Stef zusammen.
„Du läufst nicht weg, setz dich wieder hin. Es gibt keinen Grund wegzulaufen.“
Das hatte gewirkt. Stef war sichtlich erschrocken und auch ich hatte nicht mit dieser Reaktion von Karl gerechnet. Als sich Stef wieder gesetzt hatte, entstand für einen Augenblick eine gespannte Stille. Papa übernahm wieder die Führung, indem er das Gespräch wieder aufnahm.
„Jungs, beruhigt euch. Dass das Internat nicht mehr als Option steht, heißt ja nicht, dass es nicht geht. Ich habe eine andere Alternative im Kopf. Aber Stef, du musst lernen, nicht immer gleich in Panik zu verfallen. Du hast hier Freunde und Freunde sind dann wichtig, wenn sie gebraucht werden.“
Stef wurde sogar ein bisschen rot. Es war ihm unangenehm, seine Angst nicht unter Kontrolle zu bekommen. Ich nahm seine Hand und konnte seine Anspannung fühlen. Sie legte sich aber, als er meine Hand fühlte.
Papa fuhr mit seinen Gedanken fort: „Also, fahren wir mal fort. Ich habe mir folgendes mit Mario überlegt. Mario wird weiterhin das Sorgerecht behalten, nur wird Stef nicht mehr in München bei ihm wohnen, sondern in der Schweiz bei uns. Wir nehmen ihn sozusagen bei uns auf. Er wird auf die gleiche Schule wie Luc gehen. Kann also dort sogar Abitur machen, wenn er möchte. Wie genau die Wohnsituation wird, müssen wir sehen. Ich habe die Idee, ihr zieht in die Wohnung von Mick und Lukas, denn es sieht sehr danach aus, dass sie in Deutschland bleiben werden. Sollten sie zu Besuch kommen, haben wir genug Platz. Das kläre ich noch mit den beiden. Also so sieht mein Plan aus.“
Ich war geplättet. Das hatte ich nicht erwartet, aber irgendwie war es doch typisch für Papa. Er hatte sich das sehr wohl schon überlegt, bevor er mir diese Idee unterbreitet hatte.
„Heißt das, wir gehen sofort in die Schweiz zurück? Ich kann hier nicht meine Arbeit beenden?“
„Nein, wir bleiben noch ein paar Tage, ich möchte den Camaro noch begutachten und ich möchte mit Karl noch ein paar Dinge besprechen. So lange bleiben wir hier.“
Ich war sprachlos. Allerdings wollte ich noch wissen, ob sich Karl überhaupt mit meinen Ideen anfreunden konnte.
„Kannst du denn damit leben, wenn ich doch erst in zwei Jahren hier fest anfangen möchte? Ich weiß ja, wie sehr du dir einen passenden späteren Mitarbeiter wünschst. Allerdings weiß ich gar nicht, ob ich überhaupt dafür geeignet bin.“
Karl lachte und grinste über sein ganzes Gesicht.
„Weißt du Luc, du bist mir eine Marke. Natürlich hätte ich dich lieber gleich hierbehalten, aber was nützt mir das, wenn du nicht voll hinter dem stehst, was du tust. Mir ist es viel lieber, du kommst in zwei Jahren mit voller Freude und Elan. Und in einem Punkt bin ich mir ganz sicher, du wirst hier deinen Weg machen. Ganz einfach, weil du genauso denkst wie ich. Ich habe noch nie so einen jungen Mann gesehen, der so viel Freude an Autos hat und sich auch vor der Arbeit nicht fürchtet. Ich wünsche mir nur, dass ihr uns in den Ferien weiterhin unterstützen werdet.“
„Danke Karl, und ja, wir kommen gern nach München, um dich zu unterstützen.“
Alle Augen lagen jetzt auf Stef, der das gesagt hatte. Damit hatte niemand gerechnet, dass Stef das sagen würde. Entsprechend lustig wurde das aufgenommen. Die Anspannung löste sich langsam und es klärte sich einiges. Ich war sehr erleichtert, dass diese Entscheidung gefallen war. Nach einigen weiteren Gesprächen löste sich die Runde dann doch auf. Mario wollte in der Firma bleiben und wieder an die Arbeit gehen. Damit kehrte auch wieder ein wenig Normalität ein. Papa telefonierte dann sehr lange mit Mama und es schien so, als ob er bereits Vorbereitungen für unsere Rückkehr treffen würde.
Ich telefonierte mit Nico und Tommy. Sie waren sehr glücklich über diese Entwicklung und freuten sich, dass Stef wieder zurückkommen würde.
Papa wollte jetzt unbedingt mit Karl und uns den Camaro besichtigen. Also gingen wir quer durch die Werkstatt in die Nebenhalle, wo der Wagen stand. Wir hatten ihn mit einer Plane abgedeckt, um ihn vor Staub zu schützen. Karl und Papa standen vor dem Wagen, als Stef und ich die Plane entfernten.
„Wow, das sieht doch schon richtig nach einem tollen Auto aus. Was steht als nächstes noch an?“
Karl fing an, Papa alle geplanten Arbeiten zu erklären. Es war noch viel zu tun. Vor allem war jetzt noch die Elektrik zu machen. Der neue Kabelbaum war gekommen und sollte eingebaut werden. Das sollte eigentlich auch noch gemacht werden, bevor ich wieder zurückfahren würde. Und dies wäre auch kein Problem, wenn ich die Ferien noch regulär hier bleiben würde. Karl hatte nämlich bei seinen Ingenieuren die Motoreinstellungsarbeiten bereits geplant. Dafür musste die Elektrik aber fertig sein. Papa spürte Karls Bedenken und auch ich fühlte mich nicht so toll bei diesem Gedanken, jetzt die Arbeiten zu unterbrechen.
„Hm, wie lange würde es denn dauern, bis der Kabelbaum drin ist und alles angeschlossen ist?“
Dabei schaute Papa in den Motorraum, wo der neue Achtzylinder mit dem Getriebe bereits eingebaut war. Karl blieb bei uns und erklärte:
„Also wenn Mario und Luc zu zweit daran arbeiten würden, mindestens zwei Tage. Zu dritt geht es natürlich schneller, aber ich kann momentan nicht noch mehr Mitarbeiter abstellen. Eigentlich war das auch erst für die nächste Woche geplant, denn Mario wäre ja eigentlich diese Woche gar nicht hier. Er könnte also mit Luc noch daran arbeiten. Nur weiß ich nicht, ob es gut ist, wenn Stef noch länger hierblieben muss.“
Papa drehte sich um und ich konnte sofort sehen, dass er sich etwas überlegt hatte.
„Nein, Stef bleibt nicht länger hier. Stef fliegt morgen mit meinem Ticket zurück. Luc und ich kommen dann später nach und ich mache mit Luc und Mario die Elektrik hier fertig. Und bevor Luc auf komische Ideen kommt. Das ist entschieden. Stef bleibt keinen Tag länger als nötig hier. Sabine habe ich bereits informiert und sie wird sich darum kümmern, dass du dort gut ankommst.“
Ich war erstaunt. So bestimmt war Papa nur selten. Allerdings fand ich das sehr gut, denn ich wollte Karl nicht noch mehr Probleme machen. Und dass Papa sich mit mir als Mechaniker versuchen würde, das hatte ich absolut nicht erwartet. Zu Hause war das etwas anderes, aber hier, wo alle anderen Mitarbeiter das mitbekommen konnten. Karl staunte auch nicht schlecht.
„Du willst hier selbst schrauben?“
„Warum nicht, Karl? Ob zu Hause oder hier ist doch egal. Kannst du mir vielleicht einen Overall besorgen? Ich habe leider kein Arbeitszeug mitgebracht.“
Damit war die Spannung auch weg, denn da mussten wir alle herzlich lachen. Sogar Stef fand das sehr komisch.
„Gut, dann ist das auch geklärt. Ab morgen geht es los. Karl, kannst du das organisieren, dass Stef morgen zum Flughafen gebracht wird? Ich will dann hier schon loslegen mit Mario. Luc kann ihn noch begleiten.“
„Sicher, Marc. Ich werde dafür sorgen, dass sie rechtzeitig abgeholt werden.“
„Danke, dann würde ich sagen, wir fahren jetzt zu Stef und packen ein paar Sachen zusammen.“
Stef schien ein wenig überfahren zu sein, denn er schaute sprachlos zu Papa und dann zu mir.
„Äh, Papa“, meinte ich dann, „Stef muss doch auch seine ganzen anderen Sachen packen. Das bekommt er doch nicht alles mit. Wie soll das gehen?“
„Ach Luc, mach dir darüber keinen Kopf. Das regel ich noch. Stef, du brauchst nur die wichtigsten Sachen, die du für die ersten Tage brauchst. Das andere mache ich schon.“
„Ok, Marc. Momentan ist das für mich allerdings alles etwas viel auf einmal.“
Stef atmete tief durch und ich gab ihm zur Beruhigung einen Kuss und flüsterte ihm ins Ohr:
„Lass Papa mal machen, er scheint sehr genau zu wissen, was er tut.“
Darauf lächelte Stef wieder und Papa musste das natürlich ausnutzen für eine Neckerei.
„Na, ich möchte gar nicht wissen, was Luc dir gerade versprochen hat.“
Karl und Papa begannen laut zu lachen, aber anschließend brachen wir das in der Werkstatt ab, deckten das Auto wieder zu und Papa bat Karl um ein Auto, um zu Stef fahren zu können. Er gab ihm seinen Hummer und damit ging es dann sehr bald zu Stef in die Wohnung.
Dort vereinbarten wir, dass Stef bereits heute seine Sachen mitnehmen sollte und auch die vorerst letzte Nacht in München bei mir und den Geigers verbringen sollte.
Marc: Einige Aufgaben sind noch zu erledigen
Ich hatte noch einige Dinge hier in München zu regeln. Da war die Ummeldung von Stef und auch der Umzug musste geregelt werden. Schließlich hatte Stef doch mittlerweile viele eigene Sachen hier in München, die jetzt in die Schweiz zu bringen waren. Ich hatte mich entschieden, das von einem professionellen Umzugsunternehmen organisieren zu lassen. Ich wollte meine Zeit lieber mit den Jungs verbringen. Gerade jetzt, nach diesem erneuten Übergriff und den Belastungen für Stef. Ich wollte genau beobachten, wie sich Stef verhält. Sobald wir zurück in der Schweiz waren, wollte ich auch mit seinem Psychologen einen Termin machen. Stef sollte spüren, dass wir ihm jede Hilfe geben würden, die notwendig war.
Die Jungs packten für Stef zwei Taschen mit Klamotten zum Anziehen. Dann brachen wir wieder auf, um zu Karl zu fahren. Stef war sehr nachdenklich, als er die Tür hinter sich schloss.
„Was geht dir gerade durch den Kopf?“, wollte ich wissen.
„Ach, im Moment habe ich das Gefühl, dass ich nicht weiß, wo ich hingehöre. Ich hatte gehofft, dass ich jetzt hier wieder so etwas wie ein zu Hause haben würde. Jetzt geht wieder alles von vorne los. Das macht es nicht einfacher. Als Papa mich in seiner Gewalt hatte, hätte ich ihm am liebsten den Kopf eingeschlagen. Ich hätte es auch getan, wenn ich dazu die Möglichkeit gehabt hätte.“
„Das glaube ich dir sofort. Mir fällt es auch nicht leicht, dich wieder aus deinem Umfeld zu nehmen. Nur, es gibt keine andere vernünftige Lösung. Sicher wäre es besser gewesen, wenn du bei uns geblieben wärst, aber das konnte ja keiner vorhersehen. Jetzt machen wir das Beste daraus und ich bin mir sicher, du schaffst das.“
„Aber wieder muss ich eure Hilfe nehmen und wieder kann ich das nicht allein bewältigen. Es kotzt mich an, dass ich nicht ohne Hilfe zurechtkomme. Wieder dringe ich in eure Familie ein und beanspruche eure Zeit und euer Leben.“
Es steckte viel Wut und Bitterkeit in diesen Sätzen. Ich konnte es auch nachvollziehen. Allerdings war es für mich keine Frage, ob wir das hinbekommen würden. Ich wusste auch, dass es für Luc ganz wichtig war, dass sein Freund in geregelten Bahnen leben konnte. Sonst würde er niemals sein Leben auf die Reihe bekommen. Dafür hatte er sich schon zu sehr mit Stef verbunden.
Die Fahrt verlief erstaunlich wortlos. Ich hatte eigentlich erwartet, dass Luc mehr zu Stefs Äußerungen sagen würde, aber sie saßen wortlos nebeneinander. Allerdings konnte ich in Lucs Gesicht Zorn und Wut erkennen. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, was in seinem Kopf gerade vorging.
Als wir bei den Geigers angekommen waren und Luc mit Stef die Taschen in den Flur gestellt hatte, hatte ich Lust auf einen Kaffee.
„Jungs, bevor ihr auf dumme Gedanken kommt, was haltet ihr von einem frischen heißen Kaffee mit einem schönen Stück Kuchen?“
Luc schaute mich verwundert an, denn es war eigentlich nicht häufig der Fall, dass ich Lust auf Kuchen hatte.
„Schau nicht so komisch, ich habe jetzt Lust auf Kuchen. Was ist mit euch?“
Stef musste lachen, als er Lucs Gesicht sah. Er stimmte mir zu und damit war klar, es sollte Kuchen geben zum Kaffee.
„So, hier hast du etwas Geld, Stef. Jetzt nimmst du Luc und gehst mit ihm beim Bäcker Kuchen kaufen. Ich bereite den Kaffee vor.“
Die beiden Jungs machten sich auf und ich ging in die Küche.
Während ich den Kaffee machte und den Tisch deckte, gingen mir einige Gedanken durch den Kopf. Wir würden jetzt an einer ganz wichtigen Stelle stehen. Unsere Familie würde erneut eine Veränderung erfahren. Daher war es für mich unheimlich wichtig, dass Sabine mich in dieser Situation sofort unterstützte. Sie hatte keine Sekunde gezögert, als ich die Frage stellte, Stef bei uns aufnehmen zu wollen. Im Gegenteil, sie bestärkte mich sogar, dies so schnell wie möglich umzusetzen.
