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Emotional Hardcore
Teil 5
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Informationen
- Story: Emotional Hardcore
- Autor: Chelsea
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Der Tiger hat schon wieder hier übernachtet. Zum Frühstück heute Morgen trug er Leslies Purple-Rain-T-Shirt. Ey, das darf eigentlich niemand tragen, Leslie selbst trägt es kaum noch, weil das Teil tausend Jahre alt und der Druck schon reichlich verblasst ist. Ich frage mich, was passiert, wenn Jule aus Polen zurückkommt, was sehr bald der Fall sein wird. Sie weiß zwar, dass ich inzwischen hier wohne, aber bestimmt nicht, dass die Affäre ihres Freundes ebenfalls schon fast bei ihm eingezogen ist.
Leslie hört übrigens seit Stunden Billy Idol, der in letzter Zeit nur lief, wenn er mit seiner Martin-Type zugange war… quasi der Soundtrack zum Geschlechtsverkehr. Jetzt ist der Tiger allerdings weg und diese fiese Achtzigerjahre-Musik zerrt langsam sehr stark an meinen Nerven. „Dancing with myself“, das fucking Lied kann ich mittlerweile problemlos mitsingen. Vielleicht sollte Leslie lieber mal gescheit nachdenken, anstatt mit sich selbst zu tanzen. Vielleicht sollte ich ihm dabei auf die Sprünge helfen. Bei der Lautstärke der Musik ist Klopfen zwecklos, weswegen ich ohne ins Schlafzimmer spaziere. Leslie hockt am Fenster und schaut dem Taubennachwuchs beim Fliegenlernen zu.
Hey…“, brülle ich.
Er zuckt kurz zusammen, angelt nach der Fernbedienung und stellt die Musik leise.
„Hey, was gibt’s?“
„Nichts weiter.“
„Aha.“
Ich geselle mich zu ihm und glotze mit aus dem Fenster.
„Bald kommen die gar nicht mehr nach Hause“, erklärt er wehmütig.
„Dafür kommt jemand anders bald zurück.“
„Kim?“
Der Kerl ist echt nicht zu fassen, oder?
„Äh…nein“, entgegne ich. „Deine Freundin.“
„Ja“, lächelt er.
Dieses Lächeln macht mir Hoffnung, dass der Tiger abgeschossen wird, wenn Jule wieder da ist.
„Du weißt, was dann zu tun ist?“, frage ich sicherheitshalber nach.
Leslie stiert mich an, als wüsste er eben genau das nicht. Ach du Scheiße!
„Vielen Dank“, sagt er grimmig, „du hast es geschafft, mich total mies drauf zu bringen.“
„Was kann ich bitte dafür, dass dir offensichtlich eine Freundin nicht reicht und du nebenher auch noch tausend Kerle haben musst?“
„So viele waren es nicht. Und überhaupt ist es jetzt nur einer.“
Das ist in der Tat unheimlich. Bisher war es nie so, dass Leslie mit einem Typen mehrmals was hatte.
„Völlig egal, wie viele. Wenn Jule…“
„Mann“, unterbricht er mich, „ich hab’s doch versucht, wirklich. Aber du verstehst das nicht. Das zwischen dem Tiger und mir… ey, das ist die totale Leidenschaft. Wenn ich ihn sehe… will ich ihn.“
„Du wirst deinen Sextrieb ja wohl mal fünf Sekunden im Zaum halten können.“
Leslie zieht ein Gesicht, als täte ihm was weh.
„Es ist doch nicht bloß Sex.“
„Nee? Was denn?“
„Ich hab dir bereits gesagt, dass ich verliebt bin. Das ist das Problem.“
„Du hast auch behauptet, dass die Homos den Mainstream infiltrieren“, erinnere ich ihn an sein besoffenes Gelaber.
„Na und? Das ist ja wahrscheinlich auch so.“
„Was ist mit Jule“, komme ich zum Thema zurück.
„Jule lieb ich auch irgendwie.“
„Cool, dann musst du ihr nur noch sagen, dass du Jungs geil findest und eine Dreierbeziehung mit ihr und deinem Tiger willst. Findet sie bestimmt prima. Mit deinem Tiger hast du das sicher schon besprochen, mh?“
„Eigentlich nicht. Eigentlich weiß er nichts von ihr.“
„Leslie…“
„Ja, Mann, ich konnte noch nicht ahnen, dass… ach so, sag mal, weiß Kim eigentlich, dass du regelmäßig mit dem Superficker telefonierst, du kleiner Moralapostel?“
Blöder Penner! Damit meine ich ausnahmsweise mich selbst, weil ich mich ertappt fühle.
„Darum geht’s hier gar nicht. Außerdem reden wir nur, sonst nichts.“
Dass die Telefonate mehrfach in eine…äh… nicht gänzlich jugendfreie Richtung drifteten, brauche ich ihm nicht unbedingt auf die Nase zu binden. Komischerweise hab ich bei Flo diesbezüglich fast keine Hemmungen mehr. Im Gegenteil.
„Fein, dann kannst du’s ihm ja sagen. Wird ihm bestimmt nichts ausmachen.“
„Bring du doch erstmal dein Liebesleben in Ordnung“, schlage ich vor.
„Ah… wir sind bei dem Superficker also schon wieder so weit, dass wir von Liebe sprechen? DAS wird deinen Freund sicher nicht stören.“
Weil mir auf so einen Schwachsinn echt keine Antwort einfällt, will ich das Zimmer verlassen.
„Hey, Jo-Jo…“, ruft er mir nach, „du hattest nie vor, deinen Vater anzuzeigen, stimmt’s?“
„Ich hab drüber nachgedacht“, antworte ich und gehe.
Wenigstens ist das Thema jetzt durch.
Kim weiß, dass ich mit Flo telefoniere, und da er dazu nichts gesagt hat, wird es ihm wohl nichts ausmachen. Und Flo weiß, dass ich mit Kim zusammen bin. Die Fronten sind also total geklärt. Dass Flo wieder mit mir flirtet ist schon irgendwie lustig. Wobei lustig vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist, aber mir fällt grad kein besseres ein. Ich finde, flirten muss erlaubt sein, wenn das nicht zu weit geht. Jedenfalls ist das, was Leslie treibt, ja wohl viel schlimmer als meine Telefonate mit Flo!
Übrigens sind inzwischen die Ferien vorbei. Musste mich im Sekretariat ummelden und hatte das unangenehme Gefühl, alle wüssten Bescheid darüber, warum ich nicht mehr zuhause wohne. Dann hatte ich noch ein Gespräch mit Leslies Eltern, wegen des Sparbuchs und so, das Geld ist jetzt auf einem eigenhändig von mir eröffneten Konto. Dass ich Miete zahlen wollte, lehnten Leslies Eltern sofort ab. Ich soll lieber fürs Studium oder sonst was sparen, meinten sie. Erwähnte ich schon, dass Leslies Eltern irre nett sind?! Jedenfalls… Schule… ich muss mich erst noch dran gewöhnen, dass ich lernen kann, wann ich will, und mir kein Schlägertyp mehr im Nacken sitzt.
Der Herbst ist in vollem Gang und es ist mal wieder eine Menge passiert. Der Tiger hat sich von Leslie getrennt, nachdem er von Jule erfahren hat. Leider stand der Döskopp bereits zwei Tage später wieder auf der Matte und die beiden versöhnten sich höchstwahrscheinlich ausgiebig… es war stundenlang Billy Idol zu hören. Dann kam Jule irgendwann vorbei, um ihre Sachen zu holen, und das Marianne-Faithfull-Poster hängt auch nicht mehr. Leslie hat sich wohl dazu entschlossen, seinen besten Freund völlig aus seinem Leben auszuschließen, denn er hat mir gegenüber mit keinem Wort erwähnt, dass er sich offensichtlich von Jule getrennt hat, um jetzt mit dem Tiger auf Lovestory zu machen. Ich finde das alles sehr bedenklich. Noch bedenklicher ist allerdings die Tatsache, dass ich… scheiße eifersüchtig bin. Natürlich musste mir Nora, bei der ich letztens zu Besuch war, diesbezüglich erst auf die Sprünge helfen. Von allein wäre ich da zwar auch drauf gekommen, aber ich hätte es mir vermutlich nicht eingestanden. Es ist ja nicht, dass Leslie mit irgendwem zusammen ist, sondern dass es ausgerechnet ein Typ sein muss… wo ich doch bisher der einzige Typ war, in den er verliebt gewesen ist. Ey, das nervt! Und Flo drängt… ich soll ihn unbedingt ganz schnell besuchen. Er vermisst mich, behauptet er. Und Kim… der weiß weder von meiner Eifersucht noch von meiner neu aufgeflammten Begeisterung für Flo.
Der Baum vorm Schlafzimmerfenster hat die meisten seiner Blätter verloren, dafür aber gerade eben eine Meisenkugel bekommen, die Leslie in halsbrecherischer Aktion hineingehängt hat.
„Damit die Vögelchen was zu essen haben“, erklärt er überflüssigerweise.
Ich muss daraufhin sofort an die uralte Vogelfrau aus Mary Poppins denken, die ich als kleines Kind sehr unheimlich fand. Wenn Leslie nicht aufpasst, wird er eines schönen Tages auch so enden. Oh Gott, und wenn er als alter Zauselkerl dann irgendwelche Kinder zu sich lockt… die Polizei wird ihm sicher nicht glauben, dass er bloß Futter verkaufen wollte, damit die Vögelchen was zu essen haben. Feed the birds… mh, supercalifragilisticexpialigetisch, das muss man sagen, wenn man nicht weiß, was man sagen soll, nicht irgendeinen Rhododendren-Scheiß von Merle.
