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Feindkontakt
Teil 4
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Informationen
- Story: Feindkontakt
- Autor: Chelsea
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Lovestory
Vorwort
Grüß Gott! Okay, also die Fortsetzung hat...ein bisschen länger gedauert als geplant. Dafür gibt’s aber sehr wahrscheinlich noch einen fünften Teil, der auch sehr wahrscheinlich wieder schneller fertig werden wird. Jetzt aber viel Vergnügen mit... Bennie & Noah crazy in love ;)
„Ach du Scheiße...wie siehst du denn aus?“ Mir bleibt vor Entsetzen erstmal ein Stück Puddingbrezel im Hals stecken.
„Dein kleiner Arschficker ist so gut wie tot“, zischt Tim.
„Hey, ja...ihr hattet Waffenstillstand ausgemacht. Und...nenn ihn verdammt noch mal nicht so“, huste ich.
„Dann rate doch mal, wer sich nicht dran gehalten hat. War mir klar, dass man der blöden Schwuchtel nicht trauen kann.“
Ich ignoriere diese Beschimpfungen, weil ich Mitleid habe. Tims Auge sieht aus, als würde es verflixt weh tun. Ein hübsches Veilchen. Dazu noch eine Schramme an der Wange und seine Lippe ist verkrustet. Komischerweise...oder besser gesagt...unangebrachterweise macht mich das ein kleines bisschen an. Aber auch das ignoriere ich. „Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass Noah dich so zugerichtet hat.“
„Nee“, antwortet Tim böse und spuckt auf den Boden, „das hat die feige Ratte seinen Arschloch-Freunden überlassen. Einen schönen Gruß von ihm haben sie mir ausgerichtet und...nochmal kräftig zugetreten. Meine Eltern sind total ausgetickt, als ich nach Hause kam. Und Sissi denkt, ich hätte angefangen und ist jetzt sauer auf mich.“
Okay, also es ist doch wohl allen Beteiligten klar, dass Noah mit der Sache nichts zu tun hat, oder? Ich tippe auf: Martin, den Deppenkönig! Allerdings...warum verkloppt der Tim und nicht mich? Uaaaaahhh...vielleicht bin ich der Nächste?!
„Das tut mir ja alles sehr leid, aber Noah kann gar nichts dafür.“
„Ist mir scheißegal. Und den verfickten Waffenstillstand kannste knicken.“
„Was soll das heißen?“
Tim starrt mich eiskalt an. „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Solltest dir überlegen, auf welcher Seite du stehen willst, Schneider.“
Jetzt fängt der wieder mit dem Scheiß an. „Ja, das sollte ich...Wichser“, entgegne ich und gehe einen Schritt schneller.
„Ich meine das ernst“, bölkt er mir hinterher.
Langsam drehe ich mich zu ihm um. „Willst du mir eine reinhauen?“
„Wenn es sein muss.“
Fassungslos schüttele ich den Kopf. „Du bist doch verblödet. Machst genau, was die Deppen wollen. Haben die dir etwa dein Hirn kaputtgekloppt?“
„Nee, nur meine Fresse. Aber das kriegen die zurück. Was ist? Bist du dabei?“
„Ich fürchte, ich hab schon was vor.“
„Wie du willst. Aber dann hast du dich als Freund erledigt.“
Was?? Hat er mir etwa grad unsere zwölfjährige Freundschaft gekündigt, weil er zu beschränkt ist, den Deppenplan zu durchschauen? Oh Mann, ich muss hier weg. Wenn ich bleibe hat Tim gleich noch ein blaues Auge!
Ich bin dermaßen wütend auf die ganze Welt, dass ich erst gegen die Friedhofsmauer trete und als das nicht hilft, mit der Faust zuschlage. Ein bedauerlicher Fehler. Meine Hand fängt sofort an, sackartig weh zu tun. Um ehrlich zu sein... ich jaule auf vor Schmerz. Aber nur kurz. Dann beschließe ich, dass ich nicht so ein erbärmlicher Jammerlappen sein sollte, beiße die Zähne zusammen und mache mich auf den Weg zu Noah.
„Hey, ich hab grad an dich gedacht und...“, Noah wirft einen Blick auf meine blutigen Fingerknöchel, „was ist passiert?“
„Die Friedhofsmauer hat mich angegriffen. Hab mich bloß verteidigt“, lächele ich gequält. „Hast du vielleicht irgendwas zum Desinfizieren, damit ich nicht an einer Blutvergiftung sterbe?“, frage ich und pule an den Abschürfungen rum.
„Komm her, lass mich das machen“, sagt er leise.
Nachdem er meine Hand gesäubert und mit Kinderpflaster (Urmel aus dem Eis!!) versehen hat, erzähle ich ihm, was los war. Danach beschwere ich mich über das uncoole Pflaster. I hate Urmel, you know?!
„Ich wusste immer schon, dass Tim ein Schwachmat ist“, erklärt Noah. „Glaubt der, ich würde ihm einen Schlägertrupp auf den Hals hetzen. Wenn ich seine Visage blutig haben will, erledige ich das selber.“
„Ist das alles?“, kreische ich. „Deine Freunde ziehen los und verprügeln Leute. Und du denkst nur daran, dass Tim dich nicht für einen Waschlappen hält? Sag mal... bin ich eigentlich der einzig Normale hier? Was ist denn, wenn ich morgen von denen vermöbelt werde, hä?“
„Keine Chance. Das trauen die sich nicht.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher. Du magst zwar mal sowas wie der Boss gewesen sein, aber seit wir zusammen sind, machen deine Deppen, was sie wollen.“
„Ich war nie der Boss. Wir sind doch keine beknackte Gang.“
Das ist total gelogen. Ich hab’s selbst erlebt. Und Noah weiß sehr wohl, dass er bis jetzt absolut das Sagen hatte. Und ich merke gerade, dass der Gedanke, den Gang-Chef zu vögeln, unglaublich geil ist. Natürlich ist das jetzt unpassend. Die Deppen meutern, Tim hat den Verstand verloren, ich tendiere offensichtlich seit eben zum Autoaggressiven… alles geht den Bach runter. Trotzdem. Ich setze mich auf Noahs Schoß und öffne den Knopf seiner Jeans.
Er starrt auf meine Finger. „Was wird’n das?“
„Ich will dich ficken.“
„Jetzt?“, fragt er irritiert.
„Na klar.“
„Aber...“
„Hast du etwa ein Problem damit?“, unterbreche ich ihn und ziehe mein Shirt aus.
Noah schaut gespielt schüchtern zur Seite. „Es... es wird doch nicht weh tun, oder? Ich meine, du hast irgendwie so einen wilden Ausdruck in den Augen.“
Ruppig drehe ich ihn auf den Bauch und ziehe seine Hose bis zu den Knöcheln. „Keine Angst, ich bin ganz vorsichtig.“
„Ich glaub dir kein Wort“, murmelt er ins Kissen.
„Gut, dann gibt’s wenigstens keine böse Überraschung“, wispere ich und knabbere an seinem Nacken.
Eine Weile später liegt Noah unter der Decke und blinzelt mich matt an, während ich eine Zigarette rauche.
„Du bist so’n Macho-Arsch, Bennie. Mach die verdammte Zigarette aus und schnuckel gefälligst mit mir!“
Schwupps hab ich ihn in meine Arme gezogen und streichele seine weiche Haut.
„Ich finde, du solltest bei deiner nächsten Beichte ruhig mal erzählen, dass du anscheinend
Vergewaltigungsphantasien hegst, die du bei deinem Freund hemmungslos auslebst.“
„Ich hatte heute schon Spaß mit meinem Pfarrer.“
„Au weia. Das klingt böse“, kichert Noah.
„Der war so kurz davor“, ich mache mit Daumen und Zeigefinger eine entsprechende Geste,
„abzuspritzen.“
„Mhhh...ich liebe es, wenn du schlimme Sachen anstellst.“
„Was machen wir denn jetzt mit deiner durchgedrehten Gang?“
Noah hebt seinen Kopf von meiner Brust. „Äh... wie kommst du von Abspritzgeschichten denn plötzlich auf sowas?“
„Na ja, immerhin ist das der Grund, weswegen ich hier bin.“
„Du hattest also nicht vor, mich zu vögeln?“
„Doch. Allerdings erst später. Ernsthaft, Noah, ich hab’n bisschen Angst. Wer weiß, was denen noch alles einfällt.“
„Wird Zeit, dass da ich mal kräftig auf den Tisch haue, oder?“, überlegt er. „Ein wenig die Fronten klären... kleinen Möchtegern-Bandenmitgliedern zeigen, wer der Boss ist.“
„Ich denke, ihr seid keine Gang und du bist nicht der Boss.“
Noahs Finger umkreisen meinen Bauchnabel. „Ich hab vielleicht gelogen“, grinst er.