Es würde erneut eine Menge Unruhe ins Haus bringen, denn die Wohnung für Mick und Lukas sollte das neue Zuhause für Luc und Stef werden. Mick und Lukas hatten signalisiert, dass sie sich in Deutschland eine Wohnung suchen wollten und dort ihr Studium beenden wollten und auch danach auf jeden Fall in eine eigene Wohnung ziehen werden. Das hieß, die Möbel von den beiden großen Jungs auszulagern und die Wohnung für Luc und Stef einzurichten. Das sollten die beiden auch so machen, wie sie es gern haben möchten. Das habe ich bei Mick und Lukas so getan und ich wollte es den beiden genauso ermöglichen. Karl hatte mir bereits ein gutes Umzugsunternehmen empfohlen, das die Möbel von Stef aus München in die Schweiz transportieren sollte. Allerdings hatte Mario mir auch die Frage gestellt, ob das überhaupt notwendig wäre. Soviel Aufwand für ein paar Möbel, die nicht so außergewöhnlich waren. Die alten Sachen aus der elterlichen Wohnung waren eh dort geblieben. Ich wollte das mit Stef besprechen, ob er etwas aus München unbedingt behalten wollte, oder ob es nicht sinnvoller wäre, die Sachen dort zu lassen. Denn wenn er Mario besuchen würde, könnte er dort ohne großen Aufwand wohnen.
Mit einem Mal kam Leben in das Haus der Geigers. Die Jungs waren zurück und alberten sogar ein wenig herum. Das war doch ein gutes Zeichen. Es schien so, als ob sie sich beide gefangen hatten und nun für die Zukunft bereit waren. Sie kamen strahlend in die Küche und stellten ein großes Paket auf den Tisch.
„Hui, habt ihr gleich die ganze Kuchentheke gekauft?“
Luc lachte und erwiderte: „Ja, wir waren der Meinung, wir haben etwas Trost und Belohnung verdient. Und du musst ja Nervennahrung haben.“
Dabei stupste er mich in die Seite, so dass ich zusammenzuckte. Beide Jungs bekamen einen Lachanfall und es tat so gut, die beiden wieder befreit lachen zu sehen.
„Stimmt, wie soll ich euch sonst die ganze Zeit zu Hause ertragen können. Also müsst ihr auch in Zukunft immer für genug Nervennahrung sorgen.“
Der Kaffee war bereits fertig und wir hatten noch viel Spaß miteinander. Das Möbelthema hatten wir auch besprochen. Stef war zwar der Meinung, dass es finanziell nicht für neue Möbel reichen würde, aber der Transport würde ja auch Geld kosten. Also einigten wir uns darauf, dass sie sich die Wohnung neu einrichten würden. Sie wollten das Wohnzimmer eh behalten. Das gefiel Luc schon immer und es würde sicher für Mick und Lukas auch in Ordnung sein. Die Küche war ohnehin eine Einbauküche und passte exzellent in die Wohnung. Also musste nur ein neues Schlafzimmer her und sie wollten die Wände mit anderen Farben streichen. Luc schien sehr genaue Vorstellungen zu haben. Das war ein guter Anfang. Denn so hatten beide eine Aufgabe und Stef würde nicht so viel Zeit zum Nachdenken haben.
Luc wollte dann mit mir zurückfliegen und das hieß, er würde eine Woche früher aus München abreisen. Karl war damit einverstanden und ich hatte morgen noch ein paar Dinge hier zu erledigen. Die Uhren waren noch abzuholen und Karl und Barbara musste ich noch für die kommende Woche zu uns einladen, denn Luc hatte ja Geburtstag. Der sollte eigentlich in München gefeiert werden, doch das kam ja nun anders, als ursprünglich geplant. Aber ich wollte unbedingt, dass die beiden dabei sein würden.
Die Jungs waren mittlerweile im Garten verschwunden. Ich räumte noch die Küche auf und hatte die Idee bekommen, den Jungs nahezulegen, den letzten Abend in München noch gemeinsam zu verbringen. Also folgte ich ihnen in den Garten. Sie standen unter der großen Kastanie und küssten sich innig. Da wollte ich dann doch nicht stören und blieb auf der Terrasse. Es dauerte aber nicht lange, bis sie mich bemerkten und zu mir kamen.
„Papa, wir haben dich gar nicht bemerkt. Wie lange bist du schon hier?“
„Ach, ihr seid ja auch beschäftigt und abgelenkt gewesen.“
Dabei konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen und beide Jungs wurden rot.
„Passt schon so. Sagt mal, wollt ihr beiden nicht noch den letzten Abend in der Stadt verbringen? Das Wetter ist schön und ich finde, ihr solltet euch noch einen schönen Abend machen.“
„Papa, ich hätte schon Lust, aber was machst du die Zeit hier? Nicht dass du dich langweilst.“
„Sehr witzig, keine Sorge. Ich weiß schon, was ich dann tun kann. Also was ist, wollt ihr euch fertig machen und mal ein wenig losziehen?“
„Ja, wir wollten eigentlich schon lange mal in das große Kino gehen. Anschließend wird uns bestimmt noch etwas einfallen. Wann sollen wir wieder zurück sein?“
„Also in Anbetracht eures Alters möchte ich, dass ihr um Mitternacht wieder hier seid. Außerdem müssen wir morgen recht früh zum Flughafen.“
Die beiden waren einverstanden und gingen sich umziehen. Ich wusste, dass sie sich gut auskannten und machte mir keine Sorgen. Sabine musste das ja nicht unbedingt wissen. Sie war bei diesen Dingen immer sehr vorsichtig.
Es dauerte auch nicht lange, da standen zwei sehr schick aussehende Jungs vor mir im Garten.
„Wow, ihr seht schick aus. Wollt ihr auf Brautschau gehen?“
Ich musste lachen bei dem Gedanken und auch Luc fand das sehr witzig, nur Stef konterte sehr ernst:
„Nein, ich habe bereits meine Braut gefunden.“
Dann gab er Luc einen Kuss und fing an zu lachen. Erst da wurde mir bewusst, dass er meinen Spruch ebenfalls als Spaß verstanden hatte.
Ich gab Luc noch etwas Geld mit auf den Weg und dann verabschiedeten sie sich auch von mir. Sie sollten mich anrufen, wenn es Probleme geben würde.
Luc: Der letzte Abend in München
Der Kinobesuch war sehr schön und ich habe die Nähe meines Freundes genossen. Immer wieder haben wir uns geküsst und gekuschelt. Jetzt waren wir auf dem Weg durch die City, wir hatten noch genug Zeit und ich wollte mit Stef in das Pub, in dem ich mit Papa war. Ungefähr wusste ich noch, wie wir dorthin kommen würden. Wir standen wenige Minuten später vor der Tür und es kamen uns bereits Stimmen aus dem Gebäude entgegen. Ich schob Stef durch die Tür und war erstaunt, wie voll der Laden war. Es wurde Musik gespielt und viele Briten waren dort und tranken Guiness oder deutsches Bier. Die Dartscheiben waren auch alle belegt und ich schaute mich ein wenig um. Im hinteren Bereich fanden wir noch einen Tisch an den Dartscheiben. Hier war es auch nicht ganz so laut.
Wir bestellten uns etwas zu trinken und verfolgten das Treiben an den Scheiben. Es waren auch einige Jugendliche noch anwesend und die Stimmung war sehr gut. Stef hingegen machte einen leicht angespannten Eindruck.
„Hey, was ist mit dir? Fühlst du dich nicht gut?“
„Ach schon, aber ich verstehe nicht so viel von dem, was hier gesprochen wird. Mein Englisch scheint nicht so gut zu sein.“
Ich musste lachen, denn es ging mir genauso. Das lag aber nicht an unseren Englischkenntnissen, sondern am Dialekt der Leute.
Ich gab Stef einen kleinen Kuss und flüsterte ihm ins Ohr:
„Hey, die sprechen Slang, da versteh ich auch nur die Hälfte. Aber sie sind sehr lustig und nett. Ich war mit Papa schon einmal hier.“
Unsere Getränke kamen und ich prostete meinem Freund zu. Plötzlich traten zwei junge Briten an unseren Tisch und fragten, ob die beiden Plätze noch frei seien. Wir hatten nichts dagegen und somit kamen wir auch recht schnell in ein Gespräch. Wir unterhielten uns auf Englisch, als einer der beiden dann auf Deutsch sagte:
„Also am Abend hier deutsche Gäste zu haben, ist selten. Außerdem seid ihr noch recht jung. Was hat euch hierher verschlagen.“
Ich erklärte es ihm, allerdings spürte ich Stefs Unsicherheit. Es war ihm nicht ganz geheuer. Innerhalb weniger Minuten fanden wir uns inmitten einiger Briten wieder und spielten mit ihnen Darts. Es wurde richtig lustig und auch Stef wurde immer sicherer. Einer der älteren Briten schaute immer wieder zu uns und ich hatte das Gefühl, er hatte begriffen, dass Stef und ich mehr als nur gute Freunde waren. Allerdings blieb er weiterhin sehr freundlich und bald waren wir mitten in einem Spiel Deutschland gegen England. Da unsere Dartfähigkeiten nicht so gut waren, bekamen wir immer ein paar Punkte Vorsprung. Außerdem war es für uns von Vorteil, dass wir keinen Alkohol konsumierten.
Ich stand an der Scheibe und Stef hinter mir. Ich konnte mit diesem Wurf das Spiel gewinnen und das gelang mir auch. Das sorgte bei den Briten für Gelächter, denn unsere Gegner mussten sich Spott und Häme anhören, weil sie gegen zwei deutsche Anfänger verloren hatten. Das wollten diese natürlich nicht auf sich sitzen lassen und forderten uns zu einem neuen Spiel heraus.
Jetzt war die Aufmerksamkeit vieler auf uns gelenkt. Und irgendwann kam dann doch noch ein sehr unschönes Erlebnis. Ich hatte gerade einen sehr guten Wurf gemacht und über 130 Punkte gemacht, als ein Soldat Stef ziemlich böse anmachte. Er schubste ihn sogar ein wenig an die Seite und fing an zu pöbeln. Stef zog sich klugerweise ein wenig zurück. Plötzlich kam der ältere Brite auf uns zu und ging dazwischen. Er zeigte dem Soldaten seinen Ausweis und innerhalb kürzester Zeit hatten drei Security Leute diesen Typen hinaus befördert.
Unsere beiden Tischnachbarn waren peinlichst berührt und entschuldigten sich für diese Entgleisung. Steve, einer der beiden lud uns zu einer Runde Getränke ein und auch der ältere Brite kam wenig später zu uns an den Tisch. Er holte sich einen Stuhl und stellte sich uns vor.
„Hi, ihr beiden. Mein Name ist Bruce und wollte fragen, was genau eigentlich passiert ist. Warum hat euch der Typ so angemacht?“
Wir erklärten ihm sie Situation und er schüttelte nur mit dem Kopf. Es stellte sich heraus, dass Bruce der Kompaniechef der meisten Soldaten hier war. Er war bereits Oberst und entsprechend hatten die anderen Respekt vor ihm.
Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile und es war bald auch kein Geheimnis mehr, dass Stef und ich ein Paar waren. Das spielte aber dort überhaupt keine Rolle. Im Gegenteil, wir wurden immer wieder befragt, warum wir uns so zurückhalten würden.
Dieser Abend war bis dahin wunderschön. Wir hatten richtig viel Spaß und die Briten machten einen tollen Eindruck. Sie waren überaus freundlich und lustig. Leider hatten wir ein wenig die Zeit aus den Augen verloren und es war bereits kurz vor Mitternacht, als wir das Pub verließen.
„Scheiße, das schaffen wir doch nie, pünktlich zu Hause zu sein. Das gibt bestimmt Ärger.“
Ich war auch nicht begeistert, aber ich wusste, Papa würde nicht sauer sein, wenn ich ihn jetzt anrufen würde.
„Bleib ruhig, ich rufe gerade zu Hause an und sage Bescheid, dass wir jetzt nach Hause kommen.“
Ich wählte Papas Nummer und sofort war er dran.
„Luc, was gibt es? Alles in Ordnung bei euch?“
„Hi Papa, ja alles in Ordnung, aber wir schaffen es nicht pünktlich, wir sind gerade erst aus dem Pub gekommen. Kommen jetzt aber nach Hause.“
„Alles klar, danke, dass du Bescheid sagst. Bis gleich dann.“
Als ich das Handy wieder eingesteckt hatte, gab ich Stef einen Kuss und sagte:
„Siehst du, alles kein Problem. Wir können uns in Ruhe auf den Heimweg machen.“
„Luc, bei mir hätte das ein mittleres Desaster gegeben. Meine Eltern wären ausgeflippt.“
„Deine Eltern sind nicht mehr für dich relevant. Du bist jetzt bei deinem Bruder und bei uns. Also hör bitte auf, an deine Eltern bei solchen Dingen zu denken.“
Ich nahm ihn ganz fest in den Arm und wir gingen so durch die Münchner Nacht. Leider kamen wir nicht sehr weit, denn der vorhin schon so unangenehm aufgefallene Typ im Pub hatte uns aufgelauert und hatte leider auch noch zwei seiner Kumpels dabei. Das würde jetzt vermutlich Stress bedeuten.
„Na ihr deutschen Schwuchteln, jetzt geht’s euch an den Kragen. Mal sehen, ob ihr euch auch allein helfen könnt.“
Die Situation war äußerst brenzlig, und bevor ich reagieren konnte, hatte ich bereits einen Schlag in den Rumpf bekommen. Mir blieb die Luft weg und ich sackte für einen Moment zusammen. Ich hatte Stef noch zur Seite gestoßen, so bekam er diesen Schlag nicht ab. Als der zweite Schlag mich traf, wurde es dunkel. Meine Erinnerungen waren an das folgende Geschehen wie ausgelöscht. Stef hatte es mir berichtet, was nun geschah.
