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Zuckersüß

Teil 2

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Vorwort

Wow, das Feedback war...überwältigend. Deshalb erstmal vielen Dank an euch!! Ihr steht jetzt alle auf meiner Liste der coolen Leute ;) Okay, hier ist also der zweite Teil. Guten Appetit!

 

‘Oh my love for the first time in my life my eyes are wide open

Oh my lover for the first time in my life my eyes can see…’

Ja, der gute alte John Winston wusste damals schon sehr genau, wie ich mich mal fühlen würde. Ernsthaft, mit Robin ist alles so...schön! Total anders als mit Simon. Klar, ich war schon heftig in ihn verschossen, aber so langsam wird mir klar, dass auf emotionaler Ebene nicht wahnsinnig viel ablief. Außerdem hasst der die Beatles. Ja, das konnte doch nix werden. Aber Robin mag die Beatles ebenfalls nicht, was allerdings daran liegt, dass er die seit frühester Kindheit hören musste. Gezwungenermaßen, versteht sich. Robin hört gerne die Doors. Bei der Musik bekam meine Ratte immer Krampfanfälle. Kein Witz! Herr Schröder-Beckmann schmiss sich auf den Rücken, strampelte mit den kleinen Füßen und verdrehte die Augen. Ich liebe Ratten als Haustiere, aber leider sterben die viel zu schnell. Nicht an Doors-Musik, sondern an fiesen Krebsgeschwüren. Und weil es mich kaputt macht, wenn so ein Tier eingeschläfert werden muss, hab ich eben keins mehr. Robin würde mit einer Ratte auf der Schulter wahnsinnig süß aussehen. Werde mal mit ihm drüber sprechen...vielleicht mag er ja eine kaufen. Übrigens ist grad Sonntagnachmittag, in meinem Bauch befindet sich eine beängstigende Menge an Erdbeerkuchen mit Schlagsahne, weshalb ich auf der Hollywood-Schaukel liege und mich nicht mehr rühren kann.

„Gierschlund“, grinst Robin und streichelt sanft meinen Wanst.

„Die totale Überfressung“, stöhne ich, „würdest du mich beim nächsten Mal bitte stoppen, bevor es zu spät ist?“

„Wie wäre es mit einem Verdauungsspaziergang?“

„Bloß nicht. Wenn ich mich bewege, schwabbert der Kuchen durch meine Eingeweide und ich sag dir...das ist kein schönes Gefühl.“

Ganz langsam schiebt er mein T-Shirt hoch und verteilt kleine Küsse auf meinem Bauch. Ah...wie süß!! Leider stoppen die Küsse viel zu schnell. Robin sieht mich an.

„Du hast wirklich eine eigene Wohnung? Für dich allein?“

„Ja, warum?“

„Und wann zeigst du sie mir?“

„Wann immer du willst.“

„Das sollte bald geschehen, sonst...“

„Sonst was?“, unterbreche ich ihn.

„Sonst fall ich über dich her und meine Eltern trifft der Schlag“, giggelt er.

„Die wissen doch, dass wir zusammen sind.“

„Schon, aber die müssen ja trotzdem nicht sehen, wie ich mit dir rummache.“

Mich beschleicht so ein Gefühl, dass ich rot werde. „Wieso bist’n du auf einmal nicht mehr schüchtern, hm?“

Verlegen lächelnd streicht er sich Haare hinters Ohr, obwohl die eigentlich zu kurz dafür sind. „Ich hab nie behauptet, dass ich schüchtern bin.“

„Hast du denn schon mal?“

„Mit wem geschlafen? Nö. Und ehrlich gesagt wäre es mir lieber, wenn wir nicht gleich... also...wir können doch erstmal ein bisschen...“

„Rummachen?“

„Genau“, strahlt er.

Sein Strahlen macht mich dermaßen quabbelig und hilflos, dass ich ihn ganz doll umarmen muss. Der Geruch seiner Haut...oh Mann, wie schafft er das bloß, so unglaublich nach Sommer zu riechen? Nach Sommer und Eisessen, nach auf einer Wiese liegen und Lennon hören?

