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Die Kanaille

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Inhaltsverzeichnis

Gabriel

Grad eben von einem zweistündigen Klavierkonzert nach Haus gekommen. Klopfe mir selber auf die Schulter, weil ich es geschafft habe, wach zu bleiben. Tja, was schreibe ich jetzt über den Scheiß? Erstmal einen Cappuccino. Zigarette wär auch nicht schlecht, aber das Rauchen hab ich vor vier Jahren aufgegeben. Okay, Computer anschmeißen und... verflucht, wer klingelt denn hier Samstagabend um halb elf? Ich öffne die Tür und bekomme kurz einen gescheiten Nervenzusammenbruch. Maximilian! Na, den kann ich jetzt echt gebrauchen.

„Wir hatten eine Abmachung, richtig?“

„Ja,“ antwortet er zerknirscht, „lässt du mich trotzdem rein?“

Ich lasse ihn. Er zieht seine Jacke aus, wirft sie einfach auf den Boden und sich selbst auf die Couch. Gedankenverloren steckt er sich das Band seines Kapuzenpullis zwischen die Lippen. Ich hänge die Jacke an den Haken im Flur und deute stumm auf seine hohen Doc’s.

„Entschuldigung“, seufzt er und nimmt betont langsam die Füße vom Tisch.

„Magst du was trinken? Wollt grad Cappuccino machen.“

„Nee, danke.“

„Okay, gibt’s irgendwas?“

Er sieht mich aufmerksam an. „Zum Beispiel?“

„Hör mal, ich muss noch arbeiten, also...“

„Cappuccino machen dauert zehn Minuten. Cappuccino trinken ungefähr eine Viertelstunde. Das sind fünfundzwanzig Minuten, die du ja wohl offensichtlich Zeit hast“, erklärt er lässig, während er sich eine Zigarette anzündet.

Ich schiebe ihm einen Aschenbecher hin und setze mich an meinen Schreibtisch, der gegenüber der Couch steht.

„Unsere Band hat sich gerade getrennt.“

„Das tut mir Leid.“

„Mir nicht“, entgegnet er wütend. „Wer will mit solchen Losern schon Musik machen. Ich hab ein neues Lied geschrieben... willst du’s hören?“, fragt er und schielt auf meine uralte Gitarre, die seit Jahren in der Wohnzimmerecke verstaubt.

„Ich hatte eben schon zwei Stunden Klavierkonzert. Mir reichts für heute mit Musik. Und die Gitarre ist eh total verstimmt.“

„Was soll’s“, zischt er bitter, drückt die Kippe aus und... legt seine Füße auf den Tisch.

„Maxi, willst du mich provozieren?“

„Würde das irgendwas bringen?“

Während ich überlege, was seine merkwürdige Frage zu bedeuten hat, sieht er mich schon wieder so durchdringend an.

„Sag mal, Gabriel... warum hast du eigentlich momentan keinen Typen?“

Ich glaub, ich werde vor Schreck ein wenig rot im Gesicht. Über sowas haben wir nie gesprochen. Er weiß, dass ich auf Männer stehe, aber Beziehung und so war nie ein Thema. Eigenartig. Ich meine, wir haben immer über alles Mögliche gesprochen, aber halt nie über Sex. Das fällt mir jetzt erst auf. Er hat nie von einer Freundin erzählt oder dass er vielleicht verknallt ist oder Liebeskummer hat. Er wollte nie irgendwas wissen.

„Wie kommst du denn jetzt darauf?“

„Weiß nicht. Ich hab nur gedacht, ob du vielleicht verliebt bist, oder so.“

Ach du Scheiße. Ich weiß echt nicht, ob wir dieses Gespräch weiter führen sollten.

„Unglücklich.“

„Hä?“, mache ich irritiert.

„Du siehst in letzter Zeit so traurig aus.“

„Wir haben uns doch kaum gesehen.“

„Ja, aber... vielleicht...“, er steht auf und schlendert durch den Raum, „vielleicht bist du es ja... verliebt meine ich... und... na ja, weißt nicht, wie du es anstellen sollst.“

Das war jetzt einer dieser Sätze, die einen völlig unvorbereitet treffen und total schocken. Er kann doch nicht wissen, dass ich... unmöglich!! Und was soll das überhaupt heißen... wie du es anstellen sollst?

„Nicht, dass ich wüsste“, antworte ich lahm. „Übrigens, deine Zeit ist fast um.“

„Scheiß drauf.“ Er steht am Fenster und fährt sich durch die Haare. „Du machst nicht gerne den Anfang, oder?“

Mir fällt keine Antwort ein, also halte ich die Klappe und schwitze befangen vor mich hin.

Ich wage kaum daran zu denken, was er damit gemeint haben könnte. Dass Maxi... ähem... flirtet der etwa mit mir? Oh man, das geht aber echt zu weit.

Plötzlich dreht er sich um. „Sag mal, merkst du gar nicht, dass ich grad total kaputt gehe?“ Seine Stimme klingt ein wenig schrill. Verzweifelt und vorwurfsvoll.

„Warum?“ Wie bitte? Ich bin doch völlig verblödet, dass ich darauf auch noch einsteige.

„Na, weil...“, er kommt auf mich zu und... der wird sich doch nicht auf meinen Schoß setzen wollen... ich werd bekloppt! „Weil ich dich küssen möchte.“

Ohhhhhhhh!!! Bevor mein Hirn sich komplett verabschiedet, tue ich das einzig Richtige. Ich schiebe ihn von mir runter und stehe auf. „Du gehst jetzt besser.“

Ein paar Sekunden schaut er mich an. Seine Augen werden gefährlich feucht. Mit hängenden Schultern nimmt er seine Jacke vom Haken und schließt leise hinter sich die Tür.

Matt sinke ich auf den Stuhl zurück und habe eine Art Schwächeanfall. Meine Gedanken laufen Amok. Maxi wollte mich küssen. Und ich... ja, ich wollte auch, verdammt! Dabei sollte ich doch nun wirklich vernünftig sein. Er ist ein kleiner Freak. Ein totaler Chaot, der nichts als Unruhe in mein Leben bringt. Außerdem viel zu jung. Siebzehn, ich grad dreiunddreißig geworden. Könnte ja fast sein Vater sein. Ich hab ihn aufwachsen sehen. All die Geburtstage, Familienfeiern, Grillpartys, Weihnachten, Ostern. Ich bin im Sommer mit ihm durch den Garten getollt, hab mit ihm Fußball gespielt, mich über sein Kindergefasel amüsiert. Wenn ich daran denke und überlege, was ich jetzt für Maximilian empfinde, wird mir übel. Es ist einfach völlig absurd. Sein Vater ist verdammt noch mal mein bester Freund!

Robert arbeitete als Fotograf bei der Zeitung, für die ich manchmal schrieb. Wir mochten uns auf Anhieb... blablabla. Die Schwierigkeiten fingen an, als Maxi so zwölf, dreizehn war. Ich hatte ja echt keine Ahnung von Kindern und wie man sie erzieht, aber ich fand eigentlich nicht, dass Maxi sich besonders untypisch für sein Alter verhielt. Ich meine, Pubertät... da entwickelt man halt seinen eigenen Geschmack für Klamotten, Musik und weiß der Geier. Und es ist auch logisch, dass man ein bisschen gegen die Eltern rebelliert. Okay, zugegeben, Maxi war manchmal schon wahnsinnig frech und ignorierte phasenweise jegliche Abmachungen mit den Eltern. Er ließ sich heimlich die Braue piercen (mit fünfzehn), kam mit gefärbten Haaren nach Hause und so. Trieb sich mit seiner Clique rum, auf Demos gegen Nazis... und er war stolz drauf, eine linke Zecke zu sein. Auf der anderen Seite hat er es aber auch nie zu wild getrieben, brav für die Schule gelernt und... na ja, wie gesagt, ich empfand sein Verhalten nicht als schlimm. Wahrscheinlich war deshalb ich derjenige, mit dem er alle möglichen Dinge besprach. Welcher Teenager rennt auch schon zu seinen Eltern, oder? Ist doch uncool und verstehen tun die einen eh nicht. Jedenfalls kam Maxi oft zu mir. Einfach, um zu quatschen, abzuhängen, oder wir gingen mit seinem Hund spazieren. Das ist so ein riesiges schwarzes Viech mit glattem Fell und dicken, tapsigen Pfoten... Labrador oder wie die Dinger heißen. Den hat er logischerweise aus irgendeiner Mülltonne gerettet. Oder vorm Ertrinken. Oder jemand hat ihn an der Autobahn ausgesetzt. Ich weiß nicht genau, welche (total erfundene) rührselige Geschichte Maxi seinen Eltern auftischte, um Sidney behalten zu dürfen.

Ich glaube, es war ein paar Tage nach Maxis fünfzehntem Geburtstag, da bemerkte ich... Gott, was für ein umwerfend schöner Junge. Hey, ich bin ein schwuler Mann, natürlich hab ich mal hingeschaut, wenn er halbnackt im sommerlichen Garten rumturnte. Ich hatte ja schließlich keine schmierigen Gedanken oder sowas. Fand ihn eben hübsch. Nichts weiter. Mir wäre im Traum nicht eingefallen... ich stehe nicht auf Teenies. Stand ich nie. Leider fiel mir auf, dass ich mich vielleicht manchmal ein wenig zu sehr darauf freute, ihn zu sehen, in seiner Nähe zu sein. Aber Maxi hatte nun mal diese angenehm lockere, quirlige Art und er war immerhin fast sowas wie mein Neffe und ich freute mich doch auch, wenn ich meine Schwester und deren Kinder besuchte. Bin halt ein absoluter Familienmensch. Also alles halb so schlimm. Dachte ich. In Wahrheit hab ich da wohl schon angefangen, ihn ein klitzekleines bisschen toll zu finden. Natürlich war mir das nicht bewusst. Oder ich wollte es mir nicht eingestehen. Schwer zu sagen. Ich hab oft an ihn gedacht. Aber nicht sexuell. Ich fand es schön, wenn er bei mir war und von sich erzählte... von der Schule, seiner Band (er spielt Bass) und so weiter. Wenn er mich an seinem Leben teilhaben ließ und daran, was in seinem Kopf vorging. Allerdings wurde ich nervös, wenn er... mh, anschmiegsam wurde. Ich meine, das war er immer schon gewesen. Er mochte gerne bekuschelt, geknuddelt und umarmt werden. Als Kind von Mama und Papa, manchmal von mir. Das war ja ganz normal. Aber je älter er wurde, desto unangebrachter erschien es mir, wenn er mich, ja, fast schon verträumt ansah, seinen Kopf an meine Schulter lehnte und sein Gesicht an meinem Hals rieb. Da blockte ich dann. Freundlich aber bestimmt. Außenstehende hätten in eine solche Szene doch wer weiß was hinein interpretieren können. Ein erwachsener Kerl, der derart zärtlich mit einem Jungen umgeht... Heimatland!

Maxi überraschte mich manchmal mit den unglaublichsten Sätzen. Ich weiß noch... einmal saßen wir zusammen vor dem Fernseher und er kam für meinen Geschmack viel zu dicht angeschmust. Ich rückte andauernd von ihm weg, bis die Couchlehne mich stoppte. Maxi schüttelte lächelnd den Kopf. „Du machst dir immer viel zu viele Gedanken, Gabriel. Ist doch echt nix dabei“, sagte er.

Was wusste dieses Gör denn schon? Natürlich war etwas dabei. Ich hatte meinem Freund für Maxi abgesagt, verdammt. Hatte irgendeine fadenscheinige Ausrede erfunden, um nicht mit ihm kuscheln zu müssen, sondern Maxis Nähe genießen zu dürfen. Da war ja wohl alles dabei! Das war hochgradig ekelhaft. ICH war hochgradig ekelhaft. Dass ich rote Ohren bekam, wenn Maxi lächelte. Mein Herz blödianistisch schnell bollerte, wenn er aus Versehen sein Knie gegen meines stupste. Dass ich schwitzige Hände bekam, sobald er auch nur einen Fuß in meine Wohnung setzte und ich ihm stundenlang hingerissen dabei zuschauen konnte wie er mit Sidney spielte. Dass seine Jeans immer so unverschämt tief und lässig auf seinen schmalen Hüften saß. Er in seiner schweren Lederjacke unglaublich süß aussah. Dass seine Haare ihm ins Gesicht fielen und er sie beiläufig zur Seite strich oder sich die Ponysträhnen aus den Augen pustete. Dass ich fast kaputt ging, als ich mal einen Knutschfleck an seinem Hals entdeckte. Dass er ständig diese nervigen Schnalzgeräusche mit seinem Kaugummi machte oder an den Bändern seines Kapuzenpullis nuckelte. Sein cooles Gehabe und auf der anderen Seite sein kindlich verzücktes „süüüüß“, wenn er irgendwelche niedlichen Tiere oder Zeichentrickfilme sah.