„Willst du jetzt so lange vorm Fenster hocken bleiben, bis ein Vögelchen kommt, um von der Kugel zu naschen?“, frage ich.
Leslie scheint tatsächlich einen Moment zu überlegen.
„Nein, das wäre selbst für mich zu hardcore. Außerdem bin ich nachher noch mit dem Tiger verabredet“, lächelt er verträumt.
Ja, streu noch Salz rein, Blödmann!
„Und wann machen wir mal wieder irgendwas?“
Fuck, das sollte nicht beleidigt klingen, eher beiläufig oder so.
„Hm?“
Na ja, jetzt ist’s eh schon egal.
„Du hast nie mehr Zeit für mich.“
Leslie glotzt mich überrascht an.
„Ihhh… ich hab mich in einen gedankenlosen Penner verwandelt, ja? Scheiße, ey, ich kann echt nichts dafür, der Tiger ist halt so toll und… Mann, ich bin so verliebt… ehrlich mit allem Drum und Dran… Herzchenaugen, Schmetterlinge, die totale Knutschsucht, debiles Dauergrinsen und… ich will einfach immer bei ihm sein. Ungefähr so, wie’s dir mit Kim geht.“
Ungefähr, ja. Eigentlich… ich weiß auch nicht, Kim ist süß und ich hab ihn gern, aber… will ich auch immer bei ihm sein und grinse ständig so behämmert verliebt? Mich beschleicht manchmal ein ganz fürchterlicher Verdacht. Warum bin ich, trotz Freund, so anfällig für Flos Flirterei und Leslies Niedlichkeiten?
„Hey, das heißt aber nicht, dass ich dich nicht mehr liebe, okay?“, faselt er weiter, umarmt mich und macht damit alles noch schlimmer.
„Wie lange warst du eigentlich in mich verliebt… nach der Sache auf Noras Dachboden?“
Leslies Arme sinken langsam von meinen Schultern.
„Ein paar Wochen. Und das waren echt heftige Wochen.“
„Warum hast du nie was gesagt?“
Er steckt sich eine Zigarette an und lehnt sich gegen die Fensterbank.
„Was hätte das gebracht? Erstens warst du noch nicht soweit und zweitens… für uns ist Freundschaft eben besser als…“
„Du hast mir einen geblasen“, unterbreche ich ihn.
„Jaaa, das war auch total cool, aber… wieso fällt dir das alles jetzt auf einmal ein?“
„Nur so“, murmle ich.
„Jo-Jo, wenn ich dir sage, dass ich dich liebe, also… du weißt, wie ich das meine, oder?“
„Ja, na klar“, antworte ich schnell.
„Oh, gut“, seufzt er erleichtert, „alles andere wäre auch voll zu kompliziert.“
Ich schleiche in mein Zimmer und fühle mich zum Kotzen. Wieso hab ich bei Kim keine Schmetterlinge? Wieso vermisse ich ihn nicht? Logisch, ich find’s schön, wenn er da ist, aber wenn nicht… bringt es mich nicht unbedingt um. Erwähnte ich nicht gerade den fürchterlichen Verdacht? Ich hab mit Kim ungefähr das, was ich mit Merle hatte. Als ich mit ihr zusammen war, hab ich genauso an andere Jungs gedacht. Vielleicht bin ich einfach immer noch nicht soweit. Soweit, dass ich eine vernünftige Beziehung führen kann. Vielleicht ist Kim aber auch doch nicht der Richtige.
Ich finde es reichlich seltsam, mit meiner Mutter in einem Bäckerladen mit angrenzendem Café zu sitzen und Kaffee zu trinken. Sofort fühle ich mich wieder beobachtet und habe Angst, dass mein Vater von irgendwoher angesprungen kommt, um mich kaputt zu hauen. Bestimmt hat Mom ihm gesagt, dass sie einkaufen geht oder so was. Dass sie sich mit mir trifft, weiß er jedenfalls hundertpro nicht, weil er sie dann nämlich kaputt gehauen hätte. Ich glaube, Mom hat ebenfalls ein bisschen diesen Verfolgungswahn, sie ist nervös, die Kaffeetasse in ihrer Hand zittert leicht. Auf ihre Frage, wie es mir geht, erzähle ich ihr, dass es in der Schule gut läuft und ansonsten auch.
„Es ist schön, dich zu sehen, mein Junge“, behauptet sie und legt ihre zittrige Hand auf meine.
„Ich habe nachgedacht und es ist mir wichtig, dass du weißt, dass ich nichts dagegen habe.“
„Wogegen denn?“
„Nun, es ist ja doch wahrscheinlich so, dass du… also, wenn du mit einem Jungen…“, sie nimmt einen hastigen Verlegenheitsschluck aus ihrer Tasse, „nicht, dass ich es verstehe, du und Merle, ihr habt so gut zusammen gepasst.“
Logisch, wir waren das totale Traumpaar!
„Aber sag mir, Johannes, ich muss das wissen, ist es meine Schuld?“
„Nein“, antworte ich und hab keinen Schimmer, was sie überhaupt von mir will.
„Ich kenne mich in diesen Dingen ja gar nicht aus, aber es muss doch einen Grund dafür geben, dass du… anders bist. Vielleicht habe ich etwas falsch gemacht.“
Also in meinen Augen hat sie bloß eine Sache falsch gemacht. Sie hat sich nicht sofort ihr Kind geschnappt und ist ihrem Ehemann davongelaufen, als der das Kind zum ersten Mal geschlagen hat.
„Hat er dir das eingeredet?“
Dass sie mich nicht ansieht, reicht mir als Antwort völlig.
„Deine lasche Erziehung hat aus ihm eine gottverdammte Schwuchtel gemacht, ja? Einen Arschficker, der am Bahnhof steht und früher oder später an Aids krepieren wird.“
„Johannes!“
„Entschuldige, aber ich kann mir vorstellen, wie er über mich redet.“
„Er redet nicht über dich. Und ich darf dich nicht einmal erwähnen. Seinem Kollegen hat er neulich gesagt, du seiest tot“, platzt es aus ihr heraus.
Wow, damit hab ich nun wirklich nicht gerechnet.
Sie kramt nach einem Taschentuch und putzt sich dezent die Nase.
„Und deshalb sollst du wissen, dass ich versuche, damit zurecht zu kommen, wenn es das ist, was dich glücklich macht. Schließlich… schließlich ist das kein Weltuntergang… und ich bin auch nicht die einzige Mutter, die keine Enkelkinder bekommt.“
„Tut mir leid, dass ich so eine Enttäuschung bin.“
„Nein, Johannes, das ist es nicht. Ich verstehe es nur nicht. Woher so etwas kommt…“
Na, ich hab sofort zugeschlagen, als der Hausierer an der Tür eine Tüte Schwulsein verkauft hat, was sonst?!
„Keine Ahnung, es ist einfach so.“
„Ja“, sagt sie nachdenklich, „und… man kann wohl auch nichts dagegen tun?“
Okay, für sie ist es also doch ein Weltuntergang.
„Mom, ich hab mir das nicht ausgesucht.“
„Nein, natürlich nicht.“
Mein Milchkaffee ist ausgetrunken, was ganz günstig ist, weil’s mir sowieso irgendwie reicht.
„Ich muss los.“
„In Ordnung“, nickt sie. „Also, mach’s gut, mein Junge. Und iss anständig, du bist viel zu dünn, ja? Und lern genug für die Schule.“
„Klar, Mom. Bis dann.“
Als Kim später vorbei kommt, merkt er gleich, dass mich etwas beschäftigt, deswegen teile ich ihm zögernd mit, dass mein Vater behauptet, ich sei tot, und meine Mutter sich Enkelkinder wünscht, die sie, dank meiner Andersartigkeit, niemals kriegen wird.
„Das ist echt heftig, aber deine Mutter hält sich ganz gut, finde ich.“
„Findest du.“
„Na ja, sie spricht wenigstens mit dir darüber. Für meine Stiefmutter existiert dieser Teil von mir überhaupt nicht. Dein Vater ist ein Arschloch, mehr kann man dazu nicht sagen.“
„Ey, und mein bester Freund treibt sich bei seinem beschissenen Tiger rum, wenn ich ihn mal brauche“, rege ich mich auf.
Der Blödmann hat mir tatsächlich bloß auf einem Zettel mitgeteilt, dass er zwei, drei Tage beim Tiger bleibt. Das ist doch ungeheuerlich!!
Kim sieht mich einen Moment lang an, dann steht er plötzlich auf.
„Okay, ich werd mal gehen.“
„Wie? Jetzt?“, frage ich fassungslos.
„Du hast gerade sehr deutlich klar gemacht, dass du Leslie brauchst und nicht mich.“
„Mann“, schnaufe ich genervt, „das war doch nicht so gemeint.“
„Lass mal, es geht gar nicht nur um heute. Er ist immer wichtiger und ich hab keine Lust mehr, bei dir an dritter Stelle zu stehen.“
„Hä?“
„Erst kommt Leslie, dann Flo. Und wenn beide anderweitig beschäftigt sind…“
„Was hat denn Flo damit zu schaffen?“
„Du merkst nicht mal, wie oft du über ihn sprichst, mh?“
Nee, total nicht. Ach du Scheiße!
„Ich hab dich echt gern, Jo-Jo, aber ich kann das nicht mehr. Ich kann nicht hinter dir herlaufen, ohne die Aussicht, dich jemals zu erreichen.“
Was redet der für einen Blödsinn?