Ich hätte nicht gedacht, dass es dermaßen viele Schwierigkeiten mit sich bringt, verliebt zu sein. Tim ist sauer auf mich, weil ich nicht in den Krieg ziehen und Seite an Seite mit ihm kämpfen will. Elisa dackelt mich mit diesem super bedröppelten Blick an, der mir sagt „Du hast mein Leben zerstört, ich werde niemals wieder glücklich sein können“, meine Mutter ignoriert einen wichtigen Teil meines Lebens und mein Vater ignoriert mich meist komplett.
Eigentlich ist Noah tatsächlich der einzige Mensch, zu dem ich sowas wie eine normale Beziehung habe. Immerhin kann ich mich mit dem Gedanken trösten, dass das nicht meine Schuld ist. Tim hat vorübergehende Hirnerweichung, Mom ist immer schon seltsam im Schädel und Paps...na ja. Okay, Elisas Katzenjammer geht auf mein Konto. Das tut mir sehr leid, lässt sich allerdings auch nicht ändern. Jedenfalls...wenn ich alt genug bin werde ich sofort meine Sachen packen und von hier verschwinden. Mit Noah! Wir werden heiraten und bis an unser Lebensende glücklich sein...Amen!!
Dummerweise ist es noch längst nicht so weit. Dummerweise habe ich mich breitschlagen lassen, mit meinem Süßen auszugehen. Ich wär ja lieber ins Kino gegangen oder sonst wohin, als schon wieder im beschissenen Jugendzentrum zu hängen. Das ist schließlich immer noch die Brutstätte der Deppen und wenn ich daran denke, was Tim passiert ist, frage ich mich ernsthaft, ob ich vielleicht lebensmüde bin, nochmal hierher zu kommen?! Noah scheint sich überhaupt keine Sorgen zu machen. Er hält meine Hand und lächelt mich verliebt an. Scheiße, der ist so süß!! Scheiße, da vorne steht Martin. Der starrt mich an wie ein abgerichteter Jagdhund, der bloß noch auf den Befehl wartet, sein Opfer (mich!) zu zerfleischen. Mir wird ein bisschen eng im Halsbereich.
„Achte nicht auf den Idioten“, raunt Noah mir ins Ohr.
Buahahahahaha!! Sehr witzig. Er läuft ja auch nicht Gefahr, die Fresse vollzukriegen. Erstmal passiert jedoch nichts dergleichen. Wir kaufen uns ‘ne Cola und werden vom Dreiergespann begrüßt.
„He, Schuljunge“, grinst Blix und streicht mir mit seinem behandschuhten Fittich über die Wange. „Nabend, Winter.“
„Behalte deine Hände doch einfach bei dir“, faucht Noah eifersüchtig.
„Mach dich locker. Bin heut eh nicht in Flirtlaune.“
„Ach ja?“, mischt sich Florian ein. „Seit wann denn das?“
„Seitdem ihr zwei andauernd rumzickt, wenn ich mich nur mal mit jemandem unterhalte“, säuselt Blix und knabbert an Florians Hals. Nebenbei schlängelt sich übrigens sein einer Arm um Lydias Taille.
Also ganz ehrlich, mir wäre so eine Dreiersache echt zu anstrengend. Da muss man doch immer total aufpassen, dass man sich dem einen nicht zu viel widmet und der andere sich nicht ausgeschlossen fühlt. Wie soll man denn da entspannen?! Die drei schnappen ihre Getränke und verziehen sich aufs Sofa. Jetzt kann ich relativ ungestört einen Blick auf Florian werfen. Immerhin war Noah scharf auf den, was ich auch nicht so recht verstehen kann. Der sieht wirklich wie ein Mädchen aus. Trägt einen Lackrock, lange, schwarze Samthandschuhe und so’n Oberteil mit freien Schultern. Eine hübsche Visage hat er irgendwie. Trotzdem. Ich kapier’s nicht. Noah scheint sehr durcheinander gewesen zu sein, oder? Schließlich war er ja auch mal in ein richtiges Mädel verschossen. Möglicherweise wollte er sich langsam an die Jungs rantasten und hat sich erstmal einen mädchenhaften ausgesucht. Weiß der Fuchs. Ich hätte mir wahrscheinlich eher Blix ausgesucht. Der sieht irgendwie interessant aus, weil er
ein sehr niedliches Elfengesicht hat. Echt, da fehlen bloß noch die spitzen Ohren.
„Bleibst du kurz hier?“ Noah streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich hab was zu erledigen.“
„Was?“
„ICH HAB WAS ZU ERLEDIGEN“, bölkt er mir ins Ohr, dass ich fast einen Hörsturz erleide.
„Mann, ich bin doch nicht taub, Idiot. Was du zu erledigen hast, will ich wissen.“
„Später.“
Und schon ist er verschwunden. Ich hab ein Déjà vu. Da ich nicht nochmal von den Deppen angepöbelt werden will, setze ich mich zum Dreiergespann, das allerdings ziemlich geschrumpft ist. Es ist nur noch Lydia übrig.
„Hi“, sage ich.
„Hallo“, entgegnet sie, schlägt ihre Beine übereinander, lässt eins davon energisch hin und her schwingen und zieht langsam an ihrer Zigarette.
Oh je, da scheint wohl jemand ganz schön angepisst zu sein, was?!
„Alles okay?“
Sie schaut mich kurz an und starrt dann wieder stur geradeaus. „Klar, könnte nicht besser sein.“
„Wo sind denn deine...äh...Freunde?“
„Im Arsch, möchte ich annehmen.“
Na, die hat offensichtlich keine Lust auf smalltalk. Ich halte also lieber meine Klappe und bestaune heimlich die rosa Schleifchen an ihren 14-Loch-Doc’s.
„Und wo ist deiner?“, fragt sie.
„Keine Ahnung“, gebe ich zu.
„Männer“, zischt sie angewidert und schnippt, wie ich finde sehr lässig, die Zigarette weg.
Wenn ich auf Gothic-Mädchen in schwarzen Piratenminis mit weißen Tüllröcken drunter, silber-grau-schwarz geringelten Strümpfen und schwarzen Haaren stehen würde, hätte mich diese Geste wahrscheinlich tierisch angemacht. Überhaupt hat Lydia so eine coole, abgefuckte Art an sich. Ganz anders als Elisa zum Beispiel. Die ist süß und lieb...halt ein Sonnenschein. Lydia dagegen ist düster und bestimmt irre verdorben. Da stehe ich total drauf...sonst wäre ich nicht mit Noah zusammen. Der kommt übrigens grad zurück und setzt sich halb auf meinen Schoß.
„Wo sind’n deine Jungs?“, fragt er.
„Im Arsch“, antworte ich bevor Lydia den Mund aufmacht.
„Ey, jedes Wochenende der gleiche Kack, ja?“, legt sie plötzlich los. „Die beiden Penner verziehen sich aufs Klo, um ihre gottverdammten Schwänze zu lutschen und ich...ich mach das nicht mehr mit.“ Sie steht auf und streicht ihren Rock glatt. „Sag den Idioten, sie können sich ins Knie ficken. Ich bin weg.“
Das ist sie tatsächlich und fünf Minuten später sind die beiden Idioten wieder da. Hand in Hand mit strahlenden Gesichtern.
„Euer Babe ist grad abgehauen“, erklärt mein Babe. „Und zwar ganz schön sauer.“
„Fuck“, murmelt Blix und zieht Florian Richtung Ausgang.
„Es geht doch nichts über einen netten Abend mit guten Freunden“, seufzt Noah.
„Ich bin froh, dass wir nur zu zweit sind“, flüstere ich und schlinge meine Arme um ihn. „Hast du nicht gesagt, bei denen gäb’s keine Eifersucht? Ist doch scheiße, was die mit Lydia machen.“
Er zuckt die Schultern. „Vor ein paar Wochen war’s dasselbe Spiel, nur dass Florian abgehauen ist. Und nächsten Samstag sind die drei wieder total verknallt. Der einzige, der nie allein nach Hause geht, ist Blix.“
„Was hast du denn jetzt so Geheimnisvolles getrieben?“
Noahs Zeigefinger umkreist meine Brustwarze über dem Shirt. „Ich hatte in meiner Eigenschaft als Boss der Gang ein paar Dinge zu klären.“
„Aha?“
Seine Hand schiebt sich vorsichtig unter mein Shirt. „Ich hab den Jungs klargemacht, dass sie dich und deine Freunde in Ruhe zu lassen haben bis...ich was anderes sage.“
„Dann sollte ich dich also lieber nicht verärgern, was?“
„Du solltest mir gefällig sein, wenn ich es will“, nickt er.
