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Runaway

Teil 2

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Runaway

Einige Zeit später taucht Kiwi wieder auf. Und er ist nicht allein. Flip ist bei ihm. Mein Herz beginnt zu klopfen und in meinem Magen kribbelt es.

„Wieso kannst du Blödmann eigentlich nicht tun, was man dir sagt?“ begrüßt er mich nicht sehr freundlich.

„Ich... ich...“, stottert es verlegen aus meinem Mund.

„Halt bloß die Klappe, Mann.“

„Äh...ich lass euch zwei dann mal allein, ja?“ erklärt Kiwi und gesellt sich zu Punks und Hunden.

Unglücklich starre ich auf meine schmutzigen Finger und schäme mich in Grund und Boden.

„Schau mich an, wenn ich mit dir rede, verdammt“, schreit er, so dass ich zusammen zucke.

Er kniet sich vor mir auf den Boden. „Also... ich höre.“

„Keine Ahnung.“

Seine graublauen Augen glitzern so unglaublich, dass ich fast meinen eigenen Namen vergesse. Da ist wieder diese Vorstellung, von seinen Armen umschlungen zu werden.

„Du machst mich echt fertig, Alex. Wie siehst du überhaupt aus? Und wenn du schon Straßenkind spielen musst, warum bist du dann nicht zu mir gekommen?“

„Du... du wolltest mich doch nicht mehr... bei dir haben.“

„Oh fuck.“ Flip reibt sich angestrengt die Augen, dann steht er plötzlich auf. „Okay, lass uns gehen.“

Als ich zögere, greift er nach meiner Hand. „Na komm schon.“

„Wohin denn?“ frage ich schüchtern und lasse mich von ihm hoch ziehen.

„Zu mir. Da kriegst du was zu essen, kannst dich waschen und andere Klamotten anziehen. Denn, ehrlich gesagt, du riechst grad nicht besonders lecker.“

„Ich weiß“, heule ich. Ja, ich heule. Na und? Kann ich vielleicht was dafür?

„Ist doch nicht so schlimm“, sagt Flip leise und wischt mir mit dem Finger Tränen von der Wange.

Das Kribbeln im Magen wird stärker. Genau wie der Drang, mich an ihn zu schmiegen.

Er hält noch immer meine Hand, die sich plötzlich ganz schwer an meinem baumelnden Arm anfühlt. Ich starre auf den Boden. Und manchmal auch verstohlen auf unsere ineinander verschlungenen Finger. Vielleicht hat er einfach nur vergessen, mich loszulassen?!

Wie aufs Stichwort schlüpft seine Hand aus meiner, was ich schade finde. Allerdings weiß ich nicht, ob es richtig ist, das zu bedauern.

In seiner Behausung angekommen wirft Flip mir saubere Klamotten hin. „Hier... wasch dich und zieh das an.“

Er sagt das in einem sehr kühlen Ton. Ich will schon wieder heulen, mache aber, was mir befohlen wurde. Okay, es gibt zwar nur kaltes Wasser und die Dusche sieht nun auch alles andere als einladend aus, aber wer wird denn nach fast einer Woche auf der Straße wählerisch sein?! Hauptsache, ich rieche nicht mehr so eklig und kann mich wieder wie ein halbwegs anständiger Mensch fühlen. Während ich mich ausziehe fällt mir erstmal auf, WIE dreckig ich bin. Es ist wirklich ekelhaft. Ich habe Schmutzränder auf der Haut, das muss man sich mal vorstellen!! Und wenn ich in meine Haare greife, knistert’s. Ich kann von Glück sagen, dass ich mir keine Läuse, Flöhe oder anderes Geziefer geholt habe.

Als ich fertig bin und ins Zimmer zurück komme, hat Flip mir Toast und Nutella hingestellt.

„Iss.“

Ja, ich bin hungrig, allerdings dreht sich mir komischerweise total der Magen um. Wenn Flip doch so böse auf mich ist, wenn ich so eine Last für ihn bin... warum hat er mich dann mitgenommen? Bedröppelt nage ich an einer labberigen Weißbrotscheibe.

„Es... es tut mir leid, Flip.“

„Was?“

„Alles“, entgegne ich weinerlich.

„Oh Mann“, seufzt er, „lass mal gut sein. Biste eben wieder hier, was soll’s?“

Ich kann nicht behaupten, dass es mir jetzt besser geht. Klar, hab ich ein Dach überm Kopf und so weiter, aber wenn Flip so... dabei will ich doch... was ist los mit mir? Ich kann überhaupt nicht mehr vernünftig denken.

„Fertig mit essen?“ fragt Flip, worauf ich stumm nicke. „Okay, dann leg dich hin. Siehst aus, als könntest du ‘n bisschen Ruhe gebrauchen.“

Ich schlüpfe unter die Decke und zu meiner eigenen Verblüffung wünsche ich, Flip würde dasselbe tun und... mich einfach nur festhalten. Ach du Scheiße, sowas sollte man nicht wollen. Ganz sicher nicht! Naja, und er legt sich ja auch eben NICHT zu mir, sondern bleibt am Ende der Matratze hocken und raucht.

„Warst du wirklich die ganze Zeit am Bahnhof?“

„Nee, ich hab da nur geschlafen.“

„Und sonst?“

Ich erzähle ihm, wie es mir ergangen ist.

„Wenn ich gewusst hätte, dass du so ein Idiot bist, hätte ich dich eigenhändig zu den Bullen geschleift. Warum bist du nicht nach Hause gegangen? Und erzähl mir jetzt nicht wieder, dass du Stress wegen der Schule kriegst. Ich begreife euch echt nicht.“

„Euch?“

„Euch verwöhnte Bälger. Was stimmt zur Hölle nicht mit euch? Ist euer kuscheliges Leben so langweilig, dass ihr euch sonst wo rumtreiben müsst? Kickt die Straße so sehr, ja? Oder macht sich das besonders gut in deinem Lebenslauf? Ach übrigens war ich mal ein paar Tage obdachlos. Hey, jetzt bin ich mit allen Wassern gewaschen.“

„Willst du, dass ich gehe?“

„Ich will, dass du darüber nachdenkst, was du tust. Glaubst du, das hier ist Spaß? Wie soll’s weitergehen, mh? Möchtest du so enden wie Lunte und die anderen? Dich Tag für Tag zuknallen?“

„Ich dachte, das sind deine Freunde.“

„Ja, aber trotzdem finde ich ihr Dasein nicht erstrebenswert für dich. Ich... ich hab einfach Angst, dass du das nicht aushältst und genauso kaputt gehst. Was hättest du denn gemacht, wenn ich dich nicht mitgenommen hätte?“

DAS mag ich mir gar nicht vorstellen. „Weiß nicht“, murmle ich. „Aber eines weiß ich genau. Ich bin kein gelangweiltes, verwöhntes Balg wie... wie Cat.“

„Lass mich bloß mit der in Ruhe“, zischt er. „Und du solltest erst recht die Finger von ihr lassen.“

Ich hab nie vorgehabt, meine Finger nach ihr auszustrecken. Oh nein, ich bin ja wohl ein Trottel. ER will sie haben und denkt, dass ich... „Ich würde niemals jemandem die Freundin ausspannen. Und dir schon gar nicht.“

Er sieht mich mit großen Augen an. „Mir die Freundin ausspannen? Ich würd mit Cat nichts anfangen, wenn sie die letzte Person auf der Welt wäre.“

„Ich auch nicht.“

„Und warum musstest du sie dann küssen?“ schreit er.

„Sie hat mir ihre Zunge in den Hals gesteckt“, schreie ich zurück. „Keine Ahnung, warum. Ich wollte meinen ersten Kuss sicher nicht von einem besoffenen Mädchen haben.“

Na toll. Warum ist mir das denn rausgerutscht? Jetzt denkt Flip doch total, dass ich entweder generell keine Mädchen küssen will oder dass ich irgendwie unnormal bin, weil ich mit fünfzehn noch niemanden geküsst habe. Wahrscheinlich beides. Und überhaupt, ich hab ihm doch gesagt, dass ich achtzehn bin. Noch schlimmer. Ich könnte mich in die Luft sprengen. Flucht nach vorne! „Und wenn du nicht mehr scharf auf Cat bist, warum regst du dich dann auf?“ Tut mir leid, aber ich verstehe das wirklich nicht. Warum er so rot wird übrigens auch nicht. Und am wenigsten begreife ich, warum ich das dermaßen süß finde. Das heißt, mir kommt da so ganz langsam eine Idee, allerdings möchte ich der mal lieber nicht zu viel Raum geben.