Stef war in seiner Angst zurück in das Pub gelaufen und hatte dort Alarm geschlagen. Sofort waren einige der Soldaten mit ihm gekommen und hatten die Angreifer außer Gefecht gesetzt. Anschließend kam die Militärpolizei und übernahm die Angreifer. Allerdings berichtete mir Stef auch, dass die Jungs weniger nett mit ihren Leuten umgehen. Für mich endete dieser letzte Abend in München weniger erfreulich im Krankenhaus. Dort wurde ich genau untersucht und die Platzwunde am Kopf genäht. Die ganze Zeit wich mir Stef nicht einen Meter von der Seite. Wie ein Bodyguard wachte er über mich. Erst als Papa eintraf und die Regie übernahm, beruhigte sich Stef wieder.
„Na, Kleiner. Du hast wohl keine guten Erfahrungen gemacht mit den britischen Soldaten. Was macht dein Kopf?“
Stef wollte schon darauf anspringen und etwas sagen, als ich ihm sagte:
„Lass es, Stef. Nur weil drei Deppen sich nicht benehmen können, sind die anderen Briten nicht schlecht. Sie haben uns ja auch sofort geholfen. Sonst wäre das vermutlich anders ausgegangen.“
Papa stimmte mir sofort zu, und bevor Stef sich noch weiter aufregen konnte, öffnete sich die Tür zum Behandlungszimmer und zwei Polizeibeamte traten herein. Sie stellten sich kurz vor und wollten von uns eine Aussage zu den Vorfällen haben. Wir berichteten ihnen, und als wir fertig waren, fragte mich der Doktor, ob ich noch bereit wäre, auch den britischen Kollegen gegenüber noch einmal eine Aussage zu machen.
Ich stimmte zu und somit also das ganze Prozedere noch einmal, dachte ich zumindest. Aber weit gefehlt. Der Oberst von vorhin betrat das Behandlungszimmer und er stutzte, weil er Papa sofort erkannte. Dann fragte er mich:
„Bist du der Sohn von Marc?“
Ich nickte und dann wurde er richtig verlegen. Er entschuldigte sich für das unmögliche Verhalten seiner Leute und versprach mir, rigoros durchzugreifen. Nach weiteren zehn Minuten war dieses Gespräch auch erledigt und wir konnten endlich nach Hause fahren. Papa hatte sich von Karl den Hummer geliehen und somit waren wir zügig zu Hause. Stef wich mir keinen Zentimeter von der Seite und selbst Papa musste sich zusammenreißen, um nicht laut zu lachen. Es musste wohl sehr komisch ausgesehen haben. Ich mit meinem großen Pflaster am Kopf und Stef, der wie ein angeschlagener Tiger um mich herum lief, um zu verhindern, dass mir erneut etwas passieren konnte.
„Stef, beruhig dich wieder. Ich bin jetzt wieder so gut wie zu Hause und hier wird uns wohl kaum mehr jemand etwas tun.“
„Aber ich habe vorhin nicht aufgepasst, und ich bin einfach weggelaufen, anstatt dir zu helfen.“
Ah, daher wehte der Wind. Er machte sich Vorwürfe. So ein Unsinn. Er hatte genau richtig reagiert und war zurückgelaufen. Dadurch waren mir schlimmere Folgen erspart geblieben.
„Ich glaube, du spinnst. Wenn du nicht geistesgegenwärtig zurückgelaufen wärst, würde ich jetzt vermutlich im Krankenhaus liegen. Also beruhige dich mal, Stef.“
Ich legte ihm meinen Arm um die Schulter und küsste ihn einfach. Das war seit Stunden wieder ein angenehmes Gefühl.
Bei den Geigers angekommen begab ich mich schnell ins Bad, um mich frisch zu machen. Meine blutigen Klamotten zog ich schnell aus und stellte mich unter die Dusche. Plötzlich schaute Papa herein. Entgegen seiner sonstigen Art blieb er bei mir in der Dusche. Ich beeilte mich, und als ich aus der Dusche kam, gab er mir ein großes Handtuch.
„Papa, was ist los? Warum kommst du her?“
„Weil ich in Ruhe ein paar Worte mit dir sprechen möchte. Stef ist sehr aufgewühlt. Ich möchte, dass du dich bemühst, ihn zu beruhigen. Er macht sich immer noch Vorwürfe und hat Angst, es könnte wieder passieren. Das ist Unsinn. Er hat alles richtig gemacht. Also sieh zu, dass er das schnell begreift und zur Ruhe kommt. Morgen früh bekommen wir übrigens noch einmal Besuch. Die Briten möchten euch noch einmal sprechen. Also sieh zu, dass ihr schnell im Bett seid.“
Dabei zwinkerte er mir zu und ich ließ mir das nicht zweimal sagen. Ich ging nach dem Abtrocknen direkt in mein Zimmer, wo Stef bereits auf mich wartete. Trotz meiner Kopfschmerzen umarmte ich ihn ganz fest und gab ihm gar nicht erst die Möglichkeit, sich aufzuregen.
„So, und jetzt lass uns endlich ins Bett. Ich bin kaputt.“
Stef grinste jetzt sogar für einen Moment und innerhalb weniger Augenblicke lag Stef ganz eng an mich gekuschelt neben mir. Es dauerte nur Minuten und wir waren beide eingeschlafen. Ein aufregender letzter Tag in München war zu Ende gegangen.
Marc: Der letzte Morgen in München
Der Tag begann früh. Bereits um acht kam die britische Militärpolizei und befragte die beiden Jungs erneut. Allerdings in meinem Beisein. Es war ein sehr ernstes Gespräch und es wurde uns versprochen, dass hart durchgegriffen wird. Die Soldaten waren bereits auf dem Weg nach England. So würde immer mit Soldaten verfahren, die sich nicht an die Regeln halten würden. Dort würde ihnen ein Prozess vor dem Militärgericht gemacht. Ich hatte vor, diese Angelegenheit meinem Anwalt zu übergeben. Mit diesem letzten Gespräch sollte das für die Jungs abgeschlossen sein. Die Polizisten verabschiedeten sich und baten erneut um Entschuldigung für dieses unschöne Verhalten ihrer Leute. Damit war das Thema erledigt und Luc, Stef und ich saßen noch für einen Moment auf der Terrasse und genossen die Morgensonne.
„So, ihr beiden. Habt ihr alles beisammen? Ich gehe davon aus, dass euer Taxi jeden Moment kommen wird.“
„Wir sind abfahrbereit, Papa. Fährst du gleich in die Firma oder wartest du bis ich zurück bin?“
„Nein, ich fahre schon in Firma. Du kannst Stef noch richtig verabschieden und dann in die Firma kommen.“
In diesem Moment klingelte es und ich machte die Tür auf. Herr Rügamer stand vor mir und wollte die Jungs abholen.
„Jungs“, rief ich, „kommt ihr. Euer Taxi ist da.“
Die beiden kamen nach vorn und Stef hatte seine Taschen in der Hand, die ihm Herr Rügamer sofort abnahm. Stef schaute sehr nachdenklich seinen Freund an und ich konnte mir vorstellen, was gerade bei ihm passierte.
„Komm Stef, steigt schnell ein. Wir beide sehen uns ja bald in der Schweiz wieder.“
Ich umarmte ihn noch einmal ganz fest und dann schickte ich die beiden los. Es sollte nicht zu schwer für Stef werden. Luc machte es auch sehr gut. Er nahm ihn einfach mit zum Auto und stieg ein. Stef hatte gar keine große Gelegenheit, lange nachzudenken.
Als das Auto verschwunden war, rief ich beim Juwelier an und sagte ihm, dass ich heute erst gegen Abend vorbeikommen könnte und er sich keine Sorgen machen bräuchte. Das Problem, was ich nun hatte, wie sollte ich in die Firma kommen. Karl und Barbara waren natürlich schon lange dort und ich hatte kein Auto dabei. Also nahm ich die Straßenbahn, die Luc auch immer benutzte. Als ich in der Bahn saß, spürte ich, heute besonders deutlich beobachtet zu werden. Ich hatte keine Ahnung warum. Als ich ausgestiegen war, sprach mich ein Junge sogar an.
„Herr Steevens, wie geht es ihrem Sohn? Ich hoffe, die Soldaten werden hart bestraft werden.“
Ich war total perplex, woher wusste dieser Junge das? Ich gab ihm schnell eine Antwort und machte mich zügig auf den Weg in die Firma. Dort traf ich zuerst auf Barbara, die am Empfang saß.
„Hallo Marc, hat das mit den Jungs geklappt?“
„Ja, Barbara, guten Morgen. Und Herr Rügamer hat die beiden pünktlich abgeholt. Dafür noch einmal danke.“
„Also das ist doch wohl selbstverständlich. Außerdem hoffe ich, dass es Luc wieder gut geht. Die Zeitungen schrieben bereits von dem Vorfall.“
„Was, echt? Jetzt verstehe ich auch, warum ich in der Straßenbahn nach Luc befragt wurde.“
„Ja, und die ersten Kommentare dazu sehen für die Briten nicht gut aus. Viele fühlen sich hier von ihnen belästigt. Gerade auch am Wochenende. Das war nicht der erste Zwischenfall.“
„So ein Unsinn. Die meisten sind sehr nett und benehmen sich oft besser als viele Deutsche. Und ich werde nicht dazu beitragen, dass es jetzt falsch wiedergegeben wird.“
Barbara lächelte und schickte mich schon einmal direkt zum Umziehen. Mario würde bereits am Camaro arbeiten und dort auf mich warten. Wenigen Minuten später kam ich in die Halle, in der der Camaro stand. Mario hatte schon den Kabelbaum im Auto verlegt. Jetzt ging es an das Anschließen. Der große Schaltplan lag auf der Werkbank und Mario hatte mich noch gar nicht bemerkt. Was mich wunderte, es war noch jemand bei ihm, der im Auto arbeitete.
„Guten Morgen zusammen“, sagte ich, als ich am Auto stand. Mario drehte sich zu mir und freute sich sichtlich, mich zu sehen.
„Hallo Marc. Wie ging es den beiden heute Morgen? Hat alles geklappt?“
„Hi Mario, ja hat alles gut geklappt. Ich denke, Luc ist auch bald wieder bei uns. So, was liegt heute an?“
„Wir haben schon mal begonnen, den Kabelbaum einzuziehen. Jorge hat bereits begonnen, im Innenraum die Kabel anzuschließen.“
„Wer ist Jorge?“
„Ach ja, das ist einer unserer Elektronikauszubildenden. Er kommt ins zweite Ausbildungsjahr und soll uns unterstützen. Anweisung vom Chef.“
Dabei grinste mich Mario an und ich ging an den Wagen, um Jorge zu begrüßen. Er erschrak ein wenig, als ich vor ihm stand. Es war ein Junge mit schwarzen Haaren und etwas älter als Luc. Vielleicht siebzehn oder achtzehn. Er hatte einen südländischen Teint. Als er mich begrüßte, konnte ich einen ganz leichten Akzent hören.
„Hallo Jorge, ich bin Marc Steevens und wir drei werden heute gemeinsam hier arbeiten.“
Er war sichtlich beeindruckt und sehr schüchtern. Mario half ihm ein wenig aus der Situation.
„Hey, Jorge. Du kannst ihm ruhig die Hand geben. Der beißt nicht und ist sogar richtig nett.“
Ich schaute zu Mario und musste einfach lachen. Dieser Spruch war genial, denn auch Jorge musste nun lachen. Damit war das Eis gebrochen und wir legten los. Mario im Motorraum, Jorge im Innenraum und ich hinten am Heck. So konnten wir alle gleichzeitig Kabel anschließen und durchmessen.
„Marc, kannst du bitte mal kommen?“, rief Mario aus dem Motorraum.
„Moment, ich muss grade das Kabel festmachen.“
Anschließend kam ich unter dem Camaro hervor und ging nach vorne.
„Was hast du denn?“
Er zeigte auf den elektronischen Vergaser und die dortigen Stecker.
„Ja, was ist damit?“
„Marc, schau doch mal auf die Kabel und dann auf die Anschlüsse. Fällt dir da nichts auf?“
Ich schaute genau hin und dann fiel es auch mir auf.
„Mist, die Stecker passen nicht zu den Anschlüssen. Wie kann das denn sein?“
Mario und ich standen einen Moment ratlos vor dem Motorraum und ich hielt die Kabel in der Hand, aber es war eindeutig. Sie passten nicht. Jorge hatte mittlerweile auch mitbekommen, dass es ein Problem gab. Er kam aus dem Innenraum heraus und schaute sich das Problem an.
„Wo ist das Problem? Das ist doch nicht schlimm. Das ist normal bei den Amis. Sie haben immer einen Standardstecker an den Kabelbäumen, aber es gibt verschiedene Vergaser und da hat GM Adapter entwickelt. Also keine Panik, ich geh grad mal ins Lager und hole den passenden Adapter.“
Mario und ich schauten uns fragend an. Davon hatten wir beide noch nichts gehört, entsprechend verwundert schauten wir Jorge an. Er hingegen schien zu glauben, wir würden ihm nicht glauben.
„Was ist? Glaubt, äh, glauben Sie mir, Herr Steevens, das haben wir schon häufig gemacht.“
„Also das würde uns viele Probleme lösen. Ich hatte schon Sorge, wir müssten wieder alles ausbauen und einen anderen Kabelbaum einbauen.“
Er lachte und auch Mario schien sehr erleichtert.
„Boah, Jorge, wie gut, dass du bei den Blitzern arbeitest. Ich habe das auch nicht gewusst.“
„Tja, hast du wieder was dazu gelernt. Ich habe da noch etwas, was mir aufgefallen ist, allerdings ist das etwas schwieriger zu lösen.“
Ich wurde nun neugierig und in diesem Moment kam Luc zu uns. Er hatte Stef am Flughafen verabschiedet und war mit Karl zu uns gekommen.
