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Achterbahn

Teil 3

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Marcel redet wieder mit mir. Das heißt, er hat ausnahmsweise nicht sofort aufgelegt oder sein Handy abgeschaltet. Schön war das Gespräch trotzdem nicht. Er ist echt total verletzt, was ja logisch ist. Jedenfalls hab ich mich entschuldigt. Für das Seitenspringen, das Nichterzählen, die Sache in der Villa … für alles. Marcel hat sich meinen Vortrag angehört, Danke gesagt und aufgelegt. Vorher hat er noch gefragt, ob ich jetzt mit dem Tattoo-Heini zusammen bin, also hab ich ihm erklärt, dass Dante kein Beziehungstyp ist, mich eh nicht mehr will und … ja, da sagte er dann Danke und legte auf.

Mann, wie kann man nur so blöde, unsensibel und verpeilt sein? Ich war tatsächlich drauf und dran, mich bei meinem Exfreund über meinen Schwarm auszuheulen. Scheiße, Eli, geht’s eigentlich noch?! Das hat Tine mich übrigens auch gerade gefragt, nachdem ich ihr von dem Telefonat berichtet habe.

„Das war ein Versehen. Ich … ich hab das nicht gemerkt.“

„Du merkst momentan erschreckend wenig“, stellt sie fest.

„Bin ich so schlimm geworden?“

„Willst du eine ehrliche Antwort? Du erinnerst mich an Being John Malkovich, kapiert? Bloß, dass in deinem Kopf nur Dante herumgeistert.“

„Ekelhaft.“

„Allerdings.“

„Ich wünschte, ich könnte das abstellen.“

„Hast du’s denn versucht?“

„Sicher.“

„Wirklich richtig?“

Gemeine Frage!

„Ja, eigentlich schon. Aber wenn ich ihn sehe …“

Tine schüttelt resigniert den Kopf. „Mann, der Typ muss es echt drauf haben.“

Oh ja, und wie!

„Würdest du bitte aufhören, so dämlich zu grinsen?! Und lass mich um Himmels Willen nicht an deinen Gedanken teilhaben, ja? Aber mal ernsthaft, Eli, wie soll’s jetzt weitergehen?“

„Ich hab keine Ahnung.“

„Okay, du liebst ihn, oder glaubst das im Moment, aber Dante will nur mit dir ins Bett und dich mit seinen ganzen Problemen zulabern. Das kann dir doch unmöglich reichen.“

„Wenn ich mehr nicht haben kann …“, zucke ich die Schultern.

„Du denkst doch hoffentlich in deiner grenzenlosen Unzurechnungsfähigkeit nicht, dass du der Einzige bist, oder? Ich meine, dir ist klar, dass er nebenher noch andere Typen fickt.“

„Ja, natürlich“, lüge ich.

„Gut, dann stürzt es dich nicht in eine tiefe Krise, wenn ich dir erzähle, dass er nicht alleine rumgehangen hat, wenn du dich beispielsweise mit Marcel getroffen hast.“

„Äh …?“

„Wie du weißt, ist Kevin ein guter Bekannter von Torben und der tratscht halt gerne, also hab ich ihn ein bisschen ausgefragt.“

„Und?“

„Lass es mich mal so formulieren … dass Dante neben seinen diversen Sexdates überhaupt noch Zeit für irgendwas anderes hat, grenzt an ein Wunder.“

Ich versuche, nicht überrascht oder geschockt zu wirken, obwohl ich innerlich grad eben kaputtgegangen bin. Es ist eine Sache, etwas zu vermuten, aber wenn man quasi mit der Nase drauf gestoßen wird, ist das ein völlig anderes Kaliber. Wobei, vermuten … nee, ich hab wirklich gedacht, Dante würde nur mit mir schlafen, seit wir damit angefangen haben. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er das, was er mit mir macht, auch noch mit … fuck, mir wird übel. So richtig kotzschlecht. Und Tines mitleidiger Blick gibt mir fast den Rest.

„Es tut mir leid“, sagt sie und umarmt mich. „Aber ich finde, du musst wissen, was Sache ist, auch wenn du’s aus romantischen Gründen nicht hören willst.“

Stimmt.

Als Tine schon längst weg ist, bin ich leider immer noch verstört. Wie konnte ich denn nur so dermaßen die Realität ausblenden? Das Schlimme ist … ich darf nicht mal sauer sein oder mich beschweren. Was für eine verdammte Scheiß-Situation. Vielleicht hätte ich auf alle hören sollen, die mich gewarnt haben. Ich meine, ich wusste ja irgendwie, dass ich nicht der Einzige bin, aber begriffen hab ich’s halt nicht. Was mache ich denn jetzt?

Ich trotte am Dienstag ins Jugendzentrum, weil ich Dante sehen will. Offenbar macht Liebe blöd und mir ist nicht mehr zu helfen. Total eifersüchtig belauere ich die Jungs, die hier aus dem gleichen Grund rumlungern, und frage mich, wen Dante wohl schon hatte?! Blondie nicht, der ist ja erst sechzehn. In ein, zwei Jahren kann er sich bestimmt in die Schlange der Gefickten einreihen. Schade, dass er nicht an mir interessiert ist, sonst könnte Dante mit uns beiden … auf so was steht er doch.

„Hey.“

„Hallo“, grüße ich eisig.

Dante grapscht nach meinem Arm und zieht mich in eine ruhige Ecke.

„Äh … ich muss jetzt proben und …“

„Hat sich dein bescheuerter Mitbewohner wieder abgeregt?“

„Geht so.“

„Na dann.“

„Hör mal, du hast letztens noch gepennt und ich wollte dich nicht wecken, also …“

„Ist okay, Dante.“

„Also bis später?“

„Mal sehen“, entgegne ich und gehe an die Theke zurück.

Kaum ist Herr Engels nach unten geschwebt, taucht Blondie auf, glotzt mich ungefähr fünfzehn Minuten völlig behämmert an und fummelt permanent an dem Regenbogenarmband, das früher mal Dante gehörte. Langsam schiebt er seinen Hintern auf den freien Barhocker zwischen uns. Du meine Güte, was zum Teufel will das Gör?!

„Darf ich dich was fragen?“, kiekst er und wird ein bisschen rot im Gesicht.

„Wenn’s sein muss.“

„Ich hab dich vorhin mit … du kennst Dante gut, oder?“

Hm, ich könnte ihm jetzt sagen, dass Dante es gern hat, wenn ich ihm ins Gesicht spritze. Oder dass er es geil findet, wenn er mein Sperma ablecken darf.

„Eigentlich nicht. Er hat das Wadenbein meiner besten Freundin tätowiert.“

Irgendwie hab ich wohl den Startschuss überhört, den Blondie dazu veranlasst, mich gefühlte hundert Jahre vollzusülzen. Dass er auch ein Tattoo will. Dass seine Eltern das nicht wollen. Dass Dante ihm erst was stechen will, wenn er alt genug ist oder er die Unterschrift seiner Eltern kriegt. Dass Dante sooooo wahnsinnig toll ist. Dass er mal beim Proben zuhören durfte. Dass Dante ihm in der Villa mal was ausgegeben und dann mit ihm geknutscht hat. Dass Dante total gut küssen kann.

Und ich? Ich krieg die Pest! Sechzehn ist ein bisschen sehr jung, mh? Ey, der macht doch vor gar nichts Halt. Und irgendwelche Jungs abzufüllen und abzuschleppen scheint ja wohl seine Standardmasche zu sein. So ein Fickfrosch. Hätte er sich für mich nicht was Originelleres  ausdenken können?

„Wie gesagt, ich kenne den Typen kaum, also interessiert mich dein Gelaber über ihn auch nicht sonderlich“, erkläre ich.

„Entschuldige, ich dachte nur, weil ich dich schon öfters hier gesehen hab und viele Jungs nur wegen … Dante“, strahlt er plötzlich und setzt sich kerzengerade hin.

Ich spüre zwei Arme, die sich um meine Taille schlängeln, und warme Lippen, die mein Ohr streifen.

„Cool, dass du gewartet hast“, säuselt Dante, dass mein Körper anfängt zu kribbeln. „Hey, Blondie“, sagt er lauter.

Der arme Junge sagt keinen Ton mehr, als ich mich umdrehe und Dante kurz auf den Mund küsse.

„Hast du jetzt Zeit?“

„Klar“, nickt er. „Wofür genau?“

„Ich will deine Flügel sehen.“

„Mmhhh … süß. Zu dir oder zu mir?“

„Egal. Hauptsache, wir sind schnell da.“

Dante greift nach meiner Hand und zieht mich Richtung Ausgang.

„Bis dann, Blondie“, grinse ich und winke ihm kurz zu.

So weit ist es also schon mit mir gekommen. Ich mache einen sechzehnjährigen Jungen eifersüchtig, weil Dante so ein verfluchter Fickfrosch ist. Am liebsten würde ich mich von oben bis unten bekotzen!

In Dantes Zimmer sind mir seine Flügel dann auch erstmal scheißegal. Wenn Tine die Szene eben mitgekriegt hätte … wenn ich an Blondies Stelle gewesen wäre … der Junge ist total in Dante verschossen, hoffentlich tut er sich nichts an. Ihhh, das wäre dann ein bisschen meine Schuld, oder?

„Hey, was’n los?“, fragt Dante und spielt am Reißverschluss meiner Kapuzenjacke.

„Wie bitte?“

„Na, du wolltest doch meine Flügel sehen.“

„Mir ist nicht mehr danach.“

„Okay. Wieso nicht?“

Weil du ein dämlicher Fickfrosch bist, Engels, ganz einfach.

