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Wie in echt
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Informationen
- Story: Wie in echt
- Autor: Chelsea
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Heute hab ich ihn nicht gesehen. Der Bus hatte Verspätung. Ich denke, ich werde den Busfahrer erschießen. Der ganze Tag ist mir verdorben, wenn ich nicht wenigstens einen kurzen Blick auf meinen Engel erhaschen kann. Jeden Morgen biegt er mit seinen Fahrrad um die Ecke, wenn der Bus an der Haltestelle steht. Manchmal trägt er eine beknackt aussehende Strickmütze aber meist präsentiert er mir seine wundervollen honigblonden Locken. Bis auf die Schultern fallen sie ihm. Er trägt mit Vorliebe einen schwarzen knielangen Cordmantel, eine schwarze Cordschlaghose, Chuck's oder Doc's und eine schwarze TRASH MARK-Umhängetasche. Das sieht so unglaublich hübsch aus, es gibt mir jedesmal einen kleinen Stich. Ich wüßte gerne seinen Namen. Ich finde er sieht wie ein Maximilian aus. Oder Gabriel, vielleicht auch Benedikt. Ich wüßte ebenfalls gerne, wo der hinfährt. Ich meine, in welche Schule er geht. Ich glaube, der geht noch zur Schule. Leider nicht in meine. Manchmal ist er ein wenig spät und rast am Bus vorbei, manchmal fährt er ganz langsam, versunken in die Musik, die er gerade hört. Vielleicht mag er MUSE, vielleicht Placebo. Vielleicht so abgedrehtes Zeug wie Scary Bitches, Dresden Dolls. Ich stelle mir vor, er hört MUSE.
Ich stelle mir eine Menge vor. Er heißt Maximilian, seine Freunde nennen ihn Maxi. Er ist sechzehn, geht aufs Gymnasium und natürlich ist er wahnsinnig beliebt. Die Mädchen rennen ihm nach wie läufige Hündinnen. Er behandelt sie freundlich, lehnt allerdings alle Angebote ab. Ein Mathegenie ist er. Mag Kunst, Englisch und Französisch. Im Unterricht trägt er eine Brille, was er hasst aber unheimlich süß aussieht. Einmal in der Woche gibt er Nachhilfe, Dienstags geht er zur Klavierstunde. Vielleicht spielt er auch ein bißchen Gitarre. Er hat viele Freunde, wird ständig auf Parties eingeladen, wo er zwar hingeht, sich aber nicht be-sonders wohlfühlt. Er mag diesen ganzen Weiber-flachlegen-Alkohol-Drogen-Kram nicht. Er haßt smalltalk. Wenn er was sagt, ist es immer etwas Wichtiges. Seine Stimme ist leise. Weich und gleichzeitig immer ein bißchen rauh. So, als hätte er eine Halsentzündung. Und manchmal macht sie kleine Kiekser, die sich super niedlich anhören. Die Wahrheit ist, ich weiß nichts über ihn. Nicht einmal, wo er wohnt. Nicht einmal wie er heißt. Ich weiß nur, ich liebe ihn. Und das bringt mich um.
Maxi wohnt in meinem Traumhaus!! Grrr...wie sollte es auch anders sein.
Bin mal mit dem Rad zur Schule gefahren, ganz früh, und hab mich auf die Lauer gelegt. Tja und da sehe ich ihn eines Morgens tatsächlich aus diesem riesigen dunkelgrünen Märchen-haus kommen. Schon als Kind hab ich mir gewünscht, es mal von innen zu sehen. Dort oben hinter den kleinen, halbrunden Fenstern zu spielen. Umgeben ist das Haus, sein Haus, von einem großen, verwilderten Garten. Nicht nachlässig verwildert sondern romantisch schön mit Tannen und einem verschnörkelten Eisenzaun. Meine Mutter, die alles und jeden kennt, sagt, daß das Ehepaar das Haus verkauft hat. Wer da jetzt wohnt, weiß sie allerdings nicht. Ich weiß es. Mein Maxi. Ich muß mir schon wieder vorstellen, wie er in einem der Zimmer am Klavier sitzt. Die Haare fallen ihm ins Gesicht, während seine schlanken Fingern über die Tasten gleiten. Dann sieht er hinaus in den Garten und träumt.
Träumt von...mir? Wohl kaum.
Ein paar Wochen bin ich ihm gefolgt, wollte wissen, was er nach der Schule so treibt. Er be-sucht nachmittags öfter einen Musikladen, stöbert in irgendwelchen Notenbüchern. Einmal hat er Gitarrensaiten gekauft. Ich möchte auch Gitarre lernen! Mittwochs geht er zur Musik-schule und Donnerstags ist er immer in der Bücherei. Was er wohl liest? Sicher lauter tief-gründiges Zeug aber zur Entspannung dann auch lustige Sachen. Manchmal trifft er sich mit Freunden in der Stadt. Dann gehen sie ins Café oder fahren zu ihm. Es ist immer ein
Mädchen dabei. Sehr hübsch mit langen roten Haaren. Ganz zierlich. Sie gehen Hand in Hand. Natürlich ist das seine Freundin Eva, die er schon seit dem Kindergarten liebt. Wenn die beiden alleine sind, spielt er ihr auf dem Klavier vor, was er für sie komponiert hat. Sie trinken Sahnekaramelltee und kuscheln zusammen. Maxi ist total verschmust und küßt wahnsinnig gerne.
Am Wochenende schläft sie bei ihm, dann bringt er ihr das Frühstück ans Bett. Sie nennt
seine Eltern beim Vornamen.
Warum kann ich nicht Eva sein?
Ich bin nur ein schrecklich verliebter Depp, der viel zu schüchtern ist, sich Maxi zu nähern.
»Flori, ich muß dir unbedingt von diesem Typen erzählen. Oh mein Gott ist der süß, sowas hast du noch nicht gesehen«, brüllt Linda mir ins Ohr. Ich halte den Telefonhörer sicherheitshalber etwas weg. Meine beste Freundin faselt ständig von irgendwelchen Jungs, in die sie sich verliebt hat.
»Kann ich zu dir kommen? Jetzt gleich? Ich halts nicht aus.«
»Ja, meinetwegen«, seufze ich.
Heute ist Donnerstag, Maxi also in der Bücherei. Da verpasse ich nicht viel. Außerdem, so sehr ich ihn auch liebe aber im Regen durch die Gegend fahren macht keinen Spaß.
Eine halbe Stunde später ist Linda da. Sitzt auf meinem Bett und trinkt Sahnekaramelltee. Ihre Augen glänzen. Permanentgrinsen auf ihrem Gesicht. Verträumt nuckelt sie an der Tasse.
»Au weia...mich hat‘s total erwischt.«
»Na das ist ja mal was Neues«, murmel ich gelangweilt.
»Hä? Sie schüttelt den Kopf. «Nein, ehrlich. Der Typ ist ein verdammter Engel. Wunderschön. Wunderwunderschön. Überirdisch, verstehst du?»
»Klar. Jedes Wort. Und...hat Mr. Beautiful auch einen Namen?«
»Ja, sicher...aber den weiß ich nicht. Noch nicht.«
»Du meinst, du liebst jemanden, den du noch nicht einmal kennst?« frage ich, als könnte mir sowas im Leben nicht passieren.
»Ich hab ihn gesehen und es hat gefunkt.«
Linda sieht andauernd irgendwen und es funkt. Nichts Weltbewegendes.
»Als ich neulich auf den Bus gewartet habe ist er an mir vorbeigegangen. Ach was, vorbeigegangen. Geschwebt ist er. Ich wollte ihm natürlich hinterher aber irgendwie hab ich ihn aus den Augen verloren. Tja und gestern gehe ich zufällig am Musikshop vorbei und peng! da sehe ich ihn durchs Schaufenster. Bin gleich rein...als er raus ist und mit ihm zusammengestoßen. Gott, war das peinlich. Jedenfalls hat er sich ganz süß entschuldigt, gelächelt und weil ich völlig durcheinander war, hab ich Blödkuh ihn einfach gehen lassen. Echt, ich stand so dermaßen unter Schock nach der Berührung...ich war den ganzen Tag wie in Trance.«
»Aha«, sage ich nur.