„Na, mein Sohn, alles gut gegangen bei euch?“
Luc nickte nur. Es muss ihm schwergefallen sein, seinen Freund zu verabschieden. Karl wechselte schnell das Thema.
„Wie kommt ihr denn voran? Schafft ihr das bis morgen, dass der Motor läuft?“
„Eigentlich schon“, meinte Mario, „aber Jorge hat ein Problem gefunden. Er wollte uns gerade zeigen, um was es sich handelt.“
Ich gab Jorge zu verstehen, er sollte es uns jetzt zeigen. Er setzte sich in den leeren Innenraum und deutete auf das Armaturenbrett.
„Der Drehzahlmesser ist noch ein alter mechanischer. Das gibt garantiert bald Probleme. Spätestens in einem Jahr ist der wieder kaputt. Ich würde den austauschen auf das spätere Modell. Der war schon elektronisch gesteuert.“
Karl schaute sich das Armaturenbrett an und meinte:
„Also da hat er einfach recht, aber ich weiß nicht, ob wir davon einen da haben, oder den erst in den USA bestellen müssen.“
Ich wollte jetzt wissen, ob es ein Problem wäre, den Motor ohne den Drehzahlmesser anzuschließen und einzustellen. Karl schüttelte den Kopf und schickte Jorge los, im Lager nach den erforderlichen Teilen zu fragen.
„Warte bitte, du sagtest eben, es wäre ein Problem, dass nicht so einfach zu lösen sei. Warum?“
Er drehte sich um und kam noch einmal zurück.
„Naja, der andere Drehzahlmesser braucht eine eigene Zuleitung und ist nicht ganz billig.“
„Gut, ist das mit der Zuleitung jetzt ein großes Problem? Es ist doch noch alles offen und gut zugänglich.“
„Nein, es dauert nur etwa eine Stunde, bis ich alles gelegt und am Motor angeschlossen habe.“
Wir mussten lächeln, denn das war überhaupt kein Problem. Er schien nicht zu wissen, dass das Auto hier in München bleiben sollte.
„Kein Problem, es wird eh noch einiges länger dauern.“
Typisch Karl und wir mussten alle laut lachen. Jorge ging jetzt ins Lager und das gab uns Gelegenheit kurz zu erfahren, wie es Luc und Stef ergangen war. Luc war sehr gefasst und hatte es wohl schon abgehakt. Wir würden ja morgen auch zurückfliegen.
Wir kamen noch sehr gut voran und somit war die Verkabelung am Ende des Tages komplett. Der spannende Moment war nun gekommen. Der Motor sollte das erste Mal gestartet werden. Eigentlich war das immer Chefsache. Ich schickte Luc los, er sollte Karl bitten, das zu übernehmen. Wenige Minuten später kamen beide zurück und alle waren sehr gespannt, ob das Triebwerk anspringen würde.
Karl drehte den Schlüssel, der Anlasser lief und mit einem tiefen Brabbeln sprang der große Achtzylinder an. Ein Grinsen machte sich auf Karls Gesicht breit und bei Luc und Mario war Erleichterung erkennbar. Ich freute mich, dass unsere Arbeit mit Erfolg belohnt wurde. Damit war unsere Aufgabe erfüllt und Karl konnte mit dem Motor auf den Prüfstand und ihn optimal einstellen lassen.
Ich hatte abends noch einiges zu erledigen, insbesondere die Planung mit Karl zu Lucs Geburtstag. Ich bestand darauf, dass sie zu uns kommen würden. Genau wie Mario. Also versprach ich die Feier auf den Samstag nach Lucs Geburtstag zu legen. Dann würden Karl und Barbara keine Probleme mit ihrer Firma bekommen. Das Gespräch mit den beiden war ein hartes Stück Arbeit, denn Karl bestand eigentlich darauf, auf eigene Kosten anzureisen. Das widerstrebte mir total. Ich hatte sie eingeladen und das hieß bei mir, ich würde die Kosten übernehmen. Wir einigten uns dann darauf, dass sie das doch besser für Luc in München aufsparen sollten.
Die Flüge wurden gebucht und dann musste ich noch einmal zu dem Goldschmied. Ich bat Mario, sich solange mit Luc zu beschäftigen. Er sollte es nicht mitbekommen. Auch diese Aktion war schnell erledigt und somit waren wir alle abends gemeinsam zum Essen. Es sollte die letzte gemeinsame Aktion in München werden. Der Abend wurde sehr lustig, aber als wir aufbrachen auch ein wenig sentimental. Mario war doch traurig darüber, dass Luc zurück in die Schweiz gehen würde.
„Komm Mario, es geht doch die Welt nicht unter, nur weil Luc wieder in die Schweiz geht.“
Barbara hatte ein Gespür für Marios Gedanken. Mario wurde sehr still. Ich konnte mir vorstellen, was in seinem Kopf gerade vorging.
„Er kommt sicher bald wieder hier her. Und allerspätestens sehen wir uns bei meiner Hochzeit wieder. Das ist ja auch nicht mehr so weit weg.“
„Habt ihr schon einen Termin gefunden?“, wollte Barbara wissen.
„Nein, aber es soll in den nächsten Wochen passieren. Wir werden euch rechtzeitig informieren, das ist versprochen.“
„Das will ich hoffen. Sonst wären wir schon ein wenig enttäuscht.“
„Nein, Karl. Keine Sorge, ihr seid auf jeden Fall dabei.“
Ich hatte sogar den Plan, beide als Trauzeugen zu wählen, aber das wollte ich noch mit Sabine besprechen. Die Nacht verlief ohne besondere Ereignisse und somit sollte dieses Kapitel mit dem Rückflug in die Schweiz auch positiv zu Ende gehen. Anders als geplant, aber erfolgreich.
Stef: Die Ankunft ohne Luc
Der Abschied am Flughafen war sehr hart. Ich hatte das Gefühl, allein gelassen zu sein. Das war natürlich Unsinn, aber ohne Luc zu fliegen war nicht sehr schön. Im Flugzeug kamen leider die Erlebnisse der vergangenen Tage wieder hoch und Angst breitete sich in mir aus. Ich wäre am liebsten irgendwohin gelaufen. Das war in einem Flugzeug nicht möglich, entsprechend unwohl fühlte ich mich. Ich lenkte mich ab, indem ich auf dem Handy einige Nachrichten verschickte. Einfach nur um mich zu beruhigen. Insbesondere an Luc schickte ich eine längere Nachricht. Ich bekam leider keine Antwort und war darüber auch ein wenig enttäuscht. Irgendwann kam eine Flugbegleiterin zu mir und bat mich das Handy auszuschalten, weil wir in Kürze landen würden.
Das Flugzeug ging in einen schnellen Sinkflug und setzte weich auf der Piste auf. Glücklicherweise hatte ich nicht viel Gepäck dabei und somit war ich recht schnell durch alle Kontrollen durch und konnte mich nach Sabine umschauen. Es war vereinbart, dass sie mich am Flughafen abholen würde. Leider konnte ich sie nirgends finden. Ich schaltete mein Handy wieder ein, um nachzuschauen, ob eine Nachricht angekommen war. Aber außer einer Antwort von Luc war nichts Wichtiges eingegangen. Plötzlich hörte ich eine Ansage:
„Herr Stefan Langen wird gebeten, sich zum Informationsschalter der Lufthansa zu begeben. Ich wiederhole. Herr ….“
Also, auf zum Lufthansa Schalter. Leider hatte ich noch keinen Plan, wo sich der befand. Etwas orientierungslos schaute ich in der Halle umher. Da liefen mir zwei Sicherheitsleute über den Weg. Ich fragte sie nach dem Gesuchten und bekam sofort eine präzise Beschreibung. Nach einigen Minuten Fußwegs erkannte ich das Logo und war erleichtert. Sabine wartete dort bereits und kam mir entgegen.
„Hallo Stef, hattest du einen guten Flug? Ich freue mich, dass du zurück bist.“
„Hallo Sabine, der Flug war gut, aber ich fühle mich nicht so toll. Es fehlt einfach etwas. Und der Gedanke, wieder auf eure Hilfe angewiesen zu sein, macht mir auch zu schaffen.“
Sie legte einen Arm um mich und wir gingen gemeinsam zur Tiefgarage. Erstaunlicherweise stand dort nicht der CTS von ihr, sondern das alte Eldorado Cabrio von Marc. Sabine öffnete den riesigen Kofferraumdeckel und gleichzeitig öffnete sie das Verdeck. Meine Taschen landeten im Kofferraum und nur Augenblicke später rollten wir in die Sonne.
„Stef, damit das von vornherein klar ist, du bist für uns keine Belastung. Du bist eine Bereicherung der Familie. Dass Luc das genauso sieht, muss ich nicht extra erwähnen. Wir sind alle froh, dich wieder gesund und munter, unter uns zu haben.“
Es tat zwar gut, so etwas zu hören, aber richtig glücklich war ich nicht mit der Situation. Die Fahrt durch die warme Luft und die Sonne tat richtig gut. Sabine fuhr auch sehr gemächlich und wir unterhielten uns über die neue Situation. Es tat gut, das Gefühl zu bekommen, hier willkommen zu sein. Als wir auf die Einfahrt fuhren, wunderte ich mich ein wenig. Dort standen in einer Reihe mehrere Mountainbikes. Sabine stellte den Motor ab und mir kam ein besonderer Geruch von Rauch und Grillfleisch in die Nase.
„Ah, ich sehe schon, du hast es bereits bemerkt. Leif hat zur Begrüßung den Grill angeworfen. Es gibt von unserem Hausfleischer frische Wurst und Steaks.“
Ich holte meine Taschen aus dem Kofferraum und wir gingen ins Haus. Ich sollte die Taschen zuerst bei Luc im Zimmer abstellen.
„Möchtest du dich erst einmal frisch machen?“, fragte mich Sabine.
„Eine Dusche würde bestimmt nicht schaden.“
Sie grinste mich an und meinte:
„Du ähnelst immer mehr meinem Luc. Das gefällt mir.“
Ich nahm mir aus meiner Tasche frische Sachen und gönnte mir eine schöne frische Dusche. Als ich umgezogen wieder nach draußen kam, staunte ich nicht schlecht. Leif stand mitnichten allein am Grill. Chrissie und alle unsere Freunde waren zur Begrüßung gekommen. Das war ein tolles Gefühl. Als sie mich bemerkten, wurde ich sehr herzlich begrüßt und von allen umarmt. Auch Jens und Heiko waren gekommen. Diese Situation war sehr überraschend, aber wunderschön. Als Luc anrief und sich erkundigte, wie es mir ging, wusste er genau, was hier geplant war. Er musste immer wieder lachen, weil er sich sehr gut vorstellen konnte, wie mein Gesicht wohl ausgesehen haben musste, als ich alle Freunde vorgefunden hatte. Zum Telefonieren war ich in das Haus gegangen, als ich wieder auf die Terrasse kam, standen alle beisammen. Die Köpfe drehten sich alle zu mir und ich wusste sofort, irgendetwas war im Busch. Was mich allerdings wunderte, es war mittags und alle waren bereits hier.
„Leute, ich freue mich echt riesig über diese Begrüßung, aber habt ihr alle keine Schule?“
Das löste bei allen großes Gelächter aus. Nico ergriff schnell das Wort:
„Warum war denn Luc wohl in München? Weil Ferien sind, du Depp.“
Alles brach erneut in Gelächter aus und ich musste zugeben, da hätte ich auch selbst drauf kommen können.
Schnell wurde der Tisch gedeckt und Leif holte Getränke heraus. Dann kam Sabine noch mit zwei großen Schüsseln Salat und wir konnten beginnen. Es wurde viel gelacht und nicht einmal wurde ich nach den Ereignissen in München gefragt. Wir hatten nur über die kommenden Dinge gesprochen. Ich hatte während der ganzen Zeit nicht einmal das Gefühl, allein zu sein. Das tat so gut. Das waren wirklich meine Freunde geworden und ich konnte sicher sein, dass sie auch für mich da waren. Das war ein ganz neues Erlebnis. Luc war nicht dabei und dennoch waren sie alle meinetwegen gekommen. Auch der weitere Tagesverlauf war toll. Sie hatten sich alle Zeit genommen und wir fuhren gemeinsam mit den Fahrrädern zum Schwimmen an den See, wo Jens und Heikos Großeltern ihren Wohnwagen hatten. Ich hatte nicht eine Minute die Gelegenheit, mir Gedanken zu machen. Wir waren noch Eis essen und erst am späten Abend fuhren wir wieder zurück. Leif, Chrissie, Nico und Tommy begleiteten mich nach Hause. Die anderen fuhren auf direktem Weg nach Hause, beziehungsweise blieben Heiko und Jens noch auf dem Campingplatz.
Ich telefonierte am späten Abend noch einmal sehr lange mit Luc. Erst dabei bemerkte ich, wie sehr er mir fehlte. Allerdings bestätigte er mir, dass sie bereits am nächsten Abend wieder zurückkommen würden. Ich schlief müde gegen Mitternacht ein. Meine Träume waren allerdings sehr unterschiedlich und entsprechend spät wachte ich am nächsten Morgen auf.
Nicht nur spät, sondern auch total verschwitzt und ich fühlte mich nicht wirklich erholt. Auch als ich ins Bad ging, fühlte ich mich noch immer nicht richtig wach. Unter der Dusche versuchte ich mich an die Nacht zu erinnern. Was hatte ich eigentlich geträumt? Alles bekam ich nicht mehr zusammen. Dennoch beunruhigte es mich. Während des Anziehens schaute ich aus dem Fenster und sah einen klaren blauen Himmel und einen tollen Sommertag. Sabine konnte ich bereits im Garten sehen. Sie schnitt ein paar Blumen und nahm sie mit ins Haus. Ich traf sie auf dem Weg zur Küche.