„Du solltest ein bisschen schlafen“, sagt Flip verschämt. „Hattest immerhin eine ziemlich anstrengende Woche.“

Schlafen... ja, irgendwie ist mir danach. Ich lege mich hin und Flip steht auf. Zieht seine Jacke an.

„Gehst du weg?“ frage ich total panisch.

„Ja, hab noch was zu erledigen.“

„Wann... wann kommst du denn wieder?“

„In ein paar Stunden. Tu mir einen Gefallen und stell nichts Blödes an, ja? Leg dich einfach hin und schlaf. Geh bloß nicht raus. Die Bullen kreuzen hier ab und zu mal rum und wenn die mitkriegen, dass jemand hier rein oder raus geht, können wir uns was Neues suchen und das muss ich nicht unbedingt haben.“

„Flip?“

„Was?“

„Danke, dass ich bleiben darf.“

„Bis später“, sagt er noch und geht.

Wow... ich muss wirklich eingeschlafen sein, denn als ich meine Augen öffne, ist es stockdunkel. Vorsichtig taste ich umher und zünde einige Kerzen an. Flip ist anscheinend noch nicht zurück. Was soll’s?! Warte ich halt mal wieder. Hab ich die letzten Tage etwa was anderes getan? Scheiße, wenn ich doch wenigstens eine Uhr hätte. Die Tatsache, dass mir jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen ist, macht mich ganz bekloppt. Ich besitze eine sehr schöne Armbanduhr, ein Weihnachtsgeschenk von Oma und Opa, die liegt allerdings in meiner Schreibtischschublade, weil es heutzutage total uncool für einen Fünfzehnjährigen ist, sowas am Handgelenk zu tragen. Jedenfalls in meinen Augen. Mein Handy hat eine Uhr, aber mein Handy hat der fiese Drecksack, der mir an die Wäsche wollte. Überhaupt hat der alles.

Klamotten, Adresse, Ausweis, Schlüssel. Der könnte meinen Eltern die ganze Bude ausräumen. Allerdings ist er ja wohl nicht auf Wertgegenstände scharf, sondern auf meinen Arsch. Trotzdem ist es ein sehr unangenehmes Gefühl, dass der mich jetzt so gut kennt. Richtig widerlich. Der könnte aus lauter Frust und Boshaftigkeit zur Polizei gehen, sagen, dass er meine Tasche irgendwo gefunden hat und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Bullen mich finden. Dann muss ich nach Hause und sehe Flip niemals wieder, weil meine Eltern mich für den Rest meines Lebens einsperren.

Übrigens finde ich es rücksichtslos, dass Flip mich so lange allein lässt. Mich durchkraucht schon wieder eine grauenhafte Angst. Eine, die mir die Kehle zuschnürt. Bei jedem Geräusch zucke ich zusammen, weil es von allem Möglichen verursacht worden sein könnte. Ratten, Polizei, drogensüchtige Kriminelle, Verrückte, die mich abmurksen wollen... der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ich probiere, in Ohnmacht zu fallen, was leider nicht klappt. Gott, was bin ich eigentlich für ein kleiner Waschlappen? Ich sollte doch mittlerweile ein bisschen abgehärtet sein. Als ich Schritte höre, ist meine Fassung kaum noch, bis gar nicht mehr, vorhanden. Das kann nur Flip sein, aber sicher ist das nicht. Bibbernd ziehe ich mir die Decke über die Ohren, der Mörder braucht mich ja nicht gleich auf einen silbernen Tablett präsentiert bekommen. Vorsichtshalber stelle ich auch die Atmung nicht ganz ein, aber doch so gut wie. Dummerweise sehe ich jetzt selber mit der Decke überm Schädel nichts mehr. Die Schritte werden lauter, jemand ist ins Zimmer gekommen. Jemand fasst sanft an meine Schulter.

„Hey.“

Ich schlage die Decke zurück, sehe Flip vor der Matratze hocken und kann ihm in diesem Augenblick nur erleichtert um den Hals fallen. Er muss etwas überrascht sein, denn ich fühle seine Hände erst Sekunden später äußerst zaghaft über meinen Rücken streichen.

„Wo warst du so lange“, flüstere ich zitternd und umschlinge ihn, als hinge mein Leben davon ab.

„Äh... Alex... ich... wow, ich krieg keine Luft.“

Augenblicklich lasse ich ihn los und bemerke ein heißes Gefühl im Wangenbereich. „Tut mir leid.“

„Schon okay“, lächelt Flip süß. Mit seinen Augen ist etwas passiert. Die glitzern wieder so eigenartig. Ehrlich, wie verdammte Eiskristalle. „Hast du geschlafen?“

„Ja, aber als ich aufgewacht bin, warst du nicht da und... ich... dachte...“ Dass Ratten meine gemetzelte Leiche aufessen?!

„Hat ein bisschen länger gedauert“, erklärt er, wobei er mir eine Haarsträhne aus den Augen streicht, „und dann hab ich noch... magst du gerne Schokolade?“ Flip kramt in seinem Rucksack und hält mir eine riesige Tafel Milka Schoko&Keks unter die Nase.

Das ist der Moment, in dem mir klar wird, dass ich ihn küssen möchte. Schmerzhaft. Dringend. Seine Lippen sehen aus, als seien sie wie fürs Küssen gemacht. Wie geschaffen, um meine zu berühren. Dass mir das nicht schon eher aufgefallen ist. Wie würde er wohl reagieren, wenn ich jetzt einfach ganz kurz...

Statt dessen nehme ich die Schokolade. Bedanke mich artig, wie ein kleines Gör, dem Papa was Schönes mitgebracht hat, und kotze mich irgendwie selber an. Mhh... seine Lippen auf meinen spüren. Bestimmt sind die ganz weich. Jemand der so weiche Hände hat, MUSS weiche Lippen haben. Und wenn seine Zungenspitze gegen meine... wonach er wohl schmeckt? Sicher nicht so schäbig wie Cat mit ihrer abgeschmackten Bierspucke. Flips Unterlippe ist ein kleines bisschen stärker ausgeprägt als die obere. Ich hab mal gelesen, dass Menschen mit einer ausgeprägten Unterlippe total sinnlich sind. Leider hab ich bestenfalls eine ziemlich vage Vorstellung von Sinnlichkeit. Genauso wie ich nur eine vage Vorstellung vom Küssen habe. Sex liegt praktisch im völligen Nebel. Ich denke nicht, dass Flip große Lust hat, mir erstmal die grundlegendsten Sachen beizubringen, bevor es richtig losgehen kann. Ach du Scheiße... ich hab wohl vergessen, dass wir beide Jungs sind. Nur weil ich anscheinend zufällig zum Schwulen mutiere und ihn knutschen will, heißt das noch lange nicht, dass es Flip ähnlich geht.

„Hey... du kannst die ruhig aufmachen. Musst sie nicht anstarren wie das achte Weltwunder. Es ist nur Schokolade.“

Seine Stimme bringt mich in die Realität zurück. Der Drang, ihn zu küssen, ist noch da.

Um mich davon abzulenken, reiße ich das Papier auf und stopfe mir ein großes Stück Schokolade in den Mund. Dann erinnere ich mich an meine Manieren und biete Flip ebenfalls was an.

„Du bist so durcheinander, Alex. Was ist los?“ fragt er samtig. Oder eher leise. Ich glaube, das Samtige bilde ich mir nur ein.

„Ich... ich hab schlimm geträumt“, lüge ich.

„Was denn?“

„Der Typ... der, mit meiner Tasche, hat... ich... ach, ich will nicht darüber reden.“

Entschuldigung aber wie sollte ich mir jetzt noch eine blöde Traumgeschichte ausdenken?!

