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Second serve

Teil 4

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Inhaltsverzeichnis

Fynn: Der Umzug

Heute wurde es ernst. Der Umzug stand an. Mama hatte sogar dafür gesorgt, dass wir einen Transporter hatten, in den wir alles einladen konnten. So mussten wir nur einmal fahren. Die meisten Möbel aus meinem Zimmer nahm ich mit. Lediglich mein Bett und der Schrank blieben zurück. Wir hatten uns ein neues Bett ausgesucht und auch einige kleinere Möbel waren neu zusammengestellt. Mama hatte mir versprochen, dass sie dafür sorgen wird. Sie hatte ihr Wort gehalten und auch Dustins Möbel und Sachen waren schnell zusammengepackt. Für ihn würde das Jugendamt noch mehr Sachen zur Verfügung stellen. Wir hatten direkt nach dem Frühstück begonnen, unsere Sachen in Kisten und Kartons zu verpacken. Mama und auch mein kleiner Bruder halfen uns tatkräftig und ich war noch mehr überrascht, als Mama sogar selbst den Transporter fuhr. Allerdings dauerte es doch bis zum Mittag, bis wir alles verstaut hatten. Mama entschied daher, dass wir erst nach dem Mittagessen in Richtung Halle aufbrechen würden.

Verständlicherweise hatte Mama heute keine Zeit zu kochen, daher hatten wir für uns Pizza bestellt und saßen jetzt gemeinsam am Mittagstisch. Patrick hatte wie immer als Erster seine Pizza vernichtet.

Dustin hatte sich bereits den ganzen Morgen zurückgehalten, schaute mich aber immer wieder sehr unsicher an. Ich suchte seinen Blick und dann hatte ich mich entschieden.

„Ähm, Patrick“, begann ich etwas nervös, „ich möchte noch etwas bekannt machen. Bevor du es von anderen erfährst, möchten Dustin und ich dir mitteilen, dass wir ein Paar sind. Dustin ist mein Freund.“

Dustin war sichtlich angespannt und auch ich hatte keine wirkliche Ahnung, wie mein kleiner Bruder das aufnehmen würde. Sein Gesicht war ziemlich regungslos und es dauerte bestimmt zwanzig Sekunden, bevor eine Reaktion kam. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht antwortete er:

„Danke, aber das ist für mich keine Neuigkeit mehr. Ich bin weder blöd noch blind. Und bevor wir hier lange herumreden, für mich ist das kein Problem. Allerdings möchte ich anmerken, dass ich doch eher auf Mädchen stehe.“

„Ich weiß.“

Was war das denn? Dustin hatte das gesagt. Woher sollte er das wissen?

„Hab ich was verpasst?“, fragte ich deshalb etwas erstaunt.

Dustin musste grinsen und wollte schon etwas dazu sagen, aber im letzten Moment schien er es sich anders zu überlegen.

„Ich erkläre es dir später, ok. Ich möchte das jetzt nicht weiter erörtern.“

Patrick schien sehr erleichtert zu sein und das wollte schon etwas heißen, denn eigentlich war er immer cool und hielt sich uns gegenüber für überlegen. Das sah jetzt aber gar nicht danach aus. Also musste Dustin etwas wissen, was ich noch nicht wusste. Egal, für mich war jetzt etwas anderes wichtig.

„Das heißt also, du hast kein Problem damit, dass dein großer Bruder einen Freund hat?“

Wieder kam ein fieses Grinsen in sein Gesicht, doch erneut sprang mein Freund dazwischen: „Überleg dir jetzt gut, was du sagst. Ich plaudere sonst ein bisschen.“

Das Grinsen verschwand wieder und ganz sachlich antwortete Patrick:

„Nein, es ist wirklich ok. Ich habe es mir schon länger gedacht, aber hoffentlich wird das für andere Leute nicht zum Problem. Also ich meine Schule und jetzt in Halle. Wissen die schon Bescheid?“

Mama hatte uns die ganze Zeit aufmerksam zugehört, sich aber aus diesem Gespräch herausgehalten. Ich erklärte meinem Bruder die Lage und wer bereits Bescheid wusste. Als ich fertig war, meldete sich Mama doch zu Wort:

„Selbst die anderen Spieler werden es bald mitbekommen. Ich denke, ihr solltet es genauso machen, wie heute mit Patrick. Sagt den Leuten in der WG Bescheid, sie werden es eh bald mitbekommen. Alles andere wird sich zeigen. Und damit das klar ist, ich stehe weiterhin voll hinter euch. Sollte es zu Problemen kommen, helfe ich, wo ich kann.“

Das war ein tolles Gefühl. Nach dem ganzen Versteckspiel eine Befreiung und Dustin schien das genauso zu empfinden. Er legte sein Besteck an die Seite, stand auf und umarmte meine Mutter mit einem leisen „Danke“.

Sie lächelte und streichelte ihm über den Rücken.

Eine halbe Stunde später hatten wir die Küche aufgeräumt und ich verabschiedete mich von Patrick, bevor wir nach Halle aufbrachen. Patrick konnte nicht mitfahren, da nicht genug Platz im Transporter war. Aber wir würden das auch allein schaffen. So viele schwere Sachen hatten wir nicht zu tragen.

„Also Kleiner, vielen Dank für deine Hilfe und pass gut auf Mama auf. Ich denke, wir kommen zwischendurch auch mal vorbei. Solange Papa noch nicht wieder zurück ist.“

Wir umarmten uns noch einmal und fuhren los in Richtung Halle. Unterwegs war natürlich Thema, wie es uns wohl dort ergehen würde und wie die anderen mit der Situation umgehen würden. Mama machte uns Mut. Sie meinte, solange wir mit uns selbst ehrlich seien und das machten, was wir für richtig hielten, könnte uns eh keiner was.

Gute Haltung, aber wir waren ja auch abhängig vom Team und manchmal auch vom Verband. Nun ja, es half alles nichts, denn verstecken wollten wir uns nicht mehr. Entsprechend aufgeregt und angespannt kamen wir in Halle an.

Der Empfang war sehr freundlich. Und für uns total überraschend, halfen uns die großen Jungs aus der WG sofort beim Tragen. Damit hatten wir absolut nicht gerechnet. Entsprechend schnell waren die Sachen aus dem Transporter in unserem kleinen Appartement.

„Danke Maxi und Alex. Ihr habt uns sehr geholfen.“

Ich gab beiden die Hand und wir vereinbarten, uns heute Abend mal zusammenzusetzen. Das gefiel mir gut. Vielleicht würde sich dabei auch gleich eine Gelegenheit ergeben, mit ihnen über unsere Situation zu reden. Sie mussten noch zum Training und somit verabschiedeten sie sich von uns und meiner Mutter.

Dustin war sichtlich beeindruckt von den beiden.

„Sag mal Martina, sind hier alle immer so nett?“

Martina grinste Dustin an.

„Eigentlich schon, aber sie wissen auch, wer sich nicht an die Regeln hält, wird putzen. Da das keiner gerne macht, helfen sie lieber freiwillig.“

Wir mussten lachen und das half uns dann doch ein wenig darüber hinwegzukommen, dass es jetzt an der Zeit war, sich von meiner Mutter zu verabschieden. Sie machte es uns und sich selbst recht leicht. Es wurde eine schnelle Umarmung und das Versprechen, dass wir uns morgen melden würden, dann stieg sie in den Transporter und fuhr nach Hause. Für einen Moment stand ich mit Dustin allein in unserem Appartement.

„Deine Mutter ist absolut cool. Ich hätte nicht erwartet, dass das so einfach wird. Bislang ist es doch echt toll gelaufen.“

Ich schaute mir das Chaos bei uns an und musste daran denken, dass wir noch viel zu tun hatten. Entsprechend nachdenklich erwiderte ich:

„Stimmt eigentlich. Nur das hier“, ich zeigte auf die vielen Kisten und Kartons, „sieht noch nicht so toll aus.“

„Ach komm“, dabei legte er seine Arme um mich und gab mir einen Kuss, „Maxi und Alex haben doch einen wirklich netten Eindruck gemacht. Das hätte auch schlechter laufen können.“

„Ja, das stimmt. Wir sollten uns nachher auf jeden Fall bei ihnen bedanken. Vielleicht laden wir sie zu einer Cola oder so ein.“

„Eine gute Idee, vielleicht können wir ja auch mit ihnen schon offen reden. Aber jetzt machen wir hier mal weiter, sonst wird das nichts mit einer guten Nachtruhe.“

Dabei schaute er mich schon wieder mit einem Blick an, der mir klar machte, was er im Sinn hatte. Ich wollte darüber aber in diesem Moment nicht nachdenken, sondern das Chaos beseitigen. Entsprechend begann ich, einen Karton zu öffnen und die Sachen in den Schrank zu räumen. Es dauerte noch einige Stunden, bis wir das Bett und die anderen Möbel aufgebaut hatten. Zwischendurch kam Martina auch immer mal wieder zu uns und fragte, ob alles in Ordnung sei. Sie hatte uns informiert, dass es um halb acht Abendessen gab.

Wir hatten zwar schon noch ein paar Sachen zu tun, aber das wäre auch morgen noch gegangen. Auf jeden Fall aber wollte ich noch den PC und den Fernseher aufstellen und anschließen. Beim Computer gab es aber leider ein paar Probleme. Mein Router wollte das Netzwerk im Haus nicht finden. Das war natürlich ärgerlich, denn so konnten wir kein Internet nutzen. Egal, jetzt hieß es erst einmal duschen. So konnten wir unmöglich zum Essen erscheinen. Dustin war bereits unter der Dusche, als es klopfte. Ich öffnete die Tür und vor mir stand Maxi.

„Hi, schon zurück vom Training?“, fragte ich erstaunt.

Er lachte und erwiderte: „Na hör mal, wir sind schon zwei Stunden wieder zurück. Ihr habt wohl die Zeit etwas aus den Augen verloren.“

Ich schaute zur Uhr und musste feststellen, dass er recht hatte.

„Komm rein, das stimmt wohl. Setz dich irgendwohin. Es sieht noch nicht so toll aus.“

„Kein Problem, bei mir sah es am Anfang auch nicht besser aus. Ihr seid sogar schon ganz schön weit, wie ich finde. Wo ist denn Dustin?“

„Er duscht gerade. Muss ich gleich auch noch. So können wir ja schlecht zum Essen erscheinen.“

Maxi lachte und ich fand ihn sehr sympathisch.

„Martina sagte, ihr habt Probleme mit eurem PC? Was klappt denn nicht?“

„Ja, stimmt. Mein Router findet das Netzwerk nicht.“

„Ah, ich habe es mir schon gedacht. Das war bei mir auch so. Können wir aber gleich nach dem Essen machen, wenn das für euch ok ist.“

„Hast du davon Ahnung? Ich habe schon alles versucht, aber irgendwie haut das nicht hin.“

„Jop, das ist ein Hobby von mir. Kein Problem, aber erst essen wir mal. Sieh zu, dass du unter die Dusche kommst.“

Dabei lächelte er wieder und verabschiedete sich. Dustin kam aus der Dusche und hatte total wirre Haare. Das sah einfach total lustig aus. Entsprechend musste ich lachen, aber ich hatte auch gar keine Zeit, weiter mit meinem Freund darüber zu reden, denn die Zeit wurde knapp und unpünktlich wollte ich nicht gleich beim ersten gemeinsamen Essen sein.

Einige Minuten später saßen wir zu fünft am Tisch, und nachdem Martina mit Maxi und Alex den Ablauf des nächsten Tages geklärt hatte, waren wir das Tischgespräch. Ab Morgen ging unser Training richtig los. Das hieß morgens Schule, nachmittags zwei Stunden auf dem Platz und abends noch eine Stunde Physio. Wenn Ferien waren, hatten wir morgens noch zwei weitere Stunden Training. Also das war schon eine heftige Sache, aber wir wollten es ja unbedingt versuchen.

„Sag mal Maxi, wie schaffst du dieses Pensum? Gibt es einen Trick dabei?“, fragte ich.

Er lachte und erwiderte mit einem Grinsen: „Der Trick ist eigentlich ganz einfach. Morgens in der Schule gut aufpassen. Dann muss ich nicht nach der Schule so viel lernen.“

Martina klopfte ihm auf die Schulter.

„Guter Plan, dadurch habt ihr auch immer genug Zeit, hier für Ordnung zu sorgen.“

„Heißt das, wenn wir lernen müssen, brauchen wir nicht zu putzen und zu helfen?“ Die Frage war von Dustin nicht ganz ernst gemeint und von einem Grinsen begleitet.

„Wenn du ernsthaft lieber lernst, als hier mal zu helfen, sollte ich die Frage stellen, ob du nicht vielleicht krank bist.“

Alex hatte mit diesem Text sofort die Stimmung gelöst. Wir lachten alle und damit war die erste Anspannung verflogen. Wir redeten noch ein wenig über alles Mögliche. Eben wie in einer echten Familie auch. Alex hatte sich beim Turnier in der letzten Woche verletzt und musste noch zur Physiotherapie. Maxi hingegen hatte den Abend frei. Er fragte uns:

„Wie weit seid ihr mit euren Sachen? Wenn ihr für heute durch seid, kommt doch mal bei mir vorbei. Da ist es vielleicht gemütlicher, als in eurer Baustelle.“

Martina hatte mittlerweile begonnen den Tisch abzuräumen und natürlich halfen wir mit.

„Ja, klar. Können wir gerne machen. Sagst du uns noch, wo dein Zimmer ist?“

Er zeigte uns den Weg, und nachdem wir von Martina entlassen waren, machten wir in unserem Zimmer weiter. Das Bett musste ja nun noch aufgestellt werden. Was mir aber erst jetzt richtig bewusst wurde: Es war natürlich ein Doppelbett. Daran hatte ich beim Kauf überhaupt nicht gedacht. Als wir vor dem neuen und wirklich sehr schönen Bett standen, fiel es wohl auch Dustin auf, dass wir ein Problem haben könnten.

„Sag mal, Schatz“, begann Dustin, „haben wir uns das gut überlegt? Ich glaube kaum, dass wir das den anderen irgendwie anders erklären können.“

Ich schaute ihn an und es überkam mich einfach. Ich musste lachen, richtig laut lachen. Erst nach einigen Augenblicken hatte ich mich wieder beruhigt.

„Nein, das wird schwierig werden. Vielleicht sollten wir Maxi und Alex einfach morgen zu uns einladen und das klären. Dann haben wir es hinter uns und wissen, wo wir dran sind. Ändern wird sich jedenfalls für mich nichts.“

Dustin schien erleichtert, denn er umarmte mich liebevoll und küsste mich. Immer wieder war das ein tolles Gefühl.

„Es ist unglaublich schön, dass ich dein Freund sein darf. Ich hätte es nicht besser sagen können. Vielleicht haben wir ja auch Glück und sie akzeptieren es.“

„Bei Maxi bin ich mir sogar recht sicher. Er scheint sehr nett zu sein. Komm, lass uns einfach mal rüber gehen. Wir machen morgen hier den Rest. Mir tun schon die Arme weh vom Schleppen.“

So machten wir das auch und standen kurz darauf bei Maxi vor der Tür. Dustin klopfte an und Maxi öffnete uns die Tür.

„Hi, kommt rein. Habt ihr schon alles fertig?“

„Nein, aber das Bett steht und den Rest machen wir morgen. Ist eigentlich nur noch Kleinkram, aber wir haben heute keine Lust und Kraft mehr.“

„Ja, kann ich verstehen. Ging mir damals auch nicht anders, als ich hier eingezogen bin.“

„Damals?“, fragte Dustin, „Wie lange lebst du denn schon hier?“

„Etwas mehr als zwei Jahre. Ich bin jetzt siebzehn und war einer der Jüngsten. Mittlerweile bin ich nach Lennart der Älteste hier.“

„Also hast du hier sozusagen das Hausrecht?“, fragte ich nicht ganz ernst gemeint.

Er fing an zu lachen und antwortete: „Naja, du wirst schnell merken, hier hat nur einer Hausrecht. Das ist unser Hausdrachen Martina. Aber nein, Spaß beiseite, sie ist echt nett und eine große Hilfe. Allerdings sollte man gute Argumente haben, ihr eine Bitte abzuschlagen.“

„Also sind die Bitten von ihr eher ein Befehl, der nur nett verpackt ist.“

„Genau, Dustin. Ich sehe schon, ihr werdet hier gut reinpassen.“

„Danke“, sagte ich und wurde doch ein wenig nachdenklich.

Dustin spürte sofort, dass ich über die Situation nachdachte. Allerdings fragte Maxi noch:

„Habt ihr das Problem mit dem Internet lösen können? Sonst könnten wir das auch jetzt noch schnell machen. Dann seid ihr auch wieder per Mail erreichbar.“

„Ne, das haben wir auch nicht weiter versucht. So weit sind wir gar nicht mehr gekommen. Aber das können wir auch morgen machen. Eilt ja nicht so.“

Maxi schien anderer Ansicht zu sein und stand bereits vom Sofa auf.

„Nene, kein Problem. Lasst uns das jetzt machen. Wer weiß, ob ich morgen dazu komme.“

Wir standen auf und im Gänsemarsch ging es zu unserem Appartement. Ich öffnete die Tür und Maxi betrat unser Reich. Es sah noch recht wüst aus, aber das schien ihn nicht zu wundern. Allerdings, als er unser großes Bett im Schlafbereich sah, stutzte er doch einen Moment, sagte aber nichts. Er setzte sich an den PC am Schreibtisch.

„Darf ich starten?“, fragte er.

„Klar, mach ruhig. Aber wenn du etwas einstellst oder änderst, erklärst du es uns bitte. Damit wir das verstehen.“

Er lächelte uns an und begann in der Systemsteuerung zu suchen. Er fragte uns, wo der Router stand und dann dauerte es wirklich nicht lange, bis alles funktionierte.

„Wow, danke. Das ging ja wirklich schnell.“

„Ja, wenn man weiß, wo man was einstellen muss, kein Problem. Aber ich habe bei mir damals Stunden probiert.“

„Ich glaube, wir müssen uns dafür in den nächsten Tagen mal bedanken. Auch Alex fürs Helfen. Was meinst du, übermorgen mal eine Pizza essen gehen?“

„Danke, ist aber nicht nötig. Lasst uns lieber hier dann ne coole Einweihung machen. Da haben alle was von. Auch die Kleinen von oben.“

Da hatte er nicht unrecht und so einigten wir uns darauf, wenn wir mit allem fertig sein würden, alle gemeinsam zu einer kleinen Einweihungsfeier einzuladen. Maxi gab uns noch den Rat, das mit Martina abzusprechen. Dann wollte er wieder zu sich rüber gehen, aber ich wollte das nicht so stehen lassen. Maxi hatte es ganz sicher bemerkt, was bei uns los ist. Also entschloss ich mich, es jetzt zu klären.

„Maxi, warte bitte noch einen Augenblick. Wir möchten dir noch etwas erklären.“

Er drehte sich noch einmal um, schaute uns beiden in die Augen und jetzt war ich mir ganz sicher, er hatte es bereits erkannt.

„Was gibt es denn noch?“

„Setz dich bitte noch einen Moment.“ Das tat er auch sofort und Dustin wurde jetzt richtig unruhig.

„Dustin, kommst du bitte zu mir.“

Als sich Dustin neben mich gesetzt hatte, gab es kein zurück mehr.

„Also, du hast es eh schon bemerkt und wir haben, bevor wir hier eingezogen sind, auch darüber gesprochen, dass wir uns nicht mehr verstecken wollen. Dustin und ich sind schwul und wir sind zusammen.“

Maxi schaute uns an. Es war plötzlich ganz still geworden. Diese Sekunden waren für mich total krass, aber plötzlich fing Maxi an zu lachen. Richtig laut zu lachen. Dustin und ich verstanden überhaupt nicht warum. Lachte er uns aus, oder was sollte das. Plötzlich beruhigte er sich wieder und sagte ganz ernst:

„Wow, ich finde das total klasse, dass ihr mir das anvertraut. Aber ich habe es mir tatsächlich schon gedacht. Chris hatte mal eine Bemerkung gemacht, die ich heute erst begreife. Es ist für mich sicherlich kein Problem. Auch für Alex wird das kein Thema sein, da bin ich mir sehr sicher. Wie die Kleinen von oben das aufnehmen, weiß ich allerdings nicht. Vielleicht checkt ihr das erst mal selber ab, bevor ihr denen das klar macht. Ich bin nur gespannt, wie die Coaches das aufnehmen werden.“

Jetzt musste ich grinsen.

„Alle Trainer wissen bereits Bescheid. Wir haben das schon geklärt und von denen haben wir Rückendeckung. Auch nach außen hin.“

Jetzt war es Maxi, der uns mit offenem Mund ansah.

„Cool, das hätte ich nicht gedacht. Umso besser, dann werden wir wohl in Zukunft das Gesprächsthema sein. Soweit ich weiß, hat es das noch nicht gegeben. Ein offen schwules Paar im Tennis, das womöglich auch noch gemeinsam Doppel spielt.“

Dabei musste er wieder lachen und wir lachten mit.

Dieser Tag nahm somit ein wirklich sehr positives Ende und entsprechend erleichtert verabschiedeten wir Maxi. Morgen hatten wir noch frei, aber ab Mittwoch hieß es in der neuen Schule anfangen und wieder richtig Gas geben. Mal sehen, wie wir dort ankommen würden.

Chris: Besuch in der WG

Eigentlich war mein Besuch schon für gestern geplant, aber aufgrund des Einzuges von Dustin und Fynn hatte ich das auf heute verschoben. Es stand ein dringendes Gespräch mit Tim und seinen Eltern an. Thomas hatte sie gebeten herzukommen, damit wir ein klärendes Gespräch führen könnten. Die Lage war ernst, denn Tim hielt sich kaum noch an die Vorgaben, außer dass er gutes Tennis spielen konnte. Nach der Arbeit fuhr ich also nach Halle und traf mich zuerst im Club mit Thomas und Thorsten zu einer Vorbesprechung. Als ich dort eintraf, saß Thorsten wie immer im Büro und Thomas war noch auf dem Platz beim Training. Ich begrüßte Thomas aus der Ferne und betrat anschließend das Büro.

„Hi Chris, schön, dass du gekommen bist. Setz dich bitte noch einen Moment. Thomas muss erst die Einheit noch beenden.“

Ich gab ihm die Hand und setzte mich in einen Sessel.

„Na, hast du schon etwas von unseren beiden Neulingen gehört? Sind sie gut gelandet?“

„Nur eine kurze Nachricht, dass alles in Ordnung ist, ich wollte ihnen aber auch die Zeit geben, sich zurechtzufinden. Martina wird das schon machen.“

Thorsten lächelte.

