Stories
Stories, Gedichte und mehr
DSDMB
Teil 12
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.
Informationen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Ferdi
- Schröder
- Ferdi
- Schröder
- Ferdi
- Schröder
- Ferdi
- Schröder
- Ferdi
- Schröder
- Ferdi
- Schröder
- Nachwort
Vorwort
Okay, Leute … DSDMB geht in die letzte Runde!
Ferdi
Ich hasse es, so antriebslos zu sein. Aber obwohl meine Gedanken in alle möglichen Richtungen rasen, macht mein Körper gar nichts. Ich sitze auf meinem Bett und tue nichts. Mein Handy ist aus. Mein Bauch kribbelt und … es klopft an der Tür und keine Sekunde später steht Schröder im Raum. Ich weiß nicht so genau, warum ich ja zu seiner albernen Date-Idee sage, aber vermutlich, weil ich das Nichtstun einfach nicht mehr aushalte. Und weil ich irgendwie wissen muss, wofür ich den ganzen Stress der nächsten Woche auf mich nehme. Was bringt es, wenn alle wissen, dass ich schwul bin, ich aber nichts schwules tue?
Am Montagvormittag muss ich drei ewiglange Interviews geben und dabei immer wieder versichern, dass meine Familie und Freunde hundert Prozent hinter mir stehen. Nebenbei drücke ich immer wieder Anrufe von genau diesen Menschen weg. Ich habe wirklich Angst, was meine Eltern mir sagen. Und mein Bruder. Und Frau Kolber. Hoffentlich ist Michi gut versorgt.
Cristians Blicke kann ich leider nicht einfach so wegdrücken. Deshalb beeile ich mich mit dem Mittagessen und gehe vor dem nächsten Interviewtermin erst mal ein paar Minuten joggen. Besser als nichts. Markus, ein Fotograf und eine Blondine mit einem Diktiergerät warten im Tanzraum schon auf mich.
„Du siehst fertig aus, Ferdi“, tuschelt Markus mir zu.
„Alles okay.“
„Na gut, dann legen wir los. Wir haben noch ein paar Termine. Sie haben eine halbe Stunde“, erklärt er an die Blondine gewandt.
Zu meinem Erstaunen fängt die erst mal an, Markus zu löchern mit sehr privaten Fragen, die er souverän abschmettert und nur so viel von sich preisgibt, wie er wirklich will. Nämlich, dass er seit drei Jahren mit einem Mann verheiratet ist und das auch nie wirklich geheim gehalten hat. Es habe nur nie jemand danach gefragt. Klar.
Obwohl ich abends eigentlich tot bin und meinen neuen Song „More than words“ noch kein Stück geübt habe, will ich noch etwas Zeit mit Schröder verbringen, weil … ich weiß auch nicht, weil es mir gut geht, wenn er in der Nähe ist. Und weil ich mich mag, wenn ich mit ihm zusammen bin. Dass ich mich dann plötzlich allerdings allein mit ihm in einem Schlafzimmer wiederfinde, irritiert mich erst mal doch ein wenig. Zumindest am Anfang. Dann will ich einfach nur noch mit Schröder schlafen und den ganzen Stress und Ärger und die Probleme, die in den nächsten Tagen auf mich zukommen werden, vergessen.
Schröder beim Schlafen zusehen, ist mir so vertraut, dass ich richtig Herzklopfen bekomme. Ich bin in ihn verliebt, natürlich. Mein Körper reagiert auf ihn, aber mein Kopf sagt mir, dass ich mich beherrschen muss. Wir haben so viel zusammen erlebt. Wie könnte ich da nicht irgendwie emotional an ihn gebunden sein? Aber wie sollte das funktionieren? Solange wir zusammen wohnen, mag das ja noch gehen. Aber was passiert nach dem Finale? Was ist mit Michi? Schröder hat ja sehr deutlich gemacht, dass er auf keinen Fall teilen will. Ganz kann er mich aber nun mal nicht haben.
Am Dienstag wird die Fanmail geliefert. Ich wusste gar nicht, dass es schwarzes Briefpapier gibt. Für Trauerfälle scheinbar. Und als solchen sehen viele Mädels mein Outing. Wow, es gibt echt viele Fanatiker da draußen. Das ist richtig erschreckend. Stephano rät mir, die Briefe an einen Psychologen weiterzugeben, den der Sender extra für solche Fälle angestellt hat. Außerdem wird neuerdings spekuliert, ob Paolo und ich vielleicht ein Paar sind. Passenderweise haben ein paar Käseblätter auch gleich ein paar schlecht gemachte Fotomontagen zum Thema abgedruckt. Man darf echt nicht alles glauben, was man sieht.
Barbara teilt mir mit, dass irgendwelche Reporter bei unseren Eltern aufgetaucht sind und mein Vater sie unter Androhung von Schusswaffengebrauch vom Grundstück vertrieben hat. Markus verspricht sofort, sich darum zu kümmern, dass meine Eltern da raus gehalten werden. Wie auch immer er das bewerkstelligen will …
Um mich herum kämpft zunehmend jeder für sich alleine. Das gilt sogar für Schröder und Yoko, die irgendwie kaum noch zusammen rumhängen. Schröder hängt jetzt immer mit Leelee rum, einer eher tussigen Kandidatin, mit der ich bisher vielleicht drei Sätze gewechselt habe. Naja, immerhin hat ER Zeit, rumzuhängen. Ich hingegen muss jede interviewfreie Sekunde nutzen, um meinen Song zu üben.
Martin nimmt das Telefon nicht ab. Ich hab also keine Ahnung, wie es Michi geht und beschließe deshalb, meine Schwester zu bitten, mal hinzufahren. Sie erzählt, dass Michi allein gewesen sei, aber es ihm ansonsten schon ganz gut zu gehen scheint. Eine Physiotherapeutin berichtet von großen Fortschritten beim Stehen-Üben. Barbara verkündet außerdem, dass sie am Samstag nach Köln kommen wird, um die Show zu sehen. Ich weiß nicht so recht, wie ich das finde …
Dann muss ich doch auch mal ans Telefon gehen, als mein Bruder anruft.
„Hallo Johann.“
„Ferdi! Danke.“
„Wofür?“
„Dass du abnimmst, obwohl du meine Nummer siehst.“
„Was ist denn so dringend?“, frage ich feindselig weil ich mich von seiner ruhigen, verständnisvollen Art total provoziert fühle.
„Ich wollte nur hören, wie es dir geht.“
„Passt schon.“
„Ferdi, ich kann mir vorstellen, dass das nicht stimmt …“
„Und kannst du dir auch vorstellen, dass ich darüber nicht gerade mit DIR sprechen will?!“
„Du bist mein Bruder, egal was …“
„Ich im Bett treibe?“
Er zögert ein paar Sekunden, dann fährt er in neutralerem Ton fort:
„Ich habe Margarete zu mir geholt. Es geht ihr ganz gut. Die Morgenübelkeit macht ihr zu schaffen, aber wir haben hier ein paar kräuterkundige Ordensschwe…“
„Johann, ich hab für Geplauder jetzt wirklich keine Zeit.“
„Interessiert es dich nicht, wie es unserer Schwester und ihrem ungebo…“
„Nein. Hat sie sich einmal nach Michi erkundigt? Oder nach mir?“
„Sie hat gerade sehr viel mit sich selbst zu tun …“
„Ja, ich auch. Danke für den Anruf, aber ich muss jetzt los.“
„Gut, dann …“
„Spar dir deinen Segensspruch, okay?“
„Aber …“
„Jaja und amen.“
Meine Hände zittern und ich kann mich auf nichts mehr konzentrieren. Ich hasse es, dass mein Bruder Priester geworden ist. Und ich hasse es, schwul zu sein. Ich hasse, dass ich zwei Männer gleichzeitig lieben muss und dass das alles so unkontrollierbar macht. Und ich hasse es, irgendwelche Songs von anderen nachsingen zu müssen und deshalb gar keine Zeit mehr zu haben, meine eigenen zu schreiben. Ich will nicht, dass die ganze Welt weiß, dass ich nicht normal bin. Aber ich will mich auch nicht verstecken müssen. Ich will zu Michi. Dem gesunden Michi. Und ich will zu Schröder.
Es ist kurz nach vier. Er wird wohl irgendwo üben. Vielleicht in seinem Zimmer? Nein, da ist er nicht. Ich gehe nach unten, aber auch dort ist er nicht zu finden. Yoko ebenfalls nicht, deshalb klopfe ich an ihrer Zimmertür, warte ein paar Sekunden und drücke dann die Klinke.
Okay … ich habe Schröder gefunden …
Schröder
„Waaahh … willst du, dass ich einen Infarkt kriege?“, schnaufe ich, als Ferdi ins Zimmer platzt und ich mir grad noch ein Handtuch schnappen konnte, weil ich ja zuerst nicht wusste, wer da ins Zimmer stürmt und ich nicht so völlig ohne alles dastehen wollte.
„Ich hab geklopft“, erklärt er und starrt mir fast noch das Handtuch weg.
„Und hättest auf ein ’Herein’ warten können, ja?“
„Wohnst du jetzt doch wieder hier bei Yoko?“
„Hier schon. Aber Yoko ist vorhin zu Eva und Leelee gezogen. Fuchsi, möchtest du etwas bestimmtes?“
„Ich … äh, ich glaub schon“, nickt er und wird volle Kanne rot.
„Mitten am Tag?“, grinse ich.
„Ich würde gern … mit dir reden“, behauptet er und schluckt irgendwie total angestrengt.
„Süß. Worüber denn?“
„Hm …“
„Muss ja was ultra geheimes sein, wenn du dafür die Tür abschließt.“
Ferdi will logischerweise NICHT reden. Er will mich aufs Bett werfen und hemmungslos vernaschen.
WOW!!
Langsam, romantisch und schmusig scheint bei ihm grad nicht so angesagt zu sein. Im Gegenteil. Der geht dermaßen ab … SO kenne ich ihn gar nicht. Und er wirkt hinterher fast ein bisschen überrascht. Mich erinnert das Ganze an …
„Ficken, um den Kopf frei zu kriegen oder Sachen zu verdrängen, funktioniert nicht wirklich, Fuchseder. Das weiß ich aus Erfahrung.“
„Hab ich dir weh getan?“, fragt er entsetzt.
„Nee“, lache ich und umarme ihn. „Aber sag das nächste Mal einfach vorher, wenn du’s mehr brauchst, als dass du’s möchtest, okay? Dann kann ich mich darauf einstellen.“
„Du bist … ein wahnsinnig toller Mann, Nepomuk, weißt du das?“
„Mmmhh … ich find’s cool, wenn du mich als Mann bezeichnest. Und du bist logischerweise auch der Einzige, der das darf. Also, sagst du mir jetzt, was los ist?“
„Hast du dich mit Yoko gestritten?“, wechselt er das Thema.
„Warum?“
„Ihr wohnt nicht mehr zusammen und … man sieht euch auch nicht mehr so oft aneinander geklettet.“
„Na ja, ich nehme an, so kurz vorm Finale wird sie auch langsam nervös und … keine Ahnung. Sie wollte halt mal ein bisschen unter Mädchen sein oder so.“
Das ist natürlich etwas gelogen. Zwischen Yoko und mir ist es irgendwie unentspannt, seit wir Sex hatten. Okay, ich bin unentspannt. Dabei weiß ich echt nicht, woran das liegt. Ich meine, es war für uns beide eine einmalige Sache, aber … es fühlt sich halt komisch an, wenn ich mit ihr zusammen bin. Vielleicht muss erst Gras drüber wachsen, bevor wir wieder zur Tagesordnung übergehen können.
Außerdem habe ich ein schlechtes Gewissen, obwohl ich das genau genommen nicht haben müsste. Erstens waren Ferdi und ich, auf seinen Wunsch hin, so was wie getrennt und zweitens hat er auch schon mal fremdgefickt. Da ich Ferdi aber gut genug kenne, um zu wissen, dass er das sehr anders sehen würde, traue ich mich nicht, es ihm zu sagen. Ich will ihn einfach nicht schon wieder verlieren. Das passiert früh genug, wenn er in sein normales Leben zurückgeht und jeden Tag mit Michi verbringt. Also lieber noch genießen, solange wir hier sind. Solange ich ihn für mich alleine hab.
„Ich muss meinen blöden Song noch üben“, murmelt er und befreit sich aus meinen Armen.
„Und Barbara will am Samstag zur Show kommen. Und mein Vater wollte irgendwelche Reporter erschießen, die auf dem Hof aufgetaucht sind. Und mein Bruder hat nichts Besseres zu tun, als mir die komplette Schwangerschaftsstory meiner Schwester erzählen zu wollen. Und Cristian sieht mich an, als wäre ich ein Aussätziger. Und meine ’Fans’ schicken mir Trauerbriefe. Und die ganze verdammte Welt weiß, dass ich es mit Männern treibe.“
„Na ja, war doch klar, dass dein Outing Konsequenzen haben würde. Übrigens hab ich mit Cristian gesprochen … der hat halt einfach nur Berührungsängste, weil er keine Homos kennt.
Und die trauernden Mädels werden drüber hinwegkommen … spätestens wenn ein neuer Casting-Mädchenschwarm am Horizont auftaucht.“
„Na toll.“
„Hey, so sind Teenies nun mal. Aber, Fuchsi … ich werd dich immer lieben“, grinse ich.
Ausgerechnet! Yoko und ich müssen für das DSDMB-Magazin noch mal auf verliebtes Trash-Paar machen. Wahrscheinlich nur, um vom schwulen Fuchseder abzulenken. Normalerweise ist’s ja immer spaßig, mit meinem Meereskind rumzuschnuckeln, aber unter den Umständen … ist es die Hölle. Yoko hat selbstverständlich keinerlei Probleme, allerdings ist sie angepisst, weil ich mich so psychotisch benehme. Jedes Mal wenn ich ihre Hand halten oder sie küssen soll, schleichen sich Bilder von Samstagnacht in mein Hirn und ich bin kaum noch zu irgendwas fähig. Der Fotograf ist auch schon völlig genervt.
Als wir dann endlich fertig sind, sehe ich zu, dass ich schnell wegkomme. Telefoniere mit Timo, der mir eröffnet, dass er am Samstag nach Köln kommt.
„Juliane würde dich auch gerne live auf der Bühne sehen, aber irgendwer muss ja aufs Baby aufpassen. Und ich fühl mich sowieso schon ganz schlecht, weil ich die letzten zwei Shows bloß in der Glotze gesehen hab. Übrigens, dein Freund hat mich ganz schön beeindruckt. Oder war das etwa abgesprochen?“
„Nee. Das hat er sich selbst ausgedacht. Und hat ziemlich Ärger gekriegt deswegen.“
„Ich hab ja ein bisschen drauf gewartet, dass er dich vor laufenden Kameras in den Arm nimmt und küsst.“
„Ferdi hat sich nicht auf meinen Wunsch hin geoutet. Ich wusste nicht mal, dass er so was vorhatte.“
„Keine Ahnung, ob ich dir das jetzt sagen sollte, aber … unsere Mutter ist … etwas verärgert.“
„Und? Das ist doch Dauerzustand bei ihr.“
„Ja, aber … also, ich wollte eigentlich … na ja, ich hab ihr erzählt, dass du bei DSDMB mitmachst, weil ich dachte, das wäre was, worauf sie stolz sein könnte. Leider hat sie dann dieses Filmchen gesehen, in dem du deine Straßenkind-Geschichte erzählt hast, und sich fürchterlich darüber aufgeregt. So nach dem Motto … ich hab alles für ihn getan und zum Dank verleugnet er seine eigene Mutter.“
„Super. Genau das, was mir jetzt noch fehlt.“
„Rainer sagt, er hätte nichts anderes von einem kleinen Scheißer wie dir erwartet. Und ich soll dir ausrichten, dass du nie wieder an seiner Tür zu kratzen brauchst. Der Typ ist so ein blöder Wichser. Jedenfalls hab ich versucht, unserer Mutter zu erklären, dass dir die Leute bei DSDMB die Geschichte in den Mund gelegt hätten, was sie mir nicht glaubte. Also erinnerte ich sie an deine Kindheit und gab ihr einen großen Teil der Schuld an deiner Verkorkstheit. Seitdem herrscht zwischen uns Funkstille. Ihre Enkelin will sie anscheinend auch nicht kennen lernen. Juliane hat Anna in den Totenkopf-Strampelanzug gesteckt und gemeint, dass ihre Tochter gut auf eine Horror-Oma verzichten kann, denn sie hat ja einen lieben Onkel Schröder.“
Nach dem Telefonat fühle ich mich nur bedingt besser. Klar, es ist toll, dass mein Bruder und Juliane so hinter mir stehen. Aber wenn Mom nicht mal überlegt, warum ihr Sohn lieber ein Straßenkind ist … ich meine, wie kann man denn die Vergangenheit so komplett ausblenden?
