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Achterbahn
Teil 7
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Informationen
- Story: Achterbahn
- Autor: Chelsea
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Lovestory
Seit zwei Tagen liegt der beknackte Zettel mit Dantes Adresse auf meinem Schreibtisch. Das heißt, ich schiebe ihn eigentlich seit zwei Tagen hin und her. Einmal hab ich ihn sogar in den Mülleimer geworfen und einige Sekunden später wieder rausgeholt. Danach kam ein Stapel Bücher drauf, damit er aus meinem Blick verschwand. Und was soll ich sagen? Ich konnte trotzdem nicht aufhören, an ihn zu denken. Ey, dieser beschissene Zettel macht mich total fertig. Gestern bin ich in ein altbekanntes Muster zurückgefallen … ich bin auf Dantes Profilseiten gegangen. Alles wie gehabt. Die Sluttys wollen noch immer, dass er ihnen an die Wäsche geht. Bloß geantwortet hat er schon länger nicht mehr. In seinem letzten Eintrag, der Wochen her ist, meinte er, der Welt mitteilen zu müssen, dass die Outlines seines neuen Tattoos am Unterarm fertig sind. Jaaaa, wahnsinnig interessant, Engels. Der vorletzte Eintrag bestand aus einem Link zur Seite des SM-Schmuddelfotografen. Ich hätte den verschissenen Link ignorieren sollen, dann hätte ich jetzt nicht diese Bilder im Kopf. Dante, der sich in einem offenen, schwarzen Flatterhemd und in nicht zu weiten, nicht zu engen, einfach nur perfekt sitzenden Jeans auf einer Couch räkelt. Und zwar in so zum Kotzen lasziv lässigen Ich-bin-Rockstar-und-weiß-genau-wie-irre-sexy-ich-aussehe-Posen! Meine Güte, der Schmuddelfotograf hat sicherlich die ganze Zeit über auf seine Kamera gesabbert. Besonders als er Dante mit Hand in der Hose knipsen durfte. Hoffentlich durfte der große „Künstler“ hinterher nicht SEINE Hand in Dantes Hose stecken! Übrigens … er trägt immer noch die Kette mit dem silbernen Tattoomaschinen-Anhänger.
Ich weiß, ich sollte es nicht tun. Und wahrscheinlich ist es … Perlen vor die Säue. Aber es sind die Umstände, die mich dazu veranlassen. Immerhin hat er sich auch um mich gekümmert, als ich die Pocken hatte. Sehr liebevoll, möchte ich betonen. Er ist ganz allein. So was wünscht man einem, der krank ist, einfach nicht. Auch wenn es nur eine harmlose Grippe ist. Allerdings sterben jedes Jahr soundso viele Leute an einer vermeintlich harmlosen Grippe. Ja, wer soll denn nach ihm sehen, wenn nicht ich, verdammte Scheiße? Seine Fuckbooksluttys sicher nicht.
Unterwegs kaufe ich im Supermarkt eine Tüte Eukalyptusbonbons, Zitronen und Honig, dann fahre ich zu ihm, klingele ein paar Mal und … niemand öffnet. Supi! Bestimmt fickt er grad die Emo-Pissnelke, während ich mir Sorgen mache, dass er krepiert. Mann, was bin ich für ein Vollidiot?! Als ich schon wieder gehen will, summt der Türöffner. Den kann ich leider nicht ignorieren. Ich drücke die Tür auf und stakse mit bemerkenswert wabbeligen Beinen die Treppenstufen hoch.
„Eli?“, nuschelt es mir entgegen.
Ah, er steht schon mal allein in der Tür. Das muss allerdings nichts heißen. Möglicherweise liegt die Emo-Pissnelke noch in seinem Bett. Fertig genug dafür sieht er auf alle Fälle aus. Schlabberklamotten, Haare verwuselt und wahrscheinlich nicht besonders frisch gewaschen, verquollene Augen, rissige Lippen und … wie soll ich sagen … er trägt einen Bart! Also keinen Vollbart, mehr so ein paar Tage nicht rasiert. Ich finde Bärte allgemein fies, es sei denn, man ist Johnny Depp.
„Ich hab Zitronen gekauft“, erkläre ich blödsinnig und schwenke meine Tasche. Gut, dass ich nicht Baby bin und eine Wassermelone getragen habe!
„Woher weißt du … Crazy, ja?“
„Kann ich rein oder bist du beschäftigt?“
„Was zum Teufel willst du hier?“, fragt er reichlich genervt.
„Krankenbesuch“, antworte ich knapp, schiebe mich an ihm vorbei und suche die Küche.
Die neue Wohnung ist kleiner, aber ebenso aufgeräumt wie seine alte Behausung. Die Wände sind farbig gestrichen … der Flur hellblau, die Küche gelb und rosa.
„Hast du eine Zitronenpresse?“, rufe ich.
Dante erscheint an der Küchentür.
„Hä?“
„Du kannst die Zitronen wohl schlecht auslutschen.“
„Keine Ahnung, wie sieht das Teil denn aus?“
„Wer hat’n deine Wohnung eingerichtet?“, schüttle ich den Kopf, sehe mich um und finde die Presse in einem der Hängeschränke, wo günstigerweise auch die Tassen stehen.
„Bitte, fühl dich wie zuhause“, murmelt er und schlurft davon.
Die heiße Honigzitrone bringe ich ihm ins Schlafzimmer und muss kurz aufpassen, dass ich keinen Lachanfall bekomme. Das Zimmer ist abgedunkelt, neben ihm liegen eine Schlafbrille und eine Der-kleine-Eisbär-Wärmflasche auf dem Kissen. Auf dem schwarzen Nachttisch liegt eine Schachtel Pillen, daneben stehen ein Glas und eine Flasche Mineralwasser. Herr Engels selbst hängt theatralisch im Bett wie ein sterbender Schwan, die linke Hand dramatisch an der Stirn.
„Was spielst du denn?“, frage ich amüsiert. „Alternde Hollywood-Diva?“
„Geht dich das was an?“
„Trink die Zitrone.“
„Wieso?“
„Vitamine sind auch noch wichtig, wenn die Erkältung vorbei ist.“
„Vorbei … mein Hals tut immer noch weh. Au, die ist viel zu heiß“, zischt er nach dem ersten Schlückchen.
„Soll ich pusten, mh?“
„Am besten du verschwindest ganz schnell.“
Das mache ich natürlich nicht, sondern schnappe mir die Pillenschachtel und studiere aufmerksam den Beipackzettel. Mann, die Dinger haben es echt in sich! Gedächtnisverlust, Halluzinationen, Lichtempfindlichkeit, Depressionen, Unruhe, Reizbarkeit, abnormes Denken … sind nur einige der Nebenwirkungen.
„Wieso nimmst du so ein Scheißzeug?“
„Steht doch drauf.“
„Du hast keine Schlafstörungen, Engels.“
„Danke, Doktor Bialik.“
„Weniger rumficken und abends heiße Milch mit Honig, das tut’s auch. Und du verzichtest auf Depressionen, Übelkeit und abnormes Denken.“
„Wie gesagt … danke, Doktor Bialik“, lächelt er horrorartig.
„Weißt du eigentlich, dass die Pillen abhängig machen?“
Dante verdreht bloß die Augen.
„Okay, also was ist los mit dir?“
„Keine Ahnung, was du meinst.“
„Torben“, helfe ich ihm auf die Sprünge.
„Es war einfach an der Zeit, mir was Eigenes zu suchen.“
„Aha. Hier, für deinen Hals“, erkläre ich und lege die Bonbontüte auf seinen Nachttisch.
„Ich hasse Eukalyptusbonbons, die sind zu scharf. Ich mag nur Hustelinchen.“
„Huste… was?“
„Hustelinchen“, wiederholt er, als sei ich irgendwie schwachsinnig.
„Ich kenne den Hustinettenbär. Und den grünen Husten.“
„Den kenne ich auch“, grinst er zum ersten Mal, „der ist cool, der trägt eine Sonnenbrille.“
„Und wird vom Tee erschlagen. Rutsch mal rüber.“
„Hä?“
Ich ziehe meine Schuhe aus, schiebe ihn ein Stück zur Seite und lege mich neben ihn.
„Was wird denn das?“
„Als ich die Pocken hatte, bist du mir auch auf den Sack gegangen. Das kriegst du jetzt alles zurück.“
„Da waren wir aber noch zu…“, weiter kommt er nicht, weil er fürchterlich anfängt zu niesen und stundenlang in diverse Taschentücher schnäuzen muss. „Fuck, ey“, näselt er anschließend, kuschelt sich an mich und ist ein paar Minuten später eingeschlafen.
Schlafstörungen, mh? Haha!
Seufzend lege ich meinen Arm um ihn, versuche eine halbwegs bequeme Position zu finden, angle nach der Fernbedienung und zappe tonlos durch die Fernsehprogramme. Nachmittags laufen hauptsächlich Familien-Reality-Dokus, Shopping-Queens und derartiger Müll. Das alles ist selbst ohne Ton kaum zu ertragen. Ich bleibe schließlich irgendwo bei einem Zeichentrickfilm hängen. Dafür schalte ich den Ton wieder an, aber ganz leise. Jedenfalls geht es offenbar um ein winzig kleines Mädchen, das von hässlichen Viechern entführt wird. Und es erscheint ein hübscher Feenprinz in sehr engen, grünen Klamotten und mit glitzernden Flügeln, der auf einer dicken Hummel reitet. Mein lieber Schwan, ich glaube, das ist mit Abstand das Schwulste, was ich bisher gesehen habe!
„Ach du Scheiße … das ist das Schwulste, was ich jemals gesehen hab“, murmelt Dante verpennt.
„Ich fand deine SM-Fotos viel schwuler.“
„Wenigstens saß ich dabei nicht auf einer … dicken Hummel. Stehst du neuerdings auf Kinderfilme?“
„An deine tollen Klassiker reichen die natürlich nicht heran“, verdrehe ich die Augen.
„Deshalb sind’s ja auch Klassiker. Du, Eli …“, er hebt den Kopf und glotzt mich leidend an, „machst du mir bitte noch ’ne Zitrone?“
„Klar“, sage ich und gehe in die Küche.
Fuck, ey! Wenn Tine wüsste, wo ich die letzten paar Tage und Nächte verbracht habe, würde sie mir die Rübe abhacken und einen schönen Schrumpfkopf daraus machen. Deshalb verheimliche ich. Mal wieder. Dabei bin ich nur bei Dante, weil es ihm nicht gut geht. Und weil er sonst niemanden hat. Seine Fickfreunde und Ex-Mitbewohner interessieren sich nämlich einen Scheiß für ihn. Natürlich schlafe ich auf der Couch. Zu wissen, dass jemand da ist, reicht Dante offenbar, denn er braucht momentan keine Pillen mehr. Müsste sich auch eh erst welche verschreiben lassen, weil ich die halbvolle Schachtel entsorgt habe. Beschissene kleine Diva! Wenn er die Pillen wenigstens gescheit mit Champagner runterspülen würde … wie Marilyn, die er ja so toll findet … aber so was ist wohl selbst für ihn zu viel Drama.
Jedenfalls geht es Dante langsam besser und ich könnte eigentlich langsam aufhören, ihn zu besuchen. Immerhin will er in ein paar Tagen wieder arbeiten. Aber irgendwie mag ich mich gerne um ihn kümmern. Möglicherweise habe ich meinen Beruf verfehlt und sollte lieber Krankenschwester werden? Das Gute ist: Ich denke nicht eine Sekunde darüber nach, Dante zu küssen. Beziehungsweise, ich will ihn überhaupt nicht küssen. Und seine Flügel, die er mir gefühlt ständig präsentiert, sind mir ebenfalls egal. Vom Arme-lecken-wollen bin ich vollkommen weg. Ehrlich, ich kann neben ihm aufm Bett sitzen und mir mit ihm irgendwelche Klassiker reinziehen … es macht mich nicht nervös, ich hab kein Herzklopfen und verspüre nicht den geringsten Drang, ihn anzufassen oder mich an ihn zu kuscheln. Das ist doch super. Und genau deshalb erzähle ich Tine nichts. Die würde mir nämlich mit Sicherheit einreden, dass ich bescheuert bin und bloß verdränge, dass ich ihn immer noch liebe. Nebenbei, Dantes neues Tattoo ist zwar noch nicht komplett ausgefüllt, aber trotzdem schon von bemerkenswerter Hässlichkeit. Ein Schlangenvieh mit sehr muskulösen Armen und mit Stacheln am Kopf.
„Ich hab dir was mitgebracht“, verkünde ich.
Dante schließt die Tür und folgt mir ins Wohnzimmer.
„Was’n?“
„Für die nächste Erkältung“, erkläre ich und krame aus meiner Tasche eine Tüte.
„Hustelinchen“, krakeelt er. „Oh, wie süß.“ Augenblicklich reißt er die Tüte auf und steckt sich ein Bonbon in den Mund. „Danke“, sagt er höflich, legt eine Hand in meinen Nacken und … will mich offenbar küssen.
„Ja, ja, schon gut“, murmle ich und schiebe ihn weg. „Was machen wir gerade?“
„Hab ein bisschen gezeichnet.“
„Cool.“
„Na ja, geht so.“
Wir setzen uns auf die Couch und sagen kein Wort mehr. Dante lutscht verbissen sein Bonbon. Irgendwie hat er mit seinem dämlichen Knutschversuch alles kaputt gemacht, was wir in den letzten Tagen hatten. Ich bin total angespannt.
„Eli, ich wollte mich eben nur bedanken. Nichts weiter.“
Klar. Bei ihm ist es immer „nur“ und „nichts weiter“. Er hat nur aus Spaß mit tausend Typen gevögelt und das bedeutete ihm nichts weiter. Er hat mir nur das Herz gebrochen, nichts weiter.
„Ich sollte jetzt gehen“, sage ich.
„Okay.“
„Bist ja auch wieder gesund und brauchst keine Krankenschwester mehr.“
„Und wenn ich nachher nicht einschlafen kann?“
„Dann lass dir Pillen verschreiben.“
Ja, ja, Tines Stimme in meinem Kopf hatte recht. Ich liebe ihn immer noch. Und es macht mich immer noch fertig, dass er mich nicht liebt.
Nach der Krankenschwesternepisode herrscht zwischen Dante und mir erst mal wieder Funkstille. Ich weiß allerdings von Crazy, dass er inzwischen wieder arbeitet und … wahrscheinlich fickt er auch wieder. Also alles wie gehabt. Natürlich musste ich Tine doch noch erzählen, dass ich mich einige Tage um Dante gekümmert hab. Zuerst hat sie mich angebrüllt, weil ich rückfällig geworden bin, dann war sie stolz auf mich, weil ich den Absprung geschafft habe. Das mit dem Absprung ist so eine Sache … ich ertappe mich dabei, dass ich ganz schön viel an ihn denke. Mann, warum ist es eigentlich so verdammt schwer, von diesem Kerl loszukommen? Die Antwort kann ich mir sehr leicht selbst geben, als Dante eines Abends vor der Tür steht.