„Ich werde dich mit zu meinen Eltern nehmen“, murmele ich an seinem Hals.

„Oh, Schatz...du willst mich deinen Eltern vorstellen?“, kichert er.

„Nein. Aber bei denen in der Nähe gibt’s eine alte Scheune...da gehe ich mit dir ins Heu.“

„Verstehe“, nickt er. „Und da ist wirklich Heu drin?“

„Was’n sonst?“

„Stroh. Und das piekt.“

„Woher weißt’n du das? Hast du dich schon mal mit jemandem im Stroh rumgetrieben, du Flittchen?“

„Mit Sonja.“

Schlagartig lasse ich ihn los und bin eifersüchtig bis zur Halskrause. Auweia!!

„Sieh mich nicht so an. Es war ihre Idee und hat mir null gefallen.“

„Warum hattest du überhaupt eine Freundin, wenn du doch gar nicht auf Mädchen stehst?“

„Hab eben ein bisschen gebraucht, um das rauszukriegen. Und als es klar war, hatte ich erstens Angst und zweitens wollte ich Sonja nicht weh tun.“

„Aber sie hat doch fremdgeknutscht.“

„Sehr richtig. Deswegen war die Trennung ja auch so easy.“

„Die ist doch immer noch voll verknallt in dich. Auf der Party hat sie mich angekuckt...mein lieber Schwan.“

„Kann sein“, überlegt er, „ist mir allerdings egal. Denn wie du weißt, bin ich verknallt in dich.“

Mir ist schon wieder wabbelig im Gebein. Und wahrscheinlich grinse ich wie bekifft. Robin blinzelt gefährlich und streicht mit dem Zeigefinger über meinen Bauch.

„Findest du es okay, wenn ich dir sowas sage?“

„Unbedingt“, japse ich.

„Ich meine...ich würde dir das gerne immerzu sagen, aber wenn dich das vielleicht stört... wenn du gar nicht so arg mit Liebeserklärungen überhäuft...“

Ich küsse ihn auf den Mund. Sehr lange. Und sehr gierig. Robins Hand stiehlt sich unter mein Shirt, streichelt meine Haut und berührt wie zufällig meinen linken Nippel. Seine Lippen küssen meinen Hals entlang und verweilen saugenderweise an einer besonders empfindlichen Stelle. Wenn er nicht sofort damit aufhört...großer Gott! Langsam löst er sich von mir.

„Du hast...“, er starrt frech auf meinen Schritt, „da einen Knutschfleck am Hals.“

„Du bist gemein, weißt du das?“, schüttele ich den Kopf.

„Nee, mein Lieber, wir sind jetzt quitt“, lächelt er. „Übrigens, Leon und Lorenz spielen nachher noch mit ein paar anderen Blagen auf’m Friedhof Verstecken. Lust, deiner Feigheit die Stirn zu bieten, hm?“

„Ich muss mich korrigieren. Du bist nicht gemein, sondern die vom Teufel geschickte Boshaftigkeit in Gestalt einer süßen Maus.“

„Ich hab dich auch lieb, Flocke.“

„Es ist keine Schande, sich vor düsteren, unheimlichen Orten zu fürchten“, schmolle ich beleidigt.

„Erkläre das dem Rudel von zehnjährigen Blagen, das dich auslachen wird.“

„Meinetwegen. Aber wenn ich vor lauter Angst tot umfalle, ist das allein deine Schuld.“

Robin zuckt die Schultern. „Dann hast du’s wenigstens nicht mehr so weit, wenn wir dich zur letzten Ruhe betten.“

„Ich will aber, dass meine Asche verstreut wird.“

„Sag’s mir nicht. Across the universe...hab ich Recht?“

„Ich liebe dieses Lied.“

„Und ich hätte meinem Vater keine größere Freude bereiten können, als mich mit dir einzulassen“, seufzt er. „Du bist der Sohn, den er niemals hatte.“

„Ist das ein Problem für dich?“, frage ich vorsichtig.