Kann ja wohl keiner von mir verlangen. Glücklicherweise hakt Flip nicht weiter nach, sondern widmet sich dem Milka-Fraß. Während ich ihm verstohlen beim Essen zuschaue, wird meine Vorstellung von Sinnlichkeit sehr viel konkreter. Seine Lippen bewegen sich dermaßen verführerisch, dass mir heiß wird. Heiß und... äh... au je! Ich ziehe vorsichtshalber die Decke ein Stück über meinen Schoß und drapiere zusätzlich noch meine Hände darüber.

„Willst du noch was haben?“

„Nein.“

Flip legt die Schokolade zur Seite, zieht seine Schuhe aus, den Pullover, die Gürtel und krabbelt auf die Matratze. „Mann, ich bin echt müde“, seufzt er und streckt sich wie eine kleine Katze. Lächelnd zuppelt er an der Decke. „Darf ich? Ist’n bisschen kalt ohne.“

Mir ist kochendheiß wie tausend Grad Fieber. Seine... oh Mann, seine Brustwarzen sind ganz hart. Meine Lippen knüppeltrocken. Ich muss sie befeuchten und mich zwingen, nicht so zu starren oder gar meine Hand auszustrecken nach diesen kleinen, rosigen...

„Machst du noch die Kerzen aus?“

„Nee, ich kann nicht.“ Kann ich echt nicht. Wenn ich aufstehe... ach du Heimatland!!

Flip sieht mich fragend an.

„Schwindlig“, sage ich blöde und lege mich hin.

„Okay“, sagt er, kriecht über meinen zusammengerollten Körper, bläst alle Kerzen bis auf eine aus und schlüpft unter die Decke zurück.

Im Schein der Kerze ist sein Gesicht geradezu atemberaubend schön. Ich begreife gar nicht, warum... jetzt auf einmal... ich komme mir ja vor wie verliebt. Ich meine, keine Ahnung, wie sich das anfühlt, ich war’s noch nie.

„Geht’s dir nicht gut?“ fragt er besorgt.

„D-doch.“

Seine Hand berührt meine Stirn. „Ey, du glühst ja.“ Sie streicht über meine Wange. Während sie das tut entfährt mir ein wirklich seltsames Geräusch. So eine Mischung aus Schluchzen, Seufzen und noch irgendwas. Möglicherweise kriege ich gleich einen Kollaps?! Zum Glück liege ich. Leider muss ich anfangen zu zittern. Flips Hand streichelt, ich darf wohl sagen zärtlich, mein Gesicht, spielt mit meinen Haaren. Das beruhigt mich nicht. Im Gegenteil!

Ich stehe wie unter Strom. So hab ich mich gefühlt als meine Mutter mir mal ein dämliches Grippemittel mit ungefähr tausend Milligramm Koffein verabreichte. Ganz genau so.

„Geh mir bloß nicht ein“, flüstert Flip, „eine Leiche kann ich echt nicht brauchen.“

Sein Aufmunterungsversuch ist fehlgeschlagen. Oder auch nicht, denn... ich küsse ihn blitzschnell auf den Mund. Weiß der Teufel wie mir das passieren konnte. Ich schäme mich so sehr, dass ich erschrocken die Decke bis über die Nasenspitze ziehe.

„Entschuldige.“

Anstatt mich anzuschrein, zu schlagen, zu treten oder was auch immer, nimmt Flip vorsichtig die Decke runter und... ich kann schon wieder nicht an mich halten. Seine Lippen sind magnetisch, meine wollen unbedingt mit seinen in Berührung kommen und nicht mehr loslassen. Mein Körper ist inzwischen zu einer Quabbelmasse geworden. Wie mein Hirn.

Besonders als seine Zunge in meinen Mund dringt und sehr sanft umher tastet, bis sie meine findet. Ich höre erneut dieses komische Schluchz-Seufz-Irgendwas-Geräusch, nur kommt es diesmal von Flip. Als unsere Zungen miteinander spielen und seine Finger durch meine Haare wuseln, meinen Nacken streicheln, ist meine Vorstellung von Sinnlichkeit glasklar. Das müssen die in der Zeitschrift gemeint haben.

Meine Finger, die ich schon längst nicht mehr unter Kontrolle hab, streicheln über Flips Haut, suchen zaghaft nach seinen Brustwarzen. Es dauert trotzdem noch eine Ewigkeit, bis ich mich dann tatsächlich traue, eine mit dem Zeigefinger anzutippen.

„Alex... wir müssen sofort aufhören damit“, stöhnt Flip.

Seine Worte verursachen starkes Brennen in meinen Augen. „Warum?“ frage ich unglücklich.

„Ich... shit, ich hab so lange darauf gewartet und jetzt... ich bin echt schon kurz davor.“

„Kurz vor... was?“

Seine Lippen berühren leicht mein Ohr. „Kurz davor zu kommen.“

Okaaaaay. Schätze, das hab ich soeben hinter mir.


Der Morgen danach, oder? Meine Augen sind noch nicht ganz offen, da fallen mir auch schon die gestrigen Ereignisse ein. Wobei natürlich gar nicht so wahnsinnig viel passiert ist... für einen normalen Menschen. Wir reden aber grad von mir und für mich ist Küssen nun mal das absolut Intimste, das mit einer anderen Person möglich ist. Flip andererseits knutscht vermutlich sehr oft und ich denke, er wird sich in den meisten Fällen damit nicht begnügen.

Was soviel heißt wie, er ist wesentlich erfahrener in solchen Dingen. Immerhin wusste er genau, wann Zeit ist aufzuhören. Ich wusste das nicht und durfte mitten in der Nacht und extrem peinlich berührt meine vollgewichste Hose wechseln. Allein der Gedanke daran verursacht Schweißausbrüche. Ehrlich, ich konnte Flip danach nicht mehr ansehen. Hab ihm den Rücken zugedreht und grad noch so zugelassen, dass er sich an mich schmiegt.

„Hey, du bist ja schon wach“, murmelt er verschlafen, räkelt sich und wuschelt mein Haar durcheinander. „Was’n los?“

„Nichts.“

„Mh... und warum liegst du dann nicht in meinen Armen?“

„Weiß nicht.“

„Na dann komm her“, lächelt er.

Vorsichtig kuschel ich mich an ihn. Er ist ganz warm und er riecht so gut.

„Du, Flip... wegen gestern...“

„Mhhhhhh“, schnurrt er und reibt seine Nase an meinem Hals.

Mist, ich kann nicht klar denken, wenn er solche Sachen macht. Mit einem Mal rückt er weg von mir.

„Dir ist es unangenehm, stimmt’s? Hattest gestern einfach einen miesen Tag, warst in schlechter Verfassung und bereust, was gelaufen ist. Scheiße, ich hab’s gewusst.“

Äh...?? „Nein“, entgegne ich eine Spur zu schrill, „ich meine... ich fand das doch total schön“, füge ich verschämt hinzu.

Flips Augen bekommen wieder diesen unglaublichen Glanz. „Ja?“

Ich nicke. Eine Sekunde später schnuffelt er sich an meinen Hals zurück. „Hast mir echt grad Angst gemacht, Alex. Mann, ich dachte schon... dabei bin ich doch...“

„Was?“ unterbreche ich ihn.

„Naja, verliebt in dich.“

Oh Gott, ich muss aufpassen, dass mein Hirn sich nicht verabschiedet. Wenn das ein Scherz sein soll... „Ehrlich?“ frage ich leise.

Seine Hand streichelt meine Wange. „Weißt du das denn nicht?“

„Aber...? Wie kann das sein?“ Und warum sage ich so blöde Sachen?

„Keine Ahnung“, grinst er, „ist eben einfach so passiert. Deine hübsche Visage könnte damit zu tun haben.“

Da ist wieder dieser verdammte Magnetismus in seinen Lippen. Ich kann gar nicht anders.

Küssen, ist alles, was ich denke, Flip küssen und nie mehr damit aufhören. Seine Hand friemelt an meinem Shirt rum und schiebt sich schließlich darunter. Ich zucke zusammen, als hätte er mir ein Messer in den Leib gerammt.