All das war einfach...scheußlich. Und ich hatte ja wohl gerade sowas wie mein Pädo-Coming- Out. Wunderbar! Hatte mich in eine Familie geschlichen, um meinem Jungen nah sein zu können. Sowas tun nämlich Pädophile, erfuhr ich durch exzessives Studieren entsprechender Literatur. Dass das natürlich in meinem Fall überhaupt nicht zutreffend war, wusste ich. Ich hatte Maxi nicht ausgesucht. Er war eben einfach da und die ganze Zeit über für mich nichts weiter als das Kind meines Freundes gewesen. Aber ich redete mir eine Menge Blödsinn ein, weil ich durcheinander war. Ich überdachte mein gesamtes Leben. Der Umgang mit Maxi, mit den Kindern meiner Schwester. Hatte es mich vielleicht doch heimlich mal erregt, wenn ich meine Nichte oder meinen Neffen im Arm gehalten hatte? Suchte ich womöglich die Nähe zu Kindern? Darauf gab es eine sehr klare Antwort: Nein!

Meine Partner waren bislang alle ungefähr in meinem Alter gewesen, meine Beziehungen ziemlich normal verlaufen und ich hatte nie das Gefühl gehabt, irgendwas zu vermissen oder etwas anderes haben zu wollen. Vernünftig betrachtet gab es überhaupt keine Anzeichen für eine pädosexuelle Neigung. Allerdings gab es Maxi und meine eigenartigen Gefühle. Deshalb ging ich ein bisschen auf Abstand. Lud ihn nicht mehr zu mir ein und untersagte ihm auch, ständig unangemeldet bei mir auf der Matte zu stehen. Maximilian war beleidigt und machte nur noch ätzende Bemerkungen, wenn ich zu seinen Eltern kam. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass ich einfach keine Zeit hatte, weil ich so viel arbeitete. Immer auf irgendwelche langweiligen Veranstaltungen musste, über die ich langweilige Artikel schrieb.

„Ja, na klar“, antwortete er nur.

Ich fand es furchtbar, ihn so links liegen zu lassen aber... was hätte ich denn machen sollen?!


Maxis trauriger Blick geht mir schon seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf. Dass er fast geweint hat, als ich ihn wegschickte. Du meine Güte. Aber alles andere wäre falsch gewesen. Ich bin hier der Erwachsene und hab mich verdammt nochmal vernünftig zu verhalten. Und verantwortungsbewusst. Und überhaupt. Ich hätte ihn soooo gerne geküsst. Ein einziges Mal nur. Ganz kurz. Auf den Mund. Okay, Gabriel. Gedanken abstellen, sofort! Du bist kein Teenager mehr, also brauchst du auch nicht in bescheuerte Schwärmereien zu verfallen. Such dir einen schicken Freund in deinem Alter und schwupps hast du den kleinen Chaoten vergessen.

Vergessen ist ein gutes Stichwort. Hätte beinahe total verbummelt, dass ich heute bei Robert zum Essen eingeladen bin. Ach du Schreck! Wenn Maxi da ist... wenn er mich wieder mit diesem Welpenblick ansieht. Und seine Eltern wissen nichts von meinen schweinischen Gedanken. Laden mich total ahnungslos in ihr Haus ein. Ich könnte kotzen! Mh, ich könnte absagen. Krankheit. Oder ein Date. Was sagt die Uhr? Halb sieben. Na ja, die haben sicher schon angefangen mit der Kocherei. Das wäre unhöflich, so kurzfristig abzusagen. Wenn Robert und Christine zum Essen bitten, gibt’s immer was ziemlich Aufwendiges. Nee, ich muss hingehen. Scheiße. Vielleicht wird’s ja gar nicht schlimm?!

Mit einer sauteuren Flasche Wein bewaffnet atme ich noch mal tief durch und drücke die Klingel. Robert, in legerer Jeans und Sweatshirt, öffnet. Klopft mir zur Begrüßung auf den Rücken und schiebt mich ins geräumige Esszimmer. Ich liebe dieses Haus. Von außen erscheint es wie ein verwunschenes Märchenhaus... dunkelgrün und düster, mit zwei riesigen Tannen davor, einem verwilderten Garten und eisernem Spitzenzaun. Eingerichtet ist es allerdings eher modern, als hätte Tine Wittler höchstpersönlich Hand angelegt. Jedenfalls hätte ich nichts dagegen gehabt, in einer solchen Umgebung aufzuwachsen. Meine Eltern waren zwar nicht total verarmt, hatten aber bloß eine ippelige Vier-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung ohne Balkon und Garten. Hier gibt’s im Keller sogar einen Pool... direkt neben Christines Fitnessraum.

„’Nabend“, murmle ich, weil am Tisch noch jemand sitzt. Hab mich bloß nicht getraut, richtig zu kucken wer.

„Hier“, lächelt Christine und deutet auf einen freien Platz.

Na toll, ich darf Maxi gegenüber sitzen. Der fläzt auf seinem Stuhl und knabbert an einem Stück Weißbrot.

„Du kommst zu spät, Gabriella. Wer hat dich aufgehalten, mh?“

Ich hasse es, wenn er mich so nennt und Maxi weiß das. „Ein Kulturtermin.“

„Oh nein, wie schrecklich“, lacht Christine. „Was war’s denn... Musikschule oder Männergesangverein?“

„Posaunenchor. Und ich weiß echt nicht, was ich darüber schreiben soll.“

„Das verstehe ich nicht“, sagt Maxi und setzt sich gerade hin. „Vom Blasen hast du doch bestimmt Ahnung.“

Das kam so scheiß beiläufig... ich bin fast beeindruckt wie der sowas immer hinkriegt.

„Maximilian,“ bollert Robert, „ich glaub, dir geht’s nicht gut. Entschuldige, Gabriel. Mein Sohn hat momentan wieder seine Kotzphase.“

„Kein Problem“, entgegne ich. „Teenies sind halt manchmal etwas...“, ich tippe mit dem Finger an meine Stirn.

Maxis Blick klebt an mir. „Ha...ha...ha. Sagenhaft lustig, echt. Schon mal dran gedacht, Komiker zu werden?“

„Möchtest du vielleicht in der Küche essen?“, fragt Christine ihren Sohn.

„Ah, der dumme Teenie wird weggeschickt. Naja, passiert mir in letzter Zeit ja öfter.“ Er steht auf und rüttelt lautstark seinen Stuhl an den Tisch. „Guten Appetit.“

„Ich weiß wirklich nicht, was schon wieder mit ihm los ist“, seufzt Robert. „Sei froh, dass du keine Kinder hast.“

„Das hab ich gehört“, ertönt Maxis Stimme. Gleich darauf erscheint er mit meiner geöffneten Flasche Wein am Tisch und beginnt, das Zeug einzuschenken. Als mein Glas an der Reihe ist, steht er so dicht neben mir, dass sein Arm mich berührt. Ich muss echt aufpassen, dass ich nicht kollabiere. Du lieber Himmel. So eine Kleinigkeit und ich krepiere fast. Sein Finger wandert verstohlen unter meinen Ärmel und streicht über meinen Arm. Wenn der nicht sofort aufhört, krieg ich gleich ‘ne Latte. Naja, glücklicherweise ist das Glas irgendwann voll und Maxi kehrt an seinen Platz zurück. Erleichtert atme ich auf und bekomme kaum einen Bissen runter. Versuche, mich so gut es geht an den heiteren Gesprächen zu beteiligen und hoffe, dass Maxi nicht noch mehr Gemeinheiten auf Lager hat.

Nach dem Essen verziehen wir uns mit einer weiteren Flasche Wein ins Wohnzimmer. Schummriges Licht, leise Musik und... Maxi neben mir auf dem Ledersofa. Mit angezogenen Beinen räkelt er sich und pult an der Lehne rum.

„Mal ehrlich, Gabriel,“ beginnt Christine, „wir dachten schon, du wärst böse auf uns. So lange wie du dich hier nicht mehr hast blicken lassen.“

Nervös kraule ich den Köter, der irgendwann zu uns getrottet kam und wahrscheinlich sehr überrascht ist, weil er momentan von mir so viel Aufmerksamkeit bekommt wie in den gesamten letzten Jahren nicht. „Ich hatte zu tun.“

„Mit deinen Bläsern?“, giggelt Maxi und kassiert sogleich von Papa einen Drohblick.

„Ich... ähem.. .ich arbeite grad an meinem Roman“, lüge ich. Das war vielleicht eine Schnapsidee. Dachte, wenn ich tolle Artikel für eine kleine Zeitung schreibe, kann ich sicher auch Romane. Ich hatte nicht mal zehn Seiten, da gingen mir schon die Ideen aus.

„Echt?“, fragt Maxi interessiert und streichelt aus Versehen meine Hand anstatt den verfluchten Köter. „Worum geht’s denn?“

Langsam ziehe ich meine schwitzige Flosse zurück. „Darüber kann ich noch nicht reden.“

„Du wirst doch wissen, was du schreibst“, bohrt er. Sein Knie reibt an meinen Schenkel. Sobald Robert und Christine mal kurz wegkucken, bringe ich Maximilian um!

„Also, ich kann verstehen, dass du nichts sagen willst. Wenn ich neue Sachen ausprobiere, mache ich das auch erstmal heimlich“, erklärt Christine. „Kann ja sein, dass die total misslingen und ungenießbar sind. Wie peinlich.“

Christine ist Köchin mit eigenem Restaurant. Ziemlich bekannt in der Gegend. Vielleicht nicht so wie Tim Mälzer, aber sie könnte es beim Kochen sicher mit ihm aufnehmen.

Nach einer Stunde Plausch und Weintrinkerei verabschiede ich mich höflich.

„Warte!“, ruft Maxi. „Ich komm mit. Sid muss nochmal raus.“

Klar, was auch sonst?!

Das Hundchen freut sich dermaßen bekloppt, dass Maxi ihm kaum die Leine anlegen kann. „Mann“, zischt er, „jetzt halt doch mal still...und hör auf, mich vollzusabbern. Bist du irre?“ Gott, ich liebe es, wenn er mit seinem Hund spricht. Ist das süß.

Eine Weile laufen wir schweigend durch die Dunkelheit. Ich hab das wahnsinnige Bedürfnis, seine Hand zu halten und finde: ich bin nicht ganz dicht! Das da neben mir ist schließlich der siebzehnjährige Sohn meines besten Freundes und nicht irgendein verfluchter Aufriss.

„Du bist sauer, oder?“

„Hm?“

„Weil du nichts sagst.“

„Du doch auch nicht.“ Und das ist in der Tat völlig neu, weil Maxi normalerweise pausenlos plappert. Echt, der kann faseln, sowas hab ich noch nicht erlebt. Selbst, wenn es der größte Blödsinn ist... Hauptsache reden. Das ist manchmal zwar anstrengend, aber eigentlich mag ich’s ganz gerne.

„Das, was ich zu sagen habe, würdest du ja eh nicht hören wollen.“

„Naja, wenn es wieder was mit blasen zu tun hat...“ Oh Gott, Gabriel, halt die Fresse!

„Nicht direkt.“

Seine Hand wuselt sich in meine. Panikartig flitsche ich sie weg.

„Lass das.“

„Warum?“

„Ich meine es ernst, Maximilian. Du musst damit aufhören.“

„Womit denn?“

„Mit allem. Mich anzufassen und... und vor deinen Eltern in Verlegenheit zu bringen. Was denkst du dir eigentlich? Ich meine, ist dir klar, was du da verdammt noch mal tust?“

Wir sind vor einer Plakatwand stehen geblieben und starren uns an. Ich wütend. Er trotzig und schmollend.

„Glasklar.“

„Um so schlimmer.“

„Was ist schlimm daran, dich haben zu wollen?“

Hä? Ich hab mich wohl verhört. Hat er eben gesagt, dass er mich... Gabriel, sei jetzt um Himmels Willen vernünftig!!

„Alles“, entgegne ich finster.

„Gar nichts“, antwortet Maxi.

„Diskussion beendet.“

„Du kannst mich mal“, zischt er.