Robin lacht sich kaputt. „Mann, ich bin doch froh, dass er mich nicht mehr mit seinem Lennon foltert. Außerdem finde ich’s schön, dass meine Eltern dich mögen. Allerdings...die mögen fast jeden. Uns ist mal ein Hund zugelaufen. So’n total verflohter Straßenköter, den wollten sie auch behalten.“

„Du vergleichst mich mit einem Hund?“

„Wir nannten ihn Flocki. Der wollte andauernd gestreichelt werden und in meinem Bett schlafen. Also wenn du mich fragst...da besteht schon die ein oder andere Gemeinsamkeit.“

„Und wenn du mich fragst...ist es nicht weiter verwunderlich, dass du bis jetzt noch keinen Freund hattest. Hast vermutlich alle Kandidaten mit deinen Nettigkeiten erfolgreich in die Flucht geschlagen, was?“

„Nein. Ich hab nur auf den Richtigen gewartet. Und der ist jetzt da“, flüstert er und küsst mich so süß, dass mir dicke Hummeln um den Schädel fliegen. Scheiße, ey, da hab ich mir ja ein Herzchen angelacht!

Als es draußen dämmert, ist es so weit. Die Blagen haben sich bereits versammelt und warten auf uns.

„Es ist stockdunkel“, raune ich Robin zu, „was, wenn mich niemand findet?“

„Ich finde dich“, verspricht er und tätschelt mir die Wange.

„Warum verstecken wir uns nicht zusammen?“

„Weil das lahm ist, Flocke.“

Leon erklärt die Spielregeln, die besagen, dass am Brunnen bis hundert gezählt wird, man sich dort frei schlagen muss und sich nicht außerhalb des Friedhofs verstecken darf.

„Frei für alle?“, fragt eine kleine Rotznase mit rötlichem Schopf.

„Nee, dann ist ja einer immer dran“, behauptet Leon.

Ich hab als Kind schon gehasst, wenn etwas gespielt wurde, wo man sich verstecken musste oder die Augen verbunden bekam. Aber ich kann jetzt nicht kneifen. Nachdem entschieden ist, dass Lorenz suchen soll, hängt er sich über den Brunnen, fängt an zu zählen und alle laufen in verschiedene Richtungen. Ich renne einfach planlos durch die Gegend. Das Geile ist ja: ich kenne mich hier überhaupt nicht aus! Und es ist tatsächlich schon ziemlich dunkel. Lorenz ist bei dreiundfünfzig, da hab ich also noch ein bisschen Zeit. Hinter einem dichten Busch, direkt an der Mauer, bleibe ich erstmal stehen und warte. Das zählende Kind höre ich nicht mehr und sehen tu ich auch nix. Fuck, ich wusste, das wird ätzend. Nach gefühlten dreißig Stunden wage ich mich hinterm Busch hervor und schleiche geduckt umher. Wo zum Teufel sind die ganzen Blagen hin? Die Grabsteine ragen rechts und links von mir gespenstisch aus dem Boden. In der Ferne sieht man rote Grableuchten schimmern. Ein modrig-süßer Gestank liegt in der Luft. Der kommt von einem...ich halt’s nicht aus...direkt vor mir liegt ein mit Blumen und Kränzen bestückter Hügel. Meine Kopfhaut fängt an zu prickeln. Ein frisches Grab ist genau das, was ich jetzt brauche, ehrlich! Hastig stolpere ich weiter. Hinter mir knackt es gefährlich, aber als ich mich umdrehe, ist niemand zu sehen. Ich scheiß mir gleich in die Buxe...wenn mir nicht vorher das Herz stehen bleibt. Plötzlich grapscht etwas nach mir. „HAB DICH!“, blökt es in mein Ohr, sodass ich vor Entsetzen schreie wie am Spieß. Als ich damit fertig bin und feststelle, dass mein Herz noch schlägt, lacht Robin mir ins Gesicht. Ich bin echt fassungslos. Mein Puls rast, meine Beine zittern, ich schwitze mich bekloppt, bin kurz vorm Kotzen und...er lacht sich kaputt?!

„Hast...du...den Arsch auf?“, japse ich.

