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Juli

Teil 6

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Vorwort

Der allerallerletzte Teil *schnüff*

 

Drei Wochen sind seit der CD-Aktion vergangen und so langsam lässt der Schmerz nach.

Okay, das ist natürlich gelogen. Ich heule immer noch jeden Abend um halb zehn. Hab mich mit Lotte verkracht. Mann, die hat mir echt die Hölle heiß gemacht. Ätzend, fies, grausam, ekelhaft usw fand sie mein Verhalten. Wie ich ihrem Spatz sowas antun könne, der sei total fertig gewesen. Hatte daraufhin keinen Bock, ihr zu sagen, dass ich heule, kotze und mein Leben vorbei ist, seit ihr Spatz mich nicht mehr liebt. Jedenfalls herrscht jetzt Funkstille zwischen uns. Jaja, ich finde inzwischen auch, dass das mit dem Lied ein bisschen heftig war. Was soll ich sagen... ich mache halt alles falsch. Wahrscheinlich hat Nils sich deshalb neu verliebt. Wahrscheinlich macht Basti-Bitch alles richtig. Das Knutsch-Bild der beiden ist irgendwie immer da und treibt mich in den Irrsinn.

Manchmal kann ich mir erfolgreich einreden, dass alles ganz normal ist. Nils und ich haben uns ja eh nicht oft gesehen. Es ist also wie immer... nur, dass wir halt nicht telefonieren und ich meine nächsten Ferien nicht mit ihm plane. Aber dann muss ich in total belanglosen Situationen an ihn denken. Ich gehe zum Beispiel von der Schule nach Hause und plötzlich schießt mir Nils wie ein verfluchter Blitz durchs Hirn. So heftig, dass mir übel wird, ich Herzrasen und Atemnot kriege. Manchmal wache ich nachts im dreißig-Minuten-Takt auf und hab nur einen Satz im Kopf „Nils liebt mich nicht mehr«. Und so sehr ich mich auch zwinge, ich kann nichts anderes denken. Das Zimmer ist dunkel, mir ist kalt, ich kann mich nicht bewegen und die schrecklichen Worte pappen mein Hirn zu.

Ich überlege, Stella anzurufen. Einfach so, um mit ihr zu quatschen. Oder um mich zum vögeln zu verabreden. Ich mag aber keinen Sex mit einer Frau haben. Ich mag überhaupt keinen Sex mit jemandem haben, der nicht Nils ist. Und das, wo der sich doch inzwischen wahrscheinlich schon längst von Sebastian durchpoppen lässt. Je mehr ich drüber nachdenke, deso klarer wird mir, warum Nils mich nicht mehr will. Ich bin eben Stress pur. Und weit weg. Und ich hab ihn betrogen. Immer hab ich schlechte Laune, weil ich alles schwarz sehe. Kann mich nicht anständig freuen, weil ich bereits an den Moment denke, in dem das Schöne nicht mehr da ist. Ich würde jemanden wie mich ja auch nicht lange aushalten.

Kinderzimmerproductions sagen „Kein Mensch sondern eine Zumutung, ich sag schon nicht mehr Hallo ich sag immer erst Entschuldigung«... ich stehe total auf den Spruch.

Dummerweise stelle ich aber fest, dass Selbstmitleid mich nicht weiter bringt. Ständiges Jammern nützt ja nix, man vergrault nur seine große Liebe. Ob Sebastian jetzt sein Niffnasentier ist? Oh Gott, Nils fehlt mir so schrecklich und ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll. Ich weiß irgendwie gar nichts mehr. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Es gibt Tage, da mag ich nicht einmal aufstehen, weil das so anstrengend ist und gar keinen Sinn macht. Dann wieder brauche ich unbedingt Caro oder Cassi um mich rum und sobald die da sind, will ich lieber allein sein. Wenn ich allein bin, ertappe ich mich dabei, wie ich mir wirklich jede Kacksendung im Fernsehen anschaue, die irgendwas mit Berlin zutun hat. Blöde Reportagen oder Frauentausch zum Beispiel... da ist fast immer eine Trulla aus Berlin dabei.

Wenn ich's besonders theatralisch haben will, drücke ich zusätzlich noch meinen Berlin-Stadtplan an mich und flenne bis zur Besinnungslosigkeit. Ich hätte mir niemals erlauben dürfen, mich so sehr in Nils zu verlieben. Blödsinn. Nils zu lieben war das Beste überhaupt. Ihn zu küssen, seine Haut zu streicheln, ihn lächeln zu sehen... dieses Glitzern in seinen Augen. In meinen Augen glitzert es auch, ich heule nämlich mal wieder. Und ich warte. Warte auf den Augenblick, in dem ich begreife, dass ich nicht mehr mit Nils zusammen bin und das Leben trotzdem weiter geht. Warte darauf, dass ich aufhöre zu fragen, warum er mich nicht mehr lieb hat?!

Die Frau nervt. Zwar tut sie eigentlich gar nichts aber ihre bloße Anwesenheit ist mir eklig.

Eine normale Mutter hätte mich doch mal gefragt, was mit mir los ist, oder? Ich meine, ich hab verheulte Augen, kotze andauernd und renne zombie-like durchs Haus. Der Frau ist alles scheißegal. ICH bin der Frau scheißegal. Wieso hat die denn nicht einen Funken Gefühl im Leib? So ein schreckliches Kind bin ich doch gar nicht. Wenn man bedenkt, dass es Frauen gibt, die ihre Söhne besuchen, die wegen Mord im Knast sitzen... ich überlege ernsthaft, zum Mann und Ariane zu ziehen. Allerdings wäre ich dann nicht mehr in Caros Nähe. Meine ganzen Freiheiten müsste ich wohl ebenfalls aufgeben. Hier bin ich ja relativ ungestört. Und ich weiß nicht, ob der Mann die ganze Zeit den Superpapi raushängen lässt, wenn er mich erstmal unter seinem Dach hat. Jedenfalls muss ich irgendwas tun. Es kann nicht sein, dass mein gesamtes Leben von Nils bestimmt wird. Bin doch vorher auch ohne ihn klargekommen.


„He, hast du Lust auf Besuch?« fragt Cassi vorsichtig.

Ich nicke, obwohl ich weiß, worauf das hinauslaufen wird. Er ist der einzige Nils-Neuigkeiten-Lieferant, den ich habe. Wir reden eine Weile alibihalber über belangloses Zeug, bis ich es nicht mehr aushalte.

»Hast... hast du irgendwas von Nils gehört?«

»Zum Beispiel?« seufzt er.

»Keine Ahnung. Zecke hat dir doch sicher was erzählt. Wie geht's ihm denn?«

»Zecke?« fragt er blödsinnig, besinnt sich dann aber eines besseren. »Gratulation. Nach eurem letzten Telefonat ist Nils ziemlich zusammengebrochen.«

Toll, das weiß ich längst. »Wieso?« frage ich dennoch.

»Naja, dachtest du, er freut sich darüber, dass du ihn so sehr hasst?«

»Dachte er, ich freue mich darüber, dass er einen neuen Freund hat?« entgegne ich finster.

»Trotzdem war das echt gemein. Nils hat tagelang geheult... sagt Zecke.«

Na und? ICH heule ja wohl auch. Bin ich jetzt etwa wieder der Buhmann? Nach allem, was Nils mir angetan hat? »Er hat nur zu hören gekriegt, was ich fühle. Er wollte das doch so haben. Meint er etwa immer noch, ich müsse für ihn Verständnis haben?«

»Nee, ich glaube, er hat inzwischen begriffen, dass Schluss ist.«

»Warum klingt das so, als hätte die Entscheidung bei mir gelegen? Er wollte mich nicht mehr haben.«

»Überleg doch mal, für ihn ist das alles sicher auch nicht leicht. Zecke sagt, dass er Nils noch nie so traurig und elend gesehen hat. Und ich hab dir gesagt, du sollst um ihn kämpfen. Ihm zeigen, dass dir eure Beziehung wichtig ist aber du musst ja den Sturkopf spielen und machst lieber gleich Schluss anstatt irgendwas zu retten.«

Alles klar. Nils verliebt sich und ich muss mir diese Scheiße anhören. »Hallo? Es gibt nichts zu retten«, entgegne ich aufgebracht.

»Du versuchst es ja nicht einmal. Wenn Zecke mir sagen würde, dass ihn irgendein Typ verwirrt... ich würde sofort nach Berlin fahren.«

»Lass dich nicht aufhalten. Vergiss aber nicht, dass deine Eltern dir verboten haben, allein zu verreisen.«

»Jetzt weiß ich endlich, warum Caro dich nur Knallkopp nennt.«

»Und ich wette, du weißt auch, wo sich die Tür befindet und wie man hindurch geht.«

Cassi schüttelt den Kopf und schleicht davon. Ich fühle mich wie monatealte Kotze. Und ich fühle mich wahnsinnig allein gelassen. Alle haben so schrecklich viel Mitgefühl und Verständnis für Nils‘ Situation. Aber was ist mit mir? Leide ich etwa nicht? Mir wurde von einer Sekunde zur anderen der Boden unter den Füßen weggerissen. Ich weiß nicht, wie ich es ohne Nils aushalten soll, ob ich irgendwann mal an ihn denken kann, ohne in Tränen auszubrechen?! Kann sich vielleicht irgendjemand auch nur ansatzweise vorstellen wie weh es tut, wenn dir der absolut wichtigste Mensch auf der ganzen Welt sagt, dass er einen anderen liebt?? Wenn man diesen Menschen niemals mehr in den Arm nehmen und spüren kann und man fast den Verstand verliert, weil man sich nichts sehnlicher wünscht, als ihn zu halten und nie wieder loszulassen? Wenn man anfängt, diesen Menschen dafür zu hassen?

Ich finde, ich habe durchaus auch ein Recht auf Mitgefühl und Verständnis.


Freitagabend und alle sind unterwegs. Ich hasse es, wenn ich Leute anrufe und die sind nicht da. Caro vögelt mit Sandro und Cassi ist auf irgendeiner Geburtstagsparty. Lotte kann ich nicht anrufen, weil die mich immer noch hasst, Nils kann ich nicht anrufen, weil der mich nicht mehr liebt. Mehr Leute kenne ich nicht. Vielleicht schnappe ich mir gleich ein schönes großes Messer und schlachte die Frau ab?! Ist sicher eine spaßige Angelegenheit. Vielleicht heule ich aber auch einfach nur den ganzen Abend.