„Guten Morgen Stef, hast du die Nacht gut überstanden?“
Ich war unsicher, was ich sagen sollte. Mir war klar, dass sie sich sofort Sorgen machen würde, aber andererseits wusste ich auch, dass sie mir alle immer helfen konnten, wenn ich ihnen gesagt hatte, was für Probleme ich gerade hatte. Also erklärte ich ihr meine Erlebnisse und wie ich mich gerade fühlen würde. Sie füllte Wasser in eine schöne Vase aus Glas und stellte die frisch geschnittenen Blumen hinein. Dabei hörte sie sehr aufmerksam zu und ließ mich in Ruhe erzählen.
„Du machst dir jetzt Sorgen, ob die Albträume zurückkehren? Oder was ist dein Problem?“
Ich nickte und schaute nach draußen in den Garten.
„Komm, bevor du dich zum Frühstück setzt, lass uns nach draußen gehen.“
Sie nahm mich in den Arm und wir gingen über die Terrasse nach draußen. Vor dem Magnolienbusch blieben wir stehen. Dieser Busch hatte sowohl für Sabine als auch für Luc eine besondere Bedeutung.
„Schau mal, ich habe mit Luc auch sehr schwere Zeiten überstanden. Das ging nur, weil wir uns beide absolut vertraut hatten. Und weil wir daran geglaubt haben, dass es einen Ausweg gibt. Deine Angst ist absolut verständlich, aber ich bin mir sicher, du selbst kannst bestimmen, was daraus wird. Lass dich nicht einschüchtern, sondern lass uns teilhaben. Dann werden wir gemeinsam daran arbeiten. Solange es nicht bedrohlich wird, können wir dir helfen. Alles Weitere werden wir sehen.“
„Du meinst, meine Sorge ist unbegründet?“
„Nein, keineswegs, aber die Angst soll dich nicht lähmen. Wir werden auf dich aufpassen, aber du musst uns daran teilhaben lassen, dann wird diese Angst dich nicht kontrollieren.“
Während wir uns unterhielten, hatte sie mich die ganze Zeit im Arm gehalten und das gab mir ein Gefühl, als ob von ihr eine Menge Energie zu mir floss. Wenige Minuten später hatte ich mich wieder unter Kontrolle und wir gingen gemeinsam zum Frühstück. Ich saß noch keine fünf Minuten am Tisch, als Leif mit Chrissie auch hinzukam. Sie setzten sich einfach zu mir und wir redeten nur über die Tagesplanung. Kein Wort über das, was die Tage zuvor passiert war.
„Marc kommt erst heute Abend mit Luc zurück, was willst du bis dahin den Tag machen?“, fragte mich Sabine.
„Ich habe keine Ahnung, ich wollte vielleicht mal mit dem Rad durch den Wald fahren.“
Sabine schaute mich an.
„Allein? Bist du dir sicher?“
„Ja, warum nicht? Vielleicht kommt ja einer der Freunde mit. Ich wollte mal bei Heiko anrufen, ob die beiden Lust haben.“
„Das ist bestimmt eine gute Idee. Sag bitte Bescheid, wenn du wegfährst.“
Nebenbei hatte ich mir bereits drei Brötchen gegönnt. Ich hatte einfach Hunger und Leif schaute mich immer wieder staunend an.
„Hast du Größeres vor heute, Stef?“, fragte er mich plötzlich.
„Warum?“
„Na, sonst isst du höchstens ein Brötchen und heute schon drei.“
Wir mussten lachen und auch Sabine grinste. Sie setzte noch einen drauf, indem sie meinte:
„Naja, wenn Luc heute Abend wieder da ist, muss er ja in Topform sein.“
Nun brachen alle in lautes Gelächter aus und ein paar Minuten später waren wir mit dem Essen fertig. Ich blieb aber noch ein wenig in der Sonne sitzen, während sich Leif mit Chrissie zum Tennis verabschiedete. Ich nahm mein Handy und rief bei Heiko an. Er freute sich hörbar, dass ich mich bei ihm meldete. Wir vereinbarten einen Treffpunkt und wollten dann gemeinsam zu Jens auf den Campingplatz fahren. Sabine war damit einverstanden.
Heiko und ich waren bereits kurz vor dem Eintreffen auf dem Campingplatz, als ich bei seinem Rad bemerkte, dass der hintere Reifen recht wenig Luft hatte.
„Wann hast du deine Reifen das letzte Mal geprüft?“
„Heute Morgen, warum?“, antworte Heiko.
„Dein Reifen hinten hat sehr wenig Luft. Ich glaube, wir sollten das letzte Stück schieben. Sonst machst du dir deine Felge kaputt.“
Er schaute nach hinten und fluchte laut. Nachdem er abgestiegen war, schauten wir uns das Problem an. Es war eindeutig. Sein Reifen war platt.
„So ein Mist.“
„Ach alles halb so wild. Bis zu Jens ist es ja nicht mehr weit. Die letzten Meter schieben wir und dann schauen wir mal, ob wir das nicht reparieren können.“
„Du kannst ja schon zu Jens vorfahren. Du musst meinetwegen nicht laufen.“
„Nein, wir sind zusammen losgefahren und kommen auch zusammen an. Das macht mir nichts aus.“
Ich stieg ebenfalls von meinem Rad und wenige Minuten später kamen wir bei Jens an. Heiko war ziemlich verärgert und auch in Sorge darüber, wie er wieder nach Hause kommen sollte.
Jens Großvater hatte uns bereits gesehen und kam aus dem Wohnwagen.
„Hallo ihr zwei. Na, das sieht aber nicht so gut aus. Was hast du gemacht, Heiko?“
„Guten Morgen Toni, ich habe wohl nicht aufgepasst und mir etwas in den Reifen gefahren.“
„Da fängt der Tag ja gut an. Aber wenigstens bist du nicht gestürzt. Jens ist noch gerade zum Einkaufen mit seiner Oma. Er müsste aber gleich zurück sein. Möchtet ihr etwas Kaltes trinken?“
„Ja gern, dürfen wir uns so lange hier draußen hinsetzen?“
„Sicher doch, es ist heute wieder so schön.“
Ich schaute mir währenddessen Heikos Rad an. Er hatte genau wie ich auch Schnellverschlüsse und somit brauchte ich nicht viel Werkzeug, um mir das Rad anzuschauen.
„Entschuldigen Sie, haben sie vielleicht eine Luftpumpe und eine Schüssel mit Wasser?“, fragte ich Jens Großvater. Heiko schaute mich fragend an.
„Klar, alles da. Heiko, du weißt ja, wo der kleine Kompressor steht. Die Schüssel Wasser hole ich euch. Hast du Flickzeug dabei, Stefan?“
„Ja, das habe ich immer dabei. Ich bin viel mit Luc unterwegs und da macht das Sinn. Aber ich habe nur eine kleine Handpumpe am Rad. Damit dauert das ewig.“
Er lachte, aber nickte auch anerkennend. Heiko war schon gegangen, den Kompressor zu holen und ein Kabel für Strom. Ich baute schnell das Rad heraus und drehte das Ventil auf, damit die restliche Luft entweichen konnte. Dann zog ich den Mantel von der Felge und den Schlauch heraus. Heiko hatte mittlerweile den Kompressor angeschlossen und wir füllten den Schlauch. Im Wasserbad konnten wir schnell das Loch finden. Heiko staunte, wie schnell und sicher ich das machte.
„Cool, Stef. Ich hätte das nicht gekonnt. Jetzt lerne ich auch noch, wie das geht. Beim nächsten Mal kann ich das dann auch alleine machen. Wer hat dir das gezeigt?“
„Luc und Marc. Marc legt immer Wert darauf, dass wir das alles selbst können. Sonst dürften wir auch nicht so viel allein im Wald fahren.“
In diesem Moment kam Jens mit seiner Oma vom Einkaufen und begrüßte uns freudig. Er staunte ebenfalls darüber, wie schnell und selbstverständlich ich den Reifen reparierte. Er ließ sich von Heiko erklären, was passiert war und was ich bereits gemacht hatte. Nach weiteren fünf Minuten war alles geflickt und ich ließ Heiko den Schlauch aufpumpen. Jetzt hieß es einen Moment warten, ob der Schlauch auch dicht war.
„Stef, das ist echt toll, dass du Heiko hilfst. Ich könnte das auch nicht selbst machen. Mein Opa hat das dann immer für mich gemacht.“
„Na, dann wird das aber Zeit, dass ihr das lernt. Solche Kleinigkeiten muss man selbst machen können.“
„Stef, hast du nicht Lust, meinem Enkel das ein bisschen zu zeigen. Ich finde das gut, dass du das selbst machst.“
Ich schaute die beiden Jungs an und sie schienen über diesen Vorschlag erfreut zu sein.
„Kann ich machen, aber Luc kann das sicher viel besser. Wenn er heute Abend zurückkommt, kann ich ihn ja fragen, ob wir das nicht gemeinsam machen.“
Damit wir bald mit den Rädern wieder losfahren konnten, baute ich alles wieder zusammen und ging mir noch die Hände waschen. Wir wollten ein wenig durch die Gegend fahren und Jens schien sich richtig darauf zu freuen. Allein traute er sich immer noch nicht so gern, zu fahren.
Luc: Wiedersehen mit Stef in der Schweiz
Papa und ich saßen im Flugzeug und ich freute mich jetzt doch sehr, Stef wieder zu sehen. Es war ja nur ein Tag, aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Der heutige Tag hatte mir viele Klarheiten gebracht und mittlerweile war ich davon überzeugt, dass wir die richtige Entscheidung getroffen hatten. Für mich war ganz wichtig gewesen, dass Karl diesen Schritt unterstützte und mir nicht böse war.
Die Zeichen zum Anschnallen leuchteten auf, und als ich den Gurt angelegt hatte, sah Papa zu mir.
„Na, Kleiner. Freust du dich auf zu Hause? Oder freust du dich mehr auf deinen Freund?“
Dabei grinste er mich provozierend an. Ich wusste ja, das war nicht so ernst gemeint.
„Ich freue mich auf beides. Aber das Schönste für mich ist, dass du Karl davon überzeugt hast, dass es so der richtige Weg ist.“
Er schüttelte den Kopf.
„Nein, ich habe dazu nicht viel beigetragen. Du hast mit deiner Art, wie du deine Wünsche erklärt hast, deutlich gezeigt, wie der Weg aussehen soll. Karl möchte nur, dass du mit Spaß und Freude bei ihm bist. Es läuft ihm nichts weg. Jetzt, wo er weiß, dass du bei ihm anfangen wirst.“
Ich wollte widersprechen, denn ohne Papa wäre das niemals so abgelaufen, aber er blockte alle Versuche ab und wir beendeten unseren Dialog damit, dass wir uns jetzt erst einmal um die Sachen hier am Flughafen kümmern würden. Das Flugzeug landete butterweich und zwanzig Minuten später waren wir in der Tiefgarage. Papa öffnete seinen Ferrari und ich stellte die Taschen hinein. Das Dach öffnete sich fast lautlos und nach wenigen Minuten wehte uns der Fahrtwind um die Ohren. So langsam wurde ich doch ein wenig unruhig. Stef hatte mir einige Nachrichten geschrieben, dass er mit Heiko und Jens einen schönen Tag hatte und er sich jetzt auf mich freuen würde. Mir ging es genauso, ich war froh, dass wir wieder zusammen sein konnten. Auch wenn die Umstände nicht so waren, wie es mal geplant war.
Wir hatten den Ferrari noch nicht ganz verlassen, als Stef bereits durch die Tür gestürmt kam und mich freudestrahlend umarmte. Der dann folgende Kuss tat so gut. Es fühlte sich einfach nur großartig an. Ich hielt meinen Freund fest im Arm und er küsste mich immer wieder. Ich blendete alles um uns herum aus. Erst als wir bemerkten, dass wir nur noch allein in unserer Einfahrt standen, wurde es etwas peinlich. Papa war einfach ins Haus gegangen und hatte uns dort zurückgelassen.
„Oh man, wie peinlich. Da werden wir uns wohl gleich ein paar Sprüche anhören müssen.“
„Mir egal, Stef. Ich bin froh, dass wir wieder zusammen sind. Da nehme ich mir das Recht, das auch zu zeigen. Komm, lass uns reingehen.“
Ich nahm Stef an die Hand und wir betraten gemeinsam unser Haus. Meine Taschen stellte ich in den Flur und wir gingen durch bis in den Garten. Dort saßen Mama und Papa bereits auf der Terrasse und grinsten uns an.
„Wollt ihr euch einen Moment zu uns setzen? Oder lieber erst noch ein wenig Wiedersehen feiern?“
„Mama, das ist unfair. Ich freue mich halt, dass wir wieder zusammen sind. Was meinst du Stef, setzen wir uns zu den beiden?“
Bevor ich eine Antwort bekam, ging Stef einfach auf den Tisch zu und setzte sich auf einen Stuhl. Damit war das geklärt. Dieses gemeinsame Sitzen auf der Terrasse würde in der Zukunft wieder häufiger stattfinden. Darauf freute ich mich sehr. Wir besprachen die weitere Planung für die nächsten Tage, und als soweit alles geklärt schien, hatte Papa noch eine wichtige Information.
„Bevor ihr beide entlassen seid, habe ich noch zwei Dinge mitzuteilen. Zum ersten ist Stefs Vater bis auf weiteres in eine geschlossene Klinik eingewiesen worden. Er wird dort auf unbestimmte Zeit bleiben. Zumindest bis zum Gerichtsprozess. Also wird er euch nicht mehr gefährlich werden können. Damit möchte ich Stef bitten, nicht mehr über diese Sache nachzudenken. Es ist vorbei. Was nicht heißt, wenn du Probleme bekommst, dass du mit uns nicht reden kannst. Im Gegenteil, wir erwarten, dass du zu uns kommst, damit wir gemeinsam das lösen können.“
Stef schien ein wenig peinlich berührt, aber was ich ganz toll fand, er stand auf und umarmte meine Eltern. Das hatte er noch nicht oft getan. Umso überraschter und erfreuter waren beide.