„Es ist übrigens nicht nötig, eifersüchtig zu sein“, behauptet er. „Das heißt, eigentlich fand ich’s irgendwie niedlich.“

„Äh …?“

„Blondie hat’s dir doch erzählt, oder? Der erzählt ungefähr allen Leuten, dass ich im besoffenen Kopf mit ihm geknutscht habe. Beziehungsweise, er verschweigt, dass ich besoffen war und mich kaum noch dran erinnern kann.“

„Und es macht dir nichts aus, dass er wahrscheinlich grad in sein Kissen flennt, weil er in dich verknallt ist?“

„Dafür kann ich doch nichts. Soll ich als Entschuldigung, dass ich ihn nicht genauso anschmachte, mit ihm ficken, oder was?“

„Nein, aber …“

„Ich hab ihm gesagt, dass er zu jung ist. Für ein Tattoo und für mich.“

„Dann hättest du nicht mit ihm knutschen sollen. Ist doch logisch, dass er sich Hoffnungen macht.“

„Ah, und du bist in der Position, den Moralapostel raushängen zu lassen, ja?“

Das wird ja immer schöner!

„Wenigstens hab ich ein schlechtes Gewissen und fühl mich mies.“

„Das ist sicher ein Trost für deinen Exfreund“, nickt er.

„Ich gehe jetzt nach Hause“, beschließe ich.

„Guten Heimweg.“


Wenn ich nach draußen schaue … wann ist es eigentlich Sommer geworden? Vermutlich irgendwann zwischen mit Dante schlafen und mit Marcel Schluss machen. An mir geht seit Monaten alles vorbei, unglaublich. Normalerweise wäre ich jetzt mitten im Abi, aber zum Glück bin ich vor Jahren einmal kleben geblieben. Ich denke nicht, dass ich mich momentan auch nur ein Fitzelchen aufs Lernen konzentrieren könnte. Dass ich hängen geblieben bin, ist übrigens die Schuld vom Erzeuger. Als der nämlich den bescheuerten Brief geschrieben hat, war ich dermaßen aufgewühlt, dass ich in den meisten Fächern dramatisch abrutschte. Außer in Mathe, da war ich immer schon schlecht. Deshalb bekam ich Nachhilfe und … Marcel hat mir dann wesentlich mehr beigebracht. Mom war total geschockt, als sie uns eines Nachmittags beim Knutschen erwischte. Allerdings nicht, weil ich mit einem Jungen geknutscht hatte, sondern weil ich vorher nicht mit ihr darüber ausführlich gesprochen hatte. Leo war auch geschockt. Allerdings tatsächlich, weil ich mit einem Jungen geknutscht hatte. Er hat schon ein bisschen gebraucht, um damit klar zu kommen. Inzwischen ist es für ihn aber völlig normal. Manchmal frage ich mich, was der Erzeuger davon halten würde. Mom sagt, wenn er das nicht akzeptiert, soll er doch verschwinden, das könne er ja sowieso am besten. Dass er nicht wirklich was gegen Schwule haben kann, steht ja wohl fest. Leider weiß ich nicht, ob seine Toleranz bei einem schwulen Sohn vielleicht aufhören würde. Das ist ja öfters so. Schwul ist okay, solange es nicht die eigenen Kinder sind. Bei Leo war das zumindest anfangs der Fall. Der wusste irgendwie gar nicht mehr, wie er mit mir umgehen sollte, bis ihm dann ein Licht aufgegangen ist. Nämlich, dass ich mich eigentlich nicht verändert hatte. Die Tatsache, dass Marcel drei Jahre älter war hat vermutlich auch mit reingespielt. Weil Leo gleich gedacht hat, dass er mich zu „Sachen“ überreden würde.

Während mir das alles so durch den Kopf geht, trifft mich die Erkenntnis, dass Marcel weg ist, mit voller Wucht. Mein Hals ist auf einmal zu, mein Herz fängt an zu rasen und mir wird irre heiß.

Marcel.

Ich war doch so wahnsinnig verliebt in ihn … wann ist mir denn bloß dieses Gefühl abhanden gekommen? Wie ist es überhaupt möglich, dass man jemanden plötzlich nicht mehr liebt? Klar, er hat sich ein bisschen in eine andere Richtung entwickelt, was Klamotten und Musik und so betrifft, aber er war doch immer noch mein Marcel. Ich muss mich an die vielen durchknutschten Nächte erinnern, an warme Sommertage am See, das Wochenende in Venedig … wo wir mit einer echt eigenartigen Reisegruppe unterwegs waren, uns über die blauweißkarierte Unterhose von der Frau, deren Rock hochgeflogen ist, kaputt gelacht haben und über das nette Ökopärchen, das bestürzt feststellte, dass es zum Frühstück H-Milch gab, über das plüschige, puffartige Hotel direkt an der Autobahn, in dem die hässlich geblümten Tagesdecken das gleiche Design hatten wie die Vorhänge … an im Auto rumfahren und Boa hören.

Das ist alles Vergangenheit. Marcel ist Vergangenheit. Ich hab gedacht, ich lieb ihn nicht mehr. Warum vermisse ich ihn dann so furchtbar?! Hätte ich mich mehr angestrengt, wäre dieses unglaubliche Verliebtheitsgefühl vielleicht zurückgekommen. Aber ich wollte ja unbedingt Dante anschmachten und hab alles kaputt gemacht. Drei Jahre in die Tonne getreten. Wegen eines Typen, der alles fickt, was er kriegen kann, dem es absolut nichts ausmacht, dass sich seinetwegen reihenweise Jungs die Augen aus dem Kopf heulen.

Wie konnte ich Marcel nur so weh tun?!

Über all das würde ich natürlich gerne mit meiner besten Freundin sprechen. Allerdings will ich ihre Ich-hab’s-dir-doch-gleich-gesagt-Sprüche, die sie sicher vom Stapel lassen würde, nicht hören. Ich will Cure hören. Charlotte Sometimes. Hundertmal hintereinander. Ist ja eigentlich kein besonders romantisches Kuschellied, aber Marcel fand das immer toll und das lief halt, als er und ich zum ersten Mal miteinander geschlafen haben. Danach haben wir es sogar fertig gebracht, bei Death In June miteinander zu schlafen, was im Nachhinein eine echt gruselige Vorstellung ist!


Ich hab fast die Hoffnung, dass Marcel vor der Tür steht, als ich runtergehe, weil’s eben geschellt hat.

„Hi, Eli.“

Na ja, Hoffnung ist so eine Sache.

„Guten Abend.“

„Darf ich reinkommen?“, fragt Dante.

„Okay.“

Es ist wirklich abartig, kaum taucht der blöde Fickfrosch auf, fängt mein Körper an zu kribbeln und ein Grinsen breitet sich aus, das ich einfach nicht abstellen kann, so sehr ich es auch versuche. Allein dafür hasse ich ihn wie die Pest. Dafür, dass er so hübsch angezogen ist ebenfalls. Er trägt wieder sein schwarzrotweißes Bondagehosen-Kapuzenjäckchen-Ensemble. Will der damit vielleicht irgendwas bezwecken? Das kann der total vergessen. Ich bin immer noch sauer. Hab nur grad vergessen, weshalb.

„Eli, ich …“

Das war’s. Dieser Blick, seine Arme, die fucking Flügel … ich muss ihn anfassen, ich muss ihn küssen und … eine Weile später schnaufend, aber wahnsinnig entspannt neben ihm liegen.

„Das war …“, beginnt er.

„Dringend“, vervollständige ich.

„Absolut. Ich wäre schon eher hergekommen, aber ich wusste nicht, ob du noch böse auf mich bist oder so.“

„Dante, du bist ein Fickfrosch.“

„Ich hab schon überlegt, meine Haare wieder grün zu machen“, kichert er.

„Das war nicht als … niedlich versautes Kompliment gedacht.“

„Dann erklär mir, was ich so Schlimmes verbrochen habe“, fordert er und kuschelt sich an mich.

„Du könntest deinen sechzehnjährigen Verehrern gegenüber etwas rücksichtsvoller sein.“

„Das ist aber echt schwer. Bin ich nett, denken die gleich wer weiß was. Bin ich nicht nett, krieg ich Stress mit dir. Ich kann nichts dafür, dass mich viele Jungs anhimmeln. Und ich kann mir unmöglich bei jedem immer genau überlegen, wie ich mich verhalte, was ich mache und sage.“

Das nenne ich mal ein gesundes Selbstbewusstsein. Aber leider stimmt es. Ihn himmeln ja tatsächlich tausend Jungs an. Und er ist vermutlich mit den meisten von ihnen ins Bett gegangen, wenn er nicht bei mir war. Deshalb bin ich sauer, allerdings werde ich den Teufel tun, ihm das zu sagen.

„Weißt du, erst fand ich’s ja toll, so umschwärmt zu sein, aber inzwischen nervt es irgendwie nur noch.“

„Ja, es ist nicht einfach, Dante Engels zu sein, mh?“

„Deshalb bin ich gerne mit dir zusammen“, behauptet er. „Mit dir kann ich ganz normal reden. Bei den meisten Jungs hab ich das Gefühl, die können es erstmal gar nicht glauben, dass ich mich tatsächlich mit ihnen unterhalte, dass ich sie überhaupt bemerke. Ey, ich bin doch kein Rockstar oder so’n Scheiß.“

„Ich konnte auch nicht glauben, dass du mit mir rumhängen wolltest“, gebe ich zu.

„Klar, aber bei dir fand ich’s süß. Und ich war extrem gespannt.“

„Worauf?“

„Wie du es anstellen würdest“, zwinkert er.

„Was denn?“

„Mich zu verführen.“

„Ich hab doch bloß an deinem Arm geleckt …“

„Genau. Blondie, zum Beispiel, würd sich das im Leben nicht trauen. Der würde brav warten, bis ich ihn dazu auffordere. Das hab ich oft erlebt … viele Jungs, mit denen ich was hatte, waren schrecklich gehemmt und dann macht’s halt nicht so wirklich Spaß. Deswegen hab ich mich bei Torben über deine Fickfreudigkeit ausgelassen. Weil ich überrascht war und … na ja, irgendwie auch ziemlich berauscht.“

Ach du meine Güte! Wenn ich ihm jetzt sagen würde, dass ich eigentlich super verklemmt bin und der ganze Sexkram jedes Mal mehr aus Versehen passiert ist, weil mein Gehirn völlig ausgeschaltet war … nee, ich werd mal seine Illusion nicht zerstören. Mir gefällt es, dass ich ihn berausche. Andererseits, was weiß ich, ob er das nicht allen Jungs sagt, mit denen er im Bett war. Ich meine, ich halte es für relativ wahrscheinlich, dass er das tut. Also besteht mal wieder überhaupt kein Grund, sich besonders und toll zu fühlen.