Die Leine gleitet aus seiner Hand bevor er an mir rumzerrt und mich gegen das Plakat drückt. Seine Lippen sind gefährlich nah. Ich könnte ihm sehr leicht Einhalt gebieten. Aber ganz unter uns... ich bin hin und weg. Total verloren. Kaum haben seine Lippen meine berührt, dreht er seinen Kopf nach links.

„Sid... SIDNEY!“, bölkt er, weil der verfickte Köter abgehauen ist. Ein Pfiff und die Töle steht hechelnd neben ihm. „Sitz!“

Ich hätte in dieser kurzen Zeit bequem mein Hirn anknipsen können, aber es läuft immer noch auf Stand-by. Als Maxi mich endlich aggressiv küsst, explodiert es. Ehrlich, da müsste eigentlich Rauch aus meinem Schädel steigen. Seine Finger krallen sich in den Stoff meines Shirts. Meine Hände streicheln seinen samtigen Nacken. Maxis Kuss verändert sich. Er wird weicher. Langsamer. Zärtlich. Seine Zunge, die anfangs wie irre durch meine Mundhöhle stocherte, spielt sanft mit meiner. Seine Hände streichen über meine Hüften und schieben sich schließlich hinten in die Taschen meiner Jeans.

Das darf doch alles nicht wahr sein. Ich stehe hier mitten in der Nacht Gott weiß wo und knutsche rum wie ein verknallter Teenager. Neben uns der geduldige Hund...das Bild ist perfekt. Leider bin ich ungefähr fünfzehn Jahre zu alt für sowas. Für Maxi. Der hat inzwischen den Zungenfight unterbrochen und reibt sein Gesicht an meinem Hals.

„Ich geh kaputt... kannst du gut küssen“, japst er.

Logisch, hab ja auch fünfzehn Jahre mehr Erfahrung, verfluchte Scheiße. Ich komme nicht dazu, ihm zu antworten, weil er bereits wieder an meinen Lippen hängt und seine Zunge Einlass begehrt. Jetzt ist eh alles egal. Wir knutschen ungefähr eine halbe Stunde weiter.

Maxis Schnute sieht noch schmolliger aus. Meine kribbelt, als hätte ich Brennnesseln gefressen. Na und? Das war es absolut wert! Sidney winselt unruhig, während Maxi mir einen Knutschfleck verpasst.

„Dein Hund will nach Hause.“

„Mhhhhhh....“, macht er schnuckelnd, „fertig.“

Ich neige meinen Kopf zur Seite. „Und? Sieht’s gut aus?“

„Very sexy“, grinst er.

„Du musst jetzt los. Deine Eltern denken sonst wer weiß was.“

„Wahrscheinlich, dass mich ein Wahnsinniger gezwungen hat, ihn stundenlang zu knutschen.“

„Sowas in der Art.“

„Okay, also...“, er hebt die Leine vom Boden auf, „dann schlaf gut und... ja, bis dann. Komm, Sid!“

Ich gehe ebenfalls, muss mich allerdings noch mal umdrehen. Maxi haucht mir einen Kuss zu.

Du meine Güte, ich grinse wie bekiffter Vollidiot.

Zu Hause überkommt mich mein sehr schlechtes Gewissen. Ich hab mich nicht nur in eine Familie geschlichen, ich hab auch noch den kleinen Sohn zum Knutschen angestiftet. Okay, Maxi ist gar nicht mehr so klein und er hat angefangen. Aber das ist nicht der Punkt. Will sagen, das ist keine Entschuldigung. Ich bin ein Schwein. Ein von Kindern... äh... Teenagern besessenes Schwein. Ich spring am besten gleich aus dem Fenster!


Gesprungen bin ich nicht. Dafür aber mit tierischen Kopfschmerzen aufgewacht. Hab mir Paracetamol reingekübelt und mich gleich wieder schlafen gelegt. Besonders erholsam war das nicht. Das Wetter ist zum kotzen. Sonnig zwar, aber arschkalt. Herbst eben. Nur ohne Regen. Wahrscheinlich krieg ich ‘ne Depression. Fühle mich so antriebsschwach und ausgelaugt. Müde und kaputt. Schon mit den einfachsten Dingen überfordert. Hätte heute eigentlich einkaufen müssen, meine Wohnung mal wieder putzen und so’n Scheiß. Kann ich grad total vergessen. Null Energie. In Gammelklamotten hänge ich auf der Couch, trinke Milchkaffee, starre trübsinnig vor mich hin und versuche das Klingeln zu ignorieren. Mag jetzt einfach niemanden sehen. Dummerweise steht der Störenfried aber schon direkt vor der Wohnungstür. Er hat nämlich grad sehr dringlich geklopft.

Und wer steht da wohl total durchgefroren mit schwarzer Lederjacke und der Kapuze vom Pulli auf dem Kopf? Richtig. Maximilian.

„Hey“, begrüßt er mich genervt, „ging’s nicht noch langsamer?“

„Ähem...“

Er schmeißt Rucksack und Jacke auf den Boden. Dann marschiert er schnurstracks in mein Schlafzimmer, kickt die Schuhe von den Füßen und... krabbelt in mein Bett.

„Was wird’n das?“, frage ich fassungslos.

„Mir ist kalt“, antwortet er überrascht, streicht sich die Kapuze vom Kopf und strubbelt seine Haare durcheinander. „Warst du heut schon mal draußen? Außerdem mag ich knutschen, also komm her, Gabriella.“ Er hebt die Decke an und klopft einladend auf die Matratze.

Ich krieg langsam echt Angst vor diesem Bengel. So eine Unverfrorenheit! Glaubt, hier so einfach auftauchen und mit mir rumkuscheln zu können. Der spinnt wohl. Ich muss mal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden. Dass ich mich dafür neben ihn lege ist vielleicht nicht unbedingt nötig, aber... wow... kaum hat er die Decke über mich gebreitet, schlingt er seine Arme um mich und küsst drauflos. Seine Wangen sind ganz kalt. Die Nase auch. Hilfe, ist das süß! Maxis Hände wandern unter mein Shirt, sein einer Fuß schiebt mein Hosenbein nach oben, reibt sich an meiner Haut und versucht, in meinen Strumpf zu gelangen. Wie zur Hölle soll man dabei einen klaren Kopf bewahren?

„Maxi, ich...“

Seine Finger gleiten über meine Seiten, so dass ich eine Gänsehaut kriege.

„Was denn? Stehst du nicht auf Küssen?“

„Doch...“

Er umarmt mich und knabbert an meinem Ohrläppchen. „Fein. Ich bin nämlich absolut knutschsüchig. Und schmusesüchtig.“

Und genau das beweist er mir die nächste Stunde. Ich kann wirklich nicht behaupten, dass mir das unangenehm ist. Im Gegenteil. Mir wird vor lauter Glück ganz schwumselig. Warum nicht einfach ein bisschen genießen, oder? Das schlechte Gewissen kommt noch früh genug.

Als jedoch mein Schwanz hart und unmissverständlich gegen meine Jeans drückt und Maxi sich am Reißverschluss zu schaffen macht, bin ich schlagartig wieder bei Verstand. Also das muss jetzt irgendwie unterbunden werden.

„Was ist denn nun schon wieder?“, stöhnt er genervt.

„Ich hab...“

„Einen Ständer,“ giggelt er, „glaubst du, das hätte ich nicht gemerkt.“ Seine Hand streicht über... ich werd verrückt. Und ziemlich rot im Gesicht.

„Ist dir das peinlich?“, fragt er erstaunt.

Peinlich ist wohl kaum das richtige Wort, du kleine Rotznase!

„Das muss es nicht. Hier...“, er nimmt meine Hand und schiebt sie zwischen seine Schenkel,

„alles klar?“

Ich rücke von ihm weg. „Okay, das reicht. Wir sollten...“

„Gabriel“, flüstert er und schmust sich wieder an, „sei doch einfach mal locker.“

Locker, mh? Mit dem Teenagersohn meines besten Freundes im Bett locker sein. Fabelhaft.

Während ich noch drüber nachdenke, was ich später seinen Eltern und dem Richter erzähle,

wurschtelt Maxi unter der Decke rum.

„Was machst du da?“, frage ich, obwohl mir vor seiner Antwort graut.

„Meine Hose ausziehen. Mh, das ist unhöflich, oder? Ich sollte mit deiner anfangen.“

Entsetzt halte ich ihn davon ab. „Nein. Bitte, tu das nicht.“

„Mann, du bist echt anstrengend“, schüttelt er den Kopf. „Na, meinetwegen, es wird auch so gehen.“

Er küsst mich und fängt an, mir einen runterzuholen. Nebenbei reibt er sich dermaßen unverschämt an mir... ich kann das nicht ignorieren. Will ich auch gar nicht. Ich will es ihm machen.

Ich bin lange nicht mehr so heftig gekommen. Dachte eben, mir gehen sämtliche Lichter aus. Maxi schwebt anscheinend grad in einer anderen Welt. Der ist völlig weggetreten.

„Das war... ich hab... oh... wow“, brabbelt er. Plötzlich springt er auf. „Scheiße, wie spät ist es? Ich muss nach Hause. Mist.“ Er stolpert und poltert auf den Boden, weil seine Hose irgendwo in den Knien hängt. Im Liegen zieht er sie hoch, knöpft sie zu und kraucht zu seinen Schuhen.

„Wenn Sid in den Garten kackt, weil ich nicht mit ihm rausgegangen bin, kriegt Robert einen Anfall“, erklärt er. Übrigens nennt er seine Eltern nur beim Vornamen, wenn die nicht in der Nähe sind.

Ich sehe ihm verliebt dabei zu wie er seine Jacke anzieht und den Rucksack über seine Schulter schiebt. Gott, ist der hübsch. Kaum auszuhalten. Für zwei oder drei Sekunden steht er unentschlossen im Zimmer, dann wirft er sich zu mir aufs Bett und gibt mir einen Zungenkuss, dass ich fast schwachsinnig werde.

„Bis bald.“

„Hm-hm“, ist alles, was ich zustande kriege.

Als Maxi weg ist, ziehe ich mir noch eine Paracetamol rein, obwohl ich eigentlich was Stärkeres bräuchte. Ich befürchte, dass ich gleich eine schlimme Migräne bekommen werde.

Jedenfalls sobald mein Gehirn wieder einigermaßen funktioniert und mir klar wird, was ich getan habe. Wenn das rauskommt... Robert wird mir die Visage wegschießen. Und Christine

hackt mir den Schwanz ab. Die kann von Berufswegen wahrscheinlich sehr gut zerstückeln.

Vielleicht sollte ich in eine andere Stadt ziehen?! Wenn Maxi weit weg ist, kann er mich schließlich nicht so hemmungslos verführen. Oh Gott, ich benehme mich schon wie eins dieser kranken Subjekte, die vor Gericht tun, als könnten sie gar nix dafür, dass sie sich wie wild auf einen arglosen Jungen gestürzt haben, der doch eigentlich nur ein bisschen Freundschaft wollte. Andererseits hab ich den Eindruck, Maxi weiß ganz genau, was er will. Und das ist eben nicht bloß Freundschaft. Mein Kopf tut weh und mir ist schlecht. Ich sag’s ja... Migräne.

Am nächsten Morgen beschließe ich: die Sache mit Maximilian ist schon viel zu weit gegangen und muss auf alle Fälle beendet werden! Ich hab einfach kein gutes Gefühl dabei.

Also dabei schon... aber danach nicht. Jawohl, ich hab mich entschieden. Schluss mit Maxi. Schluss mit der Rumhängerei. Schluss mit den kackigen Gedanken. Ich werde jetzt joggen, danach einkaufen, dann putze ich meine Wohnung und schreibe meinen Roman zu Ende. Könnte auch mal wieder ausgehen. Einen schnuckeligen Kerl über fünfundzwanzig aufreißen.

Kaum hab ich einen Fuß vor die Tür gesetzt, schmeiße ich meinen Plan um. Bei dieser scheißverdammten Saukälte wie blöde um den See zu rennen kann niemand von mir verlangen. Ein kurzer Sprint zum Supermarkt und wieder zurück reicht völlig. Geputzt wird allerdings. Und zwar ausgiebig. Ich bin leider was das betrifft eher... nachlässig. Außerdem hat meine Mama mir nie beigebracht, wie man Fensterscheiben ohne Streifen hinbekommt, weswegen ich mich da eigentlich nur zweimal im Jahr rantraue. Einmal hab ich schon...im Frühling. Jetzt ist Herbst. Dementsprechend lange dauert die ganze Aktion.