„Kalt?“ lächelt er.

„Ein bisschen.“

„Oder nervös?“

Jetzt, wo er es erwähnt. Was weiß denn ich, was Flip vor hat? „Ich hab... also, ich meine, du...“

„Ich weiß.“

„Was?“

„Na, dass ich dein erster Freund bin.“

„Du erwartest doch sicher...“

„Alex, entspann dich. Ich hab doch nur deinen Bauch gestreichelt und wenn dir das zu viel ist, lass ich es“, erklärt er und nimmt seine Hand weg. „Aber küssen“, flüstert er und knabbert an meinem Ohrläppchen, „mhhh... küssen muss ich dich, sonst geh ich kaputt.“

Die nächsten Stunden machen wir nichts anderes. Küssen, meine ich, nicht kaputt gehen.

Ehrlich gesagt, knutschen wir wie die Irren und als sich Flips Hand erneut unter mein Shirt stiehlt, hab ich nichts mehr dagegen. Im Gegenteil, seine Finger auf meiner Haut machen mich ganz verrückt. So verrückt, dass ich anfange zu zittern und komische Bewegungen mit meinem Becken veranstalte. Wenn er doch nur mit seiner Hand ein wenig tiefer...aber er streift lediglich meinen Hosenbund.

„Flip... schläfst du mit mir?“ frage ich atemlos während einer Kusspause.

„Na klar“, lächelt er.

„Wann?“

„Wenn du soweit bist. Erstmal gibt’s da andere Sachen, die...“ Er küsst mich. Seine Hand schlängelt sich in meine Hose und raubt mir das letzte bisschen Verstand. Ich komme schnell und heftig.

Bei ihm dauert es länger, weil ich mich ziemlich ungeschickt anstelle. Es ist eben doch ein Unterschied, ob man sich selbst einen runter holt oder jemand anderem. Trotzdem war es irgendwie total faszinierend meine Hand zu sehen, die Flips Schwanz umschloss. Ich war echt wie hypnotisiert. Und gut angefühlt hat er sich sowieso. Das heißt jetzt aber nicht, dass ich super auf Geschlechtsteile fixiert bin. Ich meine, ich hab beim Onanieren jedenfalls nie hauptsächlich an einen nackten Penis gedacht.

Während wir aneinander gekuschelt unter der Decke liegen, brennt mir plötzlich eine Frage unter den Nägeln. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, weil Flip doch was mit Cat hatte... und jetzt... er scheint sich mit Jungs auch ganz gut auszukennen.

„Flip, sag mal, hattest du schon viele Freunde, mit denen du...?“

„Freunde? Mh, würd ich so nicht sagen. Ich war nicht unbedingt in jeden Typen verknallt, den ich gepoppt habe. Schockiert?“

„Nee, es ist nur, weil...“

„Keine Angst, ich hab’s fast immer mit Gummi gemacht und mein letzter Test war negativ.“

Test? Oh... ach du meine Güte. Daran hab ich überhaupt nicht gedacht. Willkommen im wirklichen Leben! Ich würde sicherlich auch eher zu den Leuten gehören, die sich aus purer Blödheit mit irgendwelchen Krankheiten anstecken. Nach diesem Ausflug auf den Boden der Tatsachen halte ich lieber erstmal die Klappe.

„Willst du sonst noch was wissen?“

„Nein.“

„Kannst aber ruhig fragen.“

„Okay.“

Er sieht mich stirnrunzelnd an. „Okay, ja oder okay, nein?“

„Okay, später vielleicht.“

„Fein“, grinst er, „magst du noch’n bisschen knutschen?“

Wer könnte da widerstehen?! Allerdings... „Meine Lippen sind aber schon ganz rauh.“ Sind sie wirklich, Flip knabbert nämlich gerne!

„Das stört mich nicht.“

Na, mich vielleicht?!


Wir sind zwei Tage lang nicht aus dem Bett gekommen! Haben einfach nur gekuschelt, geknutscht, geredet und geschlafen. Von mir aus könnte es ewig so weiter gehen, aber Flip zieht sich bereits an.

„Kiwi wird denken, er müsse unsere verschimmelten Kadaver irgendwo identifizieren, wenn wir nicht mal wieder im Park auftauchen“, erklärt er und schlüpft in sein Sex Pistols-Shirt.

„Ist mir egal“, seufze ich.

„Und außerdem müssen wir was zu essen kaufen. Hast du gar keinen Hunger?“

Komisch, hatte ich bis vor zwei Sekunden echt nicht. Dabei haben wir uns gestern lediglich das letzte bisschen Schokolade geteilt. Lustlos stehe ich auf und ziehe frische Klamotten an...

Flips natürlich. Nachdem wir jetzt zusammen sind, kickt das irgendwie total. In mir kribbelt es wohlig. Kurz bevor wir gehen, nimmt er sein Nietenarmband ab und schlingt es um mein Handgelenk. Danach ist mein gesamter Körper Wackelpudding.

Im Park angekommen wird Flip überschwänglich begrüßt...naja, so überschwänglich wie es Alkohol und Drogen in den Punk-Körpern eben zulassen. Ich bin anscheinend zu unbedeutend und werde kaum eines Blickes gewürdigt. Das ändert sich jedoch als Kiwi auf der Bildfläche erscheint.

„Mensch, Flip... ich dachte, ihr liegt tot im Rinnstein“, ruft er schon aus der Ferne.

„Hab ich’s nicht gesagt?“ flüstert Flip mir zu.

„Wo zum Henker seid ihr gewesen? Ihr...“, Kiwi mustert uns kritisch, dann breitet sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus, „oh nein! Ihr habt’s gemacht. Leugnen ist zwecklos, ihr Arschgeigen. Wow, ich fasse es nicht.“

Ich werde knallrot und möchte im Boden versinken. Sieht man mir wirklich an, dass Flip und ich...? Blödsinn, wir haben sicher nicht das getan, was Kiwi im Schädel hat. Noch nicht.

„Ekelhaft“, faselt Kiwi weiter, „ekelhaft.“ Dann greift er plötzlich nach meinem Arm und beäugt das Nietenband. „Ach du Scheiße, seid ihr jetzt etwa verheiratet? Ohhhh... das ist ja zum Kotzen süß.“

Flip nimmt meinen Arm aus Kiwis Flosse. „Krieg dich wieder ein.“

„Passt bloß auf, dass Cat das nicht erfährt. Die tötet dich“, warnt er und deutet beim letzten Satz auf mich. „Auf euer Wohl.“ Er hebt seine Flasche und nimmt einen kräftigen Schluck.

„Noch jemand?“

„Nein, danke“, sagen Flip und ich gleichzeitig.

„Hey, da ist nur Cola drin... mit Fanta gemixt.“

„Ja, na sicher.“

Kiwi breitet seinen langen Mantel aus und lässt sich im Schneidersitz auf der Wiese nieder.

„Ich bin so clean wie ein Baby. Naja, vielleicht nicht ganz. Koffein heißt meine Droge. Es ist doch so, man kann nicht ständig zugeballert durch die Gegend torkeln, richtig?“

„Du bist doch auf’nem Trip“, winkt Flip ab.

„Nee, echt nicht. Nur ein bisschen vernünftiger geworden. Nach meinem letzten Rausch bin ich wach geworden... und zwar in meiner eigenen Kotze. Kommt dir bekannt vor, Flip? Na, jedenfalls dachte ich plötzlich, ist doch eklig, was ich mache. Und ich sag dir, kein Typ will dir in die Hose gehen, wenn er sich vorher erst den Weg freischaufeln muss, weil du dir unbemerkt auf den Schoß gereihert hast.“

Mir wird allein bei dem Gedanken schon übel. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Kiwi so unkontrolliert säuft... oder was auch immer.

„Aber zurück zu wichtigen Dingen. Also... wer hat angefangen? Du?“ fragt er Flip.

„Du denkst doch nicht ernsthaft, dass ich dir das erzähle.“

„Ah, ich wusste, dass tief in Alex ein kleiner Verführer schlummert. Zu schade, dass er ausgerechnet dich ausgesucht hat, du Froschvisage“, kichert er.