„Ich wette, so was erzählst du allen Jungs.“

„Du kennst mich schon viel zu gut“, lächelt er.

Na bitte.

„Aber bei dir bin ich ausnahmsweise total ehrlich.“

„Du hättest es mir also gesagt, wenn ich gehemmt gewesen wäre und es keinen Spaß gemacht hätte?“

„Nein“, schüttelt er den Kopf, „natürlich nicht. Allerdings wäre es dann bei dem einem Mal geblieben.“

Okay, das überzeugt mich ein bisschen.

Plötzlich steht er auf und zieht sich an.

„Ich muss los. Bin noch verabredet.“

Wow! Und schon kommt nach so viel Sonnenschein ein übler Regenschauer. Fast will ich ihn fragen, mit wem er verabredet ist, kann mich grad noch beherrschen.

Als er weg ist, startet in meinem Schädel ein verdammtes Karussell. Mit wem trifft er sich? Was tut er mit diesem geheimnisvollen Jemand? Er wird doch sicher nicht gleich mit dem Nächsten … nachdem er grad mit mir … ob er dem dann auch von seinen Berauschungen erzählt? Wie ekelhaft ist es denn bitte, fünf Sekunden nach mir mit einem anderen Typen zu ficken?! Vielleicht ist die Verabredung aber gar kein Typ. Es könnte seine Mutter sein. Oder seine Haarfärbe-Iris. Oder ein Tattoo-Termin. Gott, ich hasse diesen Scheiß! Wieso muss der dämliche Fickfrosch derart meine Gedankenwelt beherrschen?

Samstagabend kann ich Tine überreden, mit mir in die Villa zu gehen. Ich finde, es ist an der Zeit, dass sie Dante endlich richtig kennen lernt. Außerdem soll sie mir hinterher sagen, was sie davon hält, wie er sich mir gegenüber benimmt. Tine ist in solchen Dingen echt gut. Dass Dante da sein wird, hab ich vorher geklärt, indem ich ihn angerufen und gefragt habe.

Natürlich hat Tine eigentlich keine Lust, aber weil ich jetzt wieder ihr bester Freund bin und sie eingesehen hat, dass Marcel und ich in Wirklichkeit möglicherweise doch nicht füreinander bestimmt sind … außerdem hat sie Patti im Schlepptau, der wiederum seinen Cousin Kevin mitgeschleift hat.

„Ich hoffe, ihr treibt es nicht sofort, wenn ihr euch seht“, grummelt sie und streicht ihren schwarzen Piratenmini glatt.

„Hast du getrunken?“, frage ich und schnüffle an ihr herum.

„Noch nicht.“

Kaum gesagt, bestellt sie sich auch schon ein Bier, das ich bezahlen darf, während sich ihr Freund über die schlechte Musik beschwert. Logisch, Patti ist so’ne Art süßer Metal-Freak.

„Wieso hängen wir noch mal hier rum?“, brüllt er.

„Deswegen“, erklärt Tine und deutet auf Dante, der grad die Szenerie betritt.

Meine Eingeweide fahren ein bisschen Achterbahn.

„Benehmt euch doch bitte etwas weniger auffällig“, schlage ich vor, weil Tine, Patti und Kevin so penetrant glotzen, als wäre Dante ein Tier im Zoo.

„Na und?“, zuckt Tine die Schultern. „Der ist es wohl gewohnt, angestarrt zu werden. Warum kommt er übrigens nicht her? Der hat dich doch längst gesehen.“

Dante macht erstmal seine übliche Runde, quatscht mit tausend Leuten und ignoriert mich komplett.

„Netter Bursche“, nickt Patti und klopft mir auf den Rücken. „Hast einen guten Tausch gemacht.“

Ich halt’s im Kopf nicht aus.

„Hast du deinem Freund eigentlich alles über mich und Dante weitergetratscht?“, frage ich angepisst.

„Nee. Dass du gerne Arme leckst, wusste er ja schon von Torben“, lächelt Tine honigsüß.

Nach einer Viertelstunde entscheidet sich Dante endlich, mich zu bemerken. Lässig schlendert er auf mich zu.

„Hi, Eli.“

„Hey.“

„Hallo, Kevin“, schreit Dante, worauf Kevin kurz zur Begrüßung den Arm hebt.

„Das sind Tine und Patti“, fasele ich blödsinnig.

Dante grinst leicht. „Ah, die Würfelkirsche … wie nett.“

Er bestellt ein Wasser mit Zitrone und keiner sagt mehr irgendwas. Na, das läuft doch supi!

„Äh … ich hab mir was überlegt“, brabbelt es aus meinem Mund.

„Ja?“

„Sterne.“

„Okay?“

„Regenbogensterne.“

Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.

„Geil, ich kann’s kaum erwarten, dich zu stechen“, säuselt er mir ins Ohr, während sich sein Arm um meine Taille schlängelt und seine Hand an mir herumstreichelt.

Mir wird sofort schwächlich.

„Ich muss halt nur kucken, wann ich’s schaffe. Momentan hab ich so’ne Märchenvögel-Kirschblütengeschichte auf einem Mädchenrücken. Das dauert sicher noch, aber danach bist du dran, versprochen.“

„Gitane“, kreischt Tine erfreut und hopst Richtung Tanzfläche.

„Bis später mal“, verabschiedet sich Dante einstweilen.

Patti und Kevin schädeln sich gepflegt ab.

Na ja, vielleicht ist ein Club auch eher ungeeignet, um meine Freunde miteinander bekannt zu machen.

Wenigstens taucht Dante im Laufe des Abends immer mal wieder auf und irgendwann unterhält er sich sogar mit Tine. Ob es nett und lustig gemeint ist, dass er sie andauernd Würfelkirsche nennt, oder ob er einfach nur ihren Namen vergessen hat, weiß ich nicht.

Und ich weiß auch nicht, ob Dante, nachdem wir die beiden Besoffenen nach Hause gekarrt haben, irgendwen aufgerissen hat. Vermutlich schon. Mich jedenfalls nicht, obwohl ich heimlich gehofft und es ein bisschen erwartet habe.

Sonntagnachmittag sitzt die Würfelkirsche in meinem Zimmer.

„Patti hat die ganze Nacht gekotzt und heute Morgen über seine Kopfschmerzen gejammert wie eine verdammte, kleine Memme. Ey, dass Kerle im Verbund immer so viel saufen müssen … ekelhaft.“

„Und?“

„Immerhin hat dich gestern Nacht auch keiner glücklich gemacht. Das ist zwar ein schwacher Trost, aber wenigstens etwas.“

„Tine …“, zische ich genervt.

„Mann, was willst du? Ich hatte die Gelegenheit, mich drei Sekunden mit dem Typen zu unterhalten, weil der ständig woanders war. Okay“, seufzt sie, „möchtest du die Wahrheit oder darf ich dich anlügen?“

„Bin mir nicht ganz sicher“, überlege ich. „Lieber die Wahrheit.“

„Er ist bis zur Halskrause in dich verschossen“, erklärt sie angewidert.

„Quatsch“, grinse ich unwillkürlich.

„Eli, warum fragst du mich, wenn du mir eh nicht glaubst?“

„Weil du grad mal drei Sekunden mit ihm gesprochen hast und er ständig woanders war?“, schlage ich vor.

„Allein schon wie er dich angesehen hat … wie er an dir rumgefasst hat …“

„Das macht er halt. Bei allen.“

„Pass auf, es ist schwer genug, dir zu sagen, was ich denke, ja? Glaub es oder lass es bleiben.“

„Und die vielen Jungs, die er nebenbei vögelt?“

„Sogar Patti hat in seinem besoffenen Schädel die rosa Herzchen mit Zuckerguss bemerkt, die aus Dantes Augen in deine Richtung flatterten.“

„Patti hat gestern wahrscheinlich auch ein großes, weißes Kaninchen zu seinem neuen Freund erkoren, das außer ihm niemand sehen konnte.“

„Kevin hat mit dem Kaninchen Brüderschaft getrunken“, entgegnet Tine. „Marcel geht’s übrigens immer noch scheiße. Ist dir das egal?“

„Nein, ist es nicht“, antworte ich finster. „Schließlich bin ich über Nacht nicht zu einem gefühllosen Monster mutiert, auch wenn das alle meinen.“

„Es ist ja nicht so, dass ich’s nicht verstehen würde … also, dass du begeistert bist. Aber Marcel … er tut mir eben wahnsinnig leid. Wenn wir telefonieren und er anfängt zu heulen, Eli, das ist die Hölle.“

Fuck!

„Mir tut’s auch weh, wenn ich so was höre. Und ich vermisse ihn ganz oft, aber … aus Mitleid mit ihm zusammen sein, geht doch nicht.“

Als Tine gegangen ist, um ihren kranken Freund zu betüddeln, traue ich mich, Marcels Klamotten zusammen zu packen. Die Tasche verstaue ich später im Schrank, weil ich es nicht ertrage, von ihr dran erinnert zu werden, dass meinetwegen jemand weint. Das ist echt ein scheiß Gefühl. Schlimmer als alles, was ich kenne.


Dante hat sich seit fast einer Woche nicht gemeldet, was komisch ist, weil wir inzwischen eigentlich ungefähr jeden zweiten Tag telefonieren. Normalerweise ruft er an … vielleicht ist er krank … ich wähle seine Nummer.

„Eli, was gibt’s?“

„Äh … nichts weiter.“

„Warum rufst du mich dann an?“

„Entschuldige. Bist du grad beschäftigt?“

„Nein.“

Mann, was’n mit dem los?