»Stell dir vor, der hat einen MUSE-Button an seinem Mantel. Sag mal, hörst du die nicht auch? Oh, du mußt mir unbedingt mal was von denen aufnehmen, ja? Bitte, Flori...«
»Kann ich machen.«
»Ohhh und der hatte einen langen schwarzrot geringelten Schal und so Doc's mit Spinnnen-netzmuster und eine ganz süße schwarze Cordhose und blaue Augen hat der und einen Schmollmund, daß einem ganz anders wird. Meine Güte«, faselt sie weiter und grinst dümmlich.
Mir ist nach kotzen. Ich hab da so eine sehr üble Ahnung.
»Was mache ich denn nur? Ich muß den unbedingt wiedersehen. Das ist der Mann, den ich mal heiraten werde. Wow...diese blonden Locken, die ihm ins Gesicht gefallen sind...mhhh.«
Ach du Scheiße!!
»Komm mal wieder runter. Du weißt doch absolut nichts über diesen Typen.«
»Ja«, stöhnt sie, »das macht mich ja so fertig. Ich meine, so wie der aussieht könnte er schwul sein oder eine Freundin haben. Oh bitte lieber Gott, laß ihn nicht schwul sein. Die Freundin werde ich ihm schon ausreden.«
Nicht, wenn die Freundin Eva heißt und seit dem Kindergarten mit ihm zusammen ist. Ich fasse es nicht. Linda redet über MEINEN Engel. Da bin ich mir ziemlich sicher. Es paßt einfach alles zusammen. Blonde Locken, Musikshop, Cordhose, Ringelschal. Solche schönen Jungs laufen in dieser Stadt nicht an jeder Ecke rum. Ich könnte ihr jetzt sagen, was ich alles über ihn weiß aber ich werde den Teufel tun. Wie sollte ich ihr auch erklären, daß ich Maxi wochenlang heimlich beobachtet habe, ohne mich als schwul zu outen? Es weiß doch nie-mand, daß ich auf Jungs stehe.
Linda läßt sich hinternrüber auf mein Bett fallen. »Ich kann nicht mehr schlafen, nicht essen,
ich muß immer an ihn denken. In jeder Sekunde. Ohhh...wie der wohl küßt?»
Das geht aber langsam echt zu weit. Meine beste Freundin verzehrt sich hier nach meinem Schnuckel. Eklig. Ich will nicht hören, wie sie über seine Küsse nachdenkt.
»Du...ich hab noch was vor. Können wir morgen weiterreden oder so?«
Wie in begossener Pudel schaut sie mich an. »Ist ja wieder mal typisch. ICH hab Probleme und du hast keine Zeit. Vielen Dank, bist ein toller Freund.«
»Sieh mal, Linda...du triffst doch andauernd Jungs, die du toll findest...«
»Blödsinn. Und wenn schon. Das ist vollkommen anders. Aber das verstehst du nicht. Du warst eben noch nie richtig verliebt. Mit Herzklopfen, Schmetterlingen im Magen, Pudding in den Beinen und diesem Gefühl, als wär man eine besoffene Biene.«
HAHAHAHA!!!
»Stimmt. Entschuldige, du hast mir ja so viel voraus.«
»Gibt es eigentlich wirklich kein Mädchen, das du gern hast?« fragt sie kritisch.
»Naja, du bist ja leider vergeben.«
»He, ich meine es ernst. Du mußt doch...ich meine, verflucht nochmal, Flori, was stimmt nicht mit dir? Du bist sechzehn und willst mir erzählen, daß dich kein Mädchen interessiert? Alle Jungs in deinem Alter wollen...äh...vögeln.«
»Können wir das wohl lassen?«
»Nein. Ich mache mir echt Sorgen um dich.«
»Danke, das ist nicht nötig. Mir geht es gut«, erkläre ich.
»Quatsch. Du bist...äh...Flori, sag mal...wichst du eigentlich ab und zu?«
»LINDA!« brülle ich entrüstet und werde knallrot.
Sie winkt ab. »Das war eine ganz normale Frage. Ich versuche doch nur herauszufinden, ob du vielleicht sowas wie asexuell bist. Oder...oder stehst du nur nicht auf Mädchen? Ich meine, wenn du dir einen runterholst und dabei an Jungs denkst, würde mich das mehr beruhigen als die Tatsache, daß du überhaupt keine sexuellen Gedanken hast.«
»Wen oder was ich mir beim wichsen vorstelle geht dich nichts an. Ich frage dich schließlich auch nicht.«
»Du weißt aber, daß ich scharf bin auf Jungs und du weißt, daß ich mit Pascal geschlafen habe. Ich weiß gar nichts von dir.«
»Dabei sollten wir es auch belassen. Wenn ich mich verlieben sollte...in wen auch immer... bist du die erste, die es erfährt, ok? Und jetzt muß ich wirklich los.«
»Wo willst du denn hin bei diesem Sauwetter?«
Ich verdrehe schnaufend die Augen.
»Ok, hab schon verstanden, Mr. Geheimnisvoll. Wir sehen uns morgen.«
Ich mag Linda echt aber manchmal...
Ich gehe am Stock! Seit einer Woche spricht Linda ununterbrochen von Maxi. Sie hat sich alle MUSE-CD's von mir geliehen, einen schwarzen Schal gekauft (weil's keinen geringelten gab) und ist sauer, weil ich ihr meinen MUSE-Button nicht schenke. Sie findet, daß Maxi Holger heißt. Ich will mich sofort übergeben. Holger...also wirklich. So ein beknackter Name.
Ich muß mich total zusammenreißen, um nicht alles mögliche über ihn auszuplaudern. Sie denkt, daß er Trompete spielt. Hat die einen an der Waffel?? Oh und Jungfrau ist der natürlich auch noch. Alle Mädchen sind verrückt nach ihm aber er ist viel zu schüchtern, viel zu sensibel, um einfach nur durch die Gegend zu poppen. Da stimme ich Linda teilweise zu.
Allerdings glaube ich nicht, daß Maxi noch nie...immerhin ist da Eva. Möglicherweise ist sie nur seine Schwester oder eine gute Freundin. Wer weiß?!
Ich merke, wie ich eifersüchtig werde, wenn Linda mit mir beratschlagt, wie sie Maxi kennen-lernen könnte. Worüber sie sich mit ihm unterhalten würde. Daß er gerne Zimtkakao trinkt und ihre Hand hält. Ihr seinen Schal schenkt, der nach Vanille riecht.
Kotzen könnte ich und Linda ins Gesicht schlagen. Maxi trinkt Sahnekaramelltee und riecht nach Jasmin, verfluchte Scheiße! Die soll sich nicht so einen Kack zusammenphantasieren.
Gleich bin ich mit ihr in der Stadt verabredet. Mann, wie ich mich darauf freue, Neuigkeiten vom Kakao schlürfenden Trompeten-Holger zu erfahren. Angezogen wie für eine Nordpolexpedition (knielanger Mantel, Schal, Mütze, Handschuhe) mache ich mich auf den Weg und stelle mir vor, daß ich IHN treffe. Daß er mir zur Begrüßung einen Kuß auf den Mund gibt und wir händchenhaltend zu ihm nach Hause schlendern. Seine Eltern wissen selbstverständlich, daß wir verliebt sind und finden das ok. Sie mögen mich sehr gerne. Wir gehen in sein Zimmer, legen uns aufs Bett, er zieht mich in seine Arme, vergräbt sein Gesicht in mein Haar und küßt zärtlich meinen Nacken. Meine Hände schieben sich ganz vorsichtig unter sein Shirt. Seine Haut ist samtweich. Er seufzt leise, bevor seine süßen Lippen sich auf meine drücken, unsere Zungen einander umschlängeln... ICH FALL TOT UM!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Sicher ist das ein Traum. Es muß ein Traum sein. Bitte, laß mich aufwachen und in meinem Bett liegen. Bittebittebitte!!!!