„Das hast du dir ja fein ausgedacht. Mich zum Sexsklaven machen, ja? Und wenn ich nicht spure, werde ich verhauen.“
Noah grinst sexy. „Ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast...aber mein Sexsklave bist du schon die ganze Zeit.“
„Mal ehrlich, glaubst du, die Deppen halten sich dran?“, frage ich besorgt.
„Das hoffe ich“, antwortet er.
Als ich Sonntagnachmittag ins Wohnzimmer komme, trifft mich fast der Schlag. Da hockt Mom beim Kaffeeklatsch und plaudert fröhlich mit...Elisa.
„Benjamin“, ruft meine geistesgestörte Mutter, „setz dich zu uns. Ein Stück Bienenstich?“
Mir entfährt ein kurzes, hysterisches Lachen, das die beiden anscheinend als Freundlichkeit deuten, denn die strahlen um die Wette. Elisa schenkt mir Kaffee ein, Mom legt mir Kuchen auf den Teller. Das süße Zeug hat den beiden offenbar das Gehirn verklebt.
„Was tust du hier?“, frage ich finster.
„Deine Mama...“, beginnt meine Exfreundin.
„Ich dachte, es wäre doch schön, wenn wir ein bisschen Zeit miteinander verbringen. Du hast es ja leider bis jetzt versäumt, deine Freundin hierher einzuladen“, erklärt Mom. „Dabei ist Elisa so ein nettes Mädchen.“
„Und bei einem Stück Bienenstich mit seiner Ex vergisst der Junge seine homosexuellen Neigungen, oder wie? Was ist denn als nächstes geplant? Die Anti-Homo-Pille? Lobotomie? Oder bestellst du lieber einen Exorzisten? Letzteres soll ja wieder sehr hip sein.“
„Benjamin“, warnt Mom, „wir haben einen Gast, also wirst du dich anständig benehmen. Ich will nichts über irgendwelche Neigungen hören, verstanden?“
„Sie ist dein Gast. Wünsche den Damen noch einen schönen Tag“, sage ich und gehe in mein Zimmer.
Ein paar Minuten später schleicht Elisa herein.
„Entschuldige...deine Mutter hat mich praktisch gezwungen.“
„Hat sie dir Prügel angedroht?“
Sie setzt sich zu mir aufs Bett. „Nee, aber sie war so verzweifelt. Ich meine, sie hat nichts gesagt, aber ihr Blick...sie wünscht sich halt, dass du und...ich...“
„Du weißt, was Sache ist“, unterbreche ich ihr Gestammel. „Ich werde nicht aufhören, Noah zu lieben, bloß weil du dich gut mit meiner Mutter verstehst.“
„Es ist nicht nötig, mir immer und immer wieder unter die Nase zu reiben, dass du mit Noah...“
„Anscheinend doch“, entgegne ich.
„Okay, du denkst, ich wäre hier, weil ich mir Chancen ausrechne oder sowas. Vielleicht ist das so, aber dafür kann deine Mutter nichts. Also wieso hörst du nicht auf zu schmollen, setzt dich eine halbe Stunde zu uns und ziehst dir den verdammten Kuchen rein, den sie extra gebacken hat?“
„Warum sollte ich? Um sie glücklich zu machen? Eine Frau, die nichts Besseres zu tun hat, als mir zu sagen, dass sie mich und meine Gefühle abartig findet? Eine Frau, die meinen Freund nicht im Haus haben will, weil ihr allein der Gedanke eklig ist?“
Elisa schüttelt den Kopf. „Merkst du was? Es geht nur um dich. Du willst, dass alle Verständnis für dich haben. Aber was andere empfinden ist dir scheißegal.“
Ja, na sicher. Hat die einen Schlag auf den Kopf bekommen, oder was? Weil ich echt keinen Bock auf diese Diskussion habe, entscheide ich mich, für eine halbe Stunde bei Kaffee und Kuchen auf heile Welt zu machen.
Moms Gesicht hellt sich auf als wir ins Wohnzimmer zurückkommen und ich gleich zwei Stück Kuchen in mich hinein quäle. Ich spiele netten, wohlerzogenen Sohn und versuche, nicht zu kotzen, als Elisa erzählt, dass sie nach der Schule Kinderkrankenschwester wird. Mom ist entzückt und merkt nicht, dass Elisa sich bloß einschleimen will. Wenn ich jemals Lust auf meine Ex hatte ist sie mir jetzt gründlich vergangen. Mir wird langsam klar, wie verzweifelt Elisa sein muss, sich mit meiner Mutter zu verbünden, in der Annahme, sie könnte mich so zurückgewinnen. Und blöd obendrein, weil sie doch eigentlich wissen müsste, dass sie damit das Gegenteil erreicht. Na ja, vielleicht sind die Gedankengängen der Mädchen so wie die Wege des Herrn: unergründlich.
Nachdem Elisa weg ist, zählt Mom mir ihre vielen Vorzüge auf. Hübsch und ordentlich und reizend und so vernünftig für ihr Alter und ein festes Ziel hat sie und sich um kranke Kinder kümmern zu wollen ist doch ganz wunderbar. Wenn Mom wüsste, dass die reizende, vernünftige Elisa auf Parties saufen kann wie ein alter Stammtischbruder und mich praktisch dazu drängen wollte, mit ihr zu schlafen...vor der Ehe...würde sie ihre Meinung sicher gründlich überdenken.
Meine Eltern lassen sich scheiden! Paps hat’s mir gestern gesagt...am Telefon. Er war mal wieder zu beschäftigt, um persönlich aufzutauchen. Aber das ist ja nun auch keine Nachricht, die man mir schonend beibringen müsste. Ich meine, klar hab ich damit gerechnet, aber ein bisschen geschockt darf ich wohl trotzdem sein, oder?! Immerhin bin ich bald ein Scheidungskind. Ich gehe nicht davon aus, dass die zwei sich lange ums Sorgerecht streiten werden. Dass Paps mich nicht haben will liegt auf der Hand. Ich würde eh nicht bei ihm leben wollen, weil ich dann viel zu weit von Noah entfernt wäre. Paps wohnt in der Stadt... jedenfalls behauptet er das, dagewesen bin ich noch nie...da müsste ich mindesten eine halbe Stunde mit dem Bus fahren. Und das nächtliche Aus-dem-Fenster-Steigen, um mit Noah zu knutschen, könnte ich auch knicken. Dann lieber noch ein Jahr mit der Irren aushalten. Mom ignoriert das Thema Scheidung übrigens total. Wie sie eben alles Unangenehme ignoriert, das nicht in ihre katholische Welt passt. Ihre eigene Scheidung muss für sie noch schlimmer sein als ein schwuler Sohn. Wieso sind meine Eltern eigentlich solche Versager? Ich glaube, Noah und ich wären gute Eltern. Wahrscheinlich ein bisschen wie seine. Nicht zu streng, nicht zu lasch und immer für unsere Kinder da, wenn die Probleme haben. Eine richtig langweilige Bilderbuchfamilie eben. Ich freue mich schon jetzt auf das Gesicht meiner Mutter, wenn ich ihr unser dunkelhäutiges, HIV-positives Adoptivkind vorstelle!!
Schule ist momentan auch zum Kotzen. Die Jungs, die sowieso schon nicht mehr mit mir geredet haben, weil ich mit Noah zusammen bin, halten logischerweise zu Tim. Und die, denen es relativ egal war, versucht Tim auf seine Seite zu ziehen. Das heißt mit anderen Worten: ich stehe ziemlich allein da. Meine ehemaligen Freunde wollen mir aufs Maul hauen, Noahs Deppen wollen mir aufs Maul hauen, Sissi würde mir wahrscheinlich gerne die Augen auskratzen, weil ich ihre Busenfreundin ins Unglück gestürzt habe...wer braucht diese ganze Scheiße?! Und wer braucht Freunde, die einen sofort fallen lassen, nur weil man einen Jungen liebt, den man aus blödianistischen Gründen hassen müsste? Was einen nicht umbringt, macht einen härter, oder? Wenn ich die Schulzeit überstanden habe, bin ich jedenfalls gegen alles gewappnet. Echt, da kann mich doch dann nix mehr umschmeißen. Aber so furchtbar die Situation auch ist...ich bereue nichts und würde mich immer wieder für Noah entscheiden! Wenn ich ein bisschen so katholisch wäre, wie meine Mama es gern hätte, würde ich Gott jeden Tag danken, dass er mir so einen Engel geschickt hat. Na ja, eigentlich bin ich tatsächlich so katholisch. Wenn man mit Beten groß geworden ist, kann man das eben nicht einfach mal abstellen. Und da ich Gott an sich für liebevoll, gütig und tolerant halte, ist dagegen auch nichts zu sagen.