„Ich hab das Gefühl, dass du eh nur mit mir zusammen bist, weil Leslie das so will.“
„Wenn du so denkst, solltest du vielleicht tatsächlich gehen.“
Das macht er auch. Und zwar, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Na toll, erst Leslie, dann Kim… bestimmt ruft Flo gleich an, um mir zu sagen, dass er niemals wieder was mit mir zu tun haben will. Für einige Leute bin ich ja eh schon gestorben. He, vielleicht springe ich ein bisschen aus dem Fenster, wenn ich mich geschickt anstelle, breche ich mir dabei das Genick, dann wäre immerhin mein Vater glücklich und zufrieden.
Flo wollte noch was mit mir zu tun haben. Mehr noch, er wollte, dass ich zu ihm komme. Er fand es beschissen von Kim, mich grad jetzt im Stich zu lassen, und Leslie kann er eh nicht leiden. Da ich seine Meinung momentan teile und mich hier nicht das Geringste hält, packe ich ein paar Klamotten ein und mache mich auf den Weg zum Bahnhof.
Während der Zugfahrt überlege ich, dass Kim vermutlich nicht Unrecht hat. Leslie wollte unbedingt, dass Kim mein Freund wird, also wurde er mein Freund. Überhaupt habe ich immer bloß getan, was andere wollten. Erst mein Vater mit seinen ganzen Vereinen und so weiter, dann hat Leslie mir andauernd gesagt, was ich machen soll… es wird langsam Zeit, dass ich mal das mache, was ich will!
„Hey, Jo-Jo“, strahlt Flo, läuft auf mich zu und umarmt mich stürmisch, „cool, dass du endlich da bist.“
„Hallo“, murmle ich in den Stoff seiner Jacke.
„Okay, lass uns bloß schnell nach Hause, mir ist arschkalt.“
Galant nimmt er mir die Tasche ab und trägt sie bis zum Auto, die Tür hält er mir übrigens auch auf.
Kaum stehen wir in seiner Wohnung, fängt er an, mich zu küssen. Ähem… wow, ein wenig schnell ist das schon, finde ich und schiebe ihn weg.
„Kann… ich vielleicht erstmal was Heißes zu trinken haben?“
„Klar“, lächelt er.
Flo serviert Kakao und Kekse und zündet ein paar Kerzen an, weil es draußen bereits dunkel wird. Und weil er offenbar nicht viel zu sagen hat, habe ich sehr viel zu sagen. Ich kaue ihm gefühlte drei Stunden ein Ohr ab. Gestoppt wird mein blödianistischer Mitteilungsdrang eigentlich erst durch sein leises Seufzen.
„Sorry, dass ich dich so zutexte“, entschuldige ich mich peinlich berührt.
„Na ja, es ist nur… deine Leslie-und-Kim-Geschichten sind etwas anstrengend, zumal ich die Typen nicht kenne. Irgendwie dachte ich, du würdest allein kommen.“
Igitt, ich hab’s schon wieder nicht gemerkt, oder was? Oh Gott, das muss mir auch ständig bei Kim passiert sein. Kein Wunder, dass der die Flucht ergriffen hat.
„Das… ähem… das ist nur, weil ich so nervös bin“, versuche ich, die Situation zu retten, „in deiner Gegenwart.“
Flo lacht lauf auf, aber es klingt nicht gemein sondern süß gemeint.
„Soll ich dir ein Stück Leder geben, auf dem du zur Beruhigung rumbeißen kannst?“
„Das macht man, wenn man Schmerzen hat.“
„Ah ja, richtig. Und wenn ich dich, zwecks Entspannung, küsse?“
Meine Güte, gibt’s für den nichts anderes als das?
„Ist es schlimm, wenn wir das verschieben? Ich hatte echt eine beschissene Woche und…“
„Kein Problem“, behauptet er.
Ein Problem war es für Flo wahrscheinlich doch. Als wir nachts im Bett lagen, hat er so zweimal, dreimal versucht, was zu starten, aber mir war total nicht danach. Am späten Nachmittag findet er, dass ich dringend Ablenkung brauche und schlägt einen Herbstkirmes-Besuch vor. Er gibt sich wirklich Mühe, das muss man sagen, allerdings muss man ebenso sagen, dass ich die ganze Zeit heimlich an Kim denke, der mir mal erzählt hat, dass er auf so romantisches Zeug steht… Hand in Hand über die Kirmes oder den Weihnachtsmarkt schlendern, Mandeln und Zuckerwatte essen, Riesenrad fahren, knutschen in der Geisterbahn. Flo hält zwar auch meine Hand und steckt sie sogar zusammen mit seiner in seine Manteltasche, weil mir kalt ist, aber… besonders romantisch fühlt sich das nicht an. Und genau hier, vor dem Stand mit den gebrannten Mandeln, den kandierten Äpfeln und den Lebkuchenherzen, von denen er mir eins schenkt, wird mir klar, dass die Sache mit Flo vorbei ist. Natürlich sieht er immer noch umwerfend gut aus und natürlich war sein Flirten am Telefon aufregend, nur leider ist da jetzt kein bisschen Kribbeln mehr, keine Schmetterlinge und keine Lust, ihn zu küssen. Fuck, und er strengt sich so doll an. Aber es geht nicht. Ich bin nicht mehr verliebt in ihn. Und ich bin nicht an unverbindlichem Sex interessiert, obwohl ich den mit Sicherheit sofort kriegen könnte.
„Jo-Jo, was ist los mit dir?“, fragt er als wir wieder in seiner Wohnung sind.
„Gar nichts. Kannst du mal nachsehen, wann ein Zug fährt? Ich will nach Hause.“
„Warum?“
Weil ich noch eine Nacht mit ihm nicht aushalte.
„Weil… ich nach Hause will.“
„Ich versteh das echt nicht“, schüttelt er den Kopf. „Warum bist du überhaupt hergekommen?“
„Was hast du denn erwartet, was passieren würde?“
„Ich dachte, du wolltest mich sehen, weil du mich vermisst hast“, erklärt er.
„Du wolltest mich rumkriegen, weil’s deinem Ego nicht gepasst hat, dass ich einen anderen hatte.“
„Schwachsinn“, schnauft er.
„Ach ja? Und warum hast du erst wieder angefangen, dich für mich zu interessieren, als ich mit Kim zusammen war? Bestimmt nicht, weil du gemerkt hast, dass du doch in mich verliebt bist.“
Mann, es ist mir selbst unheimlich, wie klar ich das auf einmal alles sehe. Echt, als hätte jemand einen Schalter in meinem Kopf umgelegt. Haha, Leslie wäre stolz auf mich, weil ich das ganz allein und ohne ihn geschafft habe. Obwohl er selbstverständlich von Anfang an gewusst hat, wie Flo tickt.
„Okay, du hast mich durchschaut“, gibt er zu. „Jetzt darfst du dich darüber auslassen, was für ein ekelhafter, oberflächlicher Drecksack ich bin.“
„Nee, das macht mir jetzt nichts mehr aus“, lächle ich.
„Glaubst du mir wenigstens, dass ich dich trotzdem irgendwie gern hab?“
Ich nicke. „Aber das reicht eben nicht.“
Eine Stunde später bringt Flo mich zum Zug.
„Hey, darf ich dich ab und zu mal anrufen? Einfach so, um zu hören, wie’s dir geht?“
„Logisch. Aber nicht zu oft, okay?“, sage ich, umarme ihn kurz und steige ein.
In Leslies Wohnung wartet gleich der nächste Kerl auf mich.
„Wo bist du verdammt noch mal gewesen?“, schnauzt er mich ohne Umschweife an.
„Bei Flo“, antworte ich müde.
„Ach du Scheiße, bist du völlig durchgedreht? Weiß Kim davon?“
„Kim hat Schluss gemacht.“
„Wieso das denn?“, kreischt er geschockt.
„Er hatte seine Gründe.“
„Ja, zum Beispiel, dass du’s heimlich mit dem Superficker treibst.“
„Ich hab keinen Bock, mit dir darüber zu reden, Leslie. Gerade mit dir nicht.“
„Was soll’n das heißen?“
„Überleg mal, mit wem du es alles heimlich getrieben hast. Also spar dir deinen vorwurfsvollen Ton doch einfach.“
„Du machst alles kaputt. Ist dir das klar?“
„Kristallklar. Gute Nacht“, wünsche ich und verschwinde in mein Zimmer.
Ich finde es immer noch eigenartig, dass auf einmal alle Gefühle für Flo weg sind. Wenn ich überlege, wie verschossen ich in ihn war, und dass ich vor Nervosität kaum einen gescheiten Satz zustande gebracht habe. Mann, Liebe ist schon eine komische Sache, oder?! Ob es Leslie bei Jule ähnlich ging, als der Tiger auf der Bildfläche erschien? Ich kann ihn leider nicht fragen, weil ich im Augenblick nicht mit ihm rede. Ich bin viel zu sauer auf den Schwachkopf. Logisch kann er nicht wissen, dass ich ein schlimmes Gespräch mit meiner Mutter hatte, aber er hätte wissen können, dass ich es nicht mit irgendwem treibe, solange ich noch mit wem anders zusammen bin. Denkt der vielleicht, ich wollte in seine beschissenen Fußstapfen treten? Echt, dass der mir so was zutraut, ist eine Frechheit. Ich hätte Kim niemals betrügen können, selbst als Flo am Telefon… na ja, er hat sich mal einen runtergeholt und ich hab ihn zwar machen lassen, allerdings nicht mitgemacht. Ehrlich gesagt, war mir die ganze Angelegenheit eh voll peinlich und ich hab bei anschließenden Telefonaten sehr drauf geachtet, dass es nicht noch mal soweit geht.