Linda sitzt mit vier (!) Freundinnen in unserem Stammcafé. Kichert und giggelt wie ein beklopptes Huhn auf Speed, trägt einen schwarzrot geringelten Schal und mitten in diesem Weiberhaufen sitzt...M A X I !!!
Schade, daß ich nicht zum in Ohnmacht fallen neige.
Linda wuselt glücklich durch honigblonde Locken, wird von Leonie angestoßen, kuckt genervt in meine Richtung und strahlt sofort wieder.
»FLORI«, kreischt sie, so daß ich mich sehr schämen muß und rot werde. »Das ist er. Das ist er«, bölkt sie durch das ganze Lokal. Die Leute kucken schon komisch.
Ja, das ist er tatsächlich. Ich hasse Linda. Ich sehe aus wie ein Eskimo. Scheiße!!
Zum Abhauen ist es, dank Lindas Gebrülle, zu spät. Ich kann mich nur noch auf einen Stuhl fallen lassen und hoffen, ich sterbe.
»Du mußt nämlich wissen, ich hab Flori schon alles über dich erzählt«, kichert sie an Maxi gewandt, dann an mich, »ist der nicht süß?«
Ist die nicht ganz dicht? Meine Wangen brennen wie Feuer, ich traue mich nicht, Maxi anzusehen.
»Ach du Scheiße...nimm doch diese blöde Mütze endlich ab, du Knallkopp«, zischt Linda und flitscht mir besagtes Teil vom Schädel.
»Entschuldige, Flori ist manchmal etwas dämlich«, grinst sie und räkelt sich an Maxis Arm.
Mein Kopf ist leer. Leer. LEER. Bedröppelt blicke ich auf die Tischplatte.
»Hallo...ich bin Manuel«, höre ich eine leise, weiche aber gleichzeitig etwas rauhe Stimme.
Mein Schädel schnellt nach oben. Maxi...Manuel hat mir seine Hand entgegen gestreckt.
Ich ziehe meine Handschuhe aus und drücke schlapp seine schlanken Finger.
»Hi...Florian.«
Manuel lächelt. Mir wird ultraheiß. Der ist aus der Nähe noch tausendmal schöner. Veilchen-blaue Augen mit langen dunklen Wimpern; Schmollmund und zart gerötete Wangen.
Ein Engel. MEIN Engel!!
Die Mädels giggeln wir irre, während Manuel mich sekundenlang ansieht. Zurückhaltend lächelt. Unser Augenkontakt wird aprupt von Lindas Kreischstimme unterbrochen.
»Vanille«, strahlt sie und hält mir ein Stückchen Schal unter die Nase, »wie ich gesagt habe.«
»Seid ihr schon lange hier?« frage ich.
»Ja, so ‘ne Stunde«, erklärt Leonie.
»Tut mir leid«, entgegne ich und lächle Manuel peinlich berührt an. Eine Stunde Hühner-gegacker muß wirklich die Hölle sein.
»Sag mal...«, beginnt er, »kann es sein, daß ich dich letztens in der Bücherei gesehen habe?«
Mir bricht der Schweiß aus. Der hat mich bemerkt. Ohgottohgott.
»Ich wußte gar nicht, daß du überhaup lesen kannst«, prustet Linda, die Oberhenne.
»Ja, ich...ich hab da nach einem Buch gesucht.«
»Na, daß du da keine Tomaten kaufen wolltest, können wir uns auch denken«, stöhnt die Henne.
»Welches denn?« fragt Manuel interessiert.
Komm schon, Florian...laß dir was einfallen. Was Gutes.
»Jane Eyre«, höre ich mich sagen und mache insgeheim mein Testament. Er wird mich für ein weibisches Weichei halten. Verdammt. Vielleicht kennt er es ja nicht.
»Oh, das ist total schön«, seufzt er. » Viel viel schöner als Sturmhöhe. Aber du solltest das unbedingt auf englisch lesen.«
Was?
»Äh, ja, deshalb war ich in der Bücherei. Ich meine, ich wollte...auf englisch...äh...also das Buch auf englisch lesen«, stotter ich mir einen dranlang. Natürlich mit hochrotem Kopf.
Eine Kellnerin kommt an unseren Tisch und fragt, was wir trinken wollen.
»Sahnekaramelltee«, antworten Manuel und ich gleichzeitig, sehen uns überrascht an und grinsen verstohlen. Ich halt's nicht aus.
»Zimtkakao«, zischt Linda finster und drängt sich noch etwas mehr an Manuel. »Du mußt mir unbedingt mal was auf deinem Klavier vorspielen. Ich liebe Jungs, die Klavierspielen.«
Mein Engel errötet. »Naja, ich bin nicht so toll«, erklärt er bescheiden.
»Doch, bist du«, säuselt Linda.
»Du bist der tollste Junge, der mir jemals begegnet ist«, setzt sie noch eins drauf.
»Oh und du hast so süße Locken...wie ein Engel.«
Au weia. Ich muß mich fremdschämen. Wieso kann Linda nicht einfach ihre Klappe halten? Merkt die gar nicht, daß sie sich total zum Arsch macht??
»Weißt du«, faselt sie unbeirrt weiter, »seit ich dich gesehen habe, muß ich ständig an dich denken. Hast mir ganz schön den Kopf verdreht.«
»Oh«, lächelt er verschämt, »das...das war nicht meine Absicht.«
Ich finde ihn hinreißend!!
»Äh, Linda...wenn du dich noch weiter an Manuel lehnst, fällst du gleich vom Stuhl. Und grins doch bitte mit geschlossenem Mund...man kriegt ja Angst, daß du ihn verspeisen willst.«
Entschuldigung aber das mußte sein. Mein bezaubernder Engel kichert heftig hinter vorgehaltener Hand. Linda kuckt mich an, als hätte ich ihr eine tote Ratte in den Kakao getunkt.
»Wieso kümmerst du dich nicht um deinen Kram?«
Ich zucke nur die Schultern und nippe an meinem Tee. Höre zu und erfahre, daß Manuel sechzehn ist, aufs Luisen-Gymnasium geht, später irgendwas mit Musik studieren will und gerne französische Filme sieht, obwohl er nicht genau sagen kann, was er daran toll findet.
»Ich meine, die sind...keine Ahnung...sehr eigenartig. Eben total anders als amerikanische oder so.«
»Ja«, stimme ich zu, »und wenn die synchronisiert sind, sagen immer alle ‘Aber ja‘ und ‘Aber nein‘.«
»Hey, das hab ich letztens noch zu Diana gesagt«, lacht Manuel.
»Seit wann kuckst du denn französische Filme?« fragt Linda arschlochartig.
Ich beachte sie nicht, frage mich allerdings, ob Diana wohl Eva ist.
»Der kuckt nämlich sonst nur so'ne Scheiße wie Armageddon«, fügt sie hinzu, »und heult am Ende wie ein Baby.«
»Du auch?« Manuel reißt seine wundervollen Veilchenaugen auf. »Ich kann mich da nie zusammenreißen. Diana lacht mich deswegen ständig aus.« Er giggelt. »Mann, ich muß sogar bei Lassie heulen.«
Ich liebe ihn!!
»Das kommt mir bekannt vor«, grinse ich.
Und dann kommt...EVA. Das Mädchen mit den roten Haaren. Und Manuel küßt sie auf den Mund. Mein Herz ist soeben zerbrochen. In tausend traurige Splitter.
»Ey, Manu, ich warte schon auf dich.«
»Oh...ich hab mich hier festgequatscht. Äh...das ist Florian. Florian, das ist Diana.«
»Florian«, lächelt sie, während sie meine Hand schüttelt, »hi.«
»Hallo«, lächle ich zurück. Klopfe mir heimlich auf die Schulter, daß ich dazu noch in der Lage bin. Manuel steht auf und sieht aus, als hätte er etwas vergessen.