Mein Engel ist total sauer, dass Elisa selbstgebackenen Bienenstich bekommt, er hingegen aber noch nicht einmal unser Haus betreten darf. Letzteres hab ich ihm zwar nicht gesagt, aber Noah ist schließlich kein Idiot. Der kann sich schon ausmalen, was meine Mutter über ihn denkt.
„Deine Ex geht mir langsam auf den Sack“, zischt er.
Ich schmiege meinen Kopf an seine Brust. „Soll ich dir mal was sagen?! Mir auch. Wenn die jetzt öfter bei uns auftaucht, wandere ich aus.“
„Deiner Mutter kann man keinen Vorwurf machen. Die hat vermutlich bloß zu viel am Weihrauchbottich geschnüffelt, aber Elisa...Mann, die versucht‘s doch echt mit allen Mitteln. Hauptsache, du kommst nicht wieder auf die Idee, mit ihr zu knutschen.“
„Jetzt fang nicht wieder damit an“, stöhne ich genervt.
„Ich kann doch nichts dafür“, murmelt er bedröppelt.
Sofort muss ich ihn heftig umarmen. „Du bist süß, Noah. Übrigens... meine Eltern lassen sich scheiden.“
„Ach du Kacke.“
„Und Tim hat einen neuen Lieblingsfeind. Mich.“
„Das ist sicher Gottes Strafe, weil du so schrecklich mit mir sündigst“, überlegt er. „Meinst du, deine Mama würde mich mögen, wenn ich dir beispielsweise eine Niere spenden würde?“
„Warum solltest du? Ich hab doch zwei.“
„Ja, aber wenn du krank wärst und dringend eine bräuchtest...“
„Keine Ahnung, vermutlich schon. Komm jetzt aber bitte nicht auf dumme Gedanken.“
„Es ist doch irgendwie eigenartig, dass unsere Beziehung so viele Schwierigkeiten mit sich bringt. Vielleicht hat der da oben tatsächlich was dagegen.“
„Ich sagte, keine dummen Gedanken. Außerdem glaubst du doch eh nicht an Gott.“
„Dass ich nicht in die Kirche gehe, heißt nicht, dass ich Atheist bin oder sowas, sondern nur, dass ich diesen ganzen Schnickschnack, der da veranstaltet wird, nicht brauche. Wenn man die Message begriffen hat sind Priester, Päpste und der ganze Rotz nämlich unnötig.“
„Welche Message?“
Noah rappelt sich auf. „Na, es geht doch eigentlich darum, Jesus nachzueifern, oder? Also Nächstenliebe und so, alle Menschen gleich nett behandeln, niemanden ausgrenzen,
niemanden verurteilen, keinem Böses antun und den Menschen, die dir vielleicht mal aufs Maul gehauen haben, vergeben. Ich denke, wenn man das ernsthaft versucht, kommt man auch in den Himmel, selbst wenn man es nicht immer hinkriegt, denn Jesus muss doch am allerbesten wissen, wie schwierig das ist.“
„Vielleicht solltest du dich darüber mit meiner Mutter unterhalten. Wäre doch interessant, was sie zu dieser Theorie zu sagen hätte.“
„Würde ich ja gerne, aber sie hasst mich. Wahrscheinlich denkt sie, dass aus mir sowieso der Teufel spricht. Immerhin hab ich ihren armen Jungen verführt.“
„Heute noch nicht“, grinse ich.
Noah hebt eine Braue, was extrem gut aussieht. „Hast du Lust?“
„Nee, muss grad nicht sein. Ich mag lieber mit dir...“
„Schmusen, hä?“
„Machst du dich lustig darüber?“
Noah zieht mich bequem an sich. „Logisch.“
„Penner“, seufze ich glücklich, weil ich mal wieder feststelle, dass ich mich in Noahs Armen unglaublich gut aufgehoben fühle. Wenn ich mit ihm zusammen bin ist alles Ätzende so weit weg.
„Tim kriegt sich bestimmt bald wieder ein.“
„Das denke ich nicht.“
„Und wenn ich ihm sage, dass ich mit der Klopperei nichts zu tun hatte?“
„Hab ich schon und es hat nichts gebracht.“
„Fuck, jetzt hab ich auch noch deinen besten Freund vergrault.“
„Hör mal, Noah, mein Leben ist schon scheiße genug, auch ohne deine ständigen, total an den Haaren herbeigezogenen Schuldeingeständnisse.“
„Bist du genervt von mir?“, fragt er. „Ich meine... fangen wir gerade an zu streiten?“
„Nein. Es hilft mir bloß nicht, wenn du andauernd sagst, dass alles deine Schuld ist. Du kannst weder für meine katholische Mutter was, noch für Tims Irrsinn.“
„Es tut mir halt weh, dass du...“
„Weiß ich doch“, unterbreche ich ihn.
„Und ich mache mir Sorgen um dich, Bennie. Du bist so schrecklich blass und siehst müde aus und...na ja, irgendwie bist du total abgemagert.“
Fuck, wenn ich ihm jetzt sage, dass ich ohne ihn eben nicht mehr so besonders gut schlafen kann, nimmt er sich doch sofort das Leben! „Ich bin...etwas angestrengt“, gebe ich zu „kein Grund zu übertriebener Panik.“
„Du siehst aus wie ein wandelnder Schwächeanfall.“
„Das macht nichts, denn ich liege ja bereits. Sollte ich also schwach fallen...“
„Sehr lustig“, grummelt Noah. „Einer muss schließlich auf dich aufpassen. Und wenn deine Eltern zu blöd dazu sind...“
Seit ich schwul bin, fällt meiner Mama tatsächlich nicht mehr auf, dass ich eventuell kränklich aussehe. Ich meine, die hat sonst andauernd mit ihren Du-bist-so-blass-Sprüchen genervt. Jetzt denkt sie vermutlich, dass Gott mich gezeichnet hat oder sowas. Für meinen widerwärtigen Lebenswandel. Und sollte ich aus versehen eingehen, ist das sicher auch Gottes Wille. Aber eingehen steht überhaupt nicht zur Debatte. Mir geht es nämlich, abgesehen vom Schlafmangel, sehr gut!
Heut früh ist etwas sehr Seltsames passiert. Ich stand grad vorm Spiegel und kämmte meine Haare, als ich mich plötzlich mal eben am Waschbecken festhalten musste. Nicht dass ich einer Ohnmacht nahe gewesen wäre...aber mir wurde irgendwie schwumselig und in meinen Ohren rauschte es unangenehm. Nach einigen Sekunden (oder auch Minuten) war der Spuk allerdings wieder vorbei. Logischerweise ist das auf mein Gespräch mit Noah zurückzuführen. Der hat mich mit seiner Besorgnis ganz bekloppt gemacht. Übrigens finde ich es unverantwortlich von meiner Mutter, nicht darauf zu achten, dass ich vor der Schule gescheit frühstücke. Immerhin ist das ja wohl eine superwichtige Mahlzeit oder?! Na ja, gemeinsames Essen gibt’s hier eh nicht mehr. Beim frostigen Gesichtsausdruck von Mama vergeht mir leider so ziemlich alles, weshalb ich das Mittagessen regelmäßig ausfallen lasse.
Und wenn ich Hunger habe, lade ich mich halt bei Noah ein. Obwohl mir das Mitleid und die Fürsorge seiner Eltern auch mehr und mehr zu schaffen machen.
Schule war wie immer, wie zu Hause... sehr einsam. Tim hat, Jesus nicht ganz unähnlich, alle
seine Jünger um sich geschart und ich bin der Aussätzige, der nichts mehr in diesem erlesenen Kreis zu suchen hat. Vermutlich hat Tim die Message nicht verstanden. Ist es arrogant von mir zu behaupten, dass Jesus mich mit offenen Armen empfangen hätte? Wohl kaum. Schließlich hat der sich auch mit Maria Magdalena rumgetrieben, obwohl die alle gemieden haben. Ich treibe mich mit Noah rum. Und zwar am See, weil es draußen ganz schön sonnig und warm ist.