„Ich hab die Meisenkugel jetzt ans Fenster gehängt“, faselt Leslie, der eben ungefragt mein Zimmer betrat, „die Vögelchen mögen es, glaub ich, etwas geschützt haben, wenn die essen.“
„Super. Wieso kaufst du kein Vogelhäuschen?“
„Bin ich noch gar nicht drauf gekommen“, zuckt er die Schultern. „Können wir uns unterhalten?“
„Machen wir doch gerade.“
„Ich meine richtig.“
„Meinetwegen“, nicke ich.
„Cool“, strahlt er und wirft sich zu mir aufs Bett. Und als er das tut, weht mich eine Alkoholfahne an… mein lieber Schwan!
„Musstest du dir für die Aktion Mut antrinken?“
„Ein bisschen. Ich ertrag es halt nicht, wenn wir streiten.“
„Dann gib mir wenigstens was ab, ich mag es auch nicht zu streiten.“
Leslie verschwindet kurz und kommt mit einer Flasche Wein zurück… und mit etwas, das er hinter seinem Rücken versteckt. Möglicherweise will er an mein Fenster auch noch eine Meisenkugel hängen. Nein, es ist… du großer Gott, ist das kitschig und süß… ein Schoko-Adventskalender mit Weihnachtsmann-sitzt-vor-Tannenbaum-und-liest-Wunschzettel-Motiv.
„Sind wir dafür nicht etwas zu alt?“
„Auf jeden Fall“, nickt er. „Na und?“
Ich öffne das erste Türchen, überlasse Leslie die Schokolade und trinke lieber den Wein.
„Als Kind hab ich immer sofort alles leer gefressen und dann so getan, als wäre nichts drin gewesen“, giggelt er.
Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind auch mal so was hatte… bis mein Vater so’n Firlefanz dann zu weibisch fand. Und meine Mutter durfte immer nur ganz wenig weihnachtlich dekorieren, weil mein Vater sowieso alles abscheulich fand. Ein Wunder, dass er einen geschmückten Baum erlaubte. Leslies Eltern dagegen sind die totalen Weihnachtsfreaks, vielleicht nicht gar so sehr wie beispielsweise der King in Graceland… aber fast.
„Also was ist jetzt mit Kim und dem Superficker?“, will Leslie wissen.
Ich berichte ihm jedoch zuerst vom Gespräch mit meiner Mutter.
„Wieso kümmert es dich noch, was das Arschloch über dich denkt und sagt?“
„Weil er mein Vater ist?“, schlage ich vor.
„Der hat sich aber nie so verhalten. Jo-Jo, vergiss den Bastard endlich.“
Ja, sicher, das ist ja auch so einfach!
„Und wenn deine Mutter nicht mit ihrem schwulen Sohn zurecht kommt, soll sie sich verdammt noch mal irgendwo Hilfe suchen, damit sie’s versteht.“
„Ich werd’s ihr beim nächsten Mal ausrichten. Wie kommst du eigentlich inzwischen damit zurecht, jeden Tag schwul zu sein?“, frage ich beiläufig.
Leslie knibbelt am zweiten Kalendertürchen herum, weshalb ich ihm den Kalender wegnehme.
„Na ja, der Tiger hat gesagt, ich soll mich nicht so anstellen.“
„Und was hat Jule gesagt?“
„Lauter unschöne Dinge. Ich wollte unbedingt ehrlich zu ihr sein, deshalb hab ich ihr wirklich alles erzählt und… da wurde sie dann noch lauter. Ich schätze, ich habe ihren Hass verdient.“
„Du hast ihr gesagt, dass wir beide…“
„Ist das echt das Wichtigste für dich?“, unterbricht er mich.
„Für dich war es ja wohl total unwichtig.“
„Jo-Jo, ich…“
„Glotz mich nicht so verzweifelt und mitleidig an“, unterbreche ich ihn, „ich hab vielleicht eine Zeit lang gedacht, ich wär verliebt in dich.“
„Das hatte ich befürchtet“, seufzt er.
„Bist du deswegen abgehauen?“
„Irgendwie schon.“
„Keine Sorge, es ist nicht so.“
„Nee?“
„Nee. Definitiv nicht.“
„Cool. Der Tiger steht nämlich absolut nicht auf Dreierbeziehungen. Und vom Tiger werd ich mich nie, niemals, trennen.“
„Das dachtest du bei deinen Freundinnen, bei Jule, auch. Wie kannst du dir plötzlich so sicher sein, dass es beim Tiger anders wird?“
„Das nennt man Liebe“, erklärt er.
„Jule ist die Frau meines Lebens… das waren ungefähr deine Worte.“
„Wäre sie auch immer noch, wenn mir nicht der süßeste Junge der Welt übern Weg gelaufen wäre.“
„Flo war der totale Reinfall… von Anfang an.“
„Was für eine Überraschung“, verdreht er die Augen.
„Jetzt müsstest du mir eigentlich sagen, dass Kim der Richtige für mich ist.“
„Ich werde den Teufel tun. Jo-Jo, du bist langsam alt genug, dass du selbst entscheiden kannst, was das Richtige für dich ist.“
„Danke, Papa“, grinse ich schief.
Es gibt wahrscheinlich verschiedene Theorien, weshalb ich Kim wie einen Gegenstand gesehen habe, der halt einfach da war. Weshalb ich nicht schätzen konnte, was ich mit ihm hatte, sondern mich lieber in Pseudo-Verliebtheiten geflüchtet habe. Ich denke da echt viel drüber nach und suche den Augenblick, in dem ich alles den Bach hab runtergehen lassen. Vielleicht hat es tatsächlich mit meinem Vater zu tun, vor dem ich immer noch Angst habe. Vielleicht ist das sogar der einzige Grund, denn tief in mir drin wusste ich die ganze Zeit, dass ich weder bei Leslie noch bei Flo jemals die Chance auf eine Beziehung hatte. Jedenfalls finde ich, dass Kim eine Erklärung und vor allem eine Entschuldigung verdient hat. Und da man bekanntlich unangenehme Dinge nicht aufschieben soll, gehe ich gleich zu ihm.
Auf dem Weg zu seiner WG lege ich mir ein paar Worte und Sätze zurecht… schadet ja nicht, ein bisschen vorbereitet zu sein. Leider hab ich spontan alles vergessen, als er die Tür öffnet. Das hat mehrere Gründe. Erstmal liegt es an seinem genervten Blick und der Frage: „Scheiße, was willst du denn hier?“ Auf der anderen Seite ist da der hübsche, rotschwarz-geringelte Strickpullover, den er trägt und der ihm leicht über die linke Schulter fällt. Die enge, schwarze Jeans und der silberne Gürtel, der lässig auf seinen Hüften sitzt, sorgen bei mir auch nicht unbedingt für einen klaren Verstand. Kims Lippen schimmern feucht und der Drang, ihn zu küssen, war bestimmt noch nie so stark. Oh, du meine Güte, es war vielleicht doch keine so gute Idee, hierher zu kommen. In meinem Schädel summt und brummt es, als würde eine dicke Hummel darin herumfliegen.
„Hast du mich genug angestarrt? Dann kannst du wieder gehen, ich hab nämlich…“
„Darf ich kurz mit dir reden?“, frage ich hastig.
„Eigentlich nicht. Ich meine, was gibt’s denn noch zu reden?“
„Bitte, Kim.“
„In Ordnung“, nickt er und nimmt mich mit in sein Zimmer.
Auch keine gute Idee. Hier riecht es total nach ihm, was meinen armen Verstand noch mehr benebelt. Da er sich auf den Schreibtischstuhl setzt, bleibt für mich nur sein Bett. Mhhhh… sein Bett, in dem er jede Nacht schläft… okay, Jo-Jo, reiß dich zusammen!
„Ich…“, beginne ich und muss mich räuspern, weil meine Kehle grad knüppeltrocken ist, „es tut mir leid, wie das alles gelaufen ist. Wirklich, ich wollte nicht… also, ich…“
„Jo-Jo, es ist nicht nötig, dass du dich entschuldigst“, unterbricht er zum Glück mein peinliches Gestammel.
„Äh… nicht?“
„Nein. Es ist viel nötiger, dass du gehst und mich in Ruhe lässt. Ehrlich, dann kommen wir künftig prima miteinander aus.“
„Ich will dich aber nicht in Ruhe lassen“, sage ich bestimmt, weil ich plötzlich wieder ganz genau weiß, wer der Richtige ist. Ich spüre es einfach. „Ich… will dich zurück haben.
Können wir nicht einfach vergessen, was passiert ist, und…“
„Was? Wieder zusammen sein? Ich sitze dann wieder neben dir und warte darauf, dass du irgendwas Nettes sagst oder tust, während du aber bloß pausenlos von anderen Jungs schwärmst?“
„Mann, das war doch nur, weil… ich total verpeilt war. Von Flo hab ich mich längst verabschiedet und Leslie…“
„Der hat jetzt seinen Tiger, den er liebt, mh?“
„Ja, aber deshalb bin ich doch nicht hier.“
Kim steht auf und öffnet die Tür.
„Okay, du hast dich entschuldigt, ich nehme die Entschuldigung an… mach’s gut.“
Bedröppelt erhebe ich mich vom Bett und schlurfe zur Tür.
„Das war’s? Ich hab einen Fehler gemacht und du gibst mir keine zweite Chance?“
„Tja, das Leben ist eine Drecksau“, entgegnet er schulterzuckend.
„Wohl eher der Typ, der behauptet hat, so viel Geduld zu haben“, murmle ich.
„Selbst der stärkste Geduldsfaden reißt irgendwann.“
„Dann steck dir deinen gerissenen Geduldsfaden doch am besten in den Arsch“, brülle ich aus Versehen.
