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Second serve

Teil 13

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Inhaltsverzeichnis

Chris: Ein freier Tag

Der Abend mit Mo war sehr informativ und interessant. Wir haben über uns gesprochen und viele Ideen ausgetauscht. Mo war durch meine Story sehr in die jeweilige Themenmaterie eingetaucht und wir mussten lachen, als er mir berichtet hatte, dass er vor meiner Story „Second serve“ wenig von Tennis verstanden hatte. Mittlerweile kannte er sich in den Regeln und dem Verhaltenskodex gut aus.

Für mich war der Abend sehr entspannend und erholsam. Das Programm, welches Mo mit mir für den heutigen Tag vorbereitet hatte, versprach viel Abwechslung und Spaß und berücksichtigte die Interessen von Jugendlichen. Treffpunkt war vor dem Eisenbahnwunderland. Damit sollte der Tag beginnen. Uns war natürlich klar, dass man auch einen ganzen Tag und mehr dort zubringen konnte, aber Hamburg hat so viele andere Dinge zu bieten, die man mit fünf Jugendlichen unbedingt machen sollte. Auf jeden Fall sollte auch der Hafen eine Station sein.

Mo und ich hatten beschlossen, das vollständige Programm noch nicht zu verraten. Er hatte einige Überraschungen vorbereitet. Tim und Carlo waren vollkommen aufgedreht, denn für sie war es der erste Stadtbummel in einer Weltstadt wie Hamburg.

Die beiden liefen immer ein paar Meter voraus und waren kaum zu bändigen. Den ganzen Morgen redeten die beiden nur über das Eisenbahnwunderland. Selbst Fynn und Dustin schienen mittlerweile ein wenig genervt, von ihrem Gerede. Als sie fast bei Rot über eine Fußgängerampel marschiert wären, wurde ich deutlich.

„Carlo und Tim, ihr kommt bitte mal zu mir.“

Ich war noch freundlich, aber bestimmt in meiner Tonart. Das merkten auch die beiden Jungs. Sie drehten sich um und kamen zu mir.

„Bevor noch ein Unglück passiert, bleibt ihr jetzt an meiner Seite. Eine rote Ampel ist kein Kinderspiel mehr. Ich möchte euch heile nach Hause bringen. Ist das klar?“

Die beiden schauten mich an und jetzt erst hatten sie begriffen, dass Hamburg eben eine große Stadt ist und nicht mit Halle zu vergleichen war. Tim entschuldigte sich sofort:

„Ja, Chris. Wir haben nicht aufgepasst. Es tut mir leid, aber wir sind schon so gespannt. Jetzt passen wir aber mehr auf.“

Die letzten hundert Meter ließ ich sie wieder laufen. Dort konnte nicht mehr viel passieren. Mo konnte ich bereits vor dem Eingang wartend erkennen. Ich winkte ihm kurz zu.

Fynn fragte: „Das ist also der MoNo, den du immer in deinen Storys als Lektor erwähnst? Dann kann ich ihn ja mal fragen, wie gut deine Geschichten wirklich geschrieben sind oder ob er immer viel korrigieren muss.“

Ich schaute ihn an und Dustin fand das überhaupt nicht witzig.

„Das wirst du nicht machen. Du spinnst wohl? Das ist doch überhaupt nicht wichtig. Wir sollten froh sein, dass das Ergebnis immer so gut ist. Wenn du das MoNo fragst, dann bekommst du mit mir Ärger.“

Fynn zuckte richtig zusammen, als er diese deutliche Ansage hörte. Ich staunte ebenfalls, denn ich hatte Fynns Bemerkung eher als kleinen Spaß aufgefasst.

„Beruhige dich“, sagte Fynn, „ das war doch nicht ernst gemeint. Ich werde doch unseren Chris nicht ans Messer liefern.“

Jetzt standen wir direkt bei Mo und er hatte den letzten Satz schon mitbekommen. Er schaute mich fragend an: „Hallo zusammen. Warum sollst du Chris ans Messer liefern?“

Fynn wurde rot und es war ihm peinlich. Jetzt musste er es ja erklären und Dustin war sauer. Nachdem er Mo alles erklärt hatte, Dustin richtig sauer drein blickte, reagierte Mo sehr gelassen:

„Also ich finde dieses Thema zwar etwas merkwürdig, aber ich kann euch beruhigen. Es sind nur gewöhnliche Sachen, die ich korrigiere. Beim Schreiben findet man die eigenen Fehler normalerweise nicht so einfach. Der Inhalt ist aber fast immer so gut, dass es Freude macht, den Text zu bearbeiten. Da hat Chris wirklich Talent.“

Damit wollte ich das Thema beenden, aber Tim und Carlo kamen mir zuvor.

„Könnt ihr das nicht auf später verschieben? Wir möchten endlich reingehen.“

Ich hatte die Karten bereits vorbestellt und somit brauchten wir am Eingang nicht zu warten. Kaum drinnen, waren Tim und Carlo nicht mehr zu halten. Nur eine klare Ansage meinerseits, ließ sie stehenbleiben.

„Wir bleiben bei dieser Masse Menschen bitte immer zusammen. Sollten wir uns dennoch verlieren, wir treffen uns in drei Stunden wieder hier. Der Tag hat noch einiges an Überraschungen für uns zu bieten. Deshalb bleiben wir heute auch nur drei Stunden.“

Die Enttäuschung der beiden Jüngsten war sichtbar. Sie wären am liebsten den ganzen Tag dort geblieben. Dennoch gab es kein Meckern. Sie nickten nur und dann ging es auch schon los.

Mo und ich unterhielten uns, während die Jungs immer ganz nah an den Objekten sein wollten.

„Du hast wirklich eine tolle Truppe zusammen. Trotz des Altersunterschieds harmonieren sie richtig miteinander. Da kommt bei mir richtig Freude auf.“

„Ja, Mo. Du sprichst mir aus der Seele. Es macht mir auch sehr viel Freude, trotz des Stresses, immer aufmerksam sein zu müssen. Allerdings machen sie es mir bislang auch recht einfach. Sie übernehmen immer mehr Eigenverantwortung und so kann ich mich meistens nur auf ein Spiel konzentrieren, weil sie sich gegenseitig gut unterstützen können.“

„Mutest du dir manchmal nicht auch etwas viel zu? Was du in deinen Mails schreibst, da denke ich manchmal, dein Motor läuft auf einer recht hohen Drehzahl und du hast wenig Entspannung. Dazu kommt ja noch dein normaler Beruf, der sicher nicht weniger anstrengend ist.“

Darauf wusste ich keine ehrliche Antwort. Diese Frage stellte ich mir in letzter Zeit immer häufiger.

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. In gewissen Phasen fühle ich mich sehr gut und denke, es ist alles kein Problem, aber manchmal frage ich mich, ob das alles noch gut ist.“

Die Jungs hatten sich wieder um uns versammelt und wollten weiter. Also machten wir uns auf in den nächsten Bereich. Obwohl ich bereits schon zweimal dort war, entdeckte ich so viel Neues, dass es erneut beeindruckend war, sich das anzusehen. Für Tim und Carlo war das als Eisenbahnfreaks natürlich etwas ganz besonderes und sie waren sehr traurig, dass die drei Stunden so schnell vorüber waren.

Mo und ich standen schon draußen vor dem Eingang und hatten nach so viel stickiger Luft und Enge Lust auf etwas frische Luft. Die Jungs konnte ich bereits auf uns zu kommen sehen, als Mo vorschlug:

„Was hältst du jetzt von einer Hafenrundfahrt auf einer Barkasse und anschließend Mittagessen? Ich würde jetzt mit euch gern etwas draußen machen.“

„Ja, das ist genau mein Ding. Wir waren lange genug drinnen bei dem schönen Wetter.“

„Was ist genau dein Ding?“, fragte Carlo wie immer direkt.

Mo und ich mussten lachen. Ich wartete bis alle bei uns waren und sagte:

„Wir werden unseren Ausflug jetzt auf das Wasser verlegen, aber bevor es losgeht, möchte Mo noch etwas sagen.“

„Ja, das möchte ich. Ihr seid zum ersten Mal in Hamburg und da denke ich, ist ein wenig Info angebracht, damit ihr euer Wissen über diese wundervolle Stadt auffrischen oder vertiefen könnt. Zuerst einmal etwas zu der Stadtentwicklung. Hamburg lässt sich zurückführen auf das Kastell Hammaburg, welches Kaiser Ludwig der Fromme 825 als Missionszentrum für Nordeuropa bauen ließ. Es entwickelte sich zu einem kirchlichen Zentrum und ab 1100 etwa setzte auch eine wirtschaftliche Entwicklung ein. Als eines der ersten Mitglieder der Hanse gehörte Hamburg im 14. Jahrhundert zum wichtigsten Umschlagsplatz der Hanse zwischen Nordsee und dem Ostseeraum.

Hamburg, die amtliche Bezeichnung heute lautet Freie und Hansestadt Hamburg, ist nach Berlin die größte Stadt in der BRD und liegt zwischen Schleswig-Holstein mit 130 km gemeinsamer Landesgrenze und Niedersachsen mit 80 km gemeinsamer Grenze, ungefähr 100 km von der Nordsee entfernt und hat irgendwo zwischen 1,8 und 1,9 Mio Einwohner. Es ist die Stadt mit den meisten Grün- und Wasserflächen in Deutschland und deshalb wollen wir uns nun einiges im Hafen von der Wasserseite aus anschauen.

Ich möchte euch darauf hinweisen, dass auf der Barkasse den Anweisungen des Schiffspersonals unbedingt und sofort Folge zu leisten ist.

Und etwas persönliches noch: ich möchte, dass ihr Mo zu mir sagt. Das ist einfacher. Alle meine Freunde nennen mich so. Mein Nick stammt schon aus der Schulzeit und ich finde ihn gut. Wenn es sonst keine Fragen gibt, dann lasst uns aufbrechen.“

„Bist du dir sicher, dass wir auch nicht nass werden?“, fragte Tim etwas ängstlich.

„Wasserscheu?“, fragte Fynn etwas provozierend.

Tim schüttelte den Kopf, aber ich wusste sofort, es war ihm nicht ganz geheuer mit der Vorstellung, auf einem Boot durch den Hafen zu fahren.

Kurz bevor wir an den Anleger kamen, konnte ich mir Tim an die Seite nehmen. Ich fragte noch einmal nach, ob alles in Ordnung sei. Er konnte mir gegenüber zugeben, dass er noch nie auf einem Boot war und er nicht wüsste, ob er vielleicht seekrank würde. Außerdem hatte er etwas Angst vor dem großen Wasser. Ich versprach ihm, dass ich aufpassen würde und er könnte bei mir bleiben. Er sollte sich nicht fürchten, aber ich konnte es auch nachvollziehen. Er war noch nie auf dem Meer unterwegs und der Hamburger Hafen war schon ein riesiges Gelände. Sehr beeindruckend.

Die Rundfahrt war außergewöhnlich, denn wir hatten die Barkasse für uns allein. Mo hatte seine Beziehungen spielen lassen und das war sehr speziell.

Nachdem wir vom Ponton abgelegt hatten ging Mo zum Skipper, um etwas zu besprechen. Dann nahm er ein Mikrofon und drehte sich zu uns um.

„Leute, auch hier ein wenig Information, die dann der Skipper noch ergänzen wird. Der Hamburger Hafen wurde als offener Tidehafen mit einem Tidenhub, also dem Unterschied zwischen Ebbe und Flut von etwa zweieinhalb Metern angelegt und dient sowohl der Fluss- als auch der Seeschifffahrt mit vielen Hafenbecken für den Umschlag unzähliger Güter. Es gibt ein bestimmtes Becken nur für den Umschlag von Getreide, ein anderes für Holz, für Südfrüchte, Container, Öl und andere.

Vor etwa 110 Jahren entstanden das Kuhwerder Hafenbecken mit der Firma Blohm und Voss als Werfthafen, der Kaiser-Wilhelm-Hafen für HAPAG-Lloyd, der Roßhafen als Standort der Howaldt Schiffsbauwerke und auch der Petroleumhafen mit Wassertiefen von sieben bis über 10 Metern, um nur einige zu nennen. Der Gesamthafen umfasst ca. 65 km Kaimauern, Kaischuppen und Speicher mit einer Fläche von etwa eineinhalb Millionen Quadratkilometern und fast 700 km Gleisanlagen.

Und was ihr jetzt alles zu sehen bekommt, erklärt euch der Skipper, der, wenn er gut drauf ist, euch auch ein paar Döntjes erzählen wird. Vielen Dank fürs Zuhören.“

Damit gab er das Mikro wieder zurück und setzte sich zu uns.

Wir sind durch die Speicherstadt gefahren und konnten viele Dinge sehen, die sonst nicht in einer normalen Rundfahrt zu sehen sind. Ein tolles Erlebnis für mich und meine Truppe. Ich habe wieder viel Neues dazugelernt.

Ich konnte spüren, dass Mo mit Leib und Seele Hamburger war. Diese Euphorie brachte er auch zu den Jungs rüber und diese hörten sehr aufmerksam und gespannt seinen Erzählungen zu.

Tim merkte gar nicht, dass wir auf einer kleinen Barkasse unterwegs waren. Er war so abgelenkt, dass er mit Carlo immer zusammen stand. So langsam fing ich an, mir über die beiden Gedanken zu machen.

Mo beobachtete mich und kannte meine Gedanken. Er fragte: „Na, denkst du auch gerade das, was ich denke. Die beiden sind sehr vertraut und stützen sich gegenseitig. Mir gefällt das, wie natürlich gerade Carlo ist. Er macht aus seinen Gefühlen kein Geheimnis. Das ist für einen Jungen seines Alters etwas ungewöhnlich.“

„In der Tat“, lachte ich, „mal schauen wie sich das noch entwickelt. Sie haben ja auch zwei große Vorbilder direkt um sich.“

Mo hatte natürlich sofort begriffen, was ich damit gemeint hatte und wir zwinkerten uns zu.

Als wir wieder an Land waren, spürte ich deutlich ein Hungergefühl. Allerdings waren zuerst meine Jungs dran. Sie freuten sich richtig über die gemeinsamen Ausflüge und bedankten sich bei Mo für die tolle Führung durch Hamburg.

„Was meint ihr? Für mich wird es langsam Zeit, etwas Anständiges zu essen. Was ist eure Meinung?“

„Essen ist immer gut.“, kam spontan von Carlo.

Das führte zu Heiterkeit und auch die anderen vier waren nicht abgeneigt. Mo wollte ich bitten, ein Restaurant zu wählen, wo es auch fangfrischen Fisch zu essen gab. Meine Jungs sollten sich gesund und abwechslungsreich ernähren. Allerdings war Fisch bislang nicht unbedingt häufig auf dem Speiseplan zu finden.

Mo hatte mir zwei Vorschläge gemacht, aber die Cutty Sark sollte heute nicht angelaufen werden. Das sollte wirklich etwas Besonderes sein. Es gab genug andere sehr gute Lokale und Mo führte uns auch direkt in ein kleines recht uriges Lokal direkt an der Pier mit Blick auf den Hafen.

Dort gab es eine extra Fischkarte zusätzlich zur normalen Karte. Damit hatte Mo genau das Richtig gewählt, denn Tim und Carlo wollten keinen Fisch essen. Während sich Fynn, Dustin und Maxi mit mir der Fischkarte widmeten. Mo wählte natürlich auch ein Fischgericht. Für mich eine ganz klare Angelegenheit. Wenn ich in Hamburg nicht frischen Fisch bekomme, wo denn dann.

Beim Essen erzählte uns Mo noch mehr über Hamburg und machte Vorschläge über den weiteren Tagesverlauf. Ich hatte ihn natürlich längst eingeladen, uns beim morgigen Halbfinale zu unterstützen. Leider musste er arbeiten, wollte uns aber auf jeden Fall am Samstag beim Finale unterstützen. Das war natürlich ein weiterer Grund, dass wir alles versuchen würden, das Finale am Samstag auch zu erreichen, wobei Mo keinen Zweifel daran hatte, dass wir dies schaffen würden.

Carlo und Tim waren wie erwartet unsere Alleinunterhalter und immer für einen neuen Witz zu haben oder alberten herum. Als es um die Frage Nachtisch ging, hatte Mo einen Vorschlag parat:

„Was haltet ihr von der Idee, den Nachtisch für einen Moment zu verschieben und den Michel zu besuchen? Da es schon früher Nachmittag ist und ich noch einiges mit euch vor habe, sollten wir hier nicht zu lange bleiben. Wir verschieben den Nachtisch auf den Dom.“

„Wenn Chris uns verspricht, dass wir den Nachtisch später nachholen, dann ja.“

Typisch Tim, kaum ist Carlo dabei, fängt er an mutig zu werden. Allerdings störte mich das noch nicht sonderlich. Im Gegenteil, für die größeren Jungs nahm das immer mehr Druck von ihren Schultern, denn sie wurden einfach abgelenkt.

„Hat Mo doch gerade gesagt. Wir nehmen den Nachtisch auf dem Dom ein.“

Jetzt hatte ich natürlich bei Tim Unverständnis ausgelöst.

„Wieso auf dem Dom? Seit wann bekommt man in einer Kirche ein Eis?“

Mo und ich schauten uns an und fingen herzlich an zu lachen. Maxi, Fynn und Dustin hatten dieses Wortspiel auch nicht verstanden und schauten uns genauso fragend an wie Tim und Carlo.

„Könnt ihr uns diesen Witz auch erzählen. Ihr seid gemein.“

„Nein, Carlo. Das erklären wir euch erst später. Aber seid euch sicher, wir werden keine Kirche besuchen, um ein Eis zu essen.“

Mo zeigte uns den Michel, das Wahrzeichen von Hamburg und er hatte wieder einige Informationen für uns. Das war sehr angenehm für mich, dass ich heute einmal genauso entspannen konnte, wie meine Jungs. Mo übernahm den Stadtführer und ich genoss es einfach.

„Hamburg hat fünf Hauptkirchen, deren Bau bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. Die Namen lass ich jetzt mal beiseite, die vergesst ihr eh schnell wieder. Die jüngste aber, vor der wir gerade stehen, ist St. Michaelis. Sie wurde 1648 bis 1673 erbaut, mehrfach restauriert und nach dem 2. Weltkrieg als große barocke Predigtkirche mit einem charakteristischen Turmaufbau, dem Michel, wieder aufgebaut. Sie ist das Wahrzeichen von Hamburg.

Wer sich das jetzt von Innen anschauen möchte, kann gerne reingehen. In 15 Minuten möchte ich dann mit euch zur nächsten Station aufbrechen. Das braucht ungefähr 15 Minuten Fußweg.“

Am späten Nachmittag ging es dann weiter auf den Hamburger „Dom“.

Das war natürlich keine Kirche, sondern die Bezeichnung für den größten Jahrmarkt Norddeutschlands, wenn nicht sogar Deutschlands. Da waren meine Jungs natürlich in ihrem Element und es mussten alle großen und schnellen Fahrgeschäfte ausprobiert werden. Für Mo und mich eine gute Gelegenheit auch einmal ohne die Jungs miteinander zu quatschen.

„Du bist immer mit vollem Einsatz dabei, egal was deine Jungs machen. Auch jetzt fällt es dir nicht leicht zu entspannen, oder täusche ich mich?“

„Nein, Mo. Das hast du richtig beobachtet. Aber mittlerweile kann ich es doch schon erheblich besser, als vor einigen Monaten. Heute ist ein Tag für mich, wo ich doch gut entspannen kann. Weil du mich entlastet hast. Du hast die Führung übernommen und ich brauchte mich bislang nicht einzumischen. Das tut mir gut.“

„Ich habe eine Frage bezüglich des Abends. Können wir mit deinen Jungs auch einmal über die Reeperbahn bummeln? Wenn es dunkel wird, ist das sicher ein tolles Erlebnis, dort einmal zu schauen, was es alles zu sehen gibt.“

„Na klar. Das kann ich doch nicht verweigern. Wir sind in Hamburg und wären nicht über die Reeperbahn gegangen, das geht ja gar nicht. Wir müssen nur daran denken, dass wir mit Tim und Carlo zwei dreizehn bzw. vierzehnjährige dabei haben.“

„Keine Sorge, wir wollen ja in keines der Erotik-Etablissements hinein, sondern nur mal gucken und die Atmosphäre schnuppern. Das ist kein Problem.“

Ich schaute nebenbei immer nach den Jungs. Es war viel los und ich fühlte mich verantwortlich, dass auch alles ohne Probleme lief. Mo meinte nach einer Weile:

„Komm, wir gehen eine Fassbrause trinken. Deine Jungs brauchen dich nicht als ständigen Aufpasser.“

Ok, das war lustig gemeint, aber irgendwie hatte er ein gutes Gespür dafür, wie es in mir aussah. Es stimmte, ich schaute ständig über den Platz, wo meine Jungs sich aufhielten und was sie machten. Erst, als wir an einer Getränkebude standen und ich meine Fassbrause in der Hand hielt, entspannte ich mich tatsächlich.

Etwa zehn Minuten später kamen Carlo und Tim zu uns.

„Wir möchten, dass ihr mit uns in den City Skyliner kommt. Da können wir doch bestimmt über Hamburg schauen.“

„Boah, können wir nicht lieber das Riesenrad nehmen? Ich muss nicht so schnell durch die Luft gehen“, sagte ich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch.

Mo lachte und antwortete: „Doch, das machen wir. Das ist kein Speed Fahrgeschäft. Da können auch wir älteren Semester mitfahren, ohne schwindelig zu werden.“

Tim erklärte mir das Teil und ich ließ mich überreden.

„Außerdem wird die Aussicht heute besonders schön sein. Es ist klare Luft. Einen noch besseren Überblick bekommen wir aber im Riesenrad, wenn ihr das auch noch ausprobieren wollt, weil es noch höher heraufgeht.“ Mo stachelte meine Jungs geradezu auf.

Wenig später saßen wir in einer ufoähnlichen Scheibe und genossen eine ruhige Fahrt. Wir schauten in alle Richtungen und hier wurde die Größe Hamburgs deutlicher. Es ging langsam nach oben und dabei drehte sich das Ufo langsam um die eigene Achse. Das war sehr gut auszuhalten und interessant. Mo erklärte uns nebenbei viele Dinge wo was in Hamburg zu finden sei.

Als wir wieder festen Boden unter den Füssen hatten, lud ich alle zu einem Eis ein. Nebenbei schlenderten wir gemeinsam über den Dom und es gab überall etwas zu schauen und Fahrgeschäfte, die ich noch nie gesehen hatte. Mo hatte auch immer irgendwo Kontakte und versorgte meine Jungs mit Freifahrten. Das war sehr nobel von ihm und zeigte seine Verbundenheit zu den Jungs. Obwohl wir uns hier zum ersten Mal persönlich begegneten, hatte ich das Gefühl, wir würden uns schon lange kennen.

Ich hatte ein Fahrgeschäft entdeckt, dass wollte ich unbedingt zum Abschluss unseres Dom Besuches mit allen gemeinsam machen. Das „Atlantis Rafting“. Sollten wir dabei nass werden, auch nicht schlimm. Erstens war es warm und zweitens hätten wir uns dann zu Hause umziehen können.

Es wurde ein Riesenspaß und die Nässe hielt sich in Grenzen. Wir mussten nicht zum Umziehen fahren, sondern konnten direkt weiterziehen und den Abend auf der Reeperbahn ausklingen lassen. Die Jungs staunten über die vielen Bars, Szenekneipen und Etablissements mit ihren muskelbepackten Türstehern. Natürlich hatte sich Mo auch um eine kulturelle Aktion gekümmert. Wir landeten in Schmidts Tivoli und gönnten uns einen Abend mit dem Comedian Marco Rima. Ein toller Ausklang des freien Tages in Hamburg.