„Sorry, aber...hahahaha...du solltest dich mal sehen...hihi...du hast wirklich gedacht, ein...ein Untoter würde dich holen...buahahaha...“

„Du...asozialer FLACHWICHSER“, brülle ich und laufe. Über den Friedhof. Zum Tor. Ins Haus. Und bin endlich in Sicherheit. Völlig fertig schwanke ich die Treppe rauf, lege mich aufs Bett und beschließe, mit Robin Schluss zu machen und morgen nach Hause zu gehen.

Einige Zeit später kommt der Fiesling herein. „Flocke, was sollte das eben?“ Weil ich ihm nicht antworte, legt er sich neben mich und stupst mir in den Rücken. „He, ich hab dich was gefragt.“

„Verschwinde“, murmele ich.

„Das ist aber mein Zimmer“, wispert er mir ins Ohr, während sich sein Arm um meine Taille schlängelt.

Wütend schiebe ich seinen Arm weg. „Ich hasse dich.“

„Weil ich dich erschreckt hab? Denkst du nicht, du übertreibst?“

„Nein. Hör gefälligst auf, an meinen Ohr zu knabbern.“

Robins Finger streicheln meine Brust, seine Lippen...

„Und meinen Hals küssen sollst du auch nicht.“

„Dafür sind Hälse da. Deiner ganz besonders“, säuselt er und küsst unbeirrt weiter.

Immer noch ein wenig verärgert drehe ich mich zu ihm um. Ein schwerer Fehler, weil er dermaßen niedlich lächelt, dass mir fast entfällt, warum ich sauer auf ihn bin.

„Penner. Ich hätte mir beinahe in die Hose gepinkelt“, erkläre ich und muss irgendwie selber drüber lachen.

„Sorry, das war echt gemein. Und wenn du möchtest, darfst du mir jetzt eine runterhauen. Aber...nenn mich niemals wieder Flachwichser, okay?“

„Hab ich das?“

„Na, und wie.“

„Kann ich mich nicht dran einnern. Weißt du, mein Gedächtnis spielt manchmal verrückt... jedenfalls seit du mich über den Haufen gefahren hast, um einen Freund zu bekommen“, grinse ich.

„Reib mir doch einfach alte Geschichten unter die Nase.“

„Ehrlich gesagt...“, ich rücke ein Stück näher, „würde ich mich gerne an dir reiben.“

„Flocke, du bist ekelhaft“, schüttelt er den Kopf.

„Weil ich Sex will?“

„Nicht hier.“

„Okay, dann fahren wir in meine Wohnung. Jetzt gleich.“

Robin verdreht die Augen. „Ist es so dringend?“

„Nee, dringend nicht, aber ich würd halt gern“, zucke ich die Schultern.

„Wir kennen uns grad mal vier Wochen.“

Ich hab ein Déjà vu...oder so ähnlich. Und leider bin ich doch einer, der mit ’nem Typen sofort in die Kiste springt. Mit Simon hatte ich nach drei Tagen schon Sex. Na und? Ist ja wohl nix dabei, wenn beide Lust drauf haben, oder? Der Exfreund hatte danach jedoch immer Lust, das ist mir nach einer gewissen Zeit total auf den Keks gegangen. Vermutlich hat er sich deshalb anderweitig orientiert. So ein Arsch! Ey, und ständig wollte der rumexperimentieren. Wahrscheinlich weil er sechs Jahre älter ist. Ich finde, ein Siebzehnjähriger muss noch keine Erfahrung mit Sexspielzeug haben.

„Lass uns trotzdem morgen in meine Wohnung fahren. Die Pflanzen sind sicher alle eingegangen und überhaupt will ich mal wieder meine eigenen Klamotten tragen.“


Die Pflanzen leben teilweise noch, sehen allerdings nicht besonders glücklich aus. Irgendwie ist es seltsam, nach vier Wochen meine Wohnung zu betreten. Es fühlt sich an, als wäre ich Jahre weg gewesen. Robin schüttelt den Kopf, als er mein riesiges Beatles-Poster im Flur sieht...und die Beatles-Poster im Wohnzimmer...nicht zu vergessen das Lennon-Poster über meinem Bett.