„Du hast Grund, mich anzuschreien, ja?“, wird Kim nun ebenfalls laut. „Rennst, nachdem wir Sex hatten, erstmal zu deinem heiß geliebten Leslie, um die Sache mit ihm zu bequatschen, anstatt mir, deinem Freund, zu erklären, was los ist.“
„Ich war durcheinander“, verteidige ich mich, „das hab ich dir erklärt. Immerhin war es das erste Mal… mit einem Jungen. Tut mir leid, dass du dafür kein Verständnis hast.“
„Okay, ich hab echt genug. Ich will dich nicht mehr, Jo-Jo, was ist daran so schwer zu verstehen?“
„Gar nichts“, wispere ich und schleiche wie ein geprügelter Hund nach Hause.
Nora hat mal behauptet, dass man manchmal erst hinterher merkt, wie schön etwas war. Ich kann jetzt behaupten, dass man das manchmal sogar erst merkt, wenn es zu spät ist. Seit Tagen hocke ich in meinem Zimmer, höre Death In June und vermisse Kim so sehr, dass ich’s kaum aushalte. Und ich erinnere mich… daran, dass mein gesamter Körper kribbelte, als ich ihn zum ersten Mal bei Nora im Gartenhaus gesehen habe… und daran, wie er auf Leslies Bett meine Hand gehalten hat und ich ihn eigentlich küssen wollte… wie er mich in Merles Zimmer tatsächlich geküsst hat… wie unglaublich rührend er sich nach Papas Prügelattacke um mich gekümmert hat… wie gut er riecht… und wie gut er küsst.
„Ey, Grufti“, krakeelt Leslie und bollert ungefragt ins Zimmer.
„Verschwinde“, fordere ich genervt.
„Ich denk nicht dran“, entgegnet er, stellt die Musik aus, öffnet das Fenster und hopst anschließend zu mir aufs Bett.
„Das ist zu kalt.“
„Das ist frische Luft“, sagt er. „Und die ist so was von nötig. Also, warum machst du hier auf depri?“
Ich erzähle ihm kurz, was sich mit Kim zugetragen hat.
„Verstehe“, nickt er. „Wieso hast du gedacht, dass es so einfach ist?“
„Hä?“
„Du entschuldigst dich und er fällt dir sofort in die Arme?“
„Nein, aber…“
„Wenn du ihn willst, dann gib dir gefälligst ein bisschen Mühe.“
„Es ist vorbei, Leslie. Er hat es gesagt.“
„Blödsinn“, schüttelt er den Kopf. „Er ist bloß sauer und verletzt.“
„Und das weißt du so genau, ja?“
„Ich kenne mich eben aus mit Jungs.“
„Sieh es ein… ich hab’s vermasselt. Vollkommen und total“, murmle ich weinerlich.
„Selbstmitleid bringt dir nicht das Geringste, Kleiner. Krieg deinen Arsch hoch!“
„Wie denn? Ich meine…“
„Überleg einfach mal, wie er dich rumgekriegt hat.“
„Soll ich jemanden anheuern, der ihn verprügelt, und mich dann um ihn kümmern, oder was?“
„Nee. Ich sag nur… Erfolg durch Penetranz“, grinst er, wuschelt meine Haare und verlässt das Zimmer.
Mann, der hat doch was geraucht!
Oder…
Ich angle nach dem Telefon und rufe Nora an. Au je, die ist angepisst, und ich hatte keine Ahnung, dass sie offenbar so was wie Kims Vertraute ist, jedenfalls weiß sie über alles Bescheid. Es dauert gefühlt ewig, bis sie einwilligt, mir einen kleinen Gefallen zu tun.
Am nächsten Tag begebe ich mich mit Magenschmerzen und zittrigen Beinen zum hiesigen Weihnachtsmarkt. Ich hoffe, Nora hat es sich über Nacht nicht noch anders überlegt, und dass sie Kim überreden konnte. Des weiteren hoffe ich, die beiden in der Menschenmenge überhaupt zu finden. Meine Güte, in der Weihnachtszeit kriechen echt alle aus ihren Löchern, um völlig überteuerten Gewürzfusel zu saufen. Die Glühweinstände sind belagert bis zum Gehtnichtmehr! Kim mag keinen Glühwein, der liebt Zimtkakao (und Zimtsterne und überhaupt alles mit Zimt), den es hier leider nicht gibt. Bei mir zu Hause schon, aber so weit sind wir noch nicht. Wie gesagt… erstmal muss ich die beiden finden und es wie Zufall aussehen lassen. Deshalb kaufe ich eine Tüte gebrannte Mandeln und schlendere so unauffällig wie möglich an den Buden vorbei.
„Jo-Jo… was… äh… was machst du denn hier?“
Aus der wird keine gute Schauspielerin, das ist mal sicher!
Kims Miene vereist. Nora lächelt hilflos.
„Hallo“, grüße ich und fächel mir gedanklich Luft zu, weil Kim so unglaublich hübsch aussieht… also jedenfalls wenn man seinen finsteren Gesichtsausdruck abzieht.
„Okay, wessen Idee war das hier?“, fragt er.
„Meine nicht“, antwortet Nora sofort.
„Hey, ihr“, ruft plötzlich jemand. Und zwar Merle.
Was hat’n die hier verloren?
„Oh, Gott sei dank“, seufzt Nora und hakt sich bei ihrer offenbar neuen besten Freundin ein. „Ich dachte, es sei weniger auffällig, wenn wir zu mehreren… du verstehst?“, wispert sie mir ins Ohr.
„Ihr seid doch alle geisteskrank“, zischt Kim. „Ich hau jetzt ab.“
Eilig greife ich nach seiner Hand, woraufhin er mich ein bisschen fassungslos anstarrt.
„Und was soll das jetzt? Hab ich mich letztens so undeutlich…“
„Mandel?“, frage ich und lasse seine Hand los, um ihm eine gebrannte Mandel in den Mund zu stecken.
„Das ändert gar nichts“, behauptet er und versucht, nicht zu lächeln.
„Und du wirst mich nicht so einfach los. Ich hab nämlich auch einen langen Geduldsfaden“, erkläre ich und schiebe meine Hand wieder in seine.
„Auf zum Glühwein“, trompetet Merle fröhlich.
„Auf gar keinen Fall“, widersprechen Kim und ich gleichzeitig.
„Wir schon“, stimmt Nora ihrer Freundin zu. „Ihr könnt ja woanders hingehen.“
„Ich wette, das war Leslies Schwachsinnsidee“, bemerkt Kim. „Würde zu ihm passen.“
„Ja, war’s aber nicht.“
„Auch egal. Ich hab jedenfalls keine Lust, mit meinem Ex hier auf romantisch zu machen.“
„Toll, dann geh doch!“
„Ich kann nicht. Du hältst meine Hand fest.“
„Und weil ich meine mit Sekundenkleber eingeschmiert habe, kommst du nicht von mir los?“
Verdammt, das hätte ich nicht sagen sollen, denn Kim befreit augenblicklich seine Flosse aus meinem Griff.
„Du gehst jetzt nicht wirklich, oder?“
Na, lieber nichts riskieren. Ich schnappe mir erneut seine Hand und laufe mit ihm an den weihnachtlich geschmückten Ständen vorbei. Sein Blick ist natürlich eine Mischung aus „Der Typ ist doch nicht ganz dicht“ und „Ich verschwinde bei nächster Gelegenheit“, aber die Schmetterlinge, die grad in meinem Bauch umherflattern, reichen für uns beide.
„Magst du einen Fruchtspieß haben? Oder Zuckerwatte?“
Kim schnauft bloß in seinen Schal. Also nicht. Na ja, man muss mit dem zufrieden sein, was man hat, oder? Wenigstens ist er noch hier. Und außerdem… meine romantische Stimmung reicht ebenfalls getrost für uns beide. Vielleicht überträgt sie sich ja auf ihn. Ich meine, es wird langsam dunkel, überall glitzern bunte Lichter, es riecht nach Mandeln und Zimt, aus den Buden dudelt Weihnachtsmusik… wer dabei miesepetrig bleibt, ist doch ein Holzklotz!
Kim ist zum Glück keiner, sein Gesicht entspannt sich, sein Blick wird weicher. Allerdings nur bis wir am altmodischen Kinderkarussell stehen bleiben.
„Ich hasse Karussellpferde“, bemerkt er angewidert. „Die sind mindestens genauso schlimm wie Marionetten und Bauchrednerpuppen.“
Die Gören, die auf den Pferdchen sitzen, scheinen gänzlich anderer Meinung zu sein, die amüsieren sich prächtig. Ich dagegen finde die Pferdevisagen auch eher albtraumartig.
„Was machst du eigentlich Heilig Abend?“, frage ich.
„Meiner Stiefmutter auf den Sack gehen, die lieber mit meinem Vater allein wäre.“
„Mein Vater würde mich wahrscheinlich am Fest der Liebe spontan totschlagen, wenn ich bei ihm aufkreuzen würde.“
„Scheiß auf Familie“, zischt er, sieht mich an und drückt ganz leicht meine Hand.
Wow, jetzt wäre eigentlich der perfekte Moment… für einen Kuss. Aber ich traue mich nicht und er will wohl nicht. Der perfekte Moment verstreicht ungenutzt, wir gehen weiter. Und treffen Nora und Merle am Glühweinstand. Die zwei wirken ein bisschen angeschickert.
„Mir ist kalt, ich hau jetzt ab“, erklärt Kim, lässt meine Hand los und verabschiedet sich von den Mädels. Von mir nicht. Ich schätze, ich muss schwerere Geschütze auffahren, um ihn zurück zu gewinnen!
Günstigerweise ist einen Tag später der Tiger bei Leslie. Billy Idol ist nicht zu hören, das heißt, die dürften noch angezogen sein. Puh, ich möchte nicht noch mal in eine halbnackte Sexszene platzen und klopfe vorsichtshalber sehr laut an die Tür.