„Besser als in meinem Keller ist es an der frischen Luft natürlich schon“, bemerkt er, nimmt vorsichtig einen Marienkäfer von meinem nackten Fuß und setzt ihn auf einem Grashalm ab, „aber verstecken tun wir uns irgendwie noch immer.“
Ja, logisch hätten wir auch an die Stelle gehen können, wo sich meine ehemaligen Freunde mit den Mädchen aufhalten, allerdings kann ich auf Tims Blödsinn echt verzichten. Und mit Noahs Gang will ich schonmal gar nichts zu schaffen haben. Wir sollten uns dringend ein paar Leute suchen, die wir beide mögen. Und die uns beide mögen! Wenn wir jetzt nur ein nettes, ungestörtes Im-Wasser-herumtollen-und-danach-romantisch-in-der-Sonne-liegen-und-knutschen geplant hätten, könnten wir zufrieden sein. Diese Zwangsisolation dagegen pisst mich an! Das Schlimme ist, dass man mit niemandem vernünftig reden kann. Jeder hier fährt seinen eigenen abstrusen Film, gegen den man nicht ankommt.
„Wir verstecken uns nicht, wir haben einfach nur keine Freunde“, stelle ich klar.
„Einen habt ihr...besser gesagt, eine Freundin.“
Ach du Scheiße! Elisa (im Supermodel-Bikini) lacht uns an.
„Was willst’n du hier?“, zischt Noah.
„Mir von dir gleich so einen unverschämten Ton reinziehen bestimmt nicht“, erklärt sie und setzt sich fröhlich auf meinen Schoß.
„Ähem...warum nimmst du nicht einfach die Decke?“, lächele ich verlegen und schiebe die Traumfrau runter von mir.
„Meinetwegen. Noah, schau mich nicht so an, als könntest du mit Blicken töten. Bennie und ich sind immer noch befreundet, okay?!“
„Seit wann denn das?“
„Seit ich mich dazu entschlossen habe, eure Beziehung zu akzeptieren.“
Er haut sich mit der Hand gegen die Stirn. „Ach deshalb tauchst du hier halbnackt auf.“
„Ich schwimme selten vollständig angezogen. Aber bitte...“, sie kramt in ihrer Tasche und wirft sich ein Kleidchen über.
„Mal ehrlich, was soll diese pseudo Freundlichkeit?“
„Und was soll dein Misstrauen? Ich hab eben keine Lust, jahrelang in Liebeskummer zu versinken. Bennie hat sich für dich entschieden, du dich für ihn...Schwamm drüber. Zugegeben, ganz so einfach ist das vielleicht nicht, aber ich versuche, damit klarzukommen, weil ich Bennie halt trotz allem gern hab.“
Noah glaubt ihr kein Wort, das sehe ich ihm an. So richtig überzeugt bin ich ebenfalls nicht.
„Ausschlaggebend war eigentlich Tims blödes Verhalten“, faselt sie weiter, „der hat doch nun wirklich keinen Grund, sich mit dir zu verkrachen. Möglicherweise kommt er wieder zu Verstand, wenn er sieht, dass ich kein Problem mehr mit euch habe.“
Au weia...Elisa denkt immer noch, es ginge nur um sie! Und Noah rückt mir eifersüchtig auf die Pelle.
„Muss ziemlich heftig sein mit deiner Mutter, mh?“, fragt sie.
„Geht so.“
„Ich meine, die ist ja völlig gegen Noah. Als sie mich neulich nach dem Kaffeetrinken zur Tür brachte, weißt du was sie mir da gesagt hat?“
„Nee.“
„Kümmere dich bitte ein bisschen um Benjamin. Der ist im Augenblick so schrecklich durcheinander und wenn ihn überhaupt jemand zur Vernunft bringen kann, dann du. Sie mag ja nicht einmal Noahs Namen aussprechen. Sie sagte...dieser Junge. Aber es klang wie...dieses Ungeziefer, das meinen armen Sohn verdorben hat. Tja und da ist mir plötzlich aufgegangen, dass ihr genug Feinde habt. Also bin ich hier, biete euch meine Freundschaft an und...poliere kräftig meinen Heiligenschein“, grinst sie.
Entweder sie meint es ernst und hat wirklich keine Ahnung, wie verletzt Noah grad ist, oder
Elisa ist fieser als ich dachte.
Langsam erhebt sie sich und zuppelt ihr Kleid zurecht. „Ich muss los. Sissi und ich wollen noch shoppen. Bis dann.“
„Wow“, ist alles, was mir einfällt, während ich ihr hinterher starre.
„Das meint man also mit Wolf-im-Schafspelz. Bennie, du kaufst ihr diesen Scheiß doch hoffentlich nicht ab.“
„Weiß nicht.“
„Ist doch bloß eine neue Tour, um dich zurückzukriegen.“
„Und wenn nicht?“
Er schüttelt den Kopf.
„Du bist eifersüchtig.“
„Nee, ich hab nur wahnsinnige Angst, dich zu verlieren. Wäre schließlich nicht das erste Mal.“
Lächelnd streiche ich ihm Haare aus dem Gesicht. „Ich bin mit dir zusammen, Noah, und habe nicht vor, daran jemals etwas zu ändern.“
Nachdem das also geklärt ist schlendern wir Hand in Hand nach Hause...zu Noah. Ein paar Leute, die uns entgegen kommen, glotzen blöd, was mich aber nicht juckt. Im Gegenteil! Bin grad in Provokations-Laune und küsse Noah auf den Mund. Da werden die Blicke gleich noch eine Ecke fassungsloser. Leider sieht man beim Küssen nicht besonders viel von seiner Umgebung, deshalb sehe ich meine Mutter auch erst als sie direkt vor mir steht. Au Backe!! Das hab ich nun nicht unbedingt gewollt.
„Mom...“, murmele ich bestürzt.
„Guten Tag, Frau Schneider“, sagt Noah höflich.
Meine Mutter sagt nichts...ihr Gesichtsausdruck alles. Wenn das Töten von Menschen nicht gegen das soundsovielte Gebot verstoßen würde...sie würde meinen Freund auf der Stelle kalt machen! Angewidert starrt sie auf meine Hand, die noch immer Noahs hält.
„Geh mir aus den Augen“, zischt sie und eilt mit gesenktem Haupt davon.
„Scheiße“, wispert Noah betroffen.
Ich weiß grad noch nicht genau, wie ich mich fühlen soll. Unangenehm, logisch. Darüberhinaus...keine Ahnung. Und ich will auch gar nicht weiter nachdenken. Wir haben schließlich nichts Schlimmes getan. Mom wird sich an den Anblick von Noah und mir Hand in Hand gewöhnen müssen. Trotzdem habe ich heute vor, den Zeitpunkt nach Hause zu gehen, bis wer weiß wo hinauszuzögern. Am liebsten würde ich bei Noah schlafen...leider würde das noch mehr Stress bedeuten, denn morgen ist Schule. Sicher wird Mom wieder in ihre Schweigenummer zurückfallen. Das ist noch viel ätzender als streiten. Ehrlich, mit Streit kann ich inzwischen irgendwie umgehen, da kann man sich wenigstens verteidigen...oder ihr mal ordentlich die Meinung sagen. Aber wenn dein Gegenüber dich total ignoriert, das ist echt beschissen.
„Mom, wir müssen reden“, erkläre ich zwei Tage später und setze mich zu ihr ins Wohnzimmer. Eigentlich hab ich keinen Schimmer, was ich ihr sagen soll, aber ich halte ihr Schweigen nicht mehr aus.
„Möchtest du dich entschuldigen?“
Äh?! „Wofür denn?“, frage ich vorsichtig.
Ein schwerer Fehler. Sie macht ein Gesicht...unbeschreiblich. Ich glaube, sie würde nicht nur gerne Noah töten, sondern mich auch. Bloß weil ich seine Hand gehalten habe. Meine Güte!!
„Sag mir, was ich tun soll“, beginnt sie verzweifelt. „Würde es helfen, wenn ich dich zu deinem Vater schicke, damit dieser Junge nicht ständig in deine Nähe kommt?“
Au weia! „Mom, ich bin echt am Ende“, seufze ich. „Und sei mir nicht böse, aber so langsam glaube ich, du bist vielleicht doch verrückt.“
„Nicht diesen Ton, Freundchen. Ich bin immer noch deine Mutter“, zischt sie wütend.
„Okay, also...nein, es würde nicht helfen, denn ich liebe Noah. Das hab ich mir nicht ausgesucht und ich kann’s auch nicht ändern.“
„Du willst es nicht ändern“, behauptet sie.