„Bist du dir ganz sicher, dass du mich willst und nicht meinen Vater“, grinst er. „Mann, der würde sich hier wohl fühlen. Was hast du gesagt...wie reich sind deine Eltern?“

„Stinkreich“, entgegne ich und stelle ihm ein Glas Mineralwasser auf die Theke, die die Küche vom Wohnbereich trennt. Eigentlich ist meine Wohnung gar nicht groß und/oder besonders luxuriös. Aber wenn man Robins Elternhaus dagegen betrachtet...naja, ich sag nur: Klofußumpuschelung in Altrosa und Nippesfigürchen im Wohnzimmerschrank! Der Anrufbeantworter zeigt fünfundzwanzig Nachrichten an. Neunzehn sind von Simon. Wo bist du...warum meldest du dich nicht...ruf mich an...ruf mich gefälligst an...verdammt, wo steckst du...wen auch immer du fickst, er kann nicht besser sein als ich...glaubst du echt, du könntest mich so einfach abservieren...schieb endlich deinen Arsch ans Telefon...wer ist der Freier, mit dem du vögelst...wenn ich dich erwische, bist du fällig. Und so weiter. Er hat nicht ein einziges Mal gesagt, dass er mich vermisst oder sich Sorgen macht. Da weiß man ja wohl spätestens jetzt, was man von der Kakerlake zu halten hat und was ich ihr bedeute. Übrigens sind die anderen Nachrichten von meiner Mutter und die fragt immerhin, ob was passiert ist.

„Netter Mensch, dein Ex“, bemerkt Robin, während ich bei meinen Eltern anrufe, um sie zu beruhigen.

„Ein Rattenköter“, bestätige ich, „oh, hi, Ma.“

„Gregor“, bollert sie.

„Sorry, dass ich mich so lange nicht gemeldet hab. Ich war die letzten Wochen bei einem Freund.“

„Wohnt der in der Wüste, wo es kein Telefon gibt?“

„Nee, am Westenfriedhof“, antworte ich.

Sie schnauft. Das tut sie immer, wenn sie gereizt ist und kurz vorm Ausflippen.

„Ähem...ich komme am Wochenende vorbei. Ist es okay, wenn ich jemanden mitbringe?“

„Simon?“

„Nein“, sage ich finster, „die Schweinebacke ist Geschichte. Ich hab jetzt einen neuen Freund.“

„Aha. Ist es normal, dass man in deinem Alter seine Freunde wechselt wie Unterwäsche?“

„Weiß nicht. Simon hat mich beschissen...sollte ich vielleicht lächelnd daneben stehen und ihm ein Kondom reichen?“

„Pass auf deinen Ton auf, Gregor, du redest mit deiner Mutter.“

„Sorry, Ma.“

„Simon hat ein paar Mal angerufen und wollte wissen, wo du steckst.“

„Ma, ich hab grad Besuch, können wir das am Wochenende besprechen? Beziehungsweise... können wir das bitte nicht besprechen? Simon hat sich, wie schon gesagt, erledigt.“

„In Ordnung. Ich muss wieder raus. Der Tierarzt ist da...wir bekommen Nachwuchs.“

„Toll, Ma. Bis dann.“

Robin sieht mich fragend an.

„Naja, ich wollte dich doch eh mal mitnehmen.“

„So wie Simon? Biste mit dem auch ins Heu gegangen?“

Hm, er ist eifersüchtig. Das ist ja...oh, das ist ja süß! „Nee, für solche Sachen ist der nicht zu begeistern.“

„Aber deine Eltern kennen ihn.“

„Könnte man so sagen. Meine Eltern sind mit seinen Eltern befreundet.“

Robin rutscht vom Barhocker und schlendert zum Fenster. „Großartig, und ich platze als neuer Schwiegersohn aus der Unterschicht in die Familienidylle der oberen Zehntausend.“

Von hinten schlinge ich meine Arme um ihn und schmiege mich an seinen Rücken. „Erstens interessieren sich meine Eltern einen Scheiß für irgendwelche Schichten und zweitens... werden sie dich lieben.“