Gegen Mittag, ich bin grad dabei, den Wohnzimmerboden zu wischen, klingelt das Telefon.

„Ja?“

„Hi, Gabriella“, säuselt es.

Mein ganzer Elan ist futsch. „Was willst du?“, frage ich böse, obwohl Maxi gar nichts dafür kann, dass er mich so fertig macht.

„Ich bin bei Anne und wollte fragen, ob du nachher Zeit hast?“

Na wenigstens fragt er jetzt, anstatt einfach aufzutauchen. „Nee“, sage ich und bin selber einigermaßen überrascht.

„Oh... mh, schade. Was hast’n vor?“

„Verabredet.“

„Mit wem denn?“

„Mein Wischwasser wird kalt. Ich leg jetzt auf.“

Ohne eine Antwort abzuwarten drücke ich ihn weg und möchte mich aus verschiedenen Gründen in die Luft jagen. Erstens hätte ich Maxi auch netter sagen können, dass ich keine Zeit habe. Zweitens... der Idiot hat seiner kleinen Freundin sicher sofort brühwarm erzählt, was wir getrieben haben, der erzählt Anne nämlich jeden Scheiß. Und drittens... seine Stimme am Telefon war so sexy, dass ich jetzt einen ekelhaften Fickreiz habe. Leider wartet auf mich nur mein ausgefranster Wischmop, dem ich frustriert einen kräftigen Tritt verpasse. Dabei stelle ich mich derart ungeschickt an, dass mir der blöde Stock vor die Rübe donnert. Ich bekomme auf der Stelle einen totalen Wutausbruch, kämpfe mit dem Arschloch-Mop und remple aus Versehen gegen das Regal. Da oben drauf stand die hässliche weiße Blumenvase in Form einer zerknautschten Einkaufstüte, die mir mein völlig verblödeter Vater zum Einzug schenkte. Jetzt liegt sie auf dem Boden und ich halte mir meinen schmerzenden Schädel, taste beklommen nach Blut. Mh, alles trocken. Keine Platzwunde. Trotzdem. Ich hab sicher eine Gehirnerschütterung und das widerwärtige Teil nicht mal den kleinsten Sprung.

Mühsam schleppe ich mich auf die Couch und überlege, einen Notarzt zu rufen. Schließlich ist mit einer Gehirnerschütterung nicht zu spaßen. Ich lasse das dann aber. Wegen der Peinlichkeit... Blumenvase auf den Kopf gefallen! Jedenfalls ist der Tag absolut im Arsch. Dabei hatte er so gut angefangen.

Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn als ich meine Augen öffne, dämmert es bereits. Mein Schädel bollert so arg, dass mir davon schlecht wird. Mop und Vase liegen unverändert. Der Eimer steht auch noch da. Wie günstig, da müsste ich zum kotzen nicht mal aufstehen, wenn es mich überkäme. Der Gedanke ist mir ekelhaft, also rappele ich mich auf, mache etwas Ordnung und werfe einen Blick in den Spiegel. Shit, ich hab eine Beule an der Stirn. Und was für eine! Sieht aus, als wollte da grad ein zweiter kleiner Kopf rauswachsen. Damit könnte ich in jedem Panoptikum auftreten. Na ja, wenn ich meinen Pony geschickt darüber fallen lasse... nee, fuck, dann sehe ich gar nix mehr. Bin ja auch normalerweise nicht so der Haare-ins-Gesicht-hängen-lassen-Typ, aber seit Fabienne mir einen neuen Style verpasste...

Mit Fabienne hab ich früher mal WG-artig zusammengehaust. Mitten im Sozialpädagogik-Studium, fand sie plötzlich, sie müsse eine Friseurlehre machen und heute arbeitet sie als Maskenbildnerin am Theater. Jedenfalls hatte ich gegen meinen 08/15-Haarschnitt nie was einzuwenden bis Fabienne meinte, der sei arschlangweilig. Meine abwaschwasserblonden Haare bekamen ein paar Akzente (helle und dunkle Strähnchen, die aber ganz natürlich aussehen) und der Schnitt... mh, ein bisschen Sieben-Jahre-In-Tibet-Brad-Pitt, nur etwas länger. Das fand ich dann ziemlich cool, weil ich nämlich immer schon tierisch auf Phillip Boa stand und der sah mal ganz ähnlich auf dem Schädel aus.

Wie auch immer, die Beule ist jedenfalls gewaltig und wird leider immer größer, je länger ich sie anstarre. Also ab ins Bett und einen Eisbeutel draufpacken.


„Uaahhh... wie siehst du denn aus? War ja wohl eine harte Nacht, was?“

Maxi hat nicht noch mal den Fehler gemacht, vorher anzurufen. Der ist einfach mit einer Tüte Donuts aufgetaucht.

„Allerdings“, grunze ich.

„Und beim Vögeln bist du dann mit der Birne gegen die Wand geknallt, richtig?“

„Wenn du’s genau wissen willst... mir ist eine Blumenvase auf den Kopf gefallen.“

Maxi sieht mich an, als hätte ich nicht mehr alle beisammen. „Blumenvase?“

„Die da“, antworte ich und deute auf das verhasste Ding.

Ich hab wirklich viele Lachanfälle erlebt, aber dieser übertrifft alles. Maxi kriegt sich kaum wieder ein. Mein Gott, so lustig ist das auch nicht.

„Wie kann denn von da oben die Vase runterfallen... gegen deine Stirn?“, kichert er.

„Das mit der Stirn war der Wischmop.“

„Die alte Sau“, prustet Maxi. Nachdem er sich einigermaßen beruhigt hat, schaut er mich mitleidig an. „Tut dein Kopf jetzt ganz doll weh?“

Ich nicke leidend.

„Hast du Eis drauf gelegt?“

„Ja, aber das hat nicht geholfen.“

„Ich weiß, was da hilft“, lächelt er, klettert auf meinen Schoß und pustet sanft an meine Stirn.

Mir wird augenblicklich kribblig, was ich versuche zu ignorieren. Als Maxi mich küssen will, halte ich ihn davon ab. Schiebe ihn von mir und setze mich ordentlich hin.

„Maximilian, wir müssen da mal was klären.“

Er nimmt sich einen Schokodonut und knabbert delikat daran rum. „Okay?“

„Es geht einfach nicht, dass wir... sowas machen.“

„Was denn?“

„Na ja, so tun, als wären wir zusammen und... als wäre das normal. Du bist zu viel zu jung, noch dazu der Sohn meines besten Freundes. Verstehst du?“

„Klar, bin doch nicht blöd.“

„Mir ist das... also ich hab das Gefühl...“

„Dass du ein alter Sack bist, der mich zu sexuellen Handlungen genötigt hat, ich weiß. Und wenn Robert und Christine das rauskriegen, hast du vermutlich zwei Freunde weniger... wobei man allerdings nicht sagen kann, wie die reagieren würden. Aber möglicherweise würden die uns nicht unbedingt gratulieren. Kein Problem. Hören wir halt auf rumzumachen, wenn du dich schlecht dabei fühlst.“

Warum ist der denn plötzlich so vernünftig? Das ist ja direkt unheimlich.

„Aber ich darf dich doch trotzdem besuchen, oder? Ich meine, wir sind immer noch Freunde, richtig?“

„Äh... ja, sicher.“

„Dann ist ja alles in Ordnung“, erklärt er schulterzuckend. „Magst du einen Donut?“

Irritiert nehme ich einen. Mensch, der hat sich ja schnell mit meiner Entscheidung abgefunden. Irgendwie dachte ich, es würde ihn mehr treffen. Na ja, so sind Teenager wohl.

Grad noch schwer verliebt und schwupps... Gefühle verflogen und haufenweise Herzen gebrochen. Meins ist jedenfalls arg angeknackst. Dabei sollte ich doch nun wirklich froh sein, dass Maxi so positiv reagiert.

„Willst du den Donut essen oder nur bewundernd anstarren?“, grinst er.

„Ich... hab doch keinen Appetit.“

„Wenn das so ist, her damit.“ Er schnappt sich das Teil aus meiner Hand und verspeist es genüsslich. „Übrigens hat Anne schon gemeint, dass du vermutlich Schwierigkeiten mit mir und den ganzen Umständen haben würdest.“

„Was zum Teufel hast du ihr erzählt?“, kreische ich wie blöd.

„Nur, dass ich tierisch in dich verknallt bin und du nicht willst. Krieg dich wieder ein.“

Mich einkriegen? Wer weiß mit wem die kleine Göre grad MEINE Angelegenheiten bequatscht. Außerdem will ich ja wohl auch. Es geht bloß nicht.

„Maxi, du kannst nicht rumlaufen und jedem Hans und Kranz...“

„Anne ist meine beste Freundin. Wir besprechen alles. Und sie erzählt nix weiter, falls du dir darüber Gedanken machst.“

Klar, als ob Mädchen keine Plaudertaschen wären. „Ich möchte nur, dass du vorsichtig bist.“

„Wieso? Wir haben schließlich keine verbotene Affäre oder sowas. Wir sind lediglich... befreundet. Nichts weiter.“

Damit scheint das Thema für ihn tatsächlich erledigt zu sein, denn er faselt unbeschwert drauflos. Dass er sich mit einigen Jungs trifft, die das Musikmachen hoffentlich genauso ernst nehmen wie er, dass er am Wochenende mit Anne den neuen Club antesten will, dass nächste Woche schon wieder irgendwelche rechtsradikalen Arschgeigen durch die Straßen laufen und er bei der Gegendemo dabei ist, dass Christine sich ein bisschen Sorgen macht, er könne Ärger mit den Idioten kriegen oder mit der Polizei... blablabla. Ich höre kaum hin, weil ich wirklich nur daran denken kann, mit ihm ins Bett zu gehen und hemmungslos rumzuknutschen. Wäre es denn wirklich so schlimm? Ich meine, wenn Maxi und ich zusammen wären... so richtig. Jetzt mal ohne Sohn-vom-besten-Freund und Pädo-Schwachsinn. Der Altersunterschied ist schon gewaltig. Ich möchte wetten, er hat seinen Eltern noch nicht gesagt, dass er sich für Jungs interessiert. Möglicherweise muss ich ihm dabei dann helfen. Will ich denn echt noch mal mit den ganzen Problemen konfrontiert werden, die ein Siebzehnjähriger hat? Wie soll eine Beziehung funktionieren? Man kann doch nichts zusammen unternehmen. Maxi darf sich ohne Begleitung ja nicht mal einen Ab-Achtzehn-Film im Kino anschauen. Soll ich mit ihm und seinen kleinen Freunden die Kindervorstellung besuchen? Überhaupt, Freunde. Wir leben in völlig verschiedenen Welten. Er würde sich zu Tode langweilen, wenn er mit mir und meiner Dreißigjährigen-Riege rumhängen müsste. Und ich würde mit seinen Teenies verblöden. Nicht, dass ich Teenies generell für blöd halte. Aber die sind eben noch viel zu unfertig im Kopf. Die haben total andere Interessen. Mir macht es keinen Spaß mehr, mich nächtelang in düsteren Spelunken rumzutreiben und an irgendwelchen Bahnhöfen auf den Nach-Hause-Zug zu warten. Ich muss auch nicht mehr als Punk oder Gruftie rumlaufen, um der Welt zu zeigen, was für eine coole Sau ich bin. Auffallen und schocken, Party ohne Ende, jedes Wochenende feiern... das ist bei mir seit zehn Jahren vorbei. Logisch gehe ich auch noch gerne aus und stehe zum Teil auf die gleiche Musik wie Maxi, aber mir ist das alles halt nicht mehr so wichtig, wie es mir in seinem Alter mal war. Es würde einfach nicht gut gehen zwischen uns. Vielleicht am Anfang, im Rausch akuter Verknalltheit. Aber was kommt danach?