„Denkst du echt, ich bin eines Morgens aufgewacht und hab mich entschlossen, schwul zu werden? So läuft das leider nicht, Mutter.“
„Aber es gibt Leute, die dagegen etwas tun, weil sie wissen, dass es Sünde ist. In Amerika gibt es ehemalige Homosexuelle, die sogar geheiratet und eine Familie gegründet haben. Und es gibt Experten, die sagen, dass Homosexualität heilbar ist. Willst du mir etwa sagen, dass das alles Unsinn ist?“
„Ich hab deine Heftchen gelesen und, ja, genau das sage ich. Wenn jemand glücklich damit ist, sich zu verleugnen, ist das seine Sache. Homosexualität ist weder eine Krankheit, die man heilen kann, noch eine Entscheidung, die man trifft.“
Sie lächelt triumphierend. „Du musst diese Entscheidung getroffen haben. Denn vorher warst du in Elisa verliebt und alles war in Ordnung.“
„Nichts war in Ordnung. Und komm mir jetzt bloß nicht mit dem Scheiß, dass Noah mir das alles eingeredet hat. Er ist nicht der Teufel. Wenn du dir mal die Mühe machen würdest, ihn kennen zu lernen...“
„Genug jetzt!“ Sie steht auf und geht zur Tür. „Du weißt, wie ich darüber denke. Ich habe nicht vor, meine Meinung zu ändern. Es ist ekelhaft, du weißt, was in der Bibel steht, und ich will dich nicht noch einmal mit diesem Jungen sehen.“
Fein, wir können uns ja in Luft auflösen oder Tarnkappen tragen.
„Weißt du eigentlich, dass Elisa vor ein paar Wochen mit mir Sex haben wollte? Sie hat mich praktisch dazu gedrängt. Noah würde so etwas nie tun. Niemals“, brülle ich ihr hinterher.
Oh Mann, wieso werde ich eigentlich für unnormal gehalten und sie darf mir ungeniert ihren Wahnsinn aufdrängen?! Und warum können wir nicht evangelisch sein? Evangelen gehen nämlich mit vielen Dingen offener um als die Katholen. Immerhin dürfen die Priester da heiraten und sogar Frauen sein. Und gegen Homosexualität haben die auch nichts.
Es wäre alles leichter, wenn’s mir egal wäre, was meine Mutter sagt. Aber welcher normale Mensch kommt schon gut damit zurecht, dass die eigene Mutter einen für ekelhaft hält?! Ein Gespräch mit Mom ist jedenfalls wie mit dem Schädel gegen die Wand rennen: total unnötig und hinterher hat man bloß Kopfschmerzen. Und die Verfasser ihrer komischen Heftchen möchte ich allesamt weg bomben. Eigentlich könnte ich mich über diesen aberwitzigen Scheiß kaputtlachen...wenn es nicht Leute gäbe, die das alles glauben. Das macht es ja so gefährlich. Der Papst zum Beispiel wäre allein nicht so schlimm. Ein harmloser Spinner eben. Leider hat der tausende von Anhängern, die ernst nehmen, was der sagt. Wenn Hitler nicht so viele Anhänger gehabt hätte, würde uns heute beim lesen der Geschichtsbücher nicht vor Entsetzen schlecht werden müssen.
Wie immer gehe ich, zwecks Entspannung, zu Noah. Der strahlt sofort, als ich seinen Keller betrete. Auch wie immer. Scheiße, ich liebe diesen Typen einfach. Er raubt mir den Atem. Also ganz ernsthaft. Ich muss mich sofort in sein Bett legen, ihn zu mir winken und mich heftig an ihn klammern. Mein Schädel droht fast zu zerspringen und wahrscheinlich japse ich ein bisschen nach Luft.
„Bennie, was ist los?“, kreischt Noah panisch.
„Nichts“, murmele ich und reibe mein Gesicht an seiner Brust. „Halt mich einfach nur fest, ja?“
„Kein Problem“, sagt er, etwas ruhiger. „Aber was ist los?“
„Es tut halt manchmal weh, verstehst du?“
„Nein.“
„Ich lieb dich so.“
„Ich dich auch.“
„Weiß ich doch. Aber manchmal kann ich mit diesem gewaltigen Gefühl kaum umgehen. Ich liebe dich und hab gleichzeitig immer auch Angst, dass dir irgendwas passiert, du weggehst, mich nicht mehr willst, dich die Scheiße mit meiner Mutter so nervt, dass du Schluss machst und ich dich nie wieder küssen und umarmen darf. Das prasselt alles so auf mich ein, dass ich fast zerreiße...“
„Wow...warum sagst’n mir das nie?“
„Weil du immer genau spürst, was ich grad brauche.“
„Tu ich das?“
„Ja. Manchmal reicht ein richtig geiler Fick, um wieder klarzukommen, aber jetzt...“
„Brauchst du ganz doll viel kuscheln“, stellt Noah lächelnd fest und schlingt seine Arme um mich wie eine Würgeschlange. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so anstrengend für dich ist, in mich verliebt zu sein“, sagt er plötzlich traurig.
„Es ist nicht anstrengend...bloß ab und zu ein bisschen sehr überwältigend.“
„So sehr, dass es weh tut.“
„Wenn du mich festhältst ist alles in Ordnung“, seufze ich und küsse seinen Hals.
„Okay, dann lass mich wissen, wann du den richtig geilen Fick brauchst, ja?“
„Na klar.“
Aller schlechten Dinge sind drei, oder so ähnlich heißt es doch. Noah denkt wahrscheinlich, es würde mir mittlerweile im Jugendzentrum gefallen und ich wäre dort absolut sicher. Er irrt sich. Und zwar in beiden Punkten. Okay, also die Musik ist nicht übel und eigentlich fühle ich mich überall zuhause, wo Noah ist...aber nicht im Jugendzentrum zwischen den Deppen, die meinen Ex-besten-Freund verprügelt haben und nur darauf lauern, Selbiges mit mir zu tun. Das Dreiergespann ist heute auch nicht da, was vermutlich egal ist, weil ich nicht glaube, dass die mich beschützen würden. Na ja, und dass die Deppen tatsächlich noch auf Noah hören, also darauf will ich mich sowieso nicht verlassen. Deshalb gehe ich einfach mal davon aus, die Fresse vollzukriegen und dass das eine sehr schmerzhafte Erfahrung werden wird. Wenn man nämlich mit dem Schlimmsten rechnet, ist man hinterher nicht so völlig überrascht. Außerdem kann man sich vorbereiten. Seelisch, auf die Schmerzen. Weil praktisch gesehen ist einer gegen ungefähr sieben bis zehn immer irgendwie ungünstig für den, der allein kämpft. Selbst wenn man sämtliche Finger mit Schlagringen bestückt hätte, was ich allerdings nicht getan habe, denn ich besitze keine.
Noah ist übrigens gerade...keine Ahnung. Irgendein Typ hatte was Dringendes mit ihm zu besprechen. Sicher will er eine weitere Schlägerei mit uns planen.
Weil es hier drin super verraucht, stickig und laut ist, beschließe ich, vor die Tür zu gehen, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Kein Depp weit und breit, keine Gefahr.
„Na sowas, sowas, sowas“, säuselt es spöttisch durch die Nacht. „Ganz allein hier draußen, mh?“
Ich brech zusammen! Und Martin baut sich drohend vor mir auf. Au je!! Am besten, ich ignoriere ihn. Vielleicht verwirrt ihn das und ich kann schnell wieder reingehen.
„Nicht so schnell, Mäuschen“, grinst er blöde und hält mich fest.
Okay, einmal kurz umhergeschaut, der Depp scheint allein zu sein. Wenn es sein muss, kann ich gut zuschlagen. Meine Chancen stehen nicht schlecht.
„Lass mich in Ruhe, Idiot“, zische ich mutig.
„Sonst was? Rufst du deinen Freund, damit er mir aufs Maul haut?“
„Nee, das schaffe ich noch selber“, erkläre ich genervt.
„Du kleine Katholenschwuchtel fängst doch an zu flennen, wenn ich dir einen Schubs verpasse“, lacht er.
„Weißt du was? Ich hab echt keine Lust, mir dein debiles Gefasel reinzuziehen, also verpiss dich doch einfach.“
Leider macht er das nicht, sondern rempelt mich an, wobei ich merke, dass er ziemlich kräftig ist. Und aggressiv sowieso. Das ist eine unberechenbare Mischung. Mein Mut verlässt mich ein wenig.
„Na, was jetzt, du Pussy? Jaulste doch nach deinem Arschfickerfreund?“
„Wieso willst du eigentlich immer, dass ich Noah rufe? Bist du irgendwie scharf auf ihn, oder was? Möchtest gerne, dass er dich mal so richtig durchfickt, mh? Sorry, Noah interessiert sich nicht für geistig schwache Vollpfosten. Also wirst du dir auch zukünftig selber einen abwichsen müssen.“ Wenn ich schon gleich kaputt am Boden liege, soll es sich doch wenigstens gelohnt haben.
„Ich mach dich fertig, du schwule Sau“, brüllt er, wirbelt mich herum und reißt meinen Kopf dermaßen hart nach hinten, dass ich das Gefühl habe, mein Kehlkopf ploppt heraus. Gleich darauf spüre ich eine Klinge an meinem Hals.