Als wir gemeinsam gegen 23 Uhr aus dem Tivoli gingen, hatte ich Muskelkater vom Lachen. Ein toller Abend und auch die Jungs waren ehrlich begeistert. Fynn brachte es auf den Punkt:

„Vielen Dank, Mo. Dieser Tag war grandios. Ich kann mir vorstellen, mit Dustin mal ein Wochenende hier zu verbringen. Ohne Tennis und nur genießen.“

„Gerne -“, sagte Mo, „ aber gebt mir vorher eine kurze Info über Chris und ich werde euch entsprechend unterstützen.“

Tim und Carlo waren inzwischen müde und geschafft. Das konnte ich daran erkennen, dass beide sehr still waren. Diesen Umstand nutzte ich und fuhr mit meiner Truppe direkt zurück in unser Quartier. Mo hatte ich noch einmal an den Samstag erinnert und er versprach zu kommen, sollten wir das Finale tatsächlich erreichen.

Dieser Tag wird uns lange im Gedächtnis bleiben. Dennoch musste ich ab jetzt wieder den Fokus auf das morgige Match gegen den Vertreter aus dem Tennisverband Niedersachsen richten. Ich musste also noch ein wenig in meiner Datenbank stöbern und die Gegneranalysen vorbereiten. Tim und Carlo waren direkt in ihrem Zimmer verschwunden. Sie waren stehend k.o., aber auch sehr begeistert. Das hatte mir Tim zuvor ausdrücklich versichert, dass es ein sehr schöner Tag gewesen sei. So eine Rückmeldung freute mich natürlich.

Als ich endlich fertig war, zeigte die Uhr kurz nach Mitternacht und ich ging noch einmal in Küche, um mir noch eine Fassbrause aus dem Kühlschrank zu holen. Leise Stimmen aus dem Garten ließen mich allerdings stutzen. Ich schlich leise ins Wohnzimmer und blieb dort im Dunkeln stehen. Die Verandatür stand offen und draußen saßen noch Dustin und Fynn eng nebeneinander und unterhielten sich leise.

„Ist das nicht einfach unglaublich, was wir hier erleben dürfen? Chris hat sich wieder einmal selbst übertroffen.“

„Ja, ich habe auch so meine Schwierigkeiten das richtig zu glauben, dass wir morgen im Halbfinale spielen und sogar ein ganzer Bus Fans unseretwegen nach Hamburg kommt.“

„Stimmt“, erwiderte Fynn und gab seinem Freund einen Kuss, „das Team um Thorsten steht voll hinter uns. Das gibt mir unheimlich viel Kraft und Sicherheit.“

„Nicht nur dir, aber ohne Chris würde das nur halb so viel ausmachen. Heute habe ich einmal gedacht, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist bei Chris.“

„Ist dir das auch aufgefallen? Ich finde, er denkt zu wenig an sich. Erst heute, als er mit Mo allein war, entspannte er sich etwas. Wir sollten ihm mehr Entspannung geben.“

„Sehr witzig“, gab Fynn zurück, „wie sollen wir das machen? Wir müssen doch selbst spielen. Außerdem haben wir ihm das Problem mit Tim noch gar nicht gebeichtet. Das sollten wir auch auf später verschieben, so lange Tim noch so gut spielen kann.“

„Ich finde, wir sollten es ganz von Chris fernhalten. Tim kann selbst entscheiden, ob er mit Chris sprechen möchte oder nicht. Er hat uns ins Vertrauen gezogen. Das sollten wir nicht einfach untergraben.“

„Ja, aber Chris....“

„Kein aber. Entweder geht Tim zu Chris oder nicht. Wir sollten darüber nicht reden, es sei denn Tim bittet uns darum.“

Nanu? Was für ein Problem mit Tim bahnte sich hier an? Mir war bislang nichts aufgefallen. Allerdings musste ich beiden zustimmen. Tim hatte sich ihnen anvertraut und nicht mir. Jetzt sollte ich Dustin und Fynn vertrauen, dass sie zu mir kommen, wenn es notwendig sein würde. Sie hatten mittlerweile selbst genug gelernt, dass ich ihnen zutraute, damit gut umgehen zu können.

Damit sie sich jetzt nicht erschreckten, machte ich ein Geräusch, in dem ich die Zimmertür hörbar schloss und auf die Terrasse trat.

„Na, seid ihr noch nicht müde?“, fragte ich.

„Oh, hi Chris. Doch eigentlich schon, aber der Tag hatte so viele Erlebnisse, dass wir noch nicht schlafen konnten.“

„Ja, Dustin, das kann ich mir gut vorstellen. Mo hat uns ganz schön herumgeführt. Aber es war ein toller Tag und ich bin froh, dass er so viel Zeit für uns hatte.“

„Ja, außerdem macht er gute Arbeit. Deine Stories zeigen es ja sehr deutlich, dass ihr gut harmoniert. Wann kommt morgen der Bus? Rechtzeitig zum Halbfinale?“

„Ja, davon gehe ich aus. Jetzt solltet ihr aber auch ins Bett gehen. Es ist schon halb zwei und morgen steht ein hartes Spiel an. Auch wenn es erst mittags losgeht.“

„Ja, jetzt bin ich auch soweit, dass ich ins Bett kann. Kommst du auch mit, Dustin?“

Dustin stand ebenfalls auf und wir gingen, nachdem wir alle Türen und Fenster geschlossen hatten, zu Bett.

Dustin: Das Halbfinale

Heute wurde es also wieder ernst. Das Halbfinale gegen Niedersachsen stand an und es war gut, dass wir erst um 13 Uhr spielen mussten. So konnten wir etwas länger schlafen und uns sogar noch auf der Anlage richtig einschlagen. Chris hatte uns beim Frühstück über unsere Gegner informiert und uns war klar, dass es sehr schwer werden würde. Der Verein aus Hannover hatte vier gute Spieler im Kader, die alle bereits in der 2. Bundesliga gespielt hatten.

Tja, und dann kam der große Auftritt unserer Haller Fans. Ein riesiger Reisebus fuhr auf den Parkplatz der Anlage und die Leute stiegen mit Fahnen und bester Laune aus dem Bus. Fynn und ich konnten von unserem Platz aus das Schauspiel beobachten und ich konnte erkennen, dass Gerhard Weber und Thorsten auch mitgekommen waren. Viele Jugendliche waren ebenfalls mit dabei. So herrschte sehr schnell eine lebhafte Stimmung auf der Anlage und Chris war schon auf dem Weg, die Abordnung zu begrüßen. Chris holte uns dann bald zu sich und wir fünf Spieler standen neben Chris und Gerhard Weber begrüßte uns.

„Hallo Jungs, ihr habt ja schon richtig gute Leistungen gezeigt. Ich freue mich, dass ihr mit Chris Erfolg habt. Jetzt werden wir euch richtig anfeuern und dann feiern wir den Einzug ins Finale. Und bevor ich das vergesse, Fynn. Deine Familie ist auch komplett mitgefahren und du solltest dich zuerst mal um sie kümmern. Für Chris habe ich auch eine Überraschung mitgebracht. Jan war der Meinung, er sollte seinen Bruder mal unterstützen und wird gleich mit Gilles hier eintreffen. Er kann nur heute anwesend sein, weil sie heute Abend noch nach Paris zurückfliegen müssen, aber er kommt gleich hier an.“

Meine Güte, was für eine Nummer war das denn jetzt? Dieser ganze Aufwand nur für uns? Und Jan würde sogar extra aus Paris anreisen. Wow.

Jetzt ließ sich Fynn aber nicht mehr halten, er wollte seine Familie begrüßen und zog mich an meinem Arm hinter sich her. Chris begann zu lachen, als er das sah. Auch Gerry schien das lustig zu finden und zwinkerte uns zu.

Es dauerte nur Minuten und Fynn hatte sie gefunden. Sogar sein Vater stand strahlend vor ihm und umarmte ihn herzlich und dann begrüßte er mich mit einer genauso intensiven Umarmung.

„Hallo, ihr beiden Krieger. Ich freue mich, dass es euch gut geht.“

Fynn war sichtlich bewegt und es fiel ihm schwer, etwas zu sagen. Er schaute zu mir, ich sollte ihm helfen. Ich versuchte ein wenig die Situation zu retten, aber Fynns Vater schien es bemerkt zu haben. Er nahm seinen Sohn in den Arm und drückte ihn an sich. Auch Patrick tauchte jetzt auf. Er hatte uns gesehen und lief auf uns zu. Auch er umarmte uns freudestrahlend. Es war für mich eine bewegende Szene, denn zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, zur Familie dazuzugehören.

„Sorry“, sagte Fynn jetzt, „wir müssen uns einschlagen. Wir müssen unsere Begrüßung auf später verschieben.“

„Na klar, macht euch bereit und wir werden uns dann verteilen. Chris wird uns sicher erklären wie das hier abläuft.“

Fynns Familie wollte schon gehen, aber seine Mutter wollte uns natürlich auch noch kurz begrüßen. Dadurch kamen wir ein paar Minuten später als geplant auf dem Platz an zum Einschlagen.

„Krass, oder?“, fragte Maxi immer noch schwer beeindruckt.

„Auf jeden Fall, damit habe ich echt nicht gerechnet, dass so viele Leute unseretwegen nach Hamburg fahren.“

Fynn grinste mich an und nach einem Kuss sagte er:

„Ich zwar auch nicht, aber ich werde es genießen und wir werden uns zerreißen. Jetzt muss auch das Finale her.“

Wir lachten und dann ging es wirklich auf den Platz zum Aufwärmen. Überall liefen plötzlich Leute herum, die entweder eine Haller Fahne oder ein T-Shirt vom Verein dabei hatten. Das war beeindruckend.

Maxi, Fynn und ich standen auf einem Nebenplatz und schlugen uns ein, als Chris mit dem Oberschiedsrichter kam.

„Leute, kommt ihr bitte mal zusammen. Es gibt etwas zu besprechen.“

Fynn hielt den Ball an und wir gingen zum Netz, wo Chris auf uns wartete. Tim und Carlo kamen vom Nebenplatz. Maxi schaute Chris fragend an:

„Was gibt es denn?“

„Klaus Meier, den Oberschiedsrichter kennt ihr ja schon. Es gibt ein Problem, dass gelöst werden muss. Herr Meier, erklären Sie es bitte den Jungs.“

„Schönen guten Morgen zusammen. Ja, der Hannoveraner Kapitän hat bei mir angefragt, ob sie mit der Position eins und drei anfangen können, weil bei ihnen ein Spieler erkrankt ist. Sie haben also nur drei Spieler, weil sie keinen Ersatzmann mehr haben, nachdem sich ein Spieler bereits verletzt hatte. Ihr vierter Mann kann erst kurz nach 13 Uhr hier sein. Sein Zug kommt kurz nach halb eins an.“

Wir schauten uns an und Fynn war der schnellste, der fragte:

„Wollen sie den vierten Mann noch einsetzen? Eigentlich müsste der ja um halb eins schon da sein, wenn aufgeschrieben wird.“

„Genau das ist das Problem.“, sagte Chris und fuhr fort:

„Sie haben angefragt, ob es für uns in Ordnung wäre, dass dieser Spieler noch spielen darf. Wie gesagt, sie haben angefragt. Wir können das natürlich ablehnen. Deshalb ist Herr Meier mitgekommen, um das mit euch zu besprechen.“

Herr Meier erklärte uns den Sachverhalt:

„Also es ist so, dass die Hannoveraner schon etwas Pech hatten, genau wie ihr ja auch schon einen Spieler ersetzen musstet. Jetzt ist noch jemand erkrankt und kann nicht spielen. Der vierte Spieler kann auf jeden Fall im Doppel eingesetzt werden, aber eigentlich nicht mehr im Einzel. Wie seht ihr das?“

Wir schauten uns alle an und mir war das zu spontan. Ich wollte gern in Ruhe mit allen darüber sprechen. Genau das war auch Fynns Gedanke.

„Können wir das einmal in Ruhe miteinander besprechen. Wir würden Ihnen gleich die Entscheidung mitteilen. Das kommt jetzt etwas überraschend. Wann genau würde der Spieler anwesend sein?“

„Wir gehen von spätestens halb zwei aus. Also er könnte normal in der zweiten Runde spielen.“

„Gut, wir sprechen darüber und sagen gleich Bescheid. Ich komme dann zu Ihnen, Herr Meier.“

Chris hatte wieder das Zepter in die Hand genommen und Herr Meier verließ uns wieder.

Chris fragte in die Runde: „Wie ist eure Meinung dazu? Ihr sollt selbst entscheiden.“

Maxi war der erste, der sich äußerte:

„Wenn uns das passiert wäre, hätten wir auch Pech gehabt. Ich bin dagegen, dass er noch Einzel spielen kann. Wir wollen gewinnen und die Regel ist eindeutig.“

„Sehe ich anders,“ meldete sich Tim „ich möchte auch Einzel spielen. Außerdem würden wir es doch genauso machen und anfragen, ob der Gegner einverstanden wäre. Hier geht es nicht darum, dass sie einen Fehler gemacht haben. Gegen eine Krankheit kann man sich nicht schützen. Er soll spielen.“

„Was ist eure Meinung?“, fragte Chris an Fynn und mich gerichtet.

Ich war mir nicht sicher, was die richtige Entscheidung sein würde. Wenn wir deshalb verlieren und nicht ins Finale einziehen würden, wäre das schon bitter. Andererseits würden die anderen dann auch sagen, wir seien nur ins Finale gekommen, weil wir es abgelehnt hatten.

Mein Freund hatte sich schneller entschieden und sagte klar und deutlich seine Meinung:

„Er soll spielen dürfen. Ich will auf dem Platz gewinnen und nicht Punkte geschenkt haben.“

Damit war es für mich einfacher zu entscheiden. Ich stimmte zu und auch Carlo war dafür, dass er spielen durfte. Maxi war nicht begeistert.

„Leute, wenn wir deshalb das Finale nicht erreichen, dann ärgern wir uns gewaltig.“

„Nein“, widersprach ich, „ich würde mich nicht ärgern, denn wir wären dann nicht gut genug, um Meister zu werden. Ich will sportlich gewinnen und nicht immer den Makel haben, nur durch einen geschenkten Punkt gewonnen zu haben.“

„Richtig, sehe ich genauso.“, sagte jetzt Carlo.

Chris hatte sich die ganze Zeit komplett herausgehalten und hörte unseren Argumentationen zu. Erst jetzt, als Maxi ihn fragte:

„Was ist denn deine Meinung? Ich weiß, dass Thomas nie zulassen würde, dass er spielen darf. Aber du trägst die Verantwortung.“

„Thomas ist nicht hier und ja, es stimmt. Ich trage die Verantwortung. Allerdings bist du, Maxi, derjenige, der jetzt eine Entscheidung treffen muss. Spielen oder nicht spielen?“

„Heißt das, wenn ich dagegen bin, darf er nicht spielen?“

„Richtig, ich möchte eine einstimmige Entscheidung von euch.“

Maxi verdrehte kurz die Augen und stöhnte: „Also gut. Ich stimme zu, lasst ihn spielen. Aber nicht…“

„Hey“, wurde Chris jetzt bestimmt, „entweder du bist dafür oder dagegen. Ich will kein Meckern hinterher hören.“

„Ja, schon gut. Also ich bin für spielen.“

Chris nickte kurz und ging zum Oberschiedsrichter, um ihm unsere Entscheidung mitzuteilen.

Fynn war echt sauer auf Maxi und sagte das auch deutlich: „Mann Maxi, wir gewinnen das sportlich. Wie dumm wäre das denn, wenn wir immer wieder hören würden, dass es nur durch diesen geschenkten Sieg dazu gekommen ist. Glaubst du nicht mehr an deine Fähigkeiten?“

Maxi schien es begriffen zu haben und widersprach auch nicht weiter. Die Entscheidung war gefallen und wir spielten vier Einzel. So wie es sein sollte.

Endlich konnten wir uns wieder mit dem Ball auf dem Platz beschäftigen. Das bedeutete aber für mich, dass ich heute als erster auf den Platz gehen würde. Jetzt stieg doch meine Nervosität erheblich an. Fynn spürte das sofort und blieb ab jetzt immer an meiner Seite. Auch als wir uns zur Begrüßung des Gegners auf der Terrasse des Clubhauses trafen, wich er mir nicht von der Seite. Auch Carlo und Tim waren immer sehr eng beieinander.

Herr Meier nahm uns in Empfang und erklärte noch einmal den Ablauf. Als er fertig war, hatte er noch ein Anliegen:

„Bevor es auf den Platz geht, möchten die Hannoveraner noch etwas sagen.“

Herr Meier nickte dem Kapitän der Hannoveraner zu und dieser tippte der Nummer eins auf den Arm.

„Ja, ich möchte euch an dieser Stelle danken. Für uns ist das nicht selbstverständlich, dass ihr uns die Möglichkeit gebt, mit vier Einzeln spielen zu dürfen. Wir hoffen auf eine sportlich faire Partie und freuen uns auf euch als Gegner.“

Seine Mannschaft spendete Beifall und alle Spieler kamen auf uns zu und wir gaben uns die Hand. Anschließend ging ich mit Marius, meinem Gegner, auf den Platz.

„Es ist wirklich toll, dass ihr uns diese Chance gegeben habt. Damit haben wir nicht wirklich gerechnet. Habt ihr das freiwillig entschieden oder hat euer Trainer das gewollt?“

„Nein, Chris hat sich ganz herausgehalten. Er hat uns die Sache erklärt, aber die Entscheidung uns überlassen.“

„Cool, danke noch mal dafür. Ich hoffe, wir haben eine faire und gute Partie.“

„Klar, das machen wir schon.“

„Ihr habt echt einen ganzen Bus Zuschauer organisiert. Das habe ich noch nie gesehen. Echt krass.“

„Das stimmt, aber wir Spieler sind genauso überrascht und beeindruckt. Ich hoffe natürlich, dass wir jetzt einen Fanvorteil haben.“

Wir mussten beide lachen und dann gaben wir uns noch einmal die Hand. Jeder ging dann an seine Bank und bereitete seine Sachen vor. Chris hatte mir einige Dinge zu Marius gesagt, die ich auf jeden Fall für mich nutzen wollte. Dennoch wurde ich immer nervöser und unruhiger. Marius hatte schon mehrere Einsätze in der 2. Bundesliga gehabt und stand einige Plätze höher in der Rangliste als ich.

Fynn war mittlerweile auch an meinem Platz angekommen und setzte sich auf die Bank neben mich.

„Na, wie fühlst du dich?“, fragte er mich.

„Nervös, sonst gut. Ich hoffe, ich kann ein gutes Spiel zeigen.“

„Das klappt schon. Mach dir nicht so viel Druck. Er hat viel mehr Druck. Immerhin steht er viel besser in der Rangliste. Also spiel einfach das, was wir besprochen haben. Dann wird das schon klappen. Außerdem schau dich mal um. Hier sind überall unsere Fans, die uns anfeuern werden.“

„Ja, aber dadurch wird mein Druck nicht kleiner, aber egal, ich geb mir Mühe.“

Danach wollte ich auf den Platz gehen und mich mit Marius einschlagen, aber Fynn hielt mich noch zurück und gab mir einen Kuss. Das tat gut und auch Marius musste lachen, als er das gesehen hatte.

Nach den ersten nervösen Ballkontakten wurde ich ruhiger und sicherer. Es fühlte sich gut an und da wusste ich, dass ich heute gut spielen würde. Ich hatte einfach ein tolles Gefühl und begann, mich ausschließlich auf den Ball zu konzentrieren.

Die ersten Spiele waren ausgeglichen, aber ich hatte immer noch das gleiche gute Gefühl. Fynn sprach mit mir bei den Seitenwechseln sehr entspannt und das gab mir Sicherheit. Bei 4:4 im ersten Satz hatte ich eine Breakchance, die ich durch einen Passierball nutzte. Das war wie eine Erlösung für mich. Ich hatte ein Break geschafft. Unser Anhang spendete lautstarken Applaus. Auf der Bank empfing mich Fynn mit Lob, aber auch mit einer Warnung:

„Jetzt nicht nachlassen und entspannen. Du musst deinen Aufschlag jetzt durchbringen und dann erst hast du den Satz gewonnen.“

„Jap. Ich weiß. Ich gebe mir Mühe.“

„Blödmann, du schaffst das jetzt. Los, auf geht’s.“

Wir schlugen uns mit den Händen ab und weiter ging das Spiel. Mein Aufschlag kam gut und ich konnte Marius immer wieder unter Druck setzen. Bei 40:15 für mich, gelang mir mein erstes Ass und damit der Satzgewinn. Es war unglaublich, bei jedem Punkt wurde ich angefeuert. Das war doch eine große Erleichterung und in der Satzpause informierte uns Carlo über den Verlauf bei Maxi.

„Maxi hat keine wirkliche Chance gegen seinen Gegner. Der ist einfach zu gut. Aber du bist richtig geil dabei. Weiter so. Sieht gut aus, was du hier machst.“

Ich musste lachen, weil Carlo wieder einmal mit wenigen Worten so viel Spaß vermittelte.

„Danke. Ich hoffe, das bleibt auch so. Wer spielt als nächstes? Tim oder Fynn?“

Fynn wurde ärgerlich. „Konzentrier dich auf dein Spiel. Ich gehe erst auf den Platz, wenn du fertig bist.“

Obwohl ich total verschwitzt war, musste ich meinem Freund dafür einen Kuss geben. Die Zuschauer reagierten eindeutig auf diesen Kuss. Einige pfiffen und johlten richtig laut, Carlo grinste frech und wollte schon einen Kommentar abgeben, aber er ließ es dann doch und ich ging für den zweiten Satz wieder auf den Platz.

Ich staunte über mich selbst, denn meine Nervosität war nach dem Gewinn des ersten Satzes wie weggeblasen und ich spielte richtig gut. Immer wieder übernahm ich die Regie auf dem Platz und Marius konnte nur reagieren. Bei 4:3 für mich saß ich wieder auf meiner Bank und Chris war mittlerweile an meinen Platz gekommen. Maxi hatte ohne eine reelle Chance verloren.

„Hey, du machst das richtig gut. Sehr starke Vorstellung!“, sagte Fynn zu mir.

Mir tat es immer wieder gut, von Fynn einen solchen Zuspruch zu bekommen. Chris hielt sich erstaunlich deutlich im Hintergrund und überließ Fynn weiterhin das Coachen. Ich wollte aber wissen, wie Maxi nun gespielt hatte.

„Wie hat Maxi gespielt? Hat er klar verloren?“

Chris lächelte mich an, als er antwortete: „Ja, er hat deutlich verloren. 2:6 und 1:6, aber er hat nicht schlecht gespielt. Der Gegner war deutlich besser und das war auch ok so. Jetzt konzentrier dich aber auf dein Spiel. Du hast alles im Griff. Bleib locker und genau so weitermachen, dann spielst du das problemlos nach Hause.“

Er sagte das immer so einfach. Obwohl ich bislang wirklich locker war, spürte ich bei diesem Spielstand jetzt wieder den Druck und die Anspannung stieg wieder an. Leider machte ich zwei leichte Returnfehler und es stand schnell 30:0 bei seinem Aufschlag. Ich war unzufrieden und musste das auch mit einem lauten „Scheisse, konzentrier dich du Depp“ kundtun. Die Zuschauer begannen sofort, mich mit rhythmischem Klatschen zu unterstützen.

Chris fing an zu grinsen und Carlo rief auf den Platz: „Bleib ruhig und nächster Punkt, los.“

Ich schaute zur Bank und Fynn zeigte mir die Faust und tippte sich mit dem anderen Zeigefinger an den Kopf. Das hatte ich begriffen. Ich drehte mich um und sammelte mich neu. Mein Gegner wollte aufschlagen, aber ich brauchte noch einen Augenblick und damit hatte ich seinen Rhythmus unterbrochen. Er machte einen Doppelfehler und ich einen guten Punkt. Schon stand es 30:30, ich fokussierte meinen Blick nur auf den Ball und machte einen direkten Punkt mit dem Return. Breakball!