Aha... mein Hand klingelt. Stella!? Ich überlege kurz, sie einfach wegzudrücken, melde mich dann aber doch. »Hi, was gibt's?«

»Hi, was machst du im Augenblick?«

»Nix, warum?«

»Öh... ich stehe grad vor deiner Haustür und wollte fragen, ob's okay ist, wenn ich raufkomme?«

Gütiger Gott, die hat nerven. Einfach immer so schwuppdiwupp aufzutauchen. Und eigentlich hab ich auch gar keinen Bock auf sie. Sicher will die mich nur wieder verführen.

»Hallo... was ist denn jetzt?« fragt sie ungeduldig.

»Okay.«

Ich rase runter und öffne die Tür. Sie umarmt mich strahlend und riecht schon wieder so verdammt gut. Und sie sieht mal wieder atemberaubend aus. Ringelstrümpfe, Mini und ein enges Oberteil. Ich glaube, Stella ist das schönste Mädchen der Welt. Interessiert mich allerdings grad einen Scheiß.

»Was zum Teufel machst du hier?« frage ich, während wir in mein Zimmer gehen.

»Hab einen Freund besucht und dachte, ich schaue auf dem Rückweg mal bei dir vorbei.«

»Und wenn ich nicht dagewesen wäre?«

Sie zuckt die Schultern, zieht ihr Jäckchen aus und lässt sich auf Bett fallen. »Dann hätte ich mir eben was anderes überlegt. He, wie geht's dir? Siehst aus wie Kotze. Alles in Ordnung?«

Einen Moment bin ich geneigt, einfach zu sagen, dass es mir gut geht aber... zur Hölle, sie hat mich schließlich gefragt. Warum sich also verstellen?!

»Hab mich von Nils getrennt.«

Stella reißt ihre schwarz umrandeten Augen auf. »Was? Wieso? Doch nicht wegen der Sache mit mir, oder?«

»Nee.«

»Na gottseidank«, seufzt sie und schlägt sich danach sofort die Hand vor den Mund. »Äh... so war das nicht gemeint, ich wollte nur... also, du weißt schon.«

»He, beruhig dich. Ich weiß, wie's gemeint war.«

»Sorry, Juli, aber... immer wenn man dich sieht oder mit dir spricht, hast du grad Stress.«

»Ist das vielleicht meine Schuld?«

»Weiß nicht. Das kann ich dir erst beantworten, wenn du mir gesagt hast, was los ist.«

»Das dauert die ganze Nacht«, erkläre ich, obwohl ja eigentlich mit einem Satz alles erledigt wäre. Nils liebt mich nicht mehr.

»Hast du Alkohol da?«

Typisch Stella. Erstmal saufen.

Wir trinken Wodka mit Fanta-Limette und ich rede und rede und rede. Erzähle ihr echt jede Kleinigkeit. Jedenfalls alles, was ich aus meinem benebelten Hirn quetschen kann. Sicher gefällt ihr die CD-Aktion. Die steht auf solche Sachen.

»Wow... «, sagt Stella zum Schluss und kippt ihren Wodka-Mix runter. »Das ist natürlich bitter.«

Ich hasse diesen Satz, bin allerdings schon viel zu betrunken, um mich darüber noch aufregen zu können. »Ja, total bitter.«

»Und das mit dem Lied war ja echt der absolute Bringer.«

Wusste ich's doch.

»Ging's nicht noch ein bisschen pathetischer?«

»Äh... was?«

»Genau. WAS hast du dir bei dieser absolut unnützen Superscheiße gedacht, mh?«

Au weia, hätte doch lieber die Klappe halten sollen. »Hab mich eben grad so gefühlt und ich wollte...«

»Ein wenig Drama inszenieren«, unterbricht sie mich. »Warum mit ihm reden, wenn man eine filmreife Szene hinlegen kann, was?«

»Stehst du etwa auch auf seiner Seite?« zische ich böse. »Mir doch Milch. Hab mich längst damit abgefunden, dass ich der Arsch bin und alle Verständnis für Nils haben.«

»Ohhh... Juli gegen den Rest der Welt«, lächelt sie spöttisch.

»Was soll'n der Scheiß?«

»Wieso geht's dir eigentlich so schlecht? Ich dachte, du hättest Schluss gemacht. Was soll dann das Geflenne?«

»Die Frage ist total blödsinnig. Bist du besoffen?«

»Leider noch nicht genug«, seufzt sie, »denn du bist nüchtern kaum zu ertragen.«

»Dann verpiss dich doch einfach«, brülle ich.

»Und dann? Heulste weiter?«

Mir reicht es langsam. Ich dachte, Stella würde mich verstehen. Aber anscheinend begreift ja niemand, was ich durchmache.

Sie reibt angestrengt ihre Stirn. »Okay... dein Hirn ist ja wohl völlig abhanden gekommen, also... Nils sagt, er sei verwirrt und du machst sofort Schluss mit ihm und jaulst. Na, klingelt's irgendwie?«

»Nee, sollte es?«

»Du hast dich schwachsinnig verhalten und total überreagiert?« schlägt sie vor.

Die gehört ja in eine Zwangsjacke!! »Nils ist in Sebastian verliebt... wie hätte ich denn deiner Meinung nach reagieren sollen? Ihm viel Glück wünschen?«

»Verwirrt und Verliebt ist nicht unbedingt dasselbe. Du großer Gott... Nils hat irgendwen geküsst und fand das schön... du hast mich auch geküsst und ich unterstelle jetzt einfach, dass es für dich schön war. Verstehst du, was ich meine?«

»Nicht wirklich. Außerdem war das zwischen uns... äh... ein Versehen oder sowas.«

Stella sieht aus, als würde sie gleich den Verstand verlieren. »Bist du echt so blöd oder stellst du dich extra so an, um mich mit in den Irrsinn zu ziehen? Okay, ich mach's kurz, alles andere überfordert dich ja anscheinend. Wenn man jemanden liebt und dieser Jemand irgendwen küsst, aus welchen Gründen auch immer, also, wenn sowas passiert... REDET MAN DARÜBER UND MACHT NICHT GLEICH SCHLUSS!« bölkt sie mir ins Gesicht.

»Aber... «

»Julian«, unterbricht sie mich scharf, »ein Wort noch und ich hau dich kaputt. Wieso muss ich hier überhaupt deine Beziehung in Ordnung bringen? Scheiße, ich krieg Kopfschmerzen.

Überleg mal, was Nils dir alles verziehen hat und du schießt ihn ab, weil ihn ein Kuss verwirrt?! Okay, ich verstehe total, dass dir das weh getan hat aber vielleicht hättest du ihm DAS mal sagen sollen, anstatt, dass du auf sein Grab pissen willst.«

Also irgendwie... nein! Verflucht, Nils ist der Penner, nicht ich!! Gott, ich steig überhaupt nicht mehr durch. Alles ist so verkorkst. Ich glaub, ich hab ein Déjà vu. Ein andauerndes.

Immer, wenn es Stress mit Nils gab, bin ich irgendwann nicht mehr mitgekommen und hab mich völlig verdacht. Er hat gesagt... nee, hat er gar nicht. Verwirrt ist er. Verliebt? Er hat gesagt, dass er mich liebt. Und ich fand es tatsächlich schön mit Stella aber trotzdem wollte ich Nils. Was, wenn er... oh nein und ich trenne mich von ihm. Jetzt denkt Nils, dass ich ihn hasse aber das stimmt doch gar nicht. Scheiße, Cassi hatte recht. Alle hatten recht. Ein bisschen. Ich hab zu überstürzt gehandelt, hätte mit Nils reden sollen. Ich Vollidiot hab ihn wahrscheinlich so richtig in Sebastians Arme getrieben.

»Ich würde meinen Süßen ja schleunigst anrufen«, reißt Stella mich aus meinen Gedanken.

»Und wenn er nicht mehr will, hast du's wenigstens versucht. Dann kannst du ihm immer noch die Pest an den Hals wünschen und mit mir ficken... kuck mich nicht so an, das war ein Scherz, Juli.«

Zum Glück. Hab nämlich echt so absolut überhaupt nicht vor, etwas mit ihr anzufangen. Ist das nicht geil?! Jetzt wo ich dürfte, will ich sie nicht. Ich will mein Zimtsternchen!!


Okay, Wochenende vorbei, Stella weg und ich fürchte mich zu Tode. Ich hatte ehrlich gehofft, sie würde ewig hierbleiben, dann müsste ich jetzt nicht telefonieren. Leider hab ich sie aber freundlich gebeten, möglichst bald nach Hause zu fahren. Die hat nämlich alles durcheinander gebracht. Bevor sie kam konnte ich Nils hassen und alles war in bester Ordnung. Jetzt muss ich mir Gedanken darüber machen, ob nicht vielleicht doch wieder ich die Arschgeige in der ganzen Angelegenheit bin?! War ich denn echt so verpeilt? Spielt das alles noch eine Rolle? Zecke hat gesagt, Nils sei mit Sebastian zusammen... warum sollte ich ihn also jetzt anrufen? Er hat sich doch längst entschieden. Aber warum hat ihn das dämliche Lied dann dermaßen fertig gemacht? Ich verstehe gar nichts mehr und ich rufe ihn jetzt an. Scheiße, der legt doch sicher sofort auf, wenn er meine Stimme hört. Mein Puls ist praktisch nicht mehr messbar, als ich den Hörer an mein Ohr presse und mir insgeheim wünsche, dass er nicht da ist. Dummerweise klickt es bereits nach dem dritten Tuten und... au weia.

»Ja, hallo?«

Ich muss was sagen. Jetzt! Ein zaghaftes Stimmchen wispert aus meinem Mund. »He.«

Lange Pause. Mir ist unerträglich übel.

»Willst du mir ein neues Lied vorspielen?« Nils‘ Stimme ist sehr... kühl.

»Nein, ich wollte... äh... « Wieso ist das denn so schwierig? Es war keine gute Idee, ihn anzurufen. Ich weiß doch gar nicht, was ich sagen soll.

Nils schnauft. »Danke für das Gespräch.«

»Warte«, brülle ich panisch, »leg nicht auf.« Meine Hände zittern. Alles zittert. Wie soll ich bloß anfangen?

»Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.«

Arschloch. Der ist sicher nicht so cool.

»Juli... was willst du?« fragt er ungeduldig. Vielleicht auch ein wenig genervt und ärgerlich.

»Deine Stimme hören«, fällt mir nur ein.

»Ist das alles?«

»Nein, verdammt«, entfährt es mir wütend. »Ich will mich für das bescheuerte Lied entschuldigen.«

»Okay, hab's zur Kenntnis genommen.«

»Komm schon, Nils, lass mich nicht so hängen. Es tut mir wirklich leid.«

»Und damit ist die Sache erledigt, oder wie?«

Seinen patzigen Ton kann der sich echt sparen. Ich werde langsam wütend, versuche aber, das runterzuschlucken. »Nein... ich... ich war verletzt und wollte dir auch weh tun.«

»Du musst mir das nicht erklären. Ich kann mir schon vorstellen, was bei dir abgegangen ist«, entgegnet er gereizt.