„Mann, willst du die scheiß Tür eintreten?“, ertönt Leslies Stimme von der anderen Seite, gleich darauf öffnet er. Seine Haare sind verstrubbelt und sein Shirt hängt auf halb acht. „Was’n?“
„Äh… ich müsste kurz… was mit… äh… Martin…“
Ich kann ihn ja schlecht Tiger nennen, wenn er dabei ist.
„Was… äh… müsstest du denn kurz… äh…mit Martin…“, grinst Leslie. „Ich müsste nämlich… äh… auch noch was mit ihm. Aber kurz wird das bestimmt nicht.“
Ja, toll, dass er andauernd mit seinem Sexleben hausieren geht.
„Was gibt’s?“, fragt Martin.
Hab ich ungefähr drei Sekunden lang vergessen… meine Güte, der Knutschfleck an seinem Hals ist gigantisch.
„Ähem… kannst du Zimtsterne?“
„Klar.“
„Ich bräuchte ein Rezept oder so was.“
„Kein Problem. Ich hab ein super einfaches.“
„Er will für sein Herzblatt süßes Naschwerk backen“, behauptet Leslie blöde. „Oh, das ist ja putzig.“
„Halt doch einfach die Klappe“, schlage ich vor.
„Liebe geht durch den Magen, mh?“, grinst er immer noch und knufft mir in die Seite.
„Halt die Klappe, Schätzchen“, entgegnet der Tiger. „Wie sieht’s aus? Soll ich dir helfen?“
„Ja, bitte“, seufze ich dankbar.
Leslies Grinsen stirbt.
„Jetzt? Wir wollten doch…“
„Ficken?“, unterbreche ich ihn genervt. „Du wirst wohl mal drei Sekunden ohne Sexualität auskommen. Wer bist du? Präsident Kennedy? Kriegst du Kopfschmerzen, wenn sich nicht rund um die Uhr jemand mit deinem Schwanz beschäftigt?“, rede ich mich völlig in Rage.
„Versteht du, warum ich ihn liebe?“, fragt er seinen Tiger. „Er ist einfach zu süß.“
ARGH!!!
„Okay, okay, backen wir Zimtsterne für Kim. Obwohl, ich persönlich finde das irgendwie oberschwul.“
„Du bist auch gar nicht dazu eingeladen“, erklärt Martin.
„Ha, ich lass euch zwei doch nicht allein in meiner Küche mit Mehl herumwerfen.“
„Zimtsterne werden ohne Mehl gemacht. Aber du könntest einkaufen gehen“, lächelt er.
„Ja sicher, schickt den Trottel doch einfach weg“, schmollt Leslie.
Unglaublicherweise geht er tatsächlich einkaufen. Der Tiger scheint ihn ziemlich gut im Griff zu haben. Und Leslie scheint ziemlich verliebt zu sein, sonst würde der sich im Leben nicht herumkommandieren lassen.
So, die Zimtsterne waren vom Rezept her wirklich einfach. Aber… man ist da echt zwei Tage beschäftigt. Erst muss man die Zucker-Eischnee-Mandel-Zimt-Pampe ausrollen, danach hunderttausend Sterne ausstechen und die auch noch einzeln mit Eischnee bestreichen, dann müssen die über Nacht „trocknen“, bevor sie kurz gebacken werden. Ich erwarte, dass Kim mir mindestens um den Hals fällt. Und wenn ich bedenke, dass Leslie den Tiger fast vor meinen Augen in der Küche flachgelegt hätte… erwarte ich sogar einen Heiratsantrag!
Als ich mit meiner Keksdose vor Kims Tür stehe, sieht es nicht so aus, als würde er mich spontan heiraten wollen.
„Hast du dir vorgenommen, mir jeden zweiten Tag auf den Sack zu gehen?“
„Nein, ich hab dir Zimtsterne gebacken.“
Kim wirkt ein bisschen aus dem Konzept gebracht.
„Wie bitte?“
Ich mache den Deckel auf. Der Keksdose entströmt ein fast schon penetranter Geruch nach Zimt.
„Und jetzt hab ich dich wieder lieb, oder was?“, fragt er, während er einen Stern verspeist.
„Mann, ich weiß doch auch nicht“, seufze ich. „Du… fehlst mir einfach in jeder beschissenen Sekunde.“
„Ich rieche Kekse!“, behauptet eine Stimme. Gleich darauf erscheint ein Kerl im dreckigen Blaumann, schnappt sich ein paar Zimtsterne und verschwindet wieder ins Innere der Wohnung.
„Das ist Sven. Er ist so’ne Art autoschraubendes Krümelmonster. Komm schon rein!“
Wir begeben uns in sein warmes Zimmer, wo er mir heißen Zimtkakao serviert, wofür ich sehr dankbar bin, weil es draußen inzwischen echt arschkalt ist. Außerdem schöpfe ich Hoffnung… er hätte mich ja auch gleich wieder wegschicken können.
„Ich… ähem… würde dir gerne noch ein paar Dinge erklären“, beginne ich und nippe nervös an meinem Getränk.
„Okay.“
Haha, Pulver verschossen. Ich hab keine verdammte Ahnung, was ich ihm sagen könnte. Außer vielleicht, dass ich bis zur Halskrause in ihn verschossen bin und ihn dringend küssen möchte, aber das wird ihn wohl kaum begeistern.
„Warum kannst du mir nicht verzeihen? Ich hab mich doch nicht extra so gedankenlos benommen.“
„Jo-Jo…“
„Ernsthaft. Ich hatte einfach nur Angst davor, mit dir zusammen zu sein. Da macht man halt blöde Sachen, die einem sonst im Traum nicht einfallen würden.“
„Das verstehe ich. Darum geht es auch gar nicht.“
„Worum dann?“
„Ich hatte irgendwie nie das Gefühl, dass du mit mir zusammen sein willst. Doch, vielleicht mal kurz, als du verbeult im Bett gelegen hast. Aber danach…“
„Danach hatte ich immer noch Angst. Vor meinem Vater, davor, schwul zu sein. Ich musste mir jahrelang anhören, dass Schwule ekelhaft und pervers sind, dass solche Typen keine Daseinsberechtigung haben, dass sich solche Typen an kleinen Jungs vergreifen. Mann, er hat mich verprügelt, als er rausgefunden hat, dass ich auch so einer bin.“
„Wie gesagt, ich verstehe das. Und es tut mir auch leid, was du durchgemacht hast. Trotzdem, du hast mich nur genommen, weil ich verfügbar war und weil Leslie es so wollte.“
„Das stimmt doch nicht“, schüttle ich den Kopf.
„So hat es sich aber angefühlt. Und jetzt liebst du mich auf einmal?“
„Nicht auf einmal. Die ganze Zeit, ich hatte es nur zwischendurch irgendwie… vergessen.“
„Das ist mir alles eine Spur zu verkorkst. Und zu anstrengend. Immer nicht genau zu wissen, ob es dir wirklich um mich geht. Oder ob du nur mal wieder vergisst, dass du in mich verliebt bist. Ich kann das nicht, Jo-Jo.“
Mein Hoffnungspegel ist hiermit auf Minus Hundert gesunken. Es ist zu spät. Ich hab’s vermasselt.
„Dann… gehe ich wohl jetzt besser“, murmle ich.
Meine Laune ist nicht grad die beste. Das erste Weihnachten allein steht praktisch vor der Tür, ich muss die Kim-Sehnsucht zwanghaft niederknüppeln, weil ich sonst durchdrehen würde, und ich darf nicht missgünstig sein, weil Leslie mit seinem Tiger super glücklich ist. Bestimmt hat Kim recht. Es ist alles zu verkorkst, war es schon von Anfang an. Da ist es vernünftig, einen Schlussstrich zu ziehen. Woah… aber Herz und Verstand gehen diesbezüglich sehr getrennte Wege. Und dieser ganze Weihnachtsklimbim gibt mir fast den Rest. Natürlich muss hier in der Wohnung ein geschmückter Baum stehen, natürlich haben Leslie und der Tiger schön romantisch zusammen geschmückt, während ich nur fünf Minuten ausgehalten habe, dabei zuzuschauen. Und natürlich hat Leslie gesagt, dass ich Heilig Abend mit ihm bei seinen Eltern verbringen soll. Aber das geht echt nicht. Ich würde mich unwohl fühlen und hätte deswegen ein schlechtes Gewissen, da bleibe ich lieber hier oben und gehe früh schlafen. Ist ja nicht so, als würde ich irgendwas verpassen. Was soll’s?! Es gibt so viele Leute auf der Welt, die kein schönes Weihnachtsfest erleben, weil sie allein sind oder nicht mal genug zu essen haben, kein Dach überm Kopf… mir geht es nicht wirklich schlecht! Meine Mutter ist mit einem Ekelpaket von Ehemann gestraft und Kim mit einer doofen Stiefmutter. Kim… sofort setzt sich wieder dieser dicke Klops in meinem Hals fest, der verhindert, dass ich in Tränen ausbreche, was aber leider noch viel mehr weh tut. Wenn er Heilig Abend hier wäre… mmhhh… ich würde ihn in den Arm nehmen und stundenlang aufs Heftigste bekuscheln, wir würden uns „Ist das leben nicht schön?“ anschauen, Süßigkeiten naschen und draußen würde es schneien.
„Willst du wirklich nicht mitkommen?“, fragt Leslie, der wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Wohnung läuft und sich zwischendurch hundertmal im Spiegel ankuckt.
Es ist fast schon niedlich, wie nervös er ist, denn er muss heute die Freunde vom Tiger kennen lernen, die jedes Jahr einen Tag vor Heilig Abend eine Weihnachtsparty veranstalten.