„Und was ist die zweite Information, ich hoffe, sie ist genauso gut, wie die Erste.“
„Ich glaube schon, Luc. Wir wollen in einer Stunde zum Essen fahren. Leif und Chrissie sind dann auch zurück und kommen ebenfalls mit. Ich finde, wir müssen uns mal wieder bei Salvatori sehen lassen. Er muss ja auch wissen, dass Stef wieder da ist.“
Jetzt mussten wir alle laut lachen. Das tat richtig gut. Wieder unbeschwert lachen können und nicht ständig mit Problemen und Angst beschäftigt zu sein.
„Bis dahin könnt ihr euer Wiedersehen feiern.“
Stef schaute Papa fragend an. Er schien sich darüber zu wundern, dass wir nicht bei ihnen bleiben mussten. Ich nutzte das allerdings sofort aus und zog Stef von seinem Stuhl hoch und wir verschwanden in mein Zimmer.
Innerhalb weniger Augenblicke waren wir in eine kleine Rangelei geraten, bei der Stef immer wieder versuchte mich zu kitzeln. Es dauerte auch nicht lange bis unsere T-Shirts auf dem Boden lagen und er dann meinte.
„Lass uns die Zeit nutzen und ein wenig im Bett kuscheln.“
Dabei zog er sich seine Shorts bereits aus und sein steil nach oben stehender Schwanz ließ mir das Blut in den Meinigen schießen. Es wurde eine sehr schöne aber auch kurzweilige Stunde. Nachdem wir beide das erste Mal sehr schnell gekommen waren, konnten wir das zweite Mal länger genießen. Die Folge war jedoch, dass wir beide unter die Dusche mussten, da wir total verschwitzt waren.
Innerhalb von zehn Minuten hatten wir uns beide komplett wieder angezogen und gingen gut gelaunt mit meiner Familie zum Essen. Salvatori hatte uns wie immer unseren Stammtisch vorbereitet und das Essen war eh über jeden Zweifel erhaben. Zur Feier des Tages hatte Papa noch für alle einen großen Eisbecher spendiert, mit dem wir gerade beschäftigt waren, als mich Papa nach unseren Plänen für die nächsten Tage fragte.
„Ich glaube, wir werden mit Tommy und Nico etwas unternehmen. Außerdem hat Leif ja bald ein großes Turnier. Da wollen wir auf jeden Fall zuschauen.“
Stef schien noch eine weitere Sache auf dem Herzen zu haben.
„Also ich habe da auch noch eine Bitte. Heiko hatte mich heute gefragt, ob wir noch einmal zusammen Billard spielen könnten. Für Jens ist das eine der wenigen Sportarten, die er ohne Schmerzen ausüben kann.“
Ich schaute Stef irritiert an.
„Heißt das, wenn er mit uns Beachvolleyball gespielt hat, hatte er dabei ständig Schmerzen?“
Stef nickte etwas betroffen.
„Ja, Heiko sagte mir das erst heute. Für Jens sind alle stärkeren Berührungen auf der Haut sehr schmerzhaft. Das liege an den Narben.“
„Ich möchte gerne mehr von den beiden erfahren. Ich habe sie ja kurz in München kennengelernt, aber wir hatten nicht wirklich Zeit uns kennenzulernen. Was hat das mit Jens auf sich?“
Stef und ich schauten uns an und dann erzählten wir die Geschichte. Alles, was wir bislang dazu wussten. Leif und Chrissie blieben verdächtig still. Als wir fertig waren, meldete sich Mama zu Wort.
„Also ich finde es sehr erstaunlich, dass die Mutter von Jens sich so wenig um ihn kümmert. Sie scheint ja nur sich selbst im Kopf zu haben. Wie gut, dass da noch die Großeltern sind. Ich würde mich freuen, wenn ihr die beiden zu uns einladet. Schatz, was meinst du dazu? Du hast sie ja schon kennengelernt.“
„Auf jeden Fall. Bringt sie einfach mal hierher. Ihr könnt unten am Tisch spielen und wir kümmern uns dann um alles Weitere.“
„Papa, du solltest aber wissen, dass beide große Angst vor euch haben. Sie meinen immer, wer so berühmt sei, hat bestimmt was Besseres zu tun, als sich um zwei kleine Jungs zu kümmern.“
Chrissie musste nun lachen. Sie schüttelte den Kopf und sagte:
„Da scheint ja noch jemand diese falschen Vorstellungen zu haben. Mir ging es nämlich genauso, als Leif mich das erste Mal hierher einlud.“
„Wie man sieht, hast du es überlebt“, meinte Papa mit einem breiten Grinsen.
„Nein, im Ernst. Wir werden das schon hinbekommen. Bringt sie einfach mit und wir machen den Rest dann. Das klappt schon.“
„Alles klar, das werden wir dann morgen mal in Angriff nehmen.“
Mama hatte noch ein Anliegen. Sie wollte mit mir besprechen, wie ich mir denn meinen Geburtstag vorstellen würde. Der stand in der nächsten Woche an. Ich erklärte ihr, dass ich am liebsten mit meinen Freunden gemeinsam etwas unternehmen würde. Und abends dann bei uns grillen möchte. Mama fand das ok und ich sollte ihr eine Liste geben, wer alles kommen sollte, damit sie entsprechend einkaufen konnte. Papa hatte nichts dagegen, war aber der Meinung, die Feier sollte erst am Samstag sein. In der Woche wäre das doch etwas ungünstig, gerade für Mario. Denn das war klar, ich wollte Mario schon dabei haben.
„Das ist eine gute Idee, Papa. Dann machen wir das am Samstag. Stef und ich überlegen uns etwas, was wir machen wollen. Kommen Mick und Lukas auch?“
„Davon kannst du ausgehen, gesagt haben sie jedenfalls nichts Gegenteiliges. Deshalb wäre es eben auch gut, das am Wochenende zu machen.“
Papa winkte dann dem Kellner, dass wir bezahlen wollten und er beglich die Rechnung. Auf der Rückfahrt merkte ich doch ein wenig meine Müdigkeit. Ich wäre fast im Auto eingeschlafen. Nur weil Stef mich immer wieder daran hinderte, blieb ich wach. Allerdings hatte ich beschlossen, heute früh ins Bett zu gehen. Ich war einfach kaputt. Stef hatte nichts dagegen und somit gönnten wir uns einen gemütlichen Abend zu zweit in meinem Bett und schliefen recht bald ein.
Marc: Es kehrte schnell wieder Alltag ein
Die weiteren Tage kehrte recht schnell wieder Normalität bei uns ein. Stef hatte zwar einige unruhige Nächte und auch sonst viel zu tun. Er musste sich hier wieder anmelden und auch an der neuen Schule mussten wir ihn anmelden. Es waren noch Ferien, das half uns allen mit der neuen Situation besser zurechtzukommen. In den ersten Tagen hatte ich mir noch recht viel Zeit frei gemacht, um auf Stef ein genaues Auge zu haben. Allerdings war das nicht wirklich nötig und somit hatte ich mit Karl und Barbara noch einmal telefoniert und sie zum kommenden Wochenende eingeladen. Sie sollten die Überraschungsgäste für Luc werden.
Mick und Lukas würden schon am Donnerstag anreisen. Das war der Geburtstag von Luc. Heute war Mittwoch und Luc hatte es endlich geschafft, Heiko und Jens für morgen zu uns einzuladen. Sie waren bis gestern noch auf dem Campingplatz und hatten den Großeltern von Jens beim Aufbau eines neuen Vorzeltes geholfen. Luc und Stef waren auch dort für einen Tag zum Helfen. Ich hatte mich mit Sabine mittlerweile auf einen Termin für die Hochzeit geeinigt und auch bereits alle Behördengänge dafür erledigt. Jetzt ging es daran, die Einladungen vorzubereiten und vor allem den Ort festzulegen, wo die Feier stattfinden würde.
Es gab aber auch ein paar kleine Probleme mit der Technik. Sabine hatte mit ihrem E-Type ein paar Probleme, denen ich heute auf den Grund gehen wollte. Ich hatte mich mit Stephan in der Werkstatt verabredet. Luc war mit seinem Freund heute zum ersten Mal Tennis spielen. Stef wollte das mal ausprobieren und ich fand das sehr gut. Er hatte zum ersten Mal von sich aus gefragt, ob er das mal versuchen darf. Leif hatte ich gebeten, mit ihnen zu gehen. Er war derjenige, der bereits die besten Fähigkeiten hatte und außerdem würde das dem Zusammenhalt der drei Jungs gut tun. Leif hatte sogar darauf verzichtet, seine Freundin mitzunehmen.
Jetzt saß ich in Sabines E-Type und fuhr den Motor warm, um dann in der Werkstatt bessere Werte zu haben. Sie berichtete immer wieder über einen stotternden Motor, gerade wenn er warm gefahren war. Ich vermutete ein Problem mit der Benzinzufuhr, während meine Mechaniker Jungs eher auf die Elektrik tippten. Das Wetter war seit Wochen sehr stabil und warm. Ich rollte mit der schnurrenden Raubkatze über die Landstraße und genoss den Fahrtwind. Immer wieder wurde das Auto freundlich gegrüßt. Fußgänger und auch selbst Radfahrer erfreuten sich an dem wunderschönen Auto. Leider hatte dieser Jaguar noch einen Nachteil, er hatte großen Durst. Die Tanknadel neigte sich dem E entgegen und ich sollte jetzt besser tanken. Aber ich wollte testen, ob es mit dem Benzindruck Probleme geben würde. Dafür musste der Tank recht leer sein. Allerdings war die Tankanzeige recht ungenau, deshalb hatte ich vorsorglich einen zehn Liter Kanister in den Kofferraum gestellt. Ich beschleunigte und eine großartige Geräuschkulisse entfaltete sich durch den Zwölfzylinder. Es war immer wieder beeindruckend, was für eine Kraft bereits damals vorhanden war. Ich setzte zum Überholen an und schon war ich vorbei. Leider hatte ich nicht auf meine Geschwindigkeit geachtet und es dauerte nur noch wenige hundert Meter, als vor mir auf der Straße eine Polizistin mit einer Kelle winkte und mich aufforderte, rechts in eine Haltebucht zu fahren.
„Guten Tag, eine Verkehrskontrolle. Einmal Ihren Führerschein und die Fahrzeugpapiere bitte.“
Ich gab der Beamtin das Gewünschte und sie schaute sich alles an. Dann lächelte sie und meinte:
„Herr Steevens, wir haben Sie angehalten, weil sie ein wenig zu schnell unterwegs waren. Hier ist nur eine Höchstgeschwindigkeit von 70 erlaubt. Sie waren aber mit knapp 90 unterwegs.“
Na toll, dachte ich. Aber ich hatte das Schild mit der 70 nicht bemerkt. Nun gut. Die Lage war eindeutig und ich wollte ja auch zügig in die Werkstatt. Ich schaute zur Uhr und stellte fest, viel Zeit hatte ich nicht mehr. Ich versuchte erst gar nicht mit der Beamtin zu diskutieren, sondern entschuldigte mich für das Fehlverhalten. Sie lächelte und ging zu ihrem Kollegen, der in einem Bulli saß. Dort wurden meine Daten notiert und dann bekam ich meine Papiere zurück. Sie erklärte mir noch, dass ich demnächst einen Bußgeldbescheid bekommen würde und ermahnte mich, in Zukunft daran zu denken, dass die öffentliche Straße keine Rennstrecke sei.
Ich startete den Motor und fuhr wieder los. Leider kam ich nicht mehr sehr weit und der Motor begann zu stottern und zu ruckeln. Ich suchte mir schnell eine Stelle, wo ich ungefährdet anhalten konnte, öffnete den Kofferraum und füllte den Kanister in den Tank. Leider hatte das nicht den gewünschten Effekt und der Motor ging komplett aus. Er ließ sich auch nicht direkt wieder starten. Also nahm ich mein Handy und rief bei den Jungs in der Werkstatt an. Stephan meldete sich und riet mir, einen Moment zu warten. Dann sollte ich es noch einmal versuchen. Genauso machte ich das und siehe da, er sprang sofort wieder an.
Also das sprach sehr für ein elektrisches Problem. Ich fuhr auf direktem Wege in unsere Werkstatt, wo mich die beiden bereits erwarteten. Wir berieten, was wir zuerst machen wollten. Ich überließ es den beiden, die Entscheidungen zu treffen, denn sie hatten mit alten Autos deutlich mehr Erfahrungen. Nach einer Stunde hatten wir bereits viele Fehlerquellen überprüft, allerdings ohne Erfolg. Erst als Stephan alle Zündspulen durchgemessen hatte, stellte sich heraus, dass eine davon einen Wackelkontakt hatte. Er rief beim hiesigen Jaguarhändler an und fragte, ob dort eine Spule vorhanden wäre. Das war natürlich nicht der Fall. Sie müsste bestellt werden. Die Konsequenz war, die Raubkatze musste in der Werkstatt bleiben, bis die Zündspule da war. Ich rief bei Sabine an.
„Hallo Schatz, wir haben den Fehler bei deinem Auto gefunden. Leider muss das Teil aber bestellt werden. Könntest du mich vielleicht hier abholen?“
„Aber sicher doch. Schade, ich wollte eigentlich heute noch mit Manuels Mutter einen Nachmittagsausflug machen. Dann sage ich das mal ab.“
„Warum das denn? Es sind doch genug Autos da. Du kannst auch gern meinen Ferrari nehmen.“
„Nein, das hilft leider nicht. Ich brauche schon ein altes englisches Auto. Du weißt doch, da sind die immer gleich beleidigt, wenn man nicht mit einem britischen Auto kommt.“
„Ach so, du willst zu den britischen Autofreunden. Hm, stimmt. Da ist heute der Stammtisch. Aber sag mal noch nicht ab. Mir fällt da noch etwas ein, was dir helfen könnte.“
„Ok, ich fahre dann mal los, dich abholen. Bis gleich.“
Nach einer Viertelstunde standen wir gemeinsam vor ihrem Jaguar und Stephan erklärte ihr, was genau kaputt war. Anschließend verabschiedete ich mich von den beiden Schraubern und fuhr mit Sabine im Caddie nach Hause.