„Wie weit bist du mit den Kirschblüten?“

„Ich werde dich schon wissen lassen, wann ich Zeit für deine Sterne habe.“

„Dante, was ist los?“

„Gar nichts“, entgegnet er, „alles bestens.“

„Klingt irgendwie nicht so.“

„Möglicherweise stehe ich nicht drauf, vorgeführt zu werden.“

„Hä?“

„Letzten Samstag … erzähl mir nicht, deine Freunde wären rein zufällig da gewesen. Also was sollte der Scheiß?“

„Ich werd doch wohl noch mit meinen Freunden ausgehen dürfen.“

„Lass uns mal eine Sache klar stellen, ja? Ich bin nicht dein neuer Marcel.“

„Das hat auch niemand behauptet.“

„Und die Tatsache, dass du momentan der Einzige bist, mit dem ich schlafe, bedeutet nicht, dass wir zusammen sind und ich scharf auf irgendwelche Pärchenabende bin. Oder deinen Eltern vorgestellt werden möchte.“

„Okay.“

„Okay … komm wegen der Sterne nächste Woche vorbei, dann überlegen wir uns, wie genau die aussehen sollen.“

Nachdem er aufgelegt hat, rufe ich sofort Tine an.

„Er schläft nur mit mir“, krakeele ich.

„Eli, soll ich einen Hörsturz kriegen, verdammt?“

Etwas weniger laut berichte ich vom Telefonat.

„Und du glaubst ihm das?“

„Allerdings. Weil er das nur gesagt hat, um zu verdeutlichen, dass wir nicht zusammen sind. Außerdem weiß er, dass ich weiß, was er von Beziehungen und Treue hält … nämlich gar nichts. Was hätte er also für einen Grund zu lügen?“

„Männer haben immer einen Grund zu lügen. Aber vermutlich stimmt es tatsächlich. Passt jedenfalls zu seinen Zuckergussherzchenblicken. Ich finde trotzdem nicht, dass du schon die Hochzeitstorte bestellen solltest. Er wird dir mit Sicherheit weh tun. Und zwar richtig heftig und fies.“

„Was ist mit … er ist bis zur Halskrause verschossen?“

„Solltest du ihm nicht mal langsam die Wahrheit über Crazy sagen?“, ignoriert sie meine Frage.

„Auf keinen Fall.“

„Eli, was meinst du, wo er dich inken wird?“

„Das ist dann immer noch früh genug. Wenn er mich überhaupt erkennt.“

„Ich bin jetzt schon gespannt, wie er drauf reagiert.“

„Danke, Tine. Ich hatte grad ausnahmsweise mal gute Laune“, zische ich.

„Ich nehme an, du hältst mich auf dem Laufenden, ob ich will oder nicht, mh?“

„Logisch.“

Die Sache mit Crazy ist wirklich ein Problem. Also, dass ich ihm sehr wahrscheinlich in naher Zukunft begegnen muss. Dabei war das mit den Sternen eigentlich bloß dahergesagt. Um das peinliche Schweigen zu überbrücken. Andererseits wäre es doch schön, ein Tattoo von Dante zu haben. Für immer und ewig. Auch für den unvorstellbaren Fall, dass ich ihn irgendwann nicht mehr liebe … schließlich sind es nur Sterne und nicht sein Name.

Später klingelt’s bei mir und ich hab fast die Hoffnung, dass es Dante ist, der mich vermisst und unbedingt sehen will.

Leider ist Hoffnung eine blöde Sau!

„Marcel“, murmle ich überrascht und ein wenig entsetzt.

Er hat abgenommen, nicht viel, aber man merkt es. Und er hat leichte Ringe unter den Augen. Seine schwarzen Haare sind auch eher nachlässig frisiert … sie strubbeln in der Gegend herum.

„Ich wollte meine restlichen Sachen abholen“, erklärt er.

Wir gehen nach oben, ich krame die Tasche aus dem Schrank und stelle sie auf den Boden.

„Das ist also übrig geblieben“, lächelt er bitter.

„Es tut mir leid“, sage ich ehrlich. „Du bist der Letzte, dem ich weh tun wollte.“

„Ja“, schnauft er, „ich kann mir gut vorstellen, dass du nur daran gedacht hast, als du mit IHM ins Bett gegangen bist. Monatelang.“

„Ich … konnte mich einfach nicht … wehren“, behaupte ich lahm.

„Glaubst du, dein lächerlicher Erklärungsversuch macht’s irgendwie besser? Wenn du jetzt noch so was parat hast, wie … es hat nichts mit dir zu tun … spar’s dir bitte, weil ich dir sonst eine reinhaue. Auf hohle Phrasen kann ich echt verzichten.“

Ich starre bedröppelt auf meine Füße, während Marcel nach seiner Tasche greift.

„Na dann, viel Glück mit deinem Neuen. Ich hoffe, er tut dir weh. Und zwar so richtig heftig und fies. Damit du mal merkst, wie sich das anfühlt.“

Tine und Marcel reden eindeutig zu oft miteinander, finde ich.

Nach diesem kurzen Besuch bin ich logischerweise erstmal bedient. Ich an seiner Stelle hätte mir allerdings auch nur Schlechtes gewünscht. Außerdem frage ich mich, ob er mir wirklich eine reingehauen hätte oder ob das nur so’n Spruch war. Eigentlich spielt es keine Rolle, weil … cool war’s auf alle Fälle. Normalerweise sagt Marcel nicht solche Sachen. Und normalerweise sieht er auch nicht so fertig aus. So … attraktiv fertig, irgendwie. Nicht, dass mir der Grund besonders gefällt, aber ich muss zugeben, dass Marcel im gesamten letzten Jahr nicht so hübsch ausgesehen hat. Ist das nicht ekelhaft? Er hätte mich bloß noch aufs Bett werfen und … verdammt, Eli, du hast mit ihm Schluss gemacht, du hast kein Recht mehr, dir irgendwas mit ihm zusammenzuphantasieren! Überhaupt ist es unter den Umständen ja wohl moralisch total verwerflich, mir sexuelle Dinge mit ihm vorzustellen. Schließlich hab ich ihn unglaublich verletzt und es geht ihm schlecht und er weint manchmal meinetwegen.


„Gefallen sie dir?“

Ich starre auf das Blatt und fühle mich sehr unwohl. Erstens weil die Sache jetzt ernst wird  und zweitens … die Sterne sehen scheiße aus. Okay, nicht wirklich, aber wenn überhaupt will ich andere. Also für Dante sind Regenbogensterne skizzenartig und windschief und kristallin. Und er erklärt soeben ganz freudig, dass dieser kristalline Effekt durch die Unterteilungen, die verschiedenen schillernden Farbtöne und die Spiegelungen der Nachbarsterne entsteht.

Au weia!

„Was?“, fragt er ungeduldig.

„Die sind … nett.“

„Was stimmt nicht?“

„Die sehen aus wie Diamanten in Sternform. Ich möchte Sterne, die wie Sterne aussehen. Ganz simpel, ohne irgendwelche Effekte. Und jeder nur eine Farbe.“

„Und … jeder nur ein Kreuz“, lächelt er horrorartig und reißt mir das Blatt aus den Händen.

Mist, jetzt hab ich den sensiblen Künstler beleidigt, muss allerdings trotzdem grinsen, weil der Satz mich natürlich an Life Of Brian erinnert. Letztes Jahr hab ich den mit Marcel im Kino angeschaut, da gab’s für jeden einen Kreuzkeks und Marcel hat mir eine Tüte Otternasen gekauft.

„Hier …“, er reicht mir ein weiteres Blatt, „das sind nautische Sterne.“

Klar, dass der wieder mit seinem Old-School-Zeugs ankommt.

„Die haben auch Unterteilungen.“

Er knüllt das Papier zusammen und feuert es in den Müllkorb.

„Es wäre hilfreich, wenn du mir sagen könntest, was du dir in etwa vorstellst.“

„Hab ich doch. Sterne. Bunt. Ohne Linien drin, ohne Schatten drum herum, ohne  Schnickschnack. Wie deiner am Handgelenk … bloß symmetrisch.“

„Das sieht dann aber voll nach Abziehbild aus.“

„Genau“, strahle ich, weil er’s endlich begriffen hat. „Und jeder Stern hat eine Farbe vom Regenbogen.“

„Süß. Da muss ich mich ja total anstrengen. Nur gerade Linien …“

„Hast du gedacht, du könntest mir mal auf die Schnelle irgendwas stechen? Ich muss da mein Leben lang mit rumlaufen.“

„Ich krieg das hin, keine Sorge.“

„Ich weiß nicht … jetzt mache ich mir in der Tat Sorgen.“

„Eli“, verdreht er die Augen, „Crazy hat mir nicht umsonst angeboten, bei ihm zu arbeiten.“

Ah ja, der fehlte auch noch.

„Was müsste man denn für ein paar bunte Sterne bezahlen?“

„Hm, kommt drauf an. Crazys Preise sind schon ordentlich, aber dafür kriegst du ja auch was spektakulär Tolles.“

„Von dem will ich gar nix“, entgegne ich düster.

„Ich würd’s dir umsonst machen.“

Mann, wenn der so was sagt, fängt bei mir sofort alles an zu kribbeln. Wie schafft der das bloß, alles irgendwie unanständig klingen zu lassen?!

„Tätowieren, Eli“, grinst er. „Was nicht heißen soll, dass ich für das Andere auf einmal Geld verlangen würde.“

„Können wir bitte beim Thema bleiben, Blödmann? Wenn du es gut machst, bezahle ich dich auch dafür.“

„War ich jemals schlecht?“

„Keine Ahnung. Ich kenne bisher nur deinen Stern und Tines Würfelkirschen.“

„Verstehe“, nickt er und zeigt mir am Computer einige Bilder von seinen „Arbeiten“. Auch von dem Mädchenrücken, der allerdings immer noch nicht gänzlich fertig ist. Obwohl ich mich eigentlich niemals für Tattoo-Kram interessieren wollte, finde ich es beeindruckend zu sehen, was er aus der einen Vorlage mit den Schwalben, Herzen und dem Hufeisen gemacht hat … beziehungsweise, dass das Tattoo exakt so aussieht wie auf dem Papier.