Jetzt nahm sich mein Gegner mehr Zeit und ich wurde unruhig. Wieder tippte Fynn mit dem Zeigefinger an den Kopf, ich schloss für einen Augenblick die Augen und sammelte mich wieder mit einem tiefen Atemzug.

Der nächste Ballwechsel war sehr lang und endete mit einem Fehler von Marius. Das Break zum 5:3 war geschafft. Ich ballte die Faust und ein lautes „Yes“ folgte.

Meine Bank jubelte genauso und klatschte Beifall. Die Zuschauer legten einen Jubelsturm hin. Jetzt noch einmal den eigenen Aufschlag durchbringen und der Sieg wäre meiner.

Zehn Minuten später konnte ich extrem erleichtert und glücklich die Glückwünsche von Marius am Netz entgegennehmen. Ich hatte gewonnen. Als ich meinen Schläger in die Tasche legte, war ich noch total angespannt. Als mich Fynn freudestrahlend umarmte und mir einen Siegerkuss gab, fiel die Last von mir ab und ich drückte meinen Freund ganz fest an mich.

Erst ein: „Hey, du sollst Fynn nicht erdrücken, der muss jetzt noch spielen.“, von Chris ließ mich realisieren, dass wir ja noch auf dem Platz standen. Außerdem war es immer noch sehr unruhig bei den Zuschauern. Es schienen noch nicht alle gewusst zu haben, dass Fynn und ich ein Paar waren.

Wir mussten alle lachen. Dieses Lachen tat so gut. Endlich war der Druck weg und ich hatte mit einer guten Leistung gewonnen. Leider hatte ich keine Zeit, mit Fynn meinen Erfolg zu genießen, denn jetzt war er als letztes Einzel dran. Maxi war schon bei Tim am Platz, als ich dort hinging. Er kam direkt auf mich zu und zu meiner Überraschung umarmte er mich überschwänglich.

„Hey, cool gemacht. Glatt gewonnen. Jetzt sieht es gleich wieder besser aus. Ich habe böse Haue bekommen. Sorry.“

„Danke. Alles gut. Dein Gegner war wohl richtig gut, hat Chris gesagt. Dann machen wir eben die Punkte.“ Dabei zwinkerte ich ihm zu und er lächelte wieder.

Die Einspielzeit für Tim war vorbei und das Match sollte beginnen. Chris war bei Fynn geblieben, weil er nicht wollte, dass Fynn allein auf dem Platz wäre. Ich sollte ihn dann ablösen, sobald ich aus der Dusche war. Natürlich war Carlo auch bei Tim am Platz, das coachen überließ er aber Maxi.

Chris: Spannung

Die letzten beiden Einzel liefen und es wurde deutlich, wie eng das für uns werden würde. Schon beim Einschlagen erkannte ich, dass Fynn es auch sehr schwer haben würde. Sein Gegner war sehr athletisch und hatte eine hohe Grundschnelligkeit in seinen Schlägen. Da konnte Fynn noch nicht mithalten. Unsere Fans waren unglaublich. Jeder Punkt wurde frenetisch gefeiert und sie feuerten die Jungs an.

Bei Tim sah es deutlich besser aus, denn sein Gegner war ja der neue Spieler. Dieser hatte bei weitem nicht das Niveau seiner Teamkollegen. Das könnte unsere große Chance sein, den zweiten Punkt zu machen. Ein 2:2 nach den Einzeln würde uns eine gute Möglichkeit geben, zu gewinnen.

Dustin war mittlerweile aus der Dusche zurück und hatte mich auf der Bank abgelöst. Ich wollte beide Spieler verfolgen und überließ die Arbeit auf der Bank jeweils Maxi bei Tim und Dustin bei Fynn. So konnte ich jederzeit bei beiden Spielen eingreifen.

Fynn machte ein großartiges Spiel. Er kämpfte um jeden Punkt und gab nie auf, dennoch hatte er keine Chancen. Er verlor in zwei Sätzen nach großem Kampf. Seine Leistung war sehr gut. Er hätte mit dieser Leistung bei jedem Turnier, dass wir bislang gespielt hatten, gute Ergebnisse gehabt. Heute waren wir auf eine Mannschaft getroffen, die zwei bessere Spieler hatten.

Tim war jetzt unser letzter Trumpf. Ich saß hinter Maxi auf dem Rasen und verfolgte das Spiel. Carlo saß neben mir. Nein, die meiste Zeit lief er aufgeregt über den Rasen. Maxi machte seine Aufgabe auf der Bank sehr gut. Als er Fynn mit Dustin zu uns kommen sah, fragte er mich:

„Willst du jetzt auf der Bank sitzen? Fynn ist ja auch fertig.“

„Nein, nein. Mach das ruhig weiter. Wenn du Fragen hast, lass uns miteinander reden. Aber du machst das jetzt bis zum Ende weiter.“

„Wie steht es?“, fragte Fynn etwas niedergeschlagen, der mittlerweile mit Dustin bei uns angekommen war.

„Ganz gut. Den ersten Satz hat Tim 6:4 gewonnen und führt im zweiten Satz 2:1. Aber das heißt noch gar nichts. Unser Gegner weiß auch ganz genau, wenn sie diesen Punkt machen, wird es für uns fast unmöglich zu gewinnen. Sie werden also alles versuchen.“

Fynn setzte sich erschöpft neben mich ins Gras. Dustin blieb bei Maxi und Carlo direkt an der Bank.

„Na“, fragte ich, „wie geht es dir jetzt? Du hast ein gutes Match gezeigt.“

„Ich bin völlig erschöpft. Ich habe alles versucht, aber er war immer einen Schlag besser als ich. Das war nicht zu gewinnen.“

„Richtig, du hast dir gar nichts vorzuwerfen. Du hast alles probiert, was dir möglich war. Noch ist er besser als du, aber so viel fehlt da gar nicht mehr. Ich bin davon überzeugt, dass du sehr bald nicht mehr so deutlich verlieren wirst. Was mir sehr gut gefallen hat, du hast immer bis zum Schluss gekämpft, nie aufgegeben und alles probiert. Wirklich gut.“

„Danke. Ich hätte gern einen Punkt für die Mannschaft gemacht, aber heute war das nicht drin. Jetzt muss Tim gewinnen, sonst haben wir wohl verloren.“

„Hey, das machen wir schon irgendwie. Ich sehe das recht positiv. Wir sind mit unseren Doppeln gut eingespielt. Nicht zweifeln, positiv denken.“

Dabei schmunzelte ich und legte meinen Arm und den doch etwas enttäuschten Fynn neben mir. Dustin drehte sich zu uns um und lächelte. Tim hatte gerade ein Break geschafft und führte jetzt 3:1. Das sah doch gut aus. Carlo kaute immer wieder auf seinen Fingernägeln herum. Er war deutlich nervöser als Tim auf dem Platz. Immer wieder drehte Carlo nervös eine Runde über den Rasen.

Ich beobachtete das Spiel genau und konnte bei Tim etwas Neues erkennen, nämlich den absoluten Willen gewinnen zu wollen. Er spielte von Punkt zu Punkt und ließ sich nur selten ablenken. Maxi machte seine Aufgabe auf der Bank sehr gut. Ich brauchte nur wenig zu unterstützen.

Allerdings kostete das enorm viel Kraft und ich war mir nicht sicher, ob Tim das durchhalten würde. Er war immerhin drei Jahre jünger als sein Gegner.

Plötzlich sah ich bei Tim etwas sehr beunruhigendes. Er begann, sich immer wieder nach jedem Punkt zu dehnen. Bekam er jetzt die Quittung für dieses kräfteraubende Spiel? Bekam er Krämpfe? Maxi drehte sich etwas ratlos zu mir um.

„Was soll ich machen? Können wir irgendwas tun?“, fragte er mich sehr angespannt.

„Bleib ruhig.“

Ich stand vom Rasen auf und bat Carlo mir aus der Umkleide meine kleine Tasche zu holen. Darin hatte ich immer meine Notfallmedikamente und ein paar andere Sachen für solche Situationen.

Beim nächsten Seitenwechsel saß Tim sehr erschöpft auf der Bank. Ich hockte mich vor ihn hin und begann seine Waden zu massieren. Sie fühlten sich schon steinhart an. Lange würde er das nicht mehr durchhalten, das war mir sofort klar. Er führte mit 4:1 und brauchte noch zwei Spiele.

„Pass auf, du versuchst jetzt noch einmal zwei Spiele das Maximum zu geben. Dann bist du durch und kannst dich ausruhen. Dein Gegner steht unter enormen Druck. Und dehne weiter deine Beine. Das machst du gut.“

Während ich seine Beine durchknetete, konnte ich die Schmerzen in seinem Gesicht ablesen. Aber er sprach nicht von aufgeben, sondern er nickte nur. Carlo kam mit meiner Tasche angelaufen und ich rieb die Waden mit China Öl ein. Nicht sehr angenehm riechend, aber sehr wirkungsvoll. -

Tim ging wieder auf den Platz und ich wieder zurück auf den Rasen. Carlo und auch Dustin mit Fynn schauten mich besorgt an. Dustin fragte mich:

„Kann er das schaffen? Mit Krämpfen kann er doch nicht mehr laufen und das muss er reichlich, sonst wird er nicht gewinnen.“

„Abwarten. Wenn es die nächsten zwei Spiele nicht schlimmer wird, reicht das vielleicht. Mehr können wir nicht machen.“

„Aber Tim spielt richtig gut. Ich habe ihn noch nie so fighten sehen und so fokussiert.“

„Das stimmt, Fynn. Ich bin auch total begeistert von seiner Leistung.“

Carlo bekam das natürlich mit und er ballte beide Fäuste und feuerte Tim immer weiter an. Carlo war vollkommen in das Spiel eingetaucht und bemerkte gar nicht, dass wir alle ihn beobachteten und ich fand es sogar amüsant, wie sehr er sich in das Spiel hineinsteigerte. Unsere Fans stiegen auch nach jedem Punkt voll mit ein. Diese Atmosphäre hatte ich bei einem Jugendspiel noch nicht erlebt.

Dustin meinte: „Wenn er so weiter macht, musst du ihn gleich an die Leine nehmen, sonst spielt er noch mit.“

Wir fingen alle an zu lachen und erst jetzt bemerkte Carlo, dass wir über ihn sprachen.

„Was ist? Habe ich was verpasst?“

„Nein“, sagte ich, „alles gut, aber komm bitte etwas vom Platz weg. Du darfst nicht mitspielen.“

Carlo fügte sich und kam zu mir. Ich legte ihm meinen Arm auf die Schulter und versuchte ihn zu beruhigen. Innerlich war ich genauso angespannt wie meine Jungs, aber ich musste ruhig wirken. Je mehr ich mich jetzt aufregen würde, desto schlechter wäre das für Tim.

Tim hatte sichtlich immer größere Schwierigkeiten, hatte aber das Spiel zum 5:1 gewonnen, weil sein Gegner es nicht nutzen konnte, dass er kaum noch laufen konnte.

Die Spannung wuchs bei uns und den Zuschauern immer mehr. Tim ließ sich nach jedem Ball Zeit und konzentrierte sich neu. Das war eine höchst beeindruckende Willensleistung und die Zuschauer bemerkten das natürlich auch. Nach jedem Punkt wurde Tim regelrecht nach vorne gepeitscht. Das hatte ich Tim noch nicht zugetraut.

Umso mehr freute ich mich, als er den Matchball verwandelt hatte, aber so erschöpft war, dass er nicht einmal mehr richtig jubeln konnte. Ich lief direkt auf den Platz und stützte Tim auf dem Weg zur Bank. Unsere Fans waren kaum noch zu bremsen, der Jubel war ohrenbetäubend.

Ich entschied mich, ihn nicht auf die Bank zu setzen, sondern auf den Rasen zu legen. Dort konnte ich ihn besser behandeln und er sich entspannen.

Jetzt zeigte sich sofort unser Teamgeist wieder. Ich brauchte nichts mehr zu sagen. Dustin zog den Platz ab, Fynn packte Tims Sachen zusammen und Carlo blieb auf dem Rasen und beruhigte Tim. Ich massierte seine Beine jetzt richtig ausgiebig und gab ihm einen Magnesiumtrank. Plötzlich stand Thorsten hinter mir.

„Wie geht es Tim?“, fragte er mich.

„Frag mich das in einer Viertelstunde noch einmal. Ich werde versuchen, ihn für das Doppel fit zu bekommen.“

Thorsten spürte sofort meine Anspannung und ließ mich in Ruhe arbeiten.

Tim hatte eine unglaubliche mentale Leistung gezeigt und unter schwierigsten Bedingungen sein Match gewonnen. Das hatte mich sehr beeindruckt. Jetzt stand es also 2:2 und die Doppel mussten die Entscheidung bringen.

Allerdings hatte ich jetzt erst einmal alle Hände voll zu tun, Tim zu beruhigen und zu behandeln. Die Krämpfe waren zwar weg, aber sie würden sicher sofort zurückkehren, sobald er jetzt auf den Platz stehen müsste. Sollte ich ihn Doppel spielen lassen? Klar, er war deutlich besser als Carlo, aber wenn er nicht laufen könnte, würde er uns nicht helfen.

Für Tim gab es momentan noch keine Zweifel, dass er nicht Doppel spielen würde, denn er fragte mich auf dem Rasen liegend: „Mit wem soll ich denn Doppel spielen? Wir brauchen mindestens ein Doppel und einen Satz mehr.“

„Das besprechen wir gleich gemeinsam. Allerdings glaube ich momentan, dass du so kein Doppel spielen solltest. Das Risiko ist viel zu hoch, dass du nicht zu Ende spielen kannst.“

„Ich spiele Doppel, auf jeden Fall. Jetzt, wo wir so kurz vor dem größten Erfolg stehen, will ich unbedingt gewinnen.“

Carlo saß bei ihm auf dem Rasen und erstaunte mich jetzt allerdings vollkommen, er gab einen trockenen Kommentar dazu ab.

„Pass auf, wenn Chris sagen würde, dass du kein Doppel spielst, dann hat er sich das gut überlegt. Er weiß genau, was du kannst und dass du besser bist als ich. Also hör auf, hier so einen Schwachsinn zu reden.“

Tim schaute sehr verwundert zu mir und dann zu seinem Freund. Er war so perplex, dass er nichts darauf sagte und sich nur wieder lang auf den Rücken legte. Ich hatte es mittlerweile geschafft, seine Wadenmuskulatur soweit zu entspannen, dass keine neuen akuten Krämpfe mehr drohten. Maxi, Fynn und Dustin hatten sich bereits etwas abseits beraten und kamen jetzt zu uns und setzten sich zu Tim auf den Rasen.

„Bevor wir auf die Doppel zu sprechen kommen,“ sagte ich, „möchte ich Tim noch einmal meinen Respekt aussprechen. Das war eine großartige Leistung. Ich bin schwer beeindruckt und ich muss zugeben, dass ich dich ein wenig unterschätzt habe. Diese mentale Leistung hatte ich dir so nicht zugetraut.“

Als auch noch die anderen spontan Applaus spendeten, entspannte sich Tims Gesicht wieder und er wurde sogar etwas rot. Aber das Lob tat ihm sichtlich gut.

„Ich möchte eure Vorschläge hören zu den Doppeln. Was denkt ihr, ist das Beste? Wir brauchen einen Sieg und einen Satz, um sicher im Finale zu stehen.“

Maxi meldete sich wie in der Schule und das fand ich schon etwas lustig und reagierte entsprechend lustig darauf.

„Maxi, du hast einen Sprechwunsch. Sprich bitte jetzt.“

Die anderen fingen an zu lachen und ich musste mitlachen. Es war einfach zu witzig. Maxi grinste und sagte dann:

„Ok, lassen wir die Scherze. Ich spiele zweites Doppel mit Tim oder Carlo und Fynn und Dustin spielen erstes Doppel.“

Das war genau meine Idee. Aber ich wollte die anderen auch dazu hören. Ich schaute sie an und Dustin und Fynn schauten sich an, nickten kurz und damit war zumindest klar, wer das erste Doppel spielen würde.

„Gut, damit ist jetzt noch zu klären, ob Tim oder Carlo spielt. Wir haben noch eine dreiviertel Stunde Zeit bis zu den Doppeln. Die möchte ich auch voll nutzen, um das abzuwarten. Bis auf Carlo und Tim seid ihr erst einmal entlassen. Kann mir einer vielleicht eine Fassbrause bringen. Ich möchte mit den beiden etwas besprechen.“

Fynn war sofort los und holte mir eine Fassbrause. Die beiden anderen wollten sich ein wenig bei den anderen Spielen umsehen.

Wir drei, also Tim, Carlo und ich, setzten uns jetzt auf eine schattige Bank und diskutierten die Varianten. Natürlich konnte ich Tim verstehen, dass er spielen wollte. Wenn er aber nicht fertig spielen könnte, hätten wir verloren. Sollte ich dieses Risiko eingehen? Klar, er war momentan noch deutlich besser als Carlo, aber würde Carlo wiederum dann auch mit dem Druck umgehen können? Das war jetzt für mich eine sehr schwierige Entscheidung und mir war bewusst, ich musste die Entscheidung treffen und auch die Verantwortung tragen.

Carlo spürte meine Nachdenklichkeit und fragte mich:

„Was wäre denn, wenn du jetzt eine falsche Entscheidung triffst? Mehr als verlieren können wir doch gar nicht und Halbfinale ist schon weitaus mehr, als wir erwarten konnten.“

Bevor ich etwas antworten konnte, hörte ich eine Stimme sagen: „Sehr guter Ansatz. Sehe ich genauso. Macht euch keinen Stress. Ihr spielt großes Tennis und mein Bruder hat alles im Griff. Also entspannt euch.“

Ich drehte mich sofort um und Jan stand grinsend vor uns.

„Jan! Du bist wirklich extra aus Paris gekommen, um uns zu unterstützen?“

Er lachte und setzte sich zu uns.

„Klar, so eine Chance bekomme ich nicht so schnell wieder. Ich finde, ihr seid ein tolles Team und genauso habe ich mir das gewünscht und vorgestellt. Also, was entscheidest du mit den Doppeln?“

Ich erklärte meinem Bruder die Situation und was die Optionen sind. Er überlegte nicht lange und sagte:

„Für mich eine klare Sache. Tim ist nicht fit und droht auszufallen. Also spielt Carlo. Deshalb ist er ja hergekommen, damit er einspringen kann. Also macht das so, wie ihr gedacht habt. Fynn und Dustin erstes Doppel, die holen einen Satz und das zweite Doppel wird gewinnen.“

Er sagte das so bestimmt, als ob das Spiel schon gewonnen wäre, aber damit gab er mir unheimlich viel Rückendeckung, denn das war meine Idee, es so zu machen. Sollte das schiefgehen, dann hätte ich zumindest von Jan Rückendeckung gegenüber den anderen.

Tim war natürlich gar nicht begeistert und protestierte. Jan blieb ruhig, aber sehr bestimmend antwortete er auf Tims Protest.

„Schau mal, wenn du aufgeben musst, ist das Spiel verloren. Dieses Risiko kann Chris nicht eingehen. Es ist absolut richtig, dass du nicht spielst und dich für das Finale schonst. Und bevor du weiter diskutieren willst, die Entscheidung steht und wird nicht mehr geändert.“

Jan stand auf, sagte mir noch, dass er jetzt die Doppel eintragen lässt und ließ mich mit den Jungs zurück. Sie schauten ihm noch für einen Augenblick nach, dann sagte Tim: „Ich finde das jetzt komisch, du bist doch eigentlich hier der Chef. Jetzt kommt er und entscheidet, was wir machen sollen. Lässt du dir das gefallen?“

„Falsch Tim, er bestimmt nicht. Er hat mich gefragt und mir seine Meinung mitgeteilt. Da wir uns einig waren, hat er dir zu verstehen gegeben, dass du jetzt akzeptieren musst, dass es so ist, wie es ist. Du spielst kein Doppel und wir ziehen ins Finale ein. Bis dahin schonst du dich, weil wir dich dort fit brauchen.“

Tim fiel es sichtlich schwer zu akzeptieren, dass ich ihn nicht spielen lassen wollte. Erst als Carlo ihm das noch einmal erklärte, nickte er zustimmend. Ich hatte absolutes Verständnis für Tim. Deshalb war ich ihm auch nicht böse. Erst nach den Doppeln würde ich wissen, ob wir die richtige Entscheidung getroffen hatten.

Ich ließ die beiden allein zurück und musste mich auch einmal etwas entspannen. Das war schwierig, denn überall traf ich auf Leute aus Halle, die mich ansprachen oder uns zu dieser Mannschaft gratulierten. Irgendwann kam mir Jan mit Gilles entgegen und das sah ich als meine Chance, hier für ein paar Minuten zu verschwinden, denn Jan war mit Gilles natürlich viel interessanter für die Fans.

Einige Augenblicke später stand ich am Rande der riesigen Anlage unter einer alten Kastanie und konnte etwas durchatmen. In diesem Moment fühlte ich den Druck und die Verantwortung. Ich hatte keinen Moment, in dem ich mal entspannen konnte. Ständig musste ich für irgendjemanden da sein oder Entscheidungen treffen.

Ich beschloss, mir jetzt einige Minuten zu nehmen, in denen ich nicht an Tennis denken wollte. Also verließ ich für einige Minuten die Anlage und ging die Straße entlang zum Parkplatz. Dort stand der Bus unserer Fans. Dieser Anblick war etwas Besonderes für mich. Hier waren etwa 50 Leute aus unserem Verein gekommen, nur, um uns zu unterstützen. Sicher waren auch die Familien der Spieler dabei, aber eben auch andere Jugendliche oder Leute, die mit den Jungs so gar nichts zu tun hatten, außer, dass sie im selben Verein spielten.

Meine Aufgabe war es nun, dafür zu sorgen, dass sie auch noch ein Finale mit Haller Beteiligung sehen würden. Also doch keine Minuten ohne Tennis und deshalb ging ich wieder zurück. Ich musste meine Entspannung auf den Abend verschieben. Diese Minuten gaben mir dennoch wieder etwas Kraft, um mich jetzt um die Doppel zu kümmern.

Im Clubhaus traf ich Thorsten, der mich zu einem Kaffee einlud.

„Ich habe dich schon gesucht. Hast du dich einfach mal so davongemacht?“

„Ja“, sagte ich sehr nachdenklich, „ich brauchte das einfach mal. Ich muss immer für alle da sein. Ein Spieler kann nach seinem Match ausruhen. Ich hingegen eile dann zum nächsten Match und mache dort ohne Pause weiter. Das ist anstrengend.“

„Wem sagst du das? Deshalb setz dich einmal zu mir und komm runter. Wir trinken in Ruhe einen Kaffee.“

Ich setzte mich mit Thorsten an einen der hinteren Tische, wo wir nicht gestört wurden.

„Du machst das sehr gut mit den Jungs. Einerseits mit dem wilden Carlo und unserem Pärchen. Wie du vielleicht gemerkt hast, haben unsere Leute jetzt auch alle mitbekommen, dass Fynn und Dustin ein Paar sind. Das führte für einen Augenblick zu leichten Irritationen, aber die mitgefahrenen Jugendlichen haben schnell für Aufklärung gesorgt und die meisten fanden das total cool, wie sie damit umgehen. Du hast in den letzten Wochen unheimlich viel bewegt. Sowohl für die Jungs, als auch für den Verein. Das ist klasse. Selbst Jan findet große Anerkennung für deine Leistung. Sonst wäre er nicht extra mit Gilles aus Paris gekommen. Gilles schlägt sich übrigens gerade mit den Jungs ein.“

„Was? Echt jetzt? Das ist ja cool. Das ist gerade für Carlo total gut. Der wird am Stock gehen vor Nervosität.“

Jetzt musste Thorsten lachen.