„Ich wollte mich revanchieren“, erklärt er und schwenkt einen schwarzen Stoffbeutel herum, „weil du mich quasi aus dem Drogensumpf gerettet hast.“
„Das ist total nicht nötig“, murmele ich fix und fertig.
„Doch, doch“, behauptet er fröhlich und marschiert in mein Zimmer.
Übrigens … an seiner hellblauen Kapuze sind kleine Ohren dran und als er seinen Mantel ausgezogen hat, sieht man, dass die Kapuze zu einer hellblauen Jacke gehört. Eine hellblaue Jacke mit großen Augen drauf und einem Smiley-Mund. Am Reißverschluss baumelt eine Wolke mit ’nem Regenbogen. Unglaublich, dass er sich traut, so etwas in der Öffentlichkeit zu tragen. Scheiße, ist das niedlich! Seit er nicht mehr pseudo-krank zu Hause rumgammelt, sieht er sowieso auch wieder besser aus … der Bart ist weg. Geschäftig kramt er in seiner Tasche herum, wirft eine Tüte mit bunt überzogenen Weihnachtsplätzchen aufs Bett und anschließend einen Tetrapack Wintertee dazu.
„Den muss man heiß trinken“, bemerkt er.
Als ich mit zwei Tassen ins Zimmer zurückkomme, hat Dante es sich auf meinem Bett bequem gemacht und verspeist einen rosa Engelkeks.
„Hast du die … selbst gebacken?“
„Ja, klar. Und morgen gibt’s dann die komplizierte Cremetorte“, lacht er sich kaputt. „Die sind von so ’nem Mädchen.“
„Mädchen?“, frage ich belämmert und setze mich neben ihn.
Er nickt kauend.
„Seit wann backen dir irgendwelche Mädchen Kekse?“
„Lena hat mich im Internet verfolgt. Ich glaub, die ist verknallt in mich.“
Super, jetzt fängt er schon was mit Mädchen an, oder wie?
„Sie ist fünfzehn“, sagt er, als wäre er stolz darauf, ein Kind zu becircen.
Vor Schreck verbrenne ich mir das Maul am heißen Tee.
„Und findet mich ungefähr genauso toll wie den schnöseligen Twilight-Vampir. Aber von dem hat sie keine Adresse, also schickt sie mir die Kekse“, faselt er weiter und schnappt sich eine gelb-violette Fledermaus aus der Tüte.
„Das ist doch ekelhaft. Schon mal überlegt, wie alt du bist? Ich möchte nicht wissen, was ihre Eltern …“
„Hey, ich bin immer noch schwul, okay? Was ist dabei, wenn die Kleine ein bisschen schwärmt? Ich hab schließlich nicht vor, sie in meine Wohnung zu locken, ihr die Unschuld zu rauben, sie nackt zu filmen und den Clip in Pädokreisen anzubieten. Mit mir befreundet zu sein, ist ja wohl total ungefährlich.“
Ist es nicht, das weiß ich aus Erfahrung. Außerdem … befreundet mit einer Fünfzehnjährigen?
„Lena ist süß. Und naiv. Da muss ich sie doch quasi … beschützen und aufklären. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie mich nämlich nach zwei Tagen schon für ein Wochenende besucht. Jetzt stell dir mal vor, ich wäre tatsächlich so ein Drecksack, der kleine Mädchen zu sich lockt. Also halt die Klappe und nimm dir einen Keks.“
Ich sehe lieber verstohlen nach, ob sein Haupt nicht von einem Heiligenschein umstrahlt wird. Dante Engels, Beschützer der Teeniemädchen … haha. Es gefällt ihm einfach, toll gefunden zu werden, egal von wem.
„Weiß die Kleine über dein ausschweifendes, schwules Sexleben Bescheid?“
„Sie weiß, dass ich schwul bin. Können wir jetzt bitte das Thema wechseln?“
„Meinetwegen“, nicke ich und probiere eine weiße Glocke mit rosa Zuckerherzchen. „Fickst du noch mit Felix?“
„Warum interessiert dich das?“
„Tut es eigentlich nicht“, lüge ich.
„Warum fragst du dann?“
Verdammt!
„Wieso antwortest du nicht einfach? Bist doch sonst so mitteilsam.“
„Ich frag dich auch nicht, mit wem du fickst.“
Natürlich nicht. Ihm ist das ja auch alles scheißegal. Ich bin ihm scheißegal. Weshalb ist er dann überhaupt hier? Nur, um damit anzugeben, dass er eine fünfzehnjährige Anschmachterin hat? Die blöden Kekse kann der sich auch sonst wohin stecken. Ich hab ihm verdammt noch mal Hustelinchen geschenkt. Ich … ach du Heimatland … ich bin eifersüchtig auf ein kleines Mädchen.
„Crazy sagt, du studierst jetzt Kunstgeschichte?“
„Ich hab dir das gesagt, als wir uns mal in der Villa getroffen haben. Was zum Teufel ist mit deinem Gehirn los? Speichert das bloß dir hinterhersabbernde Typen oder Tussis ab?“, rege ich mich auf.
„Na und? Crazy hat das letztens halt auch erwähnt.“
Ey, kann der blöde Erzeuger bitte über wen anders tratschen?
Weil Dante dermaßen gespannt aus der Wäsche glotzt, erzähle ich, was man als Student der Kunstgeschichte so lernt, und er findet das tatsächlich interessant.
„Dann kannst du ja irgendwann Marlenes Bilder interpretieren. Wird sie sich bestimmt drüber freuen.“
„Wir lernen hauptsächlich was über bedeutende Kunstwerke.“
„Das würde ich ihr gegenüber lieber für mich behalten“, lacht er. „Was machst’n Weihnachten?“
„Mich traditionell besaufen und bis auf die Knochen blamieren?“, schlage ich vor.
„Keine schlechte Idee. Ich bin am ersten Weihnachtstag bei Marlene und ich fänd’s irgendwie ganz gut, wenn du mitkommen würdest.“
„Wieso?“
„Weil meine Mutter dich endlich kennenlernen will und weil ich keine Lust hab, da allein unter lauter irren Künstlern rumzuhängen.“
Cool. Weihnachten bei Madame Engels.
„Ich überleg’s mir.“
Warum will die Alte mich so dringend kennenlernen? Was zum Teufel hat Dante über mich erzählt? Ich kann’s mir vorstellen … da ist so’n kleiner Romantiker, der unbedingt eine Beziehung mit mir möchte, aber ich möchte lieber rumficken, ich führe ihn dir mal vor, dann können wir ihn gemeinschaftlich auslachen!
Ich glaube, ich hab irgendetwas nicht mitgekriegt. Dante scheint zu denken, dass wir jetzt wieder befreundet sind. Oder weshalb ruft er mich sonst andauernd an und besucht mich sogar?! Wenn er da ist, gibt mir das meistens den Rest. Das liegt aber auch an der Jahreszeit. Winter, da entwickle ich immer so ein ekelhaftes Kuschelbedürfnis. Mit Dante kuscheln geht allerdings gar nicht, da muss ich mich einfach zusammenreißen, denn schon ein bisschen Körperkontakt wäre sicherlich verheerend. Tine hat, natürlich, recht. Dante wirkt auf mich wie eine Droge. Wenn ich nur ein Fitzelchen davon probiere, hänge ich wieder voll drin. Also versuche ich, alles, was mich an ihm reizt, zu ignorieren. Bei seinen Armen und den Flügeln ist das leicht, weil er momentan gerne langärmlige Kapuzenjäckchen trägt. Seine schöne Visage versteckt er leider weniger und ich kann ihm ja schlecht sagen, dass er in meiner Anwesenheit bitte nur noch verschleiert zu sein hat. Übrigens rennt ihm die kleine Lena immer noch virtuell hinterher. Überall, aber auch wirklich überall, wo es was von Dante gibt, hat sie irgendeinen Kommentar hinterlassen. Ich an seiner Stelle fänd das unheimlich. Schließlich könnte die eines Tages aus Versehen mal völlig ausflippen, weil ihre Liebe unerwidert bleibt. Amokläufer müssen nicht zwangsläufig männlich sein … der großartige Bob Geldof schrieb vor Urzeiten ein Lied darüber. Allerdings hatte das Mädel wohl ganz andere Probleme. Trotzdem kann Dante aber nicht wissen, ob sein Mädel tatsächlich so harmlos ist. Und bleibt. Mann, und wieso kümmern sich die Eltern nicht darum, was ihre Tochter im Internet treibt? Kuckt sich halbnackte Sadomasobilder an … mit fünfzehn! Außerdem schreibt die Geschichten, so schwules Zeug mit viel Sex. Klar, über Dante hat sie auch schon eine Story verfasst … mit viel Sex. Herr Engels fand das natürlich süß. Ich durfte mir den Scheiß durchlesen und war geschockt, was kleine Mädchen für schmutzige Phantasien haben können. Des Weiteren kam mir Dantes Sexpartner ekelhaft bekannt vor. Er trug rote Ponysträhnen. Die kleine Bitch hat Dante in ihrer Geschichte die bescheuerte Emopissnelke bumsen lassen! Und der blöde Fickfrosch hatte nichts Besseres zu tun, als mich das lesen zu lassen! Was soll man dazu noch sagen? Für mich gehören die allesamt in eine Anstalt und in Jacken mit Schnallen, die auf dem Rücken zugemacht werden. Ich meine, was hat der Vollidiot sich dabei gedacht? Reichte es nicht, dass ich die beiden in der Realität quasi beim Ficken gesehen habe? Musste ich mir das auch noch schriftlich ausgeschmückt von seiner Stalkerin geben? Sein Kommentar dazu: „Wenn sie von uns beiden ein Knutschfoto bekommen hätte, dann hätte sie sicher über dich geschrieben.“ Entschuldigung, aber manchmal denke ich, dass jedes Mal, wenn Dante pinkelt, ein bisschen was von seinem Gehirn mit ins Klo plätschert.
Eigentlich hatte ich mich entschieden, nicht zu Madame Engels zu gehen. Eigentlich wollte ich Weihnachten zu Hause bleiben und mir „Doctor Who“ reinziehen, den Dante skandalöserweise nicht kennt, aber der Fickfrosch hat mich fast wahnsinnig gequatscht und danach war ich dermaßen genervt, dass ich halt zusagte. Scheiße! Und den zweiten Weihnachtstag muss ich dann mit der perfekten Erzeuger-Familie verbringen. Es war die letzten Jahre durchaus von Vorteil, dass es nur Mom, Leo und mich gab. Na ja, und natürlich Marcel. Allerdings hat der mich nie mit zu irgendwelchen Verwandten geschleppt, weil er wusste, dass es mir unangenehm gewesen wäre, inmitten seiner Großfamilie zu hocken. Mir ist zum Kotzen übel. Vielleicht nicht gar so sehr wie vor dem ersten Treffen mit Crazy, aber ungefähr vergleichbar. Dass Frau Engels, die ja bekanntlich so was Spießiges wie Familie ablehnt, ganz spießig Weihnachten feiert, ist mir sowieso ein totales Rätsel. Okay, der Besuch wird nicht ewig dauern und wenn es zu unerfreulich werden sollte, kann ich immer noch eine schlimme Krankheit vortäuschen und mich vom Acker machen. Also alles halb so wild.
Dante holt mich am späten Nachmittag mit dem Auto ab, denn im Hause Engels wird natürlich nicht mittags Mittag gegessen, sondern gegen Abend.
„Du siehst zum Anbeißen aus“, grinst Dante und küsst zur Begrüßung an meinem Hals herum.
Ich krieg ’ne fucking Gänsehaut und Herzklopfen. Ey, das fängt doch schon super an!
„Du brauchst nicht nervös zu sein“, sagt er, „Marlene wird dich lieben.“
„Ich bin gar nicht nervös“, lüge ich.
„Dann hör auf, deine Finger zu verknoten“, lächelt er, nimmt seine Hand vom Lenkrad und tastet nach meinen verkrampften Flossen.
Wieso muss der Blödmann mich immer anfassen?
„Pass du lieber auf, dass wir nicht im Graben landen“, schlage ich vor.
„Seit wann hast’n Angst, wenn ich fahre?“, fragt er, während seine Hand über meinen Oberschenkel streicht.
Wieso muss der verdammte Blödmann mich immer anfassen?
Glücklicherweise sind wir irgendwann da.
Das Haus wirkt ein bisschen alt und klapprig, der Garten ist verwildert. Hübsch, wenn man’s mag. Mir gefällt es. Immerhin ist Dante hier aufgewachsen. Na und? Was soll die Rührseligkeit? Ist ja schließlich nicht das Geburtshaus einer Berühmtheit wie Mozart, Beethoven oder Elvis. Die Innenausstattung scheint ein Mix aus Jugendstil und anderem zu sein. Keine Ahnung, ich kenne mich in den verschiedenen Epochen noch nicht so gut aus. Jedenfalls erwartet man aber, dass von irgendwoher leichtbekleidete Nymphen auftauchen, die um einen herum tanzen. Frau Engels sieht aus, als wäre sie gerade einem Rossetti-Gemälde entstiegen. Sie trägt ein kaftanähnliches Kleid aus flaschengrünem Samt und die rötlichen Haare zum Teil hochgesteckt. Die Gäste sind ein bunt gemischter Haufen. Ein Mann trägt beispielsweise ’nen altmodischen, schwarzen Anzug, eine Dame Klamotten und dramatisch dunkles Augen-Make-up wie ein heroinsüchtiges Model aus den Sixties. Ein paar andere sind relativ normal gekleidet. Zwischen den Gestalten schlendert ein älterer Kerl, der mit Lackhose und schwarzem Rüschenhemd auf jugendlich macht.
„Das ist der Fotograf, der auf mich steht“, wispert Dante.
„Mit dem hattest du aber nichts, oder?“, frage ich.
„Nee“, schüttelt er den Kopf. „Traust du mir so was etwa zu?“
Plötzlich erscheint ein barfüßiger Typ, der auffallende Ähnlichkeit mit Ville Valo hat. Er begrüßt Dante kurz und lümmelt sich anschließend aufs Sofa. Na, mit der Schönheit hatte er sicher was, also frag ich lieber nicht.
„Ich hatte keine Ahnung, dass Marlene wieder was mit Gabor hat.“
Ach du Scheiße … DAS ist der Kerl, mit dem Frau Engels eine Familie gründen wollte? Mann, mit dem würde sogar ich eine gründen!
„Der Typ auf der Couch ist der Ex deiner Mutter?“, vergewissere ich mich.
„Ja. Hör auf zu sabbern, Gabor ist hetero.“
Bevor ich antworten kann, schwebt die Dame des Hauses auf uns zu.
„Dante, Schatz, wie schön, dich zu sehen“, lächelt sie und küsst ihn auf beide Wangen.