„Crazy sagt, er hätte es selbst nicht besser gemacht, aber das ist logischerweise totaler Blödsinn, weil wenn man’s vergrößert, erkennt man sofort, dass ein paar Linien … nicht so perfekt sind. Na ja, ich denke, ich bin auf einem guten Weg.“

Während er über Outlines, Schattierungen und weiß der Fuchs was redet, setzt bei mir langsam wieder der Verstand aus. Ich starre auf seine hübschen Lippen, die sich bewegen, ohne dass ich auch nur ansatzweise höre, was er sagt. Dann glotze ich auf seine schönen Hände, die herumwedeln, um irgendwas zu verdeutlichen, auf den kleinen Nici-Teufel, der an dem Armband baumelt, das sich um sein Handgelenk schlängelt. Und andauernd streicht er sich beiläufig über den rotgelben Flügel am Oberarm, strubbelt durch seine Haare oder macht sonst was, das mich ekelhaft reizt.

„Dante, fickst du mich heute noch?“, fragt plötzlich ein Unsichtbarer, der mit meiner Stimme spricht.

Zwei Sekunden stiert Dante mich überrascht an, dann lächelt er. Und danach schüttelt er den Kopf.

„Nee.“

Das ist dieser berühmte scheiß Moment, in dem man das Gefühl hat, einen Kübel Eiswasser über den Schädel gekippt zu bekommen. Der Moment, in dem man sich einfach nur ganz, ganz schnell in Luft auflösen möchte, weil man die Peinlichkeit auf keinen Fall aushalten kann.

„Ich muss gleich noch weg“, behauptet er.

„Okay“, murmle ich.

„Und ’n Quickie mit dir ist mir zu wenig. Verdammt, hättest du mich nicht vor einer Stunde fragen können?“

Ich werde überhaupt niemals mehr solche Fragen stellen. Sieht man ja, was dabei rauskommt.

Zwei Tage später versetzt mir Dante am Telefon den nächsten Schlag. Die Band fährt am Wochenende nach Polen, um auf einem Festival zu spielen. Das wäre nicht weiter tragisch … aber Dante hat am Samstag Geburtstag und ich hab doch ein Geschenk für ihn und weil aber vorher noch so viel zu tun ist, hat er erst wieder nach Polen Zeit. Was für ein Fuck!

„Ich hätte dich echt gerne mitgenommen, aber mit Torben, Pia und den ganzen Schlagzeugteilen ist einfach kein Platz mehr im Auto. Bei Frieder auch nicht, weil Nicole eine Freundin und deren Freund mitschleppt.“

Na, das möchte man doch hören!

Damit ich ihn doch noch mal sehen kann, hab ich mich entschlossen, ihm das Geschenk vorbei zu bringen. Ist zwar doof, dass ich nicht dabei bin, wenn er es auspackt, aber egal.

Mein Besuch ist kurz, Dante hektisch. Richtig verabschieden tut er sich nicht. Ich hoffe, er freut sich dann wenigstens ein bisschen über die Kette. War gar nicht so einfach, da dran zu kommen. Ich hasse es, Sachen über ebay zu kaufen, weil einem meistens in letzter Sekunde die Klamotten vor der Nase weggeschnappt werden. Tine hatte mich mal gebeten, für sie schwarze Schuhe mit rosa Pudeln drauf zu ersteigern … da hat mich in der letzten Sekunde irgendeine Arschgeige überboten.


Das Wochenende war die Hölle. Ich hab mir nämlich angewöhnt, mich andauernd zu fragen, was Dante wohl grad macht. Tine wollte gestern schon inmitten meiner vielen Überlegungen die Flucht ergreifen und ist nur geblieben, weil ich ihr versprach, Dante den ganzen Abend über nicht mehr zu erwähnen. Das war schwer, aber ich hab mich dran gehalten.

Heute ist Sonntag, ich bin allein und kann nach Herzenslust herumspekulieren, ob er bereits auf dem Nachhauseweg ist, wann er wieder da ist, wann er sich meldet … ich hab ihn natürlich gestern versucht anzurufen, um ihm zu gratulieren, aber sein Handy war immer aus.

Wie lange braucht man überhaupt mit dem Auto von Polen zurück hierher? Ich weiß ja nicht mal, wo genau das Festival stattgefunden hat. Außerdem macht es mich nervös, dass ich keine Ahnung habe, ob Dante seinen Geburtstag vielleicht mit einem hübschen, polnischen Punkbengel gefeiert hat. Allein bei dem Gedanken wird mir schlecht bis zum Fuß. Mann, und er hat es nicht einmal für nötig gehalten, sich für die fucking Kette zu bedanken. Was ist denn das für eine Art, oder? Für zwei Sekunden hätte er wohl anrufen können. Blöder Scheißkerl!

Abends klingelt endlich das Telefon.

„Hey, Eli.“

„Alles Gute nachträglich.“

„Danke. Pass auf, wir sind grad … äh … irgendwo, ich könnte so in zwei Stunden bei dir sein, wenn du Zeit hast und wenn’s unterwegs keine Staus mehr gibt.“

„Klar hab ich Zeit. Aber willst du nicht lieber erstmal …“

„Mein Akku macht schlapp“, unterbricht er mich. „Wir sehen uns dann.“

Aus den zwei Stunden werden ungefähr dreieinhalb, es ist also quasi mitten in der Nacht, als Dante vor der Tür steht. Glücklicherweise sind grad Ferien.

„Sorry, ist ’n bisschen später geworden. Wir mussten noch Torbens Schlagzeug zum Proberaum karren, weil er Angst hatte, dass es ausm Auto geklaut wird.“

Er sieht müde aus, als hätte er mehrere Nächte durchgemacht. Und das Rot in seinen Haaren ist jetzt violett. Nebenbei … meine Haare sind wieder schwarz. Die blauen Strähnen fand ich zwar super, allerdings haben die sich sehr schnell rausgewaschen, da hätte ich also alle paar Tage nachtönen müssen, worauf ich keine Lust hatte.

„Wie war’s denn?“

„Das Festival? Total geil. Die Leute sind ziemlich auf uns abgefahren. Aber echt anstrengend. Hab nicht viel Schlaf gekriegt und dann noch das beschissen lange Fahren. Ich hätte Torben nicht erlauben sollen, die Rückfahrt zu übernehmen. Der Kerl hat null Orientierungssinn. Wäre ich nicht irgendwann weitergefahren, wären wir wahrscheinlich immer noch unterwegs.“

„Wir hätten uns auch morgen treffen können … ich meine, du bist doch bestimmt müde und so.“

Dante lächelt. Und zwar dermaßen umwerfend, dass sich mein Körper in Gelee verwandelt.

„Erstens …“, er friemelt am Ausschnitt seines Shirts herum und kramt die Kette raus, an der als Anhänger eine kleine, silberne Tattoomaschine baumelt, „ das ist super süß. Zweitens …“, langsam zieht er sein Shirt aus und kommt auf mich zu, „und drittens … ich will dich jetzt einfach nur noch ficken, Eli.“

Wow!

Besonders müde wirkt er dabei jedenfalls nicht mehr. Er wirkt ebenfalls nicht so, als hätte er das Wochenende über eine Gelegenheit zum Flachlegen gehabt … andererseits behaupten ja eh alle, dass Dante wahnsinnig sexgeil ist, also müsste ich ihn wohl direkt fragen. Allerdings vielleicht nicht grad, während wir noch … äh … gar nicht fertig sind. Das heißt, Dante schon, bei mir dauert’s heute ausnahmsweise ein bisschen länger. Möglicherweise weil mein Hirn nicht komplett abgeschaltet ist oder so.

„Ich hab dich vermisst“, wispert er mir plötzlich ins Ohr, während seine Hand weiter unten beschäftigt ist.

Okay, jetzt bin ich auch fertig.

Zufrieden kuschelt er sich in meine Arme.

„Zum nächsten Auftritt fährst du mit.“

„Wenn Platz im Auto ist.“

„Dafür sorg ich schon. Noch mal mache ich allein mit drei Pärchen jedenfalls nicht. Hey“, er hebt seinen Kopf und sieht mich an, „ich hab das eben übrigens nicht nur gesagt, damit du endlich kommst. Du hast mir echt gefehlt. Besonders als wir an dem Laden mit den Gartenzwergen vorbeigefahren sind.“

„Gartenzwerge?“

„Allerdings. Die standen draußen. Mehrere Reihen. Und es waren ausschließlich … Weihnachtsmanngartenzwerge. Und … wie soll ich sagen … einige davon saßen auf Schweinen.“

Ich muss mich kaputtlachen.

„Torben und Pia haben gar nicht verstanden, was an Weihnachtsmanngartenzwergen so lustig ist. Das hat mich total erschüttert.“

„Hast du die Zwerge auf den Schweinen bitte fotografiert?“

„Logisch.“

„Sehr gut“, gluckse ich.

„Siehst du? Ich hab gewusst, du würdest mich verstehen“, grinst er.


Ich habe eine Theorie. Die geht ungefähr so: Dante liebt mich, braucht aber das Gefühl, frei zu sein … solange ich ihm dieses Gefühl gebe und nichts von ihm verlange, bleibt er bei mir und vögelt keine anderen Typen!

„Deine Theorie ist romantischer Schwachsinn“, war Tines knapper Kommentar.

Na und? Selbst sie kann mal daneben liegen, oder? Inzwischen telefonieren Dante und ich nämlich nicht nur fast jeden Tag miteinander, wir verabreden uns auch zum Ausgehen. Wenn man das Bedürfnis hat, einen Kerl aufzureißen, nimmt man sich doch nicht schon einen mit.