„Du wirst ihn schon wieder einfangen. Sonst wird das Tim wohl machen. Sag mal, läuft da eigentlich was zwischen den beiden? Auf der Fahrt hierher haben die Jungs aus der U 15 darüber spekuliert. Man sieht sie immer nur im Doppelpack.“

„Keine Ahnung, nein, Spaß. Ich glaube nicht. Sie sind einfach nur beste Freunde. Sie sind erst dreizehn bzw. vierzehn. Da sollten wir nicht spekulieren, sondern sie einfach laufen lassen. Bislang habe ich keine konkreten Dinge, die ein Indiz dafür gäben.“

„Ok, aber wenn es so sein sollte, sag ihnen, sie brauchen sich nicht zu verstecken. Für uns wäre es genauso normal wie bei Dustin und Fynn. Ich nehme mal an, sie werden mit dir zuerst sprechen, sollte sich das ergeben.“

„Ok, danke dir. Ich werde das im Kopf behalten. Jetzt mal zu den Doppeln. Du hast sicher mitbekommen, dass ich Tim nicht spielen lasse.“

„Natürlich, absolut richtige Entscheidung. Er wäre im Finale viel wichtiger. Es hilft keinem, sollte er das Doppel aufgeben müssen. Gab es Probleme?“

„Naja, du kannst dir ja sicher vorstellen, dass er nicht erfreut war, als ich das entschieden hatte. Irgendwie verstehe ich auch seine Enttäuschung, aber hätte ich anders entscheiden sollen?“

„Nein, hör auf, da zu zweifeln. Jan hat eben noch zu mir gesagt, dass er es total gut findet, wie du dich da durchgesetzt hast. Die Jungs müssen auch mal schlucken, dass du eine Entscheidung triffst, die ihnen nicht passt. Aber das ist ja keine Entscheidung gegen Tim, sondern für die Mannschaft. Du hast es ganz sicher richtig gemacht.“

Die Bestätigung tat mir gut. Obwohl ich davon überzeugt war, dass es richtig war, so entschieden zu haben, hatte ich ein komisches Gefühl im Bauch. Thorsten half mir, darüber hinwegzukommen.

Wir saßen immer noch am Tisch im Clubhaus, als Patrick, Fynns kleiner Bruder zu uns an den Tisch kam.

„Hier bist du. Ich habe dich schon überall gesucht. Darf ich dich mal etwas fragen?“

„Hallo Patrick, ja, ich möchte auch mal etwas Pause haben. Können wir uns gleich unterhalten. Ich bin noch im Gespräch mit Thorsten.“

„Ok, geht klar. Ich bin dann wieder draußen.“

„Ja, ich komme auch gleich zu dir. Einen kleinen Moment noch.“

Thorsten hatte dieses Gespräch verfolgt und sagte, als Patrick wieder gegangen war:

„Wow, so handzahm habe ich den noch nie erlebt. Sonst ist er immer mit lockerem Mundwerk und wenig Benehmen in Halle zu sehen.“

„Echt jetzt? Ich kenne ihn zwar schon als manchmal etwas vorlaut, aber nicht mit schlechtem Benehmen. Was macht er denn so beim Training?“

Thorsten berichtete mir von einigen Situationen, die zwar nicht so schlimm waren, aber halt auch peinlich. Patrick ließ wohl des Öfteren durchblicken, dass Fynn sein großer Bruder ist und außerdem hatte er eine Vorliebe für versaute Witze und andere kleinere sexuelle Anspielungen. Eigentlich für einen Pubertierenden nichts Ungewöhnliches. Dennoch war das bei bestimmten Situationen einfach unangenehm. Ich versprach Thorsten, mit Patrick zu Hause mal ein Gespräch zu führen und auch seiner Mutter mal einen Tipp zu geben.

Jetzt wurde es aber für uns wieder ernst und ich hatte Patrick ja versprochen, noch zu ihm zu kommen. Das wollte ich jetzt als nächstes tun. Doch da kam mir mein Bruder in die Quere.

„Hi, na hast du dich etwas entspannt?“

„Ja, danke. Thorsten hat mich zu einem Kaffee eingeladen. Das tat mir gut. Wie siehst du die Lage?“

„Bestens, ihr macht das schon. Ich wollte fragen, welches Doppel wirst du betreuen?“

„Eigentlich beide. Ich wechsele zwischen den Plätzen und Tim wird bei Carlo und Maxi auf der Bank sitzen. Dustin und Fynn sind eh so eingespielt, da muss ich nicht ständig dabei sein.“

„Das stimmt sicher, aber ich habe die Idee, Gilles sollte sich bei den beiden auf die Bank setzen. Das ist auch für den Gegner dann sicher nicht so einfach, sich zu konzentrieren. Die beiden kennen Gilles schon ganz gut und Gilles kennt sie. Du betreust Carlo und Maxi und ich werde dich mit Informationen von dem Platz versorgen.“

Das überraschte mich, aber ich fand seine Idee grandios. Natürlich stimmte ich lachend sofort zu und so wurde es gemacht. Bevor ich zu Patrick ging, musste ich aber unbedingt noch Fynn und Dustin unsere Idee mit Gilles erklären. Das würde ihr Selbstbewusstsein deutlich erhöhen.

Patrick saß mit seinen Eltern schon bei Dustin und Fynn am Platz, als ich ankam. Ich begrüßte die Eltern noch einmal richtig und dann sagte ich zu Patrick: „Ich muss gerade noch etwas mit Dustin und Fynn klären, dann habe ich für dich Zeit.“

Ich erklärte den beiden Jans Idee und warum wir das so machen wollten. Beide waren beeindruckt von diesem strategischen Schachzug. Sie freuten sich sehr darüber und nun hatte ich die Gelegenheit, mit Patrick noch ein paar Minuten zu sprechen.

Patrick stand auf und ich sollte ihm folgen. Er wollte wohl mit mir allein sprechen, ohne seine Eltern.

„Du machst es aber spannend, was hast du denn auf dem Herzen?“

„Eine Frage und eine Bitte.“

Na, jetzt war ich aber gespannt.

„Komm, schieß los. Ich muss gleich auf die Bank.“

„Meine Mutter würde gern mal Dustin und Fynn mit Papa zusammen in der WG besuchen. Ich übrigens auch, ginge das? Oder ist das noch zu früh?“

Das war eine schwierige Frage, wie ich fand.

„Also von meiner Seite aus, geht das sicherlich. Aber fragt die beiden vorher. Wenn sie das möchten, ist das kein Problem. Dann macht ihr bitte mit ihnen einen Termin aus. Nicht dass ihr überraschend kommt.“

„Ne, keine Sorge. Aber das wäre echt cool. Papa macht übrigens gute Fortschritte. Er hat sich sogar einen Psychologen gesucht für die Zeit nach der Therapie.“

„Sehr gut, das freut mich. Ich habe auch bemerkt, dass er sich große Mühe gibt. Sehr erfreulich, das würde auch für Dustin sehr wichtig sein, wenn er bei euch in der Familie den Halt findet, den er in seiner Familie nicht hat.“

Patrick nickte nur und ich spürte seine Unruhe. Irgendetwas hatte er noch auf dem Herzen.

„So, wo brennt es denn noch?“

„Ähm, ja. Das ist etwas unangenehm für mich. Ich habe Probleme in der Schule. Ich weiß auch nicht warum, aber mir fällt es so schwer, mich auf das Lernen zu konzentrieren. Ich habe auch oft keine Lust für die Schule zu lernen. Ich will lieber Tennis spielen oder mit meinem besten Freund etwas unternehmen. Hast du eine Idee, wie ich besser lernen kann?“

„In welchem Fach ist es denn besonders schwierig?“

„In Mathe und Physik. Das bekomme ich momentan gar nicht auf die Reihe. Ich habe Schiss, das Schuljahr nicht zu schaffen und dann würde es wieder riesigen Stress zu Hause geben. Davor habe ich Angst.“

Das konnte ich verstehen. Angst im doppelten Sinn.

„Ok, hier können wir aber nicht in Ruhe sprechen. Ich mache dir einen Vorschlag. Ich nehme an, deine Eltern sollen erst einmal noch nichts davon wissen. Also pass auf, wir setzen uns in Halle zusammen, nach deinem Training. Dann schauen wir mal, was los ist. Ok?“

„Das wäre echt toll. Danke. Ich habe einfach Schiss, dass Papa sonst deswegen wieder mit dem Trinken anfängt.“

„Darüber mach dir keine Gedanken. Das ist nicht dein Problem. Aber dass du Probleme hast, das ist deine Baustelle. Und das regeln wir beide. Also nächste Woche in Halle, ok?“

Er gab mir die Hand und strahlte erleichtert.

Für mich ging es jetzt auf die Bank bei Carlo und Maxi. Auf dem Weg dorthin konnte ich auch endlich Maxis Eltern begrüßen. Sogar seine Mutter war mitgekommen. Das freute mich besonders. Sie sah zwar immer noch sehr blass aus, aber schon viel besser, als ich sie das letzte Mal in Halle gesehen hatte.

Carlo und Maxi schlugen sich bereits mit ihren Gegnern ein, als ich dort ankam. Bevor ich mich aber auf die Bank setzte, gab ich meinem Gegenüber auf der anderen Bank noch einmal die Hand und wir wünschten uns ein gutes Spiel. Auf diese ungeschriebenen Verhaltensweisen legte ich viel Wert und vermittelte diese auch immer an meine Spieler.

Das Match begann und ich war sehr angespannt. Einerseits freute ich mich über die unglaubliche Unterstützung aus der Heimat, aber das erhöhte auch meinen Druck zu gewinnen, um den Fans und insbesondere Gerry Weber eine gute Leistung zu zeigen.

Die ersten Spiele waren sehr ausgeglichen und Carlo zeigte keinerlei Anzeichen von großer Nervosität. Maxi übernahm die Führung auf dem Platz und übernahm Verantwortung. Das half Carlo, sich ausschließlich auf den Ball zu konzentrieren.

Beim Spielstand von 2:2, kam Jan zu mir und flüsterte mir zu: „Momentan sieht das drüben gut aus. Gilles scheint wie vermutet seine Wirkung zu haben. Der Gegner ist so beeindruckt, dass Dustin und Fynn mit 3:0 führen. Ist zwar nur ein Break aber egal. Wie sieht es hier aus?“

„Das ist ja ein guter Beginn. Geil, wenn die gleich den ersten Satz machen würden. Hier ist es sehr ausgeglichen. Carlo ist gut ins Match gestartet. Es steht 2:2, nein grade ist das 3:2 für uns gefallen.“

Der Jubel von den Zuschauern bestätigte das und Jan nickte nur kurz und verschwand wieder in Richtung des anderen Platzes. Dass mein mittlerweile bekannter Bruder mal für mich Informationen verteilen würde, hätte ich auch nicht gedacht.

Ich sprach mit Carlo und Maxi und ihr Feedback beruhigte mich. Sie hatten alles im Griff und das Spiel entwickelte sich gut. Beim nächsten Seitenwechsel stand es 4:3 und alles war weiterhin in der Reihe. Es gab noch keinen Aufschlagverlust.

Jan tauchte wieder bei mir auf und gab mir lachend die Information:

„5:2 für uns und sieht weiterhin gut aus. Ich glaube, dass der Gegner mit der Situation überhaupt nicht klar kommt. Ich vermute fast, dass sie mit einer anderen Aufstellung spekuliert haben. Umso besser für uns. Hier sieht es ja auch gut aus.“

Am Jubel konnte ich allerdings immer wieder erahnen, dass es auf dem anderen Platz gut für uns aussah, denn außer unseren Fans waren nicht sehr viele andere Zuschauer auf der Anlage.

Obwohl es auf beiden Plätzen gut für uns aussah, stiegen meine Anspannung und der Stress bei mir weiter an. Ich spürte das deutlich am Druck in der Brust. Ich fühlte mich eingeengt. Deshalb lehnte ich mich zwischen den Ballwechseln immer zurück und versuchte mich zu entspannen. Draußen auf der Bank sitzen war für mich immer schon schlimmer als selbst zu spielen. Hier konnte ich nur zuschauen und hoffen, dass die Spieler das umsetzen konnten, was ich mit ihnen besprochen hatte.

Leider war Maxi für einen Augenblick unkonzentriert und fabrizierte zwei leichte Fehler, die zu Breakbällen für den Gegner führten. Jetzt einen Aufschlagverlust kassieren, wäre der schlechteste Zeitpunkt. Bei 4:4 und dem folgenden gegnerischen Aufschlag würde das, einem Satzverlust gleichkommen.

Carlo als unser Youngster versuchte Maxi wieder aufzubauen und auch ich rief nach dem Ballwechsel auf den Platz: „Hey, weiterspielen. Der nächste Punkt ist wichtig.“

Leider gelang es Maxi nicht, sich zu fangen. Er machte noch einen Fehler und da war das Break zum 4:5. Maxi feuerte seinen Schläger auf seine Tasche und war sauer.

„Leute kommt runter.- Maxi, das Aufregen hilft uns gar nicht. Konzentriere dich wieder auf das nächste Spiel. Carlo, du spielst richtig gut. Weiter so!“

Maxi hatte sein Handtuch über den Kopf geworfen. Er nahm es runter und sagte:

„Richtig, Carlo spielt geil und ich Depp bin zu blöd, den Punkt zu machen. Das ist so scheiße.“

Ich ließ ihn noch etwas Dampf ablassen und plötzlich sagte Carlo: „Können wir jetzt wieder normal weiter spielen? Oder soll ich allein spielen?“

Ich musste grinsen und Maxi war für einen Augenblick so sauer, dass ich dachte, jetzt knallt es hier, aber dann fing Maxi an zu lachen. Richtig laut zu lachen.

„Ja, du hast ja recht. Ich reiße mich zusammen und dann drehen wir das hier. Los, komm!“

Sie schlugen sich ab, Maxi schlug meine Hand ab und es ging wieder auf den Platz. Mittlerweile hatten sich bei uns immer mehr Zuschauer und Fans angesammelt. Das ließ bei mir den Schluss zu, dass auf dem anderen Platz der erste Satz vorbei war.

Jan bestätigte mir das auch bei seinem nächsten Besuch. Dustin und Fynn hatten den von uns erhofften Satz mit 6:3 geholt und jetzt hieß es für mich, meine beiden Kämpfer wieder auf Linie zu bringen.

Leider ging der Satz mit 4:6 verloren und jetzt stieg der Druck für Carlo noch mehr an. Ich hatte aber auch das Gefühl, dass Maxi sich wieder gefangen hatte. In der Satzpause war er ganz ruhig und zielorientiert.

Ich war gerade dabei, den beiden die Strategie für den zweiten Satz zu erklären, als mir jemand eine Flasche Fassbrause hinhielt. Ich drehte mich um und Patrick stand mit einem Grinsen hinter der Bank:

„Hier, damit du nicht so auf dem Trockenen sitzt und etwas Nervennahrung hast.“

Maxi und Carlo fingen an zu lachen und das tat gut, für einen Augenblick den Stress zu vergessen.

„Guter Mann,“ sagte ich zu Patrick, „du wirst engagiert als Mundschenk.“

Das führte noch mehr zu Heiterkeit und die Spannung löste sich zusehends. Das wiederum führte zu Beginn des zweiten Satzes zu einer Euphorie auf dem Platz. Carlo begann mutiger zu spielen und auch Verantwortung zu übernehmen. Das Spiel kippte komplett zu unseren Gunsten und der zweite Satz ging sehr zügig mit 6:2 an uns. Die Fans flippten förmlich aus und auch auf dem anderen Platz sah es weiterhin gut für uns aus. Sollten Dustin und Fynn vielleicht sogar gewinnen? Das wäre eine kleine Sensation.

Ich nahm das Publikum jetzt nur noch am Rande wahr, weil jeder Punkt im Champions-Tiebreak enorm wichtig war. Die nächsten Minuten würden alles entscheiden. Entsprechend versuchte ich die Konzentration auf diesen Tiebreak zu lenken. Brauchte ich aber gar nicht, denn beide waren so klar im Kopf, dass ich sie das machen ließ.

Plötzlich hörte ich einen ohrenbetäubenden Jubel von dem anderen Platz. Das hieß für mich, Dustin und Fynn hatten gewonnen. Damit war es entschieden. Sie hatten in zwei Sätzen gewonnen und wir hier den wichtigen zusätzlichen Satz. Der Sieg war uns nicht mehr zu nehmen.

Interessanterweise schienen Carlo und Maxi das gar nicht zu realisieren, denn sie fokussierten sich vollkommen auf ihr Spiel und weil der Gegner wohl verstanden hatte, dass sie verloren hatten, ließen sie in ihrer Konzentration nach und der Champions-Tiebreak ging mit 10:3 klar auch an uns. Das bedeutete: Sieg und Finale!

Was jetzt folgte, war extrem. Die Jungs jubelten und auch die Fans waren völlig aus dem Häuschen. Das sah fast so aus, als ob wir bereits das Finale gewonnen hätten.

Jan kam zu mir auf den Platz und umarmte mich.

„Geiles Match. Deine Jungs haben toll gespielt und du hast sie optimal vorbereitet. Ganz große Leistung. Glückwunsch!“

Jetzt tauchten auch Dustin und Fynn bei uns auf und sie hatten Fynns gesamte Familie dabei. Alle jubelten und freuten sich unbändig. Mir wurde immer wieder auf die Schulter geklopft und es war eine totale Euphorie bei den Fans spürbar. Mir wurde das schnell zu viel und ich versuchte etwas Abstand zu bekommen.

Leider war das nicht so einfach, denn auch Gerry Weber kam natürlich zu uns auf den Platz und gratulierte den Jungs. Aber er kam dann auch zu mir und fragte: „Na, bist du zufrieden mit deinen Jungs?“ Dabei lachte er.

„Naja“, sagte ich, „ich bin zufrieden. Hätte aber auch in zwei Sätzen sein können. Das wäre besser für meinen Blutdruck gewesen.“

Jetzt mussten wir beide lachen, denn das war natürlich von mir nicht ganz ernst gemeint gewesen. Gerry führte mich aus der Menschentraube Richtung Clubhaus.

„Komm, wir gehen jetzt in Ruhe mal etwas trinken. Ich lade dich ein. Du hast etwas Ruhe verdient.“

Das war erstaunlich, wie sehr sich Gerry für das Ganze interessierte und sich auch engagierte. Er hatte ein gutes Gespür für meine Situation und war sich nicht zu schade, sich darum persönlich zu kümmern. Wir saßen bereits einige Minuten auf der Terrasse und kaum einer hatte bemerkt, dass ich nicht mehr auf dem Platz war. Diese Ruhe tat mir sehr gut.

„Du machst eine exzellente Arbeit mit den Jungs und sie scheinen dir vollkommen zu vertrauen. Ich habe mich während des Spieles mit Maxis Eltern unterhalten. Sie haben dich immer wieder in den höchsten Tönen gelobt. Dass es dir gelungen ist, Maxi zu einem ernsthaften Arbeiter zu machen und sie diese Entwicklung ganz allein dir zuschreiben.“

„Nun ja, ganz so einfach war das nicht. Wenn Maxi nicht verstanden hätte, dass er für seinen Erfolg verantwortlich ist, dann würde das nicht laufen. Ich habe vielleicht die passenden Argumente gehabt.“

„Jetzt hör mal auf, deine Leistung immer so herunterzuspielen. Deine Ideen und Veränderungen in dem Team sind hervorragend eingeschlagen. Ich habe selten von so wenigen Problemen in einem unserer Jugendteams gehört. Du bist ein sehr guter Teamleader. Und bevor ich das vergesse, du wirst mit Thomas in diesem Jahr die Bundesliga betreuen. Deine drei Jungs sind ja auch mit dabei und von daher möchte ich, dass du dort auch gleichberechtigt mit Thomas arbeitest.“

„Ok, aber können wir das vielleicht später zum Thema machen? Ich bin gerade etwas unter Stress.“

Gerry begann zu lachen und das hatte ich bislang nicht so oft bei ihm erlebt. Er hatte meinen kleinen Scherz sofort verstanden und konterte:

„Deshalb sitzen wir ja jetzt hier, damit ich dich etwas ablenken kann.“

„Ok, überzeugt.“

„So, jetzt mal im Ernst. Du hast unglaublich viel bewegt. Es sind erst wenige Wochen vergangen und das Team hat einen Erfolg nach dem anderen eingefahren. Dass Jan extra aus Paris kommt, spricht für dich. Das macht er nur bei sehr wichtigen Ereignissen. Er hat mir vorhin noch gesagt, dass es Zeit wäre für einen Mannschaftsmeister im Nachwuchs.“

„Schauen wir mal. Meine Jungs wollen das auf jeden Fall, aber ob uns das gelingt, sehen wir morgen. Heute werde ich versuchen, meine Jungs zum Relaxen zu bringen.“

Gerry legte ein vielsagendes Lächeln auf und sagte nichts weiter dazu. Nur einen Satz ergänzte er noch:

„Heute Abend möchte ich dich und deine gesamte Mannschaft im Hotel Atlantic zum Essen einladen. Kannst du deinen Jungs das bitte sagen?“

„Äh, ja klar. Aber wie kommen wir dahin? Wir haben hier kein Auto.“

Gerry lachte und sagte ganz trocken: „Nehmt euch ein Taxi und schreib es auf die Teamrechnung. Du bist doch sonst so kreativ. Das wird doch jetzt nicht anders sein.“

„Ok, überredet. Wann sollen wir dort erscheinen. Bitte nicht zu spät. Die Jungs müssen morgen fit sein.“

„Ach, lass sie doch mal entspannen. Das Finale beginnt erst um 13 Uhr. Wir haben für acht Uhr einen Tisch reserviert. Und sag Dustin und Fynn, sie können dort offen sein. Sie sollen sich nicht verstecken.“

In diesem Moment kam Jan zu uns an den Tisch.

„Hier habt ihr euch versteckt. Draußen tobt der Bär und ihr verzieht euch.“

„Genau deshalb sitzen wir hier“, sagte ich. „Ich mag diesen Trubel nicht. Überhaupt nicht. Es ist schon stressig genug für mich.“

„Ja, das glaube ich dir. Ich weiß ja, wie anstrengend das ist. Ich wollte mich jetzt nur wieder verabschieden. Unser Flieger geht in einer guten Stunde zurück nach Paris.“

Ich stand von meinem Stuhl auf und umarmte meinen Bruder. Das hatten wir schon lange nicht mehr getan.

„Danke, dass ihr extra hergekommen seid. Ich wünsche euch viel Erfolg bei den French Open. Ihr habt den Jungs sehr geholfen.“

Jan lachte und sagte noch zum Abschied: „Gern geschehen. Wir wollen doch als Team Erfolg haben. Da macht das Sinn. Und wenn du Lust hast, komm doch nächste Woche nach Paris uns besuchen. Ich habe genug Bonusmeilen, dass der Flug nichts kosten wird. Vielleicht passt das ja für ein oder zwei Tage.“

Dann verließ er uns wieder und ich war schon sehr erfreut, dass Jan sich so für mich eingesetzt hatte.

Jetzt musste ich aber nach meinen Jungs schauen, denn wir saßen schon über eine halbe Stunde hier zusammen. Gerry verstand dies und ließ mich gehen, allerdings nicht, ohne mich noch einmal an den Termin am Abend zu erinnern. Ich bedankte mich für die Einladung und das Gespräch und verließ das Clubhaus.

Draußen war immer noch reges Treiben und meine Jungs waren nicht zu sehen. Erst als ich Patrick auf einer Rasenfläche entdeckte, wusste ich, wo ich suchen musste. Dustin und Fynn waren bei Fynns Eltern und Maxi bei seinen Eltern.