Ehrlich, ich finde, für seine Gereiztheit besteht fast kein Grund. Immerhin hat er mit dem ganzen Scheiß angefangen, oder? Wenn er es nicht schön gefunden hätte, Sebastian zu küssen...

»Hast... was ist denn mit Sebastian?«

»Was soll mit ihm sein?«

Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen. »Seid ihr zusammen?«

»Es geht dich zwar nichts an aber... ja. Als du mit mir Schluss gemacht hast, bin ich sofort zu ihm und hab ihn gefickt.«

»Oh... « So deutlich hab ich's jetzt nicht unbedingt wissen müssen aber okay, gib's mir ruhig.

»Das glaubst du doch nicht wirklich, oder? Du denkst also, ich bespringe gleich den Nächsten, nachdem mir mein Freund derart zu verstehen gibt, wie sehr er mich verabscheut?«

»Was soll ich denn bitte denken, wenn du dich plötzlich in Sebastian verknallst? Wenn du andauernd rumrennst und irgendwelche Jungs küsst? Erst Zecke, dann Basti... «

»Wenigstens hab ich keinen von beiden gevögelt als wir noch zusammen waren.«

»Die Sache mit Stella hat mir nichts bedeutet, das weißt du ganz genau.«

»Das kannst du noch so oft beteuern, ändert aber nichts an der Tatsache, dass du mich betrogen hast. Es war nicht sehr lustig, damit klarkommen zu müssen.«

»Bei mir und Stella waren keine Gefühle im Spiel. Du dagegen bist in Sebastian verknallt, was ja wohl bedeutet, das du mich nicht mehr liebst.«

»Ich glaube nicht, dass ich das so gesagt habe. Aber das ist typisch für dich. Du reagierst nicht auf das, was ich sage, sondern auf das, was du dir zusammenbefürchtest. Das ist so anstrengend, Juli. Ich versuche ja immer, dich zu verstehen aber irgendwann kommt einfach der Punkt, an dem dein verkorkstes Denken nicht mehr nachvollziehbar ist. Und ehrlich gesagt, hab ich jetzt überhaupt nicht den Drang, irgendwas mit dir zu klären, ich bin nämlich echt müde.«

Meine Fingernägel krallen sich in den Stoff meiner Jeans. »Darf... können wir später nochmal telefonieren?«

»Ich melde mich irgendwann. Mach's gut.«

Das war's. Erleichtert bin ich kaum. Und ich weiß immer noch nicht, was zwischen ihm und Basti-Spasti abgeht. Oder zwischen... uns?! Ich weiß nur, dass ich offensichtlich schwer geistesgestört sein muss, wenn ich mir Sachen ausdenke und die dann für real halte. Danke für diesen doch sehr interessanten Einblick in meine Psche, Herr Doktor Fischer! Vielleicht sitze ich ja bald am Straßenrand, rede mit den Häusern und werde in eine Zwangsjacke gesteckt?! Und wieso bin ich der einzige, der sich andauernd entschuldigen muss? Hab ich vielleicht mit Basti geknutscht und fand das toll? Nils ist es ja wohl scheißegal wie ich mich dabei gefühlt habe. Knallt mir das vor den Latz und erwartet, dass ich ihm Zeit gebe. Und wenn er nicht weiter weiß, haut der mir die Sache mit Stella um die Ohren. Ich finde sowas echt ekelhaft. Ich meine, das ist vorbei, wir haben darüber gesprochen, er hat mir verziehen.

Mir das vorzuwerfen, um seine eigene Arschlochhaftigkeit runterzuspielen ist armselig. Hätte ich gerade von ihm nicht erwartet. Aber... ich hätte so einiges von ihm nicht erwartet.


Verflucht noch eins. Es kann doch nicht sein, dass sich meine ganze Welt nur um Nils dreht.

Jetzt hänge ich seit Tagen hier rum und traue mich nicht wegzugehen, aus Angst, ich könne seinen Anruf verpassen. Irgendwann hat er gesagt... das kann alles mögliche bedeuten. Morgen, übermorgen, in drei Wochen, in sechs Monaten. Ich vermisse ihn immer noch so schrecklich. Außerdem versuche ich meinen Kopf aufzuräumen und überlege, ob Nils vielleicht recht haben könnte?! Ich habe wirklich manchmal verkorkste Gedanken, das ist schon klar. Und ich gehe auch lieber immer erstmal vom Schlimmsten aus... tut das aber nicht jeder? Wie soll man sich denn sonst vor Enttäuschung und Verletzung schützen... wenigstens ein klitzekleines bisschen? Ich hab doch versucht, ausnahmsweise mal an mein Glück zu glauben und was passiert? Nils knutscht Sebastian und ich habe keinen Freund mehr. Und wenn ich mich nicht bald bei Cassi entschuldige hab ich den auch noch verloren.

Total zerknirscht klopfe ich also an seine Tür und schleiche ins Zimmer.

»Was willst'n du?« fragt er überrascht aber nicht sehr ärgerlich.

»Sorry, dass ich beim letztenmal so... «

»Schon okay«, seufzt er. »Wir sollten wohl besser nicht mehr über bestimmte Sachen sprechen, dann besteht auch keine Gefahr, dich auf die Palme zu bringen.«

Ich nicke und weiß plötzlich nicht, worüber ich sonst mit ihm sprechen soll, wenn nicht über Nils. Komisch, ich weiß eigentlich gar nichts von Cassi. Wir haben andauernd nur über Jungs geredet. Macht uns das zu Freunden?

»Sag mal«, beginne ich, »denkst du wirklich, ich hätte nicht so schnell aufgeben dürfen?«

»Hä?«

»Nils.«

»Das Thema wollten wir doch lassen. Okay, ich finde, ihr gehört einfach zusammen.«

Es tut weh aber es ist auch irgendwie total schön, das zu hören. Bescheuert, oder? Als würde alles wieder in Ordnung kommen, wenn nur genug Leute der Meinung sind, dass Nils und ich zusammen gehören.

»Weißt du, als du mit ihm hier warst, da war ich ganz schön neidisch. Wie verliebt er dich angesehen hat und seine Augen haben so gestrahlt... ich hab mir echt gewünscht, dass Zecke mich auch so ansieht.«

»Das tut er doch, oder nicht?«

»Ja... jetzt schon. Aber du und Nils, das... das war so besonders. Ihr seid einfach mein absolutes Traumpaar. Deshalb war ich so wütend auf dich, weil du mit ihm Schluss gemacht hast, obwohl ich dich natürlich verstehe... bin ja nicht völlig verblödet. Ach Juli, mir tut alles so leid.«

Gottseidank ist Cassi wieder normal. Und für einen kurzen Moment kann ich mich entspannen. Mit ihm Kakao trinken, Musik hören, über Allerweltsthemen sprechen und muss meinen Exfreund nicht gar so sehr vermissen.


Happy Birthday, Juli! Alles Gute zum siebzehnten Geburtstag!! Irgendwie hab ich mir diesen Tag anders vorgestellt. Dachte, ich würde ihn vielleicht mit meinem Freund verbringen. Mit ihm Sarahs selbstgemachte Schokotorte essen, mit Lotte feiern und danach die ganze Nacht bei Kerzenschein kuscheln (ohne Lotte!)... etwas in der Art. Stattdessen bekam ich von der Frau einen Umschlag mit Geld und einen kühlen Kuss auf die Stirn. Der Mann hat mich echt überrascht. Kam hierher (ohne Ariane selbstverständlich, weil die Frau sonst vermutlich Amok gelaufen wäre), hat mich für morgen zum Essen eingeladen (mit Ariane) und einen Haufen Kohle dagelassen. Ich glaube, der war ein bisschen beschämt, weil er mir nur Geld geschenkt hat. Jedenfalls stammelte er noch was von... weiß ja nicht, was du so magst und dachte...

Okay, er versucht es wenigstens. Aus Berlin hat sich bis jetzt niemand gemeldet. Naja, warum auch, oder?!

Fühle mich übrigens grad sehr zum kotzen und will mich unter meine Bettdecke verkriechen, als die Tür aufgeht.

»Happy Birthday to you... « singen Caro und Cassi so schief, dass mir die Ohren weh tun.

Stolz trägt meine allerallerbeste Freundin einen Kuchen mit brennenden Kerzen vor sich her, stellt ihn ab und drückt mich an sich. »Alles Liebe... Knallkopp«, flüstert sie.

Cassi umarmt mich ebenfalls und küsst mit seinen weichen Lippen meinen Mund. WOW!

»Cassi«, schreit Caro, »ich hab dir gesagt, das geht zu weit.«

Er zuckt nur lächelnd die Schultern. »Los, Kerzen auspusten und dir was wünschen«, kommandiert er, also puste ich und hoffe, dass mein Wunsch in Erfüllung geht. Dann packe ich Geschenke aus... unter anderem die Franz Ferdinand-CD, die ich mir schon kaufen wollte.

Danach essen wir Kuchen. Scheiß auf Magenschmerzen. Immerhin haben die zwei den extra für mich gebacken. Kuchen ist allerdings etwas sehr schön ausgedrückt. Trash-Torte trifft es eher. Irgendwas aus zermatschten Schokoküssen mit Sahne, bunten Zuckersreusseln und Zuckerschrift. Happy (grün) Birthday (gelb) Knallkopp (rot). Jedenfalls freue ich mich heftig, über die Mühe, die Caro und Cassi sich gemacht haben, trinke mit den beiden Sekt und habe Spaß... ganz ohne meinen Ex!

Als ich wieder allein bin klingelt das Telefon. Sofort beschleunigt sich mein Puls.

»Hallo?«

»Hi, Juli. Happ Birthday.«

»Hey, Zecke... äh, ja, danke.« Kacke, jetzt bloß nicht heulen!! Was hab ich denn auch erwartet?

»Wie geht's dir denn so?«

»Ganz okay«, antworte ich lahm.

»Fein. Also ich wollte dir auch nur kurz gratulieren und... naja. Man sieht sich.«

»Ja, bis dann.«

Ich heule jetzt doch ein bisschen. Die Enttäuschung muss irgendwie raus. Kurze Zeit später klingelt's erneut.

»Ja?«

»Hallo Sie.«

Mir wird kribblig. Sicher hat er mich ausversehen aus Gewohnheit gesiezt. Das hat nichts zu sagen. Gar nichts. Null.