»Ähem...und das sind Linda, Leonie und...au weia, ich hab eure Namen noch nicht so drin...tut mir leid. Wie peinlich... äh...hihi...«
Mhhhh, ist der SÜSS!!!!
»Du, wir müssen jetzt echt los«, drängelt Diana etwas ungeduldig.
»Ja, ok...äh...Florian, mach's gut. Und...äh...es war total nett, dich kennenzulernen.«
»Ja, bis bald mal.«
»Ja...bis...bis bald.«
»Ich ruf dich an«, bollert Linda los, die sich anscheinend ziemlich unsichtbar vorkommt.
»Äh...klar. Kann ich bitte meinen Schal zurück haben?«
HAHAHA!!!
»Ich dachte, den hättest du mir geschenkt«, schmollt sie.
»Ähem...nee, das ist mein Lieblingsschal, sorry.«
Mit einer charmanten Bewegung zieht er ihr den Schal vom Hals.
»Tschüß.«
Weg ist er. Weg mit Diana.
Mh, er fand es nett, mich kennenzulernen. Toll und weiter? Ich meine, was mache ich jetzt? Ich hätte nach seiner Telefonnummer fragen können aber wie hätte das ausgesehen?!
»Ganz schön dick seine Freundin«, zickt Linda.
Ich glaub, die braucht eine Brille. Diana ist super zierlich. Ungefähr wie Gwen Stefani. Naja und hübsch ist sie sowieso.
»Und die Haare, haste die gesehen? Vom vielen färben total kaputt und splissig.«
Ach so, alles klar. Linda ist nur eifersüchtig. Das bin ich zwar auch aber längst nicht so fies. Daß Mädchen immer ablästern müssen.
Linda und ich gehen zu mir nach Hause.
»Denkst du, das ist seine Freundin?«
»Diana? Naja, keine Ahnung. Vermutlich.«
»Aber nicht mehr lange. Ich meine, der mag mich doch offensichtlich. Und er hat mir seine Telefonnummer gegeben. Wenn man eine Freundin hat, gibt man nicht irgendwelchen Mädchen seine Nummer. Ich werd ihn nachher anrufen«, sagt sie lächelnd.
»Vielleicht solltest du dich nicht so aufdrängen.«
»Seit wann hast du denn Ahnung von sowas?«
»Ich mein ja nur. Hast dich ganz schön an Manuel rangeschmissen. Ich an seiner Stelle käme mir bedrängt vor.«
»Du fühlst dich schon bedrängt, wenn jemand Hallo sagt oder nach der Uhrzeit fragt.«
»Ok, von mir aus, ruf ihn dreimal täglich an«, fauche ich.
»Ich finde, du verhältst dich sehr eigenartig, Florian. Fühlst du dich nicht wohl? Vielleicht zu viele französische Filme gesehen oder beknackte Bücher gelesen, mh?«
»Weißt du was...geh doch einfach nach Hause.«
»Blödmann«, zischt sie und stampft davon.
Nur keine Aufregung. Morgen in der Schule wird sie tun, als sei nichts gewesen. Ich kenne Linda.
Ich traue mich nicht mehr, Manuel zu verfolgen. Immerhin kenne ich ihn jetzt. Ich traue mich auch kaum noch, morgens Ausschau nach ihm zu halten. Dafür leide ich umso mehr. Sehne mich nach ihm und träume praktisch jede Nacht von meinem Engel. Ich kann auch nicht mehr beim wichsen an ihn denken, weil mir das so schrecklich peinlich ist.
Linda schwärmt wie eine Irre. Sie hat ihn natürlich noch am gleichen Abend angerufen, ihn zwei Stunden zugelabert und will sich andauernd mit ihm verabreden. Leider scheint er ziemlich beschäftigt zu sein. Musikschule, Bücherei, Gitarrenunterricht, Kunst-AG und abends ausgedehnte Spaziergänge mit Diana und ihrem Hund. Letzteres ist mir bei meiner Beschattung völlig entgangen. Ein Köter hatte in meiner Vorstellung von Manuel nie was verloren.
Wie auch immer, vermutlich hat sie ihm Prügel angedroht oder so etwas in der Art, am Samstag kommt er zu Leonies Party. Ich bin ebenfalls da, weil Leonie Lindas beste Freundin ist und ich Lindas bester Freund bin. Und weil mich nichts und niemand von dieser verfluchten Party fernzuhalten vermag.
Ohhhh...und grüßen sollte Linda mich. Von ihm. Einfach so. Ich gehe wie auf Wolken. Gefragt, ob ich am Samstag auch komme, hat er. Kann das Leben schöner sein?! Ja, es könnte. Manuel könnte mein Freund sein. Leider wohne ich aber nicht im Wunderland. Also begnüge ich mich damit, daß er an mich gedacht hat.
Puh...ich dachte schon, die Woche geht gar nicht mehr rum. Mein Magen grummelt unauf-hörlich, in meinem Kopf schwirrt es eigentümlich, mir ist schlecht, dann wieder nicht... verliebt sein ist ganz schön anstrengend. Fast zwei Stunden hab ich überlegt, was ich anziehen soll. Dabei ist das vollkommen egal, weil Manuel nämlich eine Freundin hat. Trotzdem will ich heute gut aussehen. Deshalb trage ich meine schwarze Schnallenhose, ein enges Alien Sex Fiend-Shirt, meinen Silber-gürtel. Aber meine Haare...au je. Die stehen wie immer in sämtliche Richtungen. Ich krieg die einfach nicht gebändigt, sehe ständig aus, als käme ich grad aus'm Bett. Naja, kann man nix dran machen.
Linda geht ausnahmsweise nicht mit mir sondern holt Manuel ab. Ich wollte mit, doch das hat sie verboten. Ich störe angeblich. Wenn sie nicht meine beste Freundin wäre, würd ich sie erschlagen. Mehrmals.
Tja und nun hänge ich inmitten der Partyleute, hab keine Ahnung, wie ich mich benehmen soll und starre Linda und Manuel an, die in der Ecke gegenüber sitzen. Das heißt, Linda liegt halb auf ihm. Schade, daß ich nicht Dianas Telefonnummer habe. Ich hätte keine Skrupel sie anzurufen und zu erklären, was meine beste Freundin grad mit ihrem Freund vor hat.
Leonie steht neben mir, faselt mich zu, was mich wenig interessiert. Manchmal legt sie ihre Hand auf meine Hüfte und streicht da etwas rum. Ich will mal nicht hoffen, daß sie irgendwelche Absichten hat. Sie ist zwar süß aber eben ein Mädchen. Was? Au Backe...die beknabbert mein Ohrläppchen. Mir wird speiübel.
»Dein Shirt gefällt mir total gut«, murmelt sie, während ihr Finger verschnörkelte Kreise auf meine Brust malt.
»Äh...danke.«
»Überhaupt mag ich dich total gerne, Flori.«
Och nööö!! Bitte nicht! Unbehaglich werfe ich einen Blick auf meinen Engel, der noch immer von Linda bedrängt wird. Für einige Sekunden schaut er mich an, mir ist heiß. Leonies Hand wurschtelt sich langsam unter mein Shirt...Kacke, das geht mir entschieden zu weit.
»Ich...äh...ich muß mal aufs Klo«, stammel ich, suche besagten Ort auf und traue mich die nächsten zehn Minuten nicht mehr raus.
So hab ich mir die Party nicht vorgestellt.
Wow...Manuel sieht unglaublich aus. Wie schafft der das bloß, jedesmal ein kleines bißchen schöner zu sein?