Egal was war, sie hat IMMER auf Rainers Seite gestanden. Und mit sechzehn hat sie mich einfach gehen lassen. Das ist doch nicht normal, oder?
Es klopft an der Tür und gleich darauf latscht der Fuchseder grinsend ins Zimmer und wirft sich neben mich aufs Bett.
„Hey, Nepomuk.“
„Wolltest du nicht noch tanzen? Oder deinen Körper trainieren? Oder deinen Song üben?“
„Allerdings. Aber ich hab mir eine kurze Pause verordnet und dachte, du könntest mir Gesellschaft leisten“, seufzt er und schmust sich in meine Arme.
„Du hast Drogen genommen“, vermute ich.
„Nein, ich möchte bloß fünfzehn Minuten mit meinem kleinen Wassermann kuscheln.“
Na, da bin ich doch dabei! Selten genug, dass Ferdi bei mir auf Schmusekatze macht …
ohne Aufforderung.
Eine Viertelstunde später ist dann wieder DSDMB-Alltag angesagt. Singen, tanzen, Performance besprechen … blablabla. Cristian hat sich anscheinend mit Ferdi vertragen, denn die beiden reden wieder miteinander und es sieht nicht nach Streitgespräch aus. Rachel dagegen … keine Ahnung, ob sie generell was gegen Schwule hat oder ob sie beleidigt ist, weil sie sich aus irgendwelchen Gründen Chancen bei Ferdi ausgerechnet hat. Mal ehrlich, selbst wenn der Fuchseder auf Frauen stehen würde, dann doch mit Sicherheit auf etwas gescheitere, nettere. Rachel ist wie die Tochter von Heidi Klum und Bushido!
So langsam werden alle Kandidaten ziemlich nervös. Man merkt einfach, dass es aufs Finale zugeht. Sobald man mit irgendwem zusammensitzt, kommt man unweigerlich auf die Band zu sprechen. Sogar ich bin gespannt, wer am Ende übrig bleibt. Ferdi war ja die ganze Zeit über der Favorit, aber seit er schwul ist … ich glaube, damit hat er sich’s versaut. Kevin singt zwar richtig gut, sieht allerdings wenig nach Mädchenschwarm aus. Paolo … der hat natürlich den Vorteil, dass auf ihn Mädchen UND Jungs abfahren und die Mädchen es nicht stört, wenn er Jungs küsst. Der könnte es tatsächlich schaffen. Cristian mit seinem durchtrainierten Body vielleicht auch. Leelee sollte man nicht unterschätzen. Die ist hübsch, gescheit, lustig und hat eine tolle Stimme. Eva … mh, ich fürchte, die ist einfach zu nett. Yoko wird im Finale fliegen, weil sie keine Modellmaße hat. Sarahs Auftritte sind wahnsinnig professionell und die Frau geht höchstwahrscheinlich für ihren Erfolg über Leichen. Sie hat kaum Kontakt zu den Anderen und sagt in Interviews gerne mal, dass sie nicht bei DSDMB mitmacht, um Freunde zu finden. Damit schießt sie sich aber ein Eigentor, weil es ja um eine Band geht und nicht um den neuen Superstar. Also hätte sie sich doch lieber bei einem anderen Format bewerben sollen …
Ferdi wohnt immer noch bei Kevin, obwohl wir wieder zusammen sind und ich das Zimmer hier für mich allein habe. Überhaupt werden ständig die Betten getauscht. Je nachdem, wer sich grad gut versteht. Paolo zum Beispiel hat wohl festgestellt, dass Rachel bescheuert ist und sich deshalb zu Cristian verkrümelt. Wenn er wüsste, dass Cristian ihn für ein Mädchen hält, würde er sich fix ein anderes Zimmer suchen. Na ja, was geht mich das alles an?!
Mitten in der Nacht klopft es leise an die Tür und der Fuchseder kommt rein getapst.
„Bist du wach?“, wispert er.
„Nee. Ich schlafe tief und fest.“
Sofort legt er sich zu mir unter die Decke und versucht, seine Füße zu wärmen.
„Ich mag in deinem Arm schlafen“, murmelt er. „Das hat mir die ganze Zeit so gefehlt, kleiner Wassermann.“
„Hättest ja Kevin fragen können.“
„Der hätte mich bestimmt gelassen. Kevins Bruder ist schwul.“
„Ich weiß. Er erwähnt das bei jeder Gelegenheit.“
„Wieso haben eigentlich alle außer mir eine normale Familie?“
„Würdest du meine Familie als normal bezeichnen? Ich glaube sowieso, dass dieses Heile-Welt-Ding ein Mythos ist. Bei näherer Betrachtung findet man wahrscheinlich überall irgendwelche Abgründe. Außer vielleicht bei Paolo. Der lebt zu Hause tatsächlich in rosa Zuckerwatte und bunten Seifenblasen.“
„Zu Hause vielleicht. In der Schule weniger.“
„Jaja, Kinder können grausam sein. Kein Wunder, dass immer wieder jahrelang gemobbte Halbwüchsige ausflippen und wild um sich ballern.“
„Muss ziemlich schlimm für dich gewesen sein … mit einem Vater im Gefängnis.“
„Die erste Zeit schon. Aber als wir nach Regensburg gezogen sind … na ja, da kam dann Rainer mit seiner Höllenbrut. Lass uns jetzt irgendwie nicht über so ’ne Scheiße reden, okay?“
Ferdi stützt sich auf seinen Arm und sieht mich an. „Warum machst du immer gleich zu, wenn ich dich ein bisschen kennen lernen will?“
„Weil das kein angenehmes Thema ist, du eh alles mögliche von mir weißt und bestimmt genug Phantasie hast, um dir vorstellen zu können, wie schlimm es ist, wenn deine Freunde plötzlich nicht mehr mit dir spielen dürfen.“
„Tut mir leid.“
„Hä? Dafür kannst du doch nichts.“
„Ich meine, dass ich die letzten Wochen so sehr mit mir beschäftigt war und dich so auf Abstand gehalten habe.“
„Ja, ich kann das schon verstehen. Wenn man immer nur das tut, was andere von einem erwarten … irgendwann muss man da ausbrechen. Das war längst fällig.“
„Trotzdem. Ich hab dir damit weh getan und …“
„Ferdi, ich muss dir was sagen“, unterbreche ich ihn, weil ich’s einfach nicht mehr aushalte.
„Okay?“
„Ich hab mit Yoko geschlafen.“
Und ich wünschte, ich hätte die Fresse gehalten, weil Ferdis Blick … oh Mann! Dagegen ist Medusa liebreizend.
„Du hast … wann?“
„Samstagnacht.“
Angeekelt rückt er von mir weg.
„Klasse. Und ich entschuldige mich auch noch für mein Verhalten. Wie blöd kann man eigentlich sein?“
„Darf ich dir bitte erklären …“
Offensichtlich nicht, denn er verlässt wütend das Zimmer.
Fuck! Diesmal hab ich’s echt so richtig versemmelt.
Ferdi
Ich schwanke hin und her zwischen „Alle sollen mich bitte liebhaben“ und „der Rest der Welt kann mir gestohlen bleiben“. Aber als Schröder mir dann diesen Schlag in die Fresse versetzt, ist die Entscheidung getroffen.
Wenn ich früher mitten in der Nacht dachte, ich kann nicht mehr, weil meine Mutter auf der Treppe lag und nicht mehr ohne Hilfe aufstehen konnte und schwer schnaufend nach Decke und Kissen verlangt hat, um einfach an Ort und Stelle zu schlafen … wir mussten dann über diesen massigen Berg klettern um hoch in unsere Zimmer zu gelangen … oder wenn mein Vater mal wieder den Gürtel rausgeholt hat, weil ihn jemand beim Fernsehen gestört hat … dann hab ich immer Michi angerufen oder bin die ganzen zehn Kilometer zu ihm geradelt, mitten in der Nacht. Schon nur mit ihm zu reden, hat alles besser gemacht. Was wohl passieren würde, wenn ich jetzt –nach Mitternacht – bei ihm im Krankenhaus anrufen würde? Ich versuche es einfach, doch das Telefon bleibt stumm. Scheinbar ist es nur tagsüber aktiviert. War ja klar. Hoffentlich ist das alles hier bald vorbei. Ich kann nicht mehr hier bleiben, nicht wenn Schröder nebenan mit Yoko … Ich hab es doch gewusst! Warum hab ich nicht auf meinen Bauch gehört?! Darauf ist noch immer Verlass gewesen …
Ich stehe im Garten, zittere mal wieder und will einfach nur nach Hause, wo auch immer das ist. Ich wünschte, ich könnte auch einfach so mit Frauen schlafen, eine Familie gründen, ganz normal eben. An Schröders Stelle hätte ich genau so gehandelt, das mache ich ihm nicht zum Vorwurf. Schlimm finde ich, dass er trotzdem noch mal mit mir geschlafen hat, so inkonsequent! Er hat mir Hoffnungen gemacht. Aber ich mache mir auch viel zu schnell Hoffnungen. Ständig laufen Filme in meinem Kopf ab, wie es in zehn oder zwanzig Jahren sein könnte. Ein eigenes Haus, einen Hund, Nachbarn, die uns tolerieren, meine Schwester, die mit ihrer Familie zum allsonntäglichen Brunch vorbeikommt. Mit Michi hätte das funktioniert. Aber mit Schröder? Wem mache ich was vor? Dass es jetzt endgültig vorbei ist, ist das Beste, was mir passieren konnte. Jetzt kann ich mich am Samstag ohne Reue von diesem Ort verabschieden. Ich werde den Song nicht weiter üben. Die Mädels werden immer noch nicht wieder für mich anrufen und die Jury kann nicht schon wieder den Joker für mich ziehen. Am Sonntag werde ich wieder bei Michi sein.
In den nächsten Tagen versucht Schröder ständig, mit mir zu reden. Deshalb flüchte ich irgendwann regelrecht und laufe den halben Tag in der Gegend rum, telefoniere mit Michi oder meiner Schwester. Außer Schröder versucht jetzt auch Yoko ständig, mit mir zu reden und selbst Kevin setzt seinen besorgten Blick auf, kaum dass er mich sieht.
Am Freitag, nach dem letzten, nicht sehr erfolgreichen Gesangscoaching, stellt Stephano mich zur Rede. Aber nicht auf die verdiente, harte Tour, sondern mit verständnisvollem Blick und sehr viel Geduld. Ich fasle was von Coming-Out-Stress und dass ich mich ab sofort wieder mehr zusammenreißen werde blablabla. Das hier soll endlich aufhören. Ich drohe, in Selbstmitleid zu versinken und das kann ich nicht ausstehen! Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich will, langfristig. Und ich beschäftige mich die ganze Zeit über nur mit mir selbst. Das muss aufhören. Also rufe ich Freitagabend meinen Bruder an und lasse mir alle ekligen Details der Schwangerschaft meiner Schwester erzählen.
Am Samstag nach dem Frühstück startet Schröder seinen letzten Versuch und passt mich auf dem Weg nach draußen ab.
„Sag mal, schläfst du eigentlich auch mal oder läufst du die ganze Nacht durch die Gegend? Du siehst aus wie ausgekotzt.“
„Dankeschön. Darf ich mal vorbei?“
Die anderen beobachten die Szene sehr aufmerksam.
„Nein. Jetzt ist Schluss damit. So kannst du mich nicht behandeln, Fuchseder!“
„Lass mich jetzt sofort durch, oder …“
„Oder was?“
„Oder du kannst mal beweisen, dass du nicht nur ne große Klappe hast, sondern auch …“
„Schlagkraft?“, will er angriffslustig wissen.
Ich lache auf:
„Nein, ich geh davon aus, dass du kein Problem damit hättest, mir auf die Fresse zu hauen. Aber weißt du, was mich wirklich interessieren würde, ist, ob hinter all deinem alternativen Freigeist-Punk-Getue auch etwas Mumm steckt. Warum hast du nicht die Wahrheit über deine Leichen im Keller gesagt, hm? Warum hast du nicht erzählt, dass …“
„Jetzt reichts aber!“, findet Yoko und drängt sich unsanft zwischen uns.
Wie passend.
Bis zur Abfahrt zur Halle bleibe ich erst mal verschwunden. Im Bus sitzen Yoko und Schröder plötzlich wieder ganz verschworen in der letzten Reihe und werfen mir bitterböse Blicke zu. Rachel lässt sich neben mir nieder.
„Na, nervös?“
„Ich hab grad echt keinen Bock auf Small-Talk, okay?“
„Was ist denn los?“, fragt sie geheuchelt verständnisvoll.
„Kannst du mich bitte einfach in Ruhe lassen?“
Ihre Augen verengen sich kurz zu Schlitzen, dann steht sie erhaben auf und stolziert davon. Schröder stiert inzwischen aus dem Fenster und Yoko … stiert mich immer noch wild an. Ich finde die übertreiben etwas. Ist ja nicht so, dass Schröder aus seiner Sexualität ein Geheimnis macht. Den Meisten hätte ich wohl sowieso nichts Neues erzählt. Ich hätte nur nie gedacht, dass er eine größere Klemmschwester ist als ich.
Meine Schwester schreibt, sie sei jetzt in Köln gelandet und würde nun erst mal ins Hotel einchecken und dann so gegen vier zur Halle kommen. Keine Ahnung, ob ich vor der Show überhaupt Zeit für sie haben werde, aber irgendwie freue ich mich trotzdem, sie in der Nähe zu wissen. Morgen um diese Zeit ist der ganze Spuk schon vorbei. Keine bösen Blicke mehr. Keine aufdringlichen Frauen und kein Presserummel. Nur noch Barbara, die Kinder und Michi. Und viel Zeit um darüber nachzudenken, wie es weitergehen soll. Kein Schröder mehr. … Kein Schröder mehr. Ich kuschle mich in den Kragen meiner Jacke und schließe die Augen. Nie mehr Schröder.
Unsanft werde ich aus dem Schlaf gerissen, als irgendwer gegen mein Bein stößt. Der Bus steht. Wir sind da, die Anderen steigen schon aus. Mein Nacken tut höllisch weh und meine Zunge klebt am Gaumen. Normalerweise kann ich von Null auf Hundert schalten, aber zur Zeit … ich fühle mich irgendwie träge und würde am liebsten einfach sitzen bleiben. Aber der Bus leert sich und ich muss mich zusammenreißen.