»Alles Gute zum Geburtstag.«

»Danke.«

»Hattest du einen schönen Tag?«

HAHAHA!! »Geht so«, erkläre ich und schildere kurz die Ereignisse.

»Naja, hattest du von der Frau was anderes erwartet? Die ist halt scheiße.«

»Ja aber manchmal tut's eben weh«, seufze ich traurig. »Ich hab oft das Gefühl, sie ist überhaupt kein richtiger Mensch. Die ist kalt und steril und eklig. Als die meine Stirn berührte... das hat sich... das war irgendwie so... so tot. Nicht einmal der Hauch eines Hauchs von Wärme. Muss mich jetzt noch gruseln.«

»Au mann, ich würd dich jetzt so gerne in den Arm neh... entschuldige, ich... ich vergesse manchmal, dass... «

Mein Herz beginnt laut zu klopfen, ich muss mich hinlegen, sonst falle ich um. Hat er das wirklich gerade gesagt? Und wenn er mich nur trösten wollte? Aber das bedeutet doch, dass er mich wenigstens nicht hasst.

»Ich soll dich von Lotte grüßen.«

»Okay.«

»Ja, die hat sich nicht getraut, dich anzurufen, weil... naja, du weißt weshalb. Und meine Mom wünscht dir alles Gute und... und Paul... «

»Sag Lotte, sie kann mich ruhig wieder anrufen. Ich hab sie noch lieb.«

»Ich... ich glaub, Lotte hat dich auch noch lieb«, sagt er leise. »Und... sie vermisst dich und... ich leg jetzt mal auf. Bis bald.«

Ich kann mich gar nicht verabschieden, weil er schon weg ist. Aber heulen kann ich. Mein Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Naja... ein bisschen vielleicht. Es ist doch schon mal ein Wahnsinnsfortschritt, dass wir uns weder gestritten, noch angezickt haben. Es war fast wie immer. Jedenfalls werde ich heute Nacht sicher ein wenig ruhiger schlafen können.

Hab fies geträumt. Nils hatte einen schlimmen Unfall und im Krankenhaus wollte mir niemand sagen, was mit ihm los ist. Irgendwann kam Sarah mit super verheultem Gesicht, da wusste ich's dann. Gott, war das schrecklich. Am liebsten würde ich ihn sofort anrufen, um zu hören, dass es ihm gut geht. Ich will ihn aber nicht bedrängen. Schließlich haben wir erst gestern telefoniert und das auch nur, weil's halt ein besonderer Tag war. Ich denke nicht, dass Nils mich sonst angerufen hätte. Leider werde ich total wahnsinnig, wenn ich nicht augenblicklich seine Stimme höre. Leider werden wir uns aber dann sicher streiten, weil ich wissen will, was mit ihm und Sebastian ist und warum er mich nicht mehr liebt. Okay, lieber warten, bis er sich meldet. Aber... wie lange wird das dauern? Verdammt, jetzt, wo ich mit ihm gesprochen habe, vermisse ich ihn wieder viel viel mehr. Vielleicht ist es doch besser, wenn man gar nichts mehr miteinander zu tun hat. Scheiße, das halte ich nicht aus. Böse Falle. Ich kann nur glücklich sein, wenn er bei mir ist. Au je... bloß schnell an was anderes denken!

Zum Beispiel daran, dass ich nachher mit dem Mann und Ariane essen muss. Mir ist jetzt schon übel. Und wenn Ariane mir wieder sagt, wie krank ich aussehe, kriege ich eh keinen Bissen mehr runter. Bei meinem Glück fange ich dann sofort an zu heulen, weil ich natürlich an Nils denken muss und erzähle den beiden die ganze Geschichte. Ich glaube, Ariane hätte weniger Probleme mit der Tatsache, dass ihr Quasi-Stiefsohn mit einem Jungen zusammen war. Den Mann kann ich da überhaupt nicht einschätzen. Aber ich hab ja auch nicht wirklich vor, irgendwas herauszutrompeten. Was geht die beiden mein Leben an?!

Ich muss mal ganz ehrlich sagen... ich vermisse Nils und möchte ihn zurück aber noch viel mehr wünsche ich mir, meinen Kopf endlich mal wieder frei zu bekommen. Immer nur Nils. Das nervt unheimlich. Guten Tag, ich will mein Leben zurück!!


Das Geburtstagsessen mit Papa und Stiefmama gut überstanden. Musste erfreulicherweise weder brechen noch heulend gestehen, dass ich sowas wie schwul bin und mich nach meinem bezaubernden Ex sehne. Jetzt grad im Augenblick muss ich allerdings das verfickte Telefon kaputthauen, weil es seit einer Stunde im fünf-Minuten-Takt klingelt aber jedesmal aufgelegt wird oder es hört auf zu klingeln, noch bevor ich überhaupt die Hand danach ausstrecke. Was soll'n der Kack? Wenn ich 'ne Trillerpfeife hätte... das dämliche Pissgesicht würde niemals wieder bei jemandem aus Spaß Telefonterror machen. Ich kotze... es klingelt schon wieder.

»Ja, verdammte Scheiße«, brülle ich aus Leibeskräften.

Stille.

»Ich reiß dir dein verfluchtes Herz raus«, keife ich.

»Das hast du bereits getan«, lallt es dumpf zurück.

Äh... ich kenne diese Stimme. Allerdings in anderer Verfassung.

»Nils... bist du das?« frage ich stirnrunzelnd.

»Hm-hm.«

»Hast du grad schonmal angerufen?«

»Hm-hm.«

Ich werde irgendwie sauer. »So ungefähr dreihundert mal?«

»Hab nich mitgezählt«, hickst er.

Meine miesepetrige Laune mischt sich mit Herzbollern und Magengrummeln, weil seine Stimme selbst wenn sie lallt noch unglaublich schön ist. Nervös knibble ich an meinen Nägeln. »Willst du mich ärgern oder in den Wahnsinn treiben?«

»Weiß nich.«

»Kann es sein... sag mal, bist du betrunken?«

»Nee«, murmelt er, »ich bin randvoll.«

Klar, kommt sicher wieder von einer tollen Basti-Spasti Party und will mir jetzt unter die Nase reiben wie super sein Leben mit der Arschgeige ist. Sowas kann ich jetzt echt total gut gebrauchen. »Dann schlaf deinen Rausch aus und pass auf, dass du dich nicht ausversehen übergibst und an deinem Erbrochenen erstickst.«

»Mann«, stöhnt er, »warum bist... du so... so gemein?«

»Warum kippst du dich zu und rufst mich an?« fauche ich. »Was soll die Scheiße, mich tausendmal anzurufen und dich nicht zu melden? Du gehst mir echt auf'n Sack.«

Eigentlich freue ich mich aber, dass er am Telefon ist... betrunken oder nicht ist mir Milch. Hauptsache Nils.

In der Leitung kraschpelt's laut. »He... bist du noch da?«

»J-Ja... ich... ich hab nur grad versucht... is ja auch egal. Ey, ist dir schonmal aufgefallen, dass mein einer Zeh vor dem kleinen Zeh kleiner ist als der normale echte kleine Zeh?«

Großer Gott, was hat der denn gesoffen? »Hab deine Füße nicht mehr so deutlich in Erinnerung.«

»Ich seh das gerade... am linken Fuß... der eine Zeh... an der Hand wäre das der Ringfinger... heißt das beim Fuß auch so?«

»Wenn man an den Füßen Finger hat... Nils, du solltest echt schlafen gehen. Du redest nur Unsinn.«

»Das stimmt aber und sieht total doof aus. Mein Fuß... ey, Fuß is echt ein saukomisches Wort, oder? Fuß... Fuhuß... Fuuuuuß«, kichert er sich einen dranlang.

Vielleicht sollte ich mich auch eben schnell besaufen, dann verstehe ich wenigstens den Witz.

»Wenn du jetzt hier wärst, Juli... würdest du meinen Fuß küssen... meinen einen Fuß mit dem ippeligen Zeh? Findest du das eklig?«

Oh bitte!! »Ich würde dich überall küssen... aber das ist wohl nicht mehr meine Aufgabe. Wieso fragst du nicht deinen Freund?«

»Ich will... deine Nase niffen. Deine Nase ist sooooo süß, Juli«, seufzt er und ich gehe kaputt.

Eine Gänsehaut kraucht mir über den Körper, irgendwo beginnen Schmetterlinge zu flattern.

Völlig unbegründet, denn morgen hat er wahrscheinlich alles vergessen, vögelt Basti-Spasti und ich werde vor Liebeskummer sterben. Hat der eigentlich komplett den Verstand verloren?

Außerdem weiß ich immer noch nicht, weshalb er angerufen hat?!

»Du liebst mich nicht mehr. Juli, warum liebst du mich nicht mehr?« fängt er plötzlich an zu jammern.

Logischerweise trifft mich diese Frage dermaßen unvorbereitet, dass ich erstmal nach Luft schnappen muss und danach reflexartig auflege, was ich zwei Sekunden später bereue. Dennoch rufe ich ihn nicht noch einmal an und das fällt mir außerordentlich schwer. Ich bin verwirrt. Und wütend. Nils ist irre. Komplett durchgeknallt. Seine Frage ein alkoholbedingter Sentimentalitätsausbruch, der nichts, aber auch gar nichts, zu sagen hat. Und wieder mal beschert der Blödmann mir eine schlaflose Nacht.


Bin heute aufgewacht und musste zum ersten Mal seit Monaten nicht an Nils denken. Jedenfalls nicht unmittelbar nach bzw noch vor dem Augen-aufmachen. Ob ab jetzt alles besser wird? Vielleicht fange ich langsam an, über ihn hinweg zu kommen?! Wenn der mich allerdings weiterhin anruft und fragt, ob ich seinen Fuß küssen würde, wird daraus nichts. Hab Caro von dem Telefonat erzählt... sie war genauso ratlos wie ich. Meint aber, ich soll ihn unbedingt nochmal anrufen, möglicherweise hätte er mich wiederhaben wollen und sich vorher Mut antrinken müssen. Ich versuche mal lieber gar nicht erst, mich an diesen Strohhalm zu klammern. Bin nämlich fest entschlossen, mich endgültig und definitiv zu entlieben. Um mir das selbst zu beweisen hab ich zuerst seine Nummer und drei gespeicherte sms gelöscht und danach alle Fotos vom Computer entfernt. Okay, eine halbe Minute später bekam ich einen tierischen Heulkrampf und war froh, dass ich mein Lieblingsfoto von ihm... äh... ausversehen vergessen hatte. Trotzdem, ich bin sehr stolz auf mich und fühle mich sogar eigenartig befreit. Irgendwann MUSS man einen Schlussstrich ziehen und heute ist genau der richtige Tag dafür. Nils und Juli... das ist Vergangenheit! Nicht, dass ich mich jetzt sofort nach was neuem umschaue, nee, ich werde mich total auf mich konzentrieren. Wie Cassi mal so schön sagte... ich, Juli, sollte bei mir an erster Stelle stehen. Ich will endlich wieder Spaß haben. Vielleicht gehe ich doch mal am Wochenende mit Caro aus? Einfach so, weil's lustig werden könnte. Hatte mir doch ohnehin irgendwann mal vorgenommen, geselliger zu werden.