„Du brauchst also ein britisches Auto, um da gleich hinfahren zu können?“
„Ja, Schatz. Aber wir haben leider nur den Jaguar. Also wird das wohl nichts.“
„Doch, wir haben noch ein weiteres britisches Auto. Zumindest mit englischen Wurzeln.“
Jetzt schaute sie mich verwundert an. Mittlerweile standen wir wieder in unserer Einfahrt und ich öffnete mit der Fernbedienung die Garage. Wir stiegen aus und ich holte die Papiere der Cobra. Ich zeigte sie Sabine und sie lächelte.
„Du willst mich wirklich mit der Cobra losschicken? Ich bin die noch nicht oft gefahren. Sie hat so viel Leistung und ist so wertvoll.“
„Jetzt hör aber auf, du kannst mit allen Autos fahren, die wir haben. Das habe ich dir schon tausend Mal gesagt. Also los, du nimmst die Cobra und dann ab mit dir. Manuels Mutter wird schon auf dich warten.“
Sie umarmte mich und gab mir einen Kuss. Ich gab ihr die Schlüssel und die Papiere und verabschiedete mich von ihr bis zum Abend.
Ich nutzte die Gelegenheit mir einen grünen Tee aufzusetzen und setzte mich damit in den Garten. Es war ein herrlicher Tag und niemand war im Haus. Das war eigentlich in der letzten Zeit sehr selten geworden. Immer hatte ich irgendwelche Leute um mich herum, oder war unterwegs. Es war herrlich, die Vögel zu hören und einfach mal nur zu entspannen. Die Jungs waren auf dem Tennisplatz und würden erst gegen Abend zurückkommen. Morgen hatte Luc Geburtstag und er hatte Jens und Heiko zu uns eingeladen. Die beiden wussten vermutlich nicht, dass Luc Geburtstag hatte. Die Feier sollte ja auch erst am Samstag stattfinden. Ich hatte für Luc und Stef noch die beiden Uhren als Geschenk und eine besondere Überraschung. Tom und Mika wollten ebenfalls kommen. Tom war ein alter Fahrerkollege und mittlerweile ein guter Freund. Mika und Luc verstanden sich immer sehr gut, aber Tom lebte eben in Dänemark mit seiner Familie. Aber jetzt war die Gelegenheit günstig, einen Besuch zu realisieren.
Stef: Luc hat Geburtstag
Heute sollte mein Schatz einen tollen Tag erleben. Die große Feier war zwar erst für Samstag angesetzt, aber ich wollte mit ihm heute viel erleben. Dass er dafür Heiko und Jens zu uns eingeladen hatte, fand ich zwar merkwürdig, aber es sollte sich herausstellen, dass er sich etwas dabei gedacht hatte.
Ich hatte mir extra den Wecker gestellt, damit ich vor Luc wach sein würde. Das Frühstück hatte ich bereits vorbereitet. Sabine hatte mir dabei geholfen und jetzt hatte ich die Aufgabe, Luc zu wecken. Ich streichelte ihm ganz behutsam über sein Gesicht. Er schlief noch ganz tief, denn ich brauchte doch einige Zeit, ihn zu einer Reaktion zu bewegen. Allerdings hatte er mich wohl auch ein wenig gefoppt. Plötzlich umfassten mich seine starken Arme und zogen mich zu ihm hinunter. Er gab mir einen leidenschaftlichen Kuss, und nachdem ich mich vom Schreck erholte hatte, mussten wir beide lachen.
„Du bist richtig fies. Erst lässt du mich dich vergeblich wecken und dann überfällst du mich mit einer Kussattacke.“
„Hat es dir nicht gefallen?“, fragte er mich mit gespielter Trauermiene.
„Doch“, und ich legte noch eine Reihe von Küssen nach.
Dadurch kam es allerdings, dass wir etwas länger brauchten, um zum Frühstück zu erscheinen. Luc sprang noch schnell unter die Dusche und ich ging schon auf die Terrasse. Dort erwarteten mich alle. Sogar Leif war schon wach. Alle schauten mich mit einem Grinsen an, selbst Sabine konnte sich das nicht verkneifen.
„Luc muss ja wie ein Stein geschlafen haben. Oder warum hast du so lange gebraucht?“, fragte mich Marc.
„Also, was ich aus dem Zimmer gehört habe, lässt eher auf eine andere Beschäftigung hindeuten.“
Typisch Leif, diese Spitze konnte er sich nicht verkneifen.
„Du bist doch nur neidisch, dass deine Freundin heute nicht hier schlafen durfte.“
Dabei gab ich ihm ein fieses Grinsen zurück. Für Marc und Sabine das Zeichen, dass sie laut lachen mussten. Marc ergänzte:
„Cooler Konter, Stef. Du machst dich langsam im Team Steevens. Das hätte Luc nicht besser gekonnt.“
In diesem Moment kam Luc zu uns nach draußen. Marc und Sabine standen auf und umarmten ihn. Sie gratulierten zum Geburtstag und auch Leif reihte sich da ein.
Als wir am Tisch saßen und ein wirklich üppiges Frühstück genossen, kam Marc auf die Tagesplanung zu sprechen.
„Was hast du heute so vor? Ich habe von Stef gehört, du hast Heiko und Jens eingeladen.“
„Ja. Sie wissen auch nicht, dass ich Geburtstag habe. Die Feier ist ja erst Samstag. Sie denken, ich habe erst am Samstag Geburtstag.“
„Und was möchtet ihr heute machen? Seid ihr mittags hier, oder sollen wir heute Abend zusammen essen?“, fragte Sabine.
Luc musste grinsen. Ich hatte keine Ahnung, was er sich ausgedacht hatte.
„Also wenn alles klappt, dann sind wir mittags unterwegs. Ich wollte mit den beiden erst eine Runde durch unser Haus machen und dann eine große Tour mit dem Rad. Dabei wollte ich in Papas Werkstatt und ihnen das zeigen. Jens ist ja auch so ein Autofreak. Er würde auch so gerne Motorrad fahren. Leider darf er das noch nicht. Seine linke Hand kann noch nicht so richtig zugreifen. Das würde mit der Kupplung schwierig werden.“
„Na, bis zu seinem Führerschein hat er ja noch Zeit, dafür zu trainieren. Mal sehen, was wir da machen können. Wann wolltet ihr an der Werkstatt sein?“
„Keine Ahnung, bist du heute dort?“
„Ja, ich muss unbedingt den Benzinfilter der Cobra reinigen. Mama war ja gestern damit unterwegs und meinte, sie würde bei langsamer Fahrt ruckeln.“
Luc erzählte dann den geplanten Ablauf, und als wir seiner Mutter erklärt hatten, dass wir unterwegs irgendwo einkehren würden zum Essen, war auch sie beruhigt. Luc schaute zur Uhr und wollte schon aufstehen. Die beiden Freunde mussten gleich ankommen, aber Marc hielt ihn noch zurück. Marc stand vom Tisch auf, ging kurz ins Haus und kam mit einer kleinen Schachtel zurück.
„Luc, ich möchte dir zu deinem Geburtstag etwas schenken. Dieses Geschenk ist von uns allen als Familie und soll für euch beide sein.“
Dabei zeigte er auch auf mich. Ich wurde mit Sicherheit rot, denn damit hatte ich jetzt überhaupt nicht gerechnet. Er übergab Luc die kleine Schachtel und bat Luc, sie vorsichtig zu öffnen. Das tat er auch. An seinem sich verändernden Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, es musste etwas Außergewöhnliches drin sein.
„Boah, sind die geil. Ihr seid doch total verrückt. Wo hast du die her?“
Luc schaute seinen Vater fassungslos an. Ich konnte leider immer noch nicht erkennen, um was es sich dabei handelte. Marc lächelte und blieb ganz ruhig.
„Die habe ich in München besorgt, als wir in dem kleinen Laden waren. Du weißt schon.“
Luc überlegte einen Moment, dann schien er es begriffen zu haben. Denn er nickte verständnisvoll.
„Du hattest das bemerkt, dass ich die Uhren dort so toll fand? Das ist ja krass. Vielen, vielen Dank.“
Er umarmte seine Eltern und endlich konnte ich sehen, um was es sich handelte. Eine sehr tolle Armbanduhr. Sie sah edel aber schlicht aus. Genau so etwas liebte mein Freund. Allerdings winkte er mich nun zu sich und griff erneut in die Schachtel. Dabei holte er eine exakt gleiche Uhr aus dieser. Mir wurde gerade ganz warm, denn sein Gesicht ließ erahnen, was nun kommen würde.
„Schau mal Stef. Hier ist noch eine Uhr und lies einmal, was in dieser Uhr eingraviert ist und was in der anderen steht.“
Er gab mir beide Uhren und ich las. Dabei bekam ich ein richtiges Herzrasen.
„Ihr seid verrückt. Das meint ihr nicht ernst, oder?“
Marc lächelte nur und legte mir seinen Arm auf die Schulter.
„Doch, Stef. Ihr habt euch das beide verdient. Ich wusste, dass Luc einen Faible für solche Uhren hat, aber er hat es bislang immer abgelehnt. Er war der Meinung, er sei zu jung für so eine Uhr. Diesmal habe ich nicht mehr gefragt, sondern es einfach gemacht. Ich finde, das passt zu euch beiden. Ihr gehört zusammen, genau wie diese beiden Uhren.“
Ich konnte es nicht verhindern. Vor Freude und Rührung liefen mir ein oder zwei Tränen aus dem Gesicht. Luc bemerkte dies sofort und strich sie mir aus dem Gesicht und gab mir einen zärtlichen Kuss. Er legte mir die Uhr an und es fühlte sich großartig an. Ich spürte sie kaum, so toll lag sie am Handgelenk. Plötzlich begannen Sabine, Leif und auch Marc zu klatschen. Luc strahlte und ich war sehr gerührt.
„Ich wünsche euch viel Freude damit und passt gut darauf auf. Jetzt beruhigt euch mal wieder und kümmert euch um den Besuch. Die beiden müssten ja jeden Moment hier sein.“
Luc umarmte noch einmal seine Eltern und dann klingelte es auch schon an der Tür. Er machte sich auf den Weg an die Tür. Das war für mich die Gelegenheit mich auch noch einmal bei Marc zu bedanken.
Ich hörte lauter werdende Stimmen und schon stand Luc mit Heiko und Jens in der Terrassentür.
Marc begrüßte die beiden Jungs und bot ihnen an, sich zu uns an den Tisch zu setzen. Allerdings schien Jens doch noch sehr unsicher zu sein. Luc gab mir ein Zeichen und somit gingen wir zu viert erst einmal durch das Haus. Bei Jens konnte ich trotz der Wärme ein zweites T-Shirt unter dem Polohemd erkennen. Wir hatten bis auf Mick und Lukas Wohnung alles gezeigt und Heiko war beeindruckt. Jens sogar sprachlos. Heiko äußerte sich dann zuerst:
„Das ist wirklich ein super schönes Anwesen. Da kann man neidisch werden. Zeigst du uns nun dein Zimmer?“
„Klar, da gehen wir als nächstes hin. Kommt mit.“
Luc ging vorweg und ich am Ende. Als wir in unserem Zimmer waren, schauten sich die beiden um.
„Möchtet ihr vielleicht etwas Kaltes trinken?“, fragte ich.
Jens drehte sich zu mir und antwortete:
„Oh ja, das wäre echt gut. Danke.“
Ich machte mich auf den Weg in die Küche, eine Flasche Cola zu holen. Gläser hatte Luc genug im Zimmer. Ich schenkte uns die Cola ein und nahm dann auch in der Sitzecke bei den anderen Platz. Nachdem wir uns kurz über den neuesten Stand unterhalten hatten, schlug Luc vor, sich mit den Rädern auf den Weg zu machen.
„Nanu, wo willst du denn mit uns hin?“, fragte Heiko.
„Lasst euch überraschen. Heute ist ein Tag der Überraschungen für euch. Seid ihr soweit, dass wir starten können?“
Es kam kein Widerspruch und somit machten wir uns auf den Weg zu unseren Rädern. Luc sagte noch Bescheid, dass wir jetzt losfahren würden. Wenige Minuten später waren wir unterwegs. Luc wählte den Weg durch den Wald, den wir auch schon oft gefahren waren. Auf dem höchsten Punkt gab es den Hochsitz, von wo man über den ganzen Ort schauen konnte. Luc erinnerte Jens noch einmal daran, dass er Bescheid sagen sollte, wenn es für ihn zu anstrengend oder schmerzhaft würde, aber bis zum Hochsitz hielt er gut mit. Wir stellten die Räder unten ab und stiegen die Leiter empor. Oben angekommen, hatten wir den wunderbaren Ausblick. Obwohl Jens und Heiko aus dem Nachbarort kamen, hatten sie diesen Blick noch nie gesehen. Luc und ich standen zwischen Heiko und Jens. Luc legte mir seinen Arm um meine Hüfte und erklärte den anderen beiden den Ort. Luc schien einen konkreten Plan zu haben, was er heute mit uns vorhatte, denn wenige Minuten später stiegen wir bereits wieder hinab zu den Rädern. Der Weg führte uns weiter durch den Wald und Luc fuhr voraus. Mir war nicht entgangen, dass es Jens immer schwerer fiel, Lucs Tempo zu halten. Heiko versuchte immer wieder Luc zu bremsen, ohne dass er direkt auf Jens Probleme einging. Ich nahm an, es war Jens unangenehm, dass wir auf ihn Rücksicht nehmen mussten. Mir war das jetzt aber zu gefährlich. Ich überholte Heiko und schloss zu Luc auf.
„Schatz, wir müssen eine Pause machen und auch langsamer fahren. Für Jens ist das zu heftig.“
Luc schaute zu mir herüber.