„Eli … Marlene. Marlene … Eli“, stellt er uns höflich vor.
Sie glotzt mich von oben bis unten an.
„Sehr hübsch“, findet sie.
„Guten Abend, Frau Engels“, murmle ich blöde und werde rot.
„Ach du lieber Himmel, wenn du Frau Engels sagst, denke ich, meine Mutter steht neben mir. Ich bin Marlene“, lacht sie. „Schatz, das ist aber nicht dein Kunststudent, oder? Der hier sieht so jung aus, als würde er noch zur Schule gehen.“
„Das täuscht. Außerdem studiert Eli Kunstgeschichte, nicht Kunst.“
Madame Engels zieht eine Grimasse, als täte ihr der Magen weh.
„Oh, ach so. Na ja, ich finde weder das eine noch das andere irgendwie erstrebenswert. Es ist doch so … Kunst kann man nicht lernen, entweder man hat eine Begabung oder nicht. Und nur die Werke anderer zu kritisieren …“
„Mutter“, unterbricht Dante sie, „wieso bietest du uns nicht erst mal was zu trinken an, bevor du meinen Freund fertigmachst?“
Frau Engels reicht uns ein Glas Champagner und gesellt sich einstweilen zu ihren Künstlerfreunden.
„Mann, die liebt mich aber so was von“, flüstere ich vor mich hin.
Übrigens gibt es im Hause Engels offenbar gar keine gescheiten Mahlzeiten, weder mittags, noch abends, noch an Weihnachten, denn ich kann bloß ein Buffet mit komischen Häppchen entdecken. Des Weiteren scheint der Ville-Valo-Verschnitt seine Beziehung zur Dame des Hauses reichlich locker zu sehen … er kuschelt mit einer dürren Brünetten. Und Dante lässt mich glatt hier stehen, um mit dem Fotografen und anderen Gästen zu reden. Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören und zu Hause bleiben sollen! Unsicher schleiche ich umher, suche das Bad, finde allerdings nur die Küche. Prima Platz zum Verstecken, hier ist nämlich niemand. Schade, dass nicht ein paar Zeitungen oder so herumliegen, die mir die Langeweile vertreiben könnten.
Einige Minuten später kommt ausgerechnet Frau Engels herein.
„Hier versteckst du dich.“
„Ähem … eigentlich wollte ich ins Bad.“
„Du musst entschuldigen, Elias, ich sage meine Meinung immer frei heraus.“
„Okay?“
Schon wieder mustert sie mich so penetrant.
„Also … du bist der junge Mann, der meinem Sohn den Kopf verdreht hat.“
Wie bitte? Ich schaue wahrscheinlich relativ belämmert aus der Wäsche.
„Eigentlich nicht.“
„Nein? Aber dein Vater ist doch dieser gutaussehende Tätowierer, oder?“
„Äh … ja, ich denke schon.“
„Wirklich talentiert, ich habe einige seiner Arbeiten gesehen.“
„Kann sein.“
„Es ist erstaunlich, dass jemand, der sein eigenes Kind im Stich gelassen hat, sich so unglaublich um andere bemüht. Und um meinen Sohn hat er sich wirklich sehr bemüht.“
Bilde ich mir das ein oder hat sie tatsächlich die Betonung auf ’meinen Sohn’ gelegt?
„Dante sagt, du hast sehr unter der Zurückweisung deines Vaters gelitten“, behauptet sie und legt pseudo-mitfühlend ihre Hand auf meinen Arm. „Das ist natürlich verständlich. Du musst dich schrecklich alleingelassen gefühlt haben.“
Wow, also eins ist sicher … wenn die Frau schießt, trifft sie. Mir ist nur nicht klar, wieso ausgerechnet ich beschossen werde. Und Dante ist ein selten dämliches, völlig verblödetes Plappermaul. Wie kommt der dazu, meine privaten Angelegenheiten mit seiner Mutter zu bequatschen? Beziehungsweise zu glauben, er hätte Einblick in meine intimsten Gefühle?
„Tja, wenigstens wusste ich immer ganz genau, wer mein Vater ist. Im Gegensatz zu Dante, der rätselt bis heute“, sage ich so ätzend es geht. „Ich werde mal das Bad suchen.“
Dorthin schaffe ich es nicht, weil Dante plötzlich vor mir steht und nach meiner Hand greift.
„Komm, ich zeig dir mein Zimmer.“
Wir gehen die Treppe rauf und Dante zeigt mir sein Zimmer, das heute als Gästezimmer dient, wie er erklärt. Zusammen mit einer Flasche Wein lässt er sich aufs Bett fallen.
„Hat Marlene in der Küche was Blödes zu dir gesagt?“, will er wissen und genehmigt sich einen üppigen Schluck aus der Flasche.
„Nur, dass ich unter der Zurückweisung meines Vaters gelitten und mich allein gelassen gefühlt habe. Wieso erzählst du fremden Leuten so ’ne Scheiße über mich? Weiß sie auch, wie niedlich versaut und fickfreudig ich bin?“
„Nimm das nicht persönlich. Marlene ist angepisst, weil Gabor mit seiner neuen Freundin hier aufgetaucht ist. Dabei hat sie die beiden eingeladen. Um ihm zu zeigen, dass es ihr nichts ausmacht.“ Mit der freien Hand klopft er auf die Matratze, ich folge seiner Einladung nach einigen Sekunden und setze mich neben ihn. Den Wein teilen wir uns. Er schmeckt zwar beschissen, aber irgendwie will ich grad nicht nüchtern bleiben. Und der Fusel haut bei mir total rein. Ich vertrage so’n süßen Mädchenalkohol nicht.
„Kai hat mich schon wieder angebaggert.“
„Wer ist Kai?“
„Der Fotograf. Ey, so langsam wird das echt peinlich.“
„Seit wann hast du was dagegen, angeschmachtet zu werden?“
Er zuckt die Schultern, greift nach der Weinflasche und kippt das Gesöff runter.
„Warum denkt deine Mutter, ich hätte dir den Kopf verdreht?“, frage ich und sehe ihn an.
„Etwa nicht?“, entgegnet Dante. Sein Blick ist leicht verschleiert, offensichtlich verträgt er süßen Mädchenalkohol genauso wenig.
Keine Ahnung, wie das passiert, was dann passiert. Ich spüre seine Lippen und seine Zunge und kann nicht aufhören, ihn zu küssen. Mein Kopf ist für kurze Zeit wie leergefegt. Seine Hand wuselt durch meine Haare, die andere schiebt sich unter mein Shirt. Meine Finger streicheln seinen schönen Arm mit dem bunten Flügel. In meinem Bauch flattern Schmetterlinge wild umher und meine gesamte Haut kribbelt. Bis mich ein lautes Klirren in die Realität zurückbringt. Die leere Weinflasche liegt auf dem Boden, der Zauber ist gebrochen.
„Du solltest einen Kaffee trinken, du musst mich noch nach Hause fahren“, bemerke ich und wische mit dem Handrücken Dantes Speichel von meinen Lippen.
„Marlene hat bestimmt nichts dagegen, wenn wir hier …“
„Danke, ich verzichte auf eine Nacht mit dir“, unterbreche ich ihn.
„Du willst mich immer noch“, stellt er fest.
„Allerdings. Und deshalb trinken wir jetzt Kaffee“, entgegne ich und stehe auf.
„Der wird nicht viel nützen. Ich bräuchte eine kalte Dusche viel dringender. Du hast mich echt ziemlich heiß gemacht, Eli“, säuselt er.
Mein Herz bollert mir bis unter die Schädeldecke. Ganz zu schweigen von unteren Regionen. Die verdammten Schmetterlinge denken auch nicht daran, sich ruhig zu verhalten. Ich würde so gerne nachgeben. Jede Faser meines Körpers scheint das, ihn, zu wollen. Aber dann würde alles von vorne losgehen.
„Dante … lass es einfach, okay?“
„Okay“, seufzt er, streicht sich durch die Haare und steht ebenfalls auf.
Unten läuft nach wie vor die Party. Wie lange war ich mit Dante weg? Minuten? Stunden? Spielt das eine Rolle? Ich bin ekelhaft durcheinander. Was fange ich mit der Erkenntnis an, dass es immer noch gefährlich für mich ist, mit Dante allein zu sein? Soll ich wieder den Kontakt abbrechen? Na ja, wohl eher nicht mehr mit ihm zusammen saufen. Der scheiß Alkohol ist Schuld, rede ich mir ein und bin damit einigermaßen zufrieden. Nüchtern hätte ich Dante niemals geküsst!
„Wo habt ihr den Kaffee?“, frage ich und reiße ungeniert die Küchenschränke auf.
„Eli, ich bin nicht betrunken“, lächelt er geduldig, als würde er mit einem Wahnsinnigen sprechen. „Aber ich ruf dir ein Taxi, wenn du nicht mit mir fahren willst.“
Das wäre für alle Beteiligten das Beste. Aber der kleine, Fickfrösche liebende Troll, der tief in mir drin haust, macht mir einen Strich durch die Rechnung, weil er Dantes Gegenwart genießt und sich ums Verrecken nicht verabschieden möchte.
„In Ordnung“, nicke ich.
„Ja, du fährst mit mir, oder ja, ich rufe dir ein Taxi?“
Er weiß verdammt noch mal sehr gut, dass er mich durcheinander gebracht hat mit dieser blöden Knutscherei. Ich werfe ihm einen genervten Blick zu.
„Alles klar“, grinst er. „Übrigens, der Kaffee ist da unten drin.“
Der zweite Weihnachtstag bei Crazy war eine emotionale Achterbahnfahrt. Einerseits war es ganz nett, das Wohnzimmer weihnachtlich dekoriert, der Baum hübsch geschmückt, Lola hat selbstgebackene Kekse angeboten und ich fühlte mich sehr wohl. Aber dann musste ich plötzlich an all die vergangenen Weihnachtsfeste denken, an denen mein Vater nicht da war, all die Weihnachtsfeste, an denen ich nur eine Karte von ihm hatte. Besonders während er seine kleine Tochter küsste und herzte … und besonders als er mir einen Umschlag mit Geld gab. Mein Vater kennt mich nicht einmal gut genug, dass er mir ein passendes Geschenk hätte kaufen können. Oh Mann, was soll der Scheiß? Ich bin doch kein Kind mehr und Geld kann man immer brauchen. Mom und Leo fragen schließlich auch vorher, was ich zu Weihnachten oder zum Geburtstag haben möchte, damit sie mir keinen nutzlosen Kack schenken.
Allerdings tauchen halt gerne so infantile Gefühle auf, wenn ich Crazy mit seiner Tochter sehe. Dann verwandle ich mich regelmäßig in einen vernachlässigten Fünfjährigen, der nach der Liebe und Aufmerksamkeit seines Vaters giert. Großer Gott, das geht mir vielleicht auf den Sack!
Silvester mit Tine, Patti und seinen Freunden ist mir auch auf den Sack gegangen. Weil Tine und Patti so verknallt waren und ich Tine nicht sagen konnte, dass ich Dante geküsst habe.
Ein paar Tage nach Neujahr steht Dante vor der Tür. Mann, den kann ich jetzt echt gut gebrauchen.
„Frohes neues Jahr“, nuschelt er, geht mal wieder einfach ohne zu fragen in mein Zimmer und setzt sich aufs Bett.
„Was willst du?“, frage ich müde.
„Es gab Zeiten, da hast du dich gefreut, mich zu sehen“, behauptet er.
Ja, da hatte ich auch noch die irrsinnige Hoffnung, dass er mich vielleicht doch heimlich liebt.
„Und … wie war dein Silvester?“, versuche ich freundlich zu sein.
„Supi. Ich hab mir den Duke reingezogen und bin früh ins Bett gegangen.“
„Allein?“
„Nee, mein kleiner Eisbär hat mir Gesellschaft geleistet.“
„Warum hast du dir nicht Felix eingeladen? Oder wen anders?“
Dante sieht mich so müde an, wie ich mich grad fühle.
„Eli, ich hab schon seit Monaten nichts mehr mit Felix.“
Okay, das höre ich natürlich gern. Aber ich sollte mir auf keinen Fall einbilden, dass das etwas mit mir zu tun haben könnte. Wenn er nichts mehr mit der Pissnelke hat, dann eben mit tausend anderen pissnelkigen Fickfreunden.
„Wieso nicht?“, frage ich dennoch.
„Es fing an, langweilig zu werden“, entgegnet er schulterzuckend. „Hat uns beiden nichts mehr gebracht.“
Ist es nicht fast lustig, dass der blöde Fickfrosch immer, aber auch wirklich immer das Falsche sagt? Na ja, hab mich inzwischen dran gewöhnt.
„Was ist eigentlich mit Torben und der Band?“, wechsele ich das Thema.
„Keine Ahnung. Torbens Verhalten war irgendwann nicht mehr tragbar.“
Tz, ich finde, das Verhalten vom beknackten Mitbewohner ist noch nie tragbar gewesen.
„Vielleicht suchen Frieder und ich uns einen neuen Schlagzeuger. Oder Torben kriegt sich wieder ein.“
„Was hat er denn angestellt?“
„Seine Eifersucht ist mir auf den Sack gegangen.“
„Hä?“
„Er hatte ständig Angst, dass du seinen Platz bei mir einnehmen würdest.“
Ich muss kurz husten, weil mir ein bisschen Spucke in die falsche Röhre geraten ist.
„Das war so peinlich“, erzählt Dante weiter. „Ist Elias neuerdings dein bester Freund … ey, als wäre der Typ gerade zehn Jahre alt. Und als er dann bei Felix auch schon so anfing, hab ich gedacht, dass uns etwas Abstand ganz gut tun würde, und bin ausgezogen. Dabei war das zwischen Felix und mir echt nur Sex.“
Was soll das denn heißen? Dass es zwischen ihm und mir was Anderes war?
„Eli, ich hab nachgedacht …“
„Ah ja? Worüber?“
„Über dich und mich.“
Mir wird irgendwie heiß und übel. Sehr übel.
„Ich finde, wir sollten es noch mal versuchen.“
„Versuchen? Was denn?“, frage ich blöde.
„Zusammenzusein.“
Reflexartig springe ich auf. „Ich finde, du solltest jetzt gehen.“
„Eli, ich weiß, dass ich dir weh getan hab, aber …“
„Du hast doch keine Ahnung“, krakeele ich, sodass sich meine Stimme beinahe überschlägt. „Wie stellst du dir das überhaupt vor? Dass ich auf einmal mit deinen Fickfreunden klarkomme, oder was? Du denkst doch nicht ernsthaft, dass ich mich noch mal auf so was einlasse. Bist du bescheuert?“
„Und wenn du der einzige wärst?“
Entschuldigung, ich bekomme einen hysterischen Lachanfall. Dante wartet geduldig, bis ich mich beruhigt habe.