Das Ausgehen hätte ich mir sparen können. Naja, wenn's jetzt ein toller Club gewesen wäre aber Jugendzentrum klingt doch schon scheiße. Und das war's dann auch. Total abgefuckt aber eben nicht cool abgefuckt sondern irgendwie... keine Ahnung. Die Leute gingen mir nach zwei Minuten auf die Nerven. Alles so alternativ bis punkig angehauchte Arschgeigen. Caro kannte einige von denen, was mich sehr betroffen machte. Aber ich wollte ja geselliger werden also unterhielt ich mich brav mit denen und gab vor, Spaß zu haben. Hatte ich aber nicht. Denn den Pissflitschen stach die Dummheit quasi aus den Augen und erzählt haben die auch nur Mist. Halt sowas wie... ja, da war ich so breit, dass ich in'ner Bahn in den Mülleimer gekotzt habe... oder irgendwem auf die Schuhe... oder gott weiß wohin. Ich kann an solchen Kotzgeschichten beim besten Willen nichts Lustiges finden. Deshalb setzte ich mich irgendwann in eine Ecke, musste mich ganz doll betrinken und habe NICHT gekotzt. Als ich schon ziemlich gut dabei war, kam meine dämliche Ex-Lisa mit ihrem neuen Freund und knutschte demonstrativ vor meiner Nase rum. Ach du Scheiße... als ob's mir was ausgemacht hätte. War nur ein wenig neidisch, weil ich auch gerne küssen wollte. Allerdings weder sie noch ihren hässlichen Knutschkumpan. Später kam ein Mädel angedackelt, wollte was von meinem Bier abhaben und faselte mich fast krankenhausreif. Über Drogen allgemein und Opium im Besonderen. Es ging auch irgendwie noch um Künstler und zum Schluss wollte sie mir ein Bild malen. Da bekam ich es langsam echt mit der Angst zu tun, tat so, als müsse ich mich übergeben, rülpste ein wenig in ihre Richtung und sie torkelte angeekelt davon. Hab mich für mein widerwärtiges Verhalten total geschämt aber das war ja sowas wie Notwehr.

Ich hätte ihr nicht eine Sekunde länger zuhören können. Jedenfalls weiß ich jetzt wieder ganz genau, warum ich nicht gerne ausgehe. Ich kann mir nur nicht erklären, was Caro so toll daran findet. Ich denke schon, dass ich gesellig sein kann, wenn ich mit den richtigen Leuten zusammen bin. Hier gibt's aber nur dumme Kacknasen, die alles vollkotzen.

Übrigens regnet es schon seit zwei Tagen ununterbrochen. Es ist kalt und düster. Herbst eben. Leider neigt man dazu, in einer solchen Jahreszeit ein ausgeprägtes Kuschelbedürfnis zu entwickeln. Und leider denke ich doch wieder an Nils. Und ich denke an Weihnachten. Ist ja gar nicht mehr so lange hin. Eigentlich hasse ich Weihnachten aber uneigentlich find ich Weihnachten toll. Das liegt natürlich an meinen beknackten Eltern, weil es eben bei uns nie so Bilderbuch-mäßig war, wie man das als Kind haben will. Bei uns hatte sich niemand lieb aber der Mann und die Frau haben krampfhaft so getan, mich mit Geschenken überhäuft und der dreißig Meter hohe Tannenbaum sah aus, als hätte das Christkind persönlich Hand angelegt beim schmücken. Und weil meine Eltern so absolut irre sind ist aus mir ein sentimentales Weihnachts-Weichei, das sich nach Friede, Freude und Festlichkeit sehnt, geworden. Wie es dieses Jahr abläuft möchte ich mir gar nicht vorstellen. Hab keinen Bock mit der Frau rumzuhängen. Mit dem Mann und Ariane auch nicht wirklich. Wenn Nils nicht plötzlich schwachsinnig geworden wäre, würde ich an Heilig Abend sein bezaubernd schönes, strahlendes Gesicht sehen und ihn unter einem verdammten Mistelzweig bewusstlos küssen.

Fällt leider aus bekannten Gründen aus. Vielleicht geb ich mir die Kugel? Grad an solchen Feiertagen steigt die Selbstmordrate ja bekanntlich dramatisch an. Allerdings mag ich nicht so abgedroschen sein. Da jage ich mich lieber an Silvester in die Luft. Macht irgendwie auch viel mehr her, oder? Nicht heimlich still und leise abtreten sondern mit einem Feuerwerk den Schädel wegsprengen. Da haben die Leute dann wenigstens ein bisschen was zu kucken. Und Caros doofer Spitzname für mich bekäme endlich eine Bedeutung.

Blöd ist, wenn man sich beim wichsen mit ‘nem Gürtel stranguliert und die Zitronenscheibe einem ausversehen aus dem Maul fällt. Das war letztens bei »Six feet under« und ich war total dankbar, dass das mit der Zitrone dann doch noch erklärt wurde, weil ich's nämlich erst echt nicht verstanden habe. Bin mir auch immer noch nicht sicher, ob ich das jetzt wirklich begriffen hab. Aber eines weiß ich. Ich möchte nicht so aufgefunden werden. Das ist doch total peinlich. Klar, einem selbst kann's Milch sein, man ist ja tot. Trotzdem. Alle wüssten dann von meinen merkwürdigen Wichsgewohnheiten. Caro würde sich bestimmt furchtbar schämen und bei meiner Beerdigung ihren roten Kopf unter einem Schleier verstecken. Und Nils würde unsere Beziehung verleugnen. Nils... au mann, der schwirrt mir doch noch ganz schön durchs Hirn. Vielleicht sollte ich ihn noch mal anrufen?!


Heute ist der 6. Dezember und ich hätte gestern Abend so gerne meinen Schuh vor die Tür gestellt, damit heute Süßigkeiten drin sind. Bin wohl nicht mehr ganz dicht, oder?! Ich sag's ja... Weihnachts-Weichei!! Bekam aber wenigstens von Caro einen Schokonikolaus (den Schokoadventskalender hab ich mir heimlich selber gekauft) und gleich sind wir verabredet. Zum Kakao trinken und Zimtsterne essen. Ich rechne es ihr hoch an, dass sie auf ihre Freitagabendkuschelei mit Sandro verzichtet. Relativ gut gelaunt mache ich mich also auf den Weg, bekomme von ihrer Mutter lächelnd eine Süßigkeitentüte in die Hand gedrückt und würde am liebsten in Tränen ausbrechen, weil andere Leute eben tolle Mütter haben, die sogar an fremde Kinder denken.

Als ich Caros Zimmer betrete wird mir klar, dass sie nicht da ist. Meine Laune fällt ins Bodenlose. Die ist ganz sicher auf'm Klo. Die wird mich nicht versetzt haben. Nie im Leben. Leider ist im Bad aber auch niemand. Okay, Süße, ich hasse dich. Wütend und bedröppelt klopfe ich bei Cassi.

»Hera-hein«, ruft er fröhlich.

Ich öffne die Tür. Kerzenlicht. Zimträucherstäbchen. Caro. Cassi. Ein schwarzer Bauschkopp.

Mir wird übel. Meine Beine zittern, ich muss mich am Türrahmen festhalten. Irgend jemand sagt etwas aber es klingt weit weg. Alles ist weit weg. Und verschwommen. Und dunkel. Und grell. Und alles gleichzeitig. Verstrubbelte Honig-Schoko-Vanille-Haare, blaue Knisteraugen, die mich scheu anschauen... nee, das ist ein Traum. Ein wahnsinnig schöner, zugegeben. Ich wache langsam auf. Stehe immer noch in der Tür. Nils sitzt immer noch in Cassis Zimmer.

Im Schneidersitz auf dem Boden. Unter dem Fenster vor der Heizung. Ich werd verrückt. Und ich weiß verflucht noch mal nicht, was ich machen soll. Weglaufen, schreit es in mir. Und dann, hingehen und ihn küssen. Beides geht nicht. Nichts geht.

»Knallkopp, komm endlich rein«, ruft Caro.

Ich kann aber nicht. Ich stehe unter Schock! Cassi ist aufgestanden und schiebt mich behutsam ins Zimmer. Wie in Trance setze ich mich auf den Boden... einfach da, wo ich grad stehe. Nils friemelt an seinen Füßen. Cassi hat sich an Zecke geschmiegt. Caro belauert mich.

Ich glaube, das hier ist mit Abstand die eigenartigste Situation, die ich jemals erlebt habe.

Zecke fängt an zu reden. Keine Ahnung was und es ist mir auch Milch. Weil ich nämlich weiß, dass ich der einzig Normale auf der ganzen beschissenen Welt bin. Diese Runde hier besteht nur aus Verrückten zum Davonlaufen. Und genau das werde ich jetzt tun. Ich stehe also auf.

»Juli, was... «, stottert Caro.

Erstmal tief durchatmen und bis fünf zählen, sonst muss ich explodieren. »Sagt mal... seid ihr eigentlich alle völlig blöd im Schädel? Was soll'n das hier werden, hä? Lustige Teeparty? Wie kann einer von euch total bescheuerten Superidioten glauben, dass ich auch nur noch eine scheißverdammte verfickte Kacksekunde hier bleibe, auf nett mache und dämliche Zimtsterne esse? So als wär alles in allerbester Ordnung? Ihr gehört in die Klapse... da stehen an den Türen schon eure Namen. Schönen Abend noch.« Und damit verschwinde ich so schnell es geht. Das heißt, ich will verschwinden aber an der Treppe hat mein Exfreund mich leider eingeholt.

»Geh nicht einfach so weg, Juli«, sagt er leise.

Ich ramme meine Fingernägel in die Handballen. »Sondern?« zische ich. Dann sehe ich ihn an. Und das ist ein schwerer Fehler. Nils ist so unglaublich atemberaubend wunderschön, dass es kaum auszuhalten ist. Zwar ist er seit meinem letzten Besuch ziemlich abgemagert aber noch nicht krankhaft dürr. Sein Gesicht ist unwahrscheinlich blass und müde. Seine Lippen zucken und seine Hände reiben unaufhörlich die Ärmel seiner Kapuzenjacke. Es ist egal, dass er nicht mehr mir gehört. Dass er mich nicht mehr lieb hat. Ich will ihn ganz ganz dringend in den Arm nehmen, weil ich sterben muss, wenn ich ihn nicht jetzt sofort spüren kann.