„Warum sagt er denn nichts? Ich hatte es doch gesagt, er soll sofort Bescheid sagen.“
„Ach Luc, es ist ihm halt unangenehm. Er weiß, was für eine Familie wir haben, er hat vorhin gesehen, was für ein tolles Zuhause wir haben und dass deine Eltern auch noch immer für uns Zeit haben. Das kennt er so alles nicht. Außerdem will er vielleicht auch so normal sein, wie es eben geht.“
Luc: Ein schöner Tag
Ich war genervt. Ich hatte es nicht bemerkt, dass es Jens nicht gut ging und er sich nicht traute, uns das zu sagen. Es war meine Verantwortung auf diesem Ausflug. Ich überlegte einen Moment.
„Stef, was denkst du. Wenn wir hier vorne rechts abfahren, geht es bergab bis in den Ort hinein. Dort werden wir dann in der Eisdiele eine ausgiebige Pause machen.“
Wir fuhren nebeneinanderher und Stef nickte nur. Damit war klar, wie es laufen sollte. Stef ließ sich wieder zurückfallen und ich bremste auch etwas ab. Ich wollte, dass wir zusammenbleiben. Einige Augenblicke später fuhren wir wieder gemeinsam bergab. Jens konnte gut mithalten, aber als wir im Ort vor der Eisdiele die Räder abstellten, konnte ich erkennen, dass er vollkommen durchgeschwitzt war. Das war nicht gut. Der Schweiß auf den Narben würde bestimmt weh tun.
Bevor ich etwas sagen konnte, nahm er jedoch ein frisches T-Shirt aus seinem Rucksack und wollte es über das durchnässte Shirt drüber ziehen.
„Jens, zieh das nasse Shirt erst aus. Sonst hilft das doch nicht. Am besten gehst du gerade auf die Toilette. Wir setzen uns schon mal an den Tisch.“
Er schämte sich seiner Narben so sehr, dass er sich nicht vor uns umziehen wollte. Das tat mir sehr weh, auch Heiko spürte das. Als wir noch ohne Jens am Tisch saßen, meinte Heiko.
„Leute, ihr wisst ja gar nicht, was ihr für Jens heute macht. Ich habe ihn schon lange nicht mehr so glücklich erlebt. Luc, du hast ein gutes Gefühl für die Situation, aber wie schaffen wir das, dass er endlich aufhört, sich für seinen Körper zu schämen?“
„Indem wir es als normal ansehen und ihm einfach sagen, wie er es machen soll. Wir sollten einfach sein Handicap so annehmen.“
Alle Augen schauten auf Stef. Er hatte absolut Recht und so wollte ich das machen. Jens kam zurück und setzte sich zu uns an den Tisch. Ich wollte später, dass sich Papa seine Haut ansieht, denn Papa hatte die Idee, dass sich sein Physio, mit dem er ab und an noch für seinen Rücken etwas arbeitete, Jens mal anschaut und vielleicht ein Reha Programm aufstellt.
„Und alles in Ordnung, Jens? Möchtest du dir auch etwas aus der Karte aussuchen. Wir haben alle schon etwas gefunden.“
Er schaute mich an und nahm lächelnd die Karte, die ich ihm hingehalten hatte.
„Und bevor jemand auf dumme Ideen kommt, heute lade ich euch alle ein.“
Stef wusste ja warum, aber die beiden anderen bekamen große Augen. Stef grinste und übernahm jetzt das Kommando.
„Also, wenn ihr keinen Stress haben möchtet, dann lasst es so stehen. Wenn Luc sich einmal entschieden hat, wird er das nicht mehr zurücknehmen.“
„Blödmann“, erwiderte ich.
Die Bedienung trat an unseren Tisch und nahm die Bestellung auf. Stef nutze immer wieder die Möglichkeit, mir seine Zuneigung zu zeigen. Das wäre vor einigen Wochen in der Öffentlichkeit unvorstellbar gewesen.
„Sagt mal, ihr habt die gleichen Armbanduhren. Die sehen richtig toll aus, aber auch sehr teuer. Sind die neu?“, bemerkte Heiko nun.
Stef schien das etwas unangenehm zu sein. Ich fand, es war eine gute Gelegenheit mit der Wahrheit herauszukommen.
„Ja, die habe ich zu meinem Geburtstag bekommen. Papa meinte, es wäre an der Zeit für uns, auch nach außen zu zeigen, dass wir zusammengehören.“
Im gleichen Atemzug gab ich Stef einen Kuss. Jens schien das ein wenig unangenehm zu sein, aber Heiko grinste.
„Wann hattest du denn Geburtstag? Ich habe das gar nicht mitbekommen.“
„Was meinst du Stef, soll ich es ihnen sagen?“
Stef lachte laut und nickte.
„Ja, ich finde, du solltest die Katze aus dem Sack lassen.“
„Na gut. Also, ihr konntet es auch nicht mitbekommen. Ich habe nämlich heute Geburtstag und ihr seid meine besonderen Gäste.“
Heiko schüttelte überrascht den Kopf, während Jens ziemlich sprachlos war.
„Wir dachten, du hättest am Samstag Geburtstag. Da soll doch die Feier stattfinden.“
„Tja, allgemein sind ja einige Dinge etwas anders geworden, als ursprünglich geplant. Heute wollte ich aber mit euch einen schönen Tag verbringen und euch meine Eltern etwas näher vorstellen. Deshalb fahren wir gleich ein wenig weiter zu unserer Außenstelle.“
„Außenstelle?“, fragte Jens.
„Ja, dort bin ich oft mit Papa und bastel ein wenig herum. Wir zeigen es euch.“
Dabei bemerkte ich, dass Stef ein wissendes Lächeln im Gesicht hatte.
Eine halbe Stunde später rollten wir mit den Rädern auf den Hof unserer Werkstatt. Papa schien noch nicht da zu sein, denn es stand kein Auto auf dem Hof. Das verwunderte mich etwas. Wir stellten die Räder an die Wand und ich öffnete die Tür. Komisch, Papa war doch schon da und arbeitete an der Cobra. Da sah ich auch, warum kein Auto auf dem Hof stand. Er war mit dem Motorrad gefahren. Ich drehte mich um, um zu schauen, ob die anderen mir gefolgt waren. Ich schaute in die Augen von Stef, der mich wieder umdrehte. Somit betraten wir hintereinander die Halle. Papa hatte uns bereits bemerkt und kam uns entgegen.
„Na, ihr vier. Wie war euer Ausflug bislang?“
„Bislang sehr lustig, Herr Steevens“, meinte Heiko.
Jens nickte bestätigend und Papa machte das wie immer sehr clever, er verwickelte beide in ein Gespräch und somit hatten sie gar keine Gelegenheit, sich schüchtern zurückzuziehen. Es dauerte auch nicht lange und es wurde viel gelacht und Papa erzählte ein paar lustige Geschichten aus seiner aktiven Zeit. Jens wurde immer gelöster und sicherer. Dann meinte Papa:
„Sag mal Jens, stimmt das? Du würdest gern Motorrad fahren, aber du darfst nicht, weil es mit deinen Händen zu schwierig ist.“
Jens wurde sehr still. Ich konnte förmlich fühlen, wie sehr es ihn aufwühlte. Er hatte große Probleme, seine Gefühle zu kontrollieren. Ich gab Heiko ein Zeichen, er sollte seinem Freund behilflich sein, aber Heiko schüttelte den Kopf. Da nahm Papa ihn einfach in den Arm und führte ihn zu seinem Motorrad. Er forderte Jens auf, sich auf das Bike zu setzen und siehe da, er konnte sich sehr wohl festhalten, aber noch nicht richtig zugreifen. Da kam Papa auf die Idee, Jens einen Helm zu geben und mit ihm eine Runde zu fahren. Es war zu schön zu sehen, wie zuerst ein ungläubiges Staunen und dann ein Leuchten in Jens Augen zu erkennen waren.
Während Papa ihm alles erklärte, zeigte ich Heiko die Werkstatt und die Autos, die Papa dort stehen hatte. Heiko kannte sich gut aus, auch mit den alten Autos. Dann startete Papa die Maschine und sie rollten aus der Halle. Wir schauten ihnen hinterher, und als sie um die Ecke bogen, begann Heiko einen Freudentanz zu machen. Stef und ich mussten furchtbar lachen, aber Heiko erklärte es uns dann.
„Nach all den Schmerzen und der Trauer wird das heute ein ganz besonderer Tag für ihn werden. Das könnt ihr euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich für ihn freue. Luc, das ist das Schönste, was ihr für ihn tun könnt. Ihr seid Freunde. Und zwar richtige Freunde, die ihn so akzeptieren, wie er ist.“
Er umarmte uns beide und wir gingen nach draußen und warteten auf die Rückkehr der beiden. Ich hatte uns etwas zu trinken geholt und wir begannen schon einmal über den Samstag zu sprechen. Wie viele Leute ich eingeladen hatte und ob das wirklich so richtig sei, dass sie auch kommen sollten. Sie seien ja doch etwas jünger, meinte Heiko. Stef gab ihm klar zu verstehen, dass wir erwarten würden, dass sie kommen. Da konnte auch Heiko nicht mehr widersprechen und somit waren doch einige Minuten vergangen, aber Papa war immer noch nicht zurück. Doch in diesem Moment hörte ich den großen Zweizylinder brabbeln. Sie kamen zurück und ein sichtlich bewegter, aber glücklicher Jens, stieg vom Motorrad.
Abends hatte sich Papa extra für uns viel Zeit genommen und immer wieder mit Jens auch über seine Verletzungen gesprochen und ihm gute Hinweise gegeben. Irgendwann saßen wir auf der Terrasse und hatten gerade ein sehr üppiges Abendessen vertilgt, als Papa mit Jens in den Keller ging. Ich wusste, was nun kommen würde. Er würde genau wie mit mir damals ein paar Übungen machen. Er wollte Jens motivieren, für seine Gesundheit zu kämpfen und zu arbeiten. Auch wenn von seiner Mutter nicht viel Unterstützung zu erwarten war. Damit es für Jens nicht zu angenehm sein würde, blieben Stef und ich oben im Garten. Nur Heiko folgte ihnen kurze Zeit später.
Wir waren sehr gespannt, wie Jens diese Arbeit mit Papa aufnehmen würde.
Nach etwa einer Viertelstunde kam Heiko wieder nach draußen.
„Jens möchte, dass ihr mit in den Keller kommt. Er möchte euch etwas sagen.“
„Wow, damit habe ich nicht gerechnet. Ich dachte, das würde ihn noch zu sehr belasten, wenn wir dabei sind.“
„Es war sicher gut, dass ihr nicht einfach mit hinuntergegangen seid. Allerdings ist einiges schon passiert und ich glaube, ihr solltet einfach mitkommen.“
Also marschierten wir zu dritt in den Kellerraum, wo Papa seine Geräte stehen hatte. Jens saß auf seinem Schoß mit freiem Oberkörper und Papa machte mit ihm Greifübungen und testete immer wieder seine Kraft in der Hand. Es musste sehr anstrengend und schmerzhaft für Jens sein, aber er kämpfte und ließ nicht locker. Erst als Papa uns bemerkt hatte, unterbrach er die Übungen. Jens war total verschwitzt und wirklich kaputt, aber er war glücklich. Er wollte aufstehen, fing dabei an zu taumeln und Papa hielt ihn fest und zog ihn wieder zurück.
„Langsam Jens, das ist richtig anstrengend, was wir hier machen. Du bist noch nicht so fit.“
Jens ließ sich zurückfallen und Papa hielt ihn einfach fest im Arm. Jens wollte uns immer wieder etwas sagen, aber er schaffte es einfach nicht. Er war zu überwältigt von diesen Erfahrungen.
„Kommt Leute, ich glaube, es ist besser, wir warten oben auf euch.“
Stef und auch Heiko waren schon auf dem Weg hinaus, als Jens uns zurückrief.
„Wartet bitte.“
Wir drehten uns um, und obwohl er völlig erschöpft war, sagte er:
„Luc, ich weiß nicht, wie ich das jemals zurückgeben soll. In der kurzen Zeit habe ich mehr gelernt, als in den vielen Jahren zusammen. Dein Vater hat mir gezeigt, dass es sich lohnt zu kämpfen und dass ich noch viel mehr kann, wenn ich trainiere.“
Dabei flossen jetzt Tränen der Rührung und Freude über sein Gesicht.
„Ich weiß sehr gut, wie du das zurückgeben kannst. Kämpfe für deine Gesundheit und zeige uns, dass du willst. Wir werden dich immer unterstützen. Oder, Papa?“
Papa strich Jens über den Kopf und ergänzte: „Ganz bestimmt. Wir werden eine Lösung finden und ich werde mit deinen Großeltern sprechen, dass du einen Physiotherapeuten bekommst, mit dem du regelmäßig arbeiten kannst. Solange wir da noch keine Lösung haben, arbeiten wir hier weiter. Ist das ok?“
Jens nickte wortlos. Er war überwältigt und auch Heiko hatte wohl nicht mit so einer Entwicklung gerechnet.
Es wurde noch ein langer Abend und Heiko und Jens mussten sogar Bescheid sagen, dass sie später nach Hause kommen würden, denn Mama und Papa hatten sich ganz viel Zeit genommen und Jens erzählte uns seine ganze traurige Geschichte. Aber Papa baute ihn immer wieder auf und auch Heiko unterstützte ihn dabei. Obwohl Stef und ich ja schon den Großteil der Geschichte kannten, waren wir immer wieder erschüttert. Als der Abend sich dem Ende zuneigte, ergriff Papa noch einmal das Wort:
„Jens, du bist hier immer willkommen. Die Freunde unserer Kinder sind hier immer gern gesehen. Ich verspreche dir, ich rede mit deinem Großvater und, wenn du möchtest, auch mit deiner Mutter. Du kannst das. Du musst an dich glauben. Wir tun das jedenfalls.“
Damit endete dieser Abend mit unseren neuen Freunden Jens und Heiko und ich wusste erneut, dass ich die besten und tollsten Eltern überhaupt hatte.
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