„Im Suff bist du viel angenehmer“, entgegnet Flip.

„Mein Suff oder dein Suff? Oh bitte... darf ich es Cat erzählen, ja?“ bettelt er auf den Knien rutschend.

„Mir was erzählen?“

Ach du Kacke... wenn man vom Teufel spricht. Cat (in Mini, Strapsen und hohen Doc’s) setzt sich neben Flip. Das heißt, sie setzt sich fast auf ihn. Ich schlag die sofort zu Brei.

Kiwi lächelt böse. „Während du zu Hause die Erbsen unter deiner Matratze gezählt hast, haben Flip und Alex es getrieben wie die Karnickel, Prinzessin.“ Er macht eine Faust und schlägt ein paar Mal mit der flachen Hand drauf.

„Na und?“ sagt sie betont cool. Aber ihre Augen verraten sie. Da spiegelt sich das blanke Entsetzen. „Du müsstest doch am Besten wissen, dass Flip ab und zu ein Fickhäschen braucht.

Als er mit dir durch war, zu wem ist er da zurück gegangen, mh? Zu mir.“

Flip und Kiwi hatten Sex! Ich krieg Magenschmerzen.

„Ey, Kleine... geh nach Hause und heul dir die Augen aus dem Kopf, weil keiner dein ausgeleiertes Loch stopfen will.“

Puh, der kann aber auch ganz schön ordinär sein. Junge, Junge!

„Deins ja wohl auch niemand“, lächelt sie zuckersüß.

„Warum haltet ihr nicht eure dämlichen Fressen und verpisst euch?“ faucht Flip.

Er hatte Sex mit Kiwi. Und mit Cat. Wer weiß mit wem sonst noch hier. Ich bin nichts weiter als ein schnelles Abenteuer und wenn er mit mir fertig ist, wird er zu ihr zurück gehen. Naja, was hab ich denn auch erwartet? Dass er es ernst meint? Dass er mich wirklich liebt? Wie kann man nur so blöd sein?! Bedröppelt starre ich auf den Boden, damit die anderen meine Tränen nicht sehen.

„Oh... jetzt fängt er an zu weinen, Flip. Und so einen Schlappschwanz hast du gevögelt? Da war die Gruftietunte ja noch besser“, spottet Cat.

Blitzschnell greift Flip an ihre Kehle und drückt sie auf den Boden. „Sag sowas noch mal und ich bring dich um, das schwör ich dir, du verdammte kleine Nutte“, zischt er.

„Au... du... du tust mir weh“, japst sie und versucht sich aus seinem Griff zu lösen.

„Nicht genug, Cat.“ Er lässt sie los, streicht sich fahrig Haare aus dem Gesicht und setzt sich wieder neben mich. Wow, ich dachte echt, der würd ihr ins Gesicht schlagen.

Cat wackelt sich auf die Beine. Sie reibt ihren Hals und sieht aus, als wolle sie ebenfalls töten.

Offensichtlich entscheidet sie sich dagegen, denn sie murmelt noch etwas Unverständliches und verschwindet.

Ich bin immer noch durcheinander, weil Flip mir plötzlich wie ein völlig fremder Mensch vorkommt. Hauptsache, der ist auf mich nie mal derart böse!

Kiwi lehnt seinen Kopf an meine Schulter. „War das nicht eine wahrhaft ritterliche Tat?

Flip, du bist unser Held.“

„Tu mir einen Gefallen und halt die Klappe, ja?“

„Okay“, nickt Kiwi und tut so, als würde er seinen Mund abschließen.

„Alex“, flüstert Flip. Seine Hand greift schüchtern nach meiner, doch ich zucke zusammen und ziehe sie weg.

Sorry, aber das war jetzt alles ein bisschen viel auf einmal.

„Na toll... jetzt hasst du mich.“

Oh mein Gott!! Ich umschlinge ihn mit beiden Armen.

„Und mit dieser herzzerreißenden Geste möchte ich mich von Ihnen verabschieden, meine Damen und Herren“, ruft Kiwi, der seinen Mund inzwischen wohl wieder aufgeschlossen hat, „schalten Sie auch nächste Woche wieder ein, wenn Sie Doktor Pflaume sagen hören: Nur die Liebe zählt!“

Er verbeugt sich übertrieben. „Danke. Vielen Dank, ihr seid ein wunderbares Publikum. Ich geh jetzt nach Hause und hol mir einen runter. Danke.“

„Kiwi... bist du sicher, dass du nichts eingeworfen hast?“ fragt Flip kopfschüttelnd.

Er haucht uns einen Kuss zu und schlendert davon.

„Lass uns auch gehen, mh? Oder magst du nicht mehr mit zu mir kommen?“ Flips Stimme wirkt einigermaßen unsicher. Ich dagegen bin einigermaßen verärgert. So eine saudämliche Frage. Als hätte ich eine andere Möglichkeit, als mit zu ihm zu gehen.

Unterwegs reden wir kaum, bis gar nicht. Ich muss erstmal das Chaos in meinem Kopf ordnen. Okay, Flip steht auf Jungs, das weiß ich ja nun inzwischen. Und er hatte was mit Kiwi. Die Betonung liegt auf hatte. Was ist schlimm daran? Kiwi ist süß. Das ist schon mal nicht das Problem. Es geht mehr um das, was Cat gesagt hat.

Schweigend starre ich Löcher in die Matratze, auf der ich sitze. Flip gegenüber.

„Du bist böse auf mich, Alex“, beginnt er, „mir ist nur nicht ganz klar, warum.“

„Ich will kein Fickhäschen sein“, erkläre ich mit fester Stimme.

„Hab ich dich so behandelt?“

„Nein“, gebe ich zu.

„Warum hörst du dann auf das Gefasel einer abgefuckten Schlampe? Nichts von dem, was sie gesagt hat, ist wahr.“

„Dann hast du nicht mit Kiwi...?“

„Doch, schon“, seufzt er, „aber das war nicht so, wie sie es dargestellt hat. Pass auf, Kiwi und ich waren mal verknallt, okay. Leider hatte er einige Probleme, was Treue anbelangt. Ich hab ihn mit einem anderen Typen erwischt, mich zugedröhnt und irgendwie... mit Cat gevögelt. Seitdem bildet sie sich ein, dass wir zusammen sind. Klingt alles ziemlich abgedroschen, oder? Ist aber echt die Wahrheit.“

„Und zwischen dir und Kiwi läuft nichts mehr?“

Er schüttelt den Kopf. „Nee, das ist schon über ein halbes Jahr her. Und überhaupt... wenn ich mit jemandem zusammen bin, ficke ich nicht in der Gegend rum.“

Mir ist immer noch wirr im Schädel und... ich bin eifersüchtig. Klar, bin ich nicht Flips erster Freund, ich hatte nur nicht damit gerechnet, mit seinen ehemaligen Sexpartnern auf einer Wiese hocken zu müssen. Und wenn er doch feststellt, dass er Kiwi haben will, weil er mit ihm schlafen kann, während ich ja angeblich noch nicht so weit bin? Kiwi hat schließlich selber gesagt, dass er nur in den Park kommt, um Flip zu becircen. Andererseits scheint er sich doch wirklich für uns gefreut zu haben, oder? Au Mann, verliebt sein ist echt verflucht anstrengend. Hätte mir auch mal jemand sagen können, BEVOR ich Flip getroffen habe.

Ich hab’s mir immer total schön vorgestellt, verliebt zu sein. Jemand, der mich gern hat, egal wie dumm ich mich anstelle. Dabei war’s dann auch nicht wichtig, ob’s ein Junge oder ein Mädchen ist. Ich wollte einfach nur festgehalten werden. Und zwar so, dass ich nicht mehr frieren muss und mich geborgen fühlen kann. Flip hat mir in den letzten Tagen dieses Gefühl gegeben. Und inzwischen bin ich süchtig danach. Also krauche ich auf ihn zu und stupse meinen Kopf an seine Brust. Lächelnd schlingt er seine Arme um mich.


Zwei Wochen sind Flip und ich jetzt zusammen. Zwei Wochen und wahnsinnig verliebt.