Was ich noch gar nicht realisiert hatte war, dass auch Carlos Mutter mitgekommen war. Sein Vater musste zu Hause das Restaurant führen und konnte daher nicht mitfahren. Ich unterhielt mich mit seiner Mutter und hatte ein gutes Gefühl.

Leider waren Tims Eltern nicht da. Sie waren für mich ohnehin ein Buch voller Rätsel.

Nachdem ich die Eltern alle soweit begrüßt und mit ihnen gesprochen hatte, nahm ich mir etwas Freiraum und verließ die Anlage. Ich musste runterkommen von der hohen Drehzahl. Ständig waren Entscheidungen zu treffen, taktische Dinge zu besprechen oder sich um die Jungs zu kümmern.

Ich ging also allein durch einen kleinen Park und setzte mich dort auf eine Bank, von wo aus ich einen guten Blick über den gesamten Park hatte. Ich schloss für einen Augenblick die Augen und atmete tief ein und lange aus. Das war befreiend und ich spürte, wie sich meine Brust öffnete und die Luft einströmte. Und um mich herum war Ruhe und kein Trubel.

Meinen Jungs hatte ich bis sieben Uhr am Abend frei gegeben. Sie sollten mit ihren Familien Zeit verbringen können. Ich selbst hatte mich entschlossen, ein wenig in der Unterkunft zu entspannen und mir ein paar Dinge zu notieren. Dabei fiel mir auf, dass sich jeder der Jungs weiterentwickelt hatte. Den größten Sprung hatte Dustin gemacht. Er war mittlerweile nahezu auf Augenhöhe mit Fynn und Maxi. Vor allem im mentalen Bereich hatte er sich unglaublich entwickelt. Ich war sehr gespannt, wie er sich im direkten Vergleich im Bundesligakader zeigen würde. Vor einigen Wochen hätte ich gesagt, dass er noch nicht reif ist, dort zu bestehen. Heute sah ich das anders. Vom Körperlichen und von der Einstellung her, war er absolut gleichwertig zu Maxi und Fynn. Sein Selbstvertrauen stieg mit jedem Match, das er spielte. Er begann, an sich zu glauben. Das war beeindruckend.

Meine große Sorge bestand allerdings bei Dustin in der nicht bewältigten Vergangenheit. Was würde passieren, wenn er nicht ständig unterwegs war und Zeit zum Nachdenken bekam? Ich musste mich darauf vorbereiten, dass dort noch Probleme auf uns zukommen würden.

Um kurz nach sechs bekam ich einen Anruf von Fynn.

„Chris, wo bist du gerade? Müssen wir wirklich heute Abend um sieben zurück sein? Können wir nicht mit unseren Eltern etwas unternehmen?“

„Ja, ihr kommt bitte um sieben zurück. Gerry Weber hat die gesamte Mannschaft zum Essen eingeladen. Das ist ein offizieller Termin und den nehmen wir auch wahr. Ihr könnt ab morgen Abend wieder eure Freizeit frei gestalten. Momentan geht das leider nicht.“

„Oh, ok. Das wussten wir nicht. Wir hatten das so nicht verstanden. Dann sind wir pünktlich zurück. Ich soll dir schöne Grüße von meinen Eltern bestellen und hier ist echt coole Stimmung. Die Fans sind unglaublich.“

Im Hintergrund konnte ich einiges mithören und mir gut vorstellen, was dort los war. Dennoch musste ich das Ziel im Fokus behalten. Wir hatten die einmalige Chance, hier deutscher Jugendmannschaftsmeister zu werden. Die wollte ich mit allen Möglichkeiten nutzen.

Fynn: Überwältigend und überraschend

Dieses Halbfinale war zu einem unvergesslichen Erlebnis geworden. Jeder von uns war tief beeindruckt von den Jubelszenen nach dem Matchball. Auch lange Zeit nach dem Ende der Partie war die Stimmung der Fans gigantisch und überall wurden uns Komplimente gemacht. Leider war die Person, der wir das zu verdanken hatten, sehr schnell untergetaucht. Chris war nicht mehr zu sehen. Das fand ich schade. Er hatte den größten Anteil an diesem Erfolg.

Dustin und ich standen mit meiner Familie zusammen und zum ersten Mal seit ganz langer Zeit freute ich mich über das Wiedersehen mit meinem Vater. Er sah gut erholt aus und auch Dustin schien die Veränderung zu bemerken. Er sprach mit ihm sehr locker und entspannt. Patrick war mit Tim und Carlo irgendwo in der Menschenansammlung verschwunden.

„Wo ist denn Chris?“, fragte mein Vater.

„Keine Ahnung, er mag diese Ansammlungen nicht besonders. Ich nehme an, er ist irgendwo abseits.“

„Dann geh ihn doch bitte suchen. Wir möchten ihm auch unseren Dank aussprechen.“

Dustin und ich machten uns getrennt auf die Suche. Dustin wollte im Clubhaus schauen und ich machte mich auf den Weg zu den hinteren Plätzen. Dort war es jetzt sehr ruhig. Genau das, was Chris sicher gesucht hatte. Ruhe.

Ich selbst konnte dabei auch ein wenig zur Ruhe kommen, denn bislang war nur die pure Freude in mir. Bei meiner Suche kamen mir einige Gedanken in den Kopf, die mich recht nachdenklich werden ließen. Was war hier passiert? Innerhalb weniger Wochen hatte sich mein Leben komplett auf den Kopf gestellt und das verrückte war, dass ich damit total glücklich war. Sogar meine Familie begann wieder eine Familie zu werden. Was wollte ich eigentlich noch mehr. Ich hatte einen Freund, einen tollen Trainer und wieder eine Familie.

Ganz tief in diesen Gedanken versunken, wäre ich fast in eine peinliche Situation geraten. Ich bog gerade um die Ecke zu Platz 14 und sah dort Tim und Carlo stehen. Tim schaute auf den Platz und Carlo stand ganz nah hinter ihm. Seine Hände hatte er nach vorn um Tim gelegt. Ich blieb hinter einem Busch stehen und beobachtete diese Szene. Es sah so aus, als ob Tim sehr traurig sein würde. Aber warum? Jedenfalls hatte ich den Eindruck, Carlo würde Tim trösten oder zumindest beruhigen. Ich blieb noch in meiner Deckung und beobachtete das Geschehen weiter.

Carlo flüsterte Tim etwas zu und Tim nickte nur leicht, aber ich konnte sehen, dass Carlos Hände sich bewegten und Tim plötzlich seinen Kopf in den Nacken legte. Da machte es bei mir „Klick“. Das konnte doch nicht sein, oder doch?

Ich beschloss, meine Deckung jetzt aufzugeben und machte mit einem lauten Räuspern auf mich aufmerksam. Carlo zog sofort seine Hände zurück und beide drehten sich zu mir um.

„Boah, Fynn. Hast du uns erschreckt.“ Carlo war sichtlich nervös.

„Keine Panik, ich suche Chris. Habt ihr ihn gesehen?“

Tim schien noch vollkommen erschrocken und war knallrot im Gesicht. Ich musste mich zusammennehmen, um nicht lachen zu müssen, denn der Zustand seiner Hose war eindeutig. Ich hatte die beiden gerade bei ersten Annäherungsversuchen unterbrochen. Carlo blieb nun aber sehr cool.

„Nein, keine Ahnung. Ich vermute, er hat sich, genau wie wir, irgendwo einen ruhigen Platz gesucht.“

„Klar, das weiß ich auch. Kommt ihr auch gleich zurück? Wir sollten uns um unsere Familien kümmern. Deine Mutter ist doch auch hier.“

„Ja, wir kommen auch gleich zurück. Wir brauchten nur einen Moment, um auch etwas runter zu kommen.“

Ich zwinkerte Carlo zu und machte mich wieder auf den Weg zurück.

War das etwa der Beginn eines weiteren Pärchens? Oder war das pubertäres Experimentieren? Egal. Carlo hatte wohl weniger Hemmungen als Tim. Ich musste den ganzen Weg zurück grinsen, so lustig fand ich diese Szene.

Dustin hatte Chris leider auch nicht finden können. Deshalb entschloss ich mich, ihn anzurufen. - Er war bereits in der Unterkunft und wir fragten ihn, ob wir den Abend mit meiner Familie verbringen könnten. Leider ging das nicht, weil es für uns einen offiziellen Termin mit Gerry Weber gab. Das hatten wir noch nicht gewusst. Allerdings schien Chris davon genauso überrascht worden zu sein, denn er hatte mir nur gesagt, das wäre ein offizieller Termin und wir sollten alle um sieben zurück sein.

Um kurz vor sieben standen wir fünf wieder vor unserer Unterkunft und betraten das Haus. Wir stellten unsere Taschen ab und Chris schien nicht in der Wohnung zu sein. Also machten wir uns auf den Weg in den Garten. Dort saß er mit unserer Hauswirtin und ihrem Mann gemeinsam unter der großen Kastanie. Natürlich stand eine Fassbrause auf dem Tisch. Maxi musste lachen.

„Das war ja klar. Chris ohne Fassbrause wäre wie Kaffee ohne Zucker. So, wir sind wieder da, was liegt nun für ein offizieller Termin an?“

Das hörte sich fast schon etwas genervt an und entsprechend war auch die Reaktion von Chris.

„Schön, dass ihr wieder da seid und damit das klar ist, ich habe es genauso wenig gewusst wie ihr. Gerry Weber hat uns zum Essen eingeladen und zwar die gesamte Mannschaft. Wir sollen um acht dort sein, in Teamkleidung. Also ein offizieller Termin des Hauptsponsors. Da sollte es klar sein, dass wir dort erscheinen. Eure Freizeit könnt ihr ab morgen wieder frei gestalten. Noch sind wir hier in Hamburg.“

„Schon gut, Chris. Das war nicht böse gemeint, aber vielleicht kannst du verstehen, dass unsere Eltern gern mit uns etwas gemacht hätten.“

Klar, das war bei mir auch nicht anders, aber wir sind hier in einem Turnier und für mich war das vollkommen klar, wenn Gerry Weber uns einlädt, dass wir dort erscheinen. Tim hingegen war schon die ganze Zeit sehr still. Jetzt gab er einen vielsagenden Kommentar dazu ab.

„Immerhin sind eure Eltern mitgekommen. Da es meine nicht für nötig gehalten haben mitzufahren, ist mir der offizielle Abend ganz recht.“

Carlo schaute seinen Freund an und da wusste ich, die beiden hatten eine sehr tiefe Freundschaft entwickelt, denn Carlo nahm ihn gleich in den Arm und sagte:

„Kann ich verstehen, aber wir sind doch alle bei dir und wir sind ein Team. Wir werden das gemeinsam machen. Außerdem mag dich meine Mutter sehr. Du bist dann bei uns aufgenommen.“

Das war unser Carlo. Immer gute Laune und eine Lösung parat. Wir mussten lachen und Chris sagte noch:

„Ok, packt eure Taschen aus und zieht euch um. Unser Taxi kommt in einer Viertelstunde. Ich möchte auf keinen Fall zu spät kommen.“

Dustin und ich gingen in unser Zimmer und er fragte mich:

„Hast du eine Ahnung, was das für ein Termin ist? Wie verhalten wir uns dort?“

„Was meinst du mit 'Wie verhalten wir uns dort'?“

„Naja, müssen wir uns wieder zurückhalten oder können wir als Paar auftreten?“

Das irritierte mich jetzt doch sehr. Für mich waren diese Fragen schon lange geklärt.

„Was soll diese Frage? Wir sind ein Paar und mittlerweile sollten es auch alle wissen. Gerry hat doch bislang auch kein Problem damit gehabt.“

Dustin fing an zu lächeln und gab mir einen Kuss.

„Danke, du hast ja recht. Ich vergesse manchmal, dass sogar Gerry Weber uns total unterstützt. Ich möchte halt keinen Stress haben und ihn vielleicht in Verlegenheit bringen. Ich habe ja keine Ahnung, was uns da erwartet.“

„Schon gut. Ich weiß es auch nicht, aber dass ich mich noch einmal verstellen muss, kommt für mich nicht infrage. Egal welche Sponsoren ich habe.“

Das musste ich Dustin noch vermitteln. Wir sind doch keine schlechteren Menschen, nur weil wir schwul sind. Ich hatte, dank Chris, begriffen, dass das ein Teil von mir ist. Meine Ängste waren längst nicht mehr so groß und ich begann zu leben. Chris hatte uns die Möglichkeit gegeben und die wollte ich nutzen. Dustin hatte oft noch Angst, die anderen könnten ihn deswegen ablehnen.

Langsam tauchten die anderen alle im Garten auf und wir waren natürlich die Letzten. Allerdings sah das schon ziemlich cool aus. Alle hatten den Teamanzug an und auch Chris war genauso angezogen wie wir. Jetzt sollte es also zu einem Termin mit Gerry Weber gehen. Chris hatte uns noch nicht gesagt, was genau uns erwarten würde und er machte auch keine Anstalten uns das zu verraten.

Es klingelte und das Taxi stand vor der Tür. Wir stiegen in den Van ein und Carlo und Tim begannen Chris mit Fragen zu löchern. Vergeblich. Chris gab keine weiteren Informationen und ich war schon etwas genervt von den weiteren Fragen von Tim und Carlo. Maxi brachte es wieder einmal auf den Punkt:

„Leute, es reicht langsam. Chris wird euch nicht mehr verraten. Gebt es auf. Wir werden es doch gleich sehen, wo wir hin sollen und was dort passiert. Jetzt lasst uns aber mal etwas in Ruhe. Ich bin müde vom Tag.“

Chris nickte ihm anerkennend zu und Dustin und ich waren ebenfalls dankbar für diese Ansage. Tim und Carlo waren natürlich immer noch sehr aufgedreht, aber sie hörten tatsächlich auf zu fragen.

Einige Minuten später hielt das Taxi vor einem riesigen, weißen Hotel. Sehr edel das Ganze. Wow, dachte ich so noch für mich, als uns der „Doorman“ schon die Tür vom Taxi öffnete. Dass war für mich etwas vollkommen Neues. So nobel war ich noch nicht unterwegs. Chris stieg vorne aus und gab dem Fahrer sein Geld und dann standen wir vor dem Hotel. Ein edles Portal mit einer richtigen Drehtür erwartete uns.

„Herzlich willkommen im Hotel Atlantic“, begrüßte uns der Doorman.

Ein fünf Sterne Hotel der obersten Kategorie. Gerry Weber machte erneut keine halben Sachen. Auch Chris schien beeindruckt zu sein, denn er versammelte uns, nachdem wir alle durch die Drehtür waren.

„Leute, jetzt hört einmal gut zu. Das hier ist eines der besten Hotels der Stadt. Ich möchte nicht, dass wir hier negativ auffallen. Sollten euch Prominente begegnen, es gibt keine Autogrammwünsche hier im Hotel. Und jetzt lasst uns weiter gehen.“

Chris ging vorweg und als wir alle in der Lobby standen, stockte mir der Atem. So edel hatte ich mir das nicht einmal vorstellen können. Wir sahen zwar nicht gerade schlecht aus, aber ich fühlte mich in unseren Teamanzügen etwas unwohl. Alle hatten hier dunkle Anzüge oder sehr edle Kleider an. Die Schritte sowohl der Gäste als auch des Servicepersonals wurden von dicken Teppichen geschluckt und Chris wurde bereits von einer freundlichen Dame angesprochen.

Ich konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde, aber die Dame führte uns sofort über einen breiten Gang in das große Restaurant. Auch hier war alles sehr edel und antik eingerichtet. Es gab sogar eine große Bar. Dort saßen einige Personen in edlen Klamotten und hatte ihre Getränke auf der Theke stehen. Wir wurden an einen großen Tisch geführt, an dem Gerry Weber mit seiner Frau bereits auf uns wartete. Als er uns bemerkt hatte, stand er sofort auf und kam Chris und uns entgegen. Thorsten saß schon am Tisch.

„Hallo, ihr Helden,“ begrüßte uns Gerry Weber, „habt ihr euch schon etwas erholt?“

Dabei begrüßte er jeden Einzelnen von uns per Handschlag. Ich hatte immer noch großen Respekt vor ihm und auch Dustin schien sich nicht ganz so wohl zu fühlen. Gerry half uns aber, indem er sehr locker blieb und Chris und uns aufforderte, sich an den Tisch zu setzen. Wir taten es ihm nach und wenige Augenblicke später waren wir schon wieder in einer lebhaften Diskussion über das Halbfinale.

Wir bemerkten gar nicht mehr, was um uns herum alles passierte. Erst, als wir die Speisekarten bekamen und ich die ersten Seiten umblätterte, wurde mir bewusst, wie nobel das hier war. Die Preise erschreckten mich nahezu. So etwas würde ich mir nie leisten können. Auch Tim und Carlo erging es nicht anders. Chris musste grinsen, denn er schien zu ahnen, was in unseren Köpfen vorging.

Mit einem Blick gab er Gerry Weber einen Hinweis, denn dieser forderte uns lachend auf:

„Leute, sucht euch bitte das aus, was ihr möchtet. Ihr habt euch das redlich verdient, auch einmal richtig verwöhnt zu werden. Lasst uns den Abend genießen. Wer weiß, was noch so passiert heute.“

Ich wunderte mich schon über die Art und Weise von Gerry Weber. In der Base hatten alle unheimlich Respekt vor ihm. Teilweise sogar etwas Angst. Ich hatte ihn aber immer sehr freundlich und offen uns gegenüber erlebt. Auch hier war er locker und entspannt. Dennoch hatte ich großen Respekt vor ihm und komischerweise schien er das zu bemerken, denn:

„Sag mal Chris, sind deine Jungs bei dir auch immer so schweigsam? Sie stehen im Finale der deutschen Juniorenmeisterschaft und hier ist eine Stimmung wie bei einer Beerdigung.“

Thorsten und Chris lachten, ich fühlte mich gerade sehr unwohl. Tim wurde sogar etwas rot vor Verlegenheit.

„Nein, bei mir würden sie wild durcheinander reden und mir den letzten Nerv rauben. Also ich bin sehr froh, dass sie vor dir noch Respekt haben.“

„Das stimmt doch gar nicht, wir reden nie durcheinander und….“

Tim war sofort darauf angesprungen und regte sich richtig auf. Aber als er bemerkte, dass jetzt alle, aber wirklich alle Leute im Raum auf ihn schauten, erschrak er und schwieg wieder. Chris begann zu grinsen und auch Thorsten musste sich sehr beherrschen.

Ein leises: „Du bist gemein, Chris“, folgte noch, aber dann hatte er es auch begriffen.

Wir bekamen unsere Vorspeise und da wurde uns erneut deutlich, wo wir uns befanden: Eine Hummercremesuppe. Das war absolut lecker. Dennoch konnte ich mich irgendwie nicht so schnell daran gewöhnen, in welcher Umgebung ich mich gerade befand, es war eben eine besondere Situation. Während des Essens herrschte Ruhe am Tisch.

Was mir auffiel war, dass Tim und Carlo ihre Handys noch gar nicht ausgepackt hatten. Sollten sie wirklich auf das Teil verzichten können?

Als der Nachtisch verarbeitet war, bestellte Gerry eine neue Runde Getränke und dann wurde es doch noch emotional für mich. Gerry erhob sein Glas und hielt eine kurze Ansprache:

„Ich möchte jetzt die Gelegenheit nutzen, dir lieber Chris, im Beisein deiner Jungs, einmal offiziell mein Kompliment auszusprechen. Was du hier in wenigen Wochen aufgebaut hast, hatten wir uns nicht vorstellen können. Dein Bruder hatte uns seine Idee vorgestellt und mich um Hilfe gebeten. Ich konnte es mir nicht vorstellen, dass es so schnell derartige Erfolge geben würde. Vor allem dein Engagement und deine Ideen haben dazu geführt, hier neue Wege zu gehen und mit dieser Mannschaft etwas Besonderes auf den Weg zu bringen. Und ihr seid ja erst am Beginn dieses Weges. Jetzt möchte ich aber nicht zu viel Druck aufbauen und freue mich einfach auf das morgige Finale. Danach werden wir dann weitersehen. Für meinen Teil möchte ich euch immer ein offenes Ohr zusagen, sollte es zu Problemen kommen oder meine Hilfe erwünscht sein. Auf diese Mannschaft und euren Erfolg. Prost.“

Das hat mich schon sehr berührt und endlich wurde einmal Chris hervorgehoben, denn ohne ihn wären wir hier niemals angekommen. Am liebsten hätte ich jetzt dazu etwas gesagt, aber Chris schien das schon unangenehm genug zu sein und deshalb beließen wir es bei einem kurzen Applaus.

Dieser Applaus wiederum führte dazu, dass einige Leute an der Bar auf uns aufmerksam wurden. Sie drehten sich zu uns um und ein Typ stach aus den Leuten hervor. Irgendwie konnte ich mir keinen Reim darauf machen, aber er sah schon ein wenig crazy aus. Er hatte hier drinnen einen Lederhut auf und trug eine dunkle Sonnenbrille. Dazu schon sehr coole Klamotten. Irgendwie passte das alles aber gar nicht zu dem Typen, denn der schien doch schon ein wenig älter zu sein. Er hatte eine fette Zigarre in der Hand. Er und seine Freunde um ihn herum schienen hier sehr gut bekannt zu sein. Denn an der Bar herrschte bereits reges Treiben.

Chris sollte noch etwas sagen. Gerry hatte ihn darum gebeten.

„Vielen Dank für die Blumen. Ich möchte dieses Kompliment aber an meine Jungs weitergeben. Sie machen es mir relativ einfach, mit ihnen zu arbeiten. Sie wollen etwas lernen und wollen besser werden. Da ist es nur die logische Konsequenz, dass sie Erfolg haben. Dass es so schnell gehen würde, hatte auch ich nicht erwartet. Umso erfreulicher…..“

In diesem Moment kam dieser Typ von der Bar zu uns an den Tisch und irgendetwas änderte sich an der Stimmung im Raum. Es wurde verdächtig still und alle Augen waren auf uns gerichtet. So dachte ich. Das war allerdings eine Fehlwahrnehmung, denn die Aufmerksamkeit galt dem Typen mit dem Hut und der Brille. Chris schien ihn zu kennen, denn er unterbrach seine Ansprache, als der Typ zu uns an den Tisch trat.

Selbst Gerry Weber schien erstaunt, denn auch er schien den Typen zu kennen. Dustin und ich hatten keine Ahnung, wer das ist und auch Tim und Carlo schienen überhaupt keinen Plan zu haben. Maxi allerdings schien ihn erkannt zu haben. Er wurde richtig unruhig und schaute nervös zu Chris, der wiederum den Typen fragend ansah. Dann ließ sich der Typ mit einer unglaublichen Stimme vernehmen:

„Hey Jungs, ihr habt alle die gleichen Sachen an, was treibt euch in das Atlantic?“

Chris blieb erstaunlich cool, mir war das ganze total unangenehm.

„Hi, ja, das ist unsere Tennismannschaft und wir feiern gerade den Einzug in das Finale um die deutsche Meisterschaft.“

„Das ist ja cool und hört sich interessant an. Erzählt doch mal etwas von eurem Erfolg.“

Der Typ holte sich einen Stuhl und setzte sich ohne zu fragen einfach zu uns an den Tisch. Selbst Gerry Weber schien ein wenig beeindruckt zu sein. Ich hatte immer noch keinen Plan, wer das war.

Wobei, an der Reaktion von Maxi musste das eine bekannte oder sogar berühmte Persönlichkeit sein. Auch Chris hatte für einen Augenblick so etwas wie Verwunderung gezeigt, allerdings war er jetzt wieder genauso locker wie immer. Er begann, dem unbekannten Gast ein wenig zu erklären, wo wir herkamen und dann klärte sich das Ganze auf. Der mir noch unbekannte Mann erklärte nämlich:

„Ja, Halle kenne ich bereits ganz gut. Ich habe dort schon dreimal ein Konzert gegeben. In Ihrem Stadion.“

Dabei schaute er Gerry Weber an und dieser musste lächeln. Chris schien unsere Ratlosigkeit zu spüren.