„Du fehlst mir und diese völlig bekloppte Sehnsucht wird nicht besser, egal, wie viele Typen ich ficke. Das bedeutet im Klartext … ich ficke keine anderen Kerle mehr, hab dafür aber dich und es geht mir gut.“
„Ja, und das ist die Hauptsache, oder? Dass es dir gut geht. Dante … verpiss dich.“
Er glotzt mich an wie ein Reh, das im Scheinwerferlicht steht.
„Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?“
„Jedes Wort. Und weiter?“
„Ich … ähem … ich denke, ich liebe dich.“
„Okay, das reicht jetzt“, zische ich, klaube seine Jacke vom Boden und werfe sie ihm quasi in die Fresse. „Raus! Verschwinde!“
Glücklicherweise rafft er das endlich … oder auch nicht. Denn er zieht seine Jacke zwar an, bleibt aber mitten im Raum stehen.
„Was hab ich jetzt wieder falsch gemacht?“ Da er von mir keine Antwort bekommt, schleicht er zur Tür. „Ich versteh’s nicht“, seufzt er und geht.
Ausnahmsweise glaube ich ihm. Er kapiert tatsächlich nichts. Null.
Ich denke, ich liebe dich … dieser dämliche Satz verklebt mein Gehirn wie Kaugummi, wenn er nicht gerade durch meinen Schädel poltert wie ein verfluchter Presslufthammer. Einen Tag konnte ich den Satz ignorieren und weitermachen wie bisher. Dann, ganz plötzlich, schoss er mir ins Hirn. Seitdem hab ich intervallartiges Herzrasen, dass ich mehr als einmal überlegte, ob ich mich vorsichtshalber auf eine Intensivstation begeben sollte. Ich weiß natürlich, dass Dante mich nicht wirklich liebt. Er hat das nur gesagt, um mich wieder rumzukriegen. Dachte wahrscheinlich, wenn der romantische Vollidiot „Ich liebe dich“ hört, liegt der sofort auf der Matratze. Aber nicht mit mir! Leider gibt es da eine Stimme tief in mir drin, die mich fragt: „Was, wenn er es doch ernst gemeint hat?“ Ach, ja, na sicher. Auf einmal hat Dante Engels gemerkt, dass er mich doch liebt, oder wie sehe ich das? Auf einmal will er nur mit mir zusammensein? Entschuldigung, aber wer soll das denn glauben? Andererseits … vielleicht hat er wirklich so lange gebraucht, um zu seinen Gefühlen zu stehen. Nee, das ist Blödsinn.
Warum sollte ausgerechnet ich derjenige sein, für den er seine jahrelangen Ich-schlafe-mit-jedem-Typen-der-mir-gefällt-Gewohnheiten aufgibt? Und selbst wenn … wie lange würde seine Treue halten? Bis irgendeine Emopissnelke auftaucht, die er noch nicht hatte. Ich liebe Dante, aber das ist mir zu riskant. Schließlich muss ich zuerst mal sehen, dass es mir gut geht.
Leider geht es mir nicht gut. Weder mit Dante noch ohne ihn. Das ist ja mein beknacktes Dilemma. Deshalb rufe ich Tine an.
„Er hat mir gesagt, dass er mich liebt“, komme ich gleich zur Sache.
„Wer ist da?“
„Tine, du siehst meinen Namen im Display.“
„Und du begrüßt mich normalerweise zuerst, wenn du mich anrufst. Also, wer hat gesagt, dass er dich liebt?“
„Dante. Wer sonst?“
„Seit wann hast’n wieder Kontakt zu dem Spermaschlecker? Und seit wann redet ihr über so intimes Zeug?“
„Ist doch egal“, schnaufe ich genervt. „Was soll ich jetzt machen?“
„Ihm in den Arsch treten?“, schlägt sie vor.
„Aber wenn …“
„Eli“, unterbricht sie mich, „der Typ lügt doch. Lass dich nicht von ihm einwickeln.“
„Wieso sollte er lügen?“
„Um dich wieder rumzukriegen. Vielleicht läuft es mit seinen Fickfreunden nicht mehr so toll, ich meine … er wird schließlich nicht jünger … und er weiß eben genau, was er bei dir für Knöpfe drücken muss, damit er bekommt, was er will.“
„Vielen Dank.“
„Ähem … gern geschehen?“
„Du hast mir gerade gesagt, dass ich nur eine Notlösung für ihn bin, weil er bei sonst keinem mehr landen kann“, rege ich mich auf.
„Und was glaubst du?“ Weil ich nicht sofort antworte, redet sie einfach weiter. „Du denkst natürlich, dass er es ernst meint, weil du immer noch in ihn verliebt bist. Ich an deiner Stelle würde dem Spermaschlecker keine Sekunde über den Weg trauen. Hat er dir etwa noch nicht weh genug getan, Eli?“
„Doch, hat er“, murmle ich.
„Dann weißt du ja, was du zu tun hast“, findet sie.
„Und was?“
„Nichts, Eli, gar nichts.“
Okay, ich kann das nicht einfach so stehen lassen. Ich muss wenigstens mal kurz mit ihm darüber reden. Wenn er gelogen hat, soll er es verdammt noch mal zugeben. Und wenn er mich doch liebt … keine Ahnung. Samstagnachmittags wird er ja wohl zuhause sein. Hoffentlich allein.
„Eli …“, sagt er überrascht, als ich die Treppe raufkomme.
„Wir müssen reden“, sage ich und gehe an ihm vorbei ins Wohnzimmer.
„Hätte ich jetzt nicht gedacht, nachdem du mich das letzte Mal rausgeschmissen hast, aber … bitte … rede.“
Wie schön, es bleibt wieder mal alles an mir hängen. Dante hockt sich in den Sessel und wartet bequem ab. Und ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.
„Sorry, dass ich dich rausgeschmissen habe, ich stand unter Schock.“
„Ja, wahrscheinlich. Hör zu, vergessen wir die ganze Sache, okay?“
„Äh …“
„Ich hab eingesehen, dass … na ja, dass bei uns einfach zu viel blöd gelaufen ist. Es ist besser für uns beide, wenn wir nur Freunde sind.“
Oh Mann, ich fühl mich auf einmal so unglaublich schwach. Ehrlich, am liebsten würde ich zusammenbrechen.
„Sehe ich genauso“, stimme ich ihm zu.
„Cool“, lächelt er, „ich bin froh, dass wir das geklärt haben.“
Ich bin froh, dass ich jetzt endgültig und ein für allemal geheilt bin! Das war, glaub ich, das letzte Fünkchen, das noch fehlte, um einzusehen, dass Dante sich niemals ändern wird und ich mich von meinem Traum verabschieden muss. Während er über irgendwelchen Tattoostudio-Kram plaudert, merke ich, wie ich immer wütender werde. Weil Dante so ein elendiger Fickfrosch ist, weil ich so bescheuert bin, weil ich fast auf ihn reingefallen wäre, weil ich so viel investiert und nichts zurückbekommen habe, weil … er mich fix und fertig macht.
„Darf ich dich mal was fragen? Lebt es sich eigentlich gut so als Arschloch?“
Dante glotzt mich irritiert an.
„Du erzählst mir, nach allem, was zwischen uns passiert ist, nach allem, was du mir angetan hast, dass du mich liebst und nimmst es zwei Sekunden später wieder zurück.“
„Ich hab gar nichts zurückgenommen. Nur eingesehen …“
„Halt die Klappe“, zische ich, „noch ein Wort und ich hau dir eine rein.“
„Eli, was zum Teufel willst du eigentlich? Ich hab Schluss gemacht mit der Rumfickerei, ich hab dir gesagt, dass ich dich liebe und du … hast mich rausgeschmissen. Also denke ich, dass es besser ist, wenn wir nur Freunde sind und du brüllst mich an. Ich komme bei dir echt nicht mehr mit.“
„Für wie lange, Dante? Für wie lange würde ich der einzige sein?“
„Darauf gibt es keine ehrliche Antwort. Du kannst nicht wissen, was passiert.“
„Das ist mir zu riskant“, entgegne ich müde. „Ich vertraue dir nicht und deshalb will ich mich nicht noch mal auf dich einlassen, ich … ich kann das nicht alles nochmal durchmachen. Dafür hat es zu weh getan.“
Dante sieht nicht besonders glücklich aus.
„Ich schätze, dann bleibt tatsächlich nur die Gute-Freunde-Variante.“
„Ja“, murmle ich und wünschte, er würde ein kleines bisschen mehr kämpfen. Wenn man jemanden liebt, bemüht man sich doch, oder? „Ich werd dann mal gehen.“
„Aber … du brichst jetzt nicht wieder den Kontakt ab?“
„Nein, ich ruf dich an. Oder wir sehen uns bei Crazy. Oder in der Villa. Mach’s gut, Dante.“
„Eli … warte!“, ruft er und folgt mir zur Tür.
„Was?“
Seine Hände legen sich auf meine Hüften, ich weiß genau, was er vorhat.
„Gute Freunde küssen sich nicht.“
„Mir doch egal“, wispert er und küsst mich.
Ich kann nicht behaupten, dass ich mit der Gute-Freunde-Variante, die Dante vorgeschlagen hat, auch nur ansatzweise gut zurechtkomme. Es ist höllisch anstrengend, wenn ich ihn sehe. Okay, nicht in jeder Minute, aber doch fast. Du meine Güte, was hab ich denn bloß verbrochen, dass Gott, nehmen wir mal an, es gibt einen, mich so bestraft? Wieso komme ich von Dante nicht los? Und wie oft habe ich mir diese Frage schon gestellt? Ich bin doch ein wandelnder Witz. Jeder halbwegs normale Mensch muss sich über mich kaputtlachen. Hab ich nicht alles versucht, alle Möglichkeiten durch? Ihn mit seinen Emo-Pissnelken teilen, ihn nur als guten Freund sehen, ihn gar nicht mehr sehen … nichts hat funktioniert. Okay, für einen kurzen Moment hat es noch eine andere Möglichkeit gegeben, vielleicht war es ein Fehler, sie auszuschließen. Keine Ahnung, jetzt ist es zu spät. Vielleicht sollte ich es wie Crazy machen und einfach abhauen. Irgendwohin. Dante vergessen. In einer anderen Stadt könnte mir das vielleicht gelingen. Zu viele Vielleichts, zu wenig Aussicht auf Erfolg.
Als wäre alles noch nicht schlimm genug, geht Dante im Internet damit hausieren, dass ihm jemand das Herz gebrochen hat. Seine Sluttys sind sich einig, dass dieser Jemand ein Vollpfosten ist, und bieten sich natürlich sofort zum Trösten an. Immerhin antwortet Dante denen, dass er mit dem Herzensbrecher vorher nicht besonders gut umgegangen ist. Sicher spekuliert der kleine Fickfrosch darauf, dass ich den ganzen Scheiß lese und ihm anschließend heulend in die Arme sinke. Oder er steht bloß drauf, öffentlich zu leiden. Klar, da kriegt er ja auch wieder die schriftliche Bestätigung, dass er toll ist und jede schwule Internetschlampe ihn mit Kusshand nehmen würde, beziehungsweise dass sich jede schwule Internetschlampe von ihm nehmen lassen würde. Die kleine Lena ist selbstverständlich ebenfalls total erbost und denkt sich höchstwahrscheinlich irgendwelche Foltergeschichten aus … mit mir als Opfer. Zum Glück lehne ich soziale Netzwerke total ab und würde mich da niemals irgendwo anmelden, ansonsten würde ich bestimmt schlimm gemobbt werden und müsste monatelange Scheißestürme über mich ergehen lassen.
„Wer is’n Lena Cullen?“, fragt Tine, die mir grad über die Schulter kuckt, während ich Slutty-Einträge lese.
„Dantes fünfzehnjährige Freundin.“
„Was frag ich auch?!“, schnauft sie und setzt sich aufs Bett. „Warum liest du den ganzen Schrott?“
„Nur so“, seufze ich und setze mich neben sie.
„Aha. Meine Fresse, dem Spermaschlecker ist doch echt nichts zu peinlich. Na ja, aber seine rührige Herzschmerzgeschichte bringt ihm sicher eine Menge neuer Fickfreunde.“
„Du traust ihm nur Schlechtes zu, oder?“
„Allerdings. Und die Klamotten, die er mit dir abgezogen hat, geben mir ja wohl eindeutig Recht.“
„Immerhin hat er mich nie belogen. Oder betrogen.“
„Stimmt“, nickt sie. „Er hat direkt vor deiner Nase mit anderen Kerlen gevögelt. Das ist absolut in Ordnung. Und jetzt geht er mit seinem ach so gebrochenen Herz hausieren, um noch mehr Kerle an Land zu ziehen, der er vögeln kann. Ich finde das eklig.“
„Vielleicht leidet er ja wirklich.“
„Ja, sicher“, lacht Tine sich kaputt. „Und morgen hisst der Papst eigenhändig die Regenbogenflagge am Vatikan und erklärt der Welt, dass er schwul ist. Eli“, schüttelt sie den Kopf, „dir ist einfach nicht zu helfen.“
„Was soll ich denn machen?“, murmle ich kläglich. „Ich liebe ihn.“
„Sag ich doch … dir ist nicht zu helfen.“
„Könntest du Patti so einfach aufgeben?“
Oha, das war ungünstig. Tine springt auf, ihre Augen funkeln böse.
„Ey, du willst meinen Freund doch wohl nicht mit deinem Spermaschlecker vergleichen!“
„Nein, natürlich nicht. Patti ist ja ein Heiliger.“
„Okay, er übertreibt’s vielleicht manchmal mit’m Saufen, aber er fickt keine anderen Frauen und du solltest mal dein Gehirn einschalten, bevor du den Mund aufmachst.“
„Und du könntest bitte mal zur Kenntnis nehmen, dass mein Spermaschlecker einen Namen hat.“
„Oh, Verzeihung“, entgegnet sie, „kann ich was dafür, dass du mir derart mit euren widerwärtigen Sexgewohnheiten auf den Sack gegangen bist?“
„Mir von dir stundenlang anhören zu müssen, wie gut Patti diverse Sexualpraktiken drauf hat, war auch nicht unbedingt das Highlight meines Lebens“, kontere ich gelassen. Tine war nämlich am Anfang ihrer Beziehung ebenfalls alles andere als diskret. Scheint sie vergessen zu haben.
„Ich werde jetzt gehen“, beschließt sie pissig. „Falls sich dein Schwachsinn verflüchtigen sollte, darfst du dich gerne bei mir melden.“
„Ja, falls du dann nicht zu sehr durch deinen Zungenakrobaten abgelenkt bist“, brülle ich ihr nach und bin grad so wütend, dass ich ihr eine Handgranate in den Rachen stopfen würde, wenn sie nicht gegangen wäre und ich zufällig so etwas hier rumliegen hätte. Was fällt der überhaupt ein, so einen dämlichen Streit anzufangen? Und alles nur wegen Dante. Kann der sich bitte aus meinem Leben raushalten … besonders wenn er gar nicht da ist?!