Cat blieb nach dem Zwischenfall einige Tage verschollen, tauchte dann plötzlich wieder im Park auf und tat so, als sei überhaupt nichts passiert. Im Gegenteil... sie bedrängt Flip jetzt noch mehr als sonst. Dass er die ganze Zeit meine Hand hält, scheint sie nicht zu stören, wenn sie sich an ihn schmeißt und an ihm rumfummelt. Naja, eigentlich bleibt es lediglich bei den Versuchen, weil Flip sie sofort ziemlich grob weg stößt. Ich verstehe die Tussi echt nicht, dass sie immer wieder angedackelt kommt.

Es ist etwas anderes, das mir zu schaffen macht. Nämlich die Tatsache, dass Flip mehrere Stunden am Tag einfach verschwindet. Naja, einfach nicht, er sagt schon immer Bescheid, wenn er geht, aber eben nicht, wohin. Nur, dass er ein bisschen Geld organisieren muss.

Ich frage ihn, ob er mir nicht vertraut und er sagt, dass er’s mir später erklärt. Wann später ist, weiß ich nicht. Seine Geheimnistuerei geht mir ganz schön auf den Sack und inzwischen glaube ich, dass er vielleicht doch irgendwas Kriminelles macht. Sonst könnte er es mir doch sagen, oder? Dann wieder finde ich, ich hab gar kein Recht böse zu sein, weil immerhin lebe ich auch von seinem Geld. Wenn er nichts auftreiben würde, hätte ich nix zu essen, so sieht’s doch aus. Das nervt, weil ich nicht so schrecklich abhängig von ihm sein will. Ich mag den Gedanken nicht, dass er meint, sich um mich kümmern zu müssen, weil ich sonst total aufgeschmissen wäre. Natürlich ist der Gedanke richtig aber deshalb muss es mir noch lange nicht gut gehen damit.

Gut geht’s mir, wenn wir im Bett liegen und kuscheln, was wir ziemlich oft machen. Allerdings bleibt’s nie nur beim Kuscheln, weil ich bereits nach fünf Minuten so... mh, wie soll ich sagen... geil bin, dass es mir schon peinlich ist. Flip lächelt mich verliebt an und alles woran ich denke ist, dass er’s mir endlich besorgt. Und, dass ich es ihm besorgen will. Wir sind inzwischen eine Stufe weiter, sprich, beim Oralsex. WOW! Flip war da schon sehr geübt aber... phhh... das bin ich jetzt auch... HAHAHA! Am Anfang dachte ich noch, dass ich sowas unmöglich hinkriege aber dann, und da war ich echt von mir selber überrascht, hab ich alle Befürchtungen über Bord geworfen und... naja, ich denke, Flip hat’s gefallen. Er hat mehr als einmal förmlich darum gebettelt, dass ich ihn endlich kommen lasse, was mich wiederum in unglaubliche Geilheitsanfälle trieb.

Trotzdem, so toll der Sex mit Flip auch ist, am Allermeisten kickt es, wenn er lächelnd meine Hand hält und mir sagt, dass er mich lieb hat. Wenn seine Augen funkeln und glitzern wie Diamantensplitter. Ich hab jedesmal solche Schmetterlinge im Bauch, das kann man sich nicht vorstellen. Ganz wabbelig und quabbelig wird mir und das dümmliche Grinsen verschwindet überhaupt nicht mehr aus meiner Visage.

Wenn Flip dann seiner geheimnisvollen Geldauftreiberei nachkommt und mich stundenlang allein lässt, hab ich das zweifelhafte Vergnügen nachdenken zu können. Über meine Situation jetzt und über meine ungewisse Zukunft. Zuhause war’s klar, da haben mir meine Eltern schließlich die Richtung vorgegeben. Schule. Auf alle Fälle Abitur, danach studieren, was auch immer. Das kann ich wohl jetzt total knicken. Was soll denn bitte aus mir und Flip werden? Wir können doch nicht ewig in diesem Loch hausen. So hab ich mir mein Leben nicht vorgestellt. Und Flip... will der nicht auch raus aus diesem ganzen Siff? Mir fällt auf, wie wenig ich eigentlich von meinem Freund weiß. Nicht einmal seinen Nachnamen kenne ich.

Ist doch komisch, oder? Ich hab keine Ahnung, wann er Geburtstag hat (nicht, dass ich ihm ein Geschenk kaufen könnte, mittellos wie ich bin), was er getrieben hat, bevor ich ihn kennenlernte und wie er um alles in der Welt auf der Straße gelandet ist. Aber ich weiß, dass er mich liebt und vielleicht ist das auch schon alles, was wichtig ist?!

Am Samstagabend sind wir wieder in der Scheune. Die Erinnerungen an das letzte Mal sind so schrecklich, dass ich nicht hingehen wollte. Aber Flip unbedingt und, naja, jetzt hänge ich halt zwischen bunten und düsteren Gestalten in dieser stickigen, verschwitzten, mit Drogenschwaden durchzogenen Lokalität und nuckle an meinem Orangensaft, während Flip sich die Seele aus dem Leib tanzt.

Kiwi gesellt sich zu mir. Übrigens sind mir fast die Augen aus dem Kopf gefallen, als ich ihn gesehen habe. Enge Lackhose, Silberkettengürtel und so’n Netzdings-Oberteil, das, als könnte man nicht schon genug von seiner Haut sehen, auch noch an einigen Stellen eingerissen ist.

Seine ungefähr schulterlangen Haare hat er zu einem Zopf geflochten, zwei schwarze Strähnen fallen ihm links und rechts dekorativ ins Gesicht. Und er hat sich so Glitzerzeugs um die Augen geschmiert.

„Süß, oder?“

Ich drehe mich zu ihm um. „Was?“

„Na, Phillip beim tanzen“, grinst er.

„Phillip?“ frage ich, obwohl ich mir natürlich denken kann, wen er meint. Bin ja nicht von gestern.

„Du schläfst mit ihm und kennst nicht einmal seinen richtigen Namen?“

„Doch, sicher“, antworte ich ärgerlich. „Wir schlafen aber noch... gar... nicht...“ Meine Stimme wird immer leiser und mein Schädel immer heißer. Bin ich aus Versehen bekloppt geworden, oder warum bespreche ich grad mit Kiwi mein Sexleben? Was geht es den an, wann ich mit wem schlafe? Ist doch wohl meine Sache, verdammt. Und wenn jetzt irgendeine blöde Bemerkung von ihm kommt, kann der aber was erleben.

„Warum nicht?“

„Äh...“

„Sorry, geht mich ja eigentlich nichts an.“

Sehr richtig!

„Ich dachte nur... naja, Flip ist ein süßer Typ und du bist ein süßer Typ...i hr seid beide so schnuckelige Mäuschen, dass ihr eigentlich in jeder Sekunde übereinander herfallen müsstet. Wo ist das Problem?“

„Wer sagt, dass ich ein Problem hab?“ fauche ich.

„Oh oh, war das etwa ein Volltreffer?“

„Arschgeige.“

„Hey, ja... immer schön höflich bleiben.“ Seine Stimme wird weicher. „Hast du Angst?“

„Wie? Wovor?“

„Mit ihm zu schlafen. Ist wohl dein erstes Mal, mh?“

Ich schnaufe entnervt. „Können wir bitte das Thema wechseln?“

Kiwi überlegt einen Augenblick. „Nein.“

„Sieh mal, ich weiß überhaupt nicht, was du willst. Flip und ich sind seit zwei Wochen zusammen und...“

„Er ist verrückt nach Sex. Wir sind schon am ersten Abend im Bett gelandet“, faselt er und spielt verträumt an seinem Zopf, dann kichert er, „das heißt, wir haben es gar nicht bis dahin geschafft. Er hat mich gleich an Ort und Stelle vernascht. Auf’m Klo. Nicht sehr romantisch, was? Aber Romantik war echt das Letzte, was wir im Kopf hatten. Gott, ich wollte einfach nur, dass er mir seinen Schwanz reinsteckt und mich durchfickt. Mhhh... ich krieg schon ‘nen Ständer, wenn ich nur dran denke.“

Ich krieg die Krätze. Echt, was gehen mich denn bitteschön Kiwis Ständer an, verfluchte Scheiße?! Und der soll mal lieber nicht so geil an MEINEN Freund denken, sonst stopfe ich ihm seinen Ständer ins Maul!!