Diese Hektik Backstage und die Nervosität in den Gesichtern der anderen … ich wünschte, ich könnte kurz eine kalte Dusche nehmen. Soundcheck. Ich bin als einer der letzten dran und nutze die Zeit, um nach meiner Schwester zu sehen. Sie geht an ihr Handy und erklärt, sie würde im Zuschauerblock auf mich warten. Tatsächlich. Angeregt unterhält sie sich mit einem Kerl in ihrem Alter. Nein, doch etwas jünger. Der ist mir aber gerade recht egal, denn ich bin mit einem Mal unglaublich froh, Barbara zu sehen. Ihr herzliches Lächeln, der vertraute Geruch bei der Umarmung und die Unkompliziertheit unserer Beziehung.
„Ich bin so froh, dass du da bist“, flüstere ich, ohne sie loszulassen.
„Ach Kleiner …“
„Ich liebe dich. Und ich bin so froh …“
Besorgt schaut sie mich an und streicht mir über die Wangen.
„Was …?“
„Scheiß Woche.“
„Ich hätte früher kommen sollen …“
„Jetzt bist du ja da.“
Ich umarme sie noch mal ganz fest, dann muss ich mich wieder zusammenreißen.
„Kennt ihr euch schon?“, will sie an den Kerl gewandt wissen.
„Sollten wir?“, frage ich irritiert.
„Ich bin Timo. Nepis Bruder.“
„Oh … achso. Hallo“, er schüttelt mir herzlich die Hand.
Ja, jetzt erkenne ich auch die Ähnlichkeit. Entfernt zumindest. Wenn Schröder in fünf Jahren oder so mal nicht mehr punkig rumläuft, dann wird man das wohl besser vergleichen können.
„Also, wo steckt der kleine Schleicher?“
„Öhm … ich hab ihn zuletzt mit Yoko rumhängen sehn. Keine Ahnung, wann die zwei Soundcheck haben … aber ich schick ihn her, wenn er mir über den Weg läuft. Ich seh zu, dass ich vor der Show noch mal etwas Zeit für dich habe“, verspreche ich meiner Schwester und fliehe.
Schröder Nummer zwei. Nein, das kann ich gerade überhaupt nicht brauchen. Ich telefoniere kurz mit Michi, rede über was Belangloses mit Cristian, der sich inzwischen wohl von selbst wieder eingekriegt hat und bin dann auch schon mit dem Soundcheck dran. Ziemlich chaotisch, heute. Und ich bekomme Kopfschmerzen.
Kleidung ausgesucht bekommen, Maske, all das zieht sich heute unerträglich in die Länge. Die ersten Zuschauer werden schon in die Halle gelassen. Das war’s dann wohl mit Zeit für Barbara. Da kann ich jetzt nicht mehr raus gehen. Sogar zum kurz telefonieren ist es schon zu laut. Halb acht. Der Stargast des heutigen Abends, Nelly Furtado, kommt an, Interviews werden gegeben und Fotos geschossen. Am liebsten würde ich eine Sonnenbrille aufsetzen. Scheiß Blitzlichtgewitter. Die Jury ist inzwischen auch da und gibt noch ein paar gute Ratschläge. Und dann müssen wir unsere Plätze auf der Backstage-Couch einnehmen. Irgendwie lande ich neben Yoko. Toll. Die Show beginnt.
Schröder
Ich glaube ja, das musste alles so kommen. Seit ich mich für Jungs interessiere, hatte ich noch nie Beziehungsstress, Liebeskummer und dergleichen, weil ich mich vorm Verlieben immer erfolgreich drücken konnte. Und alles, was man normalerweise liebesmäßig durchmacht, krieg ich deshalb jetzt geballt mit dem Fuchseder.
Reden kann ich nicht mit ihm, weil er sofort wegläuft. Na ja, wie sollte ich ihm auch erklären, dass genau das passiert ist, was er vermutlich insgeheim immer befürchtet hat? Scheiße verdammte! Und wahrscheinlich wird er mich zusätzlich noch dafür hassen, dass ich mit Frauen schlafen kann und er nicht. Ein bisschen weiß ich ja inzwischen schon, wie mein Fuchsi tickt.
Das einzig Positive ist, dass Yoko und ich wieder normal miteinander umgehen. Leider war es kein besonders schöner Anlass, der dazu geführt hat. Ich wollte noch mal versuchen, Ferdi zu erklären, dass ich nicht aus sexueller Lust mit Yoko geschlafen hab, aber plötzlich faselte er was von auf die Fresse hauen und meinen Leichen im Keller. Und wäre Yoko nicht dazwischen gegangen, wüssten jetzt alle, dass mein Vater im Knast sitzt, weil er zwei Menschen umgebracht hat. Ey, ich hätte nie, niemals, Ferdis Homogeheimnis ausgeplaudert, obwohl ich auch ganz schön oft sauer auf ihn gewesen bin. Aber er macht offenbar vor gar nichts Halt. Ich bin echt wahnsinnig enttäuscht, dabei wäre ich viel lieber wütend … das würde nicht so verflucht weh tun! Das Wütend-Sein übernimmt Yoko für mich. Ich möchte mich einfach nur verkriechen und verteufle den Tag, an dem ich beschlossen habe, bei DSDMB mitzumachen. Gleich gefolgt von dem Tag, als ich Ferdi angerempelt habe. Und dem Tag … der Nacht … als ich mich zu ihm ins Bett gelegt und diese blöde Kleiner-Wassermann-Geschichte erzählt hab. Das scheint irgendwie hundert Jahre her zu sein.
Das Perverse an der Sache ist: Ich liebe Ferdi immer noch! Meine Güte, mir ist doch nicht zu helfen.
Vorm Soundcheck labert der Fuchseder mich an.
„Dein Bruder steht dahinten.“
„Das weiß ich selber, Arschloch“, entgegne ich.
Er schüttelt den Kopf und geht an mir vorbei. Ich latsche zu Timo rüber, der sich grad angeregt mit Barbara unterhält, und springe ihm in die Arme.
„Kleiner“, lächelt er, stellt mich wieder auf die Füße und beäugt mich kritisch. „Was ist passiert?“
„Cool, dass du da bist.“
„Ja. Was ist passiert?“
„Nichts weiter. Liebe nervt.“
„Hey, Schröder“, begrüßt mich Barbara verhalten. „Viel Glück für heute.“
Ich würde ihr gerne sagen, dass ihr Bruder ein Penner ist und sie Michi heimlich eine Giftspritze geben soll, wenn sie ihn das nächste Mal besucht. Zum Glück muss ich jetzt zum Soundcheck.
Danach geht’s zum Umziehen und in die Maske, was irgendwie unerträglich lange dauert. Kaum noch Zeit, um Luft zu holen, die Show fängt an.
Der Moderator stellt die Jury vor, stellt die Kandidaten vor, kündigt Nelly Furtado an, die nachher singen wird, und dann ergreift Gesichtsbaracke B! das Wort.
„Ja, so langsam nähert sich die Staffel dem Ende zu, in zwei Wochen ist das Finale und dafür haben wir uns natürlich noch was ganz Besonderes ausgedacht. Die Finalkandidaten werden ein paar Tage in London verbringen. Und zwar mit … das sollen euch die Jungs selber sagen.“
Auf der Videoleinwand erscheinen ein paar Ohrfeigengesichter, das Publikum klatscht und kreischt. Offensichtlich sind die Typen allen bekannt, nur mir nicht.
Pseudo cool und lässig erklären die Spacken, dass die Kandidaten in London mit ihnen trainieren und im Finale mit ihnen zusammen auftreten dürfen. In London sind sie, weil sie grad ihr neues Album aufnehmen … blablabla. Jedenfalls freuen sie sich schon riesig und drücken uns die Daumen.
„Ein Auftritt mit den Backstreet Boys, na, wenn das nicht noch ein zusätzlicher Anreiz ist, ins Finale zu kommen“, freut ich der Moderator ein Loch ins Knie.
Ach du Scheiße! DAS waren die Backstreet Boys? Also wie Boys haben die jetzt nicht unbedingt ausgesehen. Hoffentlich flieg ich heute raus, dann muss ich mir die Ärsche nicht geben.
Ferdi glotzt ein bisschen fassungslos und entzückt drein. Oh Mann, der wird die Ärsche doch wohl nicht heimlich gut finden?! Er wirkt, als hätte er vor Backstreet-Aufregung schwitzige Hände und Füße. Einige andere Kandidaten sind ebenfalls in diesem Entzückungszustand. Ich kotze gleich.
Yokos Auftritt ist sagenhaft. Sie hat sich ein bisschen Tribal-Fusion-mäßig angezogen und die schlangenartigen Bewegungen, die sie mit den Armen macht, passen total zu den Klängen von Jefferson Airplanes „White Rabbit“. Logischerweise singt sie auch toll.
Die Jury ist nicht gänzlich meiner Meinung.
Sie ist zwar immer noch B!’s kleiner Glückskeks, aber er findet, sie hat sich den falschen Song ausgesucht und das Getanze wäre eher was für eine Betriebsfeier gewesen.
Markus dagegen sagt, sie hätte ihn verzaubert.
Cosima schließt sich B! an. Unglücklich gewählter Song und die Tanzerei hat einfach nicht so gepasst.
Da sieht man also, dass Cosi und B! wirklich null Ahnung haben.
Bei Ferdi ist sich die Jury mal wieder einig. Toller Song, grandios gesungen, gut aussehen tut er sowieso und er hat halt das Zeug zum Star. Und immer gibt er tausend Prozent und man hätte das jetzt so auf ’ne CD packen können … blablabla.
Als ich dran bin, schließe ich einfach die Augen und denke an meinen Prinzen.
Ich glaub, ich krieg’s ganz gut hin.
„Jetzt mal unter uns, Schröder“, plaudert der Moderator, „an wen ging denn die Liebeserklärung, mh?“
„An … den süßesten und tollsten Menschen, den ich kenne“, lächele ich.
Wahrscheinlich schwenkt die Kamera auf Yoko, obwohl sie eigentlich den Fuchseder zeigen müsste. Ich hoffe, er hat’s verstanden.
„Ich hab eine Gänsehaut“, verkündet Cosima. „Erstens, weil das ein richtig schöner Song ist. Und zweitens hast du so gefühlvoll gesungen … mir hat’s unglaublich gut gefallen.“
Markus behauptet, Rio zu singen wäre eine verdammt schwere Angelegenheit, weil er auf der Bühne eine wahnsinnige Intensität hatte und ich hätte die Stimmung des Songs sehr gut rübergebracht.
B!’s Schädel schwangt hin und her. „Ja, Nepomuk, bei dir erwartet man ja eigentlich mehr so Grölnummern wie ’Zehn kleine Jägermeister’ oder so … und dann stehst du da oben und auf einmal kommt da ganz viel Gefühl. Komischerweise gefällst du mir von Auftritt zu Auftritt besser. Ich muss mal meinen Psychiater fragen, woran das liegt“, lacht er sich kaputt, „ich kann mir das ehrlich gesagt nicht erklären.“
In den Werbepausen und während Nelly Furtado trällert, versuche ich, Kontakt zu Ferdi zu bekommen. Vergeblich. Na ja, was hab ich erwartet? Dass er mir sofort in die Arme sinkt, bloß weil er für mich der süßeste und tollste Mensch auf der Welt ist?
Die Entscheidung beginnt. Vor der Show wurde uns bereits verraten, dass vermutlich acht Leute ins Finale kommen und die Jury diesmal keinen Kandidaten aussucht, sondern alles von den Anrufen abhängt. Ich mache mir keine übertriebenen Hoffnungen.
Cristian ist weiter. Rachel und Leelee ebenfalls.
„Ferdi … für die Jury bist du ein Star. Für die Zuschauer auch? Oder sind deine weiblichen Fans immer noch zu geschockt, weil du Jungs lieber magst? Du musst noch einen Augenblick warten.“
Sarah darf sich freuen, die ist im Finale.
„Schröder … B! muss deinetwegen zum Psychiater … hast du die Zuschauer ebenfalls so verrückt gemacht, dass sie sich auf die Couch gelegt haben, anstatt zum Telefon zu greifen und für dich anzurufen? Das werden wir in wenigen Minuten erfahren.“
Paolo hüpft quietschend durch die Gegend, der ist weiter.
„Yoko … B! fand, dein Auftritt war was für eine Betriebsfeier. Aber Markus hast du verzaubert. Haben sich die Zuschauer auch verzaubern lassen? Du musst dich noch einen Moment gedulden.“
Fuck. Drei Leute noch. Und wir stehen hier immer noch zu siebt auf der Bühne.
„Der Erste von euch, der sicher im Finale ist und auf einen Platz in der Band hoffen kann … ist … KEVIN!“
Ach du Scheiße. Das könnte heute ganz böse ausgehen.
„Sechs Kandidaten“, verkündet der Moderator, „und nur noch zwei Plätze. Für wen endet hier und heute der große Traum? Wer schafft den Sprung ins Finale und darf nach London, um ein Tanztraining mit den Backstreet Boys zu absolvieren? Wen haben die Zuschauer gewählt?“
Meine Fresse, wie lange will der uns noch hinhalten?
„Der nächste Finalkandidat …“
Spuck’s aus, Blödarsch!
„ … ist … FERDI! Deine weiblichen Fans halten dir die Treue!“
Okay, JETZT mache ich mir wirklich Sorgen.
„Es wird eng, Leute. Ganz eng. Für einen von euch geht der Traum noch weiter.“
Yoko greift nach meiner Hand.
„Wer bekommt den letzten Platz? Für wen haben die Zuschauer angerufen? Für … immer und dich, Schröder du bist im Finale!“
Für … mich bricht eine Welt zusammen.
Yoko umarmt mich und gratuliert mir tapfer. „Is okay“, murmelt sie.
Der Moderator verabschiedet sich, die DSDMB-Melodie erklingt und die Show ist vorbei.
B!, Cosima und Markus umarmen die Rausgeflogenen, freuen sich mit den Finalkandidaten und ich bin total fassungslos.
„Hey, es ist echt okay“, versichert mir Yoko, die augenblicklich von ihrer gesamten Familie getröstet wird.
Timo jubelt und schlingt seine Arme um mich.
„Ich bin mindestens um zwanzig Jahre gealtert“, stöhnt er. „Das ist ja live noch mal eine Ecke anstrengender. Ehrlich, ich war drauf und dran, die Bühne zu stürmen und dem Pappnasen-Moderator seine Textkärtchen aus den Händen zu reißen.“
Dann kommt plötzlich Barbara auf mich zu und legt ihre Hand an meine Wange.
„Mein Bruder hat wahnsinniges Glück, dass er dich gefunden hat.“
„Danke“, entgegne ich und mache mich vom Acker, weil ich grad echt keinen Bock auf Gelaber über Ferdis Glück habe.
Das Autogrammschreiben und Interviewgeben mache ich so nebenbei. Und als es daran geht, in den Bus zu steigen, der uns zurück zur WG karrt, hab ich plötzlich das Gefühl … keine Ahnung … ich weiß nur, dass ich da jetzt nicht einsteigen kann. DSDMB, Finale, Band, tanzen mit den Backstreet Boys, B!, der mich plötzlich gut findet … was zum Arsch mache ich hier eigentlich? Alles, was ich in den letzten Monaten erlebt habe, zieht an mir vorbei. Das Boyband-Getanze, Disney-Songs, blödes Gepose für Fotografen, beknackte Interviews, im Studio nichtssagende Wischiwaschi-Popliedchen trällern … ich bin drauf und dran, mich in eine Pissnelke zu verwandeln, die dämliche Lieder singt, die B! geschrieben hat und allesamt Sommerhits werden.