»Können wir... «, weiter kommt er nicht, weil ich ihn umschlinge. Ihn an mich drücke und fast den Verstand verliere. Oh Gott, das ist alles zuviel. Ich lasse ihn los und renne total verstört die Treppe runter.

Anscheinend hab ich's bis in mein Bett geschafft. Bewusst wahrgenommen, dass ich nach Hause gegangen bin, hab ich nicht. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht einmal, ob ich überhaupt in meinem Bett liege. Ob ich überhaupt noch vorhanden bin. Nils steht drei Häuser weiter an der Treppe. Nils ist da... meinetwegen?! Können wir... was denn? Freunde bleiben? Wieder zusammensein? Den Kontakt abbrechen? Uns gegenseitig in die Fresse hauen? Mein Kopf tut weh. Mir ist kalt und ich zittere am ganzen Leib. Ich fühle mich wie ein Junkie auf Entzug.

HAHA... und ich dachte, ich hätte mich entliebt!

Wow. Das war wohl die schlimmste Nacht meines Lebens. Kaum geschlafen, Gefühlschaos, Gedankenachterbahn, Heulanfälle... dramatischer geht's echt nicht. Aber damit ist jetzt Schluss. Es kann nicht angehen, dass mein Ex mich noch derart aus der Bahn wirft. Und wenn der denkt, er könne hier so einfach auftauchen und wer weiß was wollen, hat er sich geschnitten. Vielleicht ist er gar nicht wegen mir da, sondern wollte nur Caro und Cassi besuchen? Nee, er ist mir gestern nachgelaufen. Das hat was zu bedeuten. Nur was? Ein zaghaftes Klopfen bringt meinen Magen zum poltern. Gleich darauf auch mein Herz, denn Nils öffnet die Tür und schlängelt sich durch den Spalt in mein Zimmer.

»Hey«, sagt er leise.

»Hey«, antworte ich und rappel mich mühsam auf. Scheiße, ich hab meine Zähne nicht geputzt und in meinen Klamotten gepennt. Sehe sicher total zum kotzen aus. Hastig schiebe ich mir wenigstens eine Mintpastille in den Mund und streiche meine Haare etwas glatt.

Nils‘ Gesicht ist immer noch blass und müde. Aber schön. Zum verrückt werden schön!

»Ich würd gern mit dir reden.«

»Okay.«

Er setzt sich neben mich aufs Bett und stiert auf den Boden. »Ich... ich kann verstehen, dass dir das gestern zu viel war. Hab Zecke gleich gesagt, dass es keine gute Idee ist, einfach so herzukommen.«

»Ist Sebastian auch hier?« frage ich eine Spur zu gereizt.

»Du hast dich überhaupt nicht verändert.«

Er schon. Im Tageslicht sieht er nämlich doch ein bisschen magersüchtig aus. »Entschuldige, ich wollte ja nur wissen, ich meine, er ist immerhin dein Freund und... «

»Juli, ey, bitte... es reicht jetzt echt«, unterbricht er mich und reibt angestrengt seine Stirn. »Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe aber schließlich bin ich hier... da müsste doch selbst bei dir langsam der Groschen fallen. Ich hab grad eine Scheißangst und wenn dir noch irgendwas an mir, an uns, liegt... hilf mir ein bisschen, ja?«

»Uns? Seit wann sind du und ich denn wieder UNS? Hab ich da was verpasst?« Eigentlich wollte ich was ganz anderes sagen aber ich hab meinen Mund nicht unter Kontrolle. Der brabbelt Blödsinn, ohne dass ich's verhindern kann. Und anscheinend mag er auch nicht aufhören. »Du bist weggegangen, okay. Du hast mir wochenlang von Basti-Spasti vorgeschwärmt. Du hast in Berlin so getan, als sei ich Luft, jedesmal wenn er aufgetaucht ist. Du hast ihn geküsst und du hast dich verdammt noch mal in ihn verliebt. Ich soll dir helfen? Wobei? Hat es mit ihm nicht geklappt oder wie? Na klar, Basti hat keinen Bock... ach dann nehm ich halt Juli zurück. Wird schon keine Zicken machen, der Trottel. Ich setze einfach meinen Dackelblick auf und schon krieg ich ihn wieder rum... bis was Besseres kommt. Vielleicht hab ich aber inzwischen auch was Besseres gefunden. Schon mal daran gedacht?«

»Nein, denn ich bin mir meiner Sache ja anscheinend sehr sicher«, zischt er.

Scheiße, wir versemmeln das hier gerade. Dabei hab ich ihn doch lieb und ich wünsche mir nichts mehr als mit ihm zusammen zu sein aber das ist eben nicht so einfach. Ich kann ihm die Sache mit Sebastian verzeihen. Nur sagen kann ich's ihm nicht. Und dass er wütend wird macht mich wütend und wenn ich wütend bin, benehme ich mich ekelhaft und alles geht den Bach runter. Dann muss ich nämlich an die ganze Heulerei denken, das wochenlange Nichtessen und Nichtschlafen können, meine schreckliche Sehnsucht... er hat mir so verflucht weh getan. Allerdings... was ist wichtiger? Blöder Sturkopf sein oder Nils wieder in den Arm nehmen zu können?

»Was sollen wir also jetzt machen?«

»Beten, dass du mir nicht an die Gurgel gehst?« schlägt er vor.

»Keine schlechte Idee.«

»Eheberatung?«

»Wir sind nicht verheiratet.«

»Okay, dann müssen wir das wohl allein auf die Reihe kriegen, oder?«

»Müssen wir wohl«, seufze ich. Verflucht, warum kann man sich nicht Hollwood-like in die Arme sinken und alles ist gut? »Falls Sebastian das nicht stört.« Wieso möchte ich ihn immer noch ein bisschen verletzen, obwohl ich ihn doch liebe?

»Juli, warum fragst du mich nicht einfach, was mit ihm gelaufen ist?«

»Vielleicht hab ich genug von deiner Schwärmerei und keinen Bock auf deinen verklärten Blick, wenn du über ihn sprichst. Also fühl dich bitte nicht genötigt, aus dem Nähkästchen zu plaudern.«

»Wahrscheinlich hättest du da wesentlich mehr zu bieten«, erklärt er säuerlich lächelnd.

Ich krieg die Krätze, wenn der wieder von Stella anfängt. Ich habe fremdgevögelt, ja, aber nur ein einziges Mal. Er hingegen knutscht alles, was ihm über den Weg läuft UND hat sich verliebt. Das ist ja wohl viel schlimmer. »Ich hab keine Lust, mich immer und immer wieder für die gleiche Sache zu entschuldigen. Stella ist hier nicht das Problem, falls du darauf anspielen wolltest.«

»Aber ich hab dir das verziehen. Wieso kannst du dich nicht einen verfluchten Millimeter aus deinem Schmollwinkel bewegen und mir noch eine Chance geben? Soll ich betteln? Mich vor dir in den Staub werfen und den Saum deines Gewandes küssen? Wie theatralisch hättest du's denn gerne, hä?« brüllt er und dann in einem ruhigeren Ton »Okay, pass auf... sag mir, dass du mich nicht mehr liebst und ich verschwinde, weil ich's nämlich langsam echt satt habe, mich ständig um dich zu bemühen, wenn von dir nur Sturheit kommt.«

»Wann hast du dich denn um mich bemüht? Als ich tausend Jahre auf dich warten musste, weil du mit Basti-Spasti gott weiß wo warst? Oder als du mich bei diesem blöden Festival kaum beachtet hast? Als du ständig unsere Telefonate verpasst hast, weil der Arsch dir wichtiger war? Als du mir verflucht nochmal gesagt hast, dass er dich verwirrt und wie gerne du ihn knutschst... da hast du dich um mich bemüht, ja? Wahrscheinlich hast du dich auch noch um mich bemüht, als er dich gefickt hat.«

»Mann, Juli, ich weiß, dass ich dir weh getan habe aber vielleicht hab ich auch keine Lust, mich ständig dafür zu entschuldigen. Es ist nunmal passiert, ich kann's nicht rückgängig machen.« Er zerstrubbelt seine Haare und ich wünschte inständig, er würde das lassen, weil ich dann nicht mehr wütend sein kann und ihn nur noch küssen will. »Kannst du die ganze Streiterei mal kurz vergessen und... und mich einfach für ein paar Minuten in den Arm nehmen?« fragt er leise.

»So wie nach der Geschichte mit Stella, mh? Lieber kuscheln anstatt sich auszusprechen.«

Nils grinst. »Jetzt hast du aber selbst davon angefangen.«

Allerdings. Ich muss mich kaputt lachen. Tut ziemlich gut, nach dem ganzen Stress.

»Halt mich fest, Juli... bitte.«

Ohhhh... und Juli schmilzt dahin, streckt seine Arme aus und umschlingt umständlich Nils‘ zierlichen Körper. Er zittert und schluchzt, ich küsse sanft sein Haar, streichele seinen weichen Nacken. Meine Augen brennen und werden feucht... Nils zu spüren ist einfach total überwältigend. Sicher schnappe ich gleich über.

Nach einer Weile löst er sich von mir, schniefelt leicht und wischt sich Tränen von der Wange. »Juli, ich will dich wieder haben. Du... du hast mir so gefehlt. So sehr, dass ich's kaum ausgehalten habe.« Seine Hände greifen schüchtern nach meinen. »Ich hab dich lieb.«

Mir schwirrt der Schädel. Ich muss mich hinlegen, ihn in meine Arme ziehen und an mich drücken. Seine Haare verwuseln und wie wahnsinnig an seinem Hals schnüffeln. »Ich hab dich auch lieb«, seufze ich.

Tausend Stunden liegen wir einfach nur da und umklammern uns. Nils‘ Finger spielen mit meinen. »Duhu... «, flüstert er irgendwann.

»Hm?«

»Haben wir uns jetzt so weit vertragen, dass... dass du mich küssen magst?«

»Knallkopp.«

»Selber«, wispert er zärtlich und stupst meine Nase bevor seine süßen Lippen meinen Mund berühren.

Mir ist total nach ohnmächtig werden aber dann müsste ich aufhören zu küssen...

Gegen Abend klingelt das Telefon. Ohne Nils aus meinen Armen zu lassen greife ich nach dem Hörer.

»Ja?«

»Hi... sprichst du noch mit mir?« fragt Caro vorsichtig.