Ohne groß nachzudenken, poltere ich die Treppen runter und schwinge mich aufs Fahrrad. Ich muss mich abreagieren. Und zwar bei Dante. Schadet ihm nichts, mal gehörig was auf den Deckel zu kriegen. Möglicherweise verflüchtigt sich dadurch ja sein jahrelang aufgebauter Schwachsinn!
Vor seiner Haustür fühle ich mich, als hätte mir jemand eine Handgranate in den Schlund gestopft … und oben angekommen explodiert sie. Eigentlich wollte ich ihm eine Szene machen, die fiesesten Schimpfwörter an den Kopf knallen, aber ganz plötzlich hab ich eine völlig andere Idee, um mich abzureagieren. Das liegt wohl hauptsächlich an seiner äußeren Erscheinung … dunkle Jeans und ein wahnsinnig enges, schwarzweiß kariertes Hemd, passend dazu trägt er seine Haare schwarz und im Pony blondierte Strähnen.
„Eli, hey“, begrüßt er mich, „waren wir verabredet?“
„Nein“, fauche ich, knalle die Tür zu, drängle ihn ein bisschen gegen die Wand und beginne, sein Hemd aufzuknöpfen. Dante wirkt einigermaßen irritiert.
„Ähem … was soll das werden?“
„Was wohl?“, antworte ich, öffne den letzten Knopf und lasse meine Hände über seine nackte Brust gleiten, über seinen Bauch und … als ich mich an seiner Jeans zu schaffen mache, hält er meine Hände fest.
„Das ist keine gute …“
„Bitte“, schnaufe ich genervt, „ich hab keinen Bock auf ’ne Unterhaltung. Können wir nicht einfach nur ficken?“
„Nein“, behauptet er knapp, schiebt mich weg und knöpft sein Hemd wieder zu.
„Na toll, dann kann ich ja gehen“, schreie ich beleidigt.
„Warte“, sagt er vollkommen ruhig.
„Worauf? Dass du mir noch eins in die Fresse gibst? Danke, mir reicht’s.“
„Eli, ich will dich, das weißt du, aber … an diesem Punkt ist mir nur ficken zu wenig, okay?“
Haha, ich hab mich wohl verhört. Ich meine, halloho … so ein Satz von ihm ist doch der Witz des Jahrtausends.
„Entweder wir sind zusammen oder wir lassen es bleiben. Und mit es meine ich das, was du grad vorhattest.“
Wo zum Teufel ist die versteckte Kamera? Oder hat er heimlich wieder Pillen gefressen, die abnormes Denken verursachen? Blöderweise hab ich noch immer dermaßen mit meiner Geilheit zu kämpfen, dass ich kurz überlege, ihm einfach zu sagen, dass wir zusammen sind, damit er mich endlich flachlegt. Mann, ich muss dringend irgendwie runterkommen.
„Hast du vielleicht einen Schnaps oder so?“
„Hä?“
„Vergiss es. Du willst nicht, kein Problem. Fahr ich eben nach Hause und hol mir einen runter.“
„Eli …“ Sein Mund verzieht sich und … dann fängt er an zu lachen, der Penner!
„Ach so, das ist lustig, ja?“
„Na ja“, giggelt er, „ein bisschen schon. Du hast wahrscheinlich keine Ahnung, wie süß du gerade bist, und ich will gerade nichts mehr als …“, er kommt einen Schritt auf mich zu und streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr, „mit dir ins Bett zu gehen.“
Aggressiv flitsche ich seine Hand weg.
„Geschenkt. Meine Stimmung ist im Arsch.“
„Meine sowieso“, entgegnet er und reibt seine Flosse. „Trinken wir einen Kakao? Schnaps ist mir leider ausgegangen.“
„Hast du auch noch’n paar Kekse von deiner kleinen Freundin?“
„Nee, aber wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, hätte ich einen Kuchen gebacken.“
„Ich glaub dir kein Wort, Blödmann.“
Den Kakao trinken wir im Wohnzimmer. Ich würde ihn gerne fragen, warum er so’n Scheiß über mich ins Internet schreibt. Allerdings müsste ich dann zugeben, dass ich das alles lese, und das braucht er nun wirklich nicht zu wissen.
„Ist der Kakao zu süß?“, fragt Dante.
„Nee“, antworte ich.
„Und … wie läuft das Studium?“, fragt Dante.
„Okay. Und … wie läuft’s im Studio?“, frage ich.
„Ganz gut“, antwortet Dante.
Na, wenn das keine geistreiche, unbefangene Unterhaltung ist!
„Hast du schon ein Porträt gemacht?“
„Hab mich noch nicht rangetraut, obwohl Crazy und Gianni meinen, dass ich’s könnte. Aber wenn ich überlege, dass irgendjemand sein hübsches Kind auf der Brust haben will und ich das dann vergeige und so’ne Zombiefresse dabei rauskommt …“
Ich schalte ein wenig ab. Dante ist bei seinem Lieblingsthema. Wunderbar. Wenigstens redet jetzt einer in der Runde.
„… ich finde Porträts zu tragen sowieso selten dämlich, aber so was perfekt stechen zu können, ist echt cool.“
„Hm-hm“, mache ich.
„Letztens hab ich einem Mädel so’n altertümliches Schmuckarmband gemacht, was auf den Handrücken runtergeht … das ist hübsch geworden.“
„Hände tätowiert klingt nach Knast.“
„Schon längst nicht mehr“, schüttelt er den Kopf. „Kommt natürlich auf das Motiv an.“
Mein Kakao ist ausgetrunken.
„Okay, ich werd dann mal gehen“, beschließe ich und gehe.
Mann, das war ja vielleicht ein Reinfall!
Zwischen Tine und mir herrscht offenbar Sendepause. Ich hab mich bei ihr nicht gemeldet, sie sich bei mir auch nicht. Ich hasse es, wenn Mädchen meinen, sie hätten das Recht, zickig und beleidigt zu sein, obwohl sie den Streit angefangen haben. Tine kann manchmal ekelhaft nachtragend sein … wie sie momentan eindrucksvoll beweist. Nach meinem Besuch bei der kleinen Halbschwester bin ich jetzt grad dabei, mein Zimmer auf den Kopf zu stellen, weil ich Dantes Drachenanhängerarmband suche. Ich will das in der Nähe haben, so für alle Fälle. Was das allerdings für Fälle sein sollen, weiß ich noch nicht so genau. Tatsächlich finde ich das Armband zwischen lauter Kram, den ich längst hätte wegschmeißen können. Vorsichtig entferne ich die Staubschicht und … Drachen, der Typ schenkt mir Drachen, bloß weil er drauf steht. Man stelle sich mal vor, ich hätte ihm eine Kette mit, keine Ahnung, mit ’nem silbernen Kochlöffel oder so geschenkt, bloß weil ich manchmal ganz gerne koche. Für zwei Minuten schlinge ich das Teil um mein Handgelenk, danach nehme ich es wieder ab und lege es auf den Schreibtisch. Jedenfalls weiß ich jetzt, wo’s ist, mehr wollte ich ja eh nicht.
Abends springe ich über meinen Schatten und rufe Tine an.
„Es tut mir leid“, brülle ich ins Telefon.
„Mir auch“, brüllt sie zurück.
Nachdem das geklärt ist, reden wir in normaler Lautstärke weiter. Zum Schluss findet sie, ich sollte in Bezug auf Dante das tun, was ich für richtig halte. Außerdem versichert sie mir, immer für mich da zu sein, so oder so. Einigermaßen beruhigt, gehe ich irgendwann ins Bett und bin auf einmal dermaßen nervös, dass an Schlaf nicht zu denken ist. Ehrlich, ich glaube, ich war in meinem Leben noch niemals so wach wie jetzt gerade. Dabei bin ich gleichzeitig total müde. Ich schwitze, obwohl mir kalt ist, zittere, obwohl ich meine, innerlich zu verbrennen … es ist der reinste Schwachsinn. Mein Herz klopft unangenehm laut und mein Schädel dröhnt. Um viertel vor zwei halte ich es nicht mehr aus. Ich stehe auf, ziehe irgendwelche Klamotten an, die rumliegen, stolpere im Dustern die Treppe runter, setze mich aufs Fahrrad und rase los. Da es draußen arschkalt ist und ich lediglich ein dünnes T-Shirt unter meiner Kapuzenjacke trage, die ich nicht mal zugemacht habe, wird mir der Spaß hier sicher eine fette Erkältung einbringen. Auch egal. Wenn das jetzt wieder so ein Reinfall wird wie vor ein paar Tagen, weiß ich wenigstens, dass es vorbei ist.
Dante macht nicht auf. Logisch nicht. Ich würde auch niemandem die Tür öffnen, der um kurz vor halb drei nachts bei mir Sturm schellt, sondern die Bullen rufen. Immerhin geht er nach gefühlten zwei Stunden endlich an sein Telefon.
„Was?“, murmelt er genervt und verpennt.
„Mach die Tür auf, verdammt!“
„Eli? Hast du geklingelt?“
„Wer sonst? Der Osterhase? Lass mich rein, mir ist kalt.“
„Ey, es ist mitten in der Nacht“, bemerkt er, als ich ob bin.
Langsam schließe ich die Tür und … weiß nicht weiter. Ich kann nichts sagen, nichts tun, ich kann ihn nur anstarren. Diesen zum Kotzen schönen Kerl, der sogar verschlafen und in Schlabberklamotten noch so unerhört schön ist, dass es mir den Atem nimmt. Ich liebe ihn, ich hab ihn immer geliebt und ich werde ihn immer lieben, das steht mal fest. Und ich meine das genauso beschissen kitschig, wie es klingt.
„Eli …“, seufzt er kopfschüttelnd, legt seine warmen, weichen Hände an meine Wangen und küsst mich.
Augenblicklich umarme ich ihn, klammere mich an ihn wie ein Ertrinkender. Dante hebt mich hoch, sodass ich meine Beine um seine Hüften schlingen kann, während wir uns weiter küssen, und dann liegen wir auch schon auf seinem Bett …
Dantes verschwitzte Ponysträhnen fallen ihm ins Gesicht und er zittert leicht, als mein Atem langsam wieder ruhiger wird.
„Ich l…“
Hastig lege ich ihm zwei Finger auf den Mund. Er soll jetzt nicht irgendwas Blödes sagen und alles kaputt machen. Ich will einfach nur genießen, bei ihm zu sein. Zum Glück versteht er das, zieht mich in seine Arme und hält die Klappe.
Als ich meine Augen öffne, ist es bereits hell draußen. Dante schläft neben mir. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, rapple ich mich auf, ziehe meine Klamotten an und fahre nach Hause.
Natürlich versucht Dante den ganzen nächsten Tag, mich anzurufen. Mein Handy ist aus, aber ich sehe die vielen Anrufe, als ich es abends einschalte. Ich liebe ihn, völlig klar, aber die Angst davor, mich wieder auf ihn einzulassen, verschwindet nicht plötzlich, bloß weil wir miteinander geschlafen haben. Andererseits … wenn man sich nur von seinen Ängsten beherrschen lässt, verpasst man wahrscheinlich die besten Sachen im Leben. Leider fallen mir dann sogleich die schlimmsten Sachen in meinem Leben ein und an allen war Dante beteiligt. Ich drehe mich also mal wieder so richtig schön im Kreis. Jedenfalls, so viel zu Tines Theorie, die sie irgendwann mal aufgestellt hat, dass es bei mir mit einer Liebesbeziehung erst klappt, wenn ich die Sache mit meinem Vater aufgearbeitet habe. Schließlich ist die Sache inzwischen aufgearbeitet. Okay, ab und an sticht es noch, wenn Crazy so liebevoll mit seiner Tochter umgeht, aber im Großen und Ganzen hab ich die Vergangenheit akzeptiert, beziehungsweise damit abgeschlossen, und es ist gut, Kontakt zu meinem Vater zu haben. Ihm glaube ich jetzt, dass er mich liebt. Wieso krieg ich das bei Dante nicht hin? Mein Telefon klingelt … Dante.
„Hey, bist du zuhause? Wir müssen dringend reden.“
„Ja, bin ich. Und, ja, müssen wir“, antwortet er.
„Dann bis gleich.“
Bevor ich losfahre, friemele ich mir das Drachenarmband ums Handgelenk.
Ah, wie günstig, Dante trägt das Rockstar-auf-Couch-Outfit von der Fotosession mit Kai und das sieht leider in echt noch heißer aus als auf den Fotos. Dazu kommen noch sein laszives Lächeln und die Erinnerung an letzte Nacht … es ist echt schwer, ihn nicht sofort anzuspringen. Mit Sicherheit liegt es auch daran, dass er irgendwie nervös wirkt, wie er sich ständig durch die Haare streicht, und dass er bisher nichts weiter als ein zaghaftes „Hallo“ zustandegebracht hat. Ich werde das alles ignorieren und wenn es ihm wirklich ernst ist, soll er mich verdammt noch mal überzeugen. Hübsches Aussehen und Nervosität sind mir eben an diesem Punkt zu wenig.
„Okay“, beginnt er leise, „was war das gestern?“
„Keine Ahnung, Rückfall in alte Verhaltensmuster oder so. Ich konnte nicht schlafen und brauchte etwas Entspannung.“
„Cool, wenn du das nächste Mal Entspannung brauchst, dann nimm ’ne Valium.“ Er wirft einen Blick auf mein Handgelenk. „Außerdem kaufe ich dir deine abgewichste Art nicht eine Sekunde ab.“
„Hättest ja nicht mitmachen müssen“, entgegne ich schulterzuckend.
„Ich dachte aber, du hättest dich entschieden. Für uns.“
Mir rutscht aus Versehen ein relativ fieses Lachen raus.
„Entschuldige, so was klingt aus deinem Mund echt lustig.“
„Ich weiß halt jetzt, was ich will.“
„Und wie immer dreht sich alles nur um Dante Engels“, stelle ich fest. „Du hast Lust, tausend Typen zu ficken, also hab ich damit klarzukommen, egal, wie’s mir dabei geht. Du hast Lust, mich zu ficken, also muss ich dir zur Verfügung stehen. Du willst, dass wir nur Freunde sind, also sind wir nur Freunde. Und jetzt faselst du auf einmal von Liebe und Beziehung und ich muss sofort darauf einsteigen. Hauptsache, du kriegst, was du willst.“
„Und du bist offensichtlich mit nichts zufrieden. Seit zwei Jahren rennst du mir hinterher, jetzt hast du mich endlich und es passt dir trotzdem nicht.“
Wow, da hat aber einer den Irrsinn mit Löffeln gefressen!
„Wahrscheinlich soll ich dir jetzt auch noch dankbar sein, dass du dich endlich dazu herablässt, mit mir zusammenzusein. Wieso eigentlich? Klappt’s nicht mehr so bei deinen Fickfreunden?“
„Ich hab genug Angebote, danke. Und was deine andere Frage betrifft … weil ich seit ungefähr zwei verdammten Jahren ums Verrecken nicht von dir loskomme“, brüllt er mir ins Gesicht.