Ich will kein Sommerhit sein. Ich will nicht als fröhlich grinsender Modepunk in der BRAVO erscheinen. Ich will nicht, dass mich Kreischi-Mädchen toll finden, die neben meinem Poster „Us 5“ hängen haben. Und ganz bestimmt will ich nicht, dass B! mich plötzlich gut findet.
Ich will endlich wieder Schröder sein. Der Schröder, der Party macht und säuft bis zum Umfallen. Der mit seiner Band in stickigen, verschwitzten Clubs spielt und als Highlight von der Bühne springt. Der danach mit den Leuten quatscht und ein Bier trinkt, anstatt ihnen Autogramme zu geben.
Und genau deshalb steige ich nicht in den Bus, sondern verschwinde von hier.
Ferdi
Ach du Scheiße, die Backstreet Boys! Trainieren mit den Menschen, die ich bewundere seit ich 13 bin! Das Adrenalin kickt rein und ich WEIß, dass ich auf keinen Fall rausfliegen darf, bevor ich diese Erfahrung gemacht habe. Ich muss heute umwerfend sein. Ich hätte mehr üben sollen! Aber dafür ist es jetzt zu spät. Hoffentlich vergesse ich den Text nicht! Hoffentlich rufen genug Leute für mich an! Ich MUSS nach London. Ich BRAUCHE dieses Training. Das wäre ein wahrgewordener Traum!
Selbst als Yoko und Schröder neben mir stehen und wir um die letzten beiden Plätze im Finale zittern müssen, kann ich nur denken, dass ich das am allermeisten verdient hätte. Mann, was bin ich für ein Arsch geworden! Dieses ganze Format setzt einen doch total unter den Druck, seinen Kontrahenten die Ellbogen in die Fresse zu rammen.
Und das war’s für Yoko. Ich freue mich, weil das bedeutet, dass ich nach London darf. Aber ich bin ihr auch dankbar, dass sie letzte Woche für mich geklatscht hat. Und danach hat sie mit meinem Freund geschlafen! Ex-Freund, das muss ich fairerweise eingestehen. Trotzdem! Ich bin im Finale!
Ein paar Leute wollen sofort Interviews und Fotos und Autogramme für ihre Töchter und … ich verliere Yoko und Schröder aus den Augen. Vielleicht auch besser so. Nach allem was war, will ich nicht sehen, wie sie zusammen vor der Kamera ihre ewige Liebe trotz räumlicher Trennung geloben. „Ich mach für dich weiter, Schätzchen“ und solche Sprüche. Ich schaffe es gerade mal, meiner Schwester aus der Ferne zuzuwinken, dann kommt schon der Aufruf, dass wir uns Richtung Hinterausgang bewegen sollen.
Die Rausgeflogenen werden wie immer noch mit zum Haus fahren und morgen früh dann abreisen. Ich muss also mit Schröder UND seinem Glückskeks in den Bus steigen, ob ich will oder nicht …
… dachte ich. Während der Rest schon brav im Bus verteilt sitzt, ist von Schröder keine Spur. Yoko versucht wohl, ihn auf dem Handy zu erreichen, flucht aber, so dass sich die Frage, ob sie Erfolg hat, erledigt.
„Wo steckt der Kerl bloß schon wieder?“, will Stephano wissen. „Das ist ja so unprofessionell!“
„Hast du ne Ahnung?“, will Paolo von mir wissen.
„Nö. Schröder macht, was ihm gefällt.“
„Scheinbar.“
Stephano schickt ein paar Security-Leute in der Halle rum. Ich rufe meine Schwester an und frage, ob sie noch bei Timo ist. Ist sie, aber Schröder ist nicht bei ihnen. Der Bus muss losfahren, weil die Absperrungen die Fans nicht mehr lange zurückhalten können.
Yoko sieht aus, als würde sie sich große Sorgen machen. Aber warum? Man kennt doch Schröder. Vermutlich hat er gerade einfach die Schnauze voll von Castingshows. Aber mit Sicherheit steht er morgen wieder auf der Matte. Zurückkommen tut er ja immer wieder.
Oh nein, jetzt steuert sie auf mich zu.
„Hast du ihn erreicht?“
„Hab’s nicht versucht. Schröder wird schon wissen, was er tut.“
„Dir ist klar, dass das alles deine Schuld ist, ja?!“
„Bitte?!“
„Wenn du nicht gedroht hättest, die Story mit seinem Vater zu verbreiten …“, zischt sie mir flüsternd zu.
„Was hab ich?! Ich glaub du spinnst! Sowas würd ich niemals sagen!“
Daraufhin schildert sie mir fuchsteufelswild die Szene vor der Abfahrt als ich über Schröders Leichen im Keller gesprochen habe. Da bleibt mir nur eins zu sagen:
„Mann, seid ihr bescheuert! Ich meinte, dass er sich outen soll, wenn er echt so wenig auf die Meinung anderer gibt! Und selbst das hätte ich nicht so deutlich vor allen anderen gesagt! Und wenn DU nicht dazwischengegangen wärst, dann hättet ihr auch gar nicht drüber spekulieren müssen. Und wenn DU nicht mit ihm geschlafen hättest, wäre das sowieso alles nicht passiert. Wenn hier jemand schuld ist, dann DU.“
Damit schließe ich meine Beweisführung, drehe mich zum Fenster und ignoriere alles Weitere. Das wirkt. Nach ein paar Versuchen zu diskutieren, geht Yoko endlich.
Hat Schröder wirklich von mir gedacht, ich würde sein größtes Geheimnis mal eben so in einem Wutanfall ausplaudern? Was traut er mir denn sonst noch alles zu?! Glaubt der, ich hab mich überhaupt nicht im Griff?? Die Szene in Orlando schießt mir in den Kopf. Ich hab Schröder gegen die Wand gestoßen. Das muss ihn wahnsinnig erschreckt und enttäuscht haben. Wir haben nie mehr darüber gesprochen. Kein Wunder, dass er mir so ziemlich alles zutraut. Ich muss das jetzt sofort mit ihm klären!
Mailbox. Immer wieder die Mailbox. Ich hinterlasse ihm eine Nachricht, die das Missverständnis erklärt. Und ich bitte ihn, mich anzurufen. Ich mache mir Sorgen. Und ich liebe ihn. Das kommt einfach so raus, völlig ungeplant. Sowas hinterlasse ich eigentlich nicht auf Mailboxen …
Schlafen geht nicht, zu üben hab ich noch nichts, also starre ich in der Dunkelheit Löcher in die Luft und versuche, mich mit dem Gedanken abzulenken, dass wir in ein paar Tagen mit den Backstreet Boys arbeiten werden. Trotzdem schleicht sich Schröder immer wieder in mein Hirn. Was, wenn er diesmal nicht zurück kommt?
Am Morgen erwarte ich halb, ihn am Frühstückstisch sitzen zu sehen. Aber Fehlanzeige. Er taucht auch nicht auf, als sich die geflogenen Kandidaten verabschieden. Yoko ist offenkundig ziemlich sauer darüber.
„Wer weiß, wann wir uns wiedersehen, oder?! Und der Idiot hält es nicht mal für nötig, tschüss zu sagen.“
„Hoffentlich ist ihm nichts passiert“, meint Paolo schwarzseherisch.
Langsam wird mir auch mulmig. Stephano äußert sich nicht weiter dazu, sondern erklärt den übrigen sieben erst mal, wie die zwei Wochen bis zum Finale aussehen werden.
Zunächst mal werden wir in zwei Gruppen unterteilt: Sarah, Rachel, Schröder, so er denn jemals zurückkehrt, und ich dürfen „Everybody“ von den Backstreet Boys einstudieren. Paolo, Kevin, Cristian und Leelee bekommen „Straight from my Heart“. Beides bitteschön inklusive Choreo. Tanzen und live singen gleichzeitig. Okay, das wird mal ne Herausforderung. Wir haben drei Tage Zeit zu üben, dann geht es für zwei Tage nach London, wo BSB uns den Feinschliff geben wird und wir ein Fotoshooting mit ihnen knipsen dürfen. Und danach geht es an den zweiten Finalsong, den jeder einzeln performen wird. Viel zu tun, aber dafür haben wir ja auch zwei Wochen Zeit, erklärt Stephano grinsend.
Ich mache mich dank Schröder also allein mit der Diva und der Soziopathin die für ihren Erfolg über Leichen geht an die Basics des Songs. Das erste Tanzcoaching findet nach dem Mittagessen statt. Und während wir eingebläut kriegen, dass die Schultern während der ganzen Nummer niemals bewegungslos bleiben dürfen, steht plötzlich ein schuldbewusst dreinschauender Schröder mit saftigen Veilchenfarben in der ganzen linken Gesichtshälfte im Türrahmen. Mein Herz setzt ein paar Schläge aus.
„Wo zum Teufel warst du?!“, kreischt Rachel. „Wenn wir wegen dir die Choreo versauen, schlag ich dir persönlich noch ein zweites blaues Auge!“
Schröder
Das schrille Gekeife bringt meinen armen Brummschädel fast zum Zerplatzen!
„Tu, was du nicht lassen kannst“, entgegne ich müde. Ein Veilchen mehr oder weniger … kommt’s darauf etwa noch an?!
„Lass mal“, mischt sich Sarah ein, „die schmeißen den Penner eh raus.“
„Zu Recht“, nickt Rachel.
Ferdi sagt kein Wort. Aber er sieht mich an, als würde ich meinen Kopf unterm Arm tragen. Dann fliegt plötzlich die Tür auf.
„Nepomuk!“, brüllt ein ziemlich wütender Markus Liebherr. „Mitkommen. Und zwar sofort!“
Ich trotte hinter ihm her in einen Raum, der gerade nicht benutzt wird, und darf mich setzen.
„Also gut, ich höre.“
„Äh …“, beginne ich, „ich hab irgendwie den Bus verpasst.“
„Junge, verarsch mich nicht.“
Okay, phantasiere ich mir halt zusammen, dass mich Yokos Ausscheiden dermaßen fertig gemacht hat, dass mir sämtliche Sicherungen durchgebrannt sind.
Markus reib sich genervt die Schläfen. „Nehmen wir mal für fünf Sekunden an, das stimmt … Schröder, du hast einen Vertrag, ja? Du kannst nicht einfach tun und lassen, was dir grad einfällt. B! ist auf hundertachtzig und du stehst echt so kurz davor, hier rauszufliegen. Dummerweise … also, ich sag dir das jetzt absolut unter dem Siegel der Verschwiegenheit … es hat sich während der Live-Shows herausgestellt, dass du nach Ferdi der Liebling der Zuschauer bist … deshalb wäre es für alle Beteiligten einfach unklug, dich jetzt wegen dieser blöden Geschichte rauszuschmeißen. Und nun zu deinem Gesicht. Wie ist das passiert? Hast du dich geprügelt? Und könnte es sein, dass wir in der Zeitung davon lesen müssen?“
„Nee. Das blaue Auge hab ich vom Stagediven.“
Markus glotzt mich einen Moment belämmert an, dann lacht er sich fast kaputt.
„Bist du von der Bühne gehopst und die Menge hat sich geteilt wie das rote Meer?“
„Wenn ICH von einer Bühne springe, werde ich immer aufgefangen“, erkläre ich blasiert. „Hab einen Ellenbogen in die Fresse gekriegt.“
„Na ja, sag einfach, das wäre beim Tanztraining passiert. Bist halt mal wieder unglücklich über deine eigenen Füße gestolpert. Ist ja allgemein hin bekannt, dass du kein begnadeter Tänzer bist. So und jetzt verziehe dich zu deiner Gruppe. Lass dir von Ferdi erklären, was in den nächsten Tagen ansteht.“
Ich bin überzeugt davon, dass der Fuchseder, nach allem was vorgefallen ist, sicher sehr große Lust dazu haben wird.
„Naaaa … willste dich verabschieden?“, stichelt Rachel Bushido Klum, als ich in den Tanzraum zurückkomme.
„Eigentlich nicht. Ich soll hier mitmachen.“
Ihre Miene vereist. „Wie bitte?“
„Ich … tanzen und singen … wie beschissener Backstreet Boy“, helfe ich ihr auf die Sprünge.
„Das ist doch die richtige Einstellung“, mault Jerry, der Tanztrainer.
Als ich dann zum ersten Mal einen Live-Clip von den Backstreet Knalltüten zu sehen kriege, bereue ich, dass ich hierher zurückgekommen bin. Ich kann mich doch unmöglich hinstellen und SOLCHE Bewegungen machen. Ehrlich, da wäre mir Michael Jackson einstudieren ja noch lieber! Mann und das Lied ist echt … dafür gibt’s keine Wörter. Unnötig zu erwähnen, dass ich beim Proben sehr schlecht abschneide, oder?!
Abends klopfe ich an Fuchsis Zimmertür. Der wohnt jetzt wieder alleine.
„Markus meint, du sollst mir sagen, was in den nächsten Tagen ansteht.“
„Drei Tage proben, zwei Tage London mit BSB, dann kriegt jeder noch einen eigenen Song, letzte Show in zwei Wochen.“
„Danke.“
„Und deine Freundin war wahnsinnig enttäuscht, weil du dich nicht von ihr verabschiedet hast. Aber so was ist ja typisch für dich. Erst das totale Chaos anrichten, dann abhauen, irgendwann wieder auftauchen, deinen Welpenblick aufsetzen und annehmen, dass man dir sofort verzeiht.“
„Meine Visage schmerzt, Fuchseder, ich hab jetzt echt keinen Bock auf ein Streitgespräch.“
„Hat sich deine große Klappe endlich mal gerächt?“
„Scheint so“, zucke ich die Schultern, gehe in mein Zimmer und rufe Yoko an.
Oha, die zu besänftigen ist Schwerstarbeit. Ich versuche es mit … mir wurde alles zu viel und ich wusste überhaupt nicht mehr, wer ich eigentlich bin.
„Heb dir dein Psychogefasel für wen anders auf“, faucht sie. „Denkst du vielleicht, mir ging’s prima, oder was? Ich bin rausgeflogen und mein bester Freund war nicht für mich da. Und als wäre das nicht schlimm genug gewesen, musste ich mir auch noch zusätzlich Sorgen machen, während du besoffen auf irgendwelchen Punkkonzerten rumgehopst bist.“
„Es tut mir leid.“
„Ich will jetzt nicht mit dir reden, Schröder. Ruf mich in ein paar Tagen an, vielleicht hab ich mich dann ein bisschen abgeregt. Eins noch … ich hab mich sehr unschön mit dem Fuchseder unterhalten. Dabei ist rausgekommen, dass er gar nicht vorhatte, die Knastgeschichte herumzutratschen. Ob du ihm das glaubst, ist deine Sache und geht mich nix mehr an.“
„Ich weiß. Er hat mir auf die Mailbox gesprochen. Er … er hat auch gesagt, dass er sich Sorgen macht … und … dass er mich liebt.“
„Gute Nacht, Nepomuk“, brüllt sie und drückt mich weg.
Zwei Sekunden später wird mir klar, dass ich sie gar nicht mal gefragt habe, wie es ihr geht und wie sie es wegsteckt, so kurz vorm Finale rausgeflogen zu sein. Fuck, ich bin tatsächlich eine gedankenlose Arschgeige. Als Freund tauge ich nun wirklich meistens nicht. Und als fester Freund schon überhaupt nicht. Wieder einmal überlege ich, dass meine Mutter vielleicht doch Recht hat, wenn sie meint, dass ich eine Zumutung bin. Und der Antichrist.