Irgendwie muß ich ihn von Linda losreißen. Ich will wenigstens mit ihm reden. Egal über was. Hauptsache in seiner Nähe sein. Und seine Telefonnummer will ich haben. Und wissen, ob Diana nun seine Kindergartenliebe ist oder nicht. Linda wird mich umbringen, wenn ich ihrer Anmache in die Quere komme. Na und? Sie hat ihn schließlich nicht gepachtet. Ich hab genauso ein Recht, mich mit ihm anzufreunden. Es wird höchste Zeit, das zu tun.
Mutig stürme ich aus dem Bad, verrenke mir den Hals, sehe Linda, die dasselbe tut. Wo ist er?? Vielleicht nach Hause gegangen?
»Hast du Manu gesehen?« fragt sie nervös.
»Nee.«
»Übrigens...Leonie sucht dich.«
»Äh...ach ja?«
»Ja. Sei nicht so schwachmatisch...die mag dich.«
»Oh.«
»Du bist echt ein Volltrottel«, schüttelt sie den Kopf und läßt mich stehen.
Bevor Leonie einen weiteren Angriff auf mein Shirt und die Haut darunter starten kann, flüchte ich lieber nach draußen.
Puh...ganz schön dunkel. Leonie wohnt direkt an einem Feld und die einzige Laterne ist kaputt. Ich stolpere also vorsichtig die Stufen hinunter, taste mich am Zaun entlang und trete plötzlich gegen etwas.
»Hey...was...äh...Flori?«
Ich gehe in die Hocke. »Du solltest nicht auf dem kalten Boden sitzen. Das gibt eine fiese Blasenentzündung.«
»Das sagt meine Mama auch immer«, lächelt Manuel und hangelt sich am Geländer hoch.
»Was machst du denn hier draußen?« frage ich, während wir nebeneinander gehen.
»Ich wollte mal ein bißchen meine Ruhe haben. Weißt du...ich bin eigentlich nicht so der Partygänger. Und...naja, ich kenne ja auch niemanden. Hab mich etwas unwohl gefühlt. Und dann noch Linda...äh...entschuldige, ich wollte nicht lästern oder so.«
Wir setzen uns auf einen Baumstamm.
»Die ist ganz schön anstrengend, was?«
»Allerdings«, seufzt er. »Versteh das jetzt nicht falsch. Ich mag sie wirklich aber sie ist...äh... ja, anstrengend. Gott, kann die reden«, grinst er. »Seid ihr schon lange...befreundet?«
»Seit dem Sandkasten. Und da hat sie mich auch schon in Grund und Boden gebrabbelt. Sie ist halt so. Besonders wenn sie jemanden mag.«
Ich weiß es nicht genau aber ich könnte schwören, er wird rot.
»Ja, sie hat überhaupt keine Probleme, das zu sagen. Ich meine, sie ist nicht sehr schüchtern.«
»Hm-hm«, mache ich, weil ich eigentlich nicht über Linda sprechen will. Ich möchte gerne seine Hand halten. Die liegt auf dem Baumstamm, direkt neben meiner. Fast berühren sich unsere Finger. Ich geh kaputt.
»Sag mal, ist dir gar nicht kalt?«
»Hä?«
»Naja, so ohne Jacke. Ich frier mir fast den Hintern ab.«
Ups! Ist mir gar nicht aufgefallen...ich hab echt meine Jacke vergessen und muß sofort etwas mit den Zähnen klappern.
»Äh...hier«, sagt er leise und...OH MEIN GOTT...schlingt mir seinen schwarzrot geringelten Schal um den Hals. Mir ist sumselig und brumselig im Kopf. »Ich...ich hab leider nix mehr unter der Jacke, was ich dir geben könnte. Ich meine, ich hab sonst immer noch so'n...äh...«
»D-danke, der Schal reicht schon.«
Meine Knie sind ganz bemerkenswert weich.
»Wir könnten auch wieder reingehen.«
Wenn meine Beine nicht mehr so gummiartig sind.
»Oh...klar, wenn du willst. Aber...«
»Nicht wirklich. Bin nämlich auch nicht unbedingt der Partygänger«, lächle ich.
»Oh, gut. Ich würde mich auch viel lieber mit dir unterhalten. Ich meine, ich unterhalte mich lieber richtig mit Leuten als...ah, ich hab diesen ganzen smalltalk nicht so drauf. Und...und ich weiß irgendwie nie, wie ich mich auf Parties verhalten muß.«
Argh...der ist wie ich!!!
»Das Gefühl ist mir nicht ganz unbekannt.«
Wir reden eine Weile. Über alles und nichts. Er liebt MUSE und Karamelleis mit Sahne und Krokantsplittern. Karamelltee, Karamellpudding, Karamellbonbons. Er findet Kalkofe lustig. Und Harald Schmidt. Er steht auf Buffy, was er allerdings gerne verheimlicht, weil das doch Mädchenkram ist. Angel mag er nicht. Ich sag's ja, der ist wie ich und nicke ständig.
»Nicht, daß ich nicht gerne hier draußen sitze aber...wir sollten doch reingehen. Du...du hast schon eine Gänsehaut«, bemerkt er und streicht hauchzart über meinen nackten Arm.
Mir ist nach explodieren. Seine Finger sind so weich. Dummerweise stehe ich aufgrund der Berührung so unter Schock, daß ich von ihm wegrücke.
»Ok«, brülle ich hastig.
Ebenso hastig springt er auf.
Als wir zur Pary zurück kommen, stürmt Linda auf uns zu.
»Wo seid ihr gewesen? Ich wollte schon die Polizei rufen.«
Naserümpfen wirft sie einen Blick auf meinen Hals, an dem immer noch Manuels Lieblingsschal hängt.
»Wir...wir haben uns nur etwas unterhalten«, erklärt Manuel mit geröteten Wangen.
»Komm, wir holen uns was zu trinken«, säuselt sie, drängt sich an seinen Arm und nimmt ihn einfach mit.
Die beiden bleiben verschwunden und weil ich keinen Bock auf Leonie habe, fahre ich nach Hause.
Jetzt hab ich wenigstens ein Stückchen von ihm. Nicht seine Telefonnummer aber seinen Schal, mit dem ich mich in den Schlaf kuscheln kann. Mhhh...er hat ihn getragen. Auf seiner Haut. An seinem weichen, warmen Hals. Unter dem Vanilleduft riecht er ganz schwach nach ihm. Süß und sauber und...mhhhhh...GUT.
Linda ist beleidigt. Wegen der Party. Weil ich mich Manuel aufgedrängt habe. Die ist doch nicht mehr ganz dicht. Leonie ist ebenfalls angepißt, weil ich gegangen bin, ohne mich zu verabschieden. Tz...Weiber!
Gerade liege ich auf meinem Bett, höre MUSE und schnüffel an Manuels Schal als das Telefon klingelt.
»Ja?«
»Ähem...Flori? Hi, hier ist Manuel.«
Ich bekomme vor Schreck etwas Spucke in die falsche Röhre und muß schrecklich husten.
»Alles ok?«
»Ja, hab mich nur verschluckt«, röchel ich verlegen. »Äh...woher hast du meine Nummer?«
»Von Linda. Hab ihr gesagt, du hättest noch meinen Schal und...«
»Oh, entschuldige, hab ganz vergessen, dir den zurückzugeben. Ähem...wenn du willst, bringe ich ihn dir vorbei«, fasel ich ohne nachzudenken. Kacke, jetzt weiß er doch, daß ich weiß, wo er wohnt.
»Was? Äh, nee, den kannst du behalten. Ich meine, den schenke ich dir. Das ist gar nicht der Grund, weshalb ich anrufe.«
Uiuiui...mir ist schwächlich im Gebein. Er schenkt mir seinen Lieblingsschal, den Linda nicht behalten durfte? Schmetterlinge tanzen durch meine Innereien, während ich Linda in Gedanken leidenschaftlich die Zunge herausstrecke.
»Hallo? Bist du noch dran?«
»Klar.«
»Also...ich dachte, naja, ich dachte, daß du und ich...ich meine...hast du Lust, dich mit mir zu treffen? Wir könnten Karamelltee trinken oder...oder in die Stadt gehen oder so.«
Das Blut rauscht in meinen Ohren. Er will was mit mir unternehmen. Wieso?