„Das freut mich natürlich, dass du Halle bereits mit deinem Panikorchester besucht hast. Umso erstaunlicher, dass du dich für unsere Truppe interessierst. Ich meine, du bist eine lebende Legende und ich glaube sagen zu können, meine Jungs scheinen dich noch gar nicht erkannt zu haben. Leute, darf ich euch vorstellen, eine deutsche Rocklegende leibhaftig, Udo Lindenberg.“

Da machte es auch bei mir „Klick“. Natürlich war mir das ein Begriff. Allerdings hatte ich da komplett andere Vorstellungen von dieser Person. Hier machte er einen äußerst intelligenten und freundlichen Eindruck. Sehr interessiert an anderen Menschen und überhaupt nicht mit einem Superstarverhalten.

Entsprechend locker wurde nun unsere Runde. Wir hatten noch sehr interessante Gespräche mit ihm und er hatte sich wirklich Zeit genommen, fragte uns viele Dinge und Chris führte sogar an, dass Dustin und ich ein Paar seien. Da wurde Udo richtig hellhörig und ließ sich von uns unsere Erfahrungen berichten. Einerseits war mir das zwar etwas unangenehm, aber Udo gab uns sofort ein Gefühl von Unterstützung und Verständnis.

Zwei Stunden später verabschiedete er sich wieder von uns. Er musste am nächsten Tag ein Konzert geben und schon sehr früh aufbrechen. Dieser Abend war jedenfalls für mich ein besonderes Erlebnis mit diesem unerwarteten Höhepunkt. Maxi, Tim und Carlo hatten viele Bilder gemacht und es war zu erwarten, dass das zu Hause nicht unbemerkt bleiben würde.

Leider war es mittlerweile auch für uns schon sehr spät geworden. Tim und Carlo hätten längst im Bett liegen sollen. Chris blieb heute sehr entspannt und ließ den Abend in Ruhe ausklingen. Er hatte nicht einmal das Spiel am nächsten Tag erwähnt. So kamen wir erst gegen ein Uhr morgens wieder in unserer Wohnung an. Dustin und ich waren zu müde, um noch lange über das gerade erlebte zu sprechen. Deshalb legten wir uns direkt ins Bett und ich war innerhalb weniger Minuten eingeschlafen.

Chris: Finale

Der Ausflug in das Hotel Atlantic hatte doch seine Spuren hinterlassen. Zum einen hatte jeder der Jungs noch eine aktuelle CD von Udo Lindenberg mit einer Widmung bekommen und zum anderen war ich um neun Uhr immer noch der einzige, der wach und munter war. Ich hatte bereits mit Thorsten telefoniert und einen Trainingsplatz für halb elf reservieren lassen.

Also hieß das jetzt, die Mannschaft wecken und in Form bringen. Ich ging zuerst bei Dustin und Fynn ins Zimmer und weckte die beiden. Sie sollten dann den Rest der Truppe wach machen.

Während die beiden im Bad verschwanden, hatte ich bereits das Frühstück vorbereitet. Unsere Hauswirtin hatte mir alles wunderbar bereitgestellt und ich musste es nur noch aufbereiten und frischen Kakao und Tee kochen.

Das Wetter war traumhaft und eines Finales würdig. Also hatte ich alle Sachen nach draußen auf die Terrasse transportiert und dort unser Frühstück aufgebaut.

Bis meine Jungs soweit waren, hatte ich noch einmal die Gelegenheit genutzt, mir die neuesten Daten unserer Gegner anzusehen. Es ging im Finale gegen einen Überraschungsgegner. Die Mannschaft aus Bremen und Bremerhaven hatte sich durchgesetzt. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Um kurz vor halb zehn klingelte mein Handy. Ich schaute auf das Display und staunte.

„Hi Jan, wie geht es euch in Paris?“

„Hi Chris, danke der Nachfrage, aber alles bestens. Gilles spielt heute gegen Pella. Das wird bestimmt nicht so einfach. Petko spielt gegen Putintseva, da muss auch was gehen. Wie ist die Stimmung bei euch? Hast du die Jungs gut im Griff oder sind sie sehr nervös?“

„Ach, ich denke beides. Wir waren ja gestern auf Einladung von Gerry im Atlantic zum Essen und da wurde es doch etwas später, aber ich wollte den Jungs die Ruhe geben. Sie sollten komplett abschalten, damit sie mit frischer Energie auf den Platz gehen.“

„Guter Plan. Ich sehe schon, du hast alles im Griff. Jedenfalls für heute viel Erfolg und halte mich bitte auf dem Laufenden. Gegen wen spielt ihr denn heute eigentlich?“

„Gegen Bremen/Bremerhaven. Die haben doch noch im letzten Doppel gewonnen. Also etwas überraschend, aber deine Datenbank ist sehr umfangreich. Da habe ich mir gerade die wichtigen Dinge angesehen.“

„Alles klar, dann mach die Jungs mal fit und euch viel Spaß im Finale. Bis später.“

Wow, Jan rief sogar aus Paris an, um sich zu erkundigen. Das zeigte mir, wie wichtig dieses Turnier wohl doch war. Egal, meine Jungs sollten befreit spielen und ohne großen Druck von mir. Den Druck hatten sie eh schon von selbst.

Beim Frühstück spürte ich sofort, wie angespannt meine Truppe bereits war. Insbesondere Tim schien sehr unruhig und nervös zu sein. Ich hatte mich entschieden, ihn wieder einzusetzen, nachdem er sich gut erholt hatte. Carlo war wie immer der Clown und ich ließ ihn gewähren. Den anderen tat es gut, denn sie konnten so ein wenig Druck abbauen.

Als wir mit dem Essen soweit durch waren, machte ich eine kurze Gegneranalyse. Die Strategie war relativ schnell klar und somit hieß es dann aufbrechen zur Anlage.

Während des Einschlagens auf dem Platz kam Maxi zu mir und fragte:

„Was denkst du? Soll ich wirklich defensiv spielen? Das mag ich eigentlich gar nicht so.“

Diese Frage kam für mich zu einem völlig falschen Zeitpunkt, denn das hätten wir eben bei der Strategie klären müssen. Da sagte er nichts Gegenteiliges.

„Maxi, was soll diese Frage jetzt? Wir haben uns eben zusammen auf die Strategie geeinigt. Jetzt willst du das wieder über den Haufen werfen? Nein, ich bin mir absolut sicher, dass das der richtige Weg zu einem Sieg ist.“

Maxi nickte zwar, aber seine Unsicherheit war deutlich. Er spielte nicht gern defensiv, aber heute musste er das einfach mal durchhalten.

Die anderen schlugen sich gut ein und waren hellwach. Sogar Tim fokussierte sich immer mehr nur auf den Ball und das kommende Match. Beginnen würden Fynn und Tim. Deshalb holte ich mir die beiden zuerst an die Seite.

„So, ihr beiden. Gleich geht es los und ich möchte nur ganz kurz noch sagen, spielt es einfach so wie besprochen. Macht euch nicht zu verrückt und genießt es einfach. Es soll Spaß machen. Dann schauen wir mal, was herauskommt. Keiner erwartet von uns einen Sieg. Habt Spaß und haut sie weg.“

Tim grinste und auch Fynn musste lachen. Er setzte noch einen drauf und antwortete:

„Geht klar, Chef. Wir hauen sie weg. Guter Plan.“

Dann entließ ich die beiden vom Platz. Sie sollten sich in Ruhe vorbereiten. Dustin bat mich, Fynn begleiten zu dürfen und Carlo wollte Tim begleiten. Also blieb Maxi allein über. Da blieb mir nichts anderes übrig, als selbst einmal den Schläger in die Hand zu nehmen.

Das wiederum führte dazu, dass Tim und Carlo doch wieder recht schnell zurück an unserem Platz standen, anstatt sich vorzubereiten.

„Hey, hier gibt es nichts zu sehen. Carlo soll Tim bei den Vorbereitungen helfen und ihr sollt euch nicht auf meine Kosten amüsieren.“

Maxi bekam einen Lachanfall und Tim und Carlo grinsten sich eins. So hatten wir aber nicht gewettet. Carlo hatte natürlich, wie immer einen Spruch dazu auf Lager.

„Ach man, sei doch nicht so gemein. Das sieht doch für einen alten Mann wie dich noch gut aus.“

Ich hatte gerade einen Ball in der Hand und schoss den sofort in seine Richtung. Natürlich aber in den Zaun. Es konnte nichts passieren. Carlo zuckte dennoch und ich hatte das, was ich wollte. Sie verschwanden wieder in Richtung des Platzes, wo Tim gleich spielen würde. Tim begann, sich mit Seilspringen warm zu halten und das gefiel mir gut. Nach weiteren Minuten brach ich das Einschlagen mit Maxi ab und wir zogen den Platz ab.

Das Finale begann jetzt richtig mit den beiden ersten Einzeln. Ich setzte mich bei Tim auf die Bank, während Dustin bei seinem Freund Platz nahm. Maxi war diesmal der Botengänger, der mich mit den Informationen versorgen sollte. Carlo sollte sich frei bewegen können, damit er Tim nicht zu sehr beeinflusste. Tim war mittlerweile sehr auf Carlo fixiert. Einerseits fand ich das gut, weil Carlo eben sehr locker und natürlich war, aber andererseits bestand immer die Gefahr, dass Tim dadurch den Fokus auf den Gegner verlor.

Diese ganzen Gedanken ließen mich gar nicht bemerken, dass meine Anspannung schon wieder sehr hoch war. Selbst beim Einschlagen war ich schon im Tunnel und nur noch auf das Match von Tim konzentriert. Mein Puls stieg und jetzt war es wieder da, das Gefühl im Match zu sein. Das Finale begann und ich war auch bereit.

Dieses Match von Tim würde erneut ein Schlüsselspiel werden, denn Maxi an Position eins war eigentlich chancenlos. Fynn und Dustin hatten eine realistische Chance und wenn Tim seine Möglichkeiten nutzen würde, sollte das ein Punkt für uns werden.

Tim war sehr angespannt, aber auch hoch konzentriert. Er begann sehr vorsichtig und spielte gut mit. Unsere Strategie war, erst einmal ins Spiel zu finden und langsam den Druck zu erhöhen. Dieser Strategie folgte er sehr diszipliniert. Es stand 4:4 im ersten Satz und sein Gegner hatte Aufschlag. Es folgte ein sehr langer und umkämpfter Ballwechsel, den Tim leider verlor.

Allerdings ging ein Ruck durch ihn. Ich konnte sofort spüren, dass er jetzt genug von dieser Abwartehaltung hatte. Gleich beim nächsten Punkt ging er direkt auf den Aufschlag des Gegners drauf und schlug einen deutlich aggressiveren Return. Er rückte sofort ans Netz nach und machte den Punkt.

Jetzt kam noch ein deutlicher Vorteil für uns ins Spiel. Unsere Fans. Es kam Leben in die Zuschauer. Bei jeder Aktion unserer Spieler waren sie da und feuerten unsere Jungs an. Unglaublich, dass nur 50 Leute so viel Lärm machen konnten. Aber unsere Fans waren sehr sachkundig und fair. Es wurde die Leistung des Gegners auch anerkannt und nicht unfair gejubelt.

Für Tim bedeutete das einen enormen Rückhalt. Er wurde immer mutiger und spielte sich in einen Rausch. Manchmal machte ich mir schon Sorgen, er könnte irgendwann einbrechen. Das trat jedoch nicht ein und Tim demontierte seinen Gegner im zweiten Satz mit 6:1. Damit war der erste Punkt für uns im Sack.

Endlich ließ Tim seine aufgestauten Gefühle raus und jubelte ausgelassen mit unseren Fans. Ich konnte durchatmen und begann den Platz abzuziehen. Hätte ich nicht tun müssen, aber so konnte ich mich wieder etwas entspannen. Tim erwartete mich an der Bank.

„Danke für deine Hilfe. Deine Strategie war wieder grandios. Genau richtig und du glaubst es nicht, ich habe sie konsequent eingehalten.“

Dabei lachte er befreit auf. Was für ein Strahlen in seinem Gesicht. So erleichtert und euphorisch hatte ich Tim noch nicht oft erlebt. Carlo tauchte jetzt auch wieder bei uns auf und berichtete, dass Fynn sehr zu kämpfen hatte. Carlo meinte noch:

„Es wäre jetzt gut, wenn du mal zu Dustin gehst. Ich glaube, er braucht dich auf der Bank.“

Warum sagt er denn nicht Bescheid, wenn er Probleme hat? Dachte ich für mich.

„Ok, Tim geht duschen und sich umziehen und ich gehe mal zu Fynn rüber. Wir sehen uns gleich am Platz bei Fynn.“

Auf dem Weg dorthin wurde ich von vielen Fans beglückwünscht und mir auf die Schultern geklopft. Das war schon fast unangenehm, denn die Leistung hatten ja die Jungs gebracht, nicht ich.

Bei Fynn sah es ganz eng aus. Die Ballwechsel waren elendig lang und umkämpft. Ich stand etwas oberhalb des Platzes und konnte das Geschehen gut überblicken. Allerdings musste ich auch erkennen, dass Fynn sich zwar an meine Vorgaben hielt, diese Strategie aber nicht richtig war. Sein Gegner hatte sich bestens darauf eingestellt und spielte genau das, was ich für Fynn vorgesehen hatte. So war es sehr schwer das Zepter in die Hand zu bekommen.

Fynn schien sich nicht zu trauen die Strategie zu ändern. Auch war Dustin auf der Bank damit klar überfordert. Ich musste erkennen, dass ich hier falsch gelegen hatte mit meiner Matchplanung. Dass meine Jungs noch nicht eigenständig die Strategie ändern wollten, sprach einerseits für ihr Vertrauen in mich, aber andererseits auch für das fehlende Selbstbewusstsein, eine eigenmächtige Entscheidung zu treffen. Da gab es noch Bedarf an Verbesserungen.

Jedenfalls ging ich beim Spielstand von 4:6 und 2:2 hinunter zur Bank.

„Endlich kommst du. Fynn schafft es nicht, das Spiel des Gegners zu knacken. Ich weiß nicht mehr, was ich noch machen soll.“

Dustin war sehr aufgewühlt und unruhig. Natürlich war das sehr schlecht, um dem Spieler Ruhe zu vermitteln. Allerdings konnte ich das auch nicht erwarten, wenn sein Freund gerade Probleme hatte.

„Ruhig Dustin, ich habe es bereits gesehen. Ihr macht nichts falsch. Es ist meine Verantwortung und ich habe einen Strategiefehler gemacht. Ich habe nicht erwartet, dass der Gegner so spielen kann. Wir werden unseren Plan ändern und dann sehen wir weiter.“

Dustin schaute mich mit großen Augen an. Er wollte schon von der Bank aufstehen, aber genau das wollte ich nicht. Dustin sollte mitbekommen, wie ich jetzt mit Fynn arbeiten würde. Sie sollten ja auch etwas lernen.

Beim Stand von 3:2 für Fynn wurden die Seiten gewechselt und Fynn kam zur Bank. Ich klatschte ihn ab und stellte mich vor ihn.

„Hey, alles gut. Du kämpfst großartig. Allerdings ist meine Planung nicht aufgegangen. Du musst dein Spiel ändern und offensiver werden. Ja, ich weiß, das ist total gegen unsere Absprache. Dennoch musst du das machen. Er schlägt dich mit deinen eigenen Waffen, das habe ich so nicht erwartet. Es ist meine Verantwortung. Also mach dich nicht verrückt, sondern geh einfach eher auf den Ball drauf und mach etwas mehr Druck. Gerade beim Return. Sein Aufschlag ist nicht der schnellste und du kannst gut beschleunigen. Also zeig ihm, dass du jetzt anders agieren wirst. Los, auf geht es. Du kannst das.“

Fynn hörte aufmerksam zu. Das war eine ganz große Stärke von ihm, in dieser stressigen Phase auf mich hören zu können und komplett die Strategie zu ändern. Wenn er das noch eigenständig tun würde, hätten seine Gegner noch weniger zu lachen. Dann würde er auf einmal einen großen Sprung nach vorn machen.

Fynn stand von der Bank auf und das Spiel ging weiter. Jetzt würde ich sehen können, ob es ihm gelingen würde, von jetzt auf gleich die Taktik zu ändern. Da trennte sich die Spreu vom Weizen. Und wie sie sich trennte. Er ging direkt in den Angriffsmodus und attackierte gleich den Aufschlag seines Gegners. Fynn erhöhte sofort den Druck und damit hatte sein Gegner überhaupt nicht gerechnet. Fynn spielte es genial und hatte schnell eine 5:2 Führung im zweiten Satz herausgespielt.

Bevor sein Gegner sich umstellen konnte, war der zweite Satz unser. Dustin saß die ganze Zeit neben mir auf der Bank und traute sich nicht mehr, seinem Freund etwas zu sagen. Ich hatte natürlich jetzt das Zepter in die Hand genommen, aber nicht weil Dustin schlecht gecoacht hatte, sondern weil ich meine Fehleinschätzung korrigieren musste.

In der Satzpause saßen die beiden nebeneinander auf der Bank und ich stand vor ihnen. Dustin wickelte seinem Freund ein neues Griffband auf den Schläger und sie redeten miteinander. Ich hielt mich heraus, denn Dustin sprach mit Fynn über das Befinden. Ich wollte zeigen, dass ich ihnen vertraute. Plötzlich fragte mich Dustin:

„Fynn sagt, er hat manchmal Schmerzen in der Schulter. Was kann man da machen? Das wäre jetzt echt scheisse, eine Verletzung zu bekommen.“

„Wo genau und bei welchen Bewegungen hast du Probleme?“

Fynn stand von der Bank auf und machte einige Bewegungen und plötzlich zuckte er zusammen.

„Au, jetzt hat es echt böse wehgetan.“

Ich machte mit ihm ein paar Übungen und schnell wurde klar, das Problem lag gar nicht in der Schulter sondern im Rücken. Eine Wirbelblockade bahnte sich an.

„Komm mit. Leg dich auf den Rasen, ich helfe dir.“

„Auf den Bauch oder den Rücken?“

„Auf den Bauch und entspann dich. Das bekommen wir schnell in den Griff.“

Ich tastete den Rücken ab und fand sehr schnell die betroffene Stelle. Ich lockerte kurz die Muskulatur und dann griff ich beherzt zu und es knackte deutlich hörbar.

Fynn zuckte kurz und atmete tief durch, dann ließ ich ihn aufstehen und sein Lächeln im Gesicht sprach für sich.

Das Resultat zeigte sich auf dem Platz. Er bewegte sich gleich befreiter und spielte seinen Gegner förmlich an die Wand. Der dritte Satz ging glatt an Fynn. Damit hatten wir eine 2:0 Führung herausgespielt.

Dustin war sehr erleichtert als der Matchball verwandelt wurde. Es hielt ihn nicht mehr auf der Bank und er lief seinem Freund in die Arme. Sie umarmten sich innig und der obligatorische Kuss folgte natürlich. Das wiederum führte zu spontanem Ansteigen des Lärmpegels der Zuschauer, die laut johlten und pfiffen. Das war schon fast eine Atmosphäre wie in einem Fußballstadion.

Für mich war ein wenig Entspannung möglich. Die beiden letzten Einzel waren noch nicht begonnen, bzw. Maxi war gerade auf den Platz gegangen.

Thorsten stand etwas abseits und winkte mir zu. Ich ging zu ihm und freute mich auf ein gutes Gespräch.

„So, die ersten wichtigen Punkte sind im Sack.“, sagte ein sichtlich erleichterter Thorsten zu mir.

„Ja, aber es sind noch vier Punkte zu vergeben. Ich bin jetzt schon völlig fertig. Dieser Stress ist auf Dauer nicht gesund.“

Thorsten musste lachen.

„Du bist doch vermutlich der coolste von allen. Äußerlich ist keiner so ruhig wie du. Gut, ich weiß auch, dass es in dir anders aussieht. Komm, ich lade dich auf ein Eis ein. Das ist eine gute Nervennahrung.“

Im Clubhaus begegnete mir Patrick mit seinen Eltern. Patrick war natürlich noch aufgeregter als Fynn und Dustin zusammen. Entsprechend überdreht kam er auf mich zu.

„Chris, wie geil. Du hast es geschafft, dass Fynn noch gewonnen hat. Voll cool.“

„Nein, Patrick. Das hat Fynn schon selbst gemacht. Ich habe nur Hinweise gegeben. Du musst deinem Bruder zu dieser Leistung gratulieren, nicht mir.“

Herr Grehl stand hinter ihm und lächelte. Er kam jetzt zu mir und Thorsten an die Theke.

„Chris, ich glaube Sie haben eine tolle Art ihre Fähigkeiten in den Hintergrund zu stellen. Ich konnte es genau sehen, Sie haben Fynn die entscheidenden Tipps gegeben und er hat dann sein Spiel umgestellt, aber warum merkt er es nicht selbst, dass er etwas ändern musste?“

„Weil er sich genau an die Absprachen gehalten hat. Er hat sich noch nicht getraut, eigenmächtig die Strategie zu ändern. Bisher habe ich immer richtig gelegen. Heute war es anders. Es war nicht seine Verantwortung sondern meine. Ich musste ihm nur sagen, dass ich mich geirrt hatte. Danach lief es wie von allein.“

„Das glaubst du doch selbst nicht“, warf Thorsten ein.

„Warum nicht?“

„Ohne deine immer wiederkehrenden Versuche Fynn zu beruhigen, wäre es nicht gelungen. Also mach dich nicht so unwichtig. Du hast Fynn zum Sieg gecoacht.“

„Ok, na gut. Bevor ich mich von euch schlagen lasse, werde ich mich nicht weiter wehren. Thorsten, ich möchte ein weißes Magnum bitte. Ich muss doch wieder an den Platz.“

Ich wurde erneut unruhig. Dustin und Maxi würden jetzt bereits beim Einschlagen sein und ich hatte das Gefühl, es war meine Aufgabe, von Beginn an auf dem Platz zu sein.

„Hey, du hast Pause. Die Jungs können auch fünf Minuten ohne dich spielen. Du musst dich auch mal erholen. Wir setzen uns dort vorne hin. Von da können wir das Geschehen überblicken und du kannst eingreifen, falls nötig.“

Thorsten hatte einen Tisch auf der Terrasse ausfindig gemacht und dorthin führte er mich sehr zielstrebig. Unsere Fans waren ebenfalls zu hören und es herrschte eine außergewöhnliche Stimmung für ein Tennismatch.

Leider konnte ich meine innere Unruhe nur schwer unter Kontrolle bringen. Ich war zu sehr bei meinen Jungs. Thorsten bemerkte dies natürlich und machte mir sehr deutlich klar:

„Jetzt lass deine Jungs doch mal allein. Chris, wenn du nicht lernst, auch mal komplett abzuschalten, wirst du sehr schnell ausgebrannt sein. Das hält kein Mensch auf Dauer durch. Du hast jetzt Pause, Punkt.“

Ich schloss für einen Augenblick meine Augen. Thorsten hatte recht und ich wusste das auch, aber es fiel mir sehr schwer abzuschalten.

„Wie ist eigentlich die Stimmung bei den Fans? Irgendwie bekomme ich nur mit, dass sie uns frenetisch anfeuern.“

Thorsten grinste und gab eine süffisante Antwort.