Mein Wegbleiben und mein Veilchen sind am nächsten Morgen beim Frühstück DIE Gesprächsthemen. Paolo findet, ich sehe verwegen aus. Ich glaub, der Kleine würd mir liebend gerne an die Wäsche gehen, wenn ich es ihm erlauben würde. Alle anderen sind sich ziemlich einig: Unfair, dass ich einfach so wieder mitmachen darf! Logisch, oder? So unmittelbar vor dem Finale steht jeder halt bloß noch auf einer Seite und zwar auf seiner eigenen. Und ein Gegner weniger erhöht natürlich die Chance auf einen Sieg. Mir ist das scheißegal, weil der Spuk in zwei Wochen eh vorbei ist. In die Band will ich doch ums Verrecken nicht. Ich bin nur wieder hier, weil Ferdi gesagt hat, dass er mich liebt.
Ich hab da echt viel drüber nachgedacht. Vielleicht fühlte er sich mal wieder an seine Vergangenheit erinnert und hatte Angst, dass ich so was wie Michi anstelle. Allerdings kennt er mich gut genug, um zu wissen, dass ich mir niemals freiwillig das Leben nehmen würde. Dafür hänge ich viel zu sehr an Sex und Drugs und Punkrock.
Möglicherweise hat er aber gedacht, wenn ich höre, dass er mich liebt, komme ich sofort zurück und er kann mich weiter nach Lust und Laune mies behandeln. Weil er in Wirklichkeit ein fieser Sadist ist.
Es könnte natürlich auch sein, dass er seine Liebeserklärung ernst gemeint hat.
Dass ich nach der ganzen anstrengenden Zeit mit ihm immer noch springe, wenn er pfeift, finde ich sehr bedenklich. Dass ich andauernd überlege, warum er was gesagt und wie gemeint hat, sowieso. Echt, ey … als hätte ich keine anderen Probleme.
Mit einem der Probleme hab ich nach dem Frühstück beim Tanztraining zu tun. Ich stelle mich aus Versehen noch viel, viel dämlicher an, als bei jedem anderen Getanze der vergangenen Monate.
„Du willst dir ja noch nicht mal Mühe geben“, bemerkt Jerry, der vermutlich mit Frankie Esposito in Kontakt steht.
„Ist das so offensichtlich?“
„Ich hab die Schnauze voll, Schröder“, ranzt er. „Entweder du reißt dich jetzt zusammen oder du kannst nach Hause gehen.“
Kann ich nicht, denn ich bin der Zuschauerliebling … HAHAHAHAHAHA!!
„Der scheiß Punker hält die ganze Gruppe auf“, findet Rachel. „Wir könnten schon viel weiter sein, wenn wir nicht dauernd auf den warten müssten.“
„So toll hast du’s auch noch nicht drauf“, rümpft Sarah die Nase.
„Besser als du.“
„Träum weiter.“
Mann, ich hoffe, die machen gleich Schlammcatchen oder so was.
„Ihr seid ALLE noch nicht so toll, also los!“, beendet Jerry den Zickenkrieg einstweilen.
Der Fuchseder hält sich aus allem raus und rasselt stur sein Programm runter. Dafür könnte ich ihm eins auf die Nuss geben … wenn er nicht so süß wäre. Ehrlich, bei dem sehen selbst die beklopptesten Tanzschritte gut aus. Irgendwie nervt mich das. Deshalb und nur deshalb, strenge ich mich dann tatsächlich ein bisschen an. Der soll nicht meinen, dass er hier der Tollste ist!
Nachmittags werde ich vom Kamerateam zu meinem blauen Auge befragt und soll anschließend erklären, wie ich mich nach dem Ausscheiden meiner Freundin so fühle. Total lahmarschig erzähle ich in die Kamera, dass ich mich voll aufs Finale konzentrieren muss und deshalb nicht drüber nachdenken kann, wie ich mich fühle.
Danach werden wir noch fix in sämtlichen Kombinationen für das CD-Cover geknipst, wobei der Fotograf stark verzweifelt, weil mein Veilchen selbst unter der zentimeterdicken Schicht Make-up noch durchschimmert. Du meine Güte … hat wohl noch nie was von Photoshop gehört, der Knabe. Wenn man Models auf Bildern größere Busen und dünnere Schenkel zaubern kann, dann sind farbige Ringe am Auge doch sicher ein Klacks!
Ferdi
Es ist wirklich immer das Gleiche. Plötzlich steht Schröder also wieder da und alles geht ohne irgendwelche Konsequenzen weiter wie bisher. Niemand sonst könnte sich sowas erlauben, da bin ich mir sicher. Aber andererseits bin ich ja auch froh, dass er nicht gehen muss. Denn ich will wirklich endlich alles mit ihm klären. Und das am Besten bald. Noch vor London.
Am Abend vor London bietet sich die erste Gelegenheit. Da haben wir ausnahmsweise schon um neun Feierabend, um noch packen zu können. Meine Koffer stehen natürlich schon längst bereit, einer der Vorzüge, wenn man wenig bis gar keinen Schlaf braucht. Man ist immer gut auf alle Eventualitäten vorbereitet. Auf alles außer Schröder.
Der scheint nämlich überhaupt keinen Bock auf Aussprache mit mir zu haben, sondern übt ganz allein vor einem großen Spiegel im Trainingsraum unsere Choreo. Dabei will er weder gestört, noch unterstützt werden. Woher wohl dieser plötzliche Ehrgeiz kommt?
„Okay, dann … also ich bin noch eine Weile wach. Wenn du nachher also noch bei mir vorbeischauen willst …?“, frage ich unsicher.
„Ich muss noch packen, Fuchseder. Und ein paar Stunden Schlaf wären auch nicht verkehrt. Wann geht’s morgen los?“
„Das Shuttle holt uns um halb sieben ab.“
„Können wir unsere große Aussprache dann bitte nach London verlegen?“, fragt er ungewohnt höflich und unsarkastisch.
„Sicher, klar. Dann noch … Hals- und Beinbruch.“
„Danke.“
„Ach und Schröder?“
„Hm?“
„Sieht echt schon viel besser aus, was du da machst.“
Das Lob quittiert er mit einem schiefen Grinsen und macht sich weiter ans Werk.
Irgendwie wirkt er verändert. Erwachsener. Aber nicht fremd, durchaus noch wie er selbst. Nur … weiterentwickelt oder so. Vielleicht kann man irgendwann ja doch eine ganz normale, erwachsene Beziehung mit ihm führen? Wenn ja, dann wäre ich jedenfalls sehr, sehr gerne der, mit dem er das ausprobiert.
Aber jetzt ist es erst mal Zeit, wegen der Backstreet Boys nervös zu sein. So richtig weiß ich noch nicht, was da morgen und übermorgen auf uns zukommt.
Als erstes kommt eine Stunde Flugzeit auf uns zu. Und die wird gleich mal für Interviews genutzt. Also gibt es leider keine Gelegenheit, sich mit Schröder auf der Flugzeugtoilette „auszusprechen“. Dafür bekommen wir noch während des Fluges Designerklamotten verpasst, die der großmütige Spender sponsern möchte, um seine junge Kollektion ins Fernsehen zu bekommen. Irgendwie sind wir jetzt alle recht ähnlich verpackt. Von eigenem Stil keine Spur mehr. Aber hey, das bin ich ja schon gewöhnt …
Vom Flughafen geht es erst mal ins Hotel. Da werden wir noch kurz in den Konferenzsaal gebeten, um letzte Anweisungen zu erhalten.
Von wegen! Da stehen sie vor uns! Leibhaftig und in Farbe! Vier Backstreet Boys und noch mal genau so viele Kamerateams! Ich glaub ich werd ohnmächtig! Neben mir kreischt Rachel auf. Oder war es Paolo? Egal, jedenfalls schüttelt Nick Carter mir im nächsten Moment die Hand. Ich antworte automatisch auf ein paar englische Begrüßungsfloskeln und bekomme den totalen Tunnelblick. BSB so ganz in Echt. Oh mein Gott, ich wünschte, Michi könnte das alles miterleben! Brian erklärt, dass er und A.J. sich mit der „Straight from my Heart“-Gruppe an den Gesang machen werden, während Nick und Howie mit unserer Gruppe zuerst an der Choreo arbeiten. Nach dem Mittagessen soll dann getauscht werden.
Und was ein Backstreet Boy sagt, passiert. Deshalb schwärmen sämtliche Kamerateams, Kabelträger und schaulustige Hotelangestellte, die ich bisher gar nicht wahrgenommen hatte, auseinander wie aufgescheuchte Hühner. Fünf Minuten später sind wir vier fast allein mit zwei Backstreet Boys. Lediglich ein kleines Kamerateam fängt noch ein, was weiter passiert:
Harte Arbeit mit wenig Gelaber. Schröder schwitzt schon nach dem ersten Komplettdurchgang. Und selbst die Mädels sparen sich inzwischen jegliche Flirtversuche und wirken sehr konzentriert. Es hagelt Kritik an unseren Bewegungsabläufen, unserem Ausdruck und unserer Synchronität. Aber sehr konstruktive. Fast vergesse ich, wer da vor mir steht! Profis, so viel steht fest.
Obwohl mir die vier Stunden bis zur Mittagspause wie eine Ewigkeit vorkommen, ich schwitze wie ein Schwein und schon die ersten Muskeln verkrampfen, will ich nicht aufhören. Ich hab das Gefühl, in den vier Stunden so viele Fortschritte gemacht zu haben, wie sonst in vier Tagen! Die Vorstellung, diesen Flow jetzt zu unterbrechen, nur um was zu essen …
„Boah, ich kack gleich ab vor Hunger“, meldet Schröder neben mir und hat rote Flecken im sonst recht bleichen Gesicht.
Okay, ich schätze, so ein kleiner Imbiss ist doch gar keine schlechte Idee.
Das Vocal-Training bei Brian und A.J. gestaltet sich anstrengender als gedacht, da wir vor allem üben, unsere Zwerchfellspannung trotz Rumgehoppse zu halten. Nach einer Stunde wechseln wir zum Glück in die Harmonielehre und singen so vor uns hin, im Sitzen. Puh.
Nach dem Abendessen dürfen wir zu unserem Gepäck auf die Zimmer. Einzelzimmer für alle! Nach einer langen Dusche beschließe ich, mal an Schröders Tür zu klopfen. Er antwortet nicht. Abgeschlossen ist aber auch nicht. Er liegt in Trainingsklamotten auf dem Bett und pennt! Krass! Nach so einem Tag! Mit so vielen Eindrücken! Na schön, ich verschließe also die Tür, stelle den Wecker auf halb sieben Londoner Zeit und lege mich in gebührlichem Abstand (Schröder riecht wie meine Turnschuhe …) neben ihn. In Gedanken gehe ich den Song noch einmal durch, alle Muskelbewegungen und die Tipps und Kritik die ich bekommen habe. Ich höre die Harmonien im Kopf bis ich Tinitus bekomme. Dann versuche ich, auch einzuschlafen.
Tatsächlich weckt mich das unangenehme Gepiepse meines Handyweckers. Dicht gefolgt von wildem Klopfen an der Tür.
„Schröder?! Verdammt, mach auf!“
Das ist Markus und er klingt mehr als sauer. Schröder regt sich kaum, also springe ich auf und öffne die Tür.
„Na, klar, hätte ich mir ja denken können, dass du auch hier bist. Wie passend“, blufft er mich an und rauscht an mir vorbei, sein I-Phone wild in der Luft schenkend.
„Ne-po-muk! Wach jetzt sofort auf und erklär mir, wie die BILD dazu kommt, sowas zu schreiben!?“
Schröder
Boah … was?! Ich hasse es, mitten in der Nacht durch penetrantes Herumbrüllen geweckt zu werden. Besonders wenn ich erst mal nachdenken muss, wo ich mich gerade befinde … oder ob ich mich überhaupt irgendwie befinde. Ey, war DAS gestern anstrengend, ich könnte auf der Stelle tausend Jahre schlafen. Aber offensichtlich lässt man mich nicht. Markus Liebherr fuchtelt mit irgendwas vor meiner Nase, ich versuche, meinen beduselten Blick zu schärfen. Weiter hinten im Zimmer erkenne ich vage den Fuchseder. Was zum Teufel macht’n der hier?!
„Skandal! Falsches Spiel bei DSDMB! Kandidat schummelt sich mit erlogener Geschichte ins Finale!“, krakeelt Markus Liebherr. „Deine Mutter hat keine Klatschzeitung und kein schmutziges Detail ausgelassen. Und Ferdi hat sie auch noch mit hineingezogen. Dass ihr ein Paar seid, weiß jetzt jeder Vollidiot, der lesen kann. Alle Achtung vor so viel Gründlichkeit. Übrigens … B! ist auf dem Weg hierher, Mann, Schröder, in deiner Haut möchte ich nicht stecken.“
Und damit knallt er die Tür hinter sich zu.
„Verdammt“, ist alles, was dem Fuchseder einfällt.
„Wieso bist’n du hier?“
Ferdi glotzt mich fassungslos an. „Ist das jetzt deine einzige Sorge, oder was?“
„Meine Mutter ist eine Sau“, zucke ich die Schultern. „Hey, ich bieg das schon wieder hin.“
„Kannst du bitte mal irgendwas ernst nehmen? Es geht schließlich nicht nur um dich.“
Ja, na klar. Fuchsi denkt mal wieder bloß an sich.
„Du hast dich vor einem Millionenpublikum geoutet … also bist du doch fein raus. Und ein Paar sind wir längst nicht mehr … also bist du sogar doppelt und dreifach fein raus.“
„Du bist manchmal echt nicht auszuhalten“, schüttelt er den Kopf und macht das, was Markus Liebherr gerade gemacht hat … die Tür hinter sich zuknallen.
Nach duschen und Frühstück allein scheint erst mal alles normal zu laufen. Tanztraining mit den Backstreet-Spacken. So ganz bei der Sache bin ich zwar nicht, aber, na ja, wer will’s mir verübeln?!
Mitten im wildesten Rumgehopse fliegt die Tür auf.
„Schröder … mitkommen“, fordert Markus Liebherr.
Ich werde von ihm in ein Zimmer bugsiert, in dem B! wartet. Ein paar Zeitungen liegen auf dem Tisch, in einer davon schmökert er grad.
„Nepomuk, setz dich doch, nimm dir ’nen Keks …“
„Äh …“
„Schwabbert irgendwo in deinem bekifften Schädel vielleicht noch die Erinnerung an die Ansage, die ich nach Ferdis Outing gemacht habe? Wenn einer von euch noch irgendwelche Leichen im Keller hat … na, dämmert’s? Die kleine Romanze zwischen dir und Ferdi wäre vielleicht so eine Leiche gewesen. Oder dass du im Luxus aufgewachsen bist und deine rührselige Straßenkind-Nummer von vorne bis hinten gelogen ist, zum Beispiel. Für dich sind wir hier alle bloß ein paar Popelköppe, das ist mir schon klar, aber, mein Freund, du hast einen Vertrag unterschrieben …“
„Den hab ich ja auch gar nicht gebrochen. Was kann ich dafür, dass meine Mutter …“
„Maul halten!“, schnauzt B!. „Okay, sagen wir einfach, du bist sexuell unentschlossen. Ein bisschen Rumgemache unter Kandidaten ist auch nichts wirklich Wildes. Aber deine Mutter ist anscheinend fest entschlossen, deine gesamte Lebensgeschichte öffentlich breitzutreten, also frage ich dich noch einmal … mit wie vielen Leichen müssen wir noch rechnen?“
„Zwei. Aber ich glaube nicht, dass meine Mutter …“
„Raus mit der Sprache!“
„Mein Vater sitzt im Knast.“
„Okay, das war’s“, erklärt B!. „Hier ist dein Flugticket nach Deutschland, das Finale ist für dich gelaufen.“
„Aber …“
„Es interessiert mich auch echt überhaupt nicht, was dein Vater verbrochen hat oder dass er eigentlich ein netter Kerl ist, ja? DSDMB kann so einen Skandal nicht gebrauchen. Du hast jetzt genau zwei Möglichkeiten. Entweder du steigst aus und zwar mit der Erklärung, dass du uns alle getäuscht hast, es dir unendlich leid tut und du DSDMB nicht noch mehr schaden willst … oder der ganze Spaß wird für dich richtig teuer, dann wird es nämlich eine Klage wegen Vertragsbruch geben.“
„Darauf lasse ich es ankommen“, zucke ich die Schultern.