„Ach so, ich vermute, du hattest nur deshalb so viele Typen nebenher, ja?“, gebe ich mich unbeeindruckt. „Was war denn der Grund für deine vielen, vielen verzweifelten Versuche? Dass du mich nicht haben konntest, weil ich dir ja schließlich niemals auch nur ansatzweise signalisiert hab, dass ich in dich verliebt bin?“
„Ich dachte, ich könnte beides haben. Und egoistisch wie ich bin, hat’s mich am Anfang nicht interessiert, ob dir das was ausmacht.“
Mann, ein bisschen weniger Ehrlichkeit würde mir im Augenblick nichts ausmachen!
„Und ganz plötzlich ist dir aufgefallen, dass du doch ein Herz für den verliebten Trottel hast?“
„Ganz plötzlich bestimmt nicht. Aber ansonsten, ja, sieht so aus.“
„Dann sag ich dir jetzt mal was … der Trottel hat die Schnauze voll. Ich lass mich …“
„Warum bist du dann hier?“, unterbricht er mich.
„Ich hab nicht die geringste Ahnung.“
„Und warum trägst du das?“, fragt er und deutet auf das Drachenarmband.
„Sicher nicht, weil ich Happy Beziehung mit dir spielen will.“
Danach herrscht erst mal Schweigen.
Dante schlurft ins Wohnzimmer, ich folge ihm und setze mich neben ihn aufs Sofa.
„Ich bin müde … falls du auf eine weitere Runde gehofft hast“, seufzt er.
„Aha, und jetzt trinken wir einen Kakao und tun so, als wäre nichts?“
Er hält es nicht für nötig, mir zu antworten.
„Okay, das war’s, ich fahr nach Hause“, sage ich fassungslos.
„Du kannst hier schlafen.“
„Wie bitte?“, frage ich noch fassungsloser.
„Ich will nicht, dass du nachts durch die Gegend fährst.“
„Ey, ich schlaf bestimmt nicht hier“, rege ich mich auf. „Wahrscheinlich noch in deinem Bett.“
„Auf der Couch.“
„Du hast sie nicht mehr alle“, bin ich mir ziemlich sicher.
„Mach doch, was du willst“, zuckt er die Schultern und geht ins Schlafzimmer.
Wütend gehe ich ihm hinterher.
„Du bist so ein blödes Arschloch, Engels“, schreie ich und schubse ihn gegen die Wand.
Dante reibt kurz seinen Arm, kramt danach in seinem Schrank herum und drückt mir anschließend eine Decke und ein Kissen in die Hand. Ey, dieser Mann ist doch geistesgestört!
Ich sollte verschwinden und mich nie wieder bei ihm melden. Ach ja, das hatten wir ja schon. Weil ich die Hoffnung habe, dass wir die Sache hier vielleicht doch noch irgendwie in den Griff kriegen, bleibe ich, lege mich auf die Couch und finde, dass ich mindestens so gestört bin wie er.
„Glaub bloß nicht, dass damit alles in Ordnung zwischen uns ist“, sage ich am nächsten Morgen beim Frühstück.
„Eli, ich hab noch nicht mal meinen Kaffee ausgetrunken“, entgegnet er genervt. „Nichts gegen deine beiden Lieblingsbeschäftigungen … Probleme zu schaffen, wo keine sind, und alles bis an die Schmerzgrenze ausdiskutieren zu müssen … aber kannst du damit vielleicht eine halbe Stunde warten?“
„Ich schaffe Probleme? Bei dir hackt’s wohl! Deine tausend Fickfreunde sind das Problem. Tut mir ja leid, dass ich nicht deine kranke Auffassung von einer Beziehung teile. Wäre natürlich weniger stressig für dich, wenn ich einfach brav die Fresse halten und alles so hinnehmen würde.“
Dante erhebt sich lautstark und kippt seinen Kaffee in die Spüle.
„Ich hab dir gesagt, dass es keine anderen Typen mehr gibt … meine Güte, was willst du denn noch? Soll ich mich als Beweis meiner Liebe von einer Klippe stürzen?“
„Es würde mir reichen, wenn ich dir glauben könnte, dass du nur noch mich willst. Das ist ein Unterschied, verstehst du das nicht? Wenn du auf irgendwelche Typen verzichtest, obwohl du die gerne ficken würdest und denen heimlich nachschmachtest …“
„Weil die alle hübscher, geiler und begehrenswerter sind als du, mh? Okay, von mir aus, wenn es dein Minderwertigkeitskomplex braucht, sag ich dir jeden Tag zwanzig Mal, dass du hübsch und geil und begehrenswert bist. Mehr als jeder andere. Wenn es dein Minderwertigkeitskomplex braucht, sag ich das sogar jedem, der mir über den Weg läuft. Und wenn ich es schaffe, ficke ich dich auch noch zwanzig Mal am Tag als Beweis. Allerdings müsste ich dann meinen Job aufgeben, weil ich dafür keine Zeit mehr hätte.“
„Tu nicht so, als hätte ich hier den Dachschaden in der Runde. Ganz normal ist dein zwanghaftes Rumficken wohl auch nicht.“
„Das erspart mir wenigstens so was wie das hier“, erklärt er.
„Was hier?“
„Na, dieses andauernde Gelaber über Beziehung und so. Ständige Vorwürfe, weil der eine es nicht mal fünf beschissene Minuten gut sein lassen kann.“
„Verstehe, dass dich das anstrengt. Bei deinen Fickfreunden brauchst du vermutlich immer nur zwei Sätze … lass uns ficken und spritz mir ins Gesicht.“
„Ich hab jetzt noch’n bisschen was zu tun“, erklärt er und verlässt die Küche.
Blöder Fickfrosch! Hauptsache, er kann sich verpissen, wenn ihm was nicht passt.
Dante hockt im Wohnzimmer und malt lustig herum.
„Das ist jetzt wichtig, ja?“
„Kommt drauf an“, antwortet er, ohne von seinem Blatt Papier aufzusehen. „Wenn du dich weiter mit mir streiten willst, dann ist zeichnen auf alle Fälle wichtiger.“
Hat der den Arsch auf? Als ob mich mit ihm zu streiten meine Art der Freizeitgestaltung wäre. Er muss doch … fuck, warum muss der da jetzt so niedlich auf der verfluchten Couch sitzen mit seinen zwei verschiedenen bunten Smileysocken? Ich würde mich so gerne einfach nur in seine Arme kuscheln.
„Ich bin dann mal weg“, sage ich stattdessen.
„Eli … warte“, ruft er mir nach.
Nee, Schätzchen, diesmal nicht, ich hab schon so lange gewartet!
Jetzt lasse ich ausnahmsweise Dante mal ein paar Tage warten. Hat er ein bisschen verdient, oder? Jedenfalls konnte er mich bislang noch nicht wirklich davon überzeugen, dass auf einmal alles ganz anders ist und er mich liebt. Ich weiß ja auch nicht, was ich von ihm erwarte … dass er seine Fickfreunde runterspielt und mir einen Minderwertigkeitskomplex andichtet aber jedenfalls nicht.
Donnerstagabend klingelt’s bei mir. Ich rate drei Mal, wer es sein könnte, und stelle fest, als ich die Tür öffne, dass ich drei Mal recht hatte.
„Hallo“, begrüße ich Dante neutral.
„Ist es ein neues Hobby, meine Anrufe nicht zu beantworten?“, will er wissen.
„Ich hatte zu tun“, erkläre ich.
„Ja, was soll’s“, murmelt er. „Darf ich vielleicht reinkommen?“
„Nein.“
Er sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
„Eli, ich hab keine Lust, unsere Beziehungsprobleme zwischen Tür und Angel zu besprechen.“
„Seit wann haben wir denn wohl eine Beziehung? Aber … meinetwegen.“ Ich schließe die Haustür und setze mich auf die niedrige Mauer, die das Grundstück vom Gehweg trennt.
Dante bleibt einen Moment stehen, atmet schnaufend aus und setzt sich schließlich zu mir.
„Ich … war auf einen Streit mit dir nicht vorbereitet.“
„Und weiter?“
„Vielleicht hab ich aus diesem Grund nicht ganz so nette Sachen gesagt. Tut mir leid. Mann, du machst es einem aber auch echt nicht leicht.“
„Hast du es mir etwa leicht gemacht?“, entgegne ich.
„Also läuft es auf Rache hinaus oder was?“
„Ja, Dante, ganz bestimmt“, schüttle ich den Kopf.
„Okay, dann sag mir, was du willst, ich steig nämlich so langsam nicht mehr durch.“
„Hast du das immer noch nicht kapiert?“, frage ich und sehe ihn an. „Ich will, dass du Herzklopfen kriegst, wenn wir uns sehen, dass du mich vermisst, wenn wir uns nicht sehen, dass es dich verrückt macht, wenn ich dich küsse, ich will … dass du mich so liebst, wie ich dich liebe.“
„Das tu ich doch.“
„Nein“, sage ich und stehe auf, „tust du nicht.“
„Du scheint ja über meine Gefühle sehr gut Bescheid zu wissen.“
„Allerdings.“
„Jetzt mal ehrlich … warum sollte ich dann mit dir zusammensein wollen? Ich könnte dich einfach abhaken und so weitermachen wie bisher. Warum ist es so schwer für dich zu verstehen, dass ich gemerkt habe, dass du mir wichtiger bist als irgendwelche Typen für eine Nacht?“
„Und wann genau ist dir das aufgefallen? Als Felix langweilig wurde?“
„Was hat’n der damit zu schaffen?“
„Entschuldige, ich kenne die Namen deiner anderen Fickfreunde nicht.“
„Das war so’n schleichender Prozess“, erklärt er. „Wirklich begriffen hab ich’s wohl erst, als Crazy meinte, ich …“
„DAS ist der Grund“, unterbreche ich ihn völlig entgeistert.
„Was?“
„Um dich bei ihm einzuschleimen, erzählst du mir diesen ganzen Scheiß. Aus Angst, dass er dich meinetwegen nicht mehr lieb hat, mh? Oder noch schlimmer … dass er dich meinetwegen rausschmeißt. Das ist echt … wow, du bist so ein berechnender Scheißkerl.“
Dante ist inzwischen entsetzt aufgesprungen und wirkt ziemlich durchschaut.
„Eli, das ist doch …“
„Verpiss dich, Engels. Verpiss dich und lass mich künftig in Ruhe. Ich will dich nicht mehr sehen. Nie mehr. Ich hoffe, das war jetzt deutlich.“
„Eli, hör mir zu, verdammt!“
Wozu? Ich gehe rein und knalle die Tür hinter mir ins Schloss. Von mir aus kann der Spermaschlecker da draußen bis in alle Ewigkeit rumlungern und krakeelen.
Dante hält es grad mal ein paar Minuten, ein paar Mal Klingeln und ein paar Versuche, mich telefonisch zu erreichen, aus. Ich bin in Mordlaune. Crazy meinte … was mischt sich der Arsch in mein Leben ein? Offenbar ist er der Meinung, dass sein blöder Sohn eigenhändig nix auf die Reihe kriegt. Wirklich sehr nett. Und Dante … ist doch klar, dass er alles macht, was sein Guru ihm sagt. Crazy meint, ich soll mit dir zusammensein, sonst kann ich mir ein anderes Studio suchen … so wird’s wohl abgelaufen sein. Ich könnte kotzen! Mein Vater meint, er müsste mir einen Freund beschaffen … warum hat er Dante nicht gleich dafür bezahlt? Okay, der kann was erleben und dann bin ich endgültig fertig mit dem Erzeuger!
Wie ein Irrer rase ich mit dem Fahrrad durch die Straßen und niete beinahe eine Oma um. Allein dafür könnte ich den Erzeuger gleich kaltmachen. Die Oma hat nun wirklich nichts mit der Sache zu tun, weswegen ich ihr ein hektisches „Entschuldigung“ hinterherbrülle. Zum Glück ist sie nicht gestürzt oder so, nur etwas ins Straucheln gekommen. Was sie mir hinterherbrüllt, ist übrigens nicht so nett.
Nachdem ich wie bescheuert auf den Klingelknopf gedrückt habe, wird mir geöffnet. Ich stampfe die Treppenstufen rauf und lege sofort los.
„Bist du jetzt völlig durchgedreht, du Arsch“, schnauze ich den Erzeuger an und knalle die Tür zu.
Ein lautes Kindergeheul ist die Antwort, denn er ist nicht allein. Großartig, jetzt hab ich auch noch die kleine Halbschwester erschreckt!
„Das wollte ich dich fragen“, zischt Crazy böse und versucht, seine Tochter zu beruhigen.
Inzwischen ist auch Lola da und glotzt mich ebenso böse an.
„Es tut mir leid“, murmle ich und streiche Lucy vorsichtig über den Kopf.
Lola verschwindet einstweilen mit der kleinen Halbschwester. Crazy kuckt immer noch böse.
„Ich hoffe, du hast einen guten Grund dafür, Junge.“
Seine Stimme klingt drohend.
„Und wenn nicht, haust du mir dann eine rein?“
„Hast du irgendwas genommen?“
„Hast du den Arsch auf, Dante zu zwingen, mit mir zusammenzusein?“
Crazy verdreht genervt die Augen.
„Hätte ich mir denken können, dass es wieder um ihn geht.“
„Nein“, entgegne ich, „es geht darum, dass du dich ungefragt in mein Leben einmischst, dass du den beschissenen Kuppler spielst, weil du denkst, dass ich unfähig bin …“
„Warte mal“, unterbricht er mich, „ich hab keinen Plan, wovon du redest.“
„Hast du ihm gesagt, er soll mit mir zusammensein, oder nicht?“
„Fuck“, seufzt er, „ich dachte, ich hätte nur ein kleines Kind. Los, mitkommen!“, fordert er und schiebt mich ins Wohnzimmer. „Hinsetzen!“
„Danke, ich stehe …“
„Setz dich hin, verdammt noch mal!“
Schwupps, sitze ich auf dem Sofa. Crazy öffnet die Balkontür und zündet sich eine Zigarette an.
„Eli, du bist mein Sohn und ich liebe dich, aber … ehrlich gesagt, so langsam hab ich die Schnauze gestrichen voll. Jedes Mal, wenn du Stress mit Dante hast, machst du mich zur Schnecke. Und Herr Engels ist keinen Deut besser. Nur, dass er mir die Ohren volljallert, anstatt mich anzukeifen.“
„Was?“, frage ich blöde.
„Okay, ich hab ihm irgendwann mal gesagt, er soll sich überlegen, was ihm wichtig ist … sein Rumgeficke oder mit dir zusammenzusein, denn dass er bis zur Halskrause in dich verschossen ist, dürfte selbst dem letzten Spatzenhirn klar sein. Wenn du das als Einmischung in dein Leben betrachtest, dann entschuldige ich mich dafür. Aber ich hab ihn seitdem ungefähr ständig hier hocken, weil du ihn plötzlich nicht mehr willst. Und das nervt.“
„Er liebt mich doch nur, um vor dir gut dazustehen.“
Crazy drückt seine Kippe aus und lässt sich in einen der Sessel fallen.