»Ja.«

»Wie... wie sieht's denn aus?«

»Mies.«

»Scheiße, was ist denn passiert?«

»Nix. Wir haben uns angebrüllt und dann hab ich Nils umgebracht. Jetzt liegt er hier mit eingeschlagenem Schädel und... AU... «

Nils boxt mir in die Rippen und grapscht nach dem Hörer... vergeblich. Er fängt an mich zu kitzeln... sehr erfolgreich.

»Entschuldige, Nils mutiert grad zum Zombie und will mich aufessen«, giggel ich, weil er meinen Hals beknabbert. Um das Ganze wirkungsvoller zu machen, lasse ich ihn kurz in den Hörer röcheln.

»Knallkopp«, faucht Caro, »alle beide.«

»He, ich bin dein einziger Knallkopp, ja?!«

»Also ist alles in Ordnung bei euch?«

Ich blicke Nils an, der mir Küsse zuwirft. »Im Augenblick schon. Es gibt zwar noch einige Sachen zu besprechen aber... mh, naja.«

»Dann kann ich die beiden Trottel hier beruhigen, die sind nämlich kurz vorm Amoklauf.«

Nils gibt mir ein ‘Leg jetzt auf und kuschel mit mir‘ Zeichen. »Jaja, beruhigen... du, ich mach mal Schluss. Schlaf gut.«

»Ihr auch«, seufzt sie.

Ich hab grad aufgelegt, da dringt ein lautes Grummeln an mein Ohr. Geil, oder? Kaum hab ich meinen Freund zurück, krieg ich wieder Hunger. Nils lacht sich kaputt.

»Ich muss jetzt essen, willst du auch irgendwas?«

Er schüttelt bedröppelt seinen hübschen Kopf. »Nee, lass mal. Ich bekomme immer so fiese Magenschmerzen, wenn ich was esse.«

Au weia... kein Wunder, dass er so dünn geworden ist. »Seit wann denn das?«

»Ist doch egal«, erklärt er ausweichend.

Ich marschiere in die Küche, komme mit Orangensaft und einer großen Schüssel Schoko-Knuspermüsli zurück und biete ihm beides an.

»Ich mag echt nicht.«

»Schnickischnacki. Hohes C«, erkläre ich grinsend und schiebe sein Shirt ein Stück rauf, »gut zum Bauch.« Laut schmatzend küsse ich besagtes Körperteil. Oh sein Bauch ist so weich und niedlich und... mhhhhhh!

»Knallkopp«, kichert Nils.

»Und jetzt... «, ich nehme die Schüssel und halte ihm einen Löffel Müsli an den Mund, »iss!«

Er will protestieren aber da hat er schon den Mund voll und nach dem ersten Löffel lässt er sich widerstandslos füttern. Allerdings... jeder zweite Löffel landet in meinem eigenen Mund.

»Ich kann nicht mehr«, stöhnt er plötzlich.

»Magenschmerzen?«

»Nee... vollgefressen.«

»Okay.« Ich lege mich bequem auf die Seite und streichele seinen Bauch. Nils lächelt. Ohhh, wie ich dieses Lächeln vermisst habe.

»Sag mal... was machst'n du in den Ferien?«

»Keine Ahnung.«

»Ich hab mir gedacht, jetzt, wo wir... also, vielleicht magst du... zu mir... ?«

»Der Mann will, dass ich Weihnachten mit ihm verbringe.«

Er zuckt die Schultern. »Na und? Ich will, dass du bei mir bist.«

»Ja aber ich... ich kann mich doch nicht einfach so bei euch aufdrängen. Was sagt'n dann deine Mutter dazu?«

»Mann, die hat dich doch eh schon quasi adoptiert und schlägt mir den Schädel ein, wenn ich ihr sage, dass du nicht kommst.«

Ui!! Ich bin echt gerührt und schmuse mich in seine Arme.

»Juli?«

»Hm?«

»Darf ich dich jetzt wieder siezen?« flüstert er.

Ohhhhhhhhhhhhhh!!!!!

»Dürfen Sie«, flüstere ich zurück.


Happy End, oder?! Das hab ich schonmal gedacht und hatte plötzlich keinen Freund mehr also muss ich skeptisch sein... aber nur ein klitzekleines bisschen. Bin nämlich im Augenblick viel zu glücklich. Caro ist schon total verunsichert, weil ich die ganze Zeit grinse. Mir fällt es gar nicht auf, weil das mein normaler Gesichtsausdruck ist seit ich Nils wieder habe.

Die Frau fährt übrigens über Weihnachten mit ihrem neuen Stecher nach... keine Ahnung, interessiert mich einen Scheiß. Aber super, oder? Die macht sich nicht einmal Gedanken, dass ich allein hier rumhängen könnte. Wieso hat der eigentlich jemand erlaubt, ein Kind zu kriegen? Der Mann war wenigstens geknickt, als ich ihm sagte, dass ich die Ferien bei einem Freund verbringen möchte. Vielleicht war er aber auch geknickt, weil ich sagte »bei MEINEM Freund«?! Das ist mir ausversehen rausgerutscht und ich möchte mal annehmen, er war entweder so geschockt, dass er nicht weiter nachgefragt hat, oder er hat's gar nicht richtig begriffen. Ariane wird ihm das sicher erklären. Der ist nämlich im ersten Moment die Kinnlade auf den Boden gefallen, dann hat sie mich lauernd angestiert und schließlich nur noch freundlich gelächelt. Vielleicht hab ich mir das aber auch eingebildet. Wer weiß. Ist ja eigentlich total Milch. Hauptsache, ich bin morgen bei meinem Süßen!!

Jetzt ist aber erstmal heute, halb zehn und... ich rufe Nils an. Wir telefonieren nämlich wieder jeden Abend um halb zehn, weil wir ja wieder zusammen sind.

»He Sie... ich vermisse Sie so so doll.«

WOW! Was für eine Begrüßung. »Vermisse Sie auch.«

»Wie war Ihr Tag?«

»Mh, also da ich die meiste Zeit an Sie gedacht habe... sehr schön«, seufze ich.

»Du, wegen morgen... «

Oh Gott, er will mir absagen. Mir ist nach kotzen.

»... ist es okay, wenn du gleich zu mir kommst? Ich schaffe es wahrscheinlich nicht, dich abzuholen.«

Ich kann wieder etwas atmen. »Was ist denn wichtiger.«

»Lotte hat mich gemietet und ich muss für Mom noch was erledigen und so.«

»Aber du bist da, wenn ich komme, oder?«

»Klar, ich freu mich schon total auf dich.«

»Okay, also bis morgen.«

»Kann's kaum erwarten«, flüstert er. »Schlafen Sie.«


Scheiße, ist das saukalt. Ich hasse Winter. Naja, wenn es romantisch vom Himmel hernieder schneit, find ich's toll aber leider tut es das ja nicht. Es regnet... bei Windstärke tausend. Sollte ich, ohne vorher wegzufliegen, bei Nils ankommen, will ich sofort einen heißen Kakao schlürfen und den Rest des Tages schmusenderweise in seinen Armen verbringen. Die U-Bahn ist zum kotzen voll, muss die ganze Zeit stehen, was nicht so schlimm ist, weil ich im Zug lange genug auf'm Arsch gesessen habe und eh tierisch aufgeregt bin. Trotzdem. Die Leute husten und schniefen und speien ihre Viren umher, dass ich mich nach einer Station schon total grippeartig krank fühle. Als ich nach Jahren endlich vor seiner Haustür stehe bin ich durchnässt. Zähneklappernd steige ich die Treppen rauf und...

»Juli... oh mein Gott... hi... komm rein, du bist ja total erfroren«, krakeelt Sarah, zerrt mich in die Wohnung, meine Jacke vom Körper und rubbelt mir mit einem Handtuch die Rübe trocken. »Ach, das ist so schön, dass du da bist. Ich mach dir erstmal eine Schokolade, ja?

Nils ist noch unterwegs, kommt aber sicher gleich.«

Meine Mutter hat mir noch nie eine heiße Schokolade gemacht. Die freut sich auch niemals, mich zu sehen. Ich will schon wieder vor Rührung weinen, setze mich allerdings auf die kuschelige Wohnzimmercouch und lasse mich ein bisschen betütteln.

»Wo ist denn Nils?«

Sarah zuckt die Schultern. »Hatte noch irgendwas wahnsinnig Wichtiges zu erledigen. Wie geht's dir denn?«

»Ganz okay... ich spüre meine nassen Füße langsam wieder.«

»Scheiß-Wetter«, schimpft sie. »Wenn es morgen nicht schneit hab ich das ganze nächste Jahr schlechte Laune.«

Ich liebe Sarah! Dann geht plötzlich die Sonne auf, weil Nils nämlich grad nach Hause kommt. Und zwar ebenso frierend und nass wie ich vor zwanzig Minuten.

»Juli... hi«, murmelt er, zieht seine Jacke aus und... trinkt meine Schokolade. Danach ist er endlich in der Lage, mich anständig zu begrüßen. Umarmung und ultralanger Kuss. Ui, seine Nase ist ganz kalt.

»Was will'n der hier?« Paul lehnt in der Tür. Grauer Bademantel, verstrubbelte Haare, rote Augen, rote Nase. Er niest kräftig und schnuffelt in sein Taschentuch.

»Gesundheit«, sage ich artig.

»Danke«, nuschelt er. »Wenigstens einer in diesem Haus, der Manieren hat. Ich geh wieder ins Bett. Nacht.«

»Paul leidet immer sehr, wenn er krank ist«, erklärt Nils.

Wir gehen übrigens auch ins Bett. Kuscheln!

Am nächsten Morgen frühstücken wir gemütlich, danach ist Sarah in totaler Heiligabend-Einkauf-und-Vorbereitung-Hektik. Paul muss, krank wie er ist, den Baum holen, aufstellen und ihn ungefähr tausendmal rumdrehen, bis Sarah zufrieden ist. Das Schmücken machen wir gemeinsam. Ich liebe Weihnachten und ich liebe diese Familie.

Am späten Nachmittag schneit es noch immer nicht. Naja, man kann eben nicht alles haben, oder? Mit Nils zusammen sein ist eh das Wichtigste. Der liegt gerade in meinen Armen als sein Hand klingelt. Er wirft einen Blick aufs Display, schaut mich einen Moment an und steht auf.

»He... ja, er ist da... was?... äh, bis jetzt noch... nee, in den nächsten Tagen nicht, ich will mich echt nur um Juli kümmern... okay, ich melde mich... bis dann... ja, ich dir auch... tschüß.«

»Alles in Ordnung?«

Er zuckt nur die Schultern und zündet eine Zigarette an, streicht sich nachlässig Haare aus den Augen. Was ist denn jetzt los? Wieso ist der plötzlich nervös? »Klar«, lächelt er.