„Und Ferdi fliegt mit dir nach Hause, weil er uns auch belogen hat. Schließlich wusste er wohl am Besten, dass die Liebesgeschichte mit Yoko genauso ein Fake war wie deine Straßenkind-Story.“
Woah … das ist echt übel. Ich wusste von Anfang an, dass B! ein mieser Arsch ist und fühle mich grad sehr bestätigt. Na ja und genauso weiß ich, dass ich den Fuchseder nicht mit reinreißen kann. Das würde er mir nie verzeihen … und ich mir erst recht nicht.
„Wann geht mein Flug?“
„Schön, dass wir uns einig sind, Nepomuk“, lächelt B! horrorartig. „Heute Abend. Hast also noch genügend Zeit zu packen und eine entsprechende Erklärung abzugeben.“
„Du bist ein Idiot, Schröder“, sagt Markus Liebherr als wir auf dem Flur stehen. „Wenn du früher die Klappe aufgemacht hättest …“
„Mal ganz unter uns … ich wäre eh nicht in die Band gekommen, oder?“
„Dass entscheiden die Zuschauer“, grinst Markus.
„Ja, klar.“
„Ich wünsch dir jedenfalls alles Gute. Such dir ein paar Leute, denen Musikmachen wichtig ist und wenn ihr was richtig Geiles zustande gebracht habt“, er drückt mir eine Visitenkarte in die Hand, „meld dich einfach. Dann sehen wir weiter.“
„Cool, danke. Hat sich der Scheiß hier wenigstens ein bisschen gelohnt.“
Nachdem ich die von der Pressestelle verfasste Entschuldigung vor der Kamera runtergerattert habe, statte ich dem Fuchseder einen letzten Besuch ab. Er hockt in seinem Zimmer und übt fleißig sein Backstreet-Liedchen.
„Klingt schon gar nicht schlecht.“
„Schröder!“
„Ich wollte mich noch kurz verabschieden … und dir viel Glück wünschen.“
„Soll das heißen …“
„Ich bin raus.“
„Oh …“
„Ja, der B! hat mir die Entscheidung sehr leicht gemacht.“
„Na ja, für dich war DSDMB doch eh nur Spaß und … trotzdem schade, ich meine … fuck!“
„Hey, fluchen steht dir verdammt gut“, lächle ich.
„Wie geht’s denn jetzt weiter?“
„Mal schauen. Auf jeden Fall mit Yoko vertragen. Und dann ein paar Leute suchen, die Bock auf Musikmachen haben. Der Liebherr hat mir sein Kärtchen gegeben, also … wird’s schon irgendwie. Okay, Fuchsi, man sieht sich.“
Grad als ich zur Tür raus will, hält er mich fest.
„Warte mal, wir hatten noch gar keine Möglichkeit … ich wollte dir noch sagen …“
„Ja?“
Er sieht mich an. Dann schlingt er seine Arme um mich.
„Pass auf dich auf, kleiner Wassermann“, wispert er und küsst mich. Ganz kurz nur, aber sehr süß.
Shit, das beamt mich völlig weg.
Ferdi
Schröder zieht die Tür hinter sich zu. Ich bin alleine. Er ist jetzt tatsächlich weg. Raus, endgültig. Fast mechanisch schalte ich den CD-Player wieder an und beginne, für das Abschlusstraining am Abend weiterzuüben.
Es vergehen einige Minuten, bis mich die Erkenntnis trifft, dass ich Schröder vielleicht nie wieder sehe. Ich muss zum Training.
Wie ein Roboter wandle ich über die Hotelflure und begegne dabei Paolo, der mir mitteilt wie doof er es findet, dass Schröder gehen musste. Zu allem Überfluss hockt auch noch B! im Trainingssaal, mit den meisten anderen Kandidaten und den Backstreet Boys. Ganz wichtig plaudert er vor den „zufällig“ mitlaufenden Kameras mit den Stars und klopft Nick freundschaftlich auf die Schulter, so als würden sie sich schon ewig kennen. Als er mich sieht, winkt er mich heran und erklärt mir, dass die Jungs sich bereit erklärt haben, mit Michi zu telefonieren, da der ja so ein großer Fan sei. Mit Frau Kolber sei schon alles besprochen.
Was bitte? Wann ist das denn passiert? Seit wann … ich komme nicht mehr dazu, weiter drüber nachzudenken, denn B! wählt schon die Nummer und hält mir strahlend ein mit Lautsprecher verkabeltes Telefon entgegen. Schon nach einem Mal klingeln höre ich Michi mit leicht belegter Stimme „Allo?“, fragen. Ich glaube, er hat gerade noch geschlafen.
„Hey … Michi“, melde ich mich zögerlich und werde vom Scheinwerferlicht geblendet. „Rat mal, wer gerade neben mir steht.“
„Johann.“
„Nein. Besser. Ich steh hier tatsächlich mit den Backstreet Boys.“
Es kommt keine Reaktion.
„Na, Michi, was sagst du dazu? … Hallo?“
„Er will das Telefon nicht mehr nehmen“, höre ich (bzw. der ganze Raum) Frau Kolber in genervtem Tonfall.
„Na gut, das machen wir gleich noch mal“, verlangt B! und gibt dem Kamerateam ein paar Anweisungen.
„Äh, ich finde …“, stammle ich und könnte mich selbst dafür ohrfeigen, dass ich mich so unsicher anhöre. „Vielleicht braucht Michi erst mal ein paar Minuten, um sich von dem Schrecken zu erholen …“
Sichtlich genervt ringt B! mit sich. Markus schaltet sich ein.
„Wie wär’s, wenn wir erst die Abschlussperformances machen? Den Rest können wir ja dann reinschneiden.“
Damit scheint B! sich abfinden zu können, also zeigt erst die andere Gruppe, was sie in den letzten Tagen gelernt hat, dann stellen wir uns auf … ohne Schröder. Die Choreo ist so ausgedacht, dass es egal ist, ob zwei oder fünf Leute sie tanzen. ob das Zufall ist?
„So, sind die in Regensburg jetzt so weit?“, will B! gereizt wissen, kaum dass der Beifall des Teams verklungen ist.
Ein Tonassistent mit Handy am Ohr schüttelt bedauernd den Kopf.
„Na gut, dann weiter im Programm“, verkündet Markus und fängt sich dafür von B! den Todesblick ein.
„Verabschiedungsszene“, posaunt ein Produktionstyp.
Wir setzen uns in einen Kreis auf den Boden und jeder soll erzählen, was er für sich aus dieser Erfahrung mitnimmt. Dann sagt jeder der Jungs noch ein paar nette Worte. Zuletzt A.J., der eigentlich ziemlich grotesk wirkt mit all seinen Tattoos und Piercings, die ihm offensichtlich Individualität verleihen sollen, aber andererseits in dem gelben Trainingsanzugsteckt, den er sich offensichtlich nicht selbst ausgewählt hat, denn die anderen Jungs tragen das selbe Modell in anderen Farben. Als er uns dann auch noch den Ratschlag gibt, in diesem Geschäft immer uns selbst treu zu bleiben und sich nicht verbiegen zu lassen, muss ich kurz auflachen. Sofort schauen alle neugierig zu mir.
„Sorry“, stammle ich, frage mich aber im nächsten Moment, wofür ich mich eigentlich entschuldige.
„Regensburg ist bereit für einen weiteren Versuch“, erklärt der Regie-Heini.
„Schön!“, findet B! und drückt mir sofort wieder das Telefon ans Ohr.
Es klingelt. Dann hört man ein noch belegteres „Allo“ als beim ersten Versuch.
„Hey Michi. Rat mal, wer neben mir steht“, wiederhole ich mich so glaubwürdig ich kann.
„Backsti Boys.“
„Gut geraten! Magst du mal mit einem von ihnen sprechen?“
Daraufhin tut Michi, was er immer tut wenn er mit einer Situation überfordert ist. Er lässt einen wahren Urschrei los.
„Lass weiterlaufen“, befiehlt B!. „Der beruhigt sich schon wieder.
„Michi, ganz ruhig. Du musst mit niemandem reden, wenn du nicht willst.“
Er schnaubt immer noch, aber ist wohl weiter vom Telefon weg. Frau Kolber versucht ihn wieder dazu zu bewegen, den Hörer zurückzunehmen.
„Die sollen mal hinne machen. Wir haben mit dem Management nur bis um sechs gebucht.“
Ich kann nicht glauben, was ich höre. Mein Herz rast, meine Wangen glühen und am liebsten würde ich B! in seine solariumsgebräunte Fresse schlagen. Gott, ich klinge schon wie Schröder. Ich wünschte, der wäre jetzt hier.
„Wann geht Schröders Flug?“, höre ich mich in mitten des Trubels fragen.
Niemand antwortet, also frage ich noch mal lauter, vermutlich brülle ich sogar:
„Wann geht Schröders Flug?!“
„Kurz nach sieben“, antwortet mir Markus.
„Kannst du mir helfen, zum Flughafen zu kommen?“
„Bei dir piepts wohl“, quatscht B! dazwischen.
„Bitte, Markus.“
„Wir könnten meinen Wagen nehmen …“
„Hallo, geht’s noch?! Ihr könnt doch jetzt hier nicht einfach so abdampfen!“
Markus tuschelt irgendwas mit seinem Co-Juror. Der nickt daraufhin zähneknirschend.
Drei Minuten später sitze ich neben Markus im Auto.
„Ich will nicht mehr zurückkommen“, erkläre ich.
„Dachte ich mir schon.“
„Was hast du B! gesagt?“
„Dass das toller Stoff für die Show werden könnte. Flughafenszenen machen sich immer gut.“
„Aber wir haben gar kein Team dabei …“
„Stimmt“, grinst er schief.
„Danke.“
„Dank mir nicht zu früh. Zum Flughafen ist es ein ganz schönes Stück. Und dann musst du noch irgendwie durch die Security. Vielleicht hätten wir doch ein Kamerateam mitnehmen sollen. Das öffnet viele Türen.“
„Ich glaub, wenn ich mit Kameras anrücken würde, würde Schröder weglaufen.“
„Mit Recht. … Vielleicht solltest du noch mal in Regensburg anrufen und schauen, ob du Michi beruhigen kannst.“
Ich habe allerdings eine bessere Idee. Statt Michi rufe ich meinen Bruder an und bitte ihn, zu versuchen, auf Michi einzuwirken. Johann erklärt sich zum Glück sofort bereit, sich ins Auto zu setzen und in die Klinik zu fahren.
Markus wagt das eine oder andere riskante Überholmanöver, wobei ich mich frage, wie er so gut mit dem Linksverkehr klar kommt. Nebenbei steckt er mir auch noch seine Karte zu und verspricht, zu versuchen, mich aus meinen juristischen Verpflichtungen gegenüber der Sendung rauszuhauen. Schlimmstenfalls muss ich halt noch eine Woche Training in Deutschland überstehen, um dann im Finale garantiert rauszufliegen. Ich beschließe, lieber nicht nachzufragen, wie genau er das bei einem Telefonvoting bewerkstelligen will.
„Alles klar, du hast noch 20 Minuten. Kauf ein Ticket und geh sofort durch den Security check. Viel Glück.“
Und schon stehe ich vor einer großen Glastür und muss mich erst kurz orientieren. Tickets. Wo bekomme ich Tickets? Die Zeit verrinnt, die Schlange am Schalter ist viel zu lang! Ich fange an, meine Vordermänner höflich zu bitten, mich vorzulassen. Gott, das wird sowieso knapp! Ich schiele auf die Reisendenmassen vor dem Security check. Schröder sitzt bestimmt schon im Flugzeug! Was will ich ihm überhaupt sagen? Oder ist „was“ nicht so wichtig wie „wie“?
„One Way to Cologne, please.“
Eine viertel Stunde ist mir noch nie so lange vorgekommen und ich bin noch nie so schnell gelaufen. Am Gate schließt eine Flugbegleiterin gerade den Schalter. Scheiße, bin ich etwa zu spät? Mein Herz rast und meine Zunge klebt am Gaumen.
„Excuse me. I need to catch this flight.“
Etwas genervt schaut sie auf ihre kitschige Armbanduhr.
„Na dann lassen sie mal sehen“, erbarmt sie sich und winkt mich nach einem flüchtigen Blick auf meine Unterlagen durch.
Kaum bin ich an Board, wird auch schon die Einstiegsluke geschlossen. Ein Flugbegleiter weist mich an, den rechten Gang zu benutzen. Meine Sitznummer ist mir allerdings herzlich egal. Meine Augen streifen über die Passagiere. Mit der Frisur mit der ich ihn kennengelernt habe, wäre Schröder besser zu finden.
Reihe um Reihe durchforste ich. Bei Nummer 25 fange ich an, mir Sorgen zu machen. Wo steckt der Kerl bloß, zum Teufel?! Ein ziemlich dicker, schwitzender Kerl fällt mir am Gang ein paar Reihen weiter auf. Und daneben am Fenster kauert er! Schröder! Ich will losstürmen, aber eine Stewardess kommt mir entgegen und zwängt sich an mir vorbei, nicht ohne mich drauf hinzuweisen, dass ich mich setzen soll, da wir gleich auf’s Rollfeld fahren. Ich nicke höflich und will sie stehen lassen, doch das zarte Persönchen tritt plötzlich ziemlich resolut auf. Sie müsse darauf bestehen, dass ich nun meinen Sitz ein paar Reihen weiter vorne aufsuchen soll. Weitere Erklärungen lässt sie nicht zu und die Plätze scheinen ziemlich ausgebucht zu sein. Ich habe also keine Wahl und setze mich erst mal. Wenn wir in der Luft sind, und das Anschnallzeichen ausgeschaltet ist … Gott, meine Nerven! Und was soll ich Schröder eigentlich sagen? Was hab ich mir bloß gedacht?
Schröder
Ich hab bestimmt was an den Augen. Oder durch die totale Flugangst ausgelöste Halluzinationen. Das da eben war sicher nicht der Fuchseder. Wenn aber doch, haue ich ihm eigenhändig aufs Maul. Ich meine, was zum Teufel soll der hier im Flieger wollen? Mir aus lauter Liebe nachlaufen? DSDMB hingeschmissen haben, weil ihm endgültig klar geworden ist, dass er keinen Bock drauf hat, B!’s dämliche Wischi-Waschi-Liedchen zu trällern? Wofür hab ich mich dann kampflos in mein Schicksal gefügt, nur damit der vertrottelte Blödian bleiben durfte?? Ey, wenn da vorne, ein paar Reihen weiter, tatsächlich der Fuchseder sitzt, kann der aber mal ganz schön was erleben!
Der dicke Mann neben mir scheint auch nicht gerne zu fliegen … oder der schwitzt immer so.
Als man sich endlich abschnallen und aufs Klo gehen darf, erhebe ich mich und sehe, dass Ferdi ebenfalls aufgestanden ist.
Um das mal klar zu stellen: Das hier wird mit Sicherheit keine von diesen schwülstigen Sie-lieben-sich-doch-Hollywood-Kitschfilm-Happy-End-Szenen! Ich setze mich reflexartig wieder hin.