Ach du Scheiße!! Der Typ ist ja irre. Ich hab echt Angst. Nicht, dass er mir die Kehle durchschneidet...so wahnsinnig ist nicht mal der. Aber Blut sehen will er mit Sicherheit.
„Ich schlitz dir deine verdammte Visage auf“, zischelt er.
„Ich glaube kaum, dass du das tun wirst.“
Das war Noah. Ein winziger Hoffnungsschimmer macht sich in mir breit.
„Ach ja? Denkst du, du kannst mich aufhalten? Denkst du, hier hört noch einer auf das, was eine Schwuchtel sagt?“, faucht Martin böse.
„Lass ihn los“, fordert Noah ruhig. „Pack dein Spielzeugmesser ein und verpiss dich, bevor ich ernsthaft sauer werde.“
Noahs Stimme klingt echt gefährlich. Ich hätte mir schon längst in die Hose geschissen.
Zum Glück hab ich das noch nicht, was an ein Wunder grenzt, weil ich ja schließlich immer noch ein Messer an der Kehle habe.
„Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Niemand fasst meinen Süßen an. Also lass ihn endlich los.“
Martin lockert seinen Griff ein wenig.
„Ich sag das nicht noch mal.“
Die Hand löst sich von meinem Hals, ich werde heftig in Noahs Arme gestoßen.
„Bist du in Ordnung?“, fragt er, worauf ich hustend nicke. Danach streckt er seine Hand aus.
„Das Messer.“
„Du kannst mich mal“, zischt Martin.
„Gib mir das verfluchte Messer. Wird’s bald?!“
Ich traue meinen Augen nicht...Martin klappt das Teil zusammen und drückt es Noah in die Hand, der es in seine Hosentasche steckt.
„Und jetzt versuch, mir in den nächsten Tagen nicht über’n Weg zu laufen.“
Noah macht eine Kopfbewegung, worauf Martin ins Innere stürmt.
Mir ist das alles zu viel, meine Knie sind ganz weich und geben nach. Ich sinke erschöpft zu Boden. Noah beugt sich zu mir runter.
„Hey...alles klar?“
„Sieht das vielleicht so aus?“, frage ich entgeistert. „Der Typ wollte mir gerade das Gesicht zerschneiden.“
„Martin wollte dir Angst machen, sonst nichts.“
„Ach ja? Na, das hat er geschafft.“
„Wir gehen zu mir“, beschließt er, „da kannst du dich abregen.“
„Danke, mir reicht’s für heute. Und ich muss mich keineswegs abregen. Nicht nach dieser Nummer. Ich hatte ein gottverdammtes Messer an der Kehle, weil du Gang-Chef spielen musst.“
„Komm wieder runter, Bennie. Wir sind in keinem Ghetto-Film. Martin hätte dir nicht einen Kratzer zugefügt, der wollte dich nur zum Heulen bringen.“
„Dann ist ja alles bestens, gehen wir ins Bett und ficken ’ne Runde“, kreische ich hysterisch. „Noah, das ist kein Spaß mehr, okay? Deine Freunde sind total durchgedreht und du schleppst mich ständig in diesen asozialen Schuppen, wo potenzielle Kehlenaufschlitzer rumlaufen.“
„He, mir gefällt der asoziale Schuppen.“
„Ich finde, das sagt eine Menge über dich aus.“
„Ach so...dann bin ich wohl in deinen Augen auch asozial?“, fragt er angriffslustig.
„Jedenfalls hab ich keinen Bock auf so’ne Scheiße.“
„Ich etwa?“
„Ja, so langsam denke ich das. Gib doch zu, dass du dir in deiner Rolle gefällst. Noah, der Coole, dem alle gehorchen und der sein kleines Liebchen beschützt.“
„Das nächste Mal helfe ich dir nicht. Dann kannst du beweisen, dass du kein Liebchen bist, das beschützt werden muss. Ist dir das lieber?“
„Mir ist es lieber, wenn du mich die nächsten Jahre in Ruhe lässt“, brülle ich und mache, dass ich nach hause komme.
Das mit Noah und mir hat sich erledigt. Seit zwei Tagen hat er sich nicht gemeldet und ich sehe nicht ein, warum ich es tun sollte. Immerhin ist das alles seine Schuld. Und ich hatte nunmal ein beschissenes Messer an der Kehle. Wie kann der Arsch das dermaßen runterspielen? Hab ihm wohl bei den Prügeleien ein bisschen zu oft auf den Kopf gehauen.
Dass es ihm anscheinend völlig egal ist, wie es mir geht, tut genauso weh wie die Tatsache, dass es ihn nicht interessiert, ob wir noch eine Beziehung haben. Ich meine, ich hab zwar quasi mit ihm Schluss gemacht, aber er müsste doch versuchen, mich zurück zu kriegen. Um Verzeihung bitten, was weiß ich. Dafür ist sich Herr Winter offenbar zu fein. Gott, er fehlt mir so, es ist ekelhaft. Ganz ehrlich, mein Leben gefällt mir momentan nicht so besonders. Und ich frage mich langsam, wann der Herr im Himmel meint, dass ich genug durchzustehen hatte?! Alle um mich herum sind verrückt und Noah will nix mehr von mir wissen. Wieso schneide ich mir nicht die Pulsadern auf, dann hätte ich es hinter mir. Ich schätze, Mom würde mir das sehr übel nehmen. Selbstmörder dürfen nämlich nicht an der himmlischen Tafel neben Jesus sitzen. Da müsste ich mich schon killen lassen. Fein, das kann Martin übernehmen. Allerdings werde ich laut Mom für das Ausleben meiner abartigen Neigungen ja eh in der ewigen Verdammnis schmoren. Also ist’s auch schon egal, ob ich mir selber den Schuss gebe oder nicht.
Damit ich nicht auf noch dämlichere Gedanken komme, laufe ich ein bisschen durch den Wald und hocke mich an den See, wo ich letztens mit Noah war. Vielleicht in der aberwitzigen Hoffnung, dass er gleich auftaucht.
„Hey, Bennie.“
Nicht Noah, sondern Elisa. Meine Augen füllen sich mit Tränen, die ich hastig wegwische.
„Alles in Ordnung“, fragt sie und setzt sich neben mich.
„Eigentlich nicht.“
„Willst du darüber reden?“
„Nicht mit dir.“
„Okay, das war deutlich“, erwidert sie enttäuscht und will aufstehen, doch ich halte sie fest.
„So war das nicht gemeint. Es geht um Noah und das willst du sicher nicht hören, stimmt’s?“
„Was...ähem...was ist denn passiert?“
„Ich glaub, ich hab mit ihm Schluss gemacht.“
„Wirklich?“, kreischt sie.
„Bitte, freu dich darüber etwas dezenter.“
„Ich freue mich überhaupt nicht“, sagt sie und streichelt mir über den Rücken, „wenn du traurig bist. Hat er einen anderen Typen?“
Ich schüttele den Kopf.
„Ein Mädchen?“
„Nein. Wir haben gestritten und jetzt meldet er sich nicht mehr.“
„Dann ist er ein Penner“, beschließt Elisa.
„Ist er nicht“, widerspreche ich und werfe unmotiviert Steinchen ins Wasser.
„Er tut dir weh, also ist er ein Penner. Ich würde dir nie weh tun, Bennie“, wispert sie und rückt näher an mich heran, „niemals.“
„Ich kann diese ganze Scheiße nicht mehr aushalten...Noahs Freunde, meine...ehemaligen Freunde, Tim, meine Mutter...das ist irgendwie zu viel“, murmele ich bedröppelt und muss schon wieder fast heulen.
Elisa zieht mich sanft in ihre Arme und wuselt durch meine Haare. „Ist schon gut, Bennie“, versucht sie, mich zu beruhigen. Ihre Lippen berühren mein Ohr, wandern über meine Wange, ihre Hand legt sich unter mein Kinn und dreht meinen Kopf zur Seite. Dann drückt sie ihre Lippen auf meinen Mund.
Ey, was soll’n das?? Mir geht’s beschissen und die hat nichts Besseres zu tun, als mich zu knutschen? Irgendwie angeekelt schubse ich sie von mir.
„Entschuldige“, behauptet sie zerknirscht.
„Du kannst es nicht lassen, oder? Obwohl ich dir tausendmal gesagt habe, das ich Noah liebe.“
„Warum hast du dann mit ihm Schluss gemacht?“
„Ganz bestimmt nicht, weil ich was mit dir anfangen will“, antworte ich und gehe.
Aber nicht nach hause, sondern in die Kirche. Viel ist nicht los, weil im Augenblick keine Messe stattfindet. Eine betende Oma links und zwei betende Omas rechts. Ich setze mich nach vorne, starre auf das riesige Kreuz mit dem sterbenden Jesus, das über dem Altar hängt, und fühle mich ihm grad sehr nahe.