„Ja, allerdings. Sie hat das bislang dort richtig gut im Griff. Umso wichtiger, dass wir ihr jetzt Unterstützung geben. Sie scheint mit Tim ziemlich ratlos und überfordert zu sein. Deshalb haben wir ja auch den Termin heute gemacht.“

„Kannst du mir vielleicht sagen, was ihr bislang gemacht habt und was die Reaktion von Tim war?“

Er klickte mit seiner Maus auf dem PC herum und wenige Augenblicke später spuckte der Drucker einige Seiten aus. Er schaute kurz darüber und reichte mir die Blätter.

„Hier, da kannst du nachlesen, was alles in den letzten Wochen so vorgefallen ist.“

Ich nahm die Unterlagen und setzte mich wieder in den Sessel. Was ich dort zu lesen bekam, war nicht schön, aber auch kein Weltuntergang. Alles, bis auf eine Sache, eigentlich Kleinigkeiten, die bei Kindern in der Pubertät vorkamen. Nur, dass er alles in wenigen Wochen durchgezogen hatte und nicht in mehreren Jahren. Allerdings die eine Sache ließ mich aufhorchen. Dort stand etwas von einer Auseinandersetzung mit Martina, eine körperliche Auseinandersetzung. Das war ein akutes Alarmsignal für mich. Er war also nicht nur auf dem Platz so aggressiv. Als ich fertig gelesen hatte, musste ich einmal tief durchatmen. Thorsten schaute zu mir und fragte mich:

„Was hältst du von diesem Bericht? Schon heftig, oder?“

„Ganz ehrlich, eigentlich nichts Ungewöhnliches, bis auf die eine Situation mit Martina. Aber für unsere Situation in der WG alles sehr problematisch und muss sich sicher ändern. Wir sollten aber nicht gleich mit Kanonen auf den Jungen schießen.“

Thorsten schien genervt zu sein.

„Das sagst du so einfach. Wir haben schon oft mit Gesprächen versucht, ihm klar zu machen, dass er sich einordnen muss. Dann ging es ein paar Tage, aber dann startete alles wieder von vorn. Und nun vernachlässigt er auch noch die Schule. Das geht nicht. Jetzt ist einfach unsere Geduld am Ende. Wir müssen als Team auch Erfolg haben und können uns derartige Großbaustellen nicht erlauben. Dafür haben wir nicht genug Kapazitäten.“

In diesem Augenblick betrat Thomas das Büro. Er gab mir freundlich die Hand und ließ sich von Thorsten den Sachstand geben. Somit konnten wir direkt in unser Gespräch eintauchen.

„Bevor wir hier weiter über Tim reden, habe ich eine Frage. Hat er denn überhaupt noch eine Chance bei uns, oder habt ihr den Rauswurf schon entschieden?“

Thomas stöhnte auf und erwiderte: „Wenn es nach mir gehen würde, wäre jetzt Schluss. Ich habe einfach keine Lust mehr, einem Dreizehnjährigen ständig hinterher zu laufen und immer wieder feststellen zu müssen, dass er sich nicht an die Regeln hält.“

Thorstens Meinung hatte wohl einen anderen Inhalt, denn er widersprach Thomas.

„Ja, es ist noch nichts entschieden, aber lange hat er nicht mehr. Ich möchte es so sagen, du bist seine letzte Chance. Wenn es dir auch nicht gelingt, herauszufinden, was bei ihm los ist, dann ist hier Feierabend für ihn.“

Das machte meine Arbeit nicht einfacher und erhöhte den Druck auf mich. Allerdings hatte ich mir vorgenommen, hier genauso vorzugehen wie in meinem Beruf.

„Ok, dann weiß ich ja soweit Bescheid. Ist heute das erste Gespräch auch mit den Eltern?“

„Nein, wir haben eigentlich regelmäßig Gespräche mit allen Eltern, aber in diesem Fall ist es das erste Mal, dass wir die Eltern außerhalb der Regeltermine hergebeten haben.“

„Bislang hat Tim alle Gespräche geblockt? Oder hat er auch mal etwas von sich erzählt?“

Jetzt schauten sich Thorsten und Thomas etwas ratlos an.

Thomas antwortete: „Ist mir zumindest nicht bekannt. Allerdings habe ich auch nicht so viel Gelegenheit, eine enge Beziehung zu ihm aufzubauen. Das ist eher Martinas Aufgabe.“

Oha, da hatte ich allerdings andere Vorstellungen von der Arbeit eines Trainers. Das war jetzt aber nicht das Thema.

„Ok, dann sage ich euch jetzt mal, wie ich vorgehen möchte. Zuerst möchte ich sowohl mit den Eltern sprechen, als auch mit Tim. Ich möchte ihre Sicht dazu hören. Vielleicht wäre es da gut, wenn ihr noch nicht dabei seid, sondern ich erst einmal allein mit ihnen spreche. Einverstanden?“

„Wie stellst du dir das vor? Die Eltern werden nicht ewig Zeit haben. Sie müssen ja noch 200 km zurückfahren.“

„Also wenn ihnen das zu viel ist, dann macht es eh keinen Sinn, sich weiter mit ihnen zu beschäftigen. Es ist ihr Kind, um das es geht.“

„Na, wenn du da mal nicht falsche Vorstellungen hast. Die meisten Eltern sind froh, dass ihr Kind bei uns ist und hier Tennis als Schwerpunkt hat.“

Diese Aussage gefiel Thorsten überhaupt nicht.

„Also, das kann ich so nicht stehen lassen, Thomas. Bei ganz wenigen Eltern mag es vielleicht so sein, aber bei Tim war es bislang anders.“

„Ok“, sagte ich, „dann schlage ich jetzt vor, ich fahre in die WG und werde mal mit Martina und Tim sprechen. Wir treffen uns dann in einer Stunde dort zum gemeinsamen Gespräch. Ist das ok?“

Beide waren einverstanden und wir trennten uns. Ich machte mich direkt auf den Weg in die WG, allerdings lief mir Fynn noch über den Weg.

„Hi Chris, wie geht es dir? Kommst du uns mal besuchen?“

„Danke, es geht mir gut. Natürlich komme ich euch besuchen, aber ich wollte euch erst einmal einziehen lassen.“

Wir mussten beide lachen und ich sagte ihm, dass ich wohl den Abend bei ihnen in der WG sein würde. Er hatte auch sofort begriffen, dass es um Tim gehen würde. Ich verabschiedete mich von ihm, mit dem Versprechen, später bei ihnen vorbei zu schauen.

Dass ich schon erwartet wurde, merkte ich daran, dass Martina bereits frischen Tee für mich gekocht hatte und sie mich schon in Empfang nahm, bevor ich geklingelt hatte.

„Hallo Martina, bin ich zu spät oder warum ist hier schon alles für mich vorbereitet?“

Sie lachte und bat mich in die Küche.

„Nein, du bist wie immer pünktlich. Tims Eltern sind bereits hier und haben sich ihren Sohn genommen, um einen Spaziergang zu machen. Ich vermute, sie wollen mit ihm vorher noch einmal sprechen.“

„Ist ja in Ordnung. Bevor ich mit Tim und seinen Eltern spreche, wollte ich aber von dir hören, wie du das hier siehst.“

Sie berichtete mir vom Alltag und dass es in normalen Situationen kaum Probleme gab. Meist gab es Stress direkt nach der Schule, vor allem, wenn er seine Schulaufgaben vor dem Training machen sollte.

„Was machst du dann, wenn er seine Sachen nicht gemacht hat? Geht er trotzdem zum Training?“

„Ja, natürlich. Ich kann ja nicht sagen, du gehst heute nicht zum Training. Das geht nur in Absprache mit Thorsten. Schließlich bezahlen die Eltern viel Geld dafür und auch die Sponsoren wollen ihr Recht.“

Das gefiel mir allerdings gar nicht, darüber mussten wir mit Thorsten sprechen. Martina musste auch hier Entscheidungen fällen können.

„Hm, sehe ich anders. Aber gut, dass du das so deutlich sagst. Darüber müssen wir noch einmal mit Thorsten sprechen. Wie ist es denn zu der körperlichen Auseinandersetzung mit dir gekommen? Hast du Verletzungen davongetragen?“

„Nein, so schlimm war es nicht. Er hat mich nur weggeschubst und ist dann abgehauen. Ich fand das auch nicht so heftig, viel schlimmer finde ich die grundsätzliche Weigerung, sich hier weiterhin an die Regeln zu halten.“

„Wie geht denn die Gruppe damit um? Bekommen die anderen das eigentlich mit, dass er hier Stress macht?“

„Ja sicher. Die fangen auch an, ihn zu meiden. Sie haben ja auch darunter zu leiden. Insbesondere für Carlo ist das richtig heftig. Carlo ist oft das Opfer von Tim. Er ist viel zu nett, Tim nutzt ihn oft aus und er muss dann darunter leiden.“

Jetzt wurde ich doch langsam etwas ungehalten. Was glaubte der Junge eigentlich, wer er ist. Hier war dringender Handlungsbedarf. Mittlerweile hörte ich, wie Tim mit seinen Eltern zurückkam. Zuerst betraten seine Eltern die Küche. Ich stand auf und gab beiden die Hand. Martina übernahm die Vorstellung. Zuletzt kam Tim herein. Als er mich sah, veränderte sich seine Mimik. Er bekam so etwas wie ein Lächeln in sein Gesicht und begrüßte mich freundlich.

„Hi Chris, ist Thomas etwa heute gar nicht dabei?“

Ich stutze und dachte eine Sekunde über meine Antwort nach.

„Momentan noch nicht. Vermutlich später.“

Martina bat uns in den Keller zu gehen. Dort gab es ein Büro und ein kleines Besprechungszimmer. Es war recht angenehm eingerichtet und ich wartete zuerst einmal ab, wie sich die Familie setzen würde. Interessant war, dass sich die Eltern gemeinsam auf die eine Seite setzten und Tim allein in einem Sessel saß. Martina holte noch etwas zu trinken und dann begann unser Vorgespräch.

Ich erklärte kurz die Situation und machte sehr deutlich klar, dass es hier ein gravierendes Problem gab und das Team keine Lust mehr hatte, sich das von Tim gefallen zu lassen. Dann bat ich Martina noch einmal, ihre Sicht der Dinge zu schildern und die Eltern schienen sehr überrascht zu sein. Denn sie schwiegen auffällig. Normalerweise versuchten Eltern immer zuerst für ihren Sohn Partei zu ergreifen und sich zu wehren. Als Martina mit ihren Ausführungen fertig war, schaute ich mir Tim ganz genau an. Sein Blick war leer. Völlig emotionslos.

„Bevor ich etwas sage, möchte ich dich, Tim, bitten, uns zu erklären, warum du dich so asozial verhältst. Was haben wir dir getan, damit du so ein Verhalten rechtfertigen kannst.“

Seine Mutter wollte für ihn antworten, aber ich wollte Tim selbst dazu hören. Freundlich aber bestimmt unterband ich den Versuch der Mutter. Tim musste selbst etwas sagen. Nach einem längeren Schweigen begann er sehr leise zu sprechen. So leise, dass wir ihn kaum verstehen konnten.

„Kannst du bitte etwas lauter sprechen?“, fragte ihn Martina.

Da brach er ab und rannte wortlos aus dem Zimmer. Wir schauten uns ratlos an. Tims Mutter wollte sofort hinter ihm her, aber ich bat sie sitzen zu bleiben.

„Macht er das zu Hause bei ihnen auch? Immer weglaufen, wenn es unangenehm wird.“

Die Mutter schloss ihre Augen für einen Moment und dann kam ein Hinweis.

„Ja, leider. Seit etwas mehr als einem halben Jahr haben wir bemerkt, dass er sich immer mehr zurückzieht und kaum noch Lust auf irgendetwas hat. Tennis war das Einzige, was ihm noch Spaß machte. Allerdings haben wir den Eindruck, dass auch das in den letzten Wochen weniger wird. Aber er erzählt uns auch nichts. Wir stehen genauso ratlos davor, wie Sie.“

Das schien ein größeres Problem zu sein. Mir war aber sofort klar, dass weder das Tennis noch das Team als solches die Ursache war. Das zu klären und Tim helfen zu können, bedurfte vor allem des Vertrauens von Tim. Er musste uns schon sagen, was ihn sich so verhalten lässt.

Martina fragte die Mutter: „Nimmt er vielleicht Drogen oder ist er an falsche Freunde geraten, dass er von ihnen unter Druck gesetzt wird?“

Der Vater reagierte sehr allergisch auf das Thema Drogen. Vehement stritt er diese These ab. Der Mutter war dieses Verhalten eher unangenehm und sie bat ihren Mann, sich zu beruhigen.

„Gut“, sagte ich, „ ich werde mal schauen, wo Tim jetzt ist. Vielleicht kann ich mit ihm reden.“

„Hoffentlich", erwiderte die Mutter. „Er ist kein schlechter Junge. Ich mache mir große Sorgen.“

In diesem Punkte stimmte ich der Mutter zu: Tim war eigentlich ein netter Junge mit großem Talent. Ich stand auf und ging nach oben. Zuerst schaute ich in seinem Zimmer nach. Dort war er nicht. Dann lief mir Carlo über den Weg.

„Hast du Tim gesehen?“

Er nickte und zeigte in den Garten.

„Er sitzt auf dem Stein. Wie so oft in letzter Zeit, wenn er in Ruhe gelassen werden will.“

Eigentlich wollte ich sofort nach draußen gehen, aber Carlo hatte mir einen Hinweis gegeben.

„Wie meinst du das? Kommt das häufiger vor, dass er allein draußen sitzt?“

„Ja, in den letzten Wochen schon. Überhaupt ist er sehr seltsam geworden. Er lacht kaum noch und ist immer sehr launisch. Ich habe keine Ahnung, was wir ihm getan haben könnten. Auch in der Schule ist er immer häufiger allein.“

Hier war unsere Hilfe gefragt, da wurde ich mir immer sicherer. Ich verließ den Flur und ging in den Garten, wo Tim auf dem großen Findling saß. Er hatte sich zusammengekauert und schien mich nicht bemerkt zu haben oder nicht bemerken zu wollen. Ich ging direkt von vorn auf ihn zu und blieb etwa einen guten Meter vor ihm stehen.

„Tim, was ist eigentlich los? Ich mache mir Gedanken. Du redest nicht mit Martina, auch mit deinen Eltern nicht. Warum? Haben wir dir etwas getan? Ich möchte versuchen zu verstehen, was bei dir los ist.“

Er zeigte für einen Moment keinerlei Regung. Plötzlich legte er seine Hand neben sich auf den Stein und nahm sie wieder weg. War das jetzt ein Zeichen für mich? Sollte ich mich neben ihn setzen? Ich überlegte nicht lang und setzte mich neben ihn auf den Stein. Ich schwieg und wartete ab, was nun passieren würde. Plötzlich fing er an zu erzählen:

„Stimmt das wirklich? Du interessierst dich für mich? Nicht nur für mein Tennis?“

„Ja, das stimmt. Ich interessiere mich für dich als Menschen. Aber da bin ich sicher nicht der Einzige.“

Er fing an zu erzählen, was momentan bei ihm passiert. Er berichtete von Situationen aus der Schule, dort wurde er immer gehänselt, weil er keine Lust hatte, mit den anderen dummes Zeug zu machen oder die Lehrer zu ärgern. Auch wurde er manchmal von älteren Schülern gezwungen, für sie Zigaretten und auch andere Sachen zu besorgen. So nannte er das.

„Was für andere Sachen denn?“

Er drehte seinen Kopf zu mir und holte eine kleine Tüte aus der Tasche.

„Darf ich mal sehen?“

Er legte es in meine offene Hand und dabei konnte ich spüren, dass seine Hand zitterte. Ich schaute mir den Inhalt genau an und wusste sofort, das war Gras. Er hatte Dope bei sich und sollte das wohl für die anderen Jungs aus seiner und der neunten Klasse besorgen, weil niemand bei ihm darauf kommen würde. Ich erschrak.

„Hast du auch mal versucht nein zu sagen?“

Er nickte wortlos.

„Haben sie dir gedroht, wenn du es nicht mehr tust?“

Er nickte wieder. Konnte mir aber nicht mehr erklären. Seine Angst war spürbar.

„Womit erpressen sie dich? Was haben sie gegen dich in der Hand?“

Er wollte mir antworten, aber es ging einfach nicht. Irgendwann sagte er nur zu mir.

„Ich habe Angst, wenn ich das sage, werde ich hier rausfliegen und meine Eltern verstehen das sowieso nicht.“

Dabei schloss er seine Augen und kämpfte mit seinen Gefühlen. Ich ließ das erst einmal so stehen. Aber eines war mir klar geworden. Er brauchte Hilfe. Und das sofort.

„Warum denkst du, dass du hier rausfliegst? Du tust mit dem Verhalten genau das, um hier rauszufliegen. Wenn du sogar Martina angreifst, dann kann das hier nicht weitergehen. Allerdings bin ich mir sicher, dass du ihr nicht wehtun wolltest. Ich habe eine Vermutung, darf ich das mal sagen?“

Er nickte.

„Ich glaube, du hattest in der Situation Dope besorgt und hattest Angst, sie könnte es finden und dich dann an Thorsten melden. Richtig?“

Wieder nur ein stummes Nicken. Verdammt, diese Lage war ernst. Sehr ernst.

„Ich verspreche dir, wenn du uns alles erzählst, was die von dir verlangen und vor allem, warum sie dich erpressen können, dann werde ich dir helfen. Dann hast du hier deinen Platz und wir werden dich weiterhin begleiten. Es geht aber nur über Vertrauen.“

Er schaute mich aus traurigen Augen an und erwiderte:

„Dann sag Thomas, er soll aufhören, sich über mich lustig zu machen.“

Er schilderte mir Situationen, wo sich Thomas abfällig über ihn geäußert hatte und ich bekam eine Ahnung, wie sehr er verletzt war. Thomas war an dieser Stelle einfach ein Elefant im Porzellanladen. Er hatte sich über ihn lustig gemacht, weil er sich nicht im Beisein der anderen nach dem Training duschen wollte. Immer wieder stellte er ihn bloß. Da konnte ich sogar verstehen, dass das Vertrauen gelitten hatte. So würde er Thomas nie etwas erzählen. Ein Teufelskreis, der sich hier aufgebaut hatte.

„Pass auf, ich mache dir einen anderen Vorschlag. Wenn Thorsten und Thomas nachher kommen, dann sagst du ihnen das selbst. Ich verspreche dir, ich werde dich unterstützen. Ich finde das nämlich richtig beschissen, was Thomas da macht.“

Wieder schaute er mich ganz genau an, ich wich seinem Blick nicht aus.

„Du bist der Erste, der mich wirklich versteht. Vielleicht erzähle ich dir auch noch mehr, aber ich kann es noch nicht. Ich habe einfach Angst. Sie werden mich verprügeln, wenn herauskommt, dass ich dir alles erzählt habe.“

Jetzt wurde ich wütend.

„Niemand wird dich verprügeln. Wenn du mir vertraust und mir mehr von dir erzählst, dann kann ich dir helfen. Wenn wir wissen, um wen es geht, werde ich sofort handeln und dafür sorgen, dass das mit den Drogen aufhört. Willst du das denn?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Weißt du denn überhaupt, was du willst?“

„Ich will endlich wieder in Ruhe trainieren und hier glücklich sein. So wie am Anfang. Aber ich will mich in der Schule auch nicht mehr verstecken müssen.“

Das kam wie aus der Pistole geschossen und sehr bestimmt.

„Gut, dann verspreche ich dir, wenn du mit mir daran arbeitest und nicht weiter wegläufst, werden wir das gemeinsam angehen. Und bislang habe ich das immer geschafft, wenn du auch mitmachst.“

Ich streckte ihm meine Hand hin und sagte: „Gib mir deine Hand darauf.“

Er schlug ein und ich ermahnte ihn noch einmal.

„Das war ein Versprechen, was du mir jetzt gegeben hast. Wenn du mitmachst, wird das klappen. Das ist mein Versprechen.“

Er nickte und ich stand auf.

„Warte bitte noch. Kannst du nachher mal in mein Zimmer kommen? Ich möchte dir etwas zeigen.“

„Klar, kein Problem. Ich nehme an, das soll dann erst einmal unter uns bleiben.“ Dabei zwinkerte ich ihm zu.

Seine Miene hellte sich auf, sogar ein Lächeln war zu erkennen.

„Ich gehe wieder zu deinen Eltern, kommst du gleich nach?“

„Danke, ja, ich komme gleich.“

Sehr nachdenklich ging ich wieder in den Keller, wo mich eine sehr angeregte Unterhaltung erwartete, die sofort erstarb, als ich den Raum betrat. Zehn Augen sahen mich fragend an, denn mittlerweile waren auch Thomas und Thorsten angekommen.

„Na, hast du Tim gefunden?“

„Ja, Thorsten. Ich habe mit ihm gesprochen und muss sagen, wir sollten uns auch über den eigenen Umgang mit den Jungs unterhalten. Aber das eigentlich viel größere Problem ist sehr bedenklich. Lasst uns noch einen Moment warten, er kommt gleich zu uns.“

„Was meinen Sie damit?“, fragte die Mutter besorgt.

„Nun, ich glaube, dass uns einiges entgangen ist und wir jetzt eine größere Baustelle haben. Diese Baustelle ist nicht auf Tim begrenzt. Tim ist sicher jetzt betroffen, aber es kann auch jeden anderen treffen, wenn wir nicht aufpassen.“

„Kannst du nicht mal konkret sagen, was hier Sache ist? Ich will hier nicht ständig herumraten müssen. Dafür ist meine Zeit zu schade.“

Dieser Kommentar von Thomas löste bei mir Wut und Unverständnis aus. Wenn die Eltern von Tim nicht dabei gewesen wären, hätte ich ihn jetzt richtig rundgemacht.

„Pass auf, Tim wird gerade dir gleich etwas dazu sagen und ich glaube, du solltest dich warm anziehen.“

Bevor Thorsten reagieren konnte, um die Stimmung zu entschärfen, betrat Tim das Zimmer. Er setzte sich demonstrativ zu mir. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Seine Mutter schien sehr besorgt und auch der Vater war sehr angespannt. Ich gab Tim mit einem Augenkontakt zu verstehen, dass er loslegen sollte.

Für einen Moment schien es so, dass seine Angst zu groß war, aber dann platzte es aus ihm heraus. In einen Zug berichtete er von den Geschehnissen und den Demütigungen, die er erleiden musste. Auch die Erpressungen kamen auf den Tisch, und als ich dachte, er sei fertig, kam noch die Attacke gegen Thomas.