Zwei Sekunden später kommt der Fuchseder angestolpert, glotzt mich an, glotzt den Gang entlang, glotzt mich wieder an und denkt wahrscheinlich, ich müsste jetzt wissen, was das soll.
„Ich werd sicher nicht mit dir aufs Klo gehen, um dir einen zu blasen“, erkläre ich laut genug, dass einige Passagiere entsetzt dreinblicken.
„Schröder“, schüttelt Ferdi augenverdrehend den Kopf.
Der dicke Mann neben mir schnauft vernehmlich.
„Was denn?“, frage ich. „Der Typ da ist so was wie mein Exfreund, alles klar?“
„Möchten Sie vielleicht den Platz tauschen?“
„Sehr gerne“, nickt der Dicke dankbar und wischt sich mit einem Stofftaschentuch den Schweiß ab.
Nachdem er sich weggezwängt hat, hockt der Fuchseder also neben mir.
„Du stinkst nach Bier“, rümpft er die Nase. „Musste das unbedingt sein?“
„Ich habe mir zur Beruhigung ein Schlückchen gegönnt.“
„Ich meinte eigentlich … na ja, zum Glück kenne ich dich inzwischen gut genug, um zu wissen, dass man sich mit dir in der Öffentlichkeit gerne mal blamiert“, seufzt er.
„Die sollen sich doch alle um ihren eigenen Kram kümmern. Was zum Teufel machst du hier?“
„Du hast mir nie richtig erzählt, ob der kleine Wassermann seinen Prinzen am Ende bekommt.“
„Das ist keine vernünftige Antwort auf meine Frage, Fuchseder.“
„Okay, mir ist klar geworden, dass DSDMB eine scheißverdammte Dreckskacke ist und B! ein Arschloch, dem dringend die Visage poliert gehört … um es mal auf deine Art zu sagen.“
Dann faselt er irgendwas von einem erzwungenen Telefonat mit Michi und den Backstreet Boys und wie ekelhaft das war und dass Markus ihm schließlich geholfen hat und … ich hab mich bei Michi bereits ausgeklinkt. Michi. Es geht mal wieder nur um Michi! Und gibt es hier irgendwen in der Runde, den das wundert? Schön, das dachte ich auch nicht.
„Aber die Sache mit Michi war eigentlich nur so … der letzte Negativ-Kick“, labert Ferdi und ich beschließe, ihm doch wieder zuzuhören. Vielleicht überrascht er mich ja noch weiter. „Und außerdem … es gibt da schon noch verschiedene Dinge zu besprechen, finde ich.“
„Ach ja?“
„Allerdings.“
„Was genau?“
„Na ja, beispielsweise wie es mit uns weitergeht.“
„Also ich bin da gänzlich anderer Meinung. Ehrlich, Ferdinand, eigentlich ist die Sachlage doch völlig klar: Du und ich, das funktioniert nicht. Das ist zwar sehr schade, aber man muss es akzeptieren.“
„Das sind ja ganz neue Töne.“
„Hast du gedacht, ich laufe dir ewig hinterher?“
„Wenn du nicht andauernd weglaufen würdest, müsstest du auch nicht andauernd hinter mir herlaufen. Versuch doch zur Abwechslung mal, einfach da zu bleiben, auch wenn es grad schwierig ist.“
„Wir machen uns kaputt, wenn wir zusammen sind. Wir … wir finden keinen … gemeinsamen Nenner oder so. Ich hasse Michi. Und ich hasse es, dass du nicht von ihm loskommst.“
„Geht mir bei Yoko ungefähr genauso.“
„Das ist doch was total anderes“, rege ich mich auf.
„Hast du mit ihr geschlafen oder nicht?“
„Ja, aber ich bin weder verliebt in sie, noch wünsche ich mir, mit ihr zusammen zu sein.“
„Na gut, dann trenn du dich von ihr und ich trenne mich von Michi.“
„Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe.“
„Eben“, seufzt er. „Ich kann und will Michi nicht komplett aus meinem Leben streichen. Das heißt aber nicht, dass ich für dich keinen Platz habe.“
„Ich würde mich aber immer fragen, ob du nicht doch heimlich auf seine Genesung hoffst und mich sofort für ihn abschießen würdest.“
„Vertrauen, Schröder, schon mal was davon gehört? Sieh mal … ich hätte genauso gut meinen Ärger über B! runterschlucken und bleiben können. Was glaubst du, warum ich hier bin?“
„Das war sicher wieder so eine Kurzschlussreaktion … wie an Silvester, als du …“
„Ich weiß, was ich getan habe“, entgegnet er finster.
„Und ich kann Michi nicht in deinem Leben dulden, wenn du in meinem Leben eine Rolle spielen willst. Wir drehen uns im Kreis, Fuchsi.“
„Vielleicht sollten wir doch einfach aufs Klo gehen“, stöhnt er, „mit dir reden bringt ja wirklich gar nichts.“
„Kann ich etwa was dafür, dass alles so scheiß kompliziert ist?“
„Für deine Sturheit kannst du schon was.“
„Ich bin nicht stur“, stelle ich klar, „ich hab nur keine Lust auf Herzschmerz ohne Ende.“
„Du willst irgendeine Garantie, die ich dir nicht geben kann … die dir übrigens keiner geben kann. Weiß ich vielleicht, ob du nicht doch mal wieder mit Yoko oder einem anderen Mädchen ins Bett gehst, wenn dir grad danach ist? Ich würde aber das Risiko eingehen, weil ich dich nicht verlieren will. Weil … ich dich liebe“, sagt er leise.
„Du wirst Michi immer mehr lieben“, behaupte ich.
„Schröder“, zischt er wütend, scheint einen Moment zu überlegen und starrt mich an. „So langsam glaube ich, du bist ganz froh, dass es Michi gibt. Ja, sonst müsstest du nämlich einen erfinden, um einen Grund zu haben, weshalb du nicht mit mir zusammen sein kannst.“
Bevor mir auf diesen Blödsinn eine passende Antwort einfällt, greift Ferdi nach meiner Hand und lässt sie während des gesamten Fluges nicht mehr los.
Als wir wieder deutschen Boden unter den Füßen haben und für mich der DSDMB-Spuk
endgültig vorbei ist, klingelt Ferdis Handy. Er labert kurz mit irgendwem und wendet sich dann an mich.
„Ich muss zurück. Eine Woche, dann flieg ich im Finale. Alles andere hätte unangenehme Konsequenzen für mich.“
„Okay.“
„Ich möchte, dass du danach zu mir kommst.“
„Ferdi, das hatten wir schon und es …“
„Oder halt an deinem ich-brauche-nichts-und-niemanden-dann-kann-mich-auch-niemand-verletzen-Bullshit fest“, unterbricht er mich. „Deine Entscheidung.“
Und plötzlich … mitten in der Flughafenhalle, mit tausend Menschen um uns herum, direkt in der Öffentlichkeit … küsst er mich.
Wow!
„Wenn du dich richtig entscheidest, kannst du das immer haben… kleiner Wassermann“, flüstert er mir ins Ohr und geht.
Ich muss nachdenken. Über mein bisheriges Leben und über mein zukünftiges. Aber zuerst muss ich überlegen, wohin ich jetzt gehe. Wieso bin ich eigentlich ständig so verflucht obdachlos, verdammte Scheiße??
Na gut, bei Timo, Juliane und der kleinen Nichte ist ja irgendwie immer ein vorübergehendes Plätzchen für mich frei.
Timo hat natürlich die Zeitungstratscherei unserer Mutter mitgekriegt und daraufhin den eh schon spärlichen Kontakt zu ihr abgebrochen.
„Wer braucht schon einen Erzeuger im Knast und eine Mutter, die völlig irre ist? Wir können uns gratulieren, dass wie unter den Umständen so normal sind. Obwohl …“, er mustert mich, „normal bei dir nicht ganz das richtige Wort ist. Sorry, Kleiner, nichts für ungut.“
Ich trage die Nichte ein bisschen umher und lege sie anschließend in ihr Bett, drehe die Spieluhr auf und wünsche Anna süße Träume.
„Sag mal … findest du, dass ich mich auf Leute nicht einlassen kann, weil ich Angst davor habe, verletzt zu werden?“
„Auf jeden Fall“, nickt Timo und stellt das Babyphon auf den Wohnzimmertisch. „Wieso?“
Ich plaudere ein wenig aus dem Ferdi-und-Schröder-Nähkästchen.
„Wenn ich mir vorstelle, Juliane hätte so einen Michi … also da kann ich deine Bedenken schon verstehen. Aber was ist die Alternative? Ferdi vergessen und weitermachen wie bisher? Es ist doch so: Man kann nicht andauernd weglaufen. Man möchte doch mal irgendwo ankommen.“
„Um eine Familie zu gründen und jeden Tag von acht bis fünf ins Büro zu gehen, so wie du?“
„Um glücklich zu sein, Kleiner.“
„Dein Job macht dich also glücklich, mh?“
„Meine Frau und meine kleine Tochter machen mich glücklich. Und was den Job betrifft … klar, kann ich mir was Aufregenderes vorstellen, als im Büro zu hocken, aber ich hab halt eine Verantwortung meiner Familie gegenüber. Was hindert dich daran, auf Punkkonzerte zu gehen und dein Ding durchzuziehen und trotzdem mit Ferdi zusammen zu sein? Man muss sich in einer Beziehung nicht völlig aufgeben und man muss nicht ausschließlich gleiche Interessen haben.“
„Ferdi will ein Reihenhaus. Mit Garten und Hund. Das ist spießig.“
„Wer sagt das? Irgendein Punk-Guru, dem du blind folgst?“
„Kannst du dir mich in einem Reihenhaus vorstellen?“
„Keine Ahnung. Streich’s halt bunt an und häng eine Totenkopffahne aus dem Fenster“, erklärt er schulterzuckend.
Eine Woche später hab ich mich mit Yoko vertragen und fast einen Schlaganfall erlitten beim Blick auf den Kontoauszug. Finanziell hat sich DSDMB gelohnt, so viel ist sicher. Laut Vertrag dürfen wir ja nicht über Geld sprechen, aber … ich persönlich empfinde mich momentan als reich, für B! hingegen wäre der Betrag wahrscheinlich ein kleines Taschengeld.
Und noch wahrscheinlicher hat Rachel für ihre Halbnacktbildchen noch mehr Kohle bekommen. Scheiße, ey, ich hätte mich auch ausziehen sollen! Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass ich wegen meines unschönen Ausstiegs bei DSDMB überhaupt kein Geld kriege, allerdings waren die Interviews und Fotoshootings bereits gemacht und es ist ja auch völlig latte, denn das Geld ist da, halleluja.
Ein paar Interviewanfragen kamen noch, die ich jedoch ablehnte. Mir ist es egal, was beschissene Boulevardblättchen über mich schreiben. So berühmt, dass ich die nächsten Wochen jeden Tag eine Schlagzeile kriege, bin ich eh nicht.
Die Show, das Finale von Timos Sofa aus anzuschauen ist ein komisches Gefühl. Ich bin zwar froh, dass ich da nicht stehen muss, aber ich hab halt öfter mal genau dort gestanden. Puh, und der Fuchseder sieht echt … unmotiviert aus. Hoffentlich machen die ihm nicht trotzdem einen Strich durch die Rechnung und lassen ihn doch in die Band. Na ja, den Jurykommentaren nach zu urteilen, braucht man davor wohl keine Angst zu haben.
„Mensch Ferdi“, grummelt B! und zieht eine Fresse als hätte ihm einer in die Schuhe gepisst, „ich sag’s nicht gerne, aber von dir hab ich heute mehr erwartet. Die ganze Zeit über immer hundertfünfzig Prozent und im Finale auf Sparflamme laufen. Ehrlich, du bist wie eine Schlaftablette über die Bühne gehopst und die Stimme war auch nicht so dolle, du. Ich glaube nicht, dass man es mit so einer schwachen Leistung verdient, in die Band zu kommen. Bin echt enttäuscht von dir.“
Um das zu verdeutlichen, wirft er beleidigt seinen Kuli auf das Jurytischchen.
„So schlecht fand ich’s nicht“, relativiert Markus Liebherr. „Aber wir haben von dir schon wesentlich bessere Auftritte gesehen. Vielleicht war der Druck zu groß.“
Cosima schließt sich B!’s Meinung an. Blöde Sau!
Alle anderen Kandidaten werden übrigens mit Lob überschüttet … na ja, bis auf Rachel. Die war allerdings objektiv betrachtet tatsächlich schlechter als der Fuchseder.
Jedenfalls … nach tausend Stunden stehen die Sieger fest: Cristian, Leelee, Kevin und Sarah.
Ich prophezeie jetzt schon, dass es genau ein Album und eine Tour geben wird. Danach wird sich kein Arsch mehr für diese Megaband interessieren, weil dann bereits eine neue gesucht wird.
Eigentlich wollte ich Ferdi sofort nach dem Finale anrufen, aber vielleicht ist es besser, ihn eine Zeit lang in Ruhe zu lassen. Schließlich muss er sich auch erstmal wieder im wirklichen Leben zurechtfinden. Das ist echt nicht einfach. Ich hab immer noch Probleme damit. Na ja, und bevor ich nicht weiß, wie das Märchen vom kleinen Wassermann ausgeht, macht es eh keinen Sinn, sich beim Fuchseder zu melden, oder?!
Ferdi
Ich habe mir vorgenommen, ihm Zeit zu geben. Und ich rechne damit, dass er viel Zeit braucht. Bei Schröder gibt’s keine Garantie, dass er nicht doch wieder wegläuft und dieses Mal auch weg bleibt. Aber ein paar Wochen gebe ich ihm nach dem Finale. Ich muss sowieso erst mal schauen dass er nicht in ein chaotisches Leben zurück kommt. Eine Wohnung muss her. Und Barbara hat dabei schon gute Vorarbeit geleistet. Wäre das schon mal erledigt. Ziemlich kalte Füße bekomme ich auch bei dem Gedanken, Michi wieder zu besuchen. Auch hierbei hat mir meine Schwester sehr geholfen. Wenn er diesen Unfall nicht gehabt hätte, dann hätte mir doch auch niemand Vorwürfe gemacht, wenn wir uns auseinandergelebt hätten. In unserem Alter kommt das nun mal vor. Aus schlechtem Gewissen bei Michi zu bleiben, das wäre sicher für alle Beteiligten verkehrt. Gegen gelegentliche Besuche spricht ja nichts, genau wie man auch einen gesunden Ex-Freund ab und an besucht. Ich finde, meine neue Einstellung ist ganz gesund. Um Geld muss ich mir vorerst auch keine Sorgen machen und das Studium kann noch bis zum Herbst warten. Ob es wieder Philosophie sein wird, oder doch Musik-Management weiß ich noch nicht. Mit 21 ist es erlaubt, dass man seine Pläne noch ändert.
Eigentlich bin ich jetzt echt auf einem guten Weg. Wenn ich dran denke, wie ich noch vor ein paar Monaten getickt habe, so voller Schuldgefühle und absolut fremdbestimmt, das kommt mir wie ein anderer Mensch vor. Aber auch das ist mit 21 erlaubt. Veränderung. Vielleicht lasse ich mir die Haare doch wieder bunt färben? Wahrscheinlich eher nicht. Aber so ein paar grüne Haare zu sehen, morgens nach dem aufwachen, das wäre schon toll.
Allerdings ist nach drei Wochen immer noch keine Spur von Schröder. Langsam nehme ich jeden Tag, an dem er nicht an meine Tür klopft, persönlich …
Schröder
Nach drei Wochen rumgammeln und in Eddies Kneipe hocken und einer weiteren Woche bei Yoko, weiß ich es.
„Ich werde nach Regensburg ziehen“, verkünde ich.