»Ok...äh, ich meine, ja. Gerne.«
»Gut«, strahlt er, was ich natürlich nicht sehen kann aber ich hab da so ein Gefühl, »ich hab noch Gitarrenunterricht...äh, komm doch einfach zum Musikshop. In zwei Stunden, ja?«
»Musikshop, ok. Ich bin da.«
»Schön, also bis dann.«
»Ja, bis gleich.«
Ohh...ich fühle mich plötzlich so beschwingt.
Natürlich bin ich mindesten eine halbe Stunde zu früh. Weil es draußen schweinekalt ist, gehe ich in den Shop und kucke mir alibihalber eine Gitarre an.
»Kann ich was helfen?« fragt ein Mädchen mit schwarzen Haaren. Sie sitzt hinter der Ladentheke und ißt ein Stück Waffel. Vorne, auf einem Schemel, sitzt noch ein Mädchen mit blonden Haaren. Puh...die strahlt mich vielleicht an.
»Ähem, nee oder...äh, nee, danke.«
Die beiden unterhalten sich über...KIRCHENORGELN?? Verrückt.
»Ach und der Herr Dingens...du weißt schon...der ist so toll. Komm doch endlich mal mit zum Chor«, sagt die Schwarzhaarige.
»Ich kann nicht singen«, antwortet die Blonde.
»Das kann da niemand. Du mußt ja nur so tun. Fällt überhaupt nicht auf. Aber dann würdest du wenigtens den tollen Herrn Dingens mal sehen.«
Die Blonde schüttelt den Kopf.
Ich schlendere durch den Laden und bekucke mir irgendwas.
»Das sind Nasenflöten«, erklärt die Schwarzhaarige grinsend.
»Aha.« Mein Blick fällt auf eine kleine Schaukel, die über der Theke baumelt. Sie ist mit rotem Samt überzogen und darauf sitzen...Holzfrösche. Sowas hab ich ja überhaupt noch nie gesehen.
»Wie kommt man bloß auf die Idee, in seiner Freizeit eine Schaukel zu basteln?« formuliert die Blonde meine gedachte Frage.
»Hat der Chef gemacht, damit die Frösche was zum sitzen haben.«
Die beiden lachen sich halb tot. Ich muß mitlachen.
»Und ich kann dir wirklich nicht helfen? Vielleicht ein Stück Waffel?« fragt die Schwarze.
»Ich darf doch Ihre Waffeln anbieten, oder?« sagt sie zur Blonden gewandt, die heftig nickt und mir das Tablett unter die Nase hält.
Die sind echt...komisch. Eigenartig aber nett. Ich nehme ein Stück.
»Danke. Äh...ich will eigentlich nichts kaufen. Ich, naja, es ist draußen so kalt und ich warte auf einen...äh...Freund. Der ist beim Gitarrenunterricht.«
»Da ist irgendwo noch ein Hocker. Setz dich, wenn du willst«, bietet die Schwarzhaarige an.
Sie trägt einen lustigen gestreiften Sesamstraßenpulli. Die Blonde ein Pink-Panther-Nacht-hemd. Wow, ich mag freakige Mädchen. Nicht zum verlieben aber zum Spaß haben. Den Hocker kann ich mir allerdings sparen, weil die Tür aufgeht und mein Engel hereinschwebt.
»Hey, Flori.«
»Hallo. Mir war draußen zu kalt.«
»Wartest du schon lange?«
»Ja...nee.«
»Willst du ein Stück Waffel«, fragt das Sesamstraßengirl.
Manuel lächelt ein wenig hilflos.
»Äh...ja, danke. Können wir los?«
Er wirft kauend einen Blick auf die Schaukel mit den Fröschen und schüttelt befremdend den Kopf.
»Können wir«, sage ich.
Draußen sind ungefähr tausend Grad unter Null. Meine Nase läuft, meine Füße spüre ich kaum noch. Mir ist das gleich. Neben mir schwebt ein Engel.
»Also irgendwie hab ich keinen Bock noch länger mit der Gitarre durch die Kälte zu rennen. Wollen wir Karamelltee bei mir trinken?«
Ohhhhh...ich werde sein Haus sehen!!!
»Ja, ok.«
Eine halbe Stunde später sitze ich ganz wirklich oben hinter den halbrunden Fenstern und kann hinaus in den Garten sehen. Wahnsinn, ich bin hier. Das ist sein Zimmer. Sein Bett. Seine...DER-KLEINE-EISBÄR-Wärmflasche?? Verschämt läßt er das Teil unter der Bettdecke verschwinden.
»Ich friere nachts immer so schrecklich«, murmelt er mit roten Wangen.
Ooooohhh...das ist sooo süß!!
Komisch, er hat doch Diana zum kuscheln. Oder etwa nicht? Au...wie gerne würde ICH ihn nachts wärmen. Ihn mit Armen und Beinen umschlingen und ganz ganz fest halten. Wir trinken Tee und reden ein bißchen.
»Ganz schön ätzend, wenn man jeden Morgen mit dem Bus zur Schule muß, oder? Ich glaube, ich würd den regelmäßig verpassen. Ich komme fast nie pünktlich aus'm Bett.«
Ich sage ihm mal lieber nicht, warum ich immer so pünktlich bin. Äh...Moment mal! Meine Augen reißen so weit auf, daß sie mir fast aus dem Kopf ploppen. Niemals hab ich erwähnt, daß ich mit dem Bus zur Schule fahre.
»Woher weißt du das?«
Manuel hantiert nervös mit seiner Tasse und verschüttet den Inhalt auf sein Shirt.
»Au, Scheiße...äh, was? Ich meine...warte mal.«
Er springt auf, verschwindet für einen Augenblick und kommt mit einen sauberen Shirt am Leib zurück. Mir ist etwas unwohl. Unwohl und unheimlich. Was, wenn er meine Beschattungsaktion bemerkt hat? In der Bücherei hat der mich schließlich auch gesehen. Dabei hab ich mich so vorsichtig verhalten. Dachte ich wenigstens.
»Triffst du dich jetzt eigentlich öfter mit Linda?« frage ich nach einer Weile.
»Äh...also eigentlich hab ich immer nicht so sehr viel Zeit. Ich meine, ich mag sie schon. Es ist nur...«, antwortet er ausweichend.
»Linda kann sehr hartnäckig sein, wenn sie was haben will.«
»Ja, ich weiß. Sie ruft mich andauernd an, schickt mir sms und so.«
»Nervt dich das?«
Manuel streicht sich fahrig durch die Haare.
»Darf ich die Wahrheit sagen? Weil sie doch deine Freundin ist.«
»Sicher.«
»Ja. Es nervt...ein bißchen.«
»Sie ist halt verknallt in dich.«
»Echt?« fragt er überrascht. »Ich wüßte nicht wieso.«
»Weil du toll bist«, entgegne ich und werde augenblicklich so rot, daß ich glaube, mein Gesicht steht in Flammen.
»Das sagt sie jedenfalls.«
»Keine Ahnung, was an mir so toll ist«, murmelt er und reibt seine langen Ärmel zwischen den Händen.
Ich könnte ihm das erklären, halte mich allerdings zurück.
»Und sie ist eifersüchtig auf Diana.«
»Ja?«
Ich nicke.
»Mh.«
»Sie ist sehr hübsch.«
»Diana?«
Ich nicke erneut.
»Ja...finde ich auch.«
Klar findet er das. Ist schließlich seine große Liebe. Ich hab Mühe, nicht in Tränen auszubrechen.
»Du...ich muß mal langsam nach Hause.«
»Schon?« fragt er. »Ich meine, ja, ok.«
Gentlemanlike bringt er mich zur Tür.