„Wenn du nicht ständig mit deinen Jungs beschäftigt wärst, könntest du ja einen Besuch bei den Fans machen und dir selbst einen Eindruck verschaffen.“

„Ja, ja. Mach dich nur lustig über mich.“

„Nein, im Ernst. Du kannst dich doch einfach mal zu ihnen stellen und mit ihnen ein paar Worte wechseln. Sie würden bestimmt besser verstehen, wie sich unsere Jungs fühlen und was für einen hohen Druck sie auf dem Platz haben. Viele der Fans sind nur Hobbyspieler und können sehr schwer nachvollziehen wie hoch der mentale Druck auf die Jungs ist.“

Darüber sollte ich wirklich nachdenken. Immerhin sind sie auf eigene Kosten nach Hamburg gefahren, um uns zu unterstützen. Thorsten wechselte das Thema und lenkte mich komplett von dem laufenden Spiel ab.

„In zwei Wochen beginnt die Bundesliga, wir haben für das kommende Wochenende ein erstes Training angesetzt. Da sollen deine Jungs gleich mit dabei sein, damit sie den Kader schon einmal kennenlernen. Das gilt für dich auch. Und bevor ich das vergesse, in der kommenden Woche, am Mittwoch, haben wir ein Meeting angesetzt. Jan kommt auch und es geht um die Planung für dich. Jan hat dir ja einen Vorschlag gemacht, wie er sich das vorstellt. Das soll dort besprochen werden.“

„Er hat mir einen Vorschlag gemacht? Davon weiß ich nichts. Ehrlich jetzt.“

Thorsten bekam eine leichte Blässe ins Gesicht.

„Jetzt ernsthaft nicht? Du weißt noch nichts von deinem Bundesliga Engagement?“

„Ach das meinst du, ja doch. Gerry hat mir das auch schon gesagt, dass ich Thomas unterstützen soll.“

„Nein, nicht unterstützen. Du sollst gleichberechtigt arbeiten. Außerdem werden wir ein wenig nach vorn schauen. Maxi, Dustin und Fynn haben sich viel schneller entwickelt als wir das gedacht haben. Da müssen wir drauf reagieren.“

„Können wir das nicht nach dem Finale besprechen. Ich muss mich jetzt auf die nächsten Spiele konzentrieren. Maxi wird es vermutlich wieder sehr schwer haben und bei Dustin weiß ich immer nicht so wirklich, ob er von Beginn an voll konzentriert ist.“

„Komm, geh schon. Du bist doch eh schon im Match. Wir reden am Mittwoch drüber.“

„Also habt ihr euch schon etwas überlegt? Ich soll vermutlich dann eine andere Aufgabe bekommen in der Base.“

Jetzt wurde Thorsten sehr ernst.

„Unsinn, wie kommst du denn darauf?“

„Naja, mir ist schon klar, wenn die drei mehr gefördert und auch mehr gefordert werden sollen, dann müssen sie auf die ITF –Tour gehen und mehr Future und Challenger spielen. Das wird eine Aufgabe für einen A-Trainer sein.“

„Jetzt mach einen Punkt. Du spinnst doch wohl. Wenn es überhaupt jemanden gibt, der das kann, dann du. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir so blöd sind, dich jetzt aus der Sache herauszunehmen. Entweder ihr macht das gemeinsam oder wir verschieben das, bis du das machen kannst.“

Damit beendete er diese Diskussion und ich hatte den Eindruck, er wollte eigentlich noch gar nicht so viel darüber erzählen.

„Ok, dann lass uns darüber am Mittwoch sprechen. Hast du eine Zeit?“

„Ja, klar. Um 14 Uhr, vor dem Training treffen wir uns im Sportparkhotel.“

„Alles klar, hab ich notiert.“

„Bitte sag den Jungs noch nichts darüber. Das ist noch überhaupt nicht spruchreif.“

Ich nickte Thorsten zu und dann machte ich mich auf den Weg zum Platz. Dustin hatte bereits zwei Spiele gemacht und auch Maxi hatte schon begonnen.

Tim und Carlo liefen schon sehr unruhig zwischen den Plätzen hin und her, als sie mich sahen.

„Wo warst du denn? Wir haben dich schon überall gesucht. Die Spiele haben bereits begonnen.“

Die Zuschauer waren auch schon in Position gegangen und hatten sich um die beiden Plätze verteilt.

„Leute, ihr seid doch keine kleinen Kinder mehr. Ich muss doch nicht ständig bei euch sein. Also, wo ist das Problem?“

„Maxi liegt schon 0:2 zurück und Dustin hat auch schon nach dir gefragt“, berichtete Tim.

Carlos Mutter kam hinzu und nahm die beiden von hinten in den Arm.

„Ihr beiden kommt mit mir mit. Lasst den Chris doch einfach mal machen. Er wird schon wissen was er tut.“

Sie nahm die beiden mit sich und ich ging zuerst bei Fynn auf der Bank von Dustin vorbei.

„Ah, da bist du ja. Dustin hat nach dir gefragt. Er hat schon eine Saite zerlegt und fragt, ob du den schnell neu besaiten lassen kannst. Er hat nur noch zwei Schläger.“

„Klar, gib her. Ich bringe den gerade zum Service. Genauso wie immer besaiten? Oder hat er was gesagt?“

„Wie immer, meinte er nur.“

Ich nahm den Schläger und brachte ihn zum Saitenservice. Bei dieser großen Veranstaltung hatte der ausrichtende Verein für einen Saitenservice gesorgt. Das lohnte sich auch finanziell für die Service Leute.

Auf dem Rückweg schaute ich bei Maxi vorbei. Maxi lag wie erwartet deutlich zurück. Er spielte gegen die Nummer 20 in Deutschland. Bei den Herren wohlgemerkt. Das war mehr als nur eine große Herausforderung. Maxi spielte gut, aber er haderte zu oft mit sich selbst. Ich beschloss, mich bei ihm auf die Bank zu setzen. Fynn würde mir schon Bescheid sagen, sollten sie mich dort brauchen.

Beim Stand von 1:4 kam Maxi ziemlich enttäuscht zur Bank.

„Hey, du spielst wirklich gut. Du brauchst gar nicht so niedergeschlagen zu sein.“

„Aber ich nutze meine Chancen nicht und es könnte auch 2:3 stehen. Das nervt mich.“

Ich legte einen Arm um Maxi. Ich wusste ja, dass er immer unter besonderem Druck stand, wenn sein Vater am Platz war.

„Pass mal auf, großer Krieger. Dein Gegner ist kein Warmduscher, der kann Tennis spielen. Also mach dir nicht so einen Stress. Genieße die Atmosphäre und habe Spaß. Zeig mir, dass du Spaß am Spiel hast.“

Dabei musste er lachen und dieses Lachen sah ich viel zu selten auf dem Platz. Maxi nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf.

„Du bist echt cool, Chris. Du weißt ganz genau, was los ist und bringst mich sofort zum Lachen. Wenn du meinen Vater noch ablenken kannst, wäre es perfekt. Er denkt doch gleich, ich würde das hier nicht ernst nehmen.“

„Was dein Vater denkt, ist mir ziemlich egal. Wir beide wissen, dass es nicht so ist und das zählt. Ich verstehe schon, wie du das meinst. Ich habe allerdings kein Problem, deinem Vater sehr deutlich klar zu machen, dass er da keine Ahnung hat.“

Ich verzog keine Miene und Maxi schaute mich entgeistert an. Erst nach einer Gedenksekunde, fing er an zu lachen und zeigte mir den Daumen hoch.

Mein Gefühl sagte mir, wir würden gleich einen anderen Maxi auf dem Platz sehen. Einen Spieler, der seinen Spaß an diesem Spiel auch zeigen konnte und dann auch noch gefährlicher sein würde. Allerdings wusste ich auch, dass das nach hinten losgehen könnte. Wenn sein Spieltrieb zu sehr durchbrach und dabei das Ziel aus den Augen verloren wurde.

Egal, bei diesem Gegner war das nicht so wichtig.

Beim nächsten Seitenwechsel tobten die Zuschauer, ich saß kopfschüttelnd auf der Bank und es stand 3:4 und Maxi fing das Zaubern an. Er spielte Stops aus den unmöglichsten Situationen, kam ans Netz wo kein normaler Spieler das machen würde und er verwirrte seinen Gegner komplett.

Mir gefiel das sehr gut, auch wenn ich wusste, dass das schnell wieder vorbei sein konnte, feuerte ich Maxi an.

„Wie geil ist das denn? Ich wusste gar nicht, dass du so ein gutes Showtalent bist.“

Maxi strahlte mich an und schlug meine Hand ab.

„Das macht einfach viel mehr Spaß. Aber ich weiß nicht, ob mein Vater das gut findet. Am liebsten würde ich noch mehr mit den Zuschauern sprechen. Das ist so cool hier.“

„Mach doch einfach. Dein Vater muss dir hier und jetzt einfach egal sein. Du stehst auf dem Platz und du trägst hier die Verantwortung. Was danach passiert, da werde ich auch noch ein Wörtchen mitreden. Also, sollte er dich dafür anmachen, schick ihn zu mir und sag ihm, es war meine Idee und ich bin der Coach.“

Dabei zwinkerte ich ihm zu und wir lachten auf der Bank. Es ging um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft und wir saßen scherzend auf der Bank. Wie verrückt ist das denn wohl? Aber mir gefiel das sehr gut. Vom Nebenplatz erreichte mich die Nachricht, dass Dustin sein Spiel erstaunlich gut im Griff hatte. Er führte im ersten Satz bereits mit 5:2. Die Lautstärke unserer Fans ließ mich beruhigt weiter bei Maxi bleiben.

Also die Show, die unsere Fans hier ablieferten, war fernsehreif. Das hatte ich so nur bei der Bundesliga in Halle erlebt. Bei einem Juniorenevent jedoch noch nie. Selbst Thorsten ging voll mit. Ich konnte ihn genau gegenüber von uns sehen. Sonst die Ruhe selbst, tobte er bei jedem Punkt von Maxi mit. Unfassbar!

Maxi wirbelte auf dem Platz und hatte immer noch Erfolg damit. Sein Gegner verlor völlig den Faden und unsere Zuschauer wurden immer euphorischer. Durch Zufall sah ich Maxis Eltern auf dem Rasen stehen. Sein Vater schüttelte immer wieder ungläubig seinen Kopf, während seine Mutter jeden Punkt beklatschte.

Maxi baute sich immer mehr auf dem Platz auf und zeigte die Faust. Sein Gegner wurde immer unsicherer und die Fehlerquote stieg von Spiel zu Spiel. Als es 5:4 für Maxi stand und die Seiten gewechselt wurden, wurde der Kapitän der Gegner unruhig. Er fragte beim Oberschiedsrichter nach, ob die Fans nicht etwas mehr Ruhe halten könnten. Das war durchaus berechtigt, denn unsere Leute wurden auch während der Ballwechsel manchmal lauter. Das sollte nicht sein, ließ sich aber auch nicht immer gänzlich vermeiden. Der Oberschiedsrichter kam zu mir und bat mich darum, unseren Leuten zu erklären, dass sie bitte während der Ballwechsel ruhig sein müssen. Ich sicherte ihm zu, dass ich mich darum bemühen würde und verließ die Bank, um mich mit Thorsten abzustimmen.

„Geh du wieder auf die Bank und kümmer dich um Maxi. Um alles andere werde ich mich kümmern.“

„Danke, ich möchte kein Stress auf dem Platz haben.“

Maxi schaute mich fragend an und ich gab ihm mit der Hand zu verstehen, dass alles unter Kontrolle ist und er einfach weiterspielen soll.

Das tat er auch sehr überzeugend. Dass er dabei auch den ersten Satz mit 6:4 gewann, glich einer kleinen Sensation. Damit konnte niemand rechnen.

Unsere Fans rasteten nach dem Satzgewinn in der Satzpause total aus. Sogar eine Laola Welle wurde gestartet. Was ging denn hier ab, fragte ich mich. Maxi saß mit dem Handtuch über dem Kopf auf der Bank und versuchte sich neu zu konzentrieren. Ich redete beruhigend auf ihn ein und gab zu bedenken, dass er weiterhin wachsam sein müsse. Sein Gegner würde jetzt wohl seine Strategie ändern und darauf musste er vorbereitet sein. Mittlerweile hatte auch Dustin seinen ersten Satz gewonnen. Es sah momentan nach einer Sensation aus und zwar ein mögliches 4:0 nach den Einzeln. Unglaublich.

Der zweite Satz begann und ich war sehr gespannt, was sich der Gegner ausgedacht haben würde. Maxi startete direkt mit einem Feuerwerk von grandiosen Bällen und führte nach wenigen Minuten mit 2:0. Die Zuschauer waren nicht mehr zu halten und jeder Punkt wurde wie ein Matchgewinn bejubelt.

Carlo hatte mir per Handzeichen den Spielstand bei Dustin übermittelt. Allerdings konnte ich das nicht so richtig einordnen. 6:2 und 0:3? Konnte das denn richtig sein? Ich nahm mit Thorsten Blickkontakt auf und er verstand sofort, was ich von ihm wollte. Nach wenigen Handzeichen machte er sich auf den Weg zu Dustins Platz.

Handys hatten doch auch einen großen Vorteil, man konnte per Whatsapp die aktuellen Dinge vom anderen Platz tickern. So war ich von Thorsten informiert worden, dass Dustin wohl Probleme hatte. Er bekam schlecht Luft und Thorsten wollte sich um einen Physio kümmern. Ich konnte jetzt nicht von der Bank aufstehen und nachschauen, was bei Dustin war. Dafür war der Spielstand hier zu wichtig. Maxi musste gewinnen, da wäre der Verlust von Dustins Match zu verkraften gewesen. Außerdem war Thorsten dort am Ball. Allerdings sonderlich beruhigend fand ich das gerade nicht.

Maxi ließ sich jetzt nicht mehr von seinem Weg abbringen. Er spielte wie ein Profi souverän sein Match herunter. Das war sehr beeindruckend, wie mental gefestigt sich Maxi präsentierte. Beim Spielstand von 5:2 für Maxi rasteten unsere Fans komplett aus. Maxi ballte seine Faust in Richtung Zuschauer und jetzt fing er auch noch an, mit ihnen Späßchen zu machen. War das der sonst so über-ehrgeizige und verkrampfte Maxi?

„Los, jetzt noch einmal fünf Minuten zusammenreißen und dann hast du es geschafft. Am besten direkt jetzt den Sack zu machen. Ein Break zum Abschluss wäre die Krönung dieses unglaublich guten Matches.“

Maxi saß neben mir auf der Bank, schaute mich total ernst an und erwiderte trocken:

„Geht klar, Chef. Ich werde das Break machen und gewinnen. Ich möchte endlich auch mal mit den Fans jubeln. Wie sieht es bei Dustin aus?“

Obwohl ich ja wusste, dass Dustin gerade Probleme hatte, sagte ich:

„Alles soweit in Ordnung. Hat den ersten Satz gewonnen. Konzentrier dich jetzt aber auf dein Match und beende es.“

Das tat er auch und dies sehr eindrucksvoll. Mit einem Return Winner beendete Maxi sein bislang bestes Match in seiner Karriere. Er hatte die Sensation geschafft und entsprechend gigantisch war der Jubel unserer Fans. Carlo und Tim stürmten auf den Platz und freuten sich mit Maxi noch auf dem Feld. Erst danach kamen die drei zu mir an die Bank.

Maxi strahlte und fragte:

„Was ist mit Dustin? Wenn er auch gewinnt, wäre es ja schon entschieden. Oder nicht?“

„Gut kombiniert, aber das sah eben nicht danach aus. Er hat doch größere Probleme.“

„Was für Probleme? Hat er sich verletzt? Oder ist sein Gegner das Problem?“

Typisch Carlo, immer direkt heraus mit seinen Gedanken.

„Ich weiß es noch nicht genau, aber Thorsten ist drüben und ich werde jetzt auch rübergehen. Dann werden wir sehen.“

Es setzte sich eine kleine Karawane in Bewegung, denn auch alle Zuschauer von Maxis Platz wanderten nun zum Platz von Dustin. Ich stand etwas oberhalb des Platzes und sah Thorsten neben Fynn auf der Bank sitzen. Ich schrieb Thorsten per Whatsapp, dass Maxi gewonnen hatte und fragte wie die Lage sei.

Bevor Thorsten antworten konnte, war deutlich sichtbar, dass Dustin Probleme hatte. Er bewegte sich träge und kam nicht mehr richtig zum Ball. Für mich ein klares Signal, nach unten an die Bank zu gehen.

Leider lief mir noch Maxis Vater über den Weg. Er wollte mit mir über das Spiel sprechen.

„Sorry, aber das muss jetzt warten. Ich werde auf dem Platz gebraucht.“

Ich ließ ihn stehen und arbeitete mich durch einige Zuschauer zur Bank. Dabei erntete ich immer wieder Lob und auch einige anerkennende Schulterklopfer.

An der Bank erwartete mich allerdings ein sehr angespannter und niedergeschlagener Fynn. Thorsten sah auch nicht viel positiver aus. Es herrschte Krisenstimmung.

„So, da bin ich. Klärt mich über die Lage auf. Wo ist das Problem?“

„Wenn wir das so genau wüssten. Dustin sagt, er hat Probleme beim Atmen. Dadurch bewegt er sich nicht mehr richtig und entsprechend liegt er nun zurück.“

„Danke, Thorsten. Fynn, was denkst du könnte die Ursache sein? Hat er schon einmal ein ähnliches Problem gehabt?“

„Ja, aber das ist schon eine Weile her. Das war anfangs, als er diesen enormen Stress mit seinen Eltern hatte und wo er vor Angst kaum schlafen konnte. Seitdem ist das nicht mehr passiert. Ausgerechnet heute muss das wieder auftreten. Das ist so bitter.“

Es kam der nächste Seitenwechsel und Dustin lag im dritten Satz mit 1:4 zurück. Dustin setzte sich mit Tränen in den Augen auf die Bank. Fynn versuchte ihn zu beruhigen und zu trösten.

„Hey“, versuchte ich mit Dustin ein Gespräch, „du musst dich nicht so ärgern. Der Körper ist manchmal unfair zu einem. Das ist dann so und du musst es akzeptieren. Je mehr du dich aufregst, desto schlimmer wird das werden.“

Ich hockte vor ihm auf dem Platz und massierte ihm leicht die Beine. Seine Waden waren vollkommen verhärtet und ich machte mir Gedanken, ob es notwendig wäre, das Spiel abzubrechen. Das wäre für Dustin sicher eine schwere Situation. Allerdings musste ich entscheiden, ob es für ihn gefährlich sein könnte, weiterzuspielen.

Ich entschied mich, ihn spielen zu lassen und hatte auch eine Vermutung aufgrund des Hinweises von Fynn. Deshalb bat ich Thorsten auf der Bank zu bleiben, während ich mit Fynn ein paar Schritte hinter den Zaun ging.

„Was ist los? Warum nimmst du mich von der Bank?“

„Ganz ruhig. Du hast nichts falsch gemacht. Ich brauche dich aber gleich nach dem Spiel. Du musst Dustin dann auffangen. Er wird sehr enttäuscht sein.“

„Ok, ich verstehe. Dann hast du schon eine Idee?“

„Ja. Du hast mir den Hinweis gegeben. Ich glaube, dass es eine psychische Sache ist und keine medizinische Ursache hat. Dustin ist zwar schon viel stabiler geworden, aber diese Situation ist einfach zu heftig für ihn. Er hat sich selbst wieder zu viel Druck gemacht und sein Körper reagiert darauf. Du musst gleich versuchen, ihn abzulenken und zu beruhigen. Ich verstehe die Situation jetzt und wir werden zu Hause daran arbeiten. Das geht hier aber nicht, weil das Zeit braucht. Sollte es wider Erwarten doch noch zu gravierenden körperlichen Problemen kommen, sagst du bitte sofort Bescheid.“

„Ok, also du glaubst nicht mehr an einen Sieg von Dustin?“

Fynn schien sehr enttäuscht zu sein. Er hatte immer noch die Hoffnung, sein Freund könnte das Spiel noch gewinnen und war sauer, dass ich das anders sah.

„Nein, ich glaube nicht daran. Er ist in einem Zustand, in dem er nicht mehr dazu in der Lage ist. Es ist aber auch überhaupt nicht schlimm, weil er dafür nichts kann. Es ist einfach so. Mach dir keinen Kopf, das bekommen wir in den Griff. Da bist du übrigens dann sehr daran beteiligt.“

„Ich? Warum das denn?“

„Na, überleg doch mal. Du bist sein Freund und Partner. Du bist am nächsten dran und kannst am meisten Einfluss nehmen. Du musst ihn bestärken über diese Dinge zu sprechen und sie sich anzuschauen. Es ist kein Makel oder eine Schwäche. Es ist Teil seiner Persönlichkeit. Nach all dem was er bereits erlebt hat auch überhaupt kein Wunder. Ich habe schon lange darauf gewartet. Jetzt können wir damit arbeiten und du musst ihn überzeugen, uns zu vertrauen. Dann wird diese Situation nicht wieder auftreten.“

„Ich verstehe. Aber eine Frage habe ich noch. Wirst du Dustin noch Doppel spielen lassen?“

„Ja, sollten sich seine Atemprobleme nach dem Spiel, wie von mir erwartet, normalisieren, wirst du mit ihm Doppel spielen. Das kannst du ihm auch gleich nach dem Spiel sagen, sollte er dich fragen. Und er wird dich fragen.“

Dabei musste ich grinsen und auch Fynn lockerte sich jetzt etwas. Ich legte ihm einen Arm auf die Schulter und sagte:

„Mach dir keinen Stress. Ich vertraue euch weiterhin, weil ich weiß, was ihr könnt. Los, geh zu deinem Freund und bau ihn wieder auf. Das Match ist gleich vorbei.“

In der Tat stand es bereits 2:5 und sein Gegner brauchte nur noch zwei Punkte. Für mich war das gelaufen, aber ich blieb natürlich am Zaun stehen.

Dustin verlor das Match mit 2:6 im dritten Satz und warf gefrustet seinen Schläger unter die Bank. Dann setzte er sich auf die Bank und warf sein Handtuch über den Kopf. Er wollte nicht, dass die Zuschauer seine Tränen der Wut und Enttäuschung sahen. Für mich war es in Ordnung und ich ging nur kurz zu ihm.

„Es ist alles ok, Dustin. Beruhige dich etwas und wir sprechen später darüber. Wir lassen euch jetzt etwas allein. Fynn weiß Bescheid. Ok?“

Dustin nickte nur kurz und dann verließen Thorsten und ich den Platz.

„Du scheinst schon wieder einen Schritt weiter zu sein?“, fragte mich Thorsten.

„Ja, ich habe verstanden, was für ein Vorgang bei Dustin abläuft und warum er diese Probleme bekommen hat.“

Wir gingen über den Rasen in Richtung Clubhaus und ich erklärte Thorsten meine Gedanken.

„Wow, das hört sich sehr interessant an und hast du eine Idee, wie das in den Griff zu bekommen ist?“

„Ja, habe ich. Das muss ich aber zuerst mit Dustin und Fynn besprechen. Aber erst in Halle, nicht hier. Jetzt brauchen wir noch ein Doppel, bzw. einen Satz mehr als Bremen und dann können wir uns damit beschäftigen.“

Mittlerweile waren natürlich Tim, Carlo und Maxi bei uns angekommen und fragten aufgeregt nach Dustin. Thorsten gab ihnen eine gute Erklärung ohne die wahren Hintergründe zu verraten. Jetzt mussten wir uns eine Doppelstrategie ausdenken.

Für mich war die Sache eigentlich eindeutig. Ich wollte Dustin und Fynn erstes Doppel und Maxi mit Tim zweites Doppel spielen lassen. Maxi würde mit Tim sehr gute Siegchancen haben und selbst Fynn und Dustin konnten sicher gut mithalten mit der Nummer eins aus Bremen. Sollten die Bremer die gleiche Taktik anwenden wie wir, wäre es noch besser. Dann würden Dustin und Fynn im ersten Doppel gute Siegchancen haben. Jetzt musste ich den Jungs meine Idee vorstellen und mir anhören, was sie für Ideen hatten.