„Schönen Dank auch,“ reißt Maxi mich plötzlich aus meinen Gedanken, „ich laber mir hier ‘nen Wolf und du hörst überhaupt nicht zu.“

„Entschuldige... das, äh, das ist wohl die Gehirnerschütterung.“

„Dann sollte ich dein krankes Hirn vielleicht besser nicht weiter belasten, was? Na ja, muss eh los.“ Er zieht seine Jacke an und geht zur Tür. „Bis dann.“

Maxi

Schon als ich das versiffte Zimmer betrete, weiß ich, dass es ein Fehler ist. Zehn bis fünfzehn Leute lümmeln sich in die zerschlissenen Polstersitzgelegenheiten, die verdächtig nach siebziger Jahre aussehen. Das Fenster ist mit einer karierten Decke verhangen, nicht einmal der Hauch von frischer Luft weht herein. Auf dem niedrigen, mit Kerzenwachs übersäten Tisch tummeln sich Bierflaschen, volle Aschenbecher, Tabakpäckchen und allerhand Kleinkram. In einer Ecke des Zimmers steht ein Aldi-Einkaufswagen, daneben ein paar übereinander gestapelte Ziegelsteine, auf denen ein Fernseher thront. An der Wand über dem Bett, das aus zwei Matratzen besteht, hängt ein einsames Ramones-Poster. Neben dem Bett befindet sich eine Stereoanlage. Aus den Boxen dudelt Punkmusik. Ich frage mich zum x-ten Mal, wie man hier leben kann?! Christo hebt schlaff die Hand zur Begrüßung und widmet sich sofort wieder seinem Drogenkonsum. Die anderen beachten mich nicht weiter. Duseln alle in ihrer eigenen Welt.

„Maxi, hey!“, ruft Anne und klopft neben sich auf die Matratze.

Ich setze mich zu ihr. Christo wirft mir eine Flasche Bier in den Schoß.

„Wie lange willst’n dir das noch antun?“, frage ich, krame mein Feuerzeug aus dem Rucksack, öffne damit die Flasche und nehme einen Schluck.

„In spätestens zwei Stunden sind die hoffentlich alle weg.“

„Sitzt wohl schon auf glühenden Kohlen, was?“, grinse ich.

„Arschloch.“ Anne rückt ein Stück näher. „Dusty hat uns erwischt.“

Dusty ist Christos WG-Partner und eine Art bester Freund... falls Kiffer überhaupt Freunde haben.

„Bei einem tiefsinnigen Gespräch?“

„Haha, bist du witzig heute. Beim Sex, du Blödmann.“

„Dann bin ich wohl jetzt der Einzige, der euch noch nicht beim Ficken gesehen hat“, stelle ich fest. Ehrlich, seit Anne sich aus mir unbegreiflichen Gründen mit Haut und Haaren in Christo verknallt hat, treiben es die beiden wie die Straßenköter. Beziehung kann man das, was die beiden haben, jedenfalls nicht nennen. Da gibt’s einfach null Gemeinsamkeiten... abgesehen von der permanenten Bumsbereitschaft.

„Was soll ich denn machen?“, verteidigt sie sich und klaut mir die Zigarette, die ich grad angezündet habe. „Mit ihm reden kann man nicht... da bleibt dann halt nicht mehr viel.“

„Gabriel hat mit mir Schluss gemacht“, erkläre ich knapp.

„Seid ihr denn zusammen gewesen?“

„Weiß nicht, ich dachte eigentlich schon.“

„Ein bisschen rummachen ist noch keine Beziehung. Glaub mir, ich weiß genau, wovon ich spreche.“

„Er hat einfach totale Panik... dabei ist es klar, dass er mich will. Ich meine, der kann sich echt kaum zurückhalten, wenn ich bei ihm bin, aber irgendwie...“

Anne gibt mir die halbaufgerauchte Zigarette zurück. „Da hilft wohl nur noch die Bambi-Masche.“

„Ich glaub nicht, dass er mir den Scheiß abkaufen wird.“

Ein Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht. „Du kannst dir nicht aussuchen, was dich scharf macht. Wenn man einmal auf irgendwas anspringt, springt man immer wieder darauf an, ob man will oder nicht. Gabriel steht doch sicher auf kleine, verheulte Jungs.“

„Würdest du bitte nicht über ihn reden als sei er ein verdammter Kinderficker?! Danke“, zische ich finster. Zum Glück sind hier alle viel zu stoned, um von unserer Unterhaltung etwas mitzukriegen.

„Okay“, zuckt sie die Schultern und sieht zur Tür, die sich gerade öffnet. Ein Typ kommt reingelatscht. Mr. Obercool mit schwarzem Mantel und Sonnenbrille. Die schwarzen Haare nachlässig zu einem Zopf gebunden. „Das ist einer“, wispert Anne.

„Hä?“

Ihre Stimme wird noch ein wenig leiser. „Ein Kinderficker. Christo hat das mal erzählt, als er total breit war.“

„Christo erzählt dir doch jeden Kack, wenn er breit ist.“

„Ey, der Kerl ist um die Dreißig und lungert ständig hier rum, baggert die Jungs an und so.“

„Nicht jeder Schwule ist automatisch ein Kinderschänder.“

„Das ist mir auch klar. Aber der hier... der sabbert immer die Jüngsten an. Vierzehn bis sechzehn ist sein bevorzugtes Alter. Sagt jedenfalls Christo. Würd’ mich nicht wundern, wenn er es gleich bei dir versucht.“

„Ich bin aber schon siebzehn.“

„Siehst allerdings mindestens zwei Jahre jünger aus “, bemerkt sie.

„Vielen Dank.“

Der Typ glotzt sich langsam um, einen Moment bleibt sein Blick an mir hängen, er lächelt, dann tuschelt er mit Christo, nickt scheinbar zufrieden und verlässt mit ihm den Raum.

„Siehst du... der Typ hat mit deinem Stecher bloß irgendwelche Geschäfte am Laufen. Wahrscheinlich sein Lieferant. Mit was für kriminellem Gesocks gibst du dich eigentlich ab?!“

„Das Geile ist, Christo denkt, ich hätte keine Ahnung, dass er Drogen vertickt. Obwohl das doch nun wirklich offensichtlich ist.“

„Wie auch immer... ich hau jetzt ab. Muss noch mit Sid raus.“

Christo kommt zurück, als ich gehe. Unten vorm Haus steht Mr. Obercool und zündet sich eine Zigarette an. Ich werde das Gefühl nicht los, dass er auf mich gewartet hat.

„Hey“, sagt er leise.

„Was?“

„Kann ich dich wohin mitnehmen?“ Er deutet auf einen schwarzen Mercedes, der verdächtig nach abgefuckter Bumskarre aussieht.

„Ich darf nicht zu fremden Männern ins Auto steigen.“

„Sagt wer?“

„Mama und Papa.“

„Da haben die verdammt recht. Immerhin könnte ich schlimme Dinge mit dir anstellen.“

Das glaube ich ihm aufs Wort.

Er nimmt die Sonnenbrille ab und streckt mir seine Hand entgegen. „Ich bin Claude.“

„Maxi“, sage ich und schüttele seine Hand.

Er zieht mich ein wenig zu sich heran. „Und ich frage immer bevor ich schlimme Dinge tue.“

„Und wenn die Antwort Nein lautet?“

„Steht mein Angebot trotzdem, dich nach Hause zu fahren“, erklärt er schulterzuckend.

„Warum?“

„Ach du meine Güte...“, er wedelt ungeduldig mit seiner Hand, „weil es kalt ist und dunkel und ich einfach nett sein wollte. Such dir irgendwas aus.“

„Okay“, gebe ich mich geschlagen, „du darfst mich nach Hause bringen.“

„Wird mir ein Vergnügen sein“, grinst er und hält galant die Autotür auf.

Im Inneren riecht es stark nach Weihrauch. Auf dem Rücksitz liegen CD’s, ein paar leere Flaschen, Süßkrampackungen und verschiedene schwarze Kleidungsstücke. Ich glaub, ich hab auch Handschellen gesehen. In einer Ecke sitzt ein aufgeblasenes Skelett, das sogar angeschnallt ist und die knochigen Beine übereinander geschlagen hat.

„Wohnst du hier?“

„Wo?“, fragt er.

„Im Auto.“

„Normalerweise nicht. Aber ich bin viel unterwegs und aufräumen macht null Spaß. Wo soll’s übrigens hingehen?“

Ich gebe ihm die Adresse und erwarte ein bisschen, dass er vielleicht auf halber Strecke in irgendein dunkles Waldstück abbiegt. Für den Fall hab ich zwar mein Pfefferspray dabei, weiß allerdings nicht, ob Claude mir die Zeit lassen würde, das aus meinem Rucksack zu kramen. Aber nichts dergleichen geschieht. Er fährt mich brav nach Hause.

Mein Hundchen freut sich fast bekloppt, dass ich wieder da bin. Da ist er so ziemlich der Einzige. Es ist nämlich mal wieder niemand sonst zu Hause. Mom bekocht in ihrem Restaurant fremde Leute und Paps knipst irgendwelche Dummtrinen, die sich allesamt für Germany’s next Topmodel halten. Seitdem er seinen Zeitungsjob an den Nagel gehängt hat und ins Modefach wechselte, hat er noch weniger Zeit für seine Familie. Okay, ich weiß, dass Robert und Christine mich lieben, schließlich bin ich ihr Sohn, wirklich interessieren tun sie sich für mich trotzdem nicht. Irgendwie scheinen die mich vergessen zu haben. Oder sie denken: Jetzt, wo der Junge fast erwachsen ist, können wir uns endlich wieder um unseren Kram kümmern... mussten ja lange genug zurückstecken, weil ein Kind nun mal sehr viel Aufmerksamkeit braucht. Die hab ich zwar bekommen, aber wenn’s etwas Wichtiges gab, bin ich immer erstmal zu Gabriel. Einfach, weil er so cool war und mir zugehört hat, ohne diesen verständnislosen Elternblick, den Robert und Christine sicherlich draufgehabt hätten.

Nachdem ich Sid ausgiebig gekrault habe, schnappe ich mir die Leine und spaziere mit ihm durch die Dunkelheit. Ich muss mich sehr dazu zwingen, einen anderen Weg einzuschlagen als den, der zu Gabriels Haus führt. Anscheinend brauche ich eine neue Strategie. Flirten hat nicht funktioniert. Nicht wirklich. Als wir im Bett lagen und geknutscht haben, dachte ich schon, ich sei am Ziel. Fehlanzeige. Der Herr Romanautor hat Probleme mit dem Altersunterschied und der Tatsache, dass ich der Sohn seines besten Freundes bin. Ich glaube, er fühlt sich echt schmierig, weil sein Interesse für mich durchaus auch sexuell ist. Das könnte ich sogar verstehen... wenn ich dreizehn wäre. Bin ich aber nicht und sein Gedanke, er nötige mich zu irgendwelchen Sachen ist auch totaler Schwachsinn. Wenn er was gegen meinen Willen versucht hätte, hätte ich ihm in die Eier getreten. Mann, wenn er doch nur mal was versucht hätte!! Aber jedesmal, wenn ich ein bisschen angekuschelt kam, hat er sich vor Angst ins Hemd gemacht. Dabei kriegt er bei mir ‘ne Latte, seit ich fünfzehn bin und er glaubt, ich wüsste das nicht. Als mir klar wurde, dass er scharf auf mich ist, hat mich das total fuchsig gemacht. Ich wollte ihn unbedingt verführen... so, um damit vor mir selber anzugeben.

Es war ein unglaublich berauschendes Gefühl, weil ich doch schon ewig lange in ihn verliebt bin und plötzlich reagiert er derart heftig auf meine Nähe. Aber tatsächlich ist es mehr als nur Sex. Ich weiß auch nicht, ich fühle mich halt wohl bei ihm und wenn er nicht da ist, hab ich schreckliche Sehnsucht. Er fehlt mir in jeder fucking Sekunde.


Es ist verdammt schwierig, nicht über Gabriel herzufallen. Meine Strategie heißt: freundlich distanziert sein und ihn zappeln lassen bis er sich irgendwann nicht mehr beherrschen kann. Nicht besonders einfallsreich, aber es scheint zu wirken. Gabriel ist nämlich angepisst, weil ich die Flirterei eingestellt habe, versucht aber, normal zu tun. Ich will das alles eigentlich gar nicht... mit ihm spielen. Ich will, dass er endlich zu seinen Gefühlen steht, verdammt noch mal! Leider fühlt Gabriel sich schlecht, wenn er mich liebt. Der ist echt dermaßen verkorkst, dass ich oft den Eindruck habe, ICH wäre hier der Erwachsene. Okay, die Sache mit Robert und Christine, also dass es ihm unangenehm ist, verstehe ich. Auch dass ihm die Freundschaft wichtig ist. Wenn die beiden wüssten, was zwischen uns abgegangen ist... au weia! Die wissen ja noch nicht einmal, dass ich auf Kerle stehe. Oder auf Jungs. Es ist nämlich nicht so, dass ich mir bewusst ältere Männer aussuche. Hab doch keinen Papi-Komplex. Der Typ, mit dem ich zum ersten Mal Sex hatte, war jedenfalls bloß ein Jahr älter als ich.

„Ey,“ Anne stupst mir in die Seite, „lässt du mich an deinen Gedanken teilhaben oder willst du so lange schweigen, bis ich unbemerkt nach Hause gehe?“

„Wie läuft’s denn mit Christo?“

Sie mustert mich skeptisch. „Das interessiert dich doch nicht wirklich, oder?“

„Nee, sorry. Momentan nicht.“

„Gabriel?“

Ich nicke seufzend.

„Meine Güte,“ stöhnt sie, „seit vier verdammten Jahren gibt’s kein anderes Thema. Wenn das so weitergeht, haue ich ihm persönlich eins in die Fresse und zwinge ihn, dich zu bumsen.“

„Es ist doch nicht nur Sex“, erkläre ich ihr zum x-ten Mal.

„Du weißt, was ich meine.“

„Übrigens hattest du vielleicht Recht.“

„Logisch, ich hab immer recht“, grinst sie. „Ähem... womit denn genau?“

„Claude.“

Sie überlegt kurz und schüttelt den Kopf.

„Der Kinderficker. Er wollte mich letztens unbedingt nach Hause bringen.“

„Ach du Scheiße, Maxi“, ruft sie entsetzt, „lass dich bloß nicht mit dem ein. Der ist vielleicht gefährlich.“

„Ich hab auch nicht vor, was mit ihm anzufangen. Ich bin in Gabriel verliebt, du erinnerst dich?“

„Und was willst du jetzt machen?“

Ich zucke die Schultern. „Keine Ahnung.“

„Ich wünsch dir jedenfalls viel Glück... egal wobei. Wir sehen uns morgen.“

Weg ist sie. Haut einfach ab und lässt mich in meinem Elend allein. Na ja, sie musste sich in den letzten Jahren genug Scheiße anhören. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch mit mir befreundet sein will und nicht schon völlig entnervt das Weite gesucht hat. Manchmal kann ich ja selber kaum fassen, dass ich so versessen auf ihn bin. Ich meine, Anne hat von ich weiß nicht wie vielen Typen geschwärmt, während es für mich immer nur einen einzigen gab. Das Rummachen mit irgendwelchen Jungs zählt nicht. Da waren nie romantische Gefühle im Spiel. Mein Herz gehört Gabriel. Seit immer und für immer.

Bedröppelt schnappe ich mir meine Gitarre und klimpere ein bisschen herum. Irgendwie geht momentan alles schief. Die Kacknasen, mit denen ich zweimal die Woche geprobt habe, hatten meist viel mehr Lust auf saufen und abhängen. Bei unserem ersten Auftritt war Konni dermaßen hacke, dass er ständig den Text vergessen hat, mitten im letzten Lied über den Mikroständer stolperte und bloß noch über die Bühne krauchen konnte. Zum Glück mussten die Leute, die dieses Trauerspiel mit angesehen haben, keinen Eintritt zahlen. Der zweite und letzte Auftritt war sogar noch schlimmer. Da musste ich singen, weil Konni bereits nach dem dritten Lied dazu nicht mehr in der Lage war. Ich fühlte mich beschissen, weiß aber jetzt, dass meine Stimme ganz okay ist. Jedenfalls hab ich die Schnauze voll von den Idioten und kann mir eine neue Band suchen. Wie ich die Energie dafür aufbringen soll ist mir schleierhaft, wo ich doch vierundzwanzig Stunden am Tag mit Gabriel beschäftigt bin. Robert und Christine gehen mir total auf den Sack. Das Piercing, das ich haben wollte, werde ich mir wohl mal wieder heimlich stechen lassen müssen. Es ist doch zum Kotzen, dass die sich immer nur dann mit mir befassen, wenn sie was verbieten können.

Gabriel

Ich glaube, das Leben ist eine Art Witz. Meins jedenfalls. Drei Wochen sind seit dem Gespräch mit Maxi vergangen. Er verhält sich so, als hätte nie irgendwas zwischen uns stattgefunden. Ja ja, das sollte mir gelegen kommen. Tut es aber nicht. Weil ich seine Flirterei vermisse. Weil ich die in Wahrheit nämlich ganz toll fand. Oh, mir ist doch einfach nicht mehr zu helfen. Aus lauter Verzweiflung und was weiß ich bin ich letztes Wochenende losgezogen und hab mir einen Frust-Fick aufgerissen. Klar, ich vögel mir Maxi aus dem Schädel. Super Idee! Dabei war der Sex ganz nett. Nur das Kuscheln fiel flach, weil der Typ nach Hause zu seinem Freund musste und ich sowieso keinen Bock hab, mit fremden Kerlen zu schmusen. Dass er mit mir seitengesprungen ist, hat er logischerweise erst hinterher erzählt. Na ja, hatte eh nicht vor, ihn wieder zu sehen. Mir tut nur der Freund leid, der mit so einer treulosen Arschgeige zusammen ist. Ich finde, dass ich mir die Aktion auch hätte sparen können. Lieber das ganze Wochenende Twin Peaks schauen, wie ich eigentlich vorgehabt hatte. Das mache ich gerne im Herbst, wenn’s draußen kalt ist und regnet. Schön mit heißem Zimtkakao und Donuts den schnuckeligen Agent Cooper anhimmeln und so tun, als wüsste ich nicht schon ab der ersten Minute, wer Laura Palmer auf bestialische Weise umgebracht hat. Die Folge, in der Maddy dran glauben muss, überspringe ich aber. Die ist mir zu unheimlich. Wo Sarah im Tran diesen weißen Gaul in ihrem Wohnzimmer stehen sieht und direkt daneben... nee, da gruselt’s mich. Das kann ich auch total ohne Peinlichkeit zugeben. Wenn ich jemanden hätte, der mich ein bisschen bekuschelt, könnte ich die Folge eventuell schaffen. Robert lacht sich immer kaputt, weil ich so ein Weichei bin. Der kuckt sich die schlimmsten Schocker an und schlummert danach friedlich wie ein Baby. Ich hab nach Shining mehrer Nächte lang das Licht angelassen und mir trotzdem noch bei jedem Geräusch beinahe die Buxe vollgepisst.

Übrigens sitze ich grad in meinem Lieblingscafé und versuche mir eine wohlwollende Kritik aus den Fingern zu saugen. Leider gibt es über den Literatur-Kreis, dem ich beiwohnen durfte,

beim besten Willen nichts Gutes zu sagen. Die Texte der völlig talentlosen Schreiberlinge waren haarsträubend. Der Liedermacher, der zwischendurch gesellschaftskritische Songs trällerte, war dermaßen daneben, dass ich mich fremdschämen musste. ICH bekam vor Peinlichkeit den roten Schädel, dabei wäre das seine verdammte Aufgabe gewesen. Als er im letzten Lied Scherze über Ausländer und Schwule machte und sich wirklich der gesamte Saal kringelig lachte, hätte ich gerne ein paar Handgranaten bei mir gehabt. Dass ich mein Geld damit verdiene, mir so eine Scheiße anzutun...

„Gabriel, mein Freund!“

Ach du Heimatland. „Hey, Claude.“

„Na, was lungerst du denn hier so rum, mh? Nix zu tun?“ Grinsend schiebt er seine schwarze Sonnenbrille ein Stück nach unten und setzt sich zu mir. Schlägt die Beine übereinander und trommelt mit den Fingern auf die Tischplatte. „Ey, Bedienung... kann ich ‘nen Kaffee haben, oder was?“

Ich ducke mich ein wenig. Hoffentlich ist hier niemand, der mich kennt. Claude ist immer so... ich war mal mit ihm abends in einem total überfüllten Edel-Restaurant, als er den Kellner kommen sah, schrie er durch das ganze Lokal „Schon gut, ich muss nur pissen“. War DAS peinlich!!

„Also“, beginnt er und nippt an seinem Kaffee, „was geht so?“

„Nichts. Ich arbeite.“

„Ah ja... seit wann? Oh, du meinst, dein Geschreibsel, richtig? Junge, damit kommst du doch nie auf einen grünen Zweig. Na, zum Glück hast du mich“, lächelt er und schiebt mir unauffällig ein Bündel Hunderter über den Tisch.

Claude ist das, was man allgemein als zwielichtig und unseriös bezeichnen würde. Hat und hatte immer irgendwelche illegalen Geschäfte am Laufen, an denen ich mich leider manchmal beteiligen muss. So lange bis ich meinen Durchbruch als Autor geschafft habe, was ungefähr in dreißigtausend Jahren mal der Fall sein wird. Aber um das klar zu stellen: ich mache keine super schurkigen Sachen, für die man lebenslänglich in den Knast wandern würde! Und ehrlich gesagt ist das immer noch sehr viel lukrativer und angenehmer als mein vorheriger Job. Das war in einem Plattenladen... ja, genau, diese Vinyl-Dinger, die fast kein Mensch mehr haben will. Klar nicht. Wer besitzt heutzutage schon noch einen echten Plattenspieler?! Also der Job war kacke, besonders, weil montags manchmal die Typen reinschneiten, die ich am Wochenende zuvor gebumst hatte. Wahrscheinlich in der aberwitzigen Hoffnung, dass aus uns was werden könne. Meine Güte, als sei ein langweiliger Fick das ultimative Eheversprechen.

Jedenfalls sind Claude und ich vor drei, vier Jahren buchstäblich übereinander gestolpert. Und zwar in einer Bar. Wir waren beide so hacke, dass die Meinungen über die Örtlichkeit unseres ersten Zusammentreffens weit auseinander gehen. Am darauf folgenden Abend sahen wir uns wieder, er nahm mich mit zu sich nach Hause, wo wir uns nach Strich und Faden durchvögelten. Seitdem sind wir... mh, keine Ahnung, was wir sind. Fickfreunde? Gute Bekannte, die geschäftlich miteinander zu tun haben und in unregelmäßigen Abständen miteinander ins Bett gehen. Sowas in der Art.

„Überhaupt,“ faselt Claude, der endlich seine Sonnenbrille abgenommen hat, „wäre es langsam mal wieder an der Zeit. Was meinst du?“

Logisch kommt der immer gleich zur Sache. Manchmal macht mich das tierisch an. Jetzt grad allerdings nicht.

„Ich meine, dass ich nach Hause gehe und meinen Artikel schreibe.“

„Keine Lust auf eine gute Nummer?“, fragt er ein bisschen angepisst. „Der Typ muss ja wahnsinnig toll sein.“

„Welcher Typ? Bist du besoffen oder was?“

Claude stützt sein Kinn auf die Hand. „Ich kenne dich besser als du glaubst, mein Freund. Du hängst total durch. Liebeskummer, hä? Was ist los... will der Kerl nicht anspringen?“

„War nett, dich zu sehen, Claude. Bis irgendwann.“

Ich bin schon ein paar Schritte vom Tisch weg, da ruft er plötzlich „Wenn du dir das mit dem Fick anders überlegst, ruf mich an!“

Okay, ich werde mir wohl ein neues Café suchen müssen. Mann, was kenne ich bloß für Leute?!


„Hey, Gabriella. Ich war grad in der Gegend und... lass mich schon rein, mir ist saukalt.“

Nix Neues. Maxi friert immer, wenn nicht dreißig Grad sind.

„Wieso bist’n du so spät abends noch in meiner Gegend?“, frage ich argwöhnisch und schnüffele verstohlen an ihm rum, weil mir da ein eindeutiger Geruch aufgefallen ist.

Maxi lümmelt sich auf die Couch. „War mit Anne unterwegs... irgendwann sind wir zu Christo, weil sie neuerdings mit ihm poppt. Da hingen allerdings nur bekiffte Arschgeigen rum, was ich mir auch hätte denken können, weil bei Christo immer bekiffte Arschgeigen rumhängen. Ich hab Lust auf was Heißes, machst du mir einen Kakao, bitte?“

Wenn Maxi mit Wörtern wie Lust und heiß hantiert wird mir ganz anders. Ich sollte das wirklich in den Griff kriegen.

„Kiffst du eigentlich mit, wenn du bei Christo bist?“

„Hast du deshalb so an mir geschnüffelt?“, lacht er. „Ich dachte schon, du wolltest Hundchen spielen. Hey, ich nehm keine Drogen, das weißt du doch.“

„Okay, wollte nur sicher gehen. Wie läuft’s denn zu Hause?“, rufe ich aus der Küche.

„Vielen Dank,“ faucht er zurück, „jetzt ist der Abend endgültig im Arsch.“

„Warum?“, frage ich, Zimtkakao mit Sahne servierend.

„Mann,“ stöhnt er, „ich hab nur mal gaaaanz vorsichtig gefragt und die rasten sofort aus.“

„Geht’s etwas genauer?“

Maxi schleckt sich Sahne von den Lippen. „Ich wollte noch’n Piercing. Dachte, bevor ich’s heimlich mache und Robert und Christine wieder eine gemeinschaftliche Herzattacke kriegen... ich kapier nicht, warum die sich so aufregen.“

„Naja, ich hätte es wahrscheinlich auch nicht so gerne, wenn sich mein Sohn irgendwelche Körperteile durchbohren ließe.“

„Ich wollte aber eine Stelle, wo’s eh kaum jemand sehen würde.“

Ach du Scheiße. Ich will gar nicht wissen, wo. Anscheinend hab ich ihn dermaßen geschockt angeschaut, dass Maxi anfängt zu lachen.

„Gabriella! DA doch nicht.“

Das war’s. Ich werde knallrot und muss mich total ärgern.

„Entweder Zunge oder Bauchnabel“, erklärt er.

„Autsch.“

„Schon aber...“, er lächelt gefährlich und schiebt seinen Pullover ein Stück nach oben, „würd das nicht irre cool aussehen, wenn’s hier“, er umkreist mit dem Zeigefinger aufreizend seinen Nabel, „glitzern würde?“

Wie hypnotisiert starre ich auf seinen Bauch und frage mich, ob jemand die Heizung angedreht hat. Ich meine, das würde diese unerträgliche Hitze erklären. Verlegen nehme ich einen Schluck Kakao und verbrenne mir prompt das Maul.

„Vorsicht, das ist heiß“, kichert Maxi und zieht seinen Pullover runter. Dann präsentiert er mir seinen bettelnden Welpenblick. „Duhu... Gabriel...“

Ich rechne mit dem Schlimmsten. „Was?“

„Kann ich vielleicht heute bei dir schlafen?“

„Auf keinen Fall.“

„Ach komm schon. Ich mag nicht nach Hause.“

„Hier ist kein Platz.“

„Die Couch ist doch groß genug. War sie bis jetzt immer.“

Es ist ein Fehler, das weiß ich. „Okay, meinetwegen. Dann ruf aber deine Eltern an.“

„Nicht nötig. Die denken eh, dass ich bei Anne bin.“ Nervös knabbert er am Rand seiner Tasse. „Duhu... Gabriel...“

Was denn noch, mh? Was zur Hölle kann er noch wollen? „Ja... Maximilian?“

„Ich... äh...“, er kramt in seiner Tasche, „ich hab... Bambi mitgebracht...“

OH NEIN! Alles, nur das nicht. Maxi liebt Zeichentrickfilme. Aber Maxi darf sich Zeichentrickfilme nicht ankucken, weil er vor lauter Rührung jedes Mal anfängt zu weinen. Das konnte man schon als er kleiner war kaum ertragen. Außerdem steht mein Fernseher im Schlafzimmer. Muss ich mehr sagen?!

„Wir können reden, Musik hören und wenn du willst, kannst du meine Gitarre stimmen und mir deine neuen Sachen vorspielen.“

Schmollend verschränkt er die Arme vor der Brust. „Ich will Bambi sehen.“

„Nicht bei mir.“

„Oh, entschuldige, ich hab vergessen, dass du für solche Sachen viel zu alt bist.“

„Du ja wohl auch.“

„Für Bambi ist man nie zu alt. Außer man ist so ein Oppafuzzi wie du.“

Nach dreißig Minuten Hardcore-Generve gebe ich mich geschlagen. Maxi hat sich in meine Bettdecke gewurschtelt. Ich liege hinter ihm und starte den Film. „Wenn du heulst, gehst du sofort nach Hause.“ Und wenn ich eine Latte kriege... au weia!

Das blöde Zeichentrickvieh ist noch nicht mal ganz aufgestanden, da ist bei Maxi schon alles vorbei. „Süüüüüß“, quietscht er. Seine diversen Ohhhhhhh’s und Ahhhh’s will ich gar nicht erst erwähnen. Hab ich nicht vor ein paar Wochen noch über eine mögliche Beziehung nachgedacht? Ich muss besoffen gewesen sein.

„Ekelhaft,“ faselt er als das Stinktier auftaucht, „ist das süß.“

Vermutlich bin ich immer noch besoffen, weil... verdammt, Maxi ist auch ekelhaft süß. Zum Abknutschen ekelhaft süß.

Irgendwann, kurz vor Schluss (Mama Bambi wurde eben abgeknallt), tastet seine Hand nach hinten, schnappt sich meinen Arm und drapiert ihn um seinen Oberkörper. Ich krieg die Pimpanellen.

„Was soll das?“

„Sei nicht so ungemütlich, Gabriella“, schniefelt er.

„Sag mal... heulst du etwa?“

„Nein“, antwortet er kläglich.

Das kleine Reh rennt durch den Schneesturm, jault nach seiner Mama und Maxi jault mit.

Ich hätte es wissen müssen. Ärgerlich drehe ich ihn zu mir um. „Ey, ich hab dir gesagt, wenn

du...“

„Ich kann doch nichts dafür“, schluchzt-kichert er und knuddelt sich in meine Arme.

„Das war das allerletzte Mal, Maximilian.“

„Ich würd dich jetzt so gerne küssen“, murmelt er.

Und ich erst. Oh Mann! Sein Kopf stupst gegen meine Brust. Sein Gesicht reibt sich an meinem Shirt. Seufzend wuschel ich seine Haare. „Wir haben das doch besprochen.“

„Du,“ verbessert er, „du hast das einfach so entschieden. Nur weil du zu feige bist, was mit mir anzufangen. Kann ich vielleicht was dafür, dass ich nicht zehn Jahre älter bin? Ich hasse dich“, sagt er beleidigt und... küsst mich auf den Mund.

Ich bin so verdattert, dass ich ihn aus Versehen zurück küsse. Als ich das bemerke, ist es allerdings schon zu spät. Ich will nicht mehr aufhören. Seine Hände haben sich längst unter mein Shirt gestohlen und krauchen über meine Haut. Auf einmal bin ich obenrum nackt.

Maxi ebenfalls. Mal ehrlich, meine Triebe wollen grad völlig mit mir durchgehen. Ich will ihn flachlegen. Will ihn verdammt noch mal... aber das geht nicht. Der hat doch sicher noch nie. Seine Hand schiebt sich in eindeutiger Absicht in meine Hose. Wenn ich nicht aufpasse, werde ich hier noch zum Raubtier.

„Maxi...“

„Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber ich bin kein Kind mehr. Also warum sagst du nicht einfach, was du willst?“

Verflucht, der hat doch keine Ahnung.

„Sag doch einfach, dass du Lust hast, mich zu ficken.“

Ich würde jetzt gerne meinen belämmerten Gesichtsausdruck sehen.

„Keine Angst,“ lächelt er, „du bist nicht mein Erster.“

Ich würde jetzt gerne meinen belämmerten Gesichtsausdruck sehen!! Ich meine, der lügt doch, oder? Ich denke nicht, dass er tatsächlich so erfahren ist, wie er mir weismachen will.

„Aber im Gegensatz zu dem Typen weißt du bestimmt ganz genau, wie du mich nehmen musst“, wispert er und küsst mich gierig.

Shit, wer hat dem solche Sachen beigebracht? Während ich noch innerlich mit mir kämpfe, spielen Maxis Finger mit meinen harten Nippeln. Seine Lippen wandern küssenderweise über meinen Hals.

„Hast du Gummis da?“

„Äh... nee“, entgegne ich fast schon erleichtert.

„Is okay. Ich hab welche dabei.“

Großartig.

Tausendmal berührt...ich kann den Text jetzt verstehen. Du liegst neben mir und ich schäm mich fast dabei. Ich schäme mich nicht nur fast sondern total. Nicht, dass ich es bereue, dafür war es viel zu schön. Es ist nur so... eigenartig. Und Maxi ist so... nackt. Ein hübscher Anblick, wie er auf dem Bauch liegt und selig vor sich hin lächelt. Eigenartig bleibt es trotzdem. Oder sagen wir mal, ungewohnt. Schließlich liegen wir nicht jeden Tag zusammen nackig im Bett.

„Hey, himmelst du mich grad an?“, grinst er und schlängelt sich in meine Arme. „Weil ich so unverschämt gut aussehe und du verrückt nach mir bist?“

„Wir sind wohl sehr überzeugt von uns, was?“

„Naja, ich hab zwar manchmal gezweifelt, aber mir war klar, dass ich dich irgendwann rumkriegen würde.“

„Tatsächlich?“, frage ich leicht amüsiert.

„Ja, sicher. Du hast zwar immer so getan, als würde es dich völlig kalt lassen, wenn ich halbnackt vor deiner Nase rumhopste, aber interessiert hingeschaut hast du doch, mh?“

„Na und?“, entgegne ich achselzuckend.

„Mann,“ stöhnt er und knufft mir in die Seite, „wir sind hier total unter uns... kannst ruhig zugeben, dass du schon ewig scharf auf mich bist.“

Der hat wohl einen akuten Anfall von Größenwahn. „Träum weiter.“

„Du hast überhaupt keine Ahnung, wie lange ich schon von dir träume“, säuselt er.

„Wie lange?“

Maxi scheint kurz zu überlegen. „Seit ich weiß, wie man mit gewissen Körperteilen umgehen muss, um sich selber zu bespaßen. Du bist meine Lieblingswichsphantasie.“

„Maximilian!“, rufe ich empört.

„Was denn? Du hast gefragt.“ Er grinst schon wieder so unverschämt. „Es gab ‘ne Zeit, da konnte ich echt nur auf dich.“

Oh, du meine Güte!!

Seine Hand greift zielstrebig nach meinem harten Schwanz. „Hey“, flüstert er, „hey, das macht dich ja an. Mhhhh... gut zu wissen.“

Maximilian ist unerhört schön, wenn er schläft. Auch wenn er wach ist, aber... na ja, momentan schlummert er halt friedlich und wunderhübsch in meinem Bett. Ich dagegen bin schon seit Stunden nicht mehr müde. Hab mir die Zeit damit vertrieben, ihn anzuschauen, die seidigen schwarzen Ponysträhnen aus seinem Gesicht zu streichen und als es hell wurde bin ich durch die morgendliche Kälte zum Bäcker. Grad noch Kakao gekocht, den Tisch gedeckt und...der Kleine pennt immer noch.

„Hey, aufwachen“, wispere ich und puste ihm sanft ins Ohr.

Er giggelt schlaftrunken, dreht seinen Kopf und klappt die Augen auf.

„Frühstück ist fertig.“

„Mhhhhh...“, seufzt er und streckt sich. Dann wirft er einen Blick unter die Decke. „Wieso bin ich nackt? Und wie komme ich in dein Bett? Was hast du mit mir angestellt, Gabriella?“

Blöder Rotzlöffel! „Dein Kakao wird kalt.“

Maxi schlingt beide Arme um mich. „Das werde ich auch, wenn du mich nicht sofort ein bisschen wärmst.“

Okay, der Kakao kann mir gestohlen bleiben. Ich lege mich zu ihm unter die Decke. Maxi lässt sich ausgiebig von mir bekuscheln. Und wenn ich ausgiebig sage, meine ich ausgiebig. Der ist anhänglicher als die Katze meiner Schwester. Und die ist schon schlimm. Kaum hat man sich irgendwo hingesetzt, springt einem das Vieh auf den Schoß und geht die nächsten hundert Jahre nicht mehr weg.

„Du bist eine verdammte Schmusekatze“, bemerke ich, worauf Maxi träge kichert. „Ehrlich, es würd mich nicht wundern, wenn du gleich anfängst zu schnurren.“

„Würde dir das gefallen?“, fragt er und bietet mir seinen weichen Nacken zum Kraulen an.

„Scheiße, ja“, grinse ich, versenke meine Hand in seine schwarzen Zotteln und küsse ihn.

„Du... Gabriel“, flüstert er nach einer Weile.

„Hm?“

„Ich fürchte, dein Kätzchen ist grad rollig.“

Als wär mir das nicht aufgefallen. „Rollig?“

Er nickt und zupft spielerisch an meinem Shirt.

„Und was macht man da?“, stelle ich mich blöd.

„Wie wär’s mit ‘nem Fick?“

Ich kann nur erschrocken meine Augen aufreißen.

Er streicht mir lächelnd mit dem Finger über die Wange. „Du bist so süß verklemmt, Gabriella.“

Jetzt lehn dich aber mal nicht zu weit aus dem Fenster, mein Freund! „Ich bin keineswegs...“

„Du kannst mir noch nicht mal sagen, dass du mich vögeln willst“, unterbricht er mich und hat damit leider vollkommen recht. Mist, verdammter. Dabei kann ich normalerweise sowas total locker sagen. Aber bei Maxi ist es eben anders.

„Obwohl“, seine Hand schiebt sich zwischen meine Schenkel, „das offensichtlich ist.“

Der Kakao ist logischerweise eiskalt, als wir endlich mal am Tisch sitzen. Mit der einen Hand schiebt Maxi sich ein Stück Schokobrötchen in den Mund, in der anderen Hand hält er eine Zigarette. Ich bin sofort angeekelt. Mal ehrlich, ich war vor meinem Nichtraucher-Tum ja schon hardcore, aber das wäre selbst mir zu widerwärtig gewesen. Immer hübsch eins nach dem anderen.

„Du bist ekelhaft.“

„Hä?“, macht er kauend. „Eben war ich noch deine Schmusekatze.“

Ich deute auf die Kippe. „Machst du das zu Hause auch?“

„Nur, wenn ich alleine bin.“

„Solltest überhaupt nicht rauchen. Schon mal was von Lungenkrebs gehört? Von Wachstumsstörungen und... und gelbe Zähne bekommt man davon und alles stinkt und...“ Mir wird übel. Ihhhhh... ich klinge wie mein Vater. Na und? Rauchen ist nunmal schädlich und eklig im Geruch.

Maxi ist ein wenig angepisst, denn er bläst mir den Rauch direkt ins Gesicht. Das nervt mich wiederum so, dass ich ihm die Zigarette einfach wegnehme und im Aschenbecher ausdrücke. „Du hättest mich auch freundlich bitten können, sie auszumachen, Gabriel“, erklärt er und schlürft lautstark seinen Kakao.

Meine Hände ballen sich heimlich zu Fäusten. „Ich bin hier in meiner verdammten Wohnung, ja? Da brauche ich wohl kaum freundlich bitten, dass du aufhörst, dich wie ein Schwein zu benehmen.“

„Sonst noch was?“

„Ja, bei deinem Geschlürfe vergeht mir der Appetit“, grummele ich. „Kannst du nicht anständig trinken? Und wo wir schonmal dabei sind... das da hab ich auch nicht so gerne. Was glaubst du, wofür im Flur Haken sind? Damit du deine Jacke auf den Boden wirfst? Du machst echt nur Chaos. Und bleib mit deinem Kakaolöffel aus dem verfickten Nutellaglas.“

„War’s das jetzt?“

Ich rühre bedächtig in meinem Kakao. „Deinen aggressiven Ton kannst du dir sparen, Maximilian. Schließlich hab ich nichts Unmögliches von dir verlangt, oder?“

Er sieht mich einen Moment an, dann schlüpft er in seine Doc’s und schnappt sich Jacke und Tasche. „Sag mir Bescheid, wenn du wieder bei Trost bist.“ Weg ist er.


Kann es sein, dass der Streit mit Maxi meine Schuld ist? Kann es sein, dass ich den Verstand verloren habe, mich über irgendeinen Blödsinn aufzuregen? Darf man die Wut über das eigene fehlerhafte Verhalten an einem unschuldigen Jungen auslassen? Phh... Maxi und unschuldig, dass ich nicht lache! Mich mit süßem Sex zu verführen ist ja wohl alles andere als unschuldig. Aber schließlich gehört zur Verführung auch immer jemand, der sich verführen lässt. Ich hab mich Maxi gerne ergeben. Dass es falsch war, liegt auf der Hand. Ich hätte meine Sehnsüchte beiseite schieben und vernünftig mit ihm reden müssen. Ihm erklären, warum es nicht gut ist, mit dem Sexkram anzufangen. Ich meine, das ist doch kein verdammtes Spiel. Ich möchte Maxi nicht wegen dieser Sache verlieren. Dafür bedeutet er mir einfach zu viel. Und wie zur Hölle soll ich Robert und Christine jemals wieder ins Gesicht sehen können?! Trotzdem. Auch wenn die Situation für mich ätzend ist, Maxi deshalb wegen irgendwelcher Beknacktheiten runterzumachen ist verdammt unfair.

„Sag mal... was ist eigentlich los mit dir?“

Ich schrecke aus meinen Gedanken. „Hm?“

„Seit ich hier bin bist du abwesend“, erklärt Fabienne. „Und aussehen tust du... meine Güte, als hättest du eine Woche lang nicht geschlafen.“

„Ich war krank.“

„Blödsinn“, entgegnet sie, „du siehst nicht krank aus sondern völlig fertig. Steckt vielleicht ein Kerl dahinter?“

„Nein“, fauche ich.

„Claude?“

„Es ist kein Kerl. Und jetzt lass mich in Ruhe mit dem Scheiß.“

Fabiennes Augen verengen sich. „Ich hab gute Ohren, es ist also nicht nötig, so zu schreien.“

„Du nervst.“

„Klar. Dann schmeiß mich doch einfach raus. Gabriel, ich mache mir Sorgen um dich. Warum redest du nicht mit mir?“

Ja, wieso eigentlich nicht? Sie würde es nicht verstehen. Niemand würde das. Außer Claude vielleicht, was entsetzlich genug ist. „Fabi, es ist wirklich alles in Ordnung. Und wenn du es unbedingt wissen willst... ich schreibe grad an meinem Roman. Bin an einer schwierigen Stelle. Deshalb hab ich schlecht geschlafen. Okay?!“

Sie scheint das zu schlucken. „Hey, das ist doch toll. Ich meine, nicht dass du kaum schläfst, aber dein Roman... wow, wie weit bist du denn?“

„Ziemlich.“

„Kann ich was lesen?“

Shit! „Äh... nee. Noch nicht.“

„Ach komm schon, Gabriel. Nur ein, zwei Kapitel.“

„Tut mir Leid“, entgegne ich und bringe die Decke, die auf der Couch lag, ins Schlafzimmer. Ich hasse es, wenn ich Besuch hab und es ist nicht aufgeräumt.

Fabienne läuft mir nach und bettelt weiter. „Dann sag mir wenigstens... versteckst du Kinder hier?“

„Was?“

„Oder stehst du selber heimlich auf Bambi“, kichert sie. „Ist ja irgendwie süß.“

„Den hat Maxi vergessen“, antworte ich ohne nachzudenken.

„Sag bloß, der hat dich rumgekriegt?“

Ich wirble herum. „Was zum Teufel meinst du damit, hä?“

Fabi sieht einigermaßen erschrocken aus. „Na, weil der Kleine doch Zeichentrick...,“ ihre Augen werden riesengroß, „oh mein Gott“, wispert sie. „Oh mein Gott! Es... es ist wirklich kein Kerl, oder?! Ach du Scheiße...“

Na, das hab ich ja toll hingekriegt. „Was immer du gerade denkst... es stimmt nicht.“

„Gabriel“, beginnt sie ernst, „ich hoffe, du weißt, was du tust.“

„Keine Ahnung, wovon du redest.“

„Schläfst du mit ihm?“

Ich drehe ihr schweigend den Rücken zu und spüre zwei Sekunden später ihre Hand auf meiner Schulter. „Antworte mir.“ Langsam stellt sie sich vor mich und nimmt mein Gesicht in ihre Hände. „Hast du verdammt noch mal mit Maximilian geschlafen?“

„Ja, na und?“, brülle ich und schubse sie weg.

„Das... das ist...“

„Was? Ekelhaft? Denkst du etwa, ich hätte ihn gezwungen? Dann kannst du dich gleich verpissen. Maxi wollte es genauso wie ich. Es... war unglaublich schön. Und jetzt geht alles den Bach runter, weil Robert und Christine mich umbringen werden, wenn sie es erfahren, und Maxi bringt mich um, weil ich ihn danach rausgeekelt habe, und du... du wirst mich auch umbringen...“ Ich lasse mich auf die Bettkante sinken.

„Wie lange geht denn das schon?“

„Nicht lange.“

„Okay, dir ist doch klar, dass du die Geschichte beenden musst?“

Ich nicke zögerlich.

„Gabriel, der Kleine ist minderjährig.“

„Er ist siebzehn.“

„Mach Schluss, bevor es zu spät ist. Bevor dich seine Eltern killen. Denn das werden sie ganz sicher.“

Sie hat Recht. Es wird Zeit, die alte Ordnung wieder herzustellen. Keine Küsse mehr. Kein Anfassen. Keine Flirterei. Sobald sich die Gelegenheit ergibt, werde ich mit Maxi sprechen und ein für allemal klar stellen, dass nichts mehr zwischen uns laufen wird!

Zwei Tage nach Fabiennes Besuch steht Maxi vor der Tür. Ah, wie günstig.

„Hey“, sagt er scheu, „können wir... reden?“

„Sicher.“

Wir setzen uns auf die Couch. Ich in der einen, Maxi in der anderen Ecke.

„Also...“, beginne ich und hab plötzlich eine ziemliche Blockade. Dabei hatte ich mir eine so schöne Rede ausgedacht. Alles weg. Okay, muss eben improvisiert werden. Ich weiß ja schließlich, worum es geht. Schluss machen, ohne ihm weh zu tun. Verständnisvoll erklären, was Sache ist. Während ich noch dabei bin, mich ein wenig zu sammeln, rückt Maxi näher.

Sehr viel näher. Sein Kopf stupst gegen meine Brust. So wie Katzen das tun, wenn sie gestreichelt werden wollen. Maxi ist aber keine Katze und ich werde ihn nicht streicheln. Ich werde Schluss machen! Sein Gesicht reibt sich an meinem Hals und meine Arme... meine Arme umschlingen ihn.

Na, das war ja wohl nix.

„Ich will nicht, dass du böse auf mich bist“, murmelt er. „Ich verspreche dir, ordentlich zu sein und meinen Kakao nicht mehr zu schlürfen und... und rauchen tu ich auch nicht mehr.“

Verflucht! „Ich bin doch nicht böse auf dich“, wispere ich.

„Nein?“

„Es ist nur... ich kann das eben nicht so locker sehen wie du.“

Maxi befreit sich aus meinen Armen. „Was meinst’n du mit locker? Dass ich mit dir ins Bett gehe, Spaß habe und das war’s? Ich möchte mit dir zusammen sein, Gabriel.“

„Es gibt Gründe, die dagegen sprechen.“

Er senkt bedröppelt den Kopf. „Ja, ich weiß. Trotzdem bin ich verliebt in dich.“

„Im Augenblick mag das so sein. Aber du bist noch viel zu jung, um...“

„Das ist keine bescheuerte Teenie-Schwärmerei, okay? Ich hab mich in dich verliebt da war ich grad dreizehn“, unterbricht er mich, „also versuch bitte nicht, mir einzureden, dass ich keine Ahnung hätte, nur weil ich noch nicht dreißig bin.“

„Sechzehn Jahre kann man auch bei aller Verliebtheit nicht wegphantasieren. Vergiss nicht, dass ich auch mal in deinem Alter war und sehr genau weiß, dass man da gerne ein bisschen rumprobieren möchte. Klar, im Moment ist alles ganz toll und aufregend, aber was ist in ein paar Monaten? Wenn du feststellst, dass es eben nicht mehr kickt und...“

„Mann“, stöhnt er, „lass mich das doch selber entscheiden. Nur weil du anscheinend durch die Gegend gevögelt hast, muss ich das nicht zwangsläufig auch wollen. Und außerdem... mit dir wird es immer kicken.“

„Zu einer Beziehung gehört mehr als Sex. Wir leben in völlig verschiedenen Welten, haben unterschiedliche Interessen. Was glaubst du, wie lange das mit uns funktionieren würde?“

„So lange wir es beide wollen?“, schlägt er vor.

„Tut mir Leid, ich kann das nicht“, sage ich und stehe auf.

„Und jetzt wirst du mich gleich wieder einmal bitten zu gehen, ja?“

„Das werde ich. Und es ist besser, wenn wir uns nicht mehr sehen.“

Maxi steht ebenfalls auf und zieht seine Jacke an. „Bis irgendwann.“

Ich atme tief durch und schlucke ein paar Mal. Na, das ging doch ganz wunderbar. Ich hab gesagt, was zu sagen war, und kann wieder mit ruhigem Gewissen in den Spiegel blicken. Nur... warum fühlt es sich so an, als hätte mir jemand das Herz rausgerissen?!

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