„Bevor jetzt die Frage kommt, warum ich keinem von euch etwas erzählt habe. Wie soll das gehen, wie soll man Vertrauen in seinen Trainer haben, der nichts anderes zu tun hat, als einen ständig zu hänseln oder bloßzustellen.“

Das war ein Frontalangriff. Und der hatte gesessen, denn sowohl bei Thomas als auch bei Thorsten herrschte entsetztes Schweigen. Ich war wütend auf Thomas. Er hatte die höchste Qualifikation als A-Lizenztrainer. Dass seine pädagogischen Qualitäten so mager waren, enttäuschte mich sehr.

Thorsten war der Erste, der seine Sprache wiederfand und nachfragte: „Kannst du diesen Vorwurf bitte konkretisieren?“

Natürlich konnte er und tat es. Er redete sich seinen Frust und sein Leid von der Seele. Irgendwann kam er an einen Punkt, wo er zusammensackte und in Tränen ausbrach. Ich nahm ihn in den Arm und tröstete ihn. Er war fertig und mit seinen Kräften am Ende. Es herrschte betretendes Schweigen. Ich nahm Tim einfach mit nach draußen. Seine Mutter folgte mir. Immer noch weinend übergab ich ihn an seine Mutter und sagte zu ihr:

„Versuchen Sie bitte, ihn sich beruhigen zu lassen. Lassen Sie sich Zeit. Wir können auch erst einmal ohne ihn weitermachen. Und machen Sie ihm deutlich, wir werden ihm helfen und auch innerhalb des Teams das verändern.“

Danach streichelte ich Tim noch einmal über den Kopf und ging wieder hinein.

Thorsten und Thomas schauten mich fragend an. Der Vater wollte natürlich wissen, wie es Tim geht.

„Ich glaube, er braucht momentan etwas Ruhe. Wir sollten uns jetzt über das weitere Handeln unterhalten. Ich möchte, dass Sie in die Schule gehen und mit dem Klassenlehrer sprechen. Diese Erpressungen müssen sofort aufhören. Wenn Sie möchten, begleite ich Sie.“

Der Vater schien immer noch völlig überrumpelt zu sein, aber Thorsten stieg sofort ein:

„Das halte ich für eine gute Idee. Ich würde ebenfalls vorschlagen, wir machen schnellstmöglich eine Teambesprechung mit allen Trainern und Physios. Diese Dinge müssen besprochen werden. Ich nehme das sehr ernst, was Tim eben gesagt hat. Vielleicht betrifft es andere Spieler auch. Da müssen wir gegensteuern und Chris hat vollkommen recht, wir haben hier eine Verantwortung, die weit über den Sport hinausgeht.“

Unser Gespräch wurde anschließend sehr konstruktiv und auch Thomas begriff sehr schnell, dass er wohl die Situation unterschätzt hatte. Es wurde ihm bewusst, dass er mit den jüngeren Spielern anders umgehen musste, als mit fast Erwachsenen. Als wir unser weiteres Vorgehen soweit mit dem Vater abgestimmt hatten, betrat die Mutter allein den Raum.

„Wo ist Tim?“, fragte der Vater sofort.

„Ich habe ihn erst einmal in sein Zimmer geschickt. Er soll sich etwas frisch machen und sich beruhigen. Er hat darum gebeten, dass Chris noch einmal kommen möge.“

„Ja, das ist in Ordnung. Ich gehe gleich noch einmal zu ihm.“

Dann stellte der Vater eine sehr berechtigte Frage: „Können Sie sich vorstellen, dass Tim hier noch eine Chance hat, oder wäre es besser, ihn jetzt hier herauszunehmen?“

Ich schaute zu Thorsten. Thomas schien begriffen zu haben, dass er hier wohl große Anteile an der Situation hatte, denn er machte einen Vorschlag:

„Also jetzt, wo klar ist, was hier gelaufen ist und ich einiges dazu beigetragen habe, würde ich vorschlagen, bei Tim einen Trainerwechsel vorzunehmen. Vielleicht ist zu viel Vertrauen kaputtgegangen und er kann dann eine neue Basis aufbauen. Ich möchte mich hier entschuldigen, ich habe nicht gedacht, dass Tim das so zu schaffen machen würde. Ich habe das Ganze wohl übertrieben.“

Ich überlegte einen Moment, fand das aber eigentlich falsch. Thomas machte auf dem Platz erstklassige Arbeit und hatte unsere großen Talente alle weitergebracht.

„Ich bin dagegen. Ich fände es viel besser, wenn du dich mit Tim aussprichst und ihm genau das selbst sagst und ihr beide eine neue Basis erarbeitet. Das würde uns allen mehr helfen und auch Tim weiterbringen. Er würde sehen, dass es sich lohnt, Probleme offen und früher anzusprechen. Er muss lernen, dass der andere nur dann die Chance hat, an sich zu arbeiten, wenn man ihm die Dinge sagt, die einen stören. Das betrifft uns alle. Genau das muss Thema sein in unserer Teambesprechung.“

„Gefällt mir sehr gut, was du da sagst", stimmte Thorsten zu. „Und um Ihre Frage zu beantworten“, wandte er sich an die Eltern, „er bekommt hier weiterhin alle Unterstützung und in diesem Fall sehe ich die Verantwortung bei uns liegen und nicht bei Tim. Er hat sich nicht anders zu helfen gewusst, weil wir nicht aufgepasst haben. Das darf nicht zu seinem Nachteil werden. Wenn er bei uns bleiben möchte, werden wir alles dafür tun, dass diese Geschichte nicht wieder passiert.“

Der Vater war beeindruckt. Das hatte er so nicht erwartet, aber für mich war es nur die logische Konsequenz in dieser Sache. Thorsten hatte mich nicht enttäuscht, er blieb seiner Linie treu. Das gefiel mir sehr.

„Gut, dann werde ich jetzt mal zu Tim gehen und sehen, wie es ihm geht und wie er sich das weiter vorstellt. Das Problem mit der Schule ist jetzt nur, dass wir sofort mit der Schulleitung sprechen müssen. Sie wollen ja auch wieder nach Hause fahren. Ich bin der Meinung, dass hier jeder Tag, den wir warten, einer zu viel ist.“

Die Eltern schienen verstanden zu haben, was ich gemeint hatte. Überraschenderweise sagte der Vater:

„Also wenn es kurzfristig möglich ist, dass wir hier eine Übernachtungsmöglichkeit bekommen, werden wir natürlich morgen in die Schule gehen. Bei Drogen und Erpressung hört bei mir der Spaß auf.“

„Nicht nur bei Ihnen. Es ist schön, dass sie so reagieren.“

Ich schaute Thorsten an und er schien meine Gedanken lesen zu können.

„Mit der Übernachtung ist das kein Problem, da kümmere ich mich sofort darum. Aber was machen wir mit der Schule. Wir werden wohl kaum sofort einen Termin beim Rektor erhalten.“

„Das lass mal meine Sorge sein. Ich habe im Rahmen meiner Arbeit das immer hinbekommen, bei solch gravierenden Dingen direkt mit einem von der Leitung sprechen zu können. Das kläre ich morgen früh.“

Danach verließ ich das Zimmer und ging zu Tim. Ich klopfte an und hörte sein „Herein“. Er lag auf seinem Bett und schaute mich an.

„Na, wie geht es dir jetzt? Du hast uns ja gehörig den Marsch geblasen.“

Dabei lachte ich ihn an. Er wunderte sich über meine lockere Art.

„Es tut mir leid, aber es kam einfach so raus. Ich wollte das nicht so, aber ...“

„Hey, es ist ok. Ich fand es gut, und bevor du dir noch mehr Sorgen machst, wir werden weiter zu dir stehen und jetzt versuchen, mit dir gemeinsam die Lage zu verbessern. Wir haben verstanden, dass auch wir mit einigen Dingen anders umgehen müssen.“

„Heißt das, Thomas ist nicht beleidigt und sauer?“

„Beleidigt ist er sicher nicht, aber begeistert natürlich auch nicht. Allerdings hat er verstanden, dass bei ihm wohl auch nicht alles toll war. Von daher eine gute Basis, dass ihr euch aussprechen könnt und gemeinsam Veränderungen schafft.“

Er nickte nachdenklich und ich setzte mich auf die Bettkante zu ihm.

„Du wolltest, dass ich noch einmal zu dir komme. Was möchtest du mir noch sagen?“

Er setzte sich auf und schaute mich an.

„Ja, weißt du, ich habe ja mitbekommen, wie du dich um Dustin und Fynn kümmerst. Ich habe da auch noch ein anderes Problem. Es geht um das Duschen und sich vor den anderen Umziehen.“

Ich schmunzelte, denn eigentlich war das ein altersbedingtes Problem und nicht besonders ungewöhnlich. Er war der Jüngste, nicht nur in der WG, sondern auch in der Trainingsgruppe. Mal sehen, was er mir erzählen würde.

„Ja, ich habe es mitbekommen, dass du da Schwierigkeiten hast.“

„Es ist einfach peinlich. Alle anderen sind älter und naja, ich habe halt noch keine Haare da unten und manchmal lachen die älteren über mich. Ich finde das peinlich, ich schäme mich etwas.“

„Nun, du bist ja auch der Jüngste und du weißt doch sicher auch, dass sich jeder Mensch unterschiedlich entwickelt. Bei manchen Jungs geht es früher los und bei manchen eben etwas später. Jedenfalls ist das kein Grund, dass du dich schämen musst. Und am besten reagierst du auf diese Deppen, indem du einfach so tust, als ob du sie gar nicht gehört hast. Denn wenn sie merken, dass du dich davon nicht beeindrucken lässt, dann verlieren sie schnell die Lust, dich zu ärgern.“

„Hm, du meinst, es liegt an mir, dass sie sich über mich lustig machen?“

„Nein, das nicht. Aber du kannst ihnen den Wind aus den Segeln nehmen, indem du mit deinem Körper so normal umgehst, wie er ist. Er ist nämlich normal entwickelt und du wirst sicher auch bald die ersten Schamhaare bekommen. Keine Sorge.“

Er nickte und überlegte noch einen Moment, bevor er sagte: „Ok, das habe ich verstanden. Aber stimmt das eigentlich, das sich alle Jungs immer nackte Mädchen ansehen und das geil finden?“

„Wie kommst du denn jetzt darauf? Wer erzählt denn das?“

„Naja, in der Schule wird viel darüber geredet und es werden auf dem Handy auch Bilder gezeigt und die meisten finden das geil und reden dann so was. Ich weiß nicht, mich interessiert das eigentlich überhaupt nicht. Ich würde viel lieber wissen, wie das bei anderen Jungs aussieht. Weil ich eben noch keine Haare habe und auch sonst noch nichts so klappt, wie die anderen immer erzählen.“

Dabei wurde er doch ein wenig rot. Ich musste mich beherrschen, weil ich fand das total niedlich, wie er das gesagt hatte. Ich wusste natürlich, was er gemeint hatte. Immer wieder interessant, dass es auch heute noch für die Jungs schwierig war, offen über Pubertät und Sexualität zu sprechen.

„Ok, ich verstehe. Aber du weißt schon, dass auch das bei jedem Menschen unterschiedlich ist. Irgendwann wird das auch bei dir losgehen, und wenn es so ist, dass du dir lieber Jungs ansiehst, dann ist das auch nicht etwas Besonderes. Mach dir da keinen Stress. Da läuft sicher alles ganz normal bei dir.“

Jetzt lächelte er wieder. So gefiel mir das viel besser.

„Wie geht es denn jetzt weiter?“, wollte er wissen.

„Für dich erst einmal ganz normal. Außer, dass du mit Thomas sprechen solltest und ihr beide einige Dinge klärt. Ich denke, Thomas wird auf dich zukommen. Du musst keine Angst haben. Redet miteinander und dann geht’s weiter. Was die Schule betrifft, werden deine Eltern mit mir gemeinsam in die Schule gehen, um die Situation dort zu klären und auch deutlich zu verändern. Das werden wir direkt morgen früh in Angriff nehmen.“

„Also soll ich morgen auch wieder zum Training gehen?“

„Ja, natürlich. Du bleibst weiterhin ein volles Mitglied des Teams. Aber eine Bitte habe ich noch.“

„Ja?“

„Bitte halte dich wieder an die Regeln, und wenn du Probleme hast, rede mit Martina oder mit mir, wenn du nicht mit Thomas reden möchtest oder es die Trainer nicht betrifft. Wir sind dafür da, dir und den anderen zu helfen, wenn es Probleme gibt. Weglaufen hilft dir überhaupt nicht. Wenn die Drohungen weitergehen sollten, sag bitte sofort Bescheid. Diese Sache ist zu ernst, um nicht mit aller Macht dagegen vorzugehen.“

Er nickte stumm, aber seine Augen schienen zu leuchten. Er stand vom Bett auf und umarmte mich plötzlich. Darauf war ich nicht vorbereitet.

„Danke, Chris. Ich werde mich auch bei Martina entschuldigen. Es tut mir leid, ich wollte ihr nicht wehtun.“

„Eine gute Idee. Wenn du jetzt nichts mehr hast, dann würde ich sagen, ich verabschiede mich und du verbringst noch den Abend mit deinen Eltern. Ich glaube, ihr habt noch ein paar Dinge zu besprechen.“

Dabei zwinkerte ich ihm zu und verließ gemeinsam mit ihm das Zimmer. Im Flur begegneten wir Martina. Tim blieb gleich bei ihr und ich ging weiter zurück in das Besprechungszimmer. Dort herrschte so etwas wie Aufbruchstimmung. Es schien alles geklärt zu sein, nur dass die Eltern auf mich gewartet hatten. Thorsten und Thomas wollten bereits fahren. Thorsten gab mir noch die Information, dass sie alles soweit geklärt hatten und ich doch bitte beim nächsten Mal bei ihm im Büro vorbeischauen sollte. Die Eltern wären im Sport Hotel untergebracht und blieben heute hier.

Dann fragten mich die Eltern noch, ob sie jetzt mit ihrem Sohn noch etwas unternehmen sollten, wenn sie denn schon einmal hier waren.

„Ja, sicher doch. Also machen Sie sich einen schönen Abend und zeigen Sie ihm, dass er nicht viel falsch gemacht hat. Vielleicht erzählt er ja noch mehr über die anderen Schüler. Ich bin dafür, er sagt uns die Namen und braucht morgen früh nicht dabei sein. Vielleicht beurlauben wir ihn für morgen.“

Die Eltern waren sofort damit einverstanden und wir wollten uns morgen früh im Hotel treffen. Dann könnten wir die Details noch besprechen.

Damit trennten sich unsere Wege und ich schaute zur Uhr. Es war später geworden als geplant, aber für mich stand auf jeden Fall noch ein Besuch bei Dustin und Fynn an. Vielleicht konnte ich das ja mit einem kleinen Abendessen verbinden, denn ich hatte mittlerweile Hunger bekommen.

Ich ging die Treppe vom Besprechungszimmer hinauf ins Erdgeschoss. Aus dem Appartement von Dustin und Fynn drang leise Musik. Ich klopfte an und betrat das Wohnzimmer. Dort fand ich nur Fynn vor.

„Hallo Chris, ich dachte schon, du hättest uns vergessen. Möchtest du dich setzen?“

„Hi Fynn, danke. Wo ist denn Dustin? Ich habe nämlich etwas Hunger und wollte mit euch vielleicht etwas essen gehen.“

„Hm, das ist schlecht. Dustin ist noch bei der Physio und lässt sich behandeln. Er hat Probleme mit dem Rücken.“

„Ok, wann wird er wieder hier sein?“

Fynn schaute zur Uhr, überlegte kurz: „Ich denke, in dreißig Minuten. Heute wollten wir uns selbst versorgen. Martina hat uns Sachen eingekauft für Spaghetti Bolognese. Die wollte ich gleich für uns machen. Wenn du magst, kannst du gern bleiben. Es ist bestimmt genug da.“

„Ok, dann lass uns gemeinsam kochen. Ich habe so ein paar Ideen für die Soße. Zuerst führst du mich aber einmal durch euer Reich.“

Wir gingen einmal komplett durch die Räume und ich musste sagen, sie hatten sich sehr gemütlich eingerichtet.

„Wie gefällt es euch bisher, so ganz ohne Eltern.“

„Eigentlich ganz gut. Ok, wie es mit der Schule wird, muss man dann übermorgen sehen. Allerdings können wir jetzt auch mal in der Woche Turniere spielen. Denn wir bekommen dann einen Plan für den Stoff, den wir selbstständig lernen müssen. Also mal abwarten.“

Ich nickte und fand es sehr gelungen, wie die beiden sich eingerichtet hatten.

„Ach, weißt du eigentlich, dass ich jetzt in der neuen Rangliste mindestens dreißig Plätze nach oben gehe? Das heißt, ich muss bei den meisten Turnieren auch im Herrenbereich nicht mehr in die Qualifikation.“

„Nein, das wusste ich noch nicht. Wie geht es mit deinem Training voran? Hast du schon deinen neuen Plan bekommen?“

„Ja, natürlich. Schon gleich gestern Abend noch. Dustin übrigens auch. Er hat noch einiges aufzuholen und wird deshalb nur dreimal die Woche mit mir trainieren. Seine Fitness ist noch nicht gut genug und er soll viel mit Charles arbeiten.“

„Na, hoffentlich übersteht er das. Charles ist dafür bekannt, ein Schleifer zu sein.“

Charles war der Fitnesscoach des Teams. Er war auch bei den Profis anerkannt und galt als ganz harter Hund.

„Ok, komm lass uns schon mal in die Küche gehen und anfangen. Wir können uns ja weiter dabei unterhalten. Oder gibt es noch etwas, was wir hier besprechen sollten?“

„Ja, da ist noch eine Sache, die ich dich fragen möchte. Mein Vater ist ja in einer Suchtklinik und macht dort eine Therapie. Mama hat gesagt, dass es dort so etwas wie ein Familienwochenende gibt und ich soll da auch mitkommen. Ich weiß aber nicht, ob ich das möchte. Ich habe ein wenig Angst davor.“

„Also, diese Familienwochenenden sind schon wichtig für deinen Vater. Die Klinik möchte natürlich auch wissen, ob das alles so richtig ist, was die Patienten erzählen. Aus meiner Arbeit heraus weiß ich nämlich, dass manche doch eine Menge Unsinn erzählen. Allerdings ist es ganz allein deine Entscheidung, ob du mitfährst oder nicht.“

„Ok, danke für die Erklärungen. Ich werde es mir überlegen. Kann ich dich dann noch mal fragen, wenn ich genau weiß, wann das ist.“

„Natürlich. Komm, dann lass uns kochen gehen.“

Wir verließen das Wohnzimmer und waren schnell in der Küche gelandet. Dort gab es wirklich alles, was man so brauchte zum Kochen. Entsprechend schnell kamen wir voran. Allerdings als Fynn die Zwiebeln schneiden wollte, musste ich doch etwas schmunzeln. Er nahm ein kleines Kartoffelschälmesser und versuchte, damit die Zwiebeln zu zerkleinern.

„Warte mal, ich zeige dir, wie das besser geht.“

Ich holte mir ein großes Gemüsemesser und Ruck-Zuck waren die ersten Zwiebeln gehackt. Fynn staunte mit großen Augen und sagte:

„Boah, du kannst das ja noch schneller als Martina. Das kann ich nie.“

„Warum? Du musst ja nicht gleich so schnell schneiden wie ich. Aber mit dem großen Messer geht das viel besser.“

Ich zeigte ihm noch ein paar andere Tricks beim Kochen und wir hatten viel Spaß. Es begann in der Küche auch recht schnell gut zu duften. Die Soße wurde sehr schmackhaft und Fynn probierte immer wieder, aber er war irgendwie nicht zufrieden. Irgendetwas schien zu fehlen.

„Probierst du mal bitte, ich finde es noch nicht richtig gut.“

Ich nahm mir einen frischen Löffel und probierte. Es schmeckte schon recht gut, aber er hatte recht. Ein wenig Schärfe wäre noch besser. Ich nahm eine kleine Chilischote und ließ sie ganz in der Soße zerkochen. Dann probierten wir es erneut und waren beide sehr zufrieden.

Wir hatten genau das Timing, denn als Fynn die Nudeln abgoss, kam Dustin nach Hause. Er begrüßte mich freundlich und Fynn mit einem Kuss in der Küche. Das gefiel mir. Sie hatten anscheinend hier bereits klare Verhältnisse geschaffen oder zumindest hatten sie keine Angst mehr, es hier offen zu zeigen.

„Bevor du dich wunderst, wir haben Maxi und Alex bereits erklärt, dass wir ein Paar sind. Martina weiß es eh und die beiden finden das überhaupt nicht schlimm. Im Gegenteil, sie meinen, es würde eh langsam Zeit, auch im Tennis die Homosexualität als normal anzusehen.“

„Gute Einstellung. Ich werde das bei Gelegenheit den beiden auch mal sagen. Aber jetzt sollten wir essen. Es wird sonst kalt.“

Wir hatten uns gerade an den Tisch gesetzt, als Martina hereinkam.

„Hmm, riecht gut hier. Sagt mal, würde es euch etwas ausmachen, wenn ich für Carlo etwas mit nach oben nehme. Er ist gerade erst von einem Arzttermin zurückgekommen.“

„Sag ihm doch, er soll zu uns herunter kommen. Er kann doch auch mit uns zusammen essen. Es ist genug da.“

Das gefiel mir. Dustin ließ so gleich erkennen, dass sie ein Interesse hatten, alle kennenzulernen und nicht die strenge Trennung wollten. So dauerte es auch nicht lange, dass Carlo bei uns am Tisch saß. Wir kannten uns ja auch schon von den Turnieren. Das Essen wurde entsprechend lustig, denn Carlo hatte immer launige Sachen zu erzählen. So wurde es ein recht vergnüglicher Abend, aber ich wollte auch langsam nach Hause, denn ich hatte eigentlich schon lange Feierabend. Irgendwie musste ich mit meiner Arbeitszeit besser umgehen. Wobei Thorsten schon oft gesagt hatte, ich sollte das alles aufschreiben. Aber das Essen konnte ich ja schlecht als Arbeitszeit aufschreiben. Jedenfalls verabschiedete ich mich auch recht bald nach dem Essen. Martina hatte mich noch informiert, dass sich Tim bei ihr entschuldigt hatte. Ich war sehr gespannt, wie sich die nächsten Wochen entwickeln würden. Vor allem morgen würde ein wichtiger Tag werden.

Am nächsten Morgen hatte ich zuerst im Büro Bescheid gesagt, dass ich heute erst gegen Mittag erscheinen würde. Glücklicherweise hatte ich keine festen Termine und konnte dann relativ frei über meine Zeiten entscheiden.