„Es sei denn, man braucht einen verliebten Deppen, auf den man notfalls zurückgreifen kann, wenn man keinen anderen Typen findet“, erklärte Tine.

Das ist natürlich großer Blödsinn, weil die Kerle bei Dante Schlange stehen.

Übrigens fing sie dann schon wieder mit Marcel an. Ey, ich kann’s echt nicht mehr hören. Und ich traue ihm durchaus zu, dass er bald jemanden findet, der besser zu ihm passt, als ich es jemals getan hab.

Momentan bin ich dabei, ein paar Klamotten zusammenzupacken. Mom schaut mir skeptisch zu.

„Mir wäre erheblich wohler, wenn ich genau wüsste, wo du bist. Und wer fährt überhaupt? Und wehe, es setzt sich jemand betrunken hinters Steuer. Oder vollkommen übermüdet.“

„Dante fährt. Und wenn er müde oder volltrunken ist, kann ich fahren.“

„Du bist seit der Fahrprüfung kaum mehr gefahren und willst dann gleich so eine weite Strecke …“

„Mom“, unterbreche ich sie verzweifelt.

„Wo schlaft ihr denn? Hoffentlich nicht im Auto.“

„Nein. In einem Hotel. Ist alles schon organisiert. Wir sind ja schließlich keine Hippies auf dem Weg zu Woodstock. Wieso hast du eigentlich nie so einen Aufstand gemacht, wenn ich mit Marcel verreist bin?“

„Weil der vernünftig ist.“

„Ach so, und Dante ist ein Chaot, der besoffen einen Unfall verursacht, bei dem wir alle draufgehen, oder wie?“

„Das hab ich nicht gesagt.“

„Aber gedacht“, murmle ich.

„Ruf wenigstens kurz an, wenn du da bist.“

„Ich bin doch kein kleines Kind mehr“, rege ich mich auf.

„Als du noch mit Marcel zusammen warst …“

„Musste ich mich auch nicht andauernd bei dir an- und abmelden. Kannst du jetzt bitte runtergehen? Ich will in Ruhe meine Tasche packen und dann ins Bett, weil wir morgen ziemlich früh losfahren.“

Samstagmorgen werde ich um acht Uhr abgeholt und bekomme gleich einen Vorgeschmack, auf das, was mich wahrscheinlich noch erwarten wird. Ich darf mich nämlich hinten ins Auto zwischen diverse Beckenständer und Fußmaschinen sowie Dantes Basskoffer quetschen, während der bescheuerte Mitbewohner gemütlich vorn neben Dante sitzt. Alles kein Problem, die Fahrt dauert ja bloß sechs bis sieben Stunden. Irgendein kleiner Ort in Thüringen, den ich mir immer nicht merken kann.

„Lass deine Griffel von meinen Sachen“, ruft der Mitbewohner nach hinten, als ich versuche, mir ein wenig Raum zu verschaffen.

„Entschuldigung“, zische ich, „setz du dich doch hier hin und lass dich von deinen Sachen  aufspießen.“

„Wehe, da geht auch nur ein Fitzelchen kaputt.“

„Wenn ihr nicht aufhört, setze ich euch an der Autobahn aus“, erklärt Dante. „Und du, Dicker, konzentrier dich auf die Wegbeschreibung.“

Nach sechseinhalb Stunden und einer kurzen Pinkelpause sind wir dann endlich da. Allerdings erleben wir im Hotel eine böse Überraschung, weil nichts für uns reserviert wurde. Also fahren wir zum Club. Da wartet bereits Frieder mit seiner Freundin Nicole. Die Location sieht einigermaßen heruntergekommen aus. Und Frieder sieht einigermaßen genervt aus.

„Das war das letzte Mal, dass der einen Auftritt für uns klargemacht hat“, sagt er zur Begrüßung und meint offenbar den Mitbewohner.

Irgendein Veranstaltungsmensch faselt hektisch, dass umdisponiert werden musste und wir in einer Jugendherberge übernachten.

„Okay“, seufzt Dante, „können wir unser Zeug schon mal hier lassen?“

„Im Backstagebereich. Durch den Hof, die Treppe rauf.“

Die Treppe ist dermaßen schmal und steil, dass man beim Sachenraufschleppen Angst hat, abzustürzen und sich den Hals zu brechen. Und dass einem dabei ständig Leute von anderen Bands entgegen kommen, macht’s nicht einfacher.

Danach geht’s in die Jugendherberge, die sich vermutlich direkt aus den Siebzigerjahren an diesen Standort gebeamt hat. Als wir unser Zimmer betreten, erfolgt der nächste Schock.

„Etagenbetten“, lacht Dante hysterisch. „Dicker, du hast dich selbst übertroffen.“

„Der Typ am Telefon hat gesagt, wir kriegen Hotelzimmer“, verteidigt sich der bescheuerte Mitbewohner.

„Ey, das ist doch zum Kotzen“, mault Frieder. „Ich bin dafür, dass wir abhauen.“

„Lass mal“, schüttelt Dante den Kopf. „Ist ja bloß eine Nacht.“

„Wenn ihr mich fragt, steht es in den Sternen, ob wir von den Spaßveranstaltern auch nur einen Cent kriegen. Die versaufen doch nachher die Kasse.“

„Und zwar an einer lauschigen Hotelbar“, murmle ich und werfe meine Tasche auf eines der unteren Betten.

„Du hast wohl gar keinen Grund, dein Maul aufzureißen“, entgegnet Torben. „Du dürftest nicht mal hier sein. Deinetwegen musste meine Freundin zuhause bleiben.“

„Wenn sie das hier sehen könnte, wäre sie dafür sehr dankbar“, sagt Frieder.

Die Verteilung der Betten ist schnell erledigt. Drei relativ nette Typen einer anderen Band schlafen auch noch bei uns … und sind mindestens genauso erfreut über die schlechte Organisation.

Es geht weiter mit dem Soundcheck in der Minikneipe und warten im Backstagebereich, wo sich einige Punkmusiker gierig über das Catering, bestehend aus Schnittchen mit Petersilien- und Gürkchengarnitur, gekochten Eiern und Frikadellen, hermachen. Ich esse mein verbliebenes Bounty und Dante bekommt das Snickers.

Nebenbei finde ich es unglaublich, dass sich der blöde Mitbewohner bei mir ins Hemd macht, aber nichts dagegen hat, sein fucking Schlagzeug den drei übrigen Bands zur Verfügung zu stellen, weil sonst die Umbaupausen so lang wären und die Veranstalter vermutlich Panik haben, dass die fünf Gäste mittendrin abhauen. Okay, es sind mehr als fünf, eigentlich ist die Kneipe kurz vorm Beginn rappelvoll, was nichts heißt, weil die Kneipe sehr klein ist. Dantes Band ist zuerst dran, das bedeutet, dass wir wegen des fucking Schlagzeugs bis zum bitteren Ende hier rumhängen müssen. Mann, und ich hab irgendwie jetzt schon die Schnauze voll. Andererseits … ist es natürlich ein Erlebnis, Dante auf der Bühne zu sehen. Besonders die Coverversion von „Me and Bobby McGee“ ist unglaublich toll, Dantes Stimme wahnsinnig geil. Ehrlich, ich möchte das sofort auf CD haben! Übrigens kommt der lustige Britney-Song beim Publikum total gut an. Der Mitbewohner hat doch keine Ahnung.

Als die letzte Band mit ihrem Set fast durch ist, sind alle außer mir angeschickert. Oder, nee, Nicole ist auch noch nüchtern, weil die ihren Freund zur Jugendherberge karren muss. Immerhin hat Dante mich gefragt, ob ich nachher fahren kann. Einige Biere später hat er  gefragt, ob ich ihm backstage einen blasen würde, was ich mit einem klaren Nein beantwortete. Na ja, eigentlich hab ich ihn darauf hingewiesen, dass man dort wohl kaum ungestört ist und ihn an seine Erektionsprobleme erinnert, die auftreten, wenn Leute zuschauen.

Um tausend Uhr liegen alle in ihren Betten. Bis auf Dante, der liegt in meinem. Eigentlich fänd ich das gut, bloß ist das Bett für zwei Personen reichlich klein und Dante alkoholbedingt in Fummellaune, was mir persönlich in Anbetracht der Situation total gegen den Strich geht.

Als er friedlich schlummert, ziehe ich ins obere Bett um, weil ich da mehr Platz hab. An Schlaf ist trotzdem nicht zu denken, denn es ertönt ein Schnarchkonzert, das seinesgleichen sucht. Nicole, die jetzt Kopf an Kopf mit mir liegt, stöhnt vernehmlich.

„Ich bin’s nicht“, flüstere ich.

„Das ist der Typ mit dem Bart“, flüstert sie zurück.

„Woher weißt du das?“

„Bärtigen traut man lautes Schnarchen zu, oder?“

„Ich hätte es nicht schöner formulieren können“, kichere ich.

„Mann, ist das laut“, behauptet einige Minuten später jemand sehr genervt. Es ist der Bärtige, den wir in Verdacht hatten, woraufhin Nicole einen Lachanfall kriegt und ich auch nicht mehr an mich halten kann.

Offenbar bin ich doch noch eingeschlafen, denn als ich meine Augen öffne, sehe ich Dante neben mir liegen.

„Du hast mich einfach da unten alleine gelassen“, schmollt er. „Und irgendeiner hat total laut geschnarcht.“

„Aber nicht der mit dem Bart“, lacht Nicole, schleudert ihr Kissen zu uns rüber und startet somit eine kleine Kissenschlacht.

Das Frühstück ist überraschend schmackhaft. Es gibt Kaffee, Kakao, Brötchen, Marmelade, nachgemachtes Nutella. Ich hätte in diesem Siebzigerjahre-Ambiente eher mit Hagebuttentee und Graubrot gerechnet. Die Rückfahrt teilen Dante und ich uns. Der blöde Mitbewohner hält zum Glück sein dämliches Maul. Ach ja, das Geld für den Auftritt hat Dante gestern Abend noch bekommen. Ob sich Stress und Aufwand gelohnt haben, weiß ich jedoch nicht.