„Nein, danke.“
„Ich mache aber bestimmt einen besseren Eindruck, wenn du dabei bist.“
„Vor allem, wenn seine Freunde wissen, dass wir beide mal was miteinander hatten.“
„Na und? Der Tiger hat vor mir auch nicht unbedingt total enthaltsam gelebt.“
„Mir ist nicht nach Party mit fremden Leuten.“
„Okay“, nickt er. „Ich bleib dann beim Tiger. Wir sehen uns morgen.“
Leslie ist grad mal zwei Minuten weg, da fühle ich mich bereits völlig vereinsamt. Wow, das kann ja heiter werden! Erstmal Zimtkakao kochen. Oder, nee, das erinnert mich viel zu sehr an Kim. Also doch lieber blöden Früchtetee. Mit einer Decke mache ich es mir auf der Couch bequem, zappe gelangweilt durch das miese Fernsehprogramm, und überlege, dass es möglicherweise doch besser gewesen wäre, mit auf die Party zu gehen. Da hätte man wenigstens Ablenkung. Haha, Ablenkung mit Leslie, der permanent seinen Tiger knutscht, tolle Idee!
Gegen halb zehn klingelt es, aber ich beschließe einfach, dass ich nicht da bin. Wer immer das auch ist, er wird schon wieder abhauen. Leider klingelt dieser unverschämte Mensch Sturm. Oh Gott, ich bekomme fieses Herzklopfen. Was, wenn mein Vater vor der Tür steht, um mich endgültig fertig zu machen? Aber der hat keine Ahnung, wo Leslie wohnt. Der kennt nicht mal seinen Nachnamen. Aber vielleicht hat meine Mutter sich verquatscht? Mit zittrigen Schlabberbeinen und dem Telefon in der Hand gehe ich zur Tür. Sollte er es sein, kann ich sofort die Polizei rufen! Langsam drücke ich auf den Türöffner und warte angespannt. Im Treppenhaus geht das Licht an, dann höre ich Schritte und sehe… schwarze Strubbelhaare.
Äh…? Was zum Teufel will denn der hier??
„Ha… hallo“, grüße ich völlig entgeistert.
Kim bleibt vor mir stehen und kramt etwas aus seiner Tasche.
„Okay, also… ich hab ’Langer Samstag’ für heute und ’Ist das Leben nicht schön?’ für morgen“, erklärt er und hält zwei DVDs hoch.
Ich begreife gar nichts mehr, schaffe es aber immerhin, ihn rein zu bitten. Seine Nase und seine Wangen sind ganz rot, fällt mir auf, während er seinen kilometerlangen Schal abnimmt und seine Jacke auszieht. Mmhhh… er trägt wieder den rotschwarz-geringelten Wollpulli. Wenn sich mein Hirn nicht längst verabschiedet hätte, wäre jetzt der Zeitpunkt da.
„Kim, ich… verstehe das nicht“, sage ich, wobei sich meine Stimme blödianistisch kieksig anhört.
„Na, das ist ja mal was Neues“, seufzt er. „Ich hab nachgedacht, also wenn du morgen nichts weiter vorhast und ich keinen Bock auf meine Stiefmutter habe, können wir doch einfach zusammen Heilig Abend feiern.“
Hä? Mein Gesichtsausdruck muss wohl irgendwo zwischen bescheuert und belämmert rangieren, denn Kim schüttelt mitleidig lächelnd den Kopf.
„Du denkst doch nicht, dass ich nur hier bin, weil ich keinen Bock auf meine Stiefmutter habe? Jo-Jo…“
Soll das heißen… was soll denn das heißen?
„Nein… ähem, ich meine… nein“, entgegne ich hilflos.
Kim mustert mich sekundenlang, dann lächelt er schon wieder so mitleidig.
„Okay, Zeit für Campino als Nikolaus, mh?“
Ich stehe dermaßen neben mir, dass ich die DVD einlege und mich mit Kim auf die Couch setze. Besser gesagt, Kim kuschelt sich bequem in meine Decke, während ich dämlich in der Ecke hocke und mich nicht traue, ihn anzusehen, weil er so dermaßen hübsch ist, dass ich Probleme beim Atmen kriege. Das verschlimmert sich, als er seinen Pullover auszieht und das T-Shirt darunter nicht gerade viel verdeckt.
„Du hast ’ne Gänsehaut“, japse ich.
„Mir ist kalt“, erklärt er.
„Warum hast du dann… deinen… Pullover…“ Meine Stimme wird immer leiser und Kim verdreht die Augen. Ich weiß, warum, bin ja nicht total bescheuert, es ist bloß etwas schwierig zu glauben. Langsam krieche ich zu ihm unter die Decke und schlinge meine Arme um ihn.
„Du hast manchmal eine elendig lange Leitung“, schnurrt er, als ich seinen weichen Nacken kraule. „Und damit wir uns richtig verstehen… auch wenn ich die beiden Filme liebe, sie waren ein Vorwand. Alles klar?“
„Vorwand. Alles klar“, fasele ich beinahe weggetreten, öffne seinen Gürtel und die Knöpfe seiner Jeans.
„Genau“, sagt er und zieht mir das Shirt aus.
„Weil…“, beginne ich.
„Ja“, wispert er, greift nach meiner Hand und schiebt sie in seine Hose.
Ach du meine Güte!
„Kim…“
„Ich will dich!“
Ich ihn auch. Und wie!! Als er mich endlich küsst, gibt’s kein Halten mehr. Wir schaffen es nicht mal in mein Zimmer.
Wow! Wenn ich mir vorher mal Sex mit Kim vorgestellt hätte, dann hätte ich mir Sex mit Kim genauso vorgestellt. Sex mit Kim… allein der Gedanke daran ist auf einmal so unanständig und gleichzeitig so aufregend, dass ich rote Ohren kriege. Und ich bin auch jetzt völlig durcheinander, aber, anders als nach dem ersten Mal, auf eine kribblige, sich gut anfühlende Art.
„Wenn ich dich kurz loslasse, rennst du dann wieder weg?“, fragt Kim.
„Nee. Leslie ist ja eh nicht da“, lächle ich.
„Wir sind noch nicht so weit, dass wir darüber Witze machen können“, entgegnet er, hebt die Decke vom Boden auf und wickelt uns darin ein.
„Entschuldige.“ Mein Blick fällt auf die Kondome, die Kim mitgebracht hat. „Das sind… äh… wie viele sind ’n das? Denkst du, wir brauchen die alle?“
„Ich frage mich eher, ob die reichen?“, grinst er, ist aber eine Sekunde später wieder ernst. „Andererseits haben wir es während unseres ersten Beziehungsversuchs nicht so… besonders krachen lassen, oder?“
Stimmt. Ich erinnere mich noch gut an meinen blöden Spruch von wegen so oft ich will und ob er kann. Ist nicht viel draus geworden. Eigentlich nichts.
„Das ist vielleicht ein bisschen meine Schuld“, behauptet er.
„Hä? Wieso?“
„Na ja, ich… keine Ahnung, ich hab halt versucht, alles richtig zu machen, verstehst du? Wollte besonders rücksichtsvoll und vorsichtig sein, dir Zeit geben, dich nicht zu irgendwas drängen. Normalerweise bin ich nicht so.“
„Aha.“
„Also, klar, schon rücksichtsvoll und so, aber… ich hab halt normalerweise kein Problem, meinem Freund zu sagen, dass ich scharf auf ihn bin.“
„Das hast du aber nie gesagt.“
„Ja, eben weil du dich nicht gedrängt fühlen solltest. Ich hab das möglicherweise etwas übertrieben… wegen der Sache mit deinem Vater und… überhaupt, weil ich dein erster Freund war. Dann hab ich gedacht, dass du eigentlich gar keine Lust auf mich hast, und du nur wegen Leslie…“
„Ich war tatsächlich zu verkorkst, um irgendwas mitzukriegen oder klar zu sehen. Und wenn ich anfange, darüber nachzudenken, wird’s noch verkorkster und ich bekomme Gehirnschmerzen. Also können wir das jetzt bitte einfach alles vergessen und…“
„Scharf aufeinander sein?“, unterbricht er mich grinsend.
„Kondome hätten wir jedenfalls für heute und morgen genug.“
Erstmal kuscheln wir allerdings ausgiebig und starten irgendwann Campino im Poldi-Markt neu. Von Letzterem bekomme ich allerdings wieder nicht sonderlich viel mit, weil andere Dinge interessanter sind. Kims Hände beispielsweise, seine Finger, die mit meinen verschlungen sind, seine weichen Lippen, die unglaublich süß schmecken, die eine Stelle an seinem Hals, die besonders empfindlich zu sein scheint, wenn ich sie küsse und ein bisschen daran sauge. Knutschfleck ist nicht nur ein cooles Wort, Knutschflecke machen verdammt viel Spaß! Kim offensichtlich auch, denn er revanchiert sich für jeden Knutschfleck, den ich ihm verpasse. Ich möchte nicht wissen, wie wir morgen aussehen!
Heilig Abend, es ist aber noch früh. Kim liegt neben mir und schläft niedlich. Gott sei Dank hab ich das gestern nicht bloß geträumt. Sex mit Kim… der Gedanke beschert mir immer noch eine Gänsehaut. Ich überlege, ihn unanständig zu wecken, entscheide mich jedoch dagegen und stehe auf, um Frühstück zu machen, weil ich tierischen Hunger hab. Nur in Boxershorts tapse ich in die Küche und erschrecke fast zu Tode, weil der Toaster mit einem lauten Geräusch zwei Toastscheiben ausspuckt.