»Wenn du Lust hast, können wir am Wochenende was machen.«
»Laß das bloß Linda nicht hören. Für mich hast du Zeit.«
»Willst du sie mitbringen?«
»Soll ich?«
Er zuckt die Schultern und beißt sich auf die Lippe. Toll, was heißt das denn?
»Und du bist dir sicher, daß ich deinen Schal behalten darf?«
»Ja aber, wenn du nicht möchtest...ähem...verstehe ich das.«
»Doch doch«, antworte ich schnell, »der ist schön warm.«
Manuel lächelt. Ich bekomme fast einen Schwächeanfall.
»Ich ruf dich dann an, ist das ok?«
»Ja. Sicher. Bis...bis bald.«
»Wahnsinn. Immer muß der wer weiß was machen«, stöhnt Linda. »Gitarre, Klavier, Kunst-AG, Hundchen Gassi führen...das macht echt keinen Spaß mehr. Wie soll er sich denn in mich verlieben, wenn wir uns nie sehen?«
»Vielleicht will er sich nicht verlieben.«
Sie blickt mich finster an.
»Warum sagst du das?«
»Weiß nicht.«
»Dann halt die Fresse«, faucht sie. »Ey, ich geh kaputt. Der ist immer so süß am Telefon aber sobald ich ihn frage, ob wir uns mal treffen, wird der komisch.«
»Wie...komisch?«
»Naja, dann faselt er von seinen Aktivitäten«, erklärt sie traurig und zupft bedröppelt an ihrem Hosenbein.
Scheiße, jetzt tut sie mir doch tatsächlich leid.
»Ich möchte so schrecklich gern in seiner Nähe sein, Flori.«
Eine Träne kullert ihr über die Wange. Verdammt. Ich nehme sie in den Arm. Auch wenn sie mir oft den letzten Nerv raubt, ich
mag sie nicht weinen sehen.
»Mh...vielleicht sollte ich mich einfach in dich verlieben, Flori«, schnieft sie.
Nein, das sollte sie schön bleiben lassen.
»Dafür kennen wir uns zu lange und zu gut.«
»Du solltest Leonie besser kennenlernen.«
Nein, das sollte ich schön bleiben lassen.
»Hast du mal ein Taschentuch?«
»Ja. Hab ich.«
Während ich aufstehe, kuschelt sie sich unter meine Decke.
»Was ist...was ist das denn?« ruft sie plötzlich und stiert auf einen schwarzrot geringelten Schal.
Ups! Na, da rede dich jetzt mal raus, Florian!
»Ist das...das ist doch Manuels, oder? Wieso hast du den noch? Der hat doch nach deiner Nummer gefragt, weil er ohne seinen heißgeliebten Kackschal eingeht. Wieso zum Teufel liegt der unter deinem Kopfkissen, hä?«
»Keine Ahnung«, entgegne ich wenig originell. Werde dafür aber 1a rot.
»Er...er hatte noch keine Zeit, ihn abzuholen.«
Sie scheint kurz zu überlegen.
»Gibst du mir den?«
NEIN! Dieser Dackelblick zieht bei mir nicht. Nein, nein und nochmals nein.
»Äh...nee, lieber nicht. Wenn der den zurückhaben will und ich hab ihn nicht mehr. Das geht doch nicht.«
Linda schnüffelt wie irre an dem Teil rum. Ich schlag ihr den Schädel ein, wenn die seinen ganzen Geruch wegschnüffelt. Da verstehe ich keinen Spaß.
»Ich begreife aber immer noch nicht, wieso du den unterm Kopfkissen liegen hast.«
»Du kennst mich doch. Meine Klamotten sind überall verstreut.«
Und mein Schädel funkelt wie eine rote Christbaumkugel.
»Ja...ich verschwinde dann mal.«
»Bis morgen.«
Bevor sie geht, vergewissere ich mich noch, ob sie Manuels Schal auch nicht mitgehen läßt. Ich traue Linda alles zu.
Seit einer Woche laufe ich wie ein Zombie durch die Gegend. Schlafe kaum noch, esse gar nicht mehr und bin mies gelaunt. Manuel hat sich nicht gemeldet. Weder am Wochenende noch danach. Sicher kuschelt er mit Diana. Dabei hat er doch gefragt, ob wir uns treffen. Ich verstehe das nicht. Hab ich was Blödes gesagt? Mich komisch verhalten? Was zur Hölle ist los?
Ich hab doch so Sehnsucht nach ihm. Nicht einmal morgens sehe ich ihn. Fährt der nicht mehr zur Schule, oder wie? Linda erzählt auch nichts und fragen mag ich sie nach ihm nicht. Ich werde noch verrückt. Soll ich ihn anrufen? Ich hab seine Nummer gar nicht. Aber ich weiß offiziell wo er wohnt. Könnte ihn also besuchen. Nee, das traue ich mich nicht. Vielleicht haßt er mich. Warum?
Gitarrenunterricht...ja, ich gehe zum Musikladen. Rein zufällig kann ich ihn da treffen. Gott, ist mir schlecht. Aber das muß jetzt sein. Diese Ungewißheit hält doch kein Mensch aus.
Die Schwarzhaarige ist heute allein und ohne Waffeln.
»Hallo«, grinst sie, »kann ich helfen oder wartest du wieder nur auf jemanden? Dein...äh... Freund ist, glaub ich, noch oben. Jedenfalls steht sein Fahrrad draußen.«
»Ja, hab ich gesehen. Danke.«
Sie nickt lächelnd und vertieft sich in ein Buch. Ich hänge am Fenster und warte. Einige Minuten später kommt Manuel raus, ich stürme aus dem Laden.
»Hallo.«
Er schließt sein Rad auf.
»Hey.«
»Ähem...«, beginne ich, vergrabe meine Hände in den Manteltaschen und weiß nicht weiter.
»'Tschuldigung, ich hab's eilig«, sagt er, schwingt sich auf sein Fahrrad und weg ist er.
Was sollte das denn bitteschön? Und woher kommt der ganze Mut, der mich dazu bringt, ihm nach Hause zu folgen?
Als Manuel mich sieht, verzieht er das Gesicht.
»Was willst du?«
»Was ist denn los?« frage ich weinerlich. Der ganze Mut ist futsch.
»Du hast echt Nerven«, zischt er.
Ich verstehe nur Bahnhof, unterdrücke eine aufsteigende Tränenflut.
»Ach so...«, er reißt mir den Schal vom Hals, »das hätte ich beinahe vergessen. Du stehst ja nicht auf so schwuchtelige Kleidungsstücke.«
Hä?
»Tut mir leid, daß ich mich dir so peinlich aufgedrängt habe. Und daß mir jedesmal der Sabber aus dem Mund läuft, wenn ich dich sehe.«
HÄ??
»Arschgeige.«
»Warte mal...worüber zum Teufel sprichst du?«
Manuel schnauft ärgerlich.
»Du bist echt zum kotzen. Dabei dachte ich, wir...wir könnten Freunde werden.«
Der hat wohl was geraucht.
»Gib mir den Schal zurück.«
»Nein.«
»Du hast ihn mir geschenkt.«
»Na und?«
»Gib ihn zurück.«
»Nein. Hörst du schlecht?« brüllt er.
»Ich gehe nicht ohne den verfickten Schal hier weg«, brülle ich zurück.
»Schrei mich nicht an.«
Ey...geht's noch?
»Schrei du mich nicht an.«
»Was willst du denn damit?«
»Das geht dich gar nichts an. Geschenke verlangt man nicht zurück.«
»Hier und jetzt verpiß dich.«
Er wirft mir den Schal ins Gesicht.
»Wieso bist du so...so gemein?« schluchze ich und fange peinlicherweise an zu heulen.
Manuel starrt mich entsetzt an.
»Oh gott...oh scheiße...ich...hey, was ist denn?«
Ich kann nichts sagen, nur heulen.
»Es tut mir leid, Flori...ehrlich, ich...scheiße...«
Er legt einen Arm um mich.