Die nächsten beiden Auftritte finden in der Nähe und ohne Übernachtungen statt. Das heißt, übernachtet wird schon … bei mir … aber nur Dante. Mit Nicole, die ihren Freund anscheinend überallhin begleitet, verstehe ich mich seit Thüringen ziemlich gut, also wenn wir uns mal sehen. Die ist spaßmäßig auf der gleichen Wellenlänge und fand die Weihnachtsmannzwerge auf den Schweinen auch zum Niederknien seltsam und lustig. Schade, dass ich die nicht live gesehen habe. Nicole hat übrigens behauptet, dass Dante viel ausgeglichener ist, seitdem er mit mir zusammen ist. Daraufhin sagte ich ihr, dass Dante mit niemandem zusammen ist, weil er von Beziehungen nichts hält. Sie verdrehte die Augen und lächelte.

Torben benimmt sich immer noch wie ein Volltrottel. Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich meinen, dass er eifersüchtig ist. Allerdings steht der wirklich überhaupt gar nicht auf Männer, also muss es doch was anderes sein. Na ja, ist mir eigentlich relativ egal, aber es ist halt anstrengend, permanent angefeindet zu werden. Und zwar auf so eine widerwärtige Art und Weise. Kleines Beispiel … wir sitzen in der Küche, der Mitbewohner gießt allen Kaffee ein, übersieht meine leere Tasse jedoch. Oder er unterhält sich stundenlang mit Dante über Leute, die ich nicht kenne, reißt Insider-Witze, die ich nicht verstehe, und so weiter. Wenn ich mal was sage, ignoriert er es oder er tut so, als sei ich irgendwie geistig minderbemittelt. Das nervt!

Heute schlafe ich bei Dante, weil der Mitbewohner nicht da ist. Und Dante war letztes Wochenende nicht da, weil er mit Crazy auf einer Convention war, wo kräftig Werbung für das Studio gemacht wurde. Die ganze Woche haben wir uns nicht gesehen und jetzt muss ich mir möglichst interessiert die Bilder anschauen. Bilder von Crazy. Vielleicht wäre gerade ein guter Zeitpunkt, es Dante zu sagen. Aber der schwärmt schon wieder dermaßen, dass mir fast übel wird. Außerdem ist es ein sehr, sehr eigenartiges Gefühl, den Typen anzukucken, damit muss ich erstmal selbst irgendwie fertig werden. Halblange, braune Haare hat er, zu einem nachlässigen Zopf gebunden. Schlank ist er, trägt ’ne Schnürlederhose und ein T-Shirt ohne Ärmel mit dem Logo seines Studios. Ein Arm ist komplett tätowiert, der andere hat noch einige freie Stellen. Crazy grinst freundlich in die Kamera. Na ja, was hab ich denn erwartet? Eine pockennarbige Monsterfresse?!

„Es wird Zeit, dass du Crazy endlich kennen lernst“, findet Dante.

„Und danach kannst du mich gleich deiner Mutter vorstellen“, entgegne ich.

„Was’n mit dir los?“

„Gar nichts. Aber erinnere dich mal, was du für einen Aufstand gemacht hast, als du meine Freunde getroffen hast.“

„Das ist was anderes.“

„Ach ja?“

„Wenn ich dich steche, ist Crazy eh da“, zuckt er die Schultern.

Leider! Ich hoffe insgeheim immer noch, dass ich das irgendwie umgehen kann. Und zwar die Sterne und Crazy. Obwohl… die Sterne will ich inzwischen wirklich gerne haben.

„Übrigens findet er die hier“, Dante spielt mit dem Kettenanhänger, „auch niedlich.“

Ja, ich kann mir ungefähr vorstellen, was Dante gesagt hat: Die ist von so ’nem Typen, den ich ab und zu ficke! Ich hab jedenfalls keine Angst mehr, dass er bei Crazy meinen Namen erwähnen könnte. Und selbst wenn … Crazy wird sicher nicht sofort aus dem Nähkästchen plaudern, dass er auch mal einen Elias kannte.

„Hauptsache, dir gefällt sie.“

„Allerdings. Hab ich mich eigentlich schon ausreichend dafür bedankt?“

„Es geht.“

Dante rückt ein Stückchen näher, bringt mich auf dem Bett in eine liegende Position und küsst mich irre süß, während seine Hände unter mein Shirt wandern.

„Soll ich dir jetzt meine Flügel zeigen?“, grinst er nach einer Weile knutschen und schmusen.

„Darf ich dich was fragen?“, plappert es schon wieder eher ungewollt aus mir heraus.

„Äh … klar“, antwortet er etwas irritiert.

„Warum lässt du dich nicht ficken?“, frage ich und werde vermutlich volle Kanne rot.

„Weil’s mir nicht so viel bringt.“

„Oh … verstehe.“

„Eli“, lächelt er plötzlich überrascht, „ich dachte, dass du eher … hm, also wenn du gerne möchtest … okay.“

„Nee. Nicht, wenn es dir unangenehm ist.“

„Na ja, ich find’s nicht völlig daneben und du hast offensichtlich Lust drauf. Aber, hey, sei ein bisschen vorsichtig, ja? Ist ziemlich lange her.“

Mann, darüber zu reden ist viel schwerer, als es einfach zu tun. Deshalb lege ich meine Hemmungen kurz beiseite und … übernehme ausnahmsweise mal die Führung. Und Dante lässt sich tatsächlich darauf ein. So irgendwie. Es scheint ihm schwer zu fallen, die Kontrolle abzugeben, denn obwohl ich in ihm bin, bestimmt er trotzdem, wo’s langgeht. Vielleicht darf man beim ersten Mal nicht zu viel erwarten.

Als wir später eng umschlungen herumliegen, sieht er sehr zufrieden aus. Allerdings ist Dante immer zufrieden, solang er eine ordentliche Ladung Sperma abbekommt … ah, das ist jetzt nicht so widerwärtig gemeint, wie es möglicherweise klingt! Ich hab echt kein Problem damit, dass er darauf steht.

„Hab ich dir erzählt, dass ich Crazy was stechen darf?“

„Ey, ich hab dich grad gevögelt und DAS ist alles, was dir einfällt?“, entgegne ich fassungslos. „Ich werd wohl Torben fragen müssen, wenn ich wissen will, was du denkst.“

„Du willst wissen, was ich denke? Okay … es war besser als erwartet, zählt aber trotzdem auch weiterhin nicht zu meinen bevorzugten Varianten.“

„Vielen Dank.“

„Dass ich mich von dir hab ficken lassen, bedeutet einiges“, setzt er noch einen drauf.

„Cool. Wieso sagst du mir nicht noch eben, wie geehrt ich mich fühlen darf, dass du mir gnädigerweise erlaubt hast, meinen Schwanz in deinen Hintern zu stecken?!“

„Eli … du bist scheiß ordinär, weißt du das?“

„Passt doch ganz gut zu niedlich versaut.“

„Ich verstehe grad nicht, weshalb du auf einmal beleidigt bist.“

Also mir ist das völlig klar. Allerdings kann ich’s ihm nicht erklären und das ist doof. Weil es absolut nicht um Sex geht, sondern … fuck, ey, ich will eine verdammte Liebeserklärung, die ich natürlich niemals kriegen werde, denn wir reden hier von Dante Engels.

„Ich bin überhaupt nicht beleidigt“, lüge ich und kuschle mich in seine Arme. Zu spüren, dass er mich irgendwie gern hat, muss halt reichen. Mal wieder.


Dante geht seit Tagen total auf Abstand, meldet sich nie und wenn ich ihn anrufe, ist er kurz angebunden und genervt. Vorgestern im Jugendzentrum hat er mich ziemlich links liegen gelassen, dafür aber mit Blondie und irgendwelchen anderen Jungs geflirtet. Übrigens macht er das nicht nur dort, sondern auch im Internet. Bei Myspace, Facebook, Twitter oder wie diese unnützen Netwerke heißen. Jedenfalls hat er ungefähr überall ein Profil und … das Peinliche an der Sache ist, dass sich Dante da gerne mindestens drei Jahre jünger macht. Keine Ahnung, was das soll und eigentlich will ich mich dazu auch gar nicht weiter äußern. Natürlich finden ihn im Internet auch alle toll. Es ist ekelhaft. Völlig fremde Arschgeigen, die so originelle Nicknames haben wie Emoboysowieso oder Sowiesoemoboy oder Sluttyirgendwas, schreiben, dass er sexy ist und geil und sie sich wie blöde einen runterholen. Logischerweise wollen sich auch alle von ihm stechen lassen. Aber die meinen nicht tätowieren, sondern ficken, glaub ich. Und Dante schreibt den Pissflitschen mindestens genauso dämlich zurück. Klar, dass er für mich keine Zeit mehr hat, muss ja ununterbrochen seinen achthundert Millionen Internetfreunden schlüpfrigen, frivolen Fuck schreiben.

Dafür hat Marcel mich letztens angerufen und wir haben uns so was wie ausgesprochen. Ich hab versucht, ihm zu erklären, dass es bei uns schon vor „dem Tattoo-Heini“ nicht mehr richtig lief und wir uns vielleicht einfach in zu unterschiedliche Richtungen bewegt haben. Unsere Trennung tut ihm immer noch weh und er ist auch immer noch enttäuscht, hofft aber, dass wir irgendwann freundschaftlich miteinander umgehen können. Wer weiß, vielleicht ist das ja tatsächlich möglich. Vielleicht muss man sich nicht zwangsläufig bis ans Lebensende hassen, nur weil es beziehungsmäßig vorbei ist. Keine Ahnung, ich hab nicht besonders viel Erfahrung mit Exfreunden.

So, Dantes Handy ist seit Stunden aus, ich hab Nachrichten auf seiner Mailbox hinterlassen, er hat mich nicht zurückgerufen und ich hab jetzt die Schnauze voll, schwinge mich aufs Fahrrad und hoffe, dass er zuhause ist.