„Ich bin eindeutig zu alt für diesen Scheiß“, seufzt er angestrengt. „Also gut, es ist im Prinzip ganz einfach, ja? Wenn du ihn liebst, geh zu ihm. Wenn nicht, hak ihn ab, dann kann er dir nämlich egal sein.“
Ganz einfach, mh? Wieso sind eigentlich alle außer mir bescheuert?
„Eli, mir ist klar, dass es bestimmt meine Schuld ist, dass es so schwer für dich ist, jemandem zu vertrauen. Ich hab dich im Stich gelassen, so was prägt, und wieder gutmachen kann man das auch nicht. Aber wenn ich dir trotzdem einen Rat geben darf … gerade wenn es um Liebe geht, muss man auch mal etwas wagen.“
„Und wenn er wieder Scheiße baut?“, murmle ich.
„Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, weder mit Dante noch mit einem anderen. Es deshalb allerdings gar nicht erst zu versuchen, wird dich auf Dauer ziemlich einsam machen.“
Seufzend stehe ich auf. „Das mit Lucy … entschuldige.“
Crazy nickt lächelnd.
„Was willst du denn hier?“
Ich zucke die Schultern und schiebe mich an Dante vorbei in die Wohnung. Meine Entscheidung ist gefallen. Hoffentlich macht er gleich nicht wieder alles zunichte, indem er … so ist, wie er ist.
„Eli?“
Langsam gehe ich auf ihn zu und schlinge meine Arme um ihn.
„Lass das. Ich hab dir gesagt …“
„Sag’s mir“, wispere ich.
„Hä?“
Mein Kopf stupst gegen seine Brust. „Sag’s mir, ich will’s jetzt hören.“
„Was denn?“
Ich sehe ihn an und verdrehe leicht die Augen.
„Willst du noch mit mir zusammensein oder nicht? Dann sag’s jetzt, verdammt noch mal!“
„Liebeserklärungen mache ich nicht auf Kommando“, behauptet er.
„Du bist ein Fickfrosch, Engels.“
„Und du wolltest mich vor ein paar Tagen noch nie wieder sehen. Wieso hast du deine Meinung plötzlich geändert?“
„Wir haben alle anderen Varianten durch, oder? Und keine hat funktioniert. Offenbar kommen wir aber beide nicht voneinander los. Außerdem hab ich mit meinem Vater gesprochen.“
„Ach so?“
„Ja, und der ist echt angenervt. Er findet, dass dieses Hin und Her zwischen uns Teeniescheiß ist.“
„Na und? Liebe ist doch immer Teeniescheiß. Deswegen hatte ich so selten Lust darauf.“
„Okay, und was ist jetzt?“
Seine Arme schlängeln sich um meine Hüften. „Jetzt will ich dich. Mit allem Drum und Dran.“
„Ohne andere Typen“, stelle ich klar.
„Ohne andere Typen“, nickt er. „Und nicht, weil du der Sohn vom Chef bist. Sondern weil ich ekelhafterweise total beschissen kitschig in dich verliebt bin.“
Ich weiß immer noch nicht, ob ich ihm wirklich trauen kann, aber ich muss es versuchen, eine andere Möglichkeit gibt es nicht.
„Darf ich dich jetzt endlich ins Schlafzimmer schleppen und … dir meine Flügel zeigen?“, flüstert er mir ins Ohr.
Okay, dagegen hab ich nicht das Geringste.
Oder doch? Als er nämlich dabei ist, mich zu küssen und auszuziehen, krieg ich irgendwie … na ja, zum Glück keinen Kotzreiz wie während der Zeit, als er die Felix-Pissnelke gebumst hat, aber nach Sex ist mir auch nicht.
„Was’n los?“, fragt Dante.
„Keine Ahnung.“
„Wenn du Lust hast, mich zu ficken …“
„Nee, darum geht’s gar nicht“, unterbreche ich ihn.
„Worum dann?“
„Ich weiß es nicht, okay?“, werde ich etwas lauter.
„Okay, dann lassen wir es halt. Kein Grund, auszuflippen, Eli. Alles cool.“
Ich glaube stark, es liegt alles an meiner dämlichen Angst … haha, psychosomatische Beschwerden im sexuellen Bereich oder ganz einfach Sex-mit-Dante-Phobie … ich habe soeben eine neue Krankheit erfunden! Alles cool, verdammte Scheiße!
„Ich hab was, das dich aufmuntert“, erklärt Dante unangebracht fröhlich, kramt durch seine DVD-Sammlung und startet schließlich einen seiner gefürchteten „Klassiker“. Vorsichtshalber stelle ich mich schon mal auf Langeweile und frühen Schlaf ein, allerdings erscheint im Vorspann sofort ein Name, der mich aufweckt.
„Steve McQueen?“
„Vertrau mir, du wirst den Film lieben“, grinst Dante und kuschelt sich bequem an mich.
Dante hat Recht behalten. Ich liebe „The Great Escape“. Mr. McQueen, der andauernd aus einem Gefangenenlager der Deutschen türmt (während die anderen Gefangenen fleißig Tunnel in die Freiheit graben), danach mitsamt Baseball und Handschuh im Bunker hockt und zwischendurch mit James Garner zusammen irgendeinen Heftigkeits-Fusel aus Kartoffeln zusammenbraut. Okay, am Ende geht’s leider nicht für alle optimal aus, aber Steve McQueen, der im Stacheldraht hängt und trotzdem noch so ein cooles Grinsen zustande bringt … WOW!
Und das Thema Sex ist nach dem Film zum Glück auch erst mal erledigt.
Das bleibt es auch die nächsten Tage, also jedenfalls was unseren Sex betrifft. Dante tut so, als sei alles in Ordnung. Ich tue ebenfalls so. Dass Tine nicht begeistert darüber ist, dass ich jetzt mit dem Spermaschlecker zusammen bin, liegt auf der Hand. Immerhin hat sie versprochen, sich zu benehmen und keine dämlichen Kommentare abzugeben … ich schlug ihr wieder einmal vor, damit anzufangen, Dante nicht mehr als Spermaschlecker zu bezeichnen. Wenn ich mir allerdings seine Aktivitäten im Internet ankucke, bleibt er für mich ein blöder Fickfrosch. Der flirtet immer noch mit seinen Emo-Sluttys! Na ja, wenigstens ist er aber schon mal offiziell „vergeben“. Das macht den Sluttys leider gar nichts aus, die schreiben ihm trotzdem Schweinkram, auf den er antwortet. Ey, und sein neues Profilbild … obenrum nichts an, dafür aber mit super Nimm-mich-jetzt-und-hier-Schmachtblick. Was soll man davon halten? Man sollte ihn darauf ansprechen. Allerdings müsste ich dann zugeben, dass ich hinter ihm her schnüffle, weil ich ihm null vertraue. Auch irgendwie doof.
Nach ungefähr drei Wochen Beziehung habe ich mich getraut, mit ihm auszugehen. Ganz blöde Idee. Dante hat, wie erwartet, alle schwulen Jungs in der Villa verrückt gemacht, während ich daneben stand, ist später allerdings mit mir nach Hause gegangen. Na und? Was heißt das schon? Ich will, dass er mich verrückt macht und sich nicht in der Öffentlichkeit benimmt, als sei ich bloß irgendjemand. Ich bin sein Freund, verdammte Scheiße!
Als Dante nach der Arbeit zu mir kommt, hat er bestialisch gute Laune. Und die Haare mal wieder grün.
„Wegen der Fickfröschigkeit“, grinst er und zupft an seiner Frisur herum.
„Fickfrosch ist immer noch kein Kompliment“, setze ich ihn in Kenntnis. „So nenne ich dich, wenn ich sauer auf dich bin.“
Dante zuckt die Schultern. „Aber sieht doch cool aus, oder?“
„Ja, geht so.“
„Lena war begeistert.“
„Und das ist ja die Hauptsache“, verdrehe ich die Augen.
„Die hat jetzt übrigens einen Freund. Einen hübschen, gleichaltrigen Emo. Ich halte das für sehr vernünftig, weil sie jetzt mehr Zeit damit verbringt, den anzuschmachten. Ein Knutschfoto von uns beiden will sie aber trotzdem noch haben.“
„Reicht ihr das von dir und der Pissnelke nicht?“
„Eli, du bist nicht wirklich noch eifersüchtig“, seufzt er.
Augenblicklich sehe ich die beiden zusammen im Bett vor mir, die Pissnelke leckt an Dantes Flügeln …
„Felix war nie eine Gefahr für dich“, erklärt Dante.
„Hast du mit ihm geschlafen oder nicht?“
„Okay, vergiss das Knutschfoto. Lena wird’s überleben. Ich wollte dir auch eigentlich was ganz anderes erzählen.“
„Du hast endlich dein erstes Portrait gestochen“, rate ich lustlos.
„Äh … nein. Ab nächster Woche fängt die Band wieder an zu proben.“
„Habt ihr einen neuen Schlagzeuger?“
Dante macht es sich auf meinem Bett bequem. „Nee, ich hab Torben bequatscht, dass er wieder mitmacht.“
Na toll, offenbar werde ich den beknackten Mitbewohner … Ex-Mitbewohner … nicht los.
„Das war echt ein hartes Stück Arbeit, ich musste meinen gesamten Charme spielen lassen, ihm versichern, dass er mein bester Freund bleibt, auch wenn ich jetzt mit dir zusammen bin … blablabla. Der Typ hat irgendwie einen gewaltigen Dachschaden, aber was soll’s?!“
„Ich muss aber jetzt nicht nett zu dem sein, oder?“, frage ich vorsichtshalber nach.
„Geil, das hat Torben auch sofort gefragt.“
Was für ein dämliches, altes Sackgesicht!
„Dann ist ja alles in Ordnung“, sage ich.
„Ja“, antwortet er, zieht mich in seine Arme und bringt uns in eine liegenden Position.
„Was wird’n das?“
Seine Hand wandert unter mein Shirt, während er meinen Hals küsst.
„Wonach fühlt es sich denn an?“
Ich halte seine Hand fest und schiebe ihn von mir runter.
„Nach etwas, worauf ich grad keine Lust hab.“
Dantes Gesichtsausdruck lässt vermuten, dass seine Stimmung im Arsch ist.
„Okay. Aber … reden wir vielleicht mal darüber, dass wir keinen Sex mehr haben?“
„Meine Güte, ist das alles, was dich interessiert?“
„Nein, aber es ist mir wichtig.“
„Ja, und mir momentan eben nicht so“, entgegne ich genervt.
„Seit wir zusammen sind“, stellt er fest.
„Wenn du’s so dringend brauchst, schnapp dir doch eine von deinen Internetschlampen, die sind bestimmt sofort dabei.“
„Ich würd lieber dich schnappen“, lächelt er und legt seine Hand auf meinen Schenkel.
„Liest sich im Internet anders“, rutscht mir aus Versehen heraus und leider kann ich mich nicht bremsen. „Denkst du, wenn du derartigen Schweinkram mit irgendwelchen Sluttys austauschst und die sich auf deine halbnackten Bilder einen runterholen, hab ich Bock, mich von dir flachlegen zu lassen?“
„Spionierst du mir etwa nach?“
„Hab ich eine andere Wahl?“
„Oh, Mann, Eli …“, schüttelt er den Kopf, „das ist Spaß, nichts weiter. Ich find’s halt toll, dass die Typen auf mich stehen. Hey, ich werd bald dreißig, da brauche ich ein bisschen Bestätigung. Mehr nicht.“
„Das ist doch Schwachsinn. Ich will nicht ständig darüber nachdenken müssen, ob du mit einem von denen ins Bett gehst. In der Villa letztens war’s genauso.“
„Ja? Kann mich nicht erinnern, dass ich mich danebenbenommen hätte.“
„Dann solltest du mal dein Gehirn untersuchen lassen.“
Langsam rappelt er sich vom Bett hoch und latscht seufzend durchs Zimmer.
„Eli, das geht so nicht.“
„Finde ich auch.“
„Als du gesagt hast, dass du mit mir zusammensein willst, dachte ich … na ja, dass wir irgendwie neu anfangen, oder so, aber offensichtlich kannst du mir weder verzeihen noch vergessen, was passiert ist.“
„Nach allem, was du dir geleistet hast, wohl verständlich.“
„Ja, wahrscheinlich. Aber du versuchst es nicht einmal. Wie soll das mit uns funktionieren, wenn du mir nachspionierst, mich belauerst und mir ständig alte Geschichten unter die Nase reibst?“
„Das wäre alles nicht nötig, wenn du dich wie mein Freund benehmen würdest“, entgegne ich.
„Am besten du schreibst mir einfach auf, was ich machen soll, darf und was nicht, dann dürfte es zukünftig keine Probleme mehr geben.“
Ich krieg hier langsam die Beulenpest! Jetzt tut der wieder so, als sei ich wahnsinnig, oder wie sehe ich das? Ich will doch bloß …
„Willst du, dass ich dich heirate? Damit die ganze Welt weiß, dass wir zusammengehören?“
Äh … wie bitte?
„Du würdest mich echt heiraten?“, frage ich halb ernst, halb im Spaß.
„Baby, um dich endlich wieder ficken zu dürfen, würde ich so ziemlich alles machen“, säuselt er.
Na super, Hauptsache, er kann ficken!
„Allerdings gehört heiraten nicht dazu. Und wenn dich ein Ring daran erinnern muss, dass du mich liebst …“
„Du hast davon angefangen“, mache ich ihn auf seinen Fast-Antrag aufmerksam.
„Ich brauche jedenfalls keinen.“
„Ich auch nicht.“
„Gut, dann hätten wir das schon mal geklärt“, stellt er fest.
„Du würdest deinen Ring doch eh bei jeder Gelegenheit abnehmen. Sobald ein paar fickwillige Typen in der Villa auftauchen.“
„Genau das meine ich. Eli …“, sagt er und setzt sich wieder zu mir aufs Bett, „wenn du damit nicht aufhören kannst … also, dann sollten wir das Ganze besser beenden. Bevor wir uns unnötig wehtun.“
Ah … er will mal wieder Schluss machen. Hatten wir ja auch schon lange nicht mehr. Leider sieht er dabei sehr ernst aus. Und sehr unglücklich. Fuck, ich krieg Herzrasen und meine Kehle schnürt sich zu. Und ich begreife gerade, dass jetzt wirklich eine Entscheidung ansteht.
Soll ich es versuchen, mit allen Ängsten und Unsicherheiten, ohne Garantie, dass es nicht doch in einer Katastrophe endet … oder …
„Ich will, dass es funktioniert“, höre ich mich leise sagen.
„Ja?“, fragt Dante genauso leise.