„Aber das ist Vergangenheit“, seufzt er, „jetzt hat er dich und das ist okay. Ich mag dich wirklich total gerne, Alex.“

Was soll das nun? Ob der heimlich doch wieder Drogen nimmt? Und wieso rückt er mir plötzlich so auf die Pelle?

„Als du mit Flip im Park aufgekreuzt bist, war ich ganz schön angepisst.“

„Weswegen?“ frage ich. Wahrscheinlich aus Höflichkeit, denn ehrlich gesagt ist es mir grad scheißegal.

„Ein Blick in Flips Augen und es war klar, dass ich keine Chance mehr habe. Und ein, zwei Blicke in deine Augen und mir war klar, dass ich bei dir keine bekommen werde. DAS ist echt frustrierend.“

Damit kann ich mich jetzt nicht befassen. Ich bin immer noch bei der Frage, warum Flip nicht mit mir schläft, Kiwi aber bereits nach zwei Sekunden im Stehen gepoppt hat? Vielleicht, weil Kiwi schon soweit war? Was soll’n das überhaupt heißen? Woher will Flip wissen, dass ich noch nicht soweit bin? Ich bin total schon soweit.

„Hey, warum sitzt du halb auf dem Schoß von meinem Freund?“

Flip ist vom tanzen zurück gekommen und sieht nicht sehr erfreut aus. Kiwi rückt sofort ein Stück weg.

„Wir haben uns nur unterhalten.“

„Und das war so spannend, dass du gleich ‘ne Erektion gekriegt hast?“

Jetzt wäre ungefähr der Zeitpunkt, an dem ich mich vor Peinlichkeit erschießen würde, aber Kiwi bleibt gelassen.

„Ey, ich steh nun mal total unter Druck, okay? Kannst du dir vorstellen, dass ich seit Tagen nicht gevögelt habe?“

„Nee, nicht wirklich“, entgegnet Flip. „Und selbst wenn, ist das noch lange kein Grund, meinen Freund zu bedrängen.“

„Ich hab ihn nicht bedrängt. Hab ich dich bedrängt?“ fragt Kiwi und stupst mir in die Seite.

„Ähem... naja... nee.“

„Verpiss dich, ich will nicht sauer auf dich werden müssen“, erklärt Flip.

„Du weißt, dass ich euch beide liebe, richtig? Ich hab echt nichts vorgehabt.“ Damit steht Kiwi auf und verschwindet im künstlichen Nebel.

Flip setzt sich neben mich. „Ist wirklich alles in Ordnung?“

Ich nicke abwesend, bevor ich mich sagen höre „Flip, ich bin soweit.“

Er schaut mich irritiert an, „Äh... wie soweit? Womit?“

„Ich will mit dir schlafen“, brabbelt es aus meinem Mund.

„Jetzt gleich?“

„Ja, lass uns gehen.“

Nervös fährt er sich durch die Haare. „Äh... ja, gut, okay. Also, ich meine, ja, klar, wenn... wenn du willst.“

Mh, ich dachte, er wäre vielleicht ein bisschen begeisterter. Naja, möglicherweise, wenn wir erstmal zugange sind...?!

Eine Stunde später sitzen wir reichlich verkrampft nebeneinander. Ich finde, Flip könnte ruhig mal anfangen. Schließlich hat er Ahnung und ich nicht. Warum muss der denn jetzt unbedingt noch rauchen?

„Soll ich mich ausziehen?“ frage ich etwas gereizt.

„Ähem... nee, das... das kann ich machen, wenn du möchtest.“

Ich warte gespannt, doch er rührt sich nicht. Na gut, ich entledige mich meiner Kleidung und schlüpfe unter die Decke. Flip braucht ewig lange, bis er die Kippe ausgedrückt hat. Und dann nochmal so lange, bis er ebenfalls nackt unter der Decke liegt. Wir küssen uns ein bisschen. Das hilft mir, meine Nervosität auf einen erträglichen Pegel runter zu schrauben.

Ich mache es ihm eine Zeit lang mit der Hand, dann bin ich der Meinung, er könnte langsam was mit mir anstellen.

„Du, Flip... soll ich mich vielleicht umdrehen, oder... ich weiß ja nicht, wie...?“

„Äh, klar, wir... wir können... äh, also es gibt da... okay, dreh dich einfach um.“

Ich lege mich also auf den Bauch und warte wieder. Flip küsst meinen Nacken und streichelt meinen Rücken, aber schon nach wenigen Sekunden spüre ich ihn nicht mehr. Dafür höre ich ihn. „Fuck... ich kann das nicht.“

Ich drehe mich zu ihm um. „Wie bitte?“

„Ich kann nicht, wenn du mich so unter Druck setzt, verdammt noch mal.“ Seine Stimme klingt gereizt und gehetzt und verzweifelt und verschämt.

„Ich dachte, du willst mit mir schlafen. Wenn du nicht willst, warum sagst du’s dann nicht?“

Oha, meine Stimme klingt auch gereizt. „Bist du nicht scharf genug auf mich?“

„Bist du bescheuert? Ich werd schon geil, wenn ich dich nur ansehe.“

Oh wow! „Was ist es dann?“

Er lässt sich neben mich fallen und reibt sich angestrengt die Augen. „Ich bin einfach... es geht eben nicht.“

„Vielleicht kannst du’s ja nur auf ’nem stinkenden Klo, mh?“

„Hä?“

„Bei Kiwi hast du jedenfalls nicht so gezögert.“

Er schnauft verächtlich. „War ja wohl klar, dass er dir das erzählt. Na und? Hab ich’s eben da mit ihm getrieben. Womit soll das irgendwas zu tun haben?“

„Damit, dass du ihn gevögelt hast und mich nicht“, schreie ich und werfe mich auf die andere Seite, damit er nicht sieht, dass mir Tränen über die Wange kullern.

„Alex“, wispert er und schmiegt sich an mich.

Ich vergrabe mein Gesicht tiefer ins Kissen und schniefel unglücklich.

„Alexander, hör mir zu. Ich... oh Mann, ich WILL ja mit dir schlafen aber... es ist doch dein Erstes Mal und ich möchte, dass du es schön findest, weil du sonst vielleicht nie wieder... shit, ich hab einfach Angst, okay?“

Langsam drehe ich mich zu ihm um und sehe in sein wunderschönes Gesicht. „Angst?“

„Ja“, entgegnet er überrascht, „ich bin nicht der coole Stecher oder wie auch immer Kiwi mich vielleicht dargestellt hat.“

„Er hat gesagt, er kriegt einen Ständer, wenn er an dich denkt.“

Flip schüttelt den Kopf. „Der hat andauernd einen.“

„Und dass du verrückt bist nach Sex.“

„Ich bin verrückt nach dir“, flüstert er und streicht mir eine übriggebliebene Träne von der Wange.

„Aber warum...“

Er unterbricht mich, indem er mir seinen Finger auf die Lippen legt. „Weil ich dich lieb habe und du sehr viel mehr für mich bist als irgendein Fick auf irgendeinem Klo.“

Seufzend schmuse ich mich in seine Arme und komme mir ziemlich dumm vor, dass ich mich mit diesem Ich-bin-cool-und-will-gevögelt-werden Blödsinn selber verarscht habe.