Schön. Warum sagt er mir dann nicht, wer angerufen hat? Ihn danach fragen, ist mir zu blöd. Soll er halt Geheimnisse haben, bin ja auch nur sein Freund. Was geht's mich an, wem er erzählt, dass er sich um mich kümmern will?!

»Ich schau mal nach, wie weit Mom ist.«

Das ist sicher ein Zeichen. Da liegt nämlich sein Hand. Ich weiß, ich sollte es nicht tun. Sollte nicht wie eine verdammte eifersüchtige Zicke hinter ihm her schnüffeln aber... eine kurze Bewegung und das Hand ist in meiner Hand. Ein Knopfdruck und mir ist speiübel.

Die ganzen schlimmen Gefühle kommen zurück. Das Knutschbild. Die Magenschmerzen. Die Zwangsgedanken. Fünf Buchstaben, die all das auslösen. BASTI. In den nächsten Tagen nicht, hat Nils ihm gesagt. Was denn? In den nächsten Tagen können wir nicht ficken, weil Juli, der Trottel, da ist? Entschuldigung, ich fühle mich gerade wie der Depp der Nation.

Sitze hier und feiere Weihnachten, während mein Freund bedauert, dass er erst wieder in ein paar Tagen Gelegenheit bekommt, Basti-Bitch zu vögeln. Und wie abartig kann man denn bitte sein? Will mich zurück haben und telefoniert in meiner Anwesenheit mit seinem Fick-Kumpan. Mir ist als hätte jemand meinen Schädel in Eiswasser getunkt.

»He... wo bleiben Sie?« Nils steht lächelnd in der Tür.

Ich möchte ihn töten. Schleiche aber dennoch ins Wohnzimmer. Bestaune den Tannenbaum, dessen Kerzen den Raum in warmes, goldenes Licht tauchen, die üppigen Süßigkeitenteller und die Geschenke, die unter dem Baum liegen. Im Hintergrund dudelt Weihnachtsmusik.

Das hier ist wirklich so, wie ich's mir immer gewünscht habe und ich würde mich wahnsinnig gerne freuen aber... ich bin irgendwie eingefroren. Muss mich sehr anstrengen, nicht heulend zusammenzubrechen, als Sarah mich umarmt und mir Frohe Weihnachten und lauter liebes Zeug ins Ohr wispert. Zum Glück denken vermutlich alle, ich sei so schrecklich überwältigt.

Und zum Glück ist das Geschenke-auspacken auch irgendwann vorbei. Paul ist mit seiner Freundin verabredet, Sarah entlässt uns in Nils‘ Zimmer.

»Schade«, seufzt er, »ich hätte dir so gerne ein bisschen Schnee geschenkt, um es perfekt zu machen.«

Ich schenke ihm einen Zombieblick.

»Aber... ich hab trotzdem noch was für dich.« Er reicht mir ein kleines, verpacktes Irgendwas.

In mir brodelt es... gewaltig. »Warum schenkst du das nicht Sebastian?«

Nils sieht mich irritiert an. »Was soll das?«

»Das frage ich dich, du Arsch. Wieso veranstaltest du den ganzen Scheiß für mich, wenn du den Penner offensichtlich immer noch hinter meinem Rücken vögelst?«

»Drehst du jetzt durch?«

»Du musst dich nicht um mich kümmern, kannst jetzt gleich zu ihm. In ein paar Tagen... das hält der sicher nicht aus.«

»Okay... was fantasierst du dir schon wieder zusammen, Juli?«

»Euer Geturtel am Telefon ist wohl kaum meiner Fantasie entsprungen«, entgegne ich pissig.

»Oh... ach so. Wir haben ein bisschen im Hand geschnüffelt, ja?«

»Na und? Hab ja wohl auch allen Grund dazu.«

»Hast du zwar nicht aber was soll's. He, ich hab nie gesagt, dass ich keinen Kontakt mehr zu Sebastian habe«, erklärt er, als sei es das Normalste auf der Welt, sich mit diesem Idioten abzugeben, nachdem der so viel Stress verursacht hat. »Wir sind befreundet. Mehr nicht.«

»Dann hättest du mir sagen können, dass er das am Telefon war.«

»Ja... ich wollte unseren Streit etwas hinauszögern. Hättest du denn vielleicht anders reagiert?«

Natürlich nicht. Hätte doch niemand an meiner Stelle, oder?

»Mach das auf«, kommandiert er sehr laut.

Ich drehe lustlos das Päckchen hin und her.

»Los!«

Etwas erschrocken über seinen scharfen Ton entferne ich das Papier. Ein kleines Kästchen... darin zwei silberne Ringe. Ach du Kacke!!

»Ich wollt's halt richtig prall haben«, sagt er achselzuckend.

Ach du Kacke!!

Er grapscht nach meiner Hand und schiebt ruppig einen der beiden Ringe auf meinen Finger.

»Ich liebe dich, Juli. Nur dich. Für immer und ewig. Wenn du genug Arschloch gespielt hast... ich bin im Wohnzimmer. Schönen Abend noch.«

Geil. Ich hab's echt schon wieder total und vollkommen versiebt! Mit stark tränenden Augen starre ich auf meinen Finger, dann auf die Tür, die Nils zugeknallt hat. Zur Hölle mit Basti-Spasti. Nils gehört zu mir.

Er hockt allein auf der Couch und... weint. Ich verdammte Pissnelke. Vorsichtig setze ich mich neben ihn und streiche ihm Haare hinters Ohr. »Es tut mir leid. Ich... ich weiß nicht, was ich sagen soll?« Zittrig friemle ich den anderen Ring auf seinen Finger. »Ich weiß nur, dass ich dich liebe«, heule ich. »Und ich will dich nicht verlieren. Nie wieder.«

»Wie kannst du denken, dass ich hinter deinem Rücken... wie kannst du denken, dass ich überhaupt jemals mit einem anderen... «, schluchzt er. »Und dass du mir das immer wieder unterstellst, tut echt weh. Nur weil du nicht Nein sagen konntest, heißt das noch lange nicht, dass ich... scheiße... warum erzähle ich dir das? Glaubst doch sowieso nur, was du dir in deinem Schädel zurecht legst.«

»Ey, du musst mich doch auch ein bisschen verstehen. Wenn du mir nicht sagst, was los ist... wie soll ich denn wissen, dass du nicht plötzlich doch lieber wieder ihn haben willst?«

»Und woher soll ich wissen, dass du nicht plötzlich wieder mit... mit jemandem in die Kiste springst? Vertrauen, Juli, schon mal was davon gehört? Aber vielleicht hilft es dir, wenn ich sage, dass zwischen Sebastian und mir nichts passiert ist. Außer Knutscherei.«

»Die dich verwirrt hat.«

»Ja, ungefähr zwei Tage. Und als ich mich endlich getraut hatte, mich bei dir in aller Form zu entschuldigen, dich auf Knien zu bitten, mich zurück zu nehmen, kamen von dir nur fiese Sprüche und dieses Lied.«

»Okay, dann ist alles wieder meine Schuld, oder was? Du bist mit Sebastian zusammen und das ist meine Schuld?«

Nils seufzt qualvoll. »Ich dachte, damit wären wir durch. Und überhaupt... ich war nie mit Sebastian zusammen. Weil ich nämlich ziemlich schnell gemerkt habe, dass ich nur dich haben will.«

»Und wieso hast du mir das nicht gesagt? Ich bin ohne dich total kaputt gegangen.«

»Mann, Juli... wenn du dich mal erleben könntest. Du bist manchmal so dermaßen kalt und ätzend, dass man sich nur noch ins Hemd machen will. Nach dem Lied... hätte ich dir da eine Liebeserklärung machen sollen? Ich war verletzt und angepisst und ich hatte Angst.« Er schüttelt langsam den Kopf. »Ist das jetzt wirklich noch wichtig, wer was wann gesagt und getan oder auch nicht hat? Du bist bei mir, ich hab dich lieb und es ist verdammt noch mal Weihnachten. Und ehrlich gesagt, hätte ich gedacht, du würdest mich... ich meine, was ist los? Hast du überhaupt keine Lust?« grinst er plötzlich.

»Äh... wie Lust? Worauf?« frage ich dümmlich.

Er verdreht genervt die Augen, nimmt meine Hand und wir gehen in sein Zimmer. Dort bekomme ich ziemlich schnell raus, was er will.

»Nils?«

»Hm?«

»Ich mag wieder dein Niffnasentier sein«, flüstere ich ihm ins Ohr.

Er lächelt verträumt und streicht mir über die Nase. »Das sind Sie... immer«, wispert er zurück bevor er mich küsst.


Morgen ist Silvester. Wir werden wohl mit Lotte und Tom auf irgendeine Party gehen. Ich bin ein bisschen traurig, weil ich diesen Abend sonst eigentlich immer mit Caro verbringe. Und Cassi hätte ich inzwischen auch ganz gern dabei. Naja, Zecke ist grad bei ihm, also werden die zwei die Nacht schon einigermaßen nett rumkriegen. Mit Nils ist momentan alles einfach nur total und absolut vollkommen überwältigend schön. Wir hatten zwar noch eine heftige Diskussion, weil er heute Basti treffen wollte aber ich hab ihm klargemacht, dass ich noch nicht so weit bin. Dass die beiden befreundet sind... okay, damit muss ich mich wohl abfinden und versuchen, meine Eifersucht runterzuschrauben. Jedenfalls haben wir uns fürs neue Jahr vorgenommen nicht mehr zu streiten, uns nie wieder zu trennen und natürlich uns häufiger zu sehen. In spätestens einem Jahr verpisse ich mich eh nach Berlin. Für immer. Außer Caro und Cassi gibt's ja nichts, was mich in der blöden Stadtattrappe hält und die beiden können mich schließlich besuchen. Das wird zwar anfangs sicher heftig, weil Caro und ich ja immer zusammen waren, aber ich mag eben ganz ganz doll bei Nils sein.

E N D E

Nachwort

Okay, das war's! Alles ist gesagt. Juli ist vorbei und es wird definitiv keinen weiteren Teil geben. Ich möchte mich nochmal bei den vielen tausend ;) Lesern bedanken, die sich tapfer mein Geschreibsel reingezogen, sich nicht gelangweilt und mir super liebe Mails geschickt haben. Und ich möchte die Menschen knuddeln, die ausversehen ein bisschen dazu beigetragen haben, dass Juli überhaupt zustande kommen konnte ;) Liebe euch alle sehr und niffe eure Nasen :)

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