„Aber Vertrauen stellt sich nicht auf Knopfdruck ein. Ich brauch halt ein bisschen Zeit, okay?“
„Okay“, nickt er. „Darf … ich dich bitte küssen?“
„Dante“, seufze ich kopfschüttelnd und küsse ihn.
Wir knutschen und kuscheln ungefähr den ganzen Abend, was sich außerordentlich schön anfühlt.
Einige Tage später besuche ich nachmittags zuerst die kleine Halbschwester und danach Crazy im Studio.
„Hee, Sternenkind, lange nicht gesehen“, begrüßt mich der bärtige Stiefeltrinker.
„Hee, Patenonkel“, grüße ich zurück. „Hey, Paps.“
Ja, ich sage inzwischen Paps zu ihm. Crazy oder Thomas klingt für mich irgendwie komisch, außerdem hab ich kein Problem mehr mit ihm und ich finde es eigentlich ganz schön, dass er sich so über die Anrede freut, und … na ja, er ist nun mal mein Vater.
„Hey, Eli“, lächelt er. „Dante hat grad noch zu tun.“
„Neues Tattoo?“, fragt der Rocker. „Doch noch Schmettis und ein paar Blümchen?“
„Nein. Dauert’s länger oder kann ich warten?“
„Keine Ahnung, und ja“, antwortet Crazy, gibt mir ein Zeichen, mich zu setzen, und stellt mir anschließend eine Flasche Kakao hin.
Wir unterhalten uns eine Weile über alles Mögliche, dann erscheint Dante … mit dem kleinen Blondie, der mal so hardcore in ihn verschossen war. Offenbar ist der mittlerweile klammheimlich achtzehn geworden, denn sein linkes Hosenbein ist ein Stück hochgekrempelt und am Knöchel pappt eine Folie, unter der drei frisch gestochene nautische Sterne zu sehen sind.
„Das hab ich so was von geahnt“, murmelt Hardy und verdreht die Augen.
Ist eben ein beliebtes Motiv in Emo-Kreisen. Gott sei Dank hab ich coole Regenbogensterne.
Während Blondie bezahlt und Pflegehinweise erhält, glotzt er zu mir rüber. Sein Blick sagt sehr deutlich, dass er längst nicht mehr zu Dantes Anschmachtern gehört, und wie armselig es auf ihn wirkt, dass ich immer noch auf Dante stehe und jetzt schon an seinem Arbeitsplatz herumlungern muss, um in seiner Nähe sein zu können. Was soll’s? Ich hab’s nicht nötig, dem Ex-Groupie beweisen zu müssen, dass Dante ganz und gar mir gehört. Die Zeiten sind zum Glück vorbei. Okay, bei Felix, der blöden Pissnelke, würde ich eine Ausnahme machen. Dem würde ich in die Fresse treten … bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Als das Emo-Sternchen glücklich aus dem Studio gehumpelt ist, kommt Dante auf mich zu, streicht mit der Hand an meiner Hüfte rum und haucht mir einen Kuss aufs Ohrläppchen.
„Sag mir bitte, dass du meinetwegen hier bist“, säuselt er.
„Logisch“, nicke ich.
„Cool“, grinst er und küsst mich auf den Mund.
„Thomas“, höre ich den Stiefeltrinker lospoltern, „dein Sohn scheint auf einmal schwul zu sein.“
„Und?“, antwortet Crazy lässig.
„Du wusstest das und sagst mir keinen Ton? Der Junge ist schließlich mein Patenkind.“
„Ist das jetzt ein Problem, oder was?“
Wenn ja, haue ich ihm auf die Fresse … Rocker hin oder her!
„Das nicht“, schüttelt er den Kopf. „Aber dass er sich ausgerechnet in einen Tattoo-Bengel verkuckt hat … also wenn du mich fragst, dein Sohn hat ganz klar Juttas Gene. He, Sternenkind …“
„Was?“
Der Bärtige hopst vom Barhocker, entfernt Dantes Hand von meiner Hüfte und legt seinen Arm um meine Schulter.
„Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, für ein Gespräch von Mann zu Mann.“
„Hardy …“, stöhnt Crazy gequält.
„Doch, doch“, versichert er, „der Junge muss wissen, was Kerle …“
Dante entfernt Hardys Arm von meiner Schulter und schlingt von hinten beide Arme um mich.
„Das weiß der Junge sehr genau, glaub mir“, erklärt Dante.
Ich halte einfach die Klappe und werde tüchtig rot.
„Siehst du, Thomas … solche Momente erinnern mich daran, wie froh ich bin, dass ich keine Kinder habe. Und du darfst das alles in fünfzehn oder sechzehn Jahren noch mal mit deiner Tochter erleben. Freu dich drauf.“ Er schnappt sich Jacke und Helm und wendet sich an Dante. „Du stehst unter Beobachtung, Engelchen. Tust du ihm weh … tue ich dir weh. Alles klar? Man sieht sich.“ Weg ist er.
„Noch einer, der mich hasst, nur weil ich dich liebe“, nuschelt Dante. „Was ist bloß mit den Leuten los?“
Verzeihen, vergessen, neu anfangen … so langsam krieg ich’s hin. Ich bleibe locker, wenn Dante in der Villa mit irgendwelchen Typen redet, und ich besuche seine Profilseiten im Internet nicht mehr, obwohl er gesagt hat, dass es ihn nicht stört und er eh nichts schreiben würde, was ich nicht wissen dürfte. Aber ich reiße mich zusammen. Tine reißt sich ebenfalls zusammen, wenn sie auf Dante trifft. Sie nennt ihn jetzt sogar Dante, wenn er persönlich gar nicht anwesend ist und wir nur über ihn sprechen. Dante nennt sie immer noch Würfelkirsche … auch wenn Tine persönlich anwesend ist. Er behauptet allerdings, dass das süß gemeint ist. Warum Madame Engels mich hasst, weiß ich inzwischen, glaub ich. Es passt einfach nicht in ihr völlig verblödetes Weltbild, dass Dante eine feste Beziehung hat. Wenn er weiter rumficken würde und nicht so verliebt in mich wäre, fänd sie mich vermutlich super. Das ist von ihrer Seite aus vollkommen logisch, als normaler, halbwegs gesund denkender Mensch braucht man etwas, um dahinter zu kommen. Die Frau hat echt noch einen viel größeren Dachschaden als ich. Und meiner ist wahrscheinlich schon reichlich ausgeprägt.
Na ja, und was meine Mutter angeht … gleiches Recht für alle … wenn ich nicht so schrecklich in Dante verliebt wäre, würde Mom ihn wahrscheinlich auch mögen. Vielleicht auch nicht. Keine Ahnung.
Abends kommt Dante direkt ausm Studio zu mir nach Hause. Er sieht einigermaßen fertig aus.
„Was’n mit dir los?“
Wie ein nasser Sack lässt er sich auf mein Bett fallen.
„Ich hab die Schnauze voll. Heute war irgendwie Tag der kackigen Motive. … ey, ein Mädel hat jetzt Schalke mit Blümchen am Handgelenk.“
„Ach du Scheiße“, sage ich ehrlich betroffen und setze mich neben ihn.
Und schon faselt er drauflos. Über doofe Motive, beratungsresistente Leute und dann erklärt er mir noch eben, dass Crazy Old School drauf hat, wie kein anderer, dass Old School nicht bloß nautische Sterne und Seefahrer-Zeug bedeutet, sondern dass hauptsächlich der Stil gemeint ist und wie man welche Farben einsetzt und … ich höre kaum hin. Denn was ich zu sehen bekomme, lässt mein Hirn auf Sparflamme laufen.
Seine niedlich verwuselten Haare, die Art, wie er spricht und dabei lässig mit den Händen herumwedelt, das bunte Drop-Dead-Shirt, das sich aufregend perfekt um seinen Oberkörper schmiegt, seine schönen Arme mit den Flügeln … all das macht mich auf einmal total verrückt. So verrückt, dass mein gesamter Körper anfängt zu kribbeln, meine Kehle trocken wird und mir spontan wieder einfällt, wie absolut gigantomanisch atemberaubend der Sex mit ihm ist.
„Allerdings hab ich heute auch so’nem Rockabilly-Typen ein Portrait gestochen. Mein erstes“, strahlt er.
Ich rücke näher an ihn heran und lege meine Hand auf seinen Bauch.
„Ach ja?“
„Ja“, nickt er glücklich.
Meine Hand gleitet etwas tiefer, meine Finger streichen über den Bund seiner Jeans und öffnen schließlich die Knöpfe. Dante starrt mich irritiert an.
„Was war’s denn?“, frage ich und schiebe meine Hand in seine Hose.
„Der King.“
„Alt oder jung?“
„Fünfzigerjahre.“
Meine Hand bewegt sich langsam, Dantes Atem geht dagegen etwas schneller.
„Wohin hast du’s gestochen?“
„Oberarm.“
„Und … ist es gut geworden?“
„Mmhhhh… ziemlich gut“, stöhnt er.
„Cool“, grinse ich. „War der Typ zufrieden?“
„Ja, totaaaal.“
Meine Lippen nähern sich seinem Ohr. „Und was hat dein Chef gesagt?“
Dante schnauft vernehmlich, als ich vorsichtig an seinem Hals sauge, ein bisschen an seiner Schulter knabbere und anschließend über den bunten Flügel an seinem Oberarm lecke.
„Eli...“
„Fick mich, Engels!“
Ich kann gar nicht so schnell kucken, wie er sein Shirt ausgezogen hat, auf mir liegt und mich fast besinnungslos knutscht.
„Wow…“, japst Dante und wischt sich verschwitzte Ponysträhnen von der Stirn, „das war auf einer Skala von eins bis zehn eine glatte Zwölf.“
„Du bist ein alter Angeber“, entgegne ich.
„He, ich hab doch nicht mich gemeint, sondern deine Performance bewertet.“
„Du machst heimlich Bewertungslisten für deine Sexpartner?“
„Nur im Kopf, aufgeschrieben hab ich nie was.“
„Fehlen bloß noch die Kerben im Bettpfosten.“
„Eli, fang nicht wieder damit an, okay?“
„Entschuldigung, aber du hattest nun mal sehr viele Sexpartner.“
„Jaaa“, antwortet er gedehnt, „und du hattest den tollen, perfekten Marcel. Was die Würfelkirsche angeht und was deine Mutter angeht, kann ich mit dem eh nicht mithalten oder ihn auch nur ansatzweise erreichen. Niemals.“
„Seit wann ist es dir wichtig, was Tine und meine Mutter von dir halten?“
„Seit ich in dich verliebt bin?“, schlägt er vor und mir dabei mit der flachen Hand leicht gegen die Stirn.
„Bist du deswegen hier aufgekreuzt, obwohl wir für heute nicht verabredet waren?“
Dante dreht sich auf die Seite und malt mit dem Zeigefinger Verschnörkelungen auf meine Brust.
„Ey, als dein Freund werde ich dich wohl auch ohne vorherige Verabredung sehen dürfen, mh?“
„Du wollest mich sehen?“
„Äh … ja?“
„Weil …?“
„Du weißt es“, behauptet er.
„Nee.“
„Eli, du weißt es“, wiederholt er.
„Warum sagst du’s …“
„Ich hab dich vermisst“, unterbricht er mich genervt, „du großer Gott.“
„Und das zuzugeben, fällt dir so schwer?“
„Nein“, seufzt er, „ich hasse es nur, wenn du mich dazu zwingst.“
„Verstehe“, lüge ich.
„Das ist der Anfang vom Ende.“
„Hä?“
„Es fängt damit an, dass du mich zwingst, so was zu sagen. Und es endet damit, dass ich dir so was dann plötzlich ständig sagen will. Ich weiß doch genau, wie das läuft.“
Entschuldigung, ich muss mich kurz kaputtlachen.
„Und zwischendurch lachst du mich aus“, grummelt er.
Als ich meinen Lachanfall beendet habe, küsse ich ihn, was ihm offensichtlich sehr gut gefällt.
Übrigens erzählt Dante mir während einer Knutschpause so ganz nebenbei, dass er, wenn ich mich nicht für ihn, für uns, entschieden hätte, nach London gegangen wäre, um in einem supertollen Studio zu arbeiten. Und weil er hier eben nie von mir losgekommen wäre.
„Warum hast du mir das nicht gesagt?“, frage ich ein wenig entsetzt.
„Keine Ahnung. Ich wollte dir nicht noch mehr Druck machen.“
„Du hättest wirklich das Land verlassen? Meinetwegen?“
„Auf jeden Fall“, nickt er. „Aber ich bin echt froh, dass es nicht dazu kommen musste. Na ja, und nach London fahren wir irgendwann mal zusammen für ’ne Woche oder so.“
„Oh, Schatz, du willst mit mir romantisch Urlaub machen?“, grinse ich.
„Das werden keine Flitterwochen“, stellt er klar.
„Das wird kein Jungs-Abchecken“, stelle ich klar.
„Eli…“
„Ich gehe dir mit dem Thema so lange auf den Sack, bis du mich heiratest“, erkläre ich schulterzuckend.
„Marlenes Gesichtsausdruck, wenn ich dir das Ja-Wort gebe, wäre sicher einmalig“, überlegt Dante. „Und du kannst vorher ausknobeln, welcher deiner Väter dich mir übergeben darf.“
„Zu dem Zeitpunkt hat deine Mutter sich wahrscheinlich schon mehrfach übergeben.“
„Zusammen mit deiner Mutter und der Würfelkirsche.“
„Und mein Patenonkel stößt mit einem Stiefel Sekt auf uns an. Und Crazy wird beglückt sein, dass du dann endlich zur Familie gehörst.“
„Eli, dein Vater liebt dich. Der ist so dermaßen glücklich, dass du endlich zu seiner Familie gehörst.“
„Ich weiß.“
„Okay, wenn überhaupt, brennen wir durch“, beschließt er. „Alles andere ist mir zu gruselig.“
„Das willst du ja nur, damit keiner mitkriegt, dass du verheiratet und somit vergeben bist.“
„Mann …“, stöhnt er genervt und verdreht die Augen.
„Ich will, dass du dir meinen Namen stechen lässt.“
„Wieso? Ich bin durchaus in der Lage, mir deinen Namen auch so zu merken. Außerdem … Namen stechen lassen ist der Gipfel der Dämlichkeit.“
„Jawohl“, sage ich nachdrücklich, „meinen Namen … mit Blümchen drumrum … und einem Herzchen als i-Punkt.“
„Du hast doch ’nen Knall“, schüttelt er den Kopf.
„Trotzdem liebst du mich.“
„Nicht trotzdem, sondern deswegen“, lächelt Dante süß. „Und ich hab nicht vor, in absehbarer Zeit damit aufzuhören.“
Da ich das auch nicht hab, wage ich zu behaupten, dass jetzt alles gut ist und wir beschissen kitschig bis an unser Lebensende glücklich sein werden.
ENDE
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