Nach dem peinlichen Fast-Beischlaf-Erlebnis begnügen Flip und ich uns erstmal wieder mit ausgedehnten Kuschelorgien. Das heißt, wenn er mal nicht zu müde ist. Momentan geht er nämlich am späten Nachmittag weg, kommt irgendwann mitten in der Nacht zurück, duscht zum Kotzen lange und fällt dann wie ein Toter ins Bett. Sagen, was er die vielen Stunden ohne mich treibt, will er mir immer noch nicht. Meine Phantasie läuft Amok. Und es kommt sogar vor, dass wir uns streiten. Ich meine, was soll denn das für eine Beziehung sein? Ich darf sein Sperma schlucken aber nicht wissen, auf welche Art er sein Geld verdient. Eine ganz schreckliche Ahnung schleicht sich in mein Hirn, aber ich traue mich gar nicht, weiter darüber nachzudenken, also versuche ich eben, überhaupt nicht zu denken. Abgesehen von dieser einen Sache ist es aber nach wie vor total schön mit Flip. Er ist so süß und aufmerksam und seinen Geburtstag hat er mir auch verraten. 24. Dezember... er ist ein Christkind!! Oh, ich werd verrückt! Die Tatsache, dass er ungefähr sechs Jahre älter ist als ich, verdränge ich lieber ganz schnell. Ich meine, SECHS Jahre... du großer Gott... als ich geboren wurde, kam er grad in die Schule!

Als wir nach ein paar Tagen nachmittags mal wieder im Park sitzen, kommt Kiwi strahlend angerannt. An seiner Hand ein sensationell hübscher Indiejunge mit schwarzem Strubbelschopf.

„Hey“, lächelt Kiwi, lässt sich auf die Wiese fallen und zieht den Jungen mit sich runter, „das ist Tristan.“ Uns vorzustellen hält er anscheinend nicht für nötig, denn er beginnt augenblicklich, ihn anzugrapschen.

Flip verdreht nur die Augen, während ich einigermaßen interessiert zuschaue.

„Isser nicht süß?“ grinst Kiwi und wuschelt durch Tristans Haare. Der Junge errötet leicht, was ihn noch ungefähr hundertmal schöner macht.

„Wir haben uns letztens in’ner Scheune getroffen und was soll ich sagen... es war Liebe auf den ersten Blick“, erzählt er und küsst Tristans Schläfe.

Ich finde die beiden ausgesprochen niedlich und freue mich ehrlich für Kiwi.

„Und der Sex... wow! Naja, Tris kommt zwar immer total schnell... kaum sind wir zugange, spritzt er schon ab... aber, okay, dafür kann er super süß küssen.“

Ich hätte nicht gedacht, dass ein Gesicht so rot werden kann, wie Tristans momentan. Und wäre ich an seiner Stelle, würde ich Kiwi ganz kräftig in den Arsch treten, weil er mit derartigen Intimitäten hausieren geht.

„Tris, wie sieht’s aus? Holst du mal ‘n bisschen was zu trinken für uns?“ Er reicht ihm einen Geldschein und Tristan steht tatsächlich sofort auf. Vermutlich ist er sogar dankbar, für die Fluchtmöglichkeit.

„Mhh... er ist soooooo hübsch“, seufzt Kiwi und blickt ihm leicht verträumt nach.

„Sag mal, was soll eigentlich die Nummer hier?“ fragt Flip extrem pissig.

„Hä? Was denn?“

„Du bist echt nicht mehr ganz dicht. Ist dir nicht aufgefallen, dass du den armen Jungen total in Verlegenheit gebracht hast? Und dann auch noch los schicken, um Bier zu holen. Das ist ja wohl das Allerletzte.“

„War doch nur Spaß“, schmollt Kiwi. „Er hätte ja auch sagen können ‘Geh selber, du Arsch‘.“

„Du raffst es nicht, oder? Naja, bist eben ein trampeliger Vollidiot. Immer schon gewesen. Alex, kommst du? Ich muss los.“

„Wohin denn?“

„Geld verdienen.“

„Ich bleib noch hier. Hab keine Lust, allein rumzuhängen und auf dich zu warten“, sage ich plötzlich.

Einige Sekunden sieht er mich irritiert an, dann verengen sich seine Augen. „Fein, wie du willst“, zischt er. „Bis dann und viel Spaß noch.“

„Ui, dunkle Wolken im Paradies?“ fragt Kiwi, nachdem Flip gegangen ist.

„Nee. Sag mal, du weißt nicht zufällig, wie Flip so an Geld kommt, oder?“

Er schüttelt den Kopf. „Versuch gar nicht erst, es aus ihm herauszubekommen. Mir hat er es auch nicht verraten. Muss was wirklich Fieses sein, wenn er so ein Geheimnis draus macht.“

Bevor wir weiter spekulieren können, taucht Tristan wieder auf und ich darf mir Hardcore-Geknutsche reinziehen. Das nervt nach einer halben Stunde dermaßen, dass ich mich aus dem Staub mache.

Allein in unserer Behausung kann ich wieder mal nichts tun als warten und versuchen, das Denken abzustellen. Eigentlich weiß ich doch schon ganz genau, was Flip treibt, ich will es nur nicht wahrhaben. Die Vorstellung, dass ihn irgendwelche Kerle... diese Vorstellung ist einfach zu schlimm. Leider jedoch die einzig plausible Erklärung. Kein Wunder, dass der immer so lange unter der Dusche hängt. Und mir lügt er eiskalt ins Gesicht, dass er es niemals für Geld machen würde. Wenn er nach Hause kommt, werde ich ihn mit der Wahrheit konfrontieren und dann wollen wir doch mal sehen, ob er sich noch rausredet!

Die Stunden kriechen dahin aber schließlich höre ich Schritte und gleich darauf sehe ich sein strahlendes Gesicht.

„Babe, rat mal, was ich für dich habe!“ ruft er und... mir wird schlecht... schwenkt MEINEN RUCKSACK durch die Luft.

„Wo zum Teufel hast du den her?“ frage ich relativ ruhig, aber innerlich brodelt es.

„Freust du dich gar nicht? Ey, du hast alle deine Sachen wieder.“

Freuen? Hat der einen Knall? Immerhin weiß ich nur zu gut, was der perverse Scheißer dafür verlangt haben muss. „Phillip, ich frag dich noch mal... wo hast du die Tasche her?“

Er stellt den Rucksack auf den Boden und setzt sich. „Ich war am Bahnhof, hab mich mit ein paar von den Jungs unterhalten und, ja, da kam dieser Typ, sprach mich mit Martin an. Ich wusste sofort, wer der Kerl ist und hab so getan... naja, du weißt schon, als hätte ich keinen Schlafplatz und so. Er hat mich mitgenommen in seine Wohnung, der Idiot, und kaum hatte ich einen Fuß reingesetzt, sah ich diesen Rucksack da in der Ecke stehen. Ich hab ihn mir geschnappt und mich verpisst.“

„Für wie blöd hältst du mich?“ Für wie blöd hält der mich? „Was musstest du machen, hä? Ihm einen blasen oder dich ficken lassen?“

„Du weißt genau, dass ich sowas nicht mache. Warum redest du so eine Scheiße?“

„Weil du mich die ganze Zeit anlügst.“

„Ich dich? Ha, guter Witz, Mr. ich-bin-fast-achtzehn. Süße fünfzehn trifft’s wohl eher, Herr von Kleist, mh?“

Gott, mein pseudo adeliger Dichternachname ist mir ekelhaft peinlich! Keine Ahnung, woher der kommt und warum meine Eltern sich nicht anders nennen. „Hast du etwa in meinen Sachen geschnüffelt?“ kreische ich.

„Musste ja schließlich sicher gehen, dass es wirklich deine Tasche ist.“

„Na und? Hab ich mich eben älter gemacht, was soll’s?! Das ist nicht mal annähernd so schlimm wie das, was du machst.“

„Ich kann dir nicht ganz folgen.“

„Was treibst du dich am Bahnhof rum? Wieso hast du immer so viel Geld und willst mir nicht sagen, woher? Brauchst du gar nicht, ich weiß es. Du gehst auf den Strich, lässt dich von miesen alten Schweinen durchficken und bei mir kannste dann nich mehr“, brülle ich wie irre.

Sein Schlag trifft mich ziemlich unerwartet, dafür aber mitten ins Gesicht. Ich bin so geschockt, dass ich zunächst gar keinen Schmerz fühle.

„Shit... Alex, es... es tut mir leid“, stottert Flip und streckt seine zitternde Hand nach mir aus.

Entsetzt weiche ich zurück. „Fass mich nicht an, du... Nutte. Fass mich nie wieder an!“

Heulend schnappe ich mir meine Tasche und laufe.

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