Leider ist der blöde Mitbewohner auf jeden Fall zuhause, denn er öffnet die Tür und schenkt mir gleich mal einen totalen Arschlochblick.

„Ist Dante da?“

Der Mitbewohner hält es nicht für nötig, mir zu antworten oder mich reinzulassen, aber immerhin schreit er nach seinem Kumpan, der eine Minute später an der Tür erscheint.

„Waren wir verabredet?“

Meine Güte, ist bei dem die Eiszeit ausgebrochen??

„Nee. Ich dachte nur, wir könnten … äh … wegen der Sterne …“

„Hast du vor, jeden Tag herzukommen und nach deinen Sternen zu fragen? Ich melde mich, wenn ich dafür Zeit hab, das sagte ich dir bereits.“

Torben grinst blöde und verpisst sich. Gott, ich hasse diesen Typen wirklich!

„Darf ich vielleicht kurz rein?“

„Okay“, nickt er. „Aber echt nur kurz, ich hab noch zu tun.“

Großartig.

„Also … was gibt’s?“, fragt er als wir in seinem Zimmer sind.

„Es wäre nett, wenn du mir das sagen würdest.“

„Hä?“

„Wieso rufst du mich nicht mehr an?“

„Warum sollte ich? Du tauchst doch eh überall auf, wo ich bin.“

„Ich war im Jugendzentrum. Das ist wohl kaum überall.“

„Ja, aber wenn ich Lust hab, dich zu sehen, lass ich es dich wissen. Und hör bitte auf, meine Mailbox vollzumüllen, okay?“

„Entschuldige, du hast nicht zurückgerufen und …“

„Muss ich springen, wenn du pfeifst?“

Fast hätte ich ihn gefragt, ob er den Arsch auf hat. „Als hättest du das jemals getan“, murmle ich stattdessen. „Es geht doch immer nur nach deinem Kopf.“

„Wenn’s dir nicht passt … da ist die Tür.“

Ich sollte mir solch ein Verhalten nicht gefallen lassen und gehen. Allerdings wollen sich meine Füße nicht bewegen. Die stehen wie festgeklebt auf dem Boden und wahrscheinlich auch ein bisschen unter Schock. Ey, wie kann der denn so arschig sein? Und warum auf einmal?

„Was ist los, Dante?“

„Du klammerst zu sehr“, schüttelt er den Kopf.

Oh, das war mir nicht bewusst. In den letzten Wochen war er derjenige, der mich dauernd sehen wollte, der mich zu seinen Auftritten mitgenommen hat, der mir unbedingt ein Tattoo verpassen wollte. Ich hatte gar keine Möglichkeit zum Klammern, weil er … hm, er scheint schlimme Wahrnehmungsstörungen zu haben.

„Am Anfang fand ich’s ja süß und so, aber inzwischen geht’s mir echt nur noch auf die Nerven. Ich möchte dich nicht jeden Tag sehen und ich hab auch keinen Bock, dich jeden Tag anzurufen“, erklärt er.

„Hab ich das verlangt?“

„Ich weiß genau, was du erwartest. Aber du solltest endlich begreifen, dass wir nicht zusammen sind. Wenn du einen zweiten Marcel suchst … hier findest du ihn nicht.“

Ey, sein Gefasel pisst mich aber jetzt total an.

„Ich suche überhaupt nichts. Und schon gar nicht bei dir. Ich bin vielleicht verliebt in dich, aber sicher nicht so blöde zu glauben, dass dir das irgendwas bedeuten würde. Ich hab sehr wohl verstanden, dass ich gut genug bin, wenn du Stress mit deiner Mutter, mit Torben und dem Rest der Welt hast oder wenn dir grad nach niedlich versautem Sex ist. Weißt du was, Dante? Schnapp dir Blondie, der traut sich bestimmt nicht, zu sehr zu klammern. Und der macht auch bestimmt immer nur genau das, was DU willst. Oder flirte weiter mit deinen Internet-Emosluttys, die dich anschmachten und dir alle einen blasen wollen. Oder noch besser … fick dich doch einfach selbst.“

Auf dem Weg nach Hause toben sehr unterschiedliche Gefühle in mir. Ich bin wütend und traurig. Einerseits möchte ich mir für den coolen Abgang auf die Schulter klopfen. Andererseits hab ich Panik, dass es Dante völlig egal ist, ob ich da bin oder nicht. Immerhin  kann er Sex an jeder Ecke kriegen und zum Quatschen hat er ebenfalls genügend andere Leute. Wozu braucht er mich schon? Scheiße, verdammte, das mit dem Verliebtsein ist mir aus Versehen so rausgerutscht. Das Fick-dich-selbst nicht, das war geplant und es tut gut, ihm das gesagt zu haben. Na ja, ich hatte eh keine andere Wahl. Schließlich konnte ich die ganzen Unverschämtheiten, die er mir heute und überhaupt an die Rübe geknallt hat, nicht auf mir sitzen lassen, richtig?! Man muss nicht alles schlucken, bloß weil man verliebt ist. Das ist eine neue Erfahrung. Ich hab mich in drei Jahren Beziehung nicht ein einziges Mal ernsthaft mit Marcel gestritten, obwohl mir einiges nicht gepasst hat … aus Angst, er könnte dann weggehen. Die Angst habe ich bei Dante sogar noch mehr und ich weiß nicht, was ich mache, wenn es das jetzt gewesen ist.

Drei Tage später bin ich überzeugt davon, dass ich Dante niemals wieder sehen werde. Ich stolpere wie ein Zombie umher, weil ich kaum noch schlafe, mir zum Kotzen schlecht ist und ich alle paar Stunden heftig in Tränen ausbreche. Inzwischen bereue ich, was ich ihm alles gesagt habe … auch wenn Tine meint, dass es richtig war.

Am fünften Tag bin ich beinahe soweit, ihn anzurufen und mich zu entschuldigen. Bevor ich mich das jedoch trauen kann, klingelt’s bei mir und Dante steht leibhaftig draußen … in einem bunten Drop-Dead-Shirt, das so kurze Ärmel hat, dass man seine Flügel sehen kann. Meine Wut kehrt augenblicklich zurück.

„Was willst du?“

„Darf ich dir das oben erzählen?“

„Wenn’s unbedingt sein muss“, zucke ich die Schultern und würde ihn grad am liebsten die Treppe rauftreten … und danach sofort küssen, was mich noch mehr ärgert.

„Eli, ich … es war … du bist … ich wollte nicht …“, stammelt er angestrengt, glotzt bedröppelt auf den Boden, sieht mich an und seufzt, „verdammt, hilf mir doch wenigstens ein bisschen.“

Ich kaufe ihm die Verzweiflung eigentlich nur so halb ab, allerdings reicht das bereits, um einen Schritt auf ihn zuzugehen und ihn zu umarmen.

„Alles gut“, flüstere ich.

Es dauert bloß ein paar Sekunden bis wir knutschend auf dem Bett liegen.

„Das stimmt nicht“, schüttelt er plötzlich den Kopf.

„Was?“

„Dass alles gut ist. Eli, ich weiß, dass du in mich verliebt bist, aber … ich will halt keine Beziehung wie du sie dir vorstellst. Ich will ficken, wenn ich Lust dazu habe, und zwar den Typen, auf den ich grad Lust habe, ohne mir Gedanken machen zu müssen. Und ich werde mich für dich auch nicht ändern.“

„Damit komme ich klar“, lüge ich.

Dante lächelt beschissen mitleidig. „Du wirst doch schon eifersüchtig, wenn ich lustig mit Jungs flirte, die ich in echt gar nicht kenne, die kilometerweit weg sind, wahrscheinlich noch bei ihren Eltern wohnen und ich deshalb nicht mal im Traum daran denken würde, was mit denen anzufangen.“

„Ja, aber nur wenn du mich wochenlang ignorierst und mir sagst, dass dir meine Anwesenheit auf die Nerven geht. Es gab übrigens Momente, da hast du behauptet, dass ich der Einzige bin, der dich nie nervt. Außerdem wohne ich auch noch bei meinen Eltern, also hält dich so was wohl kaum ab.“

„Vergiss, was ich gesagt habe … ich meine, dass du mich nervst. Es ist nur … dass du in mich verliebt bist, macht’s kompliziert, weil du eben doch gewisse Dinge von mir erwartest und wenn ich die nicht erfülle, bist du verletzt und enttäuscht, ich krieg ein schlechtes Gewissen …  und das ist dann genau die Scheiße, die ich nicht haben will.“

„Ich hab vor langer Zeit aufgegeben, irgendetwas von Leuten zu erwarten. Ungefähr das Beste, was mir mein abwesender Erzeuger beigebracht hat“, entgegne ich bitter. „Offenbar gehörte ich auch zu der Scheiße, die er nicht haben wollte.“

„Steck mich nicht mit so einem Versager in eine Schublade, okay? Du bist mir doch nicht egal, Eli. Ich hab dich echt gern.“

„Ehrlich?“

„Hätte ich dich sonst so oft meine Arme lecken lassen?“, grinst er.

„Was weiß ich? Vielleicht lässt du jeden …“

„Lass ich nicht.“

„Außerdem, so oft war das gar nicht. Oder sagen wir … nicht oft genug.“

„Äh … damit wir uns richtig verstehen … wir meinen …“

„Sex“, nicke ich und küsse ihn.

„Das ist jetzt vielleicht keine gute Idee.“

Meine Hand streicht über seine Brust, seinen Bauch und gleitet noch ein Stück tiefer.

„Dann geh doch.“

„Es wäre einfacher, wenn ich nicht so elendig scharf auf dich wäre“, behauptet er und knutscht mich dermaßen heftig, dass ich fast Sterne sehe.

Na ja, es wäre auch einfacher zu genießen, wenn man die ganzen blöden Gedanken abstellen könnte, was mir beim Sex mit Dante immer weniger zu gelingen scheint.

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