»Ich glaub, wir gehen besser erstmal rein, ja?«
Manuel hält mir ein Taschentuch unter die Nase.
»Hier.«
Ich sitze auf seinem Bett, wische mir die Tränen weg, schniefe immer noch und verstehe die Welt nicht mehr.
»Ich wollte das wirklich nicht«, murmelt er zerknirscht.
»Und wenn es vielleicht so ausgesehen hat, als wollte ich dich...dich anmachen oder so, dann tut mir das leid.«
»Warum sagst du sowas?«
»Naja, weil...ich will nicht, daß du denkst, ich würde...äh...irgendwie auf dich stehen.«
Das war's. Ich bin tot. Deutlicher geht's nicht. Ein neuer Heulanfall überkommt mich. Ist jetzt auch schon egal. Meine Welt ist soeben zusammengebrochen, ich bin tief unter den Trümmern begraben. Manuel steht hilflos vor mir. Dann spüre ich plötzlich weiche Arme, die mich umschlingen.
Eine Hand, die meinen Kopf sanft an eine Schulter drückt. Finger, die durch meine Haare gleiten. Spüre Manuels Wange, die sich an meiner reibt. Seine Lippen...seine Lippen berühren meine tränenfeuchte Haut. Seine Lippen...berühren hauchzart meine. Für einen kurzen Moment. Er seufzt leise und verstärkt den Druck, öffnet seinen Mund und teilt meine Lippen mit seiner Zunge.
Mein Herz rast und bollert, ich hab Angst, es springt mir aus der Brust. Es kribbelt. Überall. Manuel küßt mich. Ich küsse ihn zurück. Er atmet heftig. Ich ebenfalls.
Viel zu schnell ist es vorbei. Er stößt mich weg und hält sich panikartig die Hand vor den Mund.
»Oh mein Gott«, stammelt er, »oh Gott, Flori, das...das wollte ich nicht. Das...oh nein...das tut mir leid.«
»Mir nicht«, entgegne ich leise und hoffe, er hat es nicht gehört.
»Was?«
Ich atme tief ein. »Mir tut es nicht leid.«
»Aber...«
»Aber dir schon, ich weiß. Dir tut es leid, weil du eine verdammte Freundin hast, die du seit dem Kindergarten schon heiraten willst. Die sich prima mit deinen Eltern versteht, der du morgens Frühstück ans Bett bringst und für die du am Klavier Lieder komponierst.«
»Florian...wovon redest du?« fragt er leicht verwirrt.
»Na von Eva. Deiner Freundin. Deiner...deiner scheiß Kindergartenliebe...«, brabbel ich.
»Wer zum Henker ist Eva?«
»Diana.«
»Diana ist nicht meine Freundin. Jedenfalls nicht so. Wir sind nicht verliebt.«
»Aber...wieso mußt du dich dann entschuldigen, nachdem du mich geküßt hast?«
Jetzt sieht er ganz traurig aus.
»Weil...weil du nicht denken sollst, daß ich...weil du doch zu Linda gesagt hast...«
»WAS hab ich zu Linda gesagt?«
»Daß...daß ich eine Schwuchtel bin. Und verknallt in dich.«
»Sowas hab ich niemals gesagt«, brülle ich.
»Wie kannst du denken, daß ich sowas über dich sagen würde?«
»Weil es stimmt«, antwortet er kaum hörbar.
»Blödsinn. Linda hat sich das nur ausgedacht. Sie hat deinen Schal unter meinem Kopfkissen gefunden und dach...«
Ich klappe meinen Mund zu. Mein Hirn hat sich gerade verabschiedet.
»Weißt du, Flori...seit Monaten rase ich morgens wie ein Irrer zur Schule, um wenigstens einen Blick auf dich erhaschen zu können, wenn du im Bus sitzt. Ich mußte andauernd an dich denken. Dann warst du auf einmal in der Bücherei und hast so süß ausgesehen und im Café, mit Linda...du kannst dir nicht vorstellen, wie nervös ich war. Weil du tatsächlich neben mir gesessen und mit mir geredet hast. Ich dachte, ich muß sterben.«
Mein Hirn ist immer noch ein bißchen außer Haus. Kann aber meiner Hand zum Glück befehlen nach Manuels Hand zu greifen und mit seinen Fingern zu spielen.
»Du mußt mich doch für total bescheuert halten. Mich in jemanden zu verlieben, den ich überhaupt nicht kenne«, erklärt er mit gesenktem Blick.
Ja, total bescheuert. Oha...wenn der wüßte.
»Du mußt mir glauben, daß ich dich niemals...ich meine, ich wollte schrecklich gerne mit dir befreundet sein aber dann hat Linda all diese Sachen gesagt. Das hat so weh getan.«
Seine Stimme zittert. Seine Hand auch. Ich lege mich aufs Bett und sehe ihn an.
»Komm her.«
»Du meinst zu dir? In deine...Arme?« fragt er, beißt sich auf die Lippe und sieht ziemlich belämmert aus. So, als hätte er etwas sehr sehr Dummes gesagt.
»Ja.«
»Soll das heißen, du...du magst mich auch...so?«
Ich nicke heftig.
Schüchtern legt er sich neben mich und schluckt angestrengt.
»Du bist viel zu weit weg«, seufze ich, strecke meine Hand nach ihm aus und ziehe ihn an mich.
Manuels Körper ist starr, es dauert eine kleine Ewigkeit, bis er sich entspannt und weich in meine Arme kuschelt. Ich bin längst im Himmel. Vollkommen berauscht, wie auf Droge. Mein Engel. Mein Manuel. Seine Hand hat sich unter mein Shirt gestohlen, streichelt meine nackte Haut. Ich küsse sein Honighaar.
»Ich hab davon geträumt«, flüstert er.
»Einfach so hier mit dir zu liegen und dich zu spüren.«
»Und ich erst«, stöhne ich und umschlinge ihn noch ein wenig mehr. Er hebt seinen Kopf und sieht mich an.
»Du hast meinen Schal wirklich unter dein Kopfkissen gelegt?« giggelt er.
Ich werde erwartungsgemäß knallrot.
»Äh...naja, also eigentlich mehr AUF mein Kopf-kissen.«
»Du bist so süß, Flori. Darf...darf ich dich küssen?«
»Das mußt du mich nicht fragen«, antworte ich.
Er knabbert zärtlich an meiner Unterlippe, schlängelt seine Zunge in meinen Mund und wir sind hoffnungslos verloren. Knutschen, küssen, nuckeln, saugen und knabbern, bis unsere Lippen rauh und geschwollen sind, ein bißchen weh tun und selbst dann können wir immer noch nicht aufhören. Mhhh...Manuel küssen ist absolut unglaublich. Sinnlich. Magisch. Süß.
Happy End? Jaaaaaaaa!! So ziemlich. Es gab nämlich noch eine heftige Aussprache mit meiner ehemals besten Freundin, die mir anscheinend mein Glück nicht gönnen kann.
Ich hätte niemals gedacht, daß Linda so eine intrigante Kotzkuh ist. Sie ist verletzt, das verstehe ich und das tut mir auch leid aber...was soll ich machen? Ich liebe Manuel. Er liebt mich auch.
Seine Eltern wissen, daß wir zusammen sind. Zuerst sind sie natürlich aus allen Wolken gefallen aber jetzt ist es einigermaßen ok. Diana weiß es auch und freut sich für uns. Diana ist nämlich super lieb, ich mag sie gerne.
Manuel ist bezaubernd. Mein süßer Engel. Wenn ich am Wochenende bei ihm übernachte, bringt er mir das Frühstück ans Bett. Seine Wärmflasche braucht er nur noch selten. ICH bin jetzt sein kleiner Eisbär. Manchmal spielt er mir etwas auf dem Klavier vor. HAHA...von wegen »ich bin nicht so toll«. Er spielt absolut phantastisch.
Oh und natürlich ist er tatsächlich total verschmust. Küssen tut er auch wahnsinnig gerne...
MICH!!!
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