„Morgen, Kleiner.“ Leslie legt einen Toast auf seinen Teller und klatscht drei Löffel Himbeergelee drauf. „Du hast wohl nicht erwartet, mich hier zu sehen, was?“, bemerkt er, mustert mich kritisch und beißt genüsslich in seinen Toast.
Peinlich berührt verschränke ich die Arme vor der Brust. Wieso ist es mir peinlich? Leslie hat mich schon öfters obenrum nackig gesehen. Allerdings war sein Blick nie so… unangenehm aufdringlich und…
„Scheiße, wer hat dich denn flachgelegt?“, grinst er blöde.
… so wissend!
„Wolltest du nicht bei deinem Tiger bleiben?“
„War ich. Also?“
„Verdammt, woher willst du wissen…“
„Du siehst aus, als hätte es dir jemand unheimlich besorgt. Und dann sind da natürlich noch die… äh…“, er schielt meinen Körper entlang, „ungefähr einhundertfünfzig Knutschflecke. Sieht Kim genauso aus?“
Okay, das war’s. Ich grinse vermutlich von einem Ohr zum anderen. Jedenfalls fühlt es sich so an.
„Ihr seid also wieder zusammen“, stellt er fest.
„Ich glaub schon.“
„Cool.“
„Hm-hm.“
Plötzlich kommt Kim in die Küche geschlurft, mindestens genauso nackig wie ich. Mir wird übel, hoffentlich denkt er jetzt nicht… fuck!
„Ich wollte Frühstück für uns machen“, erkläre ich eilig. „Ich wusste nicht…“, seine Lippen, die sich auf meine legen, unterbrechen mich.
„Alles gut“, wispert er und setzt sich an den Tisch. „Hey, Leslie.“
„Na, endlich geschnallt, wo du hingehörst?“
„Oh Mann“, murmelt Kim kopfschüttelnd, „und das am frühen Morgen.“
„Und… mögen Martins Freunde dich?“, frage ich und stelle Kim eine Tasse Zimtkakao hin, bevor ich mich ebenfalls setze.
„Nein“, antwortet Leslie. „Die lieben mich.“
„Wirklich? Oder ist das Einbildung, so wie bei Nora?“
„Und… hast du’s gestern geschafft, im richtigen Moment zu kommen?“
„Ey“, ruft Kim und tritt unterm Tisch offenbar nach Leslie, „was zum Henker geht dich das an?“
„Du bist’n Arsch“, finde ich.
„He, keine Beschimpfungen am heiligen Abend, ja? Was habt’n ihr vor? Ihr könnt gerne nachher mit zu meinen Eltern. Allerdings müsstet ihr euch dafür etwas mehr anziehen.“
Kim und ich sehen uns an.
„Danke, wir bleiben lieber hier“, sage ich, worauf Kim nickt.
„Auch gut“, zuckt er die Schultern.
Am späten Nachmittag verschwindet Leslie nach unten zu seinen Eltern und Kim und ich machen es uns auf der Couch bequem. Es dämmert bereits und die Lichterkette im Tannenbaum taucht das Wohnzimmer in goldiges Licht. Auf dem Tisch steht eine Schale mit Weihnachtsüßigkeiten, die Leslie seit Nikolaus immer wieder aufgefüllt hat. Mann, fehlen eigentlich nur noch dicke, bauschige Schneeflocken vorm Fenster.
„Ist es wirklich okay, dass du heute nicht bei deinem Vater bist?“
Kim verdreht die Augen. „Du kannst Fragen stellen.“
Na ja, ich denke, ehrlich gesagt, schon ein bisschen an meine Mutter, denn ich weiß schließlich, wie es Heilig Abend bei uns zugeht. Meinem Vater geht die heimelige Atmosphäre, die meine Mutter versucht zu schaffen, auf den Sack, irgendwann kommt der traditionelle Kartoffelsalat, den ich verabscheue, auf den Tisch, danach gibt’s Geschenke, die ich natürlich seiner Meinung nach nicht verdiene, und anschließend hockt sich der Alte vor die Glotze. Vielleicht wird’s dieses Jahr aber auch anders. Immerhin ist der verhasste Loser-Sohn nicht da. Vielleicht ist er aus diesem Grund weniger miesepetrig.
„Hey, alles in Ordnung?“
Kim streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Leslie versteht wahrscheinlich bis heute nicht, dass ich meinen Vater nicht angezeigt habe“, fällt mir ein.
„Sei mir nicht böse, aber für das, was er getan hat, keine Bestrafung…“
„Wie hätte die ausgesehen?“, unterbreche ich ihn. „Wahrscheinlich hätte er Bewährung gekriegt. Der hätte dem Richter sicher volle Kanne was vorgeheult über den missratenen Sohn, der in seiner Freizeit ekelhaft obszöne Mails an irgendwelche Kerle geschickt hat, und dass er da halt die Kontrolle verloren hat. Und ganz sicher hätte er eine rührselige Entschuldigung geheuchelt. Was hätte ich dadurch gewonnen? Ich glaube, für ihn ist das hier Strafe genug.“
„Was?“
„Na, genau das. Der schwule Sohn, der mit seinem schwulen Freund schwule Sachen macht.
Dass er durch seine Schläge nichts erreicht hat. Der Gedanke, dass ich glücklich sein könnte, ist für ihn sicher schlimmer als alles andere.“
Das ist zwar, wenn man es genau nimmt, eine sehr traurige, bittere Erkenntnis… aber seltsamerweise empfinde ich kaum was dabei. Weshalb sollte ein Typ, der mich jahrelang schikaniert, gequält und verprügelt hat, in meinem jetzigen Leben noch irgendeine Rolle spielen? Nur, weil er mein Vater ist? Er ist es einfach nicht wert, dass ich auch nur eine einzige Sekunde über ihn nachdenke. Schon gar nicht, wenn mich mein Freund im Arm hält. Mein hübscher Freund, der diesen sensationell aufregenden Wollpulli trägt, der ihm sensationell aufregend über die Schulter fällt. Dazu noch die Knutschflecke an seinem Hals… mir wird total heiß. Ich muss ihn anfassen. Und küssen. Und… für alles weitere gehen wir lieber in mein Zimmer.
„Gute Vorsätze fürs neue Jahr?“
Ich versuche, eindeutig auf die Kondome zu schielen, Kim lacht sich kaputt.
„Außer, dich noch öfter von mir flachlegen zu lassen.“
„Findest du, wir übertreiben es damit?“, frage ich und biete ihm meinen Nacken zum Kraulen an.
„Absolut“, nickt er. „Na und?“
Als ich mit Merle zusammen war, dachte ich, dass man andauernd scharf aufeinander sein müsste, wenn man verliebt ist. Was soll ich sagen? Ich hatte recht! Und ich kann total nichts dafür. Alles Kims Schuld, weil er so wahnsinnig toll ist und wirklich keinen Zweifel daran lässt, dass ich für ihn genauso toll bin. Ganz im Gegensatz zu Leslie, der vor seinem Tiger ungefähr jeden zweiten Jungen, den er gesehen hat, toll fand. Oder Flo, der mich erst toll fand, als ich einen Freund hatte und ihn nicht mehr angehimmelt habe.
„Ich werde dich im neuen Jahr meiner Mutter vorstellen.“
„Als zukünftigen Schwiegersohn?“
„Na ja…“, sage ich und halte meine Hand hoch, „war das etwa kein Versprechen?“ An meinem Finger steckt nämlich seit Weihnachten sein silberner Sternchenring.
„Du krallst dir doch alles, was mir gehört“, grinst er und zupft an seinem geringelten Wollpulli, den ich trage.
„Ist das schlimm?“
„Wenn’s das wäre, wüsstest du es“, sagt er und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
„Ich hab gedacht, also vielleicht ist es für meine Mutter leichter zu verstehen, wenn sie sieht, wie gut es mir geht, seit ich dich hab. Und… das es was ganz normales ist.“
„Oder aber sie denkt, dass ich derjenige bin, der dich ans andere Ufer geschleift hat. Sag ihr doch bitte, dass Leslie dich in jener Nacht auf Noras Dachboden schwul gemacht hat, dann hasst sie ihn, nicht mich.“
„Klar“, entgegne ich, „nehmen wir doch Kai und Fritte mit, die die Geschichte noch ausschmücken. Dann fällt meine Mutter sofort tot um.“
„Also ich kenne bloß die Version, dass ihr euch gegenseitig einen runtergeholt habt. Und dass die beiden dabei zugesehen haben.“
„Dafür war es ja viel zu dunkel“, rege ich mich auf. „Kim?“
„Ja?“
Ich rücke näher an ihn ran und schiebe meine Hand in seine.
„Du weißt, dass du dir wegen Leslie keine Sorgen machen musst… das weißt du doch ganz, ganz sicher, ja?“
Eigentlich hatten wir ausgemacht, nicht mehr über die Vergangenheit, also die Wochen, in denen ich schwachsinnig war, zu reden. Andererseits… ich wohne hier bei Leslie.
„Du meinst, es ist nicht nötig, mir zu wünschen, dass ihn jemand hasst?“
„Sehr richtig.“
„Okay.“
„Und wenn wir morgen mit ihm und dem Tiger Silvester feiern…“
„Werde ich aufpassen, dass er um Mitternacht nicht der Erste ist, der dich küsst.“
„Mann“, schnaufe ich und stupse ihm in die Seite.
„Und dass er dich nicht aus Versehen mit Zunge küsst.“
„Kim?“
„Ja?“
„Ich liebe dich.“
„Ich dich auch“, lächelt er und küsst mich so süß, dass ich dahin schmelze wie Vanilleeis in der Sonne.
Das neue Jahr wird auf jeden Fall richtig gut… das weiß ich ganz sicher!
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