„Benjamin“, begrüßt mich der jugendliche Pfarrer überrascht.
Auch das noch!
„Hallo.“
„Möchtest du allein mit ihm sprechen?“, fragt er und deutet Richtung Kreuz.
„Nee. Er antwortet eh nicht.“
„Vielleicht hörst du nicht richtig hin“, lächelt der Mann Gottes und nimmt neben mir Platz.
„Meine Mutter würde sagen, dass er nicht mit mir spricht, weil ich einen Jungen liebe, was bekanntlich eine schlimme Sünde ist. Sie wissen ja...der Mann soll nicht beim Manne liegen... blablabla.“
„Ich kenne die Bibel. Allerdings halte ich die Interpretation der katholischen Kirche in einigen Punkten für... sagen wir mal...überdenkenswert.“
„Dürfen Sie das als Pfarrer?“
„Natürlich nicht“, lacht er. „Aber ich darf einem jungen Menschen den Rat geben, seinem Herzen zu folgen. Und ich kann voller Überzeugung sagen, dass Gott niemanden bestraft, der ehrlich und aufrichtig liebt. Ganz egal, ob diese Liebe zwischen einem Mann und einer Frau, zwei Männern oder zwei Frauen stattfindet.“
„Wow, könnten Sie das meiner Mutter beibringen?“
„Das hab ich versucht...und es mir leider mit ihr verscherzt.“
„Alles andere hätte mich auch gewundert. Ich muss los. Danke, für das Gespräch.“
„Du kannst jederzeit zu mir kommen, Benjamin.“
Na ja, es war zwar nett, aber mein bester Freund wird er deshalb noch lange nicht.
Und helfen kann er mir offensichtlich auch nicht.
Den gesamten Abend überlege ich, Noah anzurufen. Oder ihm eine sms zu schicken. Dummerweise hab ich erstens keine Ahnung, was ich sagen soll und zweitens möchte ich noch nicht hören, dass es aus ist zwischen uns. Also flenne ich lieber stundenlang, wälze mich im Bett hin und her, weil ich nicht schlafen kann, stehe mitten in der Nacht auf, ziehe mich an, steige aus dem Fenster, laufe durch die dunklen Straßen und klopfe an Noahs Fenster.
Es dauert ein paar Minten, bis sein Gesicht hinter der Scheibe auftaucht.
„Bennie, hey, was machst’n du hier?“, fragt er verschlafen.
„Darf ich rein?“
„Klar, aber sei leise, meine Eltern müssen das nicht unbedingt mitkriegen.“
In Boxershorts und Linus-T-Shirt öffnet er die Tür und wir schleichen die Treppe runter in seinen Keller. Er sieht so niedlich aus, dass ich ihn nur noch umarmen will.
„Was ist denn so dringend, dass du um halb zwei morgens hier auftauchst?“
„Ich...muss mit dir reden.“
„Jetzt?“
„Ja...Noah, ich...“, werfe mich in seine Arme. „Ich will dich nicht verlieren“, heule ich.
„Äh...“, entgegnet er, „drehst du durch?“
„Wenn du mich nicht mehr liebst...“
„Okay, hör auf damit, ja?“ Er nimmt mein Gesicht in seine Hände und sieht mich an. „Wir haben uns gestritten, Bennie, das bedeutet doch nicht, dass ich dich nicht mehr liebe. Bist du völlig bescheuert?“
„Du willst nicht Schluss machen?“
„Mit dir? Auf keinen Fall“, lächelt er und wischt mit den Daumen meine Tränen weg.
Oh Mann, riesige Felsbrocken fallen von mir ab, Wolkenkratzer, das Empire State Building, der Eiffelturm...
„Wieso hast du dich dann seit zwei Tagen nicht gemeldet?“
„Erstens sollte ich dich in Ruhe lassen, zweitens war ich sauer und drittens hattest du allen Grund, so auszuflippen. Immerhin kennst du Martin nicht und konntest kaum wissen, dass er dir nichts tun würde.“
„Du warst sauer...auf mich?“, frage ich fassungslos.
„Eher verletzt, weil du mich für asozial hältst.“
„Halte ich doch gar nicht.“
„Sauer war ich hauptsächlich auf mich selber. Dich ins Jugendzentrum mitzunehmen, war eine blöde Idee. Diese beschissene Gang-Sache hat irgendwann mal aus Spaß angefangen, aus Langeweile, was weiß ich. Konnte doch nicht ahnen, dass die Idioten das plötzlich so ernst nehmen. Jedenfalls hab ich denen gesagt, dass ich keinen Bock mehr auf sie habe. Ich fürchte damit sind deine Feinde jetzt auch meine.“
„Macht auch schon nichts mehr“, zucke ich die Schultern und krabbele ins Bett. „Komm her und sei ein bisschen nett zu mir.“
Noah wurschtelt sich unter die Decke.
„Nicht so nett“, rege ich mich auf und schiebe seine Hand weg, die grad meine Hose öffnen wollte.
„Sorry, ich dachte...na ja, wann haben wir denn das letztemal...?“
„Noah, wir haben andauernd Sex“, murmele ich und schmiege mich behaglich an ihn.
„Aber nicht in letzter Zeit. Entweder warst du müde, hattest Stress mit deiner Mutter, wolltest lieber kuscheln...“
„Oder wir haben gestritten, weil mir ein Wahnsinniger beinahe das Gesicht zerschnitten hat“, unterbreche ich ihn. „Wieso hat Martin so’ne Angst vor dir, dass er macht, was du sagst, obwohl er das Messer hat?“
„Ich weiß ein paar Dinge über ihn, die nicht unbedingt an die Öffentlichkeit gelangen sollen“, erklärt er.
„Was denn?“
„Das geht nur ihn und mich etwas an.“
„Verstehe. Du hattest übrigens Recht.“
„Aha. Womit?“
„Elisa. Hab sie nachmittags zufällig getroffen...ich war in keiner fröhlichen Stimmung und sie hat sofort versucht, die Situation auszunutzen.“
Er setzt sich schwungvoll auf. „Ey, diese Kuh! Ich könnte der so aufs Maul hauen. Und? Hast du dich ausnutzen lassen?“
„Frag mich das noch mal, dann hau ich dir aufs Maul“, antworte ich und ziehe ihn wieder runter zu mir. „Wie sieht’s aus? Hast du Lust, mir einen zu blasen?“
„Was krieg ich denn dafür?“
„Mich“, wispere ich ihm ins Ohr. „In meiner Schuluniform. Morgen.“
Augenblicklich verschwindet Noahs Kopf unter der Bettdecke.
Im Morgengrauen schleiche ich zurück in mein Zimmer und liege wach, bis der Wecker klingelt. Mühsam schleppe ich mich ins Bad, werfe einen Blick in den Spiegel und finde, dass ich zum Kotzen aussehe. Die Ringe unter meinen Augen werden von Tag zu Tag dunkler und irgendwie meine ich, den verkniffenen Gesichtsausdruck meiner Mutter an mir zu entdecken.
Wenn das so weitergeht, wird Noah sich bestimmt nicht mehr über zu wenig Sex beschweren, sondern froh sein, dass er mich nicht mehr anfassen muss. Mann, ich weiß ja selber, dass es momentan im Bett ziemlich lausig ist, aber ich bin halt immer so...müde, total fertig.
Dieser Zustand zieht sich durch den gesamten Schultag und ändert sich auch während der körperlichen Ertüchtigung im Sportunterricht nicht auffällig. Tim rempelt mich ein paar Mal absichtlich an und erwartet wahrscheinlich eine Reaktion von mir. Kann er haben. Ich rappele mich wieder auf die Beine und ignoriere ihn.
Zuhause ignoriere ich meine heulende Mutter und meinen zerknirscht dreinblickenden Vater. Ehrlich, ich will gar nicht wissen, warum der hier ist. Meinetwegen wohl kaum. Sicher bequatschen die grad ihre Scheidung. Oder Mom jault ihm die Ohren voll, dass ihr Sohn Hand in Hand mit „diesem Jungen“ durchs Dorf latscht, weswegen sich alle das Maul zerreißen.
So schnell ich kann ziehe ich mich um und gehe zu diesem Jungen.
„Hey“, begrüße ich ihn matt.
„Hi“, sagt er.
„Sieh mich nicht so enttäuscht an. Ich weiß, was ich versprochen hab“, erkläre ich und lege mich neben ihn aufs Bett. „Mir ist aber jetzt nicht danach. Schlimm?“
„Nee“, behauptet er. „Kuscheln ist ja auch ganz nett.“
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