Danach fuhr ich direkt nach Halle. Die Eltern hatten mich zum Frühstück eingeladen und das wollten wir nutzen, unser Vorgehen abzustimmen.

Im Hotel angekommen wurde ich bereits von Tim in der Lobby erwartet. Er sah viel besser aus als am Vorabend. Er gab mir einen Zettel. Ich schaute darauf und fand dort fünf Namen und die Klassen.

„Sind das alle? Oder sind das die wichtigen Leute?“

„Das sind die Typen, die mich immer erpresst haben. Und mir das Geld gaben für das Zeug.“

Ich nickte und legte meinen Arm um ihn.

„Gut, Tim. Ich verspreche dir, ab morgen wird sich einiges ändern. Es kann sein, dass deine Eltern sogar Strafanzeige stellen können. Aber zuerst muss für dich die Schule wieder ein sicherer Ort werden.“

Wir waren schon auf dem Weg in den Frühstücksraum und Tim machte wieder den Eindruck auf mich, der mich am Anfang schon begeistert hatte. Offen und herzlich. Vielleicht war er für sein Alter etwas naiv und kindlich, aber alles im normalen Rahmen.

Die Eltern begrüßten mich ebenfalls sehr freundlich und Tim hatte einen guten Appetit. Die Eltern hatten sich entschieden, Tim heute zu beurlauben und ohne ihn in die Schule zu fahren. Für mich war das in Ordnung. Ich hatte mich entschieden, noch bevor wir uns auf den Weg machen würden, in der Schule Bescheid zu sagen, dass wir einen dringenden Termin brauchen mit einem aus der Schulleitung.

Ich erklärte ihnen meinen Plan und was unser Ziel sein sollte. Wir waren sehr schnell auf einen Nenner gekommen. Mit diesen Eltern im Hintergrund würde es uns bestimmt gelingen, Tim wieder auf den richtigen Weg zu lotsen.

Zwei Stunden später betraten wir zu dritt die Schule auf der alle unsere Spieler waren. Von daher war es auch gar kein Problem, mit dem Schulleiter einen Termin zu bekommen. Im Gegenteil, er war sogar sofort bereit, einen anderen Termin dafür abzusagen. Das würde ich mir merken für die Zukunft. Hier war also ein Rektor, der sich für die Belange seiner Schüler und Eltern Zeit nahm.

Wir wurden, nachdem wir uns im Sekretariat angemeldet hatten, direkt empfangen und Herr Stallmann führte uns in einen Besprechungsraum. Nach der kurzen Vorstellungsrunde hatte ich kurz meine Rolle erläutert und Herr Stallmann war sehr angetan darüber, dass ich als Teamvertreter mitgekommen war.

Das Gespräch verlief sehr konstruktiv und innerhalb einer halben Stunde waren wir uns einig, dass die betroffenen Schüler zu einem Gespräch gebeten würden und sich ab sofort von Tim fernzuhalten hätten. Von der Schule zu werfen, war sicher der schlechteste Weg. Sie sollten lernen, dass das von der Schule nicht geduldet wurde. Außerdem sollten sie eine Chance erhalten, sich ändern zu können. Das gefiel mir. Ein Ausschluss würde sicher der nächste Schritt sein, sollten sie sich den Anweisungen widersetzen. Der Rektor hatte ein gutes Gespür und auch ein gutes Argument, weil die betroffenen Schüler bislang nicht negativ in Erscheinung getreten waren.

Zum Abschluss unseres Gespräches kam er noch auf meinen Beruf zu sprechen.

„Sie sagten, dass Sie auch viel in der Suchtvorbeugung in Schulen arbeiten. Wäre es da nicht sinnvoll, wenn Sie genau das auch einmal in unseren achten Klassen machen würden. Außerdem würde ich es begrüßen, wenn Sie den Tätern ein Beratungsgespräch anbieten würden. Vielleicht macht das mehr Sinn als mit mir. Denn ich bin ihr Schulleiter und werde wohl als Vertrauensperson weniger akzeptiert.“

Wow, dachte ich. Solche Schulleiter hätte ich gern häufiger in meiner Arbeit. Wir einigten uns darauf, dass er das den Schülern anbieten sollte und das auch strafmildernd berücksichtigt würde. Das wollten wir aber erst danach bekanntgeben.

Für mich war dieser Termin ein voller Erfolg. Hoffentlich würden sie Tim jetzt auch wirklich in Ruhe lassen. Wenn nicht, würden wir deutlich härter und auch mit rechtlichen Mitteln vorgehen. Es handelte sich nicht um große Dealer oder Schwerkriminelle. Aber sie mussten merken, dass dieses Verhalten absolut inakzeptabel und nicht tolerierbar ist.

Draußen verabschiedete ich mich von glücklichen und erleichterten Eltern. Sie versprachen mir, mich weiterhin auf dem Laufenden zu halten, sollte sich Tims Verhalten wieder verschlechtern.

Fynn: Turnier

Seit einer Woche waren Dustin und ich mittlerweile in der neuen Schule. Es hatte sich gezeigt, dass Dustin nicht in meiner Klasse sein würde. Er hatte einfach zu große Lücken und so war er jetzt eine Klasse unter mir. Vielleicht auch gar nicht so schlecht, so lenkten wir uns nicht gegenseitig ab. Es war schon anstrengend mit dem ganzen Trainingspensum zusätzlich und diese Woche sollten wir nach dem Umzug unser erstes großes Turnier spielen. Ein Herrenturnier und mit Wertung für die deutsche Rangliste. Es gab auch ein recht ordentliches Preisgeld. Nachteil bei der Sache war die weite Fahrt. Es ging nach Hamburg und das Team hatte überlegt, ob es sinnvoll sei, jeden Tag zu fahren. Thorsten und Burghard hatten dann aber entschieden, dass wir dort vor Ort bleiben sollten. Das Team hatte eine kleine Pension gefunden, wo wir übernachten würden. Heute war Abfahrtstag und eigentlich sollte uns Burghard begleiten. Aber er war krank und somit hatten wir ein Problem. Die anderen Coaches waren natürlich entweder auf anderen Turnieren oder mussten in Halle Training geben.

„Sag mal, weißt du schon, wie das jetzt gehen soll? Wir können ja schlecht selber nach Hamburg fahren“, fragte ich Thorsten am Telefon.

Wir hatten unsere Taschen bereits bereitgestellt und warteten auf einen Rückruf von Thorsten. Der wollte sich darum kümmern, wie wir dorthin kämen. Allerdings kam nicht der Anruf, sondern er selbst fuhr mit einem Teamfahrzeug vor.

„Hallo ihr beiden. Heute ist echt Chaos. Sorry, dass ihr warten musstet. Wir müssen ein wenig improvisieren. Ich bringe euch nach Hamburg. Dort müsst ihr heute und morgen ohne Coach auskommen. Am Freitag kommt Chris und betreut euch. Vorausgesetzt, dass ihr dann noch im Wettbewerb seid. Packt eure Taschen schon mal ins Auto, ich bin gleich wieder da.“ Er ging ins Haus und wir stiegen schon mal ins Auto.

„Das wird aber jetzt heftig. Allein in Hamburg. Kennst du dich da aus?“, fragte mich Dustin etwas ängstlich.

„Nö, natürlich nicht, aber irgendwie wird das schon gehen. Thorsten wird sicher etwas vorbereitet haben. Lass uns mal abwarten. Und dass Chris dann kommt, ist mehr als gut.“

„Ja, allerdings. Wie macht er das nur? Das ist doch seine Freizeit. Er ist ja eigentlich gar nicht als Coach bei uns.“

„Stimmt, wir sollten uns also anstrengen. Ich will so weit wie möglich in diesem Turnier kommen.“

Thorsten kam zurück und hatte noch eine Tasche dabei, die er ebenfalls in den Kofferraum legte. Er stieg ein und erklärte uns: „So, wir müssen noch kurz an der Schule vorbei und Maxi einsammeln. Er hatte heute Morgen noch eine Klausur.“

„Ach, spielt er auch auf unserem Turnier? Das ist ja cool.“

„Ja, Dustin. Hat Thomas euch das nicht gesagt?“

„Nein, wir wussten davon nichts, aber das macht auch nichts. Dann sind wir zu dritt und ich finde es besser, wenn wir uns gegenseitig unterstützen können.“

Thorsten lächelte und erwiderte: „Gute Einstellung, Fynn. Ich hoffe, ihr kommt dort zwei Tage allein klar. Aber wir können hier nicht zwei Tage das Training komplett ausfallen lassen. Momentan sind noch ein paar andere Turniere.“

Wir fuhren an der Schule vorbei und Maxi stand schon wartend am Treffpunkt. So kamen wir pünktlich los. Es ging schnell auf die Autobahn und im Auto erzählte Maxi von der Klausur und dass er das nicht gerade optimal finden würde. Thorsten erklärte ihm aber auch, dass es für Klausuren eben nur in besonderen Fällen eine Beurlaubung geben würde. Immerhin hatte er erreicht, dass wir erst ab 16 Uhr spielen mussten. Das Turnier begann bereits um 14 Uhr.

Die Fahrt verlief recht ruhig, denn Maxi schlief die meiste Zeit und Dustin und ich hatten schon mal unsere Schulsachen genommen. Je mehr wir noch vor dem Turnier lernen konnten, desto weniger mussten wir während des Turnieres machen. So bekamen wir gar nicht mit, dass Thorsten schon von der Autobahn fuhr.

„So, Leute. Hört mir bitte einmal genau zu. Wir sind gleich da und ich bringe euch direkt an die Anlage. Ich werde vor Ort mit dem Turnierveranstalter noch klären, wie ihr in eure Unterkunft kommt und vor allem morgen auch wieder zur Anlage. Darum müsst ihr euch nicht kümmern. Ich fahre dann wieder zurück und ihr seid allein für euch verantwortlich. Sollte es Probleme geben, ruft mich bitte an. Chris kommt dann am Freitagnachmittag. Vielleicht schickt ihr abends mal eine Mail mit euren Ergebnissen und wie es für euch gelaufen ist. Dazu noch Fragen?“

Ich überlegte einen Moment, aber da fiel mir ein: „Wie ist das mit dem Bezahlen von Essen und Getränken? Sonst hat das ja immer einer von den Coaches gemacht.“

Thorsten lächelte.

„Danke, dass du das ansprichst. Ich hätte es fast vergessen. Das regle ich gleich noch vor Ort. Ihr könnt auf der Anlage alles auf eine Rechnung schreiben lassen. Also Essen und Getränke. Die Getränke auf dem Platz habt ihr ja weitestgehend dabei. Zumindest für heute. Morgen könnt ihr entweder etwas einkaufen oder eben auch anschreiben lassen. Wenn ihr für eure Verpflegung etwas einkauft, bewahrt die Belege auf. Ihr bekommt das Geld von uns zurück.“

So langsam wurde ich doch ein wenig nervös. Es kam wieder Turnierstimmung auf. Maxi hatte heute noch keine lustigen Geschichten erzählt, wie er das sonst tat. Wir wussten auch, dass das Niveau auf diesem Turnier schon recht gut war. Keiner von uns war gesetzt. Immerhin musste auch keiner in die Qualifikation. Es war ein 64 er Feld.

Thorsten stellte den Wagen auf dem Parkplatz ab und ich staunte schon ein wenig. Hier sah das Ganze doch schon viel professioneller aus. Überall waren Sponsorenbanner aufgehängt und es gab sogar einen Platz mit Tribünen. Im Herrenbereich wurde doch schon ein anderer Aufwand betrieben. Allerdings gab es auch mit höheren Turnieren mehr Punkte für die Rangliste und gute Gegner ermöglichten uns, sich schneller zu entwickeln.

Wir drei meldeten uns bei der Turnierleitung an, bekamen dort ein Bändchen. Das ermöglichte allen Spielern, die im Turnier waren, kostenlos das Catering zu nutzen. Das war selbst für uns neu.

Wir brachten unsere Taschen in die Umkleide und machten uns direkt fertig. Warmlaufen und vorbereiten auf das erste Match war angesagt. Thorsten hatte für uns die Sachen alle geklärt und der Veranstalter würde sich um einen Fahrdienst für uns kümmern. Meine Güte, dachte ich so für mich, was für ein Aufwand. Das war schon ein etwas anderes Ambiente, als bei den Nachwuchsturnieren. Maxi schien das schon zu kennen, denn er war sehr schnell in die Vorbereitung abgetaucht. Er musste auch als Erster von uns Dreien spielen.

Dustin und ich hatten also noch etwas mehr Zeit und die nutzten wir, um uns umzusehen. Maxi wollte jetzt nicht gestört werden. Er war schon in der Vorbereitung auf sein Match. Thorsten hatte sich bereits wieder verabschiedet. Das war für mich auch einer der größten Unterschiede zu meinem alten Verein und dem Verband. Hier wurde sich um die Spieler anders gekümmert. Für Thorsten war es sofort klar, dass uns jemand fahren und hier vor Ort noch Dinge geklärt werden mussten.

„Diese Anlage muss schon recht alt sein. So viele alte Bäume und auch das Clubhaus scheint schon recht lange zu stehen.“

Dustin und ich standen etwas unterhalb des Clubhauses und schauten auf die große Terrasse. Es gab sechzehn Plätze. Das musste also ein großer Verein sein. Mein Freund fing an, mit seinem Handy nach Informationen über den Club zu suchen. Was mir allerdings auch auffiel, einige Spieler schienen in unserem Alter zu sein und entweder einem anderen Team anzugehören oder einem Verband. Sie hatten einheitliche Kleidung an und daran war es zu erkennen, genau wie bei uns. Jeder Spieler hatte eine Ausstattung an Teamkleidung erhalten. Das wurde über Sponsoren und Ausrüster geregelt und finanziert.

„Der Verein hat über 600 Mitglieder und spielt bei den Herren in der 2. Bundesliga. Außerdem ist das der Heimatclub von Michael Stich.“

„Wow, das ist ja cool. Der hat hier angefangen mit Tennis? Das spricht für den Verein.“

Dustin schaute mich an und lächelte. Er hatte einen Moment überlegt.

„Ja, nicht so ein Dorfverein, aus dem ich komme.“

Jetzt mussten wir lachen. Allerdings spürte ich bei Dustin auch die Zurückhaltung. Wir hatten uns seit der Ankunft nicht einmal geküsst. Es schien ihm hier nicht geheuer zu sein und er hielt auffällig große Distanz zu mir. Vor dem Match wollte ich das auch nicht ansprechen. Ich wollte mich auf mein Spiel konzentrieren. Maxi kam gerade zu uns. Er hatte schon seine Tasche über der Schulter.

„So, ich muss jetzt auf den Platz.“

Dustin klatschte ihn genauso ab wie ich und wir wünschten ihm viel Erfolg. Auf Platz fünf sollte er spielen. Also machten wir uns auch dorthin auf den Weg. Durch die Lautsprecheranlage würden wir schon mitbekommen, wenn einer von uns spielen musste. Wir setzten uns auf eine Bank und konnten von dort sehr gut den Platz einsehen.

Innerlich war ich bereits mit meinem Gegner beschäftigt. Ich hatte noch nie gegen ihn gespielt, nur seine Leistungsklasse war etwas schlechter als meine. Das hatte aber nicht immer eine Aussagekraft. Er war auch bereits 25 Jahre alt. Dustins Gegner war noch älter.

Es war jetzt doch etwas ungünstig, dass wir ohne Coach waren. Egal, half ja nichts. Dustin schien es ebenso zu gehen, denn er fragte mich:

„Kennst du deinen Gegner? Ich weiß gar nichts über meinen. Hoffentlich wird das keine böse Überraschung.“

„Nein, ich kenne ihn auch nicht, aber wir wissen, dass wir gutes Tennis spielen können. Also mach dich nicht schlechter, als du bist. Wir schaffen das schon.“

Jetzt lehnte er doch seinen Kopf an meine Schulter und ich spürte die Nähe, die mir heute so gefehlt hatte.

Nach einigen Minuten hatte Maxi bereits zwei Breaks geschafft und das Spiel vollkommen im Griff.

Für uns wurde es nun Zeit, sich richtig warm zu machen. Dustin und ich gingen gemeinsam zum Laufen und Seilspringen. Immer wieder alberten wir auch ein wenig herum. Manchmal liefen wir hintereinander her, als ob wir fangen spielen würden. Dann kam die Durchsage, dass wir beide auch spielen sollten. Er auf Platz zehn und ich auf Platz zwei.

Überraschenderweise umfasste Dustin mich von hinten, flüsterte mir ein „Viel Erfolg, Schatz“ ins Ohr und gab mir einen Kuss. Dann trennten wir uns.

Diese Reaktion hatte ich zwar nicht erwartet, aber es war toll. Mir war es mittlerweile auch relativ egal, wie die anderen es aufnehmen würden. Irgendwann wäre es eh überall bekannt. Mein Gegner kam mir bereits entgegen und ich sagte ihm, dass ich noch schnell meine Tasche holen würde und wir dann loslegen könnten.

Die erste Runde eines Turnieres ist immer ein wenig auch von der Auslosung abhängig. Als nicht gesetzter Spieler kann man auch gleich gegen einen der Favoriten treffen. Dann kann es schnell vorbei sein. Für uns war es diesmal sehr gut gelaufen von der Auslosung.

Mein Spiel verlief problemlos und ich konnte mein Spiel in zwei Sätzen gewinnen. Maxi hatte auch in zwei Sätzen gewinnen können. Er war sogar kurz vor Ende meines Spieles bei mir am Platz gewesen.

Für Dustin schien es deutlich schwieriger zu sein, denn als ich von der Turnierleitung kam und mir noch trockene Sachen angezogen hatte, war er im dritten Satz und musste hart kämpfen. Maxi stand schon am Platz und ich gesellte mich zu ihm.

„Na, wie sieht es bei ihm aus?“

„Eng, sehr eng. Aber er spielt auch nicht klug. Er macht viel zu viel selbst. Er sollte seinem Gegner viel mehr das Spiel überlassen. Dann hätte er es einfacher. So braucht der Typ nur zurückzuspielen und auf den Fehler von Dustin zu warten.“

Mittlerweile hatte ich mir von Thomas und vor allem von Chris ein paar Zeichen und Tricks abgeschaut, wie ich dennoch mit Dustin Kontakt aufnehmen konnte. Also stellte ich mich an eine Stelle des Platzes, wo mich mein Freund sehr gut sehen konnte. Es dauerte zwar einige Minuten, bis Dustin verstanden hatte, was ich von ihm wollte, aber danach drehte das Match schnell. Dustin gewann recht glatt im dritten Satz.

Nach dem Matchball gratulierte Maxi zuerst und als mich Dustin auf den Platz kommen sah, kam er lachend auf mich zu, umarmte mich und sagte:

„Du bist echt cool. Bis ich geschnallt hatte, was du da machst, hat es aber auch gedauert. Wir sollten das besser absprechen.“

Dabei lachte er befreit und Maxi schaute uns fragend an. Als ich ihm das erklärt hatte, musste er aber auch grinsen.

„Nicht schlecht, darauf wäre ich nicht gekommen. Ich hatte mich schon gewundert, warum du plötzlich dein Spiel komplett geändert hast.“

Dustin und ich grinsten. Dustin musste noch den Platz abziehen, aber vorher bekam ich noch einen Kuss von ihm. Jetzt stutzte sein Gegner, sagte aber nichts. Er verließ recht schnell den Platz. Nachdem wir bei der Turnierleitung erfahren hatten, dass wir am nächsten Morgen um zehn wieder spielen sollten und Maxi eine Stunde später, beschlossen wir duschen zu gehen.

In der Umkleide war viel los, denn es waren ja noch sehr viele Spieler im Turnier und immer wieder kamen neue Teilnehmer hinzu. So dauerte es doch etwas, bis wir fertig umgezogen im Clubhaus standen. Maxi hatte auch Hunger und somit wollten wir gemeinsam etwas essen.

Das Büffet war sehr reichhaltig und auf Sportler ausgerichtet. Es gab verschiedenste Pasta und viele Salate. Ich hatte mittlerweile auch richtigen Hunger. Als wir am Tisch saßen, hatte sich Maxi auch ein aktuelles Tableau des Turnieres besorgt und wir schauten uns unsere nächsten Gegner an. Da hatte Maxi eine tolle Idee.

„Wir sollten vielleicht Chris und Thomas eine Nachricht schreiben, dass wir gewonnen haben und wer unser nächster Gegner ist. Vielleicht können sie uns ja etwas dazu sagen. Sie kennen sich ja sehr gut aus.“

Also schrieb ich Chris und er Thomas.

Dustin schaute sich komischerweise immer wieder um. Er wirkte ein wenig nervös. Nachdem ich Chris geschrieben hatte, fragte ich Dustin:

„Sag mal, warum bist du so nervös? Ständig schaust du dich um. Hast du jemanden gesehen, den du kennst?“

Er schien sich ertappt zu fühlen, denn er schüttelte den Kopf und antwortete: „Nein, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass wir beobachtet werden. Ich weiß auch nicht.“

Maxi blieb jetzt richtig cool und mir gefiel das echt gut, was er dazu sagte.

„Wir werden beobachtet, ja. Es ist halt für einige immer noch etwas Besonderes, wenn sich zwei Jungs mögen. Ihr habt euch vorhin geküsst und das hat sich schnell herumgesprochen. Aber ist doch egal. Sie werden sich schon daran gewöhnen.“

Dustin schien es nicht glauben zu wollen, was Maxi gesagt hatte. Ungläubig schaute er mich an. Ich lächelte, denn genauso sollten wir das sehen.

„Was ist? Maxi hat doch recht damit. Es ist nicht unser Problem, wenn sie damit noch keine Erfahrungen haben und wir sozusagen ein Anschauungsobjekt sind. Deshalb werde ich mich nicht anders verhalten.“

Das hatte bei Dustin anscheinend genau das fehlende Selbstbewusstsein geweckt.

„Du hast ja recht, aber es ist immer noch ungewohnt für mich. Und wie im Zoo beobachtet zu werden, finde ich nervig. Aber das stimmt schon. Sie werden sich wohl genauso gewöhnen müssen wie ich.“

Dann tat er etwas, was ich nicht erwartet hatte. Er gab mir am Tisch einen offenen Kuss. Wir ließen uns ab jetzt einfach nicht mehr von außen beeinflussen, hatte ich zumindest geplant. Das Essen war sehr lecker und jetzt hatten wir noch zu klären, wie der Abend weiter verlaufen würde.

Thorsten hatte ja gesagt, dass uns jemand in unser Quartier bringen würde. Also machten wir uns auf zur Turnierleitung und fragten nach, wie das geplant sei. Dort sagte man uns, dass wir noch einen Moment warten sollten, es würde uns gleich jemand fahren.

Eine dreiviertel Stunde später waren wir in unserer kleinen Pension angekommen. Die Mutter eines anderen Spielers hatte uns hergefahren und würde uns auch am nächsten Morgen wieder abholen. Wir setzten uns noch einen Augenblick im kleinen Wohnzimmer zusammen und Maxi hatte von Thomas eine Antwort erhalten. Chris hatte sich ebenfalls gemeldet. Allerdings wusste er über meinen Gegner nichts, nur über Dustins Gegner. Maxi bekam von Thomas einige Informationen, aber er hatte leider auch keine Hinweise über meinen Gegner. Also war ich der Einzige, der ohne Informationen in das Match gehen musste. Chris wollte sich aber bemühen, ob er vielleicht doch noch etwas herausbekommen würde.

Mit Maxi hatten wir einen netten und wirklich sehr offenen Freund hinzugewonnen. Wir saßen noch im Wohnzimmer zusammen und er erzählte uns von sich und seiner Familie. Dustin schien ihm zu vertrauen, denn er fing an, von den Geschehnissen zu erzählen, die ihm widerfahren waren. So wurde es doch recht spät, weil Maxi immer wieder nachfragte oder etwas erklärt haben wollte. Auch mir stellte er einige Fragen. Als wir dann aber doch immer mehr unsere Müdigkeit spürten, wollten wir schlafen gehen. Schließlich hatten wir einen anstrengenden Tag hinter uns und auch noch einen vor uns.

Maxi war sichtlich beeindruckt von Dustins Geschichte. „Danke, dass ihr mir so viel von euch erzählt habt. Ich muss feststellen, dass ich mit meiner Familie da viel mehr Glück habe. Ihr werdet sie sicher auch bald kennenlernen. Sollte ich hier am Sonntag noch im Wettbewerb sein, wird mein Vater sicher zuschauen wollen. Mal sehen, was hier geht. Spielt ihr eigentlich auch Doppel zusammen?“

„Ja“, antwortete ich, „aber hier würde das zu stressig sein. Vielleicht wieder beim nächsten Juniorenturnier.“

Maxi grinste und fragte jetzt nicht so ganz ernst gemeint: „Und habt ihr schon entschieden, in welchem Bett ihr schlafen werdet? Ein Doppelbett gibt es hier ja nicht.“

Wir schauten uns an und mir war das jetzt doch ein ganz klein bisschen peinlich, aber Dustin schien großes Vertrauen in Maxi bekommen zu haben.

„Ja, wir nehmen mein Bett. Das ist vermutlich das größere von den beiden. Ich werde sonst bestimmt schlecht schlafen ohne meinen Freund neben mir.“

Maxi lachte und ich fand das total cool, wie Dustin das so gesagt hatte. Damit beendeten wir den Abend und legten uns hin. Dustin und ich kuschelten uns eng aneinander, redeten noch leise über den Tag. Vor allem aber über Maxi und den Abend.

„Maxi ist echt nett, oder? Er scheint uns wirklich so zu akzeptieren und sogar zu unterstützen. Das ist viel mehr, als ich erwartet habe.“

Dustin streichelte mir über den Bauch und flüsterte mir ins Ohr: „Ja, das stimmt. Ich finde ihn auch sehr nett. Aber jetzt will ich dich auch mal nur für mich haben.“

Hoppla, mein Freund wurde richtig offensiv und entsprechend hatten wir noch gemeinsam ein paar sehr schöne Minuten, bevor wir müde einschliefen.

Dustin: Der zweite Turniertag

Die Nacht verlief erstaunlich erholsam. Ich hatte seit langem keinen Alptraum gehabt und entsprechend gut gelaunt trafen wir uns um kurz nach acht mit Maxi im Wohnzimmer. Um halb neun würden wir abgeholt werden und Frühstück gab es im Club.

Maxi sah noch alles andere als fit aus. Ich machte mir schon Sorgen, aber er meinte nur, er sei kein Morgenmensch und bräuchte etwas länger, um wach zu werden. Wir hatten unsere Sachen bereits fertig vorbereitet und nutzten die Zeit, noch einmal über den kommenden Tag zu sprechen.

„Wir sollten Maxi noch in Ruhe lassen. Er ist noch nicht so fit am frühen Morgen.“

Fynn grinste mich sofort an und erwiderte: „Du hast wieder mal denselben Gedanken gehabt wie ich. Ja, wir sollten ihn noch in Ruhe lassen, bis er richtig wach ist. Was machen wir eigentlich gleich? Erst warmlaufen oder erst frühstücken?“

Für mich war das klar.

„Erst laufen, dann essen. Sonst wird mir schlecht und das wäre nicht gut.“

„Na gut“, lachte mein Freund, „dann will ich mal nicht so sein und wir laufen vor dem Frühstück.“

Er gab mir noch einen schnellen Kuss und dann wurde es auch schon Zeit für uns, an die Straße zu gehen. Maxi war immer noch nicht aus seinem Zimmer zurück. Wir schauten auf die Uhr und Fynn klopfte doch mal an seine Tür.

„Hey, Maxi. Bist du wieder eingepennt? Wir müssen los.“

Sofort ging die Tür auf und Maxi schaute uns verwundert an.

„Ich komm ja schon. Morgens bin ich nicht so dynamisch wie ihr. Aber wir können los. Zeigen wir den anderen, was das „Break Point Team“ kann.“

Lachend warteten wir an der Straße auf unseren Fahrdienst. Ich war beeindruckt, denn erneut klappte das hervorragend und innerhalb weniger Minuten waren wir wieder an der Anlage.

Mit unseren Taschen bepackt, betraten wir das Clubgelände, und obwohl es noch früh am Morgen war, herrschte reges Treiben auf den Plätzen. Überall spielten sich Teilnehmer warm. Wir meldeten uns bei der Turnierleitung an und anschließend machte ich mich mit Fynn zum morgendlichen Waldlauf auf. Immer wieder fing Fynn an, mich zu jagen und dabei zu kitzeln. So waren wir sehr schnell wach und erwärmt. Lachend und gut gelaunt kehrten wir zurück.

Jetzt war Frühstück angesagt. Als wir uns am Büffet reichlich versorgt hatten und wieder am Tisch saßen, grinste uns Maxi vielsagend an.

„Was ist los? Hast du heute Morgen Uran gefrühstückt? Du strahlst wie ein Honigkuchenpferd.“

Typisch Fynn, immer einen Spruch auf Lager, aber Maxi verstand unseren Humor sehr gut. Er lachte sich kaputt über den Vergleich.

„Nein, ganz sicher nicht, aber ihr seid bei einigen Leuten erneut aufgefallen. Eben hat mich einer gefragt, ob ihr Brüder seid. Man sieht euch niemals allein, immer nur im Doppelpack.“

Oha, dachte ich. Waren wir doch so auffällig? Eigentlich wollten wir uns ja auch nicht mehr verstecken, aber dennoch überkam mich jetzt Unsicherheit. Mein Freund hingegen blieb sehr ruhig und selbstbewusst. Immer wieder nahm er etwas zu essen und schob es mir in den Mund. Maxi bekam einen Lachanfall nach dem anderen. So viel gelacht hatte ich am frühen Morgen schon ewig nicht mehr. Es wurde aber auch Zeit, sich auf unsere Spiele vorzubereiten.

Leider bekam ich dabei auch mit, wie sich ein anderer Trainer mit einem seiner Spieler unterhielt. Es ging zweifellos um uns und er gab seinem Spieler die Anweisung, sich uns nicht zu sehr zu nähern. Bei Schwulen müsse man aufpassen. Er sprach sogar davon, dass man so etwas eigentlich nicht fördern dürfe. Es wäre eine Schande für den Sport. Ein paar andere Ausdrücke fielen noch, die aber so heftig waren, dass ich sie nicht mehr wahrgenommen hatte. Wut kam in mir hoch. So viel Arroganz und Bösartigkeit war heftig. Meine gute Laune war schlagartig verflogen. Fynn spürte es recht schnell, das etwas vorgefallen war.

„Was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als ob dir der Teufel persönlich begegnet ist.“

Ich berichtete meinem Freund von dem Gehörten und Fynns Gesicht verfinsterte sich sofort.

„Ok, zeig mir mal den Typen, bitte. Ich möchte wissen, wen der alles betreut. Nicht, dass wir ins offene Messer laufen.“

Nachdem wir das geklärt hatten, wurden die ersten Spiele aufgerufen und wir mussten unsere Taschen holen. Wir waren beide schon dran. Maxi hatte noch etwas mehr Zeit. Leider konnte ich diesen Vorfall nicht so einfach verdrängen. Entsprechend schwer fiel es mir, mich auf meinen Gegner und mein Spiel zu konzentrieren. Immer wieder hatte ich Phasen im Spiel, wo ich das Geschehen dominieren konnte und gute Punkte machte. Allerdings wechselte sich das mit leichten Fehlern ab. Spielerisch musste ich das Match gewinnen. Im dritten Satz hatte ich es geschafft. Ich habe mich von Punkt zu Punkt konzentriert und dann konnte ich endlich das Match gewinnen. Erst einige Minuten nach dem Spiel wurde mir mein Problem richtig bewusst. Ich fing an nachzudenken. Wenn es so leicht war, meine Konzentration zu stören, hatte ich dann eine Chance, richtig gut zu werden?

Jetzt wollte ich aber unbedingt wissen, wie es meinem Schatz auf dem Platz ergangen war. Bevor ich mich umschauen konnte, hörte ich schon seine Stimme.

„Hey, du hast es dir aber schwer gemacht.“

Er umarmte mich von hinten und leise redete er auf mich ein.

„Lass mich raten, du hast dich nicht auf den Gegner konzentriert. Es war zu sehen, dass du dich geärgert hast.“

Verwundert drehte ich mich um und schaute in seine Augen.

„Wo hast du denn gestanden? Ich habe dich gar nicht gesehen.“

„Stimmt. Ich habe mich extra getarnt. Du warst am Schluss so im Tunnel, da wollte ich dich nicht ablenken. Das war übrigens geil, wie du den Schluss gespielt hast.“

Er umarmte mich und dann küsste er mich. Es war ein geiles Gefühl. Das fühlte sich noch besser an, als der Sieg vom Match.

Der Tag verlief für unser Team sehr erfolgreich. Auch Maxi hatte sein erstes Spiel locker gewonnen und somit waren wir drei in der nächsten Runde. Allerdings bemerkten wir auch immer mehr die Unruhe, die aufkam, wenn wir uns mit anderen Spielern unterhielten. Viele Augen beobachteten Fynn und mich. Aber niemand sprach uns direkt an oder fragte uns. Das war schon etwas strange.

Fynn hatte zwischendurch mit Chris telefoniert und ihm berichtet. Maxi hatte sich mit seinen Eltern ausgetauscht und die Planung sah so aus, dass Morgen sowohl Chris, als auch Maxis Eltern kommen würden. Das war eine gute Motivation, auch unser zweites Spiel voll konzentriert anzugehen und alles zu versuchen, um morgen noch im Turnier zu sein.

Leider war mein nächster Gegner hier an Nummer drei gesetzt. Das würde sicher sehr schwierig werden. Fynn hatte eine durchaus lösbare Aufgabe, während es auch für Maxi eng werden würde.

Unser Tag verlief bis zum nächsten Spiel ganz normal. Wir aßen gemeinsam zu Mittag, schauten uns einige andere Spiele an, aber mir wurde immer deutlicher, dass wir beobachtet wurden. Alles was wir taten, wurde genauestens beäugt. Irgendwie kam ich mir wie im Zoo vor. Als ob wir eine besondere Spezies wären. Das nervte mich immer stärker, je länger das andauerte. Ich bewunderte Fynn für seine Gelassenheit. Er hatte sich immer wieder mit Maxi zusammengetan. Ich hingegen zog mich immer weiter zurück. Ich wollte nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen.

Bis zu dem Moment, als mir Fynn gehörig in den Hintern trat. Ich saß gerade allein auf einer Bank und schaute mir ein anderes Match an. Plötzlich näherten sich von hinten zwei Personen und Fynn setzte sich neben mich. Maxi blieb hinter der Bank stehen.

„Sag mal, was soll das eigentlich? Warum ziehst du dich in dein Schneckenhaus zurück? Nur weil hier Leute sind, die nicht damit umgehen können, dass wir schwul sind? Das kann nicht dein Ernst sein. So machen wir doch genau das, was sie wollen. Wir empfinden es als anormal und die können über uns lästern. Das war so nicht besprochen. Wir wollten offen sein, so hatten wir das besprochen.“

Ich hatte es befürchtet, dass er das sagen würde.

„Ach, Fynn. Ich weiß auch, dass wir das so angehen wollten. Es ist nur für mich nicht so einfach, wie wir uns das gedacht hatten. Ich habe heute bemerkt, dass wir ständig beobachtet werden. Jeder Schritt, jede Geste, ich komme mir vor wie im Zoo und noch schlimmer ist, niemand redet mit uns. Alles muss ich mir im Kopf ausmalen.“

Fynn schaute mir die ganze Zeit in die Augen und ich hatte Angst. Angst vor seiner Reaktion und vor der Zukunft. Wie sollte ich das aushalten, wenn ich schon jetzt Probleme bekam?

„Fynn, ich habe Angst, dass ich das nicht kann. Ich will offen damit umgehen, ja, aber ich will auch nicht das Ziel ständigen Spotts werden oder sein.“

Er hatte mir zugehört und mich nicht einmal unterbrochen. Maxi blieb hinter uns stehen, als ob er ein Leibwächter wäre, der uns abschirmen müsste. Dann kam Fynn ganz nah an mich heran gerückt, legte seine Arme um mich und ganz ruhig sagte er:

„Ja, ich verstehe dich. Nur, wenn wir jetzt nachgeben und wieder so tun als ob, dann machen wir so weiter wie bisher. Das will ich nicht und es kann auch nicht richtig sein. Ich weiß auch, dass es nicht immer einfach und angenehm sein wird, aber wir haben Freunde, die uns unterstützen. Bitte, zieh dich nicht zurück. Ich will zeigen können, dass wir ein „Dream Team“ sind. Und das nicht nur auf dem Platz.“

Wow, das hatte mir so noch niemand gesagt und ein intensives Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. An jeder Stelle, wo mich Fynn berührte, strahlte ein Kribbeln in meinen Körper.

„Ja, Schatz. Ich weiß, dass du recht hast, aber es ist halt nicht leicht für mich.“

Plötzlich legte sich eine Hand von hinten auf meine linke Schulter und eine andere Hand auf Fynns rechte Schulter. Maxi kniete hinter uns und was ich zu hören bekam, war ganz großes Kino:

„Leute, eines weiß ich ganz sicher. Die allermeisten Spieler werden es bald nicht mehr als etwas Besonderes finden. Sie sind momentan einfach überrascht und neugierig. Also verhaltet euch normal und dann wird es ganz schnell zum Alltag gehören. Die wenigen Deppen, die es nicht verstehen wollen, wird es immer geben. Lasst euch nicht einschüchtern. Ihr habt doch auch Unterstützung vom Team. Also los, auf nach vorn. Der Gegner wartet auf uns.“

Fynn und ich drehten gleichzeitig unseren Kopf nach hinten und schauten in ein lachendes Gesicht. Maxi hatte uns soeben klargemacht, für einen Rückzug war es eh viel zu spät und es war an der Zeit, der Tenniswelt zu zeigen, dass Homosexualität etwas Normales ist.

Fynn nutzte diese Gelegenheit sofort und gab mir einen schnellen Kuss. Maxi stand aus der Hocke auf und sagte:

„So, ich lasse euch jetzt mal einen Moment allein. Ich werde mich auf mein zweites Spiel vorbereiten. Solltet ihr übrigens auch machen. Also, nicht noch so lange Diskussionen.“

Den letzten Satz hatte er schon mit einem Lachen in der Stimme gesagt, so dass wir wussten, was gemeint war.

Für mich war das total komisch. Mit diesen wenigen Sätzen hatten meine beiden Freunde meine Angst um ein großes Stück verkleinert. Ich nahm Fynns Hand für einen kurzen Moment.

„Danke, ihr habt beide recht. Also, lasst uns der Welt zeigen, dass wir gutes Tennis spielen können.“

Jetzt lachte mein Freund und wir begannen mit den Vorbereitungen auf unsere Matches.

Drei Stunden später saß ich vollkommen erschöpft, aber extrem glücklich auf der Bank meines Platzes und hatte meinen Gegner besiegt. Ich hatte noch gar keine Idee, wie das gelingen konnte. Ich war noch zu müde, um darüber nachzudenken. Was mich besonders gefreut hatte, mein Gegner war sehr fair und hat trotz seiner Niederlage sehr freundlich und anerkennend gratuliert.

Mittlerweile saß Fynn neben mir und wir redeten über unsere Spiele. Es war mir noch gar nicht bewusst geworden, dass er und Maxi ebenfalls gewonnen hatten.

„Sorry, aber ich habe wohl noch gar nichts mitbekommen. Ihr habt auch beide gewonnen?“

„Hey, das ist doch wohl klar, dass du dich nur auf dein Spiel konzentrierst. Wir hatten es auch nicht so schwer wie du. Aber Maxi hat wohl auch extrem gut gespielt. Ich bin nicht so zufrieden, aber mein Gegner hatte es mir leicht gemacht. Aber du hast richtig geil gespielt. Schade dass Thomas das nicht gesehen hat. Ich bin stolz auf dich. Morgen geht bestimmt noch mehr. Also, ich ziehe für dich den Platz ab und du gehst dich auslaufen. Deine Tasche nehme ich mit. Wir sehen uns gleich in der Umkleide.“

Es folgten eine Umarmung und ein Kuss. Dieser Kuss tat so gut, auch wenn ich total verschwitzt war. Es schien ihn nicht zu stören. Ich stand auf und verließ den Platz, um meine schweren Beine auszulaufen.

Die anschließende Dusche tat richtig gut und erst jetzt bemerkte ich, wie müde ich nach diesem Kampf war. Meine Beine taten richtig weh und ich hätte jetzt eine Massage gut gebrauchen können. Beim Essen saß ich wieder mit Maxi und Fynn am Tisch. Wir hatten alle drei das Viertelfinale erreicht und mussten morgen nur ein Spiel machen. Was mich wunderte, wir brauchten erst am Nachmittag zu spielen. Maxi klärte mich auf.

„Heute Abend findet doch die Players-Party statt. Dann beginnen alle Spiele erst um 14 Uhr. Wir können also mal länger schlafen.“

„Das hört sich gut an. Geht ihr auf die Party? Ich bin momentan zu kaputt, um noch zu feiern.“

An Maxis Grinsen konnte ich sofort erkennen, dass er hingehen würde. Fynn hingegen schien unsicher zu sein.

„Allein geh ich bestimmt nicht hin. Also, wenn du dich lieber ausruhen möchtest, werde ich bei dir bleiben.“

„Warum? Du kannst doch auch ohne mich ein wenig Ablenkung haben. Ich werde mich früh schlafen legen, damit ich morgen einigermaßen fit bin. Mit Maxi hast du ja einen echten Partylöwen dabei.“

„Ich will aber mit dir da hingehen oder eben lieber mit dir hier etwas relaxen.“

Ich konnte spüren, dass er schon gern auf diese Veranstaltung gehen möchte. So oft waren wir noch nicht auf so einer Players-Party. Und ich wollte ihn auch nicht enttäuschen.

„Ich schlage einen Kompromiss vor. Ich komme mit, aber nicht so lange. Wenn ich zu müde werde, fahre ich nach Hause.“

Fynn freute sich wie ein Schneekönig und somit ließen wir uns schnell in die Pension bringen, um uns etwas anderes anzuziehen.

Einige Zeit später saßen wir zu sechst an einem der Tische im Clubhaus und hatten vor uns einen Teller mit leckeren Speisen stehen. Der Veranstalter hatte sich große Mühe gegeben und ein tolles Programm erstellt. Bei uns am Tisch saßen noch drei andere Spieler aus der Hamburger Umgebung. Nachdem sie sich mit Noel, Sören und Stefan vorgestellt hatten, führten wir eine nette Unterhaltung. Sie spielten alle für einen anderen Hamburger Verein in der 2.Bundesliga. Alle drei studierten sie an der Uni Hamburg. Wir redeten über Tennis und wie bei ihnen die Nachwuchsarbeit aussah. So, wie sich das anhörte, hatten sie das Glück gehabt, dass in ihrem Verein ein großer Sponsor gute Talente finanziell unterstützte. Der Verband arbeitete auch mit dem Verein sehr eng zusammen. Das war total anders als bei uns. Als wir ihnen von unserem Verband berichteten, wunderten sie sich schon. Stefan fragte:

„Wie soll das denn gehen? Wenn ein Spieler in der Verbandsförderung ist, der Verband aber nicht die Arbeit in den Vereinen unterstützt? Soll sich der Spieler dann gegen seinen Verein entscheiden?“

„Jap“, erwiderte Maxi, „das ist genau unser Problem. Deshalb hat der WTV in den letzten Jahren auch den Anschluss verpasst. Der Verband will alle Entscheidungen allein treffen und den Spielern vorschreiben, mit wem sie arbeiten müssen und wie sie arbeiten sollen.“

Die drei schüttelten den Kopf. Noel erzählte uns noch mehr über ihre Entwicklung und ich fand es sehr interessant, mit ihnen zu reden. Ich bekam zum ersten Mal einen tieferen Einblick in die Arbeit anderer Verbände. Es zeigte mir aber auch deutlich, dass es höchste Zeit gewesen war, den WTV endlich zu verlassen.

Maxi bekam irgendwann Lust auf die Tanzfläche zu gehen. Ich war einfach zu müde. Allerdings hatte ich diese Rechnung ohne meinen Freund gemacht. Fynn zog mich irgendwann von unserem Tisch weg und auf die Tanzfläche. Solange ich mich bewegte, war es auch nicht so schlimm. Nur wenn ich gesessen hatte und wieder aufstehen musste, tat mir alles weh.

Komischerweise hatten wir bei den drei nie das Gefühl, sie würden uns anders behandeln. Obwohl mich Fynn immer wieder sehr zärtlich umarmte und sogar einmal vor ihnen geküsst hatte. Ich wurde immer selbstbewusster und Fynn tanzte mit mir sogar einmal sehr eng einen Blues. Das war so toll von ihm gehalten zu werden und seine Wärme zu spüren.

Als wir gegen elf Uhr die Feier verlassen und uns von Noel, Stefan und Sören verabschieden wollten, bemerkten wir erneut einige neugierige Blicke. Wir standen noch für einen letzten Drink auf der Terrasse, als Sören zu uns kam.

„Leute, seid mir nicht böse, aber ich habe mitbekommen, dass sich einige Spieler darüber aufgeregt haben, dass ihr wohl schwul sein müsst. Stimmt das überhaupt? Nur, weil ihr beide euch extrem gut versteht, finde ich diese Behauptung schon komisch.“

Fynn und ich schauten uns an, Maxi grinste wie immer und wir waren uns einig. Fynn antwortete entsprechend klar:

„Ja, es stimmt. Dustin ist mein Freund und wir beide sind schwul. Ich hoffe, es ist für euch jetzt kein Problem, mit zwei Schwulen den Abend verbracht zu haben.“

Sören begann zu lachen. Er legte uns jeweils einen Arm auf die Schulter und sagte:

„Nein, keine Sorge. Ich finde es total cool, dass ihr das so macht. Wenn ein paar unserer alten Mitglieder damit ein Problem bekommen, ist das ihre Sache. Auch gibt es sicher ein paar wenige Teilnehmer, die das ablehnen, aber seid euch sicher, der weitaus größere Teil akzeptiert das. Und ich habe, genau wie Noel und Stefan, überhaupt kein Problem damit. Wie kommt ihr eigentlich nach Hause, bzw. wo wohnt ihr hier?“

Wir freuten uns natürlich über diese Unterstützung. Ich erklärte ihm kurz, wo wir untergebracht waren. Maxi hatte sich schon um den Fahrdienst gekümmert. Sören verabschiedete sich von uns bis zum nächsten Tag und nach einer halben Stunde waren wir endlich in unserer kleinen Pension. Ich war stehend k.o. und wollte so schnell wie möglich ins Bett.

Chris: Ein richtungsweisendes Wochenende in Hamburg

Nachdem mich Fynn und Dustin mehrfach über den Verlauf des Turnieres in Hamburg informiert hatten, war ich jetzt auf dem Weg nach Halle, um mir ein Teamfahrzeug abzuholen. Das war so üblich, dass die Coaches bei Turnieren nicht mit ihren privaten Fahrzeugen fahren mussten. Diese Gelegenheit nutzte ich noch, bei Thorsten im Büro vorbeizuschauen.

„Hallo Thorsten, ich wollte mir das Auto abholen und dann nach Hamburg rauschen. Hast du noch was Aktuelles von den Jungs gehört?“

„Hi Chris, komm herein und nimm noch einen Moment Platz. Es gibt Neuigkeiten, die wir besprechen sollten.“

Ich nahm am Schreibtisch Platz und Thorsten reichte mir ein Schreiben herüber, das vom WTV zu kommen schien. Ich las das Anschreiben und dann den Text. Darin wurden Fynn und Dustin zu einem Ländervergleich mit den Benelux-Staaten eingeladen. Aber am Ende des Schreibens standen einige Zeilen, die ich als Frechheit empfand. Dort wurde direkt darauf hingewiesen, dass sich alle Spieler nach dem Verhaltenskodex des Verbandes zu richten hatten und private Sponsorenaufnäher nicht erlaubt seien. Ferner wurde noch eine Liste von Dingen angehängt, die zu unterlassen waren. Ich kam mir vor wie in einem Film aus den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts. Das meinten die doch nicht wirklich? Ich schaute zu Thorsten und mir blieb fast die Sprache weg.

„Das meinen die doch nicht im Ernst, oder? Diese Liste und diese Verhaltensvorgaben sind aus dem Mittelalter.“

Thorsten begann zu lachen.

„Guter Vergleich. Allerdings ist das leider tatsächlich immer noch aktuell so. In jedem Schreiben steht das und alle haben sich daran zu halten. Deshalb hat der Verband auch immer häufiger Probleme, gute Spieler dafür zu finden. Die Funktionäre merken es nur nicht. Sie glauben immer noch, sie seien auf dem richtigen Weg.“

Fassungslos schüttelte ich den Kopf.

„Also, ich kann nicht für die beiden sprechen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dieser Einladung folgen werden.“

„Ich auch nicht, aber sie sollen es selbst entscheiden und sag ihnen bitte, sie dürfen dort spielen, wenn sie wirklich möchten. Wenn sie nicht möchten, ist das aber genauso akzeptiert. Sie haben jedenfalls keinerlei Nachteile daraus, wenn sie dort nicht spielen. Sag ihnen das bitte. Der Verband ist allein für solche Ländervergleiche zuständig. Auf alle anderen Turniere haben sie keinen Einfluss, außer bei den Landesmeisterschaften.“

Ich musste schmunzeln. Thorsten schien sehr genau zu wissen, wie die Reaktion gerade von Dustin sein würde. Ich nahm das Papier und faltete es zusammen.

„Eigentlich müsste es sofort zerrissen und entsorgt werden. Ich nehme es mit und denke, es wird dann in Hamburg entsorgt.“

Thorsten grinste mich an und hob den Daumen.

„Was anderes noch, es betrifft Tim. Du hattest ja mit dem Schulleiter gesprochen und vereinbart, dass er sich um die Dinge kümmert.“

„Ja, korrekt. Gibt es erneut Probleme mit Tim?“

„Ich bin mir nicht sicher. Thomas hat Andeutungen gemacht. Ich glaube, du solltest schnellstmöglich noch einmal mit Tim reden. Also Tim hat bislang sein Verhalten sehr positiv verändert. Er arbeitet wieder gut mit und hängt sich rein. Allerdings hat er Thomas Andeutungen gemacht, dass ihn erneut andere Schüler bedrängen. Ich bin der Meinung, wir müssen ihn da ernst nehmen.“

„Absolut richtig. Warum redet Thomas nicht mit ihm? Er trainiert ihn doch regelmäßig.“

„Ja, das ist schon richtig, aber wenn ich Thomas richtig verstanden habe, hat Tim darum gebeten, dass du dich bei ihm meldest.“

„Ach so, sag das doch gleich. Klar mache ich, sobald ich aus Hamburg zurück bin. Oder soll ich Tim vorher mal anrufen?“

„Ruf ihn besser mal an, damit er merkt, dass wir ihn ernst nehmen. Du kannst ihm das ja dann erklären, dass du in Hamburg bist.“

„Ja, ist in Ordnung. Ich rufe ihn heute Abend an. Sonst noch was? Ich muss so langsam los, sonst bin ich nicht rechtzeitig da.“

Er schüttelte den Kopf, gab mir den Autoschlüssel und wünschte uns noch viel Erfolg. Danach verließ ich das Büro und machte mich auf den Weg nach Hamburg.

Die Fahrt verlief ohne Zwischenfälle und nach zweieinhalb Stunden erreichte ich die Anlage. Das Navi hatte ich mich absolut zielsicher durch den Verkehr geführt.

Als ich die Anlage betrat, war ich beeindruckt. Das sah alles sehr professionell aus. Überall gab es Sponsorenfahnen und Stände, an denen Firmen ihre Produkte ausstellten und sicher auch Sponsoren waren. Für ein Turnier zur deutschen Rangliste war das schon enorm.

Bevor ich meine Jungs aufsuchen wollte, holte ich mir einen gesamten Überblick über die Anlage und das Ambiente: Was für Leute liefen hier herum und wie war die Atmosphäre. Fynn hatte mir noch während der Fahrt hierher eine Nachricht geschickt, dass sie gleich auf den Platz müssten und ich mich bitte beeilen sollte.

Nachdem ich mir bei der Turnierleitung ein aktuelles Tableau der Auslosung geholt hatte, machte ich mich auf zu Platz drei. Dort spielte Maxi und ich verweilte einen Moment am Zaun, bevor ich mich kurz zur Bank aufmachte und ihn begrüßte. Reden wollte ich natürlich nicht mit ihm, das musste bis zum Ende des Matches warten. Er führte im ersten Satz 4:3 und hatte einen guten Gegner. Das würde zumindest kein Spaziergang werden.

Einige Minuten später stand ich an Platz neun. Auf dem Weg dorthin vernahm ich bereits lautes Fluchen. Allerdings konnte ich die Stimme keinem meiner Jungs zuordnen. Mal sehen, was mich dort erwartete. Ich bog um die Ecke und sah den Spielstand. 5:1 für Fynn. Hoppla, damit war gar nicht zu rechnen gewesen. Immerhin war sein Gegner in der Rangliste zwanzig Plätze vor Fynn geführt. Ich blieb im Hintergrund. Es gab für mich keinen Grund, mich jetzt bemerkbar zu machen. Er sollte einfach sein Spiel fortsetzen. Wenige Ballwechsel später verließ ich mit einem guten Gefühl diesen Platz. Solange der Gegner sich derart aufregte, war für Fynn keine große Gefahr. Ich beschloss, zu Dustin zu gehen. Dort auf Platz zwölf sah es schon viel kritischer aus. Allerdings war es für Dustin schon ein beachtlicher Erfolg, hier ins Viertelfinale gekommen zu sein. Er hatte gestern die Nummer drei des Turnieres geschlagen. Eigentlich sollte dieser Gegner eher etwas leichter sein. Das war aber immer nur eine theoretische Überlegung. Wer im Viertelfinale war, konnte Tennis spielen. Das war mir auch klar.

Dustin hatte den ersten Satz bereits hoch verloren und es stand im zweiten Satz 1:1, als ich an seine Bank kam. Sofort hatte er mich erkannt. Sein Gesicht sah nicht sonderlich positiv aus. Er schien unzufrieden zu sein. Ich beobachtete das nächste Spiel und konnte nicht erkennen, dass Dustin schlecht spielte. Der Gegner agierte sehr clever und machte kaum eigene Fehler. Hier zeigte sich Dustins größte Schwäche. Seine Ungeduld und die Einstellung, viele Punkte entscheiden zu müssen. Diese Taktik war auf Sand sehr schwer umzusetzen, gerade wenn der Gegner so gut wie keine Gelegenheit bekam, in langen Ballwechseln auch mal einen Fehler zu machen. Mir wurde sehr schnell klar, so würde es Dustin nahezu unmöglich sein, das Match zu gewinnen. Ich hatte hier nur sehr begrenzte Möglichkeiten einzugreifen. Immer wieder versuchte ich mit Zeichen, ihn zur Geduld aufzufordern. Es half aber nicht wirklich.

Plötzlich tauchten zwei andere Spieler auf, die sich dieses Spiel ansahen. Sie redeten recht laut und so konnte ich ihr Gespräch verfolgen. Es ging um das Match von Fynn, über das sie sich unterhielten. Der eine sagte: „Krass, hättest du gedacht, dass Micha so hoch Haue bekommt, gegen diese Schwuchtel?“

Der andere antwortete kopfschüttelnd: „Niemals, aber der spielt auch richtig gut. Gar nicht wie eine weichgekochte Schwuchtel. Micha wird sich schwarz ärgern, wenn er das verliert.“

„Wenigstens bekommt sein Freund hier richtig den Arsch versohlt. Kann ja auch nicht sein, dass Schwule besser spielen als wir.“

Bei diesem Gespräch blieb mir fast die Luft weg. So eine extreme Haltung gab es heutzutage glücklicherweise nur noch sehr selten. Dennoch ärgerte es mich maßlos, mit so einer Haltung offen durch das Turnier zu gehen. Ich verkniff mir jetzt allerdings jeglichen Kommentar, denn mein Ehrgeiz war geweckt. Entgegen meiner sonstigen Zurückhaltung stellte ich mich jetzt demonstrativ hinter Dustins Bank und redete mit ihm bei jedem Seitenwechsel, kurze Sätze. Es war mir absolut klar, dass das verboten war, aber ich wollte klar Stellung beziehen für diese beiden geistigen U-Boote, die hinter mir standen.

Es war schon interessant zu sehen, dass diese beiden Typen sofort still wurden, als ihnen klar wurde, dass ich zu Dustin gehörte. Dustin fing sich auch ein wenig und hatte im zweiten Satz mehr Chancen, aber er konnte heute nicht gewinnen. Das musste ich einfach anerkennen. Dustin war auch zum Ende hin körperlich nicht mehr in der Lage, dem Gegner irgendetwas entgegenzusetzen. So verlor er in zwei Sätzen. Allerdings war ich nicht so unzufrieden wie er. Er saß nämlich ziemlich niedergeschlagen auf seiner Bank und hatte sein Handtuch über den Kopf geworfen.

„Du hast keinen Grund so enttäuscht zu sein. Es war ok. Also beruhige dich ein wenig und dann reden wir darüber, ok?“

Er nickte nur wortlos und jetzt war es sicherlich besser, ihm ein paar Minuten zu geben, sich zu beruhigen. Er bekam noch die Info von mir, dass ich zu Fynn gehen würde und anschließend verließ ich den Platz. Die beiden Typen von eben waren bereits verschwunden. Schade eigentlich, denn ich hätte ihnen gern etwas dazu gesagt, aber sie würden mir sicherlich noch einmal begegnen.

Fynn hatte sein Spiel absolut im Griff. Sein Gegner fiel ausschließlich durch sein schlechtes Benehmen auf. Insofern war es mir ein Vergnügen zu sehen, wie Fynn ihn fertigmachte. Er scheuchte ihn von links nach rechts und machte irgendwann einfach den Punkt. Sehr beeindruckend, was Fynn hier zeigte.

Ebenfalls tauchten hier auch wieder die beiden Typen von eben auf. Sie verhielten sich nur deutlich stiller. Als das Spiel vorbei war, ging ich zu Fynn. Er strahlte mich an und hatte auch allen Grund dazu nach dieser grandiosen Vorstellung. Er hatte völlig souverän das Halbfinale erreicht. Ich umarmte ihn und klopfte ihm auf die Schultern.

„Respekt, das war echt eine geile Vorstellung. Wie fühlst du dich gerade?“

„Gut, einfach gut. Es fühlt sich schon cool an, wenn man gegen einen Gegner gewinnt, der hier als hoher Favorit angetreten ist.“

Ich musste schmunzeln, auch wenn mir die Typen von eben noch schwer zu schaffen machten. Fynn hatte sich in den letzten Wochen toll entwickelt und mir machte es immer wieder Freude, ihn zu betreuen.

„Tja, im Tennis sollte man eben niemals vor dem Match den Siegerpokal vergeben. Es muss erst gespielt werden.“

Er zwinkerte mir zu und erwiderte lachend: „Weißt du Bescheid.“

Nach einer kurzen Pause fragte er mich aber auch:

„Weißt du, was Dustin auf dem Platz so macht? Wie steht es dort?“

„Er ist bereits fertig. Er hat nach einem guten zweiten Satz verloren. Du musst gleich ein wenig Aufbauarbeit leisten.“

Dabei grinste ich ihn an. Er hatte mich verstanden und lachte.

„Schade, ich hätte es ihm schon mal gegönnt, bei so einem Turnier ins Halbfinale zu kommen. Naja, er war vermutlich von gestern noch zu sehr kaputt.“

Fynn berichtete mir jetzt von dem gestrigen Spiel und somit konnte ich diese Leistung noch besser einordnen.

„Gut, dann weiß ich soweit Bescheid. Ich gehe mal zu Maxi. Du kümmerst dich ein bisschen um deinen Freund, ok? Wenn er sich gefangen hat, könnt ihr gern zu mir und Maxi kommen.“

Allerdings musste ich bei Maxi nicht mehr viel tun. Er hatte sein Match ebenfalls unter Kontrolle und somit war er auch nach wenigen Minuten fertig.

Jetzt kam es allerdings zu der unschönen Situation, dass Maxi im Halbfinale gegen Fynn spielen musste. Schade, aber so war halt die Auslosung. Es hatte für das Team den positiven Effekt, auf jeden Fall einen Spieler im Finale zu haben. Das war ein großer Erfolg.

Nachdem ich Maxi gratuliert hatte, sich meine Jungs ausgelaufen hatten und frisch aus der Dusche kamen, bat ich um eine kleine Teambesprechung. Ich hatte aber keine Lust, mit meinen Jungs hier zu bleiben. Für heute war der Spielbetrieb vorbei und ich hatte die beiden Typen von vorhin auch wieder gesehen. Sie standen mit dem Gegner von Fynn zusammen und schienen sich über unsere Jungs aufzuregen. Einfach nur peinlich, dass Leute Anfang 20 so rückständig in ihrer Haltung sind. Ich wollte aber auch keinen Stress haben und deshalb hatte ich eine Entscheidung getroffen.

„Maxi, holst du bitte Fynn und Dustin her. Ich möchte kurz klären, wie der weitere Verlauf ist.“

Es dauerte auch nicht lange, dann kamen die Drei auf mich zu. Fynn fragte:

„Was gibt es denn Chris? Wir wollten gerade was essen.“

„Können wir auch gleich machen. Ich möchte mit euch danach aber in die Stadt fahren und dort mit euch ein paar Dinge besprechen. Es gibt genug Gründe, das nicht hier zu tun. Erkläre ich euch später.“

Fynn und Maxi schauten sich fragend an und Dustin schien es zu ahnen.

„Lass mich raten, du hast die Deppen bemerkt, die sich über uns das Maul zerreißen?“

Damit hatte ich nicht gerechnet, aber es gefiel mir, wie Dustin das sagte.

„Wie gesagt, nicht jetzt und nicht hier. Lasst uns essen gehen.“

Wir machten uns auf zum Büffet und erneut wurde mein Eindruck bestätigt, dass der Veranstalter ein herausragendes Turnier organisiert hatte. Einige Spieler grüßten meine Jungs freundlich und drei Spieler aus Hamburg setzten sich zu uns an den Tisch. Sie waren sehr nett und es schien so, als ob zumindest Fynn sie bereits kannte. Er stellte sie uns vor. Sören, Stefan und Noel waren ihre Namen und sie spielten bereits alle drei in der 2.Bundesliga.

Es dauerte auch nicht lange und das Thema „schwul“ kam zur Sprache. Die drei waren sehr offen und hatten überhaupt keine Berührungsängste. Aber als ich nebenbei erwähnte, dass es auch hier einige der Unverbesserlichen geben würde, wurden sie nachdenklich. Einer fragte mich:

„Wie ist das bei euch im Team? Sind dort alle informiert? Wie gehen die damit um?“

„Ja, alle Trainer wissen Bescheid und unterstützen die beiden. Und die Spieler, die es wissen, haben bislang auch keine Probleme damit. Im Gegensatz zu einigen hier und beim Verband.“

Das löste bei Fynn etwas Ratlosigkeit aus.

„Wie meinst du das? Hast du konkrete Dinge bemerkt?“

Jetzt war Dustin schneller.

„Leute, man muss schon echt blind und taub sein, das nicht mitzubekommen. Die Typen hier vom heimatlichen Verein sind schon die ganze Zeit über uns hergezogen. Deshalb will Chris bestimmt auch mit uns nicht hier bleiben. Lasst uns das Thema bitte wechseln.“

Dustin schien doch mehr genervt zu sein, als ich bislang wahrgenommen hatte. Ich ließ das so stehen und wir wendeten uns wieder dem Essen zu. Nach einer weiteren sehr kurzweiligen Stunde wollte ich mit meinen Jungs aufbrechen. Wir verabschiedeten uns von den anderen drei Spielern und wünschten ihnen für die nächsten Turniere alles Gute.

In meinem Auto blieb es zunächst sehr still. Ich hatte das Gefühl, so langsam machte sich auch Erschöpfung breit.

„Können wir noch ein wenig in die Stadt, oder seid ihr zu müde?“, fragte ich deshalb in die Runde.

„Fahren wir bitte erst einmal in die Unterkunft, ich möchte meine Tasche loswerden. Danach können wir gerne noch eine Tour machen.“

„Maxi, du nun wieder. Du kannst auch nie genug bekommen, oder?“

Dieser Kommentar von Fynn führte zur Anhebung der Stimmung. Es wurde wieder gelacht und weiter geneckt. Die Jungs hatten mir die Adresse unserer kleinen Pension gegeben und das Navi führte uns schnell zum Ziel. Ich schaute mich um, und nachdem ich realisiert hatte, dass wir recht zentral untergebracht waren, beschloss ich, mit den Jungs mal ein wenig in die Szene zu tauchen. Hamburg hatte eigentlich überall auch kleine Cafés und Bars mit schwulem Publikum. Ich gab also in mein Handy ein paar Suchbegriffe ein und schon hatte ich einen Vorschlag bekommen, der ganz in der Nähe lag. Ein kleines Szene Café nur um die Ecke. Ich hatte ihnen natürlich noch nichts davon gesagt, dass wir in ein Schwulen-Café gehen würden.

Es war mit halb acht am Abend noch recht früh und entsprechend wenig war dort los, als wir durch die Tür gingen. Dennoch wurden wir freundlich begrüßt. Mir fiel natürlich sofort auf, dass es nur männliche Servicekräfte gab und auch einige Bilder an der Wand waren eindeutig. Ich war gespannt, wie lange es dauern würde, bis meine Jungs das merken würden.

Wir hatten uns an einen Tisch gesetzt und ich bat Maxi für mich eine Fassbrause zu bestellen. Ich wollte noch kurz mit Tim telefonieren und mit ihm einen Termin ausmachen.

Tim freute sich, dass ich mich meldete. Er erklärte mir die Lage und dass er sich von den älteren Schülern erneut bedroht fühlte. Sie wollten ihn nicht in Ruhe lassen. Meine Wut darüber stieg schnell. Ich erklärte ihm, dass ich noch in Hamburg war und erst Anfang der Woche in die WG kommen könnte. Also machten wir für Dienstag einen Termin. Ich legte das Handy an die Seite und schaute in drei fragende Gesichter. Die Jungs saßen mit ihren Getränken am Tisch und schienen darauf zu warten, was nun kommen würde.

Ich holte das Schreiben vom Verband aus meiner Jackentasche, legte es Dustin und Fynn zum Lesen auf den Tisch. Lustig fand ich jetzt, Dustin hatte Fynns Hand unter dem Tisch genommen. Sie trauten sich nicht in der Öffentlichkeit. Maxi hingegen hatte wohl schon begriffen, wo wir gerade waren.

Nachdem die beiden den Text gelesen hatten und sich darüber austauschten, ob sie dort spielen wollten oder nicht, platze Maxi mit seiner Meinung heraus.

„Also ich habe auch mal ein oder zwei solcher Einladungen bekommen. Habe es aber immer abgelehnt unter diesen mittelalterlichen, diktatorischen Bedingungen zu spielen. Außerdem dürfte euch klar sein, dass ihr dort nicht offen schwul sein dürft. Das würde der Verband niemals zulassen.“

Es war damit auch recht schnell klar, wie die beiden damit umgehen würden. Fynn nahm das Schreiben und zerriss es noch am Tisch. Das Thema hatte sich also geklärt.

Der Kellner kam an unseren Tisch und fragte, ob wir noch etwas trinken möchten. Ich bestellte noch eine Runde Getränke und jetzt wurde es interessant. Maxi hielt es nicht mehr aus und musste Fynn und Dustin aufklären.

„Sagt mal, wollt ihr nicht endlich aufhören, euch zu verstecken. Hier könnt ihr doch ohne Angst zeigen, dass ihr ein Paar seid.“

Er grinste die beiden vielsagend an, aber sie waren noch so mit der Situation beschäftigt, dass sie es immer noch nicht begriffen hatten.

„Spinnst du?“, erwiderte Dustin, „ ich habe keinen Bock auf Stress. Ist schon schlimm genug, dass wir beim Turnier so behandelt werden.“

Maxi schüttelte den Kopf.

„Chris, klärst du sie auf oder soll ich?“

„Nein, lass mal. Ich werde sie jetzt mal einweihen. Also ihr beiden, hier könnt ihr problemlos offen sein. Wir befinden uns nämlich in einem Café für Schwule. Eigentlich hatte ich gedacht, es wäre so offensichtlich, dass ihr von allein darauf kommen würdet.“

Sie schauten sich um und innerhalb weniger Augenblicke löste sich ihre Anspannung und beide fingen an zu lachen. Dustin war derjenige, der mich anstieß und sagte:

„Das hast du mit Absicht gemacht. Du hast uns absichtlich hierher gebracht.“

„Natürlich. Wenn man schon in Hamburg ist, muss ich euch das doch mal zeigen.“

Fynn gab seinem Freund einen Kuss und somit war jetzt die Stimmung gut genug, um sich über die Situation zu unterhalten. Erst redeten wir über das morgige Halbfinale und ich machte deutlich, dass ich keinen der beiden auf dem Platz betreuen würde. Nur wenn es Probleme geben würde. Ansonsten sollten sie frei spielen. Für mich war allerdings Maxi klarer Favorit. Das behielt ich aber für mich. Anschließend bat ich die Jungs, mir ihre Erfahrungen mit den Leuten zu berichten. Zum Schluss erzählte ich ihnen von meinen Erlebnissen und fragte in die Runde:

„Was ist eure Meinung dazu? Soll ich bei der Siegerehrung dazu etwas sagen oder wollt ihr das einfach ignorieren?“

Maxi war sich da sehr sicher.

„Ich würde etwas dazu sagen, denn die meisten der Spieler und Zuschauer sind sehr locker damit umgegangen. Vielleicht ist es dem Veranstalter ja dann unangenehm, wenn sie hören, dass ihre eigenen Leute sich nicht benehmen können.“

Wir diskutierten noch einen Augenblick, aber es stellte sich heraus, dass ich bis zur Siegerehrung keine weiteren Maßnahmen unternehmen sollte. Das sagte ich zu und wir saßen noch einen Moment am Tisch, ohne ein bestimmtes Thema zu haben. Langsam wurde es auch voller in dem Café und immer mehr Paare und Cliquen saßen an den Tischen. Für Dustin und Fynn war es ein schönes Erlebnis. Ich konnte sehen, wie sie immer entspannter wurden und sich auch ab und an mit Zärtlichkeiten verwöhnten. Das gefiel mir gut. Leider war die Zeit doch schon recht fortgeschritten und mit drei Jugendlichen wollte ich nicht zu spät noch in der Szene sein. Ich bezahlte die Rechnung, ließ mir eine Quittung geben und dann verließen wir das Café.

„Chris, du bist echt cool. Ich hätte nie damit gerechnet, dass du mit uns so etwas machen würdest. Danke.“

Fynn legte seinen Arm um Dustin: „Schwule haben es in großen Städten einfacher. Bei uns würde so etwas wohl eher unwahrscheinlich sein. Ein Café für Schwule, aber ich finde es richtig klasse, dass du das mit uns gemacht hast.“

Ich freute mich über diese Reaktion von den beiden. So schlenderten wir noch entspannt durch den Abend in Richtung unserer Pension. Es wurde jetzt auch Zeit, zur Ruhe zu kommen, denn morgen war bereits um zehn Uhr das Halbfinale. Dustin musste zwar nicht mehr spielen, aber er war auch sehr müde. Also schickte ich die drei schlafen. Ich selbst nahm mir noch den Laptop und schrieb an Thorsten eine Mail, in der ich über die Geschehnisse berichtete. Anschließend legte ich mich auch schlafen.

Mein Schlaf war recht unruhig, aber ich hatte keine Ahnung warum. Eigentlich lief alles gut und dieses Turnier war ein Erfolg in jeglicher Hinsicht. Als mich morgens mein Handy mit Musik weckte, hatte ich Kopfschmerzen. Entsprechend schlecht gelaunt ging ich ins Bad. Die Jungs hatten noch ein paar Minuten, bis sie aufstehen mussten. Ich mochte Hektik und Unruhe morgens überhaupt nicht. Dafür stand ich lieber ein paar Minuten früher auf. Somit hatte ich im Bad meine Ruhe und war bereits mit allem fertig, als die Jungs nacheinander aus ihren Zimmern kamen. Mein Kopf fühlte sich nach der Dusche nicht viel besser an. Keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Ich verließ das Wohnzimmer in den kleinen Garten. Die frische Morgenluft tat mir gut. Ich saugte den Sauerstoff ein und spürte sofort, wie meine Gedanken munter wurden.

Nach und nach tauchten die Jungs auf. Maxi war schon gut drauf, während Fynn und Dustin noch ein wenig still waren.

„Guten Morgen Jungs, gut geschlafen?“

„Klar, immer doch. Heute werden wir zeigen, dass wir gut sind.“

Maxi hatte heute schon am frühen Morgen außergewöhnlich den Schalk im Nacken.

„Wie kann man am frühen Sonntagmorgen schon so gut gelaunt sein? Ich verstehe es nicht.“

Die Jungs alberten noch ein wenig herum und ich beobachtete sie dabei. Mir fiel auf, dass sich die drei mittlerweile wie enge Freunde verhielten. Das war eine sehr gute Entwicklung. Dustin würde es dadurch leichter fallen, ohne eine Familie zu haben, seinen Weg zu gehen. Dass Maxi mit der Homosexualität überhaupt keine Berührungsängste hatte, freute mich ganz außerordentlich.

„Wir müssen dann los. Habt ihr eure Sachen fertig gepackt? Wir werden nachher nicht mehr hierher zurückkommen. Also nehmt bitte alles mit.“

Das führte dazu, dass alle noch einmal in ihre Zimmer verschwanden und jeder mit einer weiteren Tasche zurückkam. Ich gab Maxi den Autoschlüssel, damit sie ihre Sachen schon einmal verstauen konnten. Ich selbst wollte noch einmal durch alle Zimmer gehen, um sicherzugehen, dass wir auch nicht vergessen hatten oder etwas beschädigt war. Es war aber alles in Ordnung und somit fuhren wir auf die Anlage.

Heute war Finaltag. Zuerst waren die Halbfinals angesetzt. Beim Frühstück waren nur noch wenige Spieler anwesend. Die Helfer des Veranstalters trudelten auch langsam ein und auch die Spieler der Doppelkonkurrenz waren mittlerweile anwesend. Also war es überschaubar im Clubhaus. Ganz im Gegensatz zum Beginn des Turnieres. Fynn hatte mir berichtet, wie voll es hier war. Umso beeindruckender, wie der Veranstalter dieses Turnier organisiert hatte.

Wir saßen beim ausgiebigen und reichhaltigen Frühstück. Dustin versuchte Maxi zu bestechen, damit Fynn das Match gewinnen würde. Natürlich war das nur Spaß, und ich ließ sie einfach gewähren. Für die Stimmung in unserer Truppe war das gut. Maxi war der klare Favorit und er wusste das auch. Dennoch blieb er recht locker. Was mir sehr gut gefiel, auch Fynn hatte keine Probleme, vor dem Spiel mit Maxi weiterhin sehr locker umzugehen. Ich hatte mir vorgenommen, mit keinem der beiden über das Match zu sprechen. Erst nach dem Spiel würde ich eine Analyse vornehmen.

So langsam wurde es ernst und beide gingen sich aufwärmen. Interessanterweise machten sie auch das gemeinsam. Das gefiel mir richtig gut. Beide hatten sich ihre Teamkleidung übergezogen und somit war erkennbar, wo sie herkamen. In einer halben Stunde sollten die Spiele beginnen. Der Einzige, der nervös wurde, war Dustin. Ich hatte ihn zu mir gebeten. Er sollte die beiden nicht in ihrer Vorbereitung stören.

„Was denkst du Chris, wer wird das gewinnen?“

Eine typische Frage und ich wollte sie eigentlich nicht beantworten, weil es mir auch egal war. Ich wollte ein gutes Match von beiden sehen und wie sie mit dieser Situation umgingen.

„Einer von beiden wird gewinnen.“

Dabei grinste ich ihn an. Er hatte eine andere Antwort erwartet und entsprechend konsterniert stand er vor mir.

„Man, Dustin. Was soll ich darauf antworten? Denk mal nach. Ich möchte einfach ein gutes Match von beiden sehen. Der bessere soll gewinnen.“

Jetzt hatte er es auch verstanden und fing an zu lachen. „Stimmt, das war eine dumme Frage. Entschuldige bitte. Aber es ist doch ok, wenn ich eher für Fynn die Daumen drücke?“

„Klar, aber bleib bitte fair Maxi gegenüber. Er kann sich auch denken, dass du jetzt mehr für Fynn sein wirst.“

Maxi und Fynn kamen gemeinsam vom Aufwärmen zurück und ich erklärte beiden noch einmal, dass ich das Spiel nur beobachten würde. Nur wenn es nötig wäre, würde ich direkt an den Platz kommen. Beide fanden das ok und dann wünschte ich beiden viel Spaß. Dustin ging mit seinem Freund noch einmal Richtung der hinteren Plätze.

Dann erfolgte der Aufruf der beiden Halbfinals und die Bälle wurden ausgegeben. Jetzt sollte es losgehen. Ich setzte mich an den Rand der Terrasse. Von dort hatte ich einen sehr guten Überblick über beide Spiele. Das andere Halbfinale war für mich auch interessant. Dort konnte ich den Gegner im Finale beobachten. Dustin stellte sich direkt an den Platz. Das war für mich auch in Ordnung. Er musste sich nicht so neutral verhalten, wie ich.

Mittlerweile waren wir in der Mitte des ersten Satzes und für mich war beiden die Anspannung und Nervosität anzumerken. Sie spielten sehr vorsichtig und entsprechend ausgeglichen war der Spielstand. Beim Stand von 4:4 hatte Fynn Aufschlag und begann mit zwei Doppelfehlern. Den bis dahin einzigen des ganzen Matches. Er regte sich sehr darüber auf und das hatte zur Folge, dass Maxi das Break zum 5:4 gelang. Sein eigenes Aufschlagspiel gewann er anschließend souverän. Da wurde die größere Erfahrung deutlich. Maxi spielte sein Spiel. Egal wie es stand.

Nach dem gewonnenen ersten Satz bekam Maxi immer mehr Selbstbewusstsein und hatte das Spiel vollkommen im Griff. Auch Dustin schien zu spüren, dass für Fynn heute nichts zu gewinnen war. Er feuerte zwar seinen Freund immer wieder an, aber beim Spielstand von 2:5 konnte ich doch erkennen, dass Fynn resignierte. Dustin war traurig darüber, dass es so deutlich wurde. Ich war allerdings nicht unzufrieden mit der Leistung von Fynn.

Nach dem Matchball, den Maxi sicher verwandelt hatte, gingen sie ans Netz. Fynn streckte Maxi die Hand entgegen, aber Maxi umarmte Fynn. Eine tolle Geste, die ich nicht erwartet hatte. Auch Dustin gratulierte ihm fair, trotz seiner Enttäuschung. Maxi hingegen hatte auch für Dustin einige nette Worte parat. Das war für mich sehr angenehm. Es war klar, dass Maxi gewinnen wollte, aber er hatte nicht aus den Augen verloren, dass sie Freunde waren. Und beide zu umarmen, mit dem Wissen, dass hier nicht bei allen Akzeptanz herrschte, war ein tolles Signal. Beide zogen ihren Platz ab, während Dustin an der Bank auf seinen Freund wartete. Ich war der Meinung, er sollte Fynn ein wenig Zeit geben und rief ihn zu mir.

„Was gibt es denn, Chris?“, fragte er mich etwas genervt.

„Ich möchte, dass du Fynn noch etwas in Ruhe lässt. Er soll erst einmal für sich ein paar Minuten haben. Du kannst gleich mit ihm reden und Zeit verbringen.“

Dustin wollte zuerst widersprechen, überlegte einen Moment und blieb dann doch bei mir stehen.

„Schau mal, Fynn hat gerade recht deutlich verloren. Er ist enttäuscht und ich finde zu Unrecht. Er hat ein sehr gutes Turnier gespielt. Wie ihr alle bislang. Ich finde, er muss gar nicht enttäuscht sein. Und wenn du jetzt hingehst und ihn trösten willst, wird er noch mehr das Gefühl bekommen, schlecht gespielt zu haben. Also warte bitte, bis ich mit ihm gesprochen habe.“

Dabei hatte ich ihm meine Hand auf die Schulter gelegt und ich konnte fühlen, wie sich sein Körper entspannte.

„Ja, vielleicht hast du recht. Aber Maxi war schon deutlich besser als Fynn. Ich habe gedacht, Fynn würde näher an Maxi dran sein.“

„Noch nicht. Ich habe es mir schon gedacht, dass Maxi gewinnt. Und es war im Grunde nur ein Aufschlagspiel, das den Ausschlag gegeben hat. Da fehlt Fynn noch die Erfahrung. Das kommt noch, wenn ihr weiter so gut arbeitet und Turniere spielt.“

Mittlerweile war Maxi bei uns angekommen. Ich gratulierte noch einmal, aber ich konnte auch merken, dass es ihm gar nicht so angenehm war.

„Sorry, dass ich so deutlich gewonnen habe. Ich wollte aber zum Schluss auch Kraft sparen für das Finale. Ich wollte Fynn nicht vorführen.“

„Hey, du musst dich doch nicht für einen Sieg entschuldigen. Du warst heute der bessere Spieler. Mir hat es verdammt gut gefallen, wie du mit Fynn anschließend umgegangen bist. Das ist nicht selbstverständlich. Außerdem solltest du nicht glauben, dass das immer so einfach gehen wird. Fynn hat noch Entwicklungspotenzial.“

Dabei schmunzelte ich. Maxi sollte merken, dass ich das sehr entspannt sah.

„Warte bitte einen Moment. Ich will gleich mit dir noch über deinen Gegner im Finale sprechen. Das Match habe ich mir eben angeschaut. Ich will jetzt aber erst mit Fynn sprechen.“

„Ok, vielleicht sollte ich erst etwas essen. Was meinst du?“

Ich nickte einverstanden und bat ihn, Dustin mitzunehmen. Ich würde mit Fynn nachkommen.

Fynn kam mir bereits entgegen. Er sah sehr müde und geschafft aus. Das Turnier war für ihn sehr anstrengend gewesen, das konnte ich sofort erkennen.

„Na, großer Krieger. Ich hoffe, du bist nicht zu enttäuscht über diese Niederlage.“

Er stellte seine Tasche ab und erwiderte: „Es geht. Eigentlich habe ich nur eine Sache, die mich wirklich ärgert. Das war im ersten Satz beim Stand von 4:4. Da den Aufschlag mit zwei grandiosen Doppelfehlern zu beginnen. Ich verstehe es noch nicht ganz. Danach habe ich viel zu viel darüber nachgedacht und es Maxi dann sehr leicht gemacht. Wobei ich zugeben muss, er hat einfach heute viel besseres Tennis gespielt.“

„Ich freue mich, dass du für deinen Gegner so passende Worte findest. Auch, was du über deine Doppelfehler sagst, ist korrekt. Da kann ich nichts hinzufügen. Viel mehr interessiert mich, was hast du gedacht und gefühlt vor dem Aufschlagspiel?“

„Ich wusste, jetzt würde es darauf ankommen. Also wollte ich besonders sicher servieren. Aber ich weiß auch nicht, was genau passiert ist. Ich fühlte mich unsicher und habe nachgedacht. Dieser sogenannte schwere Arm hat wohl wieder zugeschlagen.“

Dabei pustete er doch recht kräftig aus. Es war ihm unangenehm, dass das passiert ist.

„Nun, es ist doch nicht schlimm, dass es passierte. Du hast es gut analysiert und genau da solltest du ansetzen. Die mentale Belastung ist eben sehr hoch, und wenn die nötige Routine fehlt, macht sich der Kopf selbstständig. Ich finde, du kannst zufrieden sein. Eine Sache fand ich besonders klasse.“

Jetzt schaute er mich fragend an.

„Nun, als ihr fertig gewesen seid und du ihm die Hand geben wolltest, da hat er dich einfach umarmt. Das hat mir großartig gefallen. Es war ein deutliches Signal an alle anderen.“

„Ja, das stimmt. Ich war auch total überrascht. Hast du eigentlich mitbekommen, was er Dustin gesagt hatte?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Er hat sich fast entschuldigt, dass er gewonnen hat. Er hat gesagt, dass es ihm leidtue, mich geschlagen zu haben. Er hat Dustin getröstet und hat sich überhaupt nicht beschwert, dass Dustin mich manchmal fast schon unfair angefeuert hatte. Ich glaube, wir sollten Maxi als echten Freund ansehen.“

Damit war eigentlich alles gesagt. Fynn ging duschen und ich sagte ihm, dass ich mit dem Essen auf ihn warten würde. Maxi sollte schon essen, denn er musste ja noch das Finale spielen. Da sollte er nicht zu spät essen.

Als ich das Clubhaus betrat, sah ich Maxi am Tisch sitzen. Er hatte einen großen Teller Spaghetti vor sich stehen. Da wollte ich ihn nicht stören. Es gab genug Zeit, ihn im Anschluss noch gut auf den Gegner einzustellen.

Ich bestellte mir einen Cappuccino und setzte mich an die Theke. Von dort konnte ich den gesamten Raum beobachten. Maxi aß seine Spaghetti und hatte nebenbei wohl mit seinen Eltern geschrieben. Die wollten eigentlich schon längst da sein. Mal sehen, was da vorgefallen war. Plötzlich stellte sich einer der Typen von gestern an seinen Tisch und klopfte Maxi auf die Schultern. Was sie miteinander sprachen, konnte ich nicht verstehen, allerdings schien Maxi nicht sonderlich angetan gewesen zu sein, denn als der Typ wieder weg war, verdrehte er seine Augen und ich nickte mit dem Kopf. Ich wusste, dass er mir später dazu etwas sagen wollte.

Es dauerte noch einige Minuten, bis er fertig mit essen war. Er nahm seinen Teller und brachte ihn zur Theke.

„Hoffentlich habe ich noch etwas Zeit. Ich bin gerade etwas voll.“

Wir mussten beide lachen. Ich klopfte ihm auf die Schulter und frotzelte: „Solange das dein einziges Problem ist, kann ja nichts passieren. Was ist mit deinen Eltern? Sie wollten doch heute herkommen.“

„Ja, aber es gab bei Papa eine Verzögerung. Sie sind unterwegs und werden zum Finale hier sein. Ich freue mich auch schon drauf.“

„Das finde ich gut. Nicht alle Spieler sind froh, wenn ihre Eltern am Zaun stehen. Manche Eltern können sich nämlich nicht aus dem Spiel heraushalten.“

„Ja, ich weiß. Da kannst du aber beruhigt sein. Meine Eltern haben mich immer allein spielen lassen. Du wirst sie ja bald kennenlernen. Ich habe aber noch ein Problem.“

Er gab mir mit dem Kopf ein Zeichen, dass wir kurz nach draußen gehen sollten. Ich stand von meinem Hocker auf und folgte ihm nach draußen.

„Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll. Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe in den letzten Tagen immer wieder geschrieben, was bei uns so passiert und dass ich mich mit Fynn und Dustin angefreundet habe.“

„Ja und? Wo ist das Problem?“

„Nun ja, ich habe ihnen einfach geschrieben, dass die beiden ein Paar und somit schwul sind. Erst danach habe ich darüber nachgedacht, dass ich sie vielleicht vorher hätte fragen sollen. Mir ist das jetzt total unangenehm, sie übergangen zu haben. Was soll ich jetzt machen?“

„Hm, das ist nicht so schön. Das stimmt. Wie haben deine Eltern reagiert?“

„Sie fanden das total gut, dass es für mich kein Problem ist und sie freuen sich, meine neuen Freunde kennenzulernen. Dennoch fühle ich mich gerade nicht gut. Ich habe eigentlich ihr Vertrauen missbraucht.“

„Nicht nur eigentlich. Das geht nicht. Ich finde es aber gut, dass du es selbst bemerkst und ich denke, du solltest mit ihnen offen reden. Ich glaube, sie können das dann auch verstehen. Es ist auf jeden Fall besser, mit ihnen zu reden, bevor deine Eltern es vielleicht ansprechen und sie sich wundern.“

„Ok, dann werde ich das gleich machen. Hoffentlich sind sie nicht zu sauer.“

„Das klappt schon. Sollte es Probleme geben, dann kommst du noch einmal zu mir. Ich spreche dann mit ihnen, aber ich glaube, das wird nicht notwendig sein.“

Maxi bedankte sich und ging los, um mit den beiden zu sprechen.

Fynn: Finale

Nach der ersten Enttäuschung, das Match verloren zu haben, fing ich an zu überlegen. Eigentlich hatten wir ein tolles Turnier gespielt. Dustin und ich waren viel weiter gekommen, als wir gedacht hatten. Wir hatten wieder viele Ranglistenpunkte bekommen und als Halbfinalist bekam ich sogar noch ein kleines Preisgeld in Höhe von 200 Euro. Leider war es so, dass die Preisgelder über 100 Euro in die Teamkasse flossen. Erst, wenn wir aus der Jugendförderung heraus waren, bekamen wir die Preisgelder komplett. Allerdings mussten wir dann auch alles andere selbst finanzieren. Es sei denn, die Spieler haben neue Verträge ausgehandelt. Egal, 100 Euro konnte ich behalten und das war ja auch viel Geld für mich.

Das heiße Wasser der Dusche tat richtig gut. Körperlich spürte ich erst jetzt die Anstrengung der letzten Tage. Entsprechend lange genoss ich die Dusche. Als ich aus der Dusche trat, saß Dustin wartend auf der Bank.

„Man, ich dachte, du kommst gar nicht mehr heraus. Hast du keine Angst, du löst dich auf?“

Ich hatte das Handtuch in der Hand und rubbelte mich trocken. Lachend schaute ich ihn an und er fing auch gleich an zu lachen.

„Nein, wie du siehst, habe ich mich noch nicht aufgelöst. Ich beeile mich jetzt lieber, denn ich habe Hunger und Chris wollte mit dem Essen auf mich warten. Hast du schon gegessen?“

„Nein, dann können wir noch vor dem Finale gemeinsam essen. Maxi hat eben schon gegessen. Es würde sonst zu knapp werden.“

Wir waren zwar allein in der Umkleide, aber es hätte jeden Augenblick jemand hereinkommen können. Dennoch kam Dustin jetzt auf mich zu, gab mir einen schnellen Kuss.

„Ich geh schon einmal nach vorn. Weißt du schon, was du essen möchtest?“

Ich überlegte nicht lange. Ich musste nicht mehr spielen und jetzt hatte ich einfach Bock auf Schnitzel mit Pommes.

„Schnitzel mit Pommes“, sagte ich sofort.

Dustin schaute mich fragend an.

„Echt? Meinst du, Chris wird das gut finden?“

„Ich muss nicht mehr spielen und habe da jetzt Bock drauf. Also bestell mir bitte das Schnitzel mit Pommes. Gibt ja auch einen Salat dazu.“

Nach dem letzten Satz mussten wir beide lachen. Dustin verließ die Umkleide und ich beeilte mich, mich anzuziehen.

Wenige Minuten später saßen wir mit Chris am Tisch und warteten auf unser Essen. Ich fühlte mich zwar kaputt, aber sonst sehr gut und zufrieden. Leider hatte ich jetzt auch wieder Zeit, mir über die Zukunft Gedanken zu machen. Für mich stand die Entscheidung an, ob ich meinen Vater in der Klinik besuchen sollte oder nicht. Bei Dustin war der Streit mit den Eltern noch lange nicht beendet. Hoffentlich würde sich die Situation für uns positiv entwickeln. In meinen Gedanken vertieft, hatte ich nicht bemerkt, dass plötzlich Maxi an unserem Tisch Platz genommen hatte.

„Ich glaube, du solltest Fynn aus seinen Gedanken holen. Du wirst sonst keine Antwort erhalten.“

„Hä? Was ist los?“, sagte ich darauf völlig überrascht.

Chris grinste und auch mein Freund schien sich auf meine Kosten zu amüsieren. Chris fragte mich:

„Möchtest du auf Maxis Frage antworten oder soll er sie lieber noch einmal stellen?“

Tja, jetzt war leugnen eh sinnlos.

„Sorry, aber ich habe nichts mitbekommen. Was möchtest du von mir?“

Maxi grinste erst noch, aber als er sein Anliegen erneut vorbringen wollte, wurde er sehr ernst.

„Ich habe ein Problem. Meine Eltern kommen gleich zum Finale und ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht. Darüber möchte ich mit euch sprechen, bevor sie eintreffen.“

„Was haben wir mit deinen Eltern zu tun?“, fragte Dustin.

Chris bat uns, Maxi erst einmal sein Anliegen vortragen zu lassen. Wir stimmten natürlich zu. Ich war nur sehr überrascht über diese Situation.

„Also gut“, begann Maxi. „Ich habe in den letzten Tagen häufig mit meinen Eltern telefoniert und geschrieben. Meiner Mutter war aufgefallen, dass ich immer wieder von euch erzählt habe und dass ihr schon eine Menge Negatives erlebt habt. Tja, und dann ist mir ein böser Fehler unterlaufen. Ich hatte euch ja versprochen, mit niemandem über eure Beziehung zu sprechen. Leider habe ich das verbockt. Ich habe meinen Eltern davon erzählt, weil ich es so toll finde, wie ihr miteinander umgeht und es für euch vorwärts geht. Also sie wissen jetzt, dass ihr schwul und ein Paar seid.“

Maxi schwieg jetzt und schaute uns sehr traurig und unsicher an. Klar, ich hatte mich darauf verlassen, dass er das nicht weitererzählen würde und entsprechend unsicher war ich nun. Denn wenn er uns das so sagte, als ob die Welt gerade untergegangen sei, erwartete ich Ablehnung von seinen Eltern. Mein Freund schien genauso zu denken, denn er erwiderte direkt.

„Und jetzt haben deine Eltern Stress gemacht, oder wie?“

Er sagte dies auch ziemlich aggressiv. Vielleicht aggressiver, als er es wollte. Maxi hingegen wich ihm nicht aus.

„Nein, das hatte ich auch nicht erwartet. Sonst hätte ich es ihnen bestimmt nicht erzählt. Sie finden das total Normal und freuen sich, euch kennenzulernen. Aber ich habe mein Versprechen nicht gehalten. Das wollte ich euch sagen. Es tut mir leid. Hoffentlich seid ihr nicht zu sauer.“

Dustin schaute mich an und über dieses Verhalten war ich sehr beeindruckt. Er wollte es uns sagen, damit wir nicht überrascht waren, wenn seine Eltern es wussten. Für mich war jetzt klar, dass wir reagieren mussten.

„Maxi, schade, dass wir es ihnen nicht selbst sagen können, aber ich finde es toll, dass du uns so ernst nimmst. Ich kann nur für mich sprechen, es ist ok. Allerdings solltest du bei anderen Personen vorsichtiger sein.“

Dustin nickte und etwas überraschend für mich, fing er an zu lachen.

„Wenn alle Menschen so mit uns umgehen würden, wäre ich sehr froh. Maxi, was ich dir noch nicht gesagt habe, ich finde dich richtig nett und danke, dass du so damit umgehst. Ich bin gespannt auf deine Eltern.“

Er hielt Maxi die Hand hin und sofort schlug Maxi ein. Damit war das für uns erledigt. Ich hatte nur die Sorge, dass ihn das vielleicht zu sehr von seinem Finale ablenken würde.

„Aber du musst uns versprechen, jetzt im Finale richtig Gas zu geben und den Titel gewinnen.“

Sehr erleichtert versprach er uns das und Chris meinte ergänzend:

„So, du gehst dich vorbereiten und wir werden jetzt essen. Sonst sind wir nicht soweit, wenn es losgeht.“

Maxi stand von unserem Tisch auf und verließ den Clubraum, um sich vorzubereiten. Unser Essen kam wenige Minuten später und Dustin und ich hauten richtig rein. Chris sagte kein Wort zu meiner Essenswahl. Thomas hätte uns bestimmt wieder eine Moralpredigt gehalten, dass man bei einem Turnier so etwas nicht essen kann. Als Krönung spendierte uns Chris sogar noch ein Eis als Nachtisch.

„Boah, ich bin total voll. Wie gut, dass wir nicht mehr spielen müssen.“

Chris grinste mich jetzt an und ich wusste, dass jetzt ein Spruch kommen würde.

„Wenn du noch spielen müsstest, würde ich euch bestimmt nicht so ein Essen erlauben. Da gäbe es nur trockene Nudeln.“

Dustin und ich lachten und Chris stand ebenfalls lachend vom Tisch auf.

„So, ich werde mal mit Maxi die Strategie besprechen und dann treffen wir uns gleich am Platz wieder.“

Dustin und ich hatten also noch etwas Zeit. Wir verließen die Anlage und gingen ein wenig spazieren. Als wir außer Sichtweite er Anlage waren, legte Dustin seinen Arm um meine Hüfte und wir schlenderten durch einen kleinen Park.

„Maxi ist echt cool, oder? Wenn alle so wären, dann hätten wir es oft viel einfacher. Was ich dich noch fragen wollte, wollen wir nicht mal wieder Doppel spielen?“

„Klar Dustin, aber erst beim nächsten Turnier. Das hätte ich nicht durchgehalten, bei diesem starken Feld noch Doppel zu spielen. Außerdem hätte das hier sicher zu noch mehr Stress geführt.“

Mittlerweile standen wir unter einer großen alten Kastanie und Dustin schaute mir in die Augen. Sein Gesicht näherte sich und wir küssten uns leidenschaftlich. Nicht nur ein schneller Kuss, wie bisher immer in der Öffentlichkeit. Sofort reagierte mein Körper. Nach einer gefühlten Ewigkeit lösten wir uns und ich musste lachen.

„Warum müssen wir eigentlich dafür in einen Park gehen? Kann ich das nicht auch auf dem Platz haben?“

Vor einigen Wochen hätte Dustin jetzt mit Panik und Ablehnung reagiert. Heute lachte er befreit auf und witzelte: „Ne, besser nicht. Sonst würden wir keinen Ball mehr treffen, weil wir verbergen müssten, dass wir ne Latte in der Hose haben.“

Das war zu viel für uns. Wir brachen in heftigstes Gelächter aus. Richtig befreites Lachen. Meine Güte tat das gut. Dustin wurde immer offener und wenn ich es nicht besser gewusst hätte, würde ich denken, es sei bei ihm alles in Butter. Leider war das Thema Familie immer noch sehr präsent und nur in solchen Situationen konnte er das ausblenden. Da stand noch einiges für uns beide an.

Eine halbe Stunde später standen wir bei Maxi am Platz. Die Spieler waren noch nicht auf dem Platz, aber sie würden jeden Moment kommen. Chris kam aus dem Clubhaus zu uns und bei ihm waren vermutlich Maxis Eltern. Sie schienen sich gut zu unterhalten, denn alle hatten ein Lächeln im Gesicht. Als sie bei uns ankamen, stellte uns Chris vor.

„So, darf ich vorstellen, Jungs. Das sind die Eltern von Maxi.“

Wir gaben ihnen die Hand und stellten uns gleichzeitig bei ihnen vor. Herr Friehe schaltete sofort und nahm uns ein wenig die Anspannung.

„Ah, ihr seid die neuen Bewohner in der WG. Maxi hat uns schon viel von euch erzählt. Ihr seid wohl beide auch sehr talentiert. Maxi meint, dass ihr in der kurzen Zeit schon viel dazugelernt habt.“

„Danke“, erwiderte ich, „ja, wir geben uns Mühe und wir haben auch ein tolles Team. Da macht es auch großen Spaß, hart zu arbeiten.“

Jetzt schaltete sich Frau Friehe ein.

„Maxi hat uns berichtet, dass ihr beide nicht so viel Glück mit euren Eltern hattet. Insbesondere du, Dustin. Wir möchten euch sagen, wenn ihr mal Hilfe bei einem Turnier braucht, meldet euch. Maxi weiß ja, wie wir zu erreichen sind. Und damit wir das auch geklärt haben, wir haben überhaupt kein Problem damit, dass ihr zusammen seid. Maxi hat uns davon berichtet und ich finde, es wird langsam Zeit, dass auch der Tennissport sich da zeitgemäß entwickelt.“

Dustin schien verwundert und erleichtert zu gleich. Er antwortete: „Ja, es wäre zu wünschen, wobei ich bei den Funktionären so meine Zweifel habe.“

„Da stimme ich dir gerne zu“, erwiderte Herr Friehe, „aber wenn man nicht irgendwann anfängt, diese verkalkten Opas zu wecken, dann wird sich nie etwas ändern. Ich finde auch, es wird höchste Zeit. Es sollte doch wohl das Können der Spieler entscheiden und nicht ob schwul oder hetero. Darüber könnte ich mich so aufregen. Maxi hat uns eben noch von dem Verbandsschreiben berichtet. Einfach lächerlich. Sie haben immer noch nicht begriffen, dass ihnen die guten Spieler alle weglaufen.“

„Schatz“, beruhigte ihn Frau Friehe, „wir wollen uns jetzt das Finale in Ruhe anschauen. Darüber können wir immer noch sprechen.“

Die Spieler hatten mittlerweile begonnen, sich einzuschlagen. Chris hatte noch einmal kurz mit Maxi gesprochen und wir ihm alles Gute gewünscht.

Eine Stunde später hatte das Finale fast schon dramatische Züge angenommen. Maxi hatte eigentlich einen auf dem Papier übermächtigen Gegner. Dennoch spielte er überragend gut und kämpfte verbissen um jeden Ball. Wir unterstützten ihn bei jedem Punkt mit Applaus und lauten Anfeuerungsrufen. Selbst Chris verlor manchmal seine äußerlich stoische Ruhe und ging begeistert mit. Beim Spielstand von 6:6 ging es im ersten Satz in den Tie-Break. Damit war nicht zu rechnen gewesen. Entsprechend war die Stimmung am Platz. Auf der einen Seite die Anhänger von Maxis Gegner, die zahlenmäßig in der Überzahl waren, weil sie aus dem hiesigen Verein waren und wir auf der anderen Seite. Mittlerweile hatten sich auch einige andere Spieler zu uns gesellt. Sie unterstützten Maxi, weil sie es toll fanden, wie stark Maxi um jeden Punkt kämpfte.

Maxis Vater war auch voll dabei. Immer wieder feuerte er seinen Sohn an. Allerdings war das alles im Rahmen der Fairness. Es lag eine Sensation in der Luft, denn Maxi gewann den ersten Satz mit einem glücklichen Netzroller.

„Man, wenn das so weitergeht, brauche ich bald Herztropfen", sagte Maxis Vater grinsend nach dem Satzball.

„Vielleicht sollten Sie einen Schnaps zur Beruhigung trinken“, gab Chris lächelnd zurück.

Herr Friehe lachte und dann meinte er zu uns: „Los, wir gehen uns ein wenig erfrischen. Ich lade euch zu einem Drink ein.“

Damit hatten wir nicht gerechnet, aber wir fanden das sehr nett und folgten ihm ins Clubhaus. An der Theke angekommen, bestellte er für sich ein großes Bier, schaute uns dabei fragend an.

„Möchtet ihr auch ein Bier oder ein Alster? Ihr müsst ja heute nicht mehr spielen.“

Dabei zwinkerte er uns zu. Wir schauten uns an und Dustin antwortete: „Also ein Alster sollte wohl nicht verboten sein. Oder Fynn?“

„Ja“, sagte ich, „das wird uns Chris wohl erlauben.“

Also bestellte Maxis Vater für uns zwei große Alster.

„Was glauben Sie, hat Maxi eine Chance das Niveau durchzuhalten? Er spielt momentan einfach geiles Tennis.“

„Ich hoffe es, Dustin. Allerdings gebe ich dir recht, er hat schon viel Kraft gelassen. Das ist sehr anstrengend zu spielen. Ich hoffe ja, dass er durch den Satzgewinn noch mehr Selbstvertrauen gewinnt. Und vielleicht passiert dann ja eine Überraschung.“

Wir bekamen unsere Getränke und gingen wieder an den Platz. Chris schaute etwas kritisch, aber machte nur eine flapsige Bemerkung.

„Na, sieht so die Nervennahrung aus?“

Maxis Vater erwiderte: „Es ist nur Alster. Ich finde, dass haben sich die beiden verdient. Chris, du musst jetzt einfach mal so tun, als ob du nichts gesehen hast.“

Nanu, dachte ich so. Sie duzten sich bereits. Gut, Chris war eh der etwas lockere Typ und unter Sportlern war das „Du“ eh verbreitet.

Chris lachte und antwortete: „Nein, ist schon ok. Ich bin da nicht so super streng. Allerdings nur, weil auch die Leistung stimmt.“

Das Finale wurde immer besser und Maxi wuchs über sich hinaus. Er hatte wirklich einen außergewöhnlich guten Tag erwischt und es ging in die entscheidende Phase. 5:4 und 30:30 im möglicherweise letzten Spiel. Maxis Gegner schlug auf und musste über den zweiten Aufschlag gehen. Maxi spielte einen Weltklassereturn.

Matchball.

„Ich fasse es nicht, was für ein geiler Ball", rief Dustin und ich klatschte begeistert in die Hände. Los, noch einen Punkt. Der erste Aufschlag geht ins Feld und der Ball ist im Spiel. Immer wieder versuchte Maxi Druck aufzubauen, aber sein Gegner war wirklich gut. Er konnte jedem Versuch begegnen und es entstand ein ewig langer Ballwechsel, der mit einem zu kurzen Ball von Maxis Gegner zur Entscheidung führte. Maxi lief auf den Ball zu ... und schlug ihn rein.

Sieg!

Maxi riss die Arme hoch und freute sich riesig. Mit geballter Faust tanzte er über den Platz und wohlwollender Applaus kam auf. Mir war das egal. Maxi hatte es den Favoriten gezeigt und ich war glücklich. Dustin schien das genauso zu sehen, denn er war schon Richtung Bank unterwegs. Glücklich umarmte er den Sieger. Maxi freute sich sehr. Auch seine Eltern strahlten um die Wette.

„Willst du nicht auch langsam mal gratulieren?“, fragte mich Chris.

Ich war noch so gefangen von diesem Moment, aber Chris hatte natürlich recht. Ich lief ebenfalls zum Platz und umarmte Maxi.

„Glückwunsch, das war ein mega geiles Spiel. Respekt!“

Noch außer Atem schnaufte er: „Ja, danke. Wirklich unglaubliches Match. Richtig geil.“

Freudestrahlend nahm er uns beide erneut in die Arme und wir tanzten sogar einmal im Kreis. Seine Eltern und Chris waren auch mittlerweile auf den Platz gekommen und gratulierten dem Sieger. Der Turnierdirektor kam zu uns und bat darum, dass wir gleich zur Siegerehrung gehen sollten. Die Sponsorenvertreter wollten wohl nicht mehr so lange warten. Also packte Maxi seine Sachen zusammen und ich zog für ihn den Platz ab. Dustin blieb bei mir. Anschließend trafen wir auf der Terrasse wieder auf Chris und Maxis Eltern.

„Na, ihr beiden. Wer hätte das wohl gedacht. Da wird sich die Base aber auch sicher freuen über diesen Turniererfolg. Ein gelungenes Event würde ich sagen.“

„Ja, Chris. Das stimmt auf jeden Fall. Ich finde auch, dass wir gut gespielt haben. Also ich bin jedenfalls zufrieden. Bis auf die manchmal etwas feindselige Stimmung hier bin ich sehr zufrieden.“

Dustin hatte es auf den Punkt gebracht. Allerdings folgte jetzt noch die Siegerehrung und zuerst nahm der Turnierdirektor das Mikrofon. Das übliche Gerede, er dankte den Sponsoren, den Helfern und zum Schluss den Spielern, die ja letztlich für den guten Sport gesorgt hatten. Dann übergab er dem Vertreter des Hauptsponsors das Mikro. Wieder ein wenig Gerede und dann nahm der Turnierdirektor den Pokal für den Verlierer in die Hand, übergab diesen an den Zweitplatzierten und gratulierte. Den Scheck gab es vom Sponsor. Jetzt war Maxi dran. Der Turnierdirektor erwähnte die Ranglistenposition und dass es doch eine Überraschung war, dass Maxi als Sieger den Platz verlassen hatte. Jetzt sollte Maxi als Sieger auch ein paar Worte sagen. Mit einem leicht roten Kopf nahm er das Mikrofon.

„Vielen Dank erst einmal an meine Eltern und meine Freunde aus Halle. Insbesondere möchte ich meinen Coach Chris danken. Er hat mich hervorragend auf das Match vorbereitet. Ich möchte ebenfalls den Sponsoren danken für ihr Engagement. Einen besonderen Dank richte ich aber an die vielen freiwilligen Helfer. Das war ein hervorragend organisiertes Turnier und ich freue mich, hier gespielt zu haben.“

Er machte eine kleine Pause und Beifall kam auf. Dann fuhr er fort.

„Ich möchte jetzt noch ein paar persönliche Worte sagen. Sie betreffen meine Mannschaftskollegen und Freunde Dustin und Fynn. Sie haben mich immer voll unterstützt. Leider musste ich aber auch feststellen, dass es hier einigen Personen nicht möglich war, den beiden fair gegenüber zu sein. Ich stelle hier und jetzt die Frage in den Raum, mit welchem Recht sich hier Spieler darüber aufregen, dass sie schwul sind? Sie sind sehr nette Leute und können vor allem verdammt gut Tennis spielen. Also da würde ich mir wünschen, dass sich eine Akzeptanz breitmachen würde. Es kann nicht sein, dass auch der Verband weiterhin gegen Minderheiten Schikanen einbaut. Ich weiß, ich fasse hier ein heißes Thema an, aber mir geht es auf den Sack, wie hier einige den beiden gegenüber aufgetreten sind. Insbesondere vom ausrichtenden Verein. Das wollte ich loswerden. Vielen Dank.“

Wow, damit hatte ich nicht gerechnet. Als er geendet hatte, herrschte für einen kleinen Moment betretendes Schweigen, bevor sich der Hauptsponsor das Mikro nahm. Er reagierte direkt auf diese Ansprache. Er unterstrich deutlich, dass er sich eine Diskriminierung im sportlichen Bereich als Sponsor verbitten würde, und wies darauf hin, sich mit dem Veranstalter darüber im Nachgang des Turnieres noch besprechen würde.

Anschließend bekam Maxi den Pokal und den Siegerscheck überreicht. Das war das offizielle Ende dieser Veranstaltung. Maxi kam mit dem großen Pokal zu uns und sein Vater klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Auch Chris schien sehr beeindruckt zu sein. Ich hingegen war fast schockiert.

„Sag mal, hattest du dir das schon vorher überlegt, was du gesagt hast?“

„Ja, ich war so wütend über ein paar Leute hier, das wollte ich unbedingt loswerden. Es kann nicht sein, dass das unterstützt wird. Und wenn ein Vertreter des Sponsors anwesend ist, hilft das vielleicht viel mehr. Du hast ja die Reaktion gesehen. Dem Veranstalter war das jetzt sehr unangenehm und ich habe genau das erreicht, was ich wollte.“

Jetzt kam seine Mutter hinzu, die ebenfalls sehr stolz auf ihren Sohn war.

„Ich habe ja schon immer gewusst, dass du ein Freund klarer Worte bist, aber jetzt hast du hier wirklich mal einigen Leuten gegen das Schienbein getreten. Wolltest du das so?“

„Ja, Mama. Absolut. Was ist das für ein Verband, der immer noch schwule Spieler zwingt sich zu verleugnen, wenn sie für den Verband spielen sollen. Wo leben wir hier? Fynn und Dustin sind meine Freunde geworden, und wenn ich die Gelegenheit habe, für sie etwas zu tun, dann sollte ich das auch machen.“

Wow, dachte ich. Solche Freunde taten gut. Dustin und ich standen sprachlos daneben und Chris war es der die Situation erkannte.

„Gut gesprochen. Darauf solltest du den Sekt mal aufmachen. Wir haben Durst.“

Das wiederum führte zu großem Gelächter bei Maxis Eltern und uns. Schnell waren Gläser organisiert und dann stießen wir auf den fantastischen Erfolg an.

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