Ich holte mir meine Truppe etwas abseits des Trubels zusammen, während Thorsten sich bestens um unsere Fans und die Familien der Jungs kümmerte. Damit hatte ich völlige Ruhe, um mich um die Mannschaft zu kümmern.

„So, ich habe eine Idee, wie gespielt werden kann. Jetzt möchte ich eure Ideen hören.“

Dustin schien immer noch niedergeschlagen zu sein. Für mich ganz wichtig, er war körperlich wirklich fit. Oder hatte es vielleicht doch eine andere Ursache gegeben? Deshalb wartete ich ab und hörte mir Fynns Vorschlag an.

„Dustin und ich spielen zusammen und Maxi mit Tim. Wer allerdings erstes Doppel spielt, möchte ich nicht entscheiden.“

„Ist Dustin denn wieder fit, ein Doppel zu spielen?“

Carlo fragte natürlich nicht ganz ohne Eigeninteresse. Er hatte sich Hoffnungen gemacht, selbst spielen zu können.

Fynn reagiert leicht genervt und wollte schon antworten, aber ich verhinderte dies mit einem Handzeichen.

„Wenn Fynn das so vorschlägt, wird er sich sicher sein, dass sein Freund wieder völlig fit ist. Niemand will und wird hier eine Aufgabe riskieren.“

Damit hatte ich sofort jegliche Schärfe aus der Situation genommen und auch Dustin lächelte wieder. Er kommentierte sogar meine Aussage:

„Ja, ich fühle mich wieder besser und bereit. Es tut mir leid, dass ich meine Leistung im Einzel nicht bis zum Schluss halten konnte. Jetzt werden wir im Doppel angreifen.“

Das gefiel mir gut, wie er das gesagt hatte. Maxi haute ihm leicht in die Seite und grinste.

„Genau, Dustin. So machen wir das. Ich bin dafür mit Tim zweites Doppel zu spielen. Sollte deren Nummer eins auch im zweiten Doppel spielen, wären Dustin und Fynn jederzeit in der Lage das Doppel zu gewinnen.“

„Sonst etwa nicht?“, fragte Fynn etwas pikiert.

„Hey, sorry. Ich wollte das damit nicht sagen, aber du musst doch zugeben, dass die Nummer eins schon mit Abstand der beste Spieler ist.“

„Jungs“, beruhigte ich meine Truppe, „kommt mal wieder runter. Wir spielen genau so, wie ihr das selbst gesagt habt: Dustin und Fynn erstes Doppel und die anderen das Zweite. Also hauen wir sie weg und machen den Titel klar.“

Ich hielt meine Hand nach vorn und jeder legte eine Hand oben drauf und dann kam der Spruch:

„Auf geht's, hauen wir sie weg!“

Jetzt ließ ich die Jungs sich aufwärmen und ich ging zum Oberschiedsrichter, um die Aufstellung abzugeben.

Unsere Fans waren schon wieder in Stimmung und skandierten ihre Schlachtrufe. Das war fast schon etwas unangenehm. Dennoch war ich beeindruckt. Wir waren nicht bei der Bundesliga und dennoch feuerten unsere Fans uns an wie dort.

Ich hatte dem gegnerischen Coach bei der Aufstellungsabgabe noch alles Gute gewünscht und selbst er war von unseren Fans schwer beeindruckt.

Auf dem Weg zu den Plätzen kam mir Maxis Vater entgegen.

„Chris, ich möchte mal ein Kompliment loswerden. So cool wie du, möchte ich auch einmal sein. Du hast vorhin sowohl Maxi als auch in der Situation bei Dustin so gut reagiert. Maxi spielt seit er bei dir trainiert um Welten besseres Tennis. Das ist sensationell.“

Am liebsten hätte ich gesagt, solange er sich heraushalten würde, würde Maxi eben auch gut spielen, aber das konnte ich nicht machen. Er meinte das ja auch alles nicht böse, wenn er sich einmischte. Allerdings störte er damit nicht nur Maxis Entwicklung auf dem Tennisplatz. Das durfte aber heute nicht das Thema werden.

„Danke. Ja, Maxi hat sich sehr gut entwickelt und viel mehr Selbstbewusstsein bekommen. Er arbeitet auch gut im Training. Heute hat er sich selbst belohnt mit diesem genialen Einzel.“

„Was für eine Sensation. Halle kommt mit einem Titel nach Hause. Damit konnte doch nun wirklich niemand rechnen.“

„Stopp. Soweit ist es noch nicht. Wir haben erst drei Punkte. Also Ball flach halten.“

„Hast du echt noch Zweifel? Wir geben das nicht mehr aus der Hand.“

„Ich mag das gar nicht, bevor der Matchball verwandelt ist, schon zu jubeln. Also lass mich jetzt zu den Jungs gehen und helfen, dass wir auch tatsächlich gewinnen.“

Danach ging ich einfach direkt auf den Platz zu Dustin und Fynn. Dort schlugen sie sich ein und Dustin bewegte sich wieder locker und auch Fynn scherzte mit mir, als er mich bemerkt hatte.

Es beruhigte mich in doppelter Hinsicht, dieses Doppel auf dem Platz zu sehen. Das Wichtigste zuerst, Dustin schien wirklich wieder fit zu sein und mit Fynn auch bereit für ein gutes Doppel. Der Gegner hatte genau so aufgestellt, wie wir das vermutet hatten, also konnten Dustin und Fynn vollkommen ohne Druck gegen die Nummer eins der Bremer spielen.

Unsere Fans hatten natürlich auch bereits ihre Positionen eingenommen und somit konnte es losgehen.

Ich entschied mich, in Absprache mit Thorsten, bei Fynn und Dustin Platz zu nehmen. Thorsten hatte mir angeboten, bei Tim und Maxi auf der Bank zu sitzen. Das Angebot nahm ich dankend an und freute mich über diese Unterstützung.

Die Spiele begannen recht zögerlich. Es war einfach eine große Anspannung spürbar. Deshalb ließ ich die Jungs sich erst einmal in das Spiel finden. Beide sprachen viel miteinander auf dem Platz und von daher hatte ich keinen Grund mich einzumischen. Ich beschränkte mich auf anfeuern und Sicherheit geben.

Thorsten und auch unsere mitgereisten Jugendlichen, versorgten mich immer mit dem aktuellen Spielstand bei Maxi und Tim.

Der erste Satz bei meinem Spiel verlief wie erwartet. Dustin und Fynn hielten gut mit, konnten aber dem druckvollen Spiel der Bremer Nummer eins nicht genug entgegensetzen und verloren den Satz mit 4:6.

Bei dem anderen Doppel lief es deutlich besser für uns. Maxi und Tim führten 5:4. Sollten sie diesen Satz gewinnen, wäre das Match entschieden und wir hätten bereits gewonnen.

Bei Fynn und Dustin war Satzpause und wir redeten auf der Bank miteinander.

„Hey, ihr spielt ein gutes Doppel. Da ist im zweiten Satz auch noch mehr drin. Lasst die Köpfe nicht so hängen.“

Fynn nickte und Dustin fragte direkt: „Wie steht es bei Maxi und Tim?“

„Das sah ganz gut aus, aber konzentriert euch bitte nur auf euer Spiel. Ihr könnt auch gewinnen und je mehr Chancen wir nutzen, desto größer die Siegwahrscheinlichkeit.“

In diesem Moment gab es einen lauten Jubelsturm vom Nebenplatz. Damit war klar, sie hatten den ersten Satz gewonnen. Es dauerte auch nur Sekunden, bis Carlo an unserer Bank stand und ganz außer Atem berichtete:

„Der Satz gehört uns. Wir haben gewonnen. Leute, ist das geil.“

„Jaaaa!“

Ein erleichterter Aufschrei von Dustin schallte über den Platz und Fynn sprang auf und umarmte seinen Freund auf dem Platz. Von mir fiel eine ungeheure Last und dennoch wollte ich das Spiel vernünftig zu Ende bringen.

Allerdings würde sich das sicherlich schwierig gestalten, denn die Konzentration war jetzt natürlich weg. Dennoch spielten die beiden ihr Match ordentlich zu Ende und verloren zwar den zweiten Satz mit 2:6, aber das spielte wirklich keine Rolle mehr. Maxi und Tim gewannen sogar ihr Doppel und machten den vierten Punkt sicher.

Der TC BW Halle war deutscher Mannschaftsmeister der U18 Junioren!

Wir hatten die Sensation geschafft.

Bevor ich jedoch flüchten konnte war ich pitschnass. Carlo war der Übeltäter, der mich mit dem Schlauch zur Platzbewässerung komplett nass gemacht hatte.

Dustin und Fynn waren natürlich ebenso Opfer seiner Wasserattacke geworden, aber das musste ich wohl aushalten. Maxi und Tim waren mittlerweile auch zu uns gekommen und die Fans hatten ebenfalls ihre Zurückhaltung aufgegeben und sich zu uns gesellt. So stand eine große Gruppe Haller auf dem Rasen vor dem Clubhaus und jubelten und umarmten sich. Mir wurde immer wieder gratuliert oder auf die Schulter geklopft. Es war mir ein wenig unangenehm. Meine Jungs hatten ja schließlich die Leistung gebracht. Das sahen allerdings meine Jungs anders.

Bevor ich auch nur eine Chance hatte zu flüchten, hatten sie mich hochgehoben und Dustin und Fynn trugen mich auf ihren Schultern durch unsere Fans in Richtung Clubhaus. Es herrschte totales Chaos und Jubel. Einige hatten Sektflaschen mitgebracht, die jetzt versprüht oder herumgereicht wurden. Ich ließ meinen Jungs den Spaß und erst, als sie mich auf der Terrasse abgesetzt hatten, konnte ich versuchen, mir einen Überblick zu verschaffen.

Das war allerdings schwieriger als gedacht. Überall liefen Leute umher und unsere Fans klatschten rhythmisch. Es wurde gejubelt und gesungen. Nur wo waren meine Jungs? Vor allem Tim und Carlo waren mir wichtig.

Da tauchte Thorsten mit den beiden auf.

„So, jetzt sucht mal die anderen. Wir müssen zur Siegerehrung. Der Platz ist vorbereitet und wir müssen da jetzt hin.“

Es dauerte doch noch einige Minuten bis wir alle zusammen am Platz standen. Dort waren die Pokale aufgebaut und die Vertreter der Sponsoren standen bereits auf dem Platz.

Erst jetzt fiel mir auf, dass ich ja total nass war. Verdammt, das würde sicherlich blöd auf dem Foto aussehen. Ich hätte mir zumindest ein trockenes T-Shirt anziehen sollen. Allerdings sah Thorsten auch nicht mehr so perfekt aus. Er hatte wohl auch eine ordentliche Dusche abbekommen.

Dann nahm der Veranstalter das Mikrofon in die Hand und es wurde still. Das übliche Gerede mit dem Dank an die Sponsoren und dann wurde es ernst. Zuerst wurden die Zweitplatzierten aus Bremen aufgerufen. Es brandete auch von unseren Fans fairer Applaus auf und die Spieler erhielten ihre Pokale und einige Sachpreise.

Dann bat der Mannschaftsführer der Bremer um das Mikrofon.

„Liebe Tennisfans. An dieser Stelle möchte ich den Hallern zu ihrem verdienten Sieg gratulieren. Natürlich sind wir enttäuscht, aber ich muss sagen, dieses Turnier wird uns lange in Erinnerung bleiben. Ich habe noch nie bei einem solchen Turnier solche Fans erlebt. Dafür muss ich dem Haller Verein ein großes Kompliment aussprechen. Das war beeindruckend.“

In diesem Moment applaudierten eigentlich alle unserer Leute für diese Worte. Er fuhr dann fort:

„Heute seid ihr die bessere Mannschaft gewesen und habt verdient diesen Titel geholt. Ich möchte mich für ein faires Spiel bedanken und hoffe, dass wir euch bald auch auf den weiteren Turnieren sehen werden. Dafür viel Erfolg und alles Gute.“

Erneut kam Beifall auf. Das war eine sehr faire Geste der Bremer.

Der Turnierleiter bat nun uns, auf den Platz zu kommen. Jetzt wurde es wieder sehr laut und unsere Fans tobten und pfiffen. Es dauerte etwas, bis sie sich wieder beruhigt hatten.

Der Veranstalter übergab den großen Pokal an Dustin, der ihn fast schüchtern festhielt. Maxi knuffte ihm in die Seite und dann hob Dustin den Pokal doch in die Höhe und das war das Signal für die Fans in lauten Jubel auszubrechen und jeder der Jungs nahm den Pokal einmal in die Hand. Dann konnte ich beobachten, wie sich Fynn zum Turnierleiter bewegte und sie etwas besprachen. Einige Augenblicke später hatte Fynn das Mikrofon in der Hand und brauchte drei Versuche bis wieder etwas Ruhe eingekehrt war.

„Leute, kann ich noch einen Moment Ruhe haben?“

Es wurde sehr still, denn keiner hatte damit gerechnet, dass Fynn noch etwas sagen wollte.

„Danke. Nachdem wir nun den Pokal haben und klar ist, dass wir wirklich deutscher Meister sind, müssen wir noch etwas loswerden. Es ist hier jemand noch gar nicht gewürdigt worden, der eigentlich derjenige ist, der für uns am meisten getan hat. Der uns erst die Möglichkeit gegeben hat, hier sein zu können. Wir verdanken ihm sehr viel und ich weiß auch, dass es ihm jetzt eher unangenehm ist, aber ich möchte jetzt Chris zu uns bitten.“

Mist, ich hatte gehofft mir würde das erspart bleiben. Thorsten lachte neben mir und auch Gerry Weber musste grinsen und applaudierte. Ich kämpfte mich durch die Zuschauer, die eng auf dem Platz standen.

Ich bekam von Dustin eine innige Umarmung und er sagte nur ein leises „Danke“. Mehr ließ seine Stimme nicht mehr zu. Ich konnte die Rührung bei ihm sehen und spüren. Ich streichelte ihm über den Kopf, um ihn zu beruhigen. Tim und Carlo hüpften klatschend in die Höhe und die Zuschauer stiegen mit ein. Dann übergab mir Fynn den großen Pokal, den ich in die Höhe stemmte.

Plötzlich stand Gerry Weber neben mir und nahm mir den Pokal ab. Er gab ihn an Thorsten weiter, der damit im Clubhaus verschwand. Was das jetzt sollte, hatte ich nicht verstanden, aber es sollte sich bald klären.

Plötzlich hielt mir Gerry das Mikrofon hin und ich musste natürlich auch eine kleine Ansprache halten:

„Liebe Fans und Freunde des Tennis. Ich mag es nicht, große Reden zu halten, aber wenn ich schon etwas sagen muss, dann möchte ich mich bei den Jungs bedanken. Sie haben hier herausragenden Sport gezeigt und mich als Trainer in allen Dingen unterstützt. So konnte ich in Ruhe meine Dinge tun und mich auf die Spiele konzentrieren. Ich freue mich sehr für die Jungs, die es verdient haben hier zu stehen. Es ist aber eine Teamleistung, denn ohne die Unterstützung aus der Haller Base wäre diese Leistung nicht möglich gewesen. Daher geht mein Dank auch an Thorsten und unser Team. Mir macht es sehr viel Freude mit dieser Mannschaft zu trainieren und auf den Turnieren zu sein. Ebenfalls zu danken habe ich Gerhard Weber für sein Engagement. Er hatte vor einiger Zeit den Mut, diesen Jungs die Möglichkeit zu geben, unter professionellen Bedingungen zu trainieren und ohne finanzielle Sicherheiten zu bekommen. Das möchte ich hier ausdrücklich betonen. Er hat spontan gesagt, fördert diese Jungs und dann schauen wir, was passiert. Das ist heutzutage überhaupt nicht mehr selbstverständlich. Er hat Spielern aus diesem Team eine Zukunft gegeben. Dafür gebührt ihm großer Dank.“

Es gab spontanen Applaus und ich wollte das Mikrofon an den Turnierleiter zurückgeben, aber Dustin kam mir zuvor und nahm es mir aus der Hand. Nachdem es sich wieder etwas beruhigt hatte, fing Dustin an mich komplett in Verlegenheit zu bringen.

„Äh, es gibt doch noch etwas, dass ich unbedingt loswerden möchte. Chris hat in seiner Rede so getan, als ob er nur am Rande an diesem Erfolg beteiligt sei. Dem möchte ich deutlich widersprechen. Ohne Chris wären wir niemals hier gelandet. Ich würde garantiert kein Tennis mehr spielen und ich hätte auch nicht die Möglichkeit bekommen, dieses hier mit meinem Freund zusammen zu erleben. Chris ist immer für uns ansprechbar und ich kann jetzt nur für mich sprechen. Chris ist wie ein Vater zu mir, den ich eigentlich nie hatte und das ….“

Dann überkamen ihn die Gefühle und seine Stimme versagte. Tränen liefen über sein verschwitztes Gesicht. Fynn war sofort zur Stelle, nahm seinem Freund das Mikrofon aus der Hand und gab es mir. Dann führte er seinen Freund durch die Zuschauer vom Platz. Es tat mir so leid, dass er sich hier zu viel zugemutet hatte.

„Keine Sorge“, sagte ich dann ins Mikrofon, „Dustin wird sich gleich wieder beruhigen. Er hatte leider viele negative Erlebnisse in der Vergangenheit. Deshalb freue ich mich umso mehr, dass ihr uns so unwahrscheinlich toll unterstützt habt. Lasst uns den Erfolg gemeinsam auf der Rückfahrt nach Halle feiern.“

Dann brach erneut wieder Jubel aus und ich konnte endlich nach Dustin und Fynn schauen.

Gerry hielt mich nur kurz auf: „Geh zu den beiden und sag ihnen, ich bin sehr stolz auf Dustin. Das war sehr mutig. Er soll sich beruhigen und dann zu uns kommen. Wir möchten jetzt den Erfolg feiern.“

Ich nickte ihm zu und ging zu den beiden hinüber. Fynns Eltern standen mit Patrick bei ihnen und das war ein tolles Bild. Sogar Fynns Vater hatte Dustin Mut zugesprochen. Wenn das nicht ein Signal für die Zukunft war, was denn dann.

„Na, ihr großen Krieger. Wie geht es dir, Dustin? Hast du dich wieder etwas beruhigt?“

„Ja, es geht wieder. Tut mir leid, ich hätte nicht gedacht, dass es mich so überkommt. Ich wollte aber unbedingt mal Danke für deine Hilfe sagen. Ohne dich wäre ich niemals hier gelandet.“

Ich umarmte Dustin und fühlte seine Dankbarkeit. Er ließ sich in meinen Armen fallen und entspannte sich fühlbar. Plötzlich hörte ich Thorsten hinter mir sagen:

„Hier, nehmt einen Schluck. Das hilft.“

Ich drehte mich um und Thorsten stand mit dem Pokal in der Hand vor uns. Er hatte den großen Pott mit Sekt füllen lassen und jetzt ging der Pokal herum. Ich lehnte dankend ab und Thorsten nickte nur. Er wusste ja von meiner Abhängigkeit. Die Jungs schauten mich fragend an.

„Was ist?“, fragte ich.

„Dürfen wir auch einen Schluck nehmen?“, fragte Fynn.

„Natürlich dürft ihr. Auch Tim und Carlo habe ich das jetzt ausnahmsweise mal erlaubt. Es sei denn, Fynns Eltern haben etwas dagegen.“

Fynn schaute zu seinem Vater, der nickte nur und lachte. Toll, dass Fynn an seinen Vater gedacht hatte. Hier bahnte sich eine große Zukunft an. Ich hatte das Gefühl, hier war eine neue Familie entstanden und Dustin würde ein Teil davon werden.

Eine gute Stunde später saßen wir in unserem Bus auf der Rückfahrt nach Halle. Gegen Abend würden wir dort ankommen und die Stimmung im Bus war weiterhin unbeschreiblich. Es wurden für uns die vorderen Sitzreihen freigemacht, so dass wir genug Platz hatten, die Beine lang zu machen. Tim und Carlo waren nach hinten zu ihren Freunden gegangen und tobten dort herum. Carlos Mutter hatte sich bei mir persönlich bedankt und die ganze Mannschaft und mich zum Essen eingeladen. Das wollten wir auch garantiert annehmen. Es würde bestimmt sehr lustig werden.

Auch Gerry Weber saß immer wieder unter den anderen Fans und unterhielt sich mit ihnen. Hier war eine große Tennisfamilie unterwegs.

Als wir auf der A2 kurz vor Herford waren, kam Thorsten zu mir.

„Bevor du auf komische Gedanken kommst. Gerry hat die Mannschaft und die Eltern für heute Abend ins Sportparkhotel zum Essen eingeladen. Also gleich in Halle nur schnell duschen und dann geht es zum offiziellen Mannschaftsessen.“

Dabei grinste er mich frech an. Ich musste lachen.

„Ok, das kann ich wohl schlecht absagen, oder?“

Thorsten schüttelte lachend den Kopf und ich fing auch an zu lachen. So langsam löste sich bei mir die Anspannung und ich konnte den Erfolg so langsam auch genießen.

Gerry Weber hatte wirklich an alles gedacht. Er hatte bereits aus Hamburg einen Raum im Sportparkhotel reservieren lassen. Nur für uns und die Familien. Es war eine tolle Geste auch an die Familien. Denn dass Gerry so viel persönliches Engagement und Zeit investierte, war nicht so häufig der Fall. Nicht, weil er kein Interesse hatte, sondern weil ihm dafür meist die Zeit fehlte.

Nachdem wir ein sehr nobles drei Gänge Menü bekommen hatten und alle in leise Gespräche verwickelt waren, fragte mich Gerry: „Was habt ihr für Turnierpläne in den nächsten Wochen? Hast du die Bundesliga eingeplant?“

„Ja natürlich habe ich das eingeplant. Thorsten hatte mir das gesagt, dass die drei mit dem Kader trainieren sollen und auch bei den Spielen dabei sind. Wir treffen uns am Mittwoch in der Base und besprechen die weiteren Vorgehensweisen.“

„Sehr gut, ich möchte die drei zu Beginn der Bundesligasaison beim ersten Heimspiel offiziell vorstellen. Sie gehören zum Bundesligakader.“

Ich hatte ein wichtiges Kapitel erfolgreich abgearbeitet und würde jetzt ein neues und wieder spannendes Kapitel beginnen. Die Bundesliga der Herren und meine Truppe mittendrin.

Gegen halb zwölf lösten wir unsere Runde auf und wieder überraschten mich meine Jungs. Zum Abschied bedankte sich jeder persönlich bei Gerry Weber für diese Einladung. Ohne dass ich etwas sagen musste. Das gefiel mir sehr gut.

Thorsten und ich gingen nach der Verabschiedung gemeinsam zu unseren Autos auf dem Vereinsparkplatz. Dort redete ich noch einen Moment mit ihm und erst jetzt spürte ich die Müdigkeit. Thorsten sagte zum Abschied:

„Komm gut nach Hause und wir sehen uns spätestens am Mittwoch zur Besprechung. Erhol dich etwas und vielen Dank für diese tolle Leistung. Du hast hier ein neues Kapitel begonnen. Glaub mir, von den Jungs werden wir noch mehr sehen. Ich fand es übrigens sehr schön, als Dustin versucht hatte, sich zu bedanken. Ich fürchte, da wird noch einiges an Arbeit auf dich zukommen.“

„Ja, das war auch für mich ein sehr bewegender Moment. Und ja, du hast recht. Da wird noch einiges an Arbeit kommen. Aber ich bin mir sicher, je mehr er das loslassen kann, desto besser wird es ihm gehen.“

„Und je besser wird er spielen. Dustin hat so viel Talent. Hoffentlich wird er mit deiner Hilfe und seinem Freund in der Lage sein, seine Vergangenheit abzulegen und positiv nach vorne schauen können.“

Damit verabschiedeten wir uns und ich fuhr sehr zufrieden nach Hause.

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