„Aha.“
„Ja. Alles, was ich hier mache, kann ich da genauso. Und ich habe Ferdi.“
„Mal überlegt, dass er dich nicht mehr haben will? Immerhin hast du ihn drei Wochen mit Michi allein gelassen. Was, wenn er festgestellt hat, dass er doch auf seine große Liebe warten möchte, mh?“
„Ich bin seine große Liebe“, antworte ich finster.
„Solltest ihn trotzdem anrufen, bevor du einen Fehler machst.“
Keine schlechte Idee. Leider ist sein Handy ausgeschaltet. Ich werde jetzt nicht drüber nachdenken, dass er wahrscheinlich grad bei Michi ist!
Am nächsten Abend stehe ich bei Barbara auf der Matte. Die erklärt, dass Ferdi jetzt eine eigene Wohnung hat, gibt mir die Adresse und ich mache mich auf den Weg.
Mann, ich hab echt Herzklopfen und irgendwie schlecht ist mir auch. Wer weiß, was mich erwartet?!
Ferdis Gesichtsausdruck bleibt ziemlich neutral, als ich die Treppe raufkomme, aber … seine Augen strahlen ein bisschen. Das gibt mir Hoffnung.
„Hey, Fuchseder.“
„Hallo, Schröder.“
Die Wohnung ähnelt gefährlich der Michi-Behausung in München. Also vom Schnitt her. Die Möbel sind andere. Und es gibt nur ein einziges Bild von Michi im Wohnzimmer. Okay, damit kann ich leben.
„Wie … äh … wie geht’s dir denn so?“, fasele ich blödsinnig, weil mich meine Nervosität grad fast umbringt und dass mein gesamter Körper kribbelt, weil der Fuchseder so wahnsinnig hübsch aussieht, ist auch keine große Hilfe.
„Gut, danke. Und dir?“
„Sag mal, wäre es sehr unhöflich, wenn ich dich jetzt bitten würde, mit mir zu schlafen?“
Ferdi verdreht die Augen. Für einen kurzen Moment hab ich Angst, er schmeißt mich raus. Stattdessen zieht er mich in seine Arme.
„Scheiß auf Höflichkeit“, grinst er und küsst mich.
Na ja, Sex hatten wir ja eigentlich immer ziemlich gut drauf. Kein Grund, gleich die rosarote Brille aufzusetzen.
„Okay“, beginne ich und befreie mich aus Ferdis Armen, „ich kann dir kein Reihenhaus versprechen … aber wenn, muss es von außen mindestens wie die Villa Kunterbunt aussehen.“
„Soll heißen?“
„Ich werde mir hier eine Wohnung suchen, weil ich es für keine gute Idee halte, wenn wir jetzt schon zusammenziehen, ich aber auf jeden Fall in deiner Nähe sein will.“
„Klingt vernünftig.“
„Und was Michi betrifft … der Typ ist deine Sache, ja? Ich kann dir nicht verbieten, ihn zu besuchen oder dich um ihn zu kümmern, aber, Fuchseder, sollte sich deine Zunge wieder in seinen Mund verirren, bin ich sofort weg. Mich für den Moment haben und heimlich auf ihn warten, geht nicht. Also überleg dir jetzt sehr genau, wen du willst.“
„Ich glaube, ich hab dir bereits am Flughafen zu verstehen gegeben, dass ich mit dir zusammen sein möchte, Nepomuk. Und was Yoko betrifft … die Frau ist deine Sache. Aber solltest du dich beischlaftechnisch noch mal in ihr Bett verirren, bin ich weg, okay?“
„Wie geht es ihm denn?“, frage ich vorsichtig.
„Michi? Er sitzt immer noch im Rollstuhl und kann immer noch keine zusammenhängenden Sätze sprechen. Und es sieht nicht danach aus, als würde sich das jemals ändern. Beruhigt?“
Mann, der tut ja so, als würde ich mir wünschen … na ja, gut, lassen wir das.
Ich kuschele mich in die Bettdecke und ziehe Ferdi in meine Arme.
„Liegst du bequem?“
„Mmhhhh …“, schnurrt er.
„Weißt du noch, wo der kleine Wassermann …“
„Er ist aufgewacht und vom Prinzen fehlte jede Spur“, antwortet er wie aus der Pistole geschossen.
„Genau. Also … der kleine Wassermann suchte natürlich erst mal die Gegend ab, konnte seinen Liebsten jedoch nirgendwo finden. Traurig hockte er sich auf einen Stein, blickte aufs Meer hinaus und fragte sich, ob es richtig gewesen war, alles für den Prinzen aufzugeben.
Der kleine Wassermann konnte ja nicht wissen, dass sein Vater, der König aller Meere, den Gehilfen der Wasserhexe, Gottlieb Jericho Paulus, ausgeschickt hatte, um mit der Glitzerglitzerprinzessin ein paar Takte zu reden. Kurz gesagt, sie hatte die Zaubermelodie auf der Laute gespielt, damit der Prinz zu ihr zurückkam.
Nachdem der kleine Wassermann tagelang vergeblich gewartet hatte, wusste er sich nicht mehr anders zu helfen und rief seinen Vater. Der König aller Meere kam an die Wasseroberfläche geschwommen.
Bitte, sagte der kleine Wassermann, schau in den Brunnen und sag mir, wo mein Prinz ist.
Der Meereskönig warf seinem Sohn eine Kristallkugel zu.
Du musst es mit eigenen Augen sehen, rief er.
Der kleine Wassermann dreht die Kugel, sodass der milchige Schleier verschwand. Der Prinz erschien. Hand in Hand mit der Glitzerglitzerprinzessin und offensichtlich sehr verliebt. Er küsste sie sogar leidenschaftlich.
Das ist eine Lüge, schrie der kleine Wassermann, aber sein Vater schüttelte den Kopf.
Warum tut er das, wollte der kleine Wassermann wissen.
Menschen sind so, erklärte der Meereskönig. Unbeständig, untreu, gedankenlos und egoistisch.
Mit Tränen in den Augen warf der kleine Wassermann die Kugel ins Meer.
Es gibt eine Möglichkeit, dich zu retten, sprach der Meereskönig ernst, worauf ein Blitz vom Himmel zuckte und ein silberner Dolch im Sand lag. Du musst den Prinzen töten. Ein Stich in sein Herz und du darfst ins Meer zurück. Tust du es nicht, wirst du sterben.
Dem kleinen Wassermann war ganz elend. Er wollte nicht sterben, aber seinen Prinzen töten, das würde er niemals fertig bringen.
Tu es, befahl der König aller Meere und seine Stimme klang grollend und streng. Dann verschwand er im Meer.
Traurig machte sich der kleine Wassermann auf den Weg zum Schloss. Logischerweise musste er unterwegs überlegen, wie er zu seinem Prinzen gelangen konnte, denn, nach allem was vorgefallen war, würde man ihm sicher keinen roten Teppich ausrollen. Er wartete bis es dunkel war, zwängte sich durch einen schmalen Spalt in der Mauer und schielte am Schloss hoch. An einer der Außenwände rankten wilde Rosen, an denen man hinaufklettern konnte, und ein Fenster stand offen. Es war beschwerlich und die Dornen bescherten dem kleinen Wassermann blutige Hände, aber er biss die Zähne zusammen und nach einer Weile war er oben angelangt. Vorsichtig stieg er durchs Fenster.
Der Prinz lag mit seiner Gemahlin im Bett und schlief. Auf Zehenspitzen schlich sich der kleine Wassermann ans Bett und betrachtete seinen Prinzen wie er sich im Schlaf regte. Natürlich würde er ihn nicht töten. Er war nur hier, um sich von ihm zu verabschieden, um ihn ein letztes Mal zu sehen und ihm ganz sachte übers Haar zu streichen.
Leider hatte die Glitzerglitzerprinzessin nicht so einen gesunden Schlaf. Sie erwachte, rief die Wachen und der kleine Wassermann wurde ins Verlies gesperrt.
Da hockte er nun und erwartete sein Schicksal. Ihm war es gleich, ob er sich in Meeresschaum auflösen oder durch Menschenhand sterben würde. Wenn sein Prinz ihn nicht mehr liebte, war alles verloren. Überhaupt hatte sich der Prinz ja nur wegen der vermaledeiten Zauberlaute verliebt.
Sehr richtig, stimmte Gottlieb Jericho Paulus zu.
Das spindeldürre Männlein mit der roten Kugelnase war mal wieder Hokuspokus erschienen. Und es erzählte dem kleinen Wassermann, was sich zugetragen hatte. Und es hatte die vermaledeite Zauberlaute dabei.
Der kleine Wassermann nahm sie, aber anstatt die Melodie anzuschlagen und den Prinzen mit einem weiteren Zauber zu belegen, zerschlug er die Laute.
Warum hast du das getan, wollte Gottlieb Jericho Paulus wissen.
Weil man nicht mit anderer Leute Gefühlen spielen darf, entgegnete der kleine Wassermann. Ich wünsche mir, dass mein Prinz mich liebt, ohne Zauber und Zwang.
Gottlieb Jericho Paulus lächelte, verschwand und ließ einen etwas irritierten kleinen Wassermann zurück.
Der König aller Meere tobte und geiferte, als er in seinen Brunnen sah. Denn in dem Augenblick, als sein Sohn die Laute zerschlagen hatte, war der Prinz aufgewacht und nur noch von einem Gedanken beseelt: Den hübschen Jungen mit den grünen Haaren zu finden, den er so sehr liebte!
Die Glitzerglitzerprinzessin hätte ihm sagen können, wo sich dieser Junge gerade befand, aber sie liebte den Prinzen und wollte ihn für sich haben. Deshalb versuchte sie, ihn zu verführen, musste jedoch bald einsehen, dass es vergebens war. Jedenfalls so lange wie der Junge mit den grünen Haaren noch lebte. Flugs unterzeichnete sie heimlich das Todesurteil.
Die Wasserhexe bekam langsam die Pimpanellen und schickte ihren Gehilfen aus, um dem Prinzen einen Hinweis zu geben. Der ging schnurstracks zu seinem Vater und bat um Gnade für den kleinen Wassermann.
Davon wollte der König jedoch nichts wissen. Er fand: Sein Sohn gehöre zu seiner Gemahlin. Der Prinz hatte mit seiner Weglauferei genug Scherereien verursacht, die sogar beinahe zu Krieg mit dem König des Glitzerglitzergebirges geführt hätten. Schließlich drohte er, seinen Sohn zu enterben, wenn er sich diesen Jungen nicht aus dem Kopf schlug.
Aber der Prinz hatte sich entschieden. Er wollte seine große Liebe nicht aufgeben. In der Nacht schlich er sich hinunter zum Verlies und … äh … sag mal, willst du’s blutig oder unblutig?“
„Hä?“, murmelt Ferdi.
„Na ja, ich könnte mir ausdenken, dass die Prinzessen den Schlüssel zum Verlies an einer Kette um den Hals trägt und der Prinz die Prinzessin töten …“
„Nein“, unterbricht er mich entsetzt.
„Okay. Also der Prinz schlich zum Verlies und stürzte sich mutig in wilde Schwertkämpfe mit den Wachen. Als die besiegt und bewusstlos am Boden lagen, befreite er den kleinen Wassermann und lief mit ihm davon.
Warum bist du traurig, fragte der Prinz, als sie im Mondenschein am Strand saßen.
Du liebst mich nur, weil ich dich verzaubert habe, antwortete der kleine Wassermann.
Du hast mich verzaubert, nickte der Prinz, an dem Tag, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe.
Aber die Zauberlaute, begann der kleine Wassermann, doch der Prinz unterbrach ihn.
Die hast du zerschlagen und ich liebe dich immer noch, lächelte er und küsste ihn.
Aber was sollen wir tun, wo sollen wir leben, fragte der kleine Wassermann.
Das wusste der Prinz leider auch nicht.
Der Meereskönig musste einsehen, dass er verloren hatte. Der kleine Wassermann würde niemals sein Nachfolger werden. Er hatte aber noch eine Tochter, die sich eh schon mehrfach darüber beschwert hatte, dass nur männliche Nachkommen König aller Meere sein durften. Deshalb beschloss er, dass es künftig eben eine Königin aller Meere geben würde.
Seine Schwester, die Wasserhexe, begrüßte diese Entscheidung, war allerdings noch nicht gänzlich zufrieden, was sie dem König auch sagte.
Seufzend ließ der Meereskönig eine Seifenblase aus dem Meer aufsteigen. Darin befand sich ein kleines Haus, das sobald die Seifenblase den Boden berührt hatte und zerplatzt war, größer wurde und seinem Sohn und dem Prinzen ein Heim bot. Des weiteren spülte er immer wieder mal ein paar Goldmünzen an den Strand, damit die beiden Verliebten Lebensmittel kaufen konnten und nicht am Hungertuch nagen mussten. Und wenn sie nicht gestorben sind … blablabla … Ende.“
„Schön“, seufzt Ferdi, um dann zusammenhangslos hinzuzufügen, dass B! tatsächlich ein Arschloch ist. Und zwar ein riesengroßes.
„Der hat die letzte Woche vorm Finale nicht ein einziges Wort mit mir geredet.“
„Dafür hat er im Finale eine Menge gesagt.“
„Ich fand meinen Auftritt nicht so schlecht … unter den Umständen.“
„Ich finde, wir können froh sein, dass wir DSDMB relativ unbeschadet überstanden haben.“
„Ja und dank DSDMB müssen wir die nächste Zeit auch nicht am Hungertuch nagen. Aber lass uns mal kurz realistisch sein, kleiner Wassermann, das Geld wird nicht ewig reichen.“
„Hast du Angst, ich hau wieder ab, wenn ich die Kohle verprasst habe?“
Ferdi streicht mir lächelnd eine Ponysträhne aus dem Gesicht.
„Wir sollten versuchen, uns zu vertrauen. Was das angeht, haben wir beide bestimmt noch eine Menge zu lernen, aber … das ist es wert, oder?“
„Auf jeden Fall. Sonst wäre ich wohl kaum hier.“
Dann gibt’s erstmal nichts mehr zu reden, sondern nur noch küssen und kuscheln.
Ein dreiviertel Jahr später bin ich immer noch in fucking Regensburg und mit Ferdi zusammen. Er geht brav studieren, jobbt nebenbei und besucht Michi ein bis zweimal die Woche, wenn grad kein anderer Kolber in der Nähe ist. Ich hab mich in einen runtergekommenen Punkschuppen eingekauft, der renoviert und umgestaltet werden will, schließlich sollen da künftig Bands spielen. Logischerweise ist es bis dahin noch ein hartes Stück Arbeit, aber ich rechne fest damit, dass wir dann bald schwarze Zahlen schreiben werden. Ferdi steht dem Ganzen zwar skeptisch gegenüber, allerdings denke ich, es beruhigt ihn, dass ich etwas gefunden habe, was mir Spaß macht und ich auch unbedingt durchzuziehen gedenke.
Beziehungstechnisch läuft es gut, wir haben irgendwie die richtige Mischung aus Zusammensein und dem Anderen genügend Freiraum lassen gefunden. Und Ferdi kriegt sogar sein Schlafproblem langsam in den Griff.
Die Megaband hat sich tatsächlich inzwischen wegen „musikalischer Differenzen“ getrennt, aber im Fernsehen laufen schon wieder Bewerbungsspots für die nächste Staffel DSDMB. Gesichtsbaracke B! ist halt einfach nicht tot zu kriegen.
E N D E
Nachwort
Ja, das war’s also. Veri und Chelsea verabschieden sich hiermit als schreibtechnisches Duo und sagen: Danke, dass ihr dabei geblieben seid und danke für viel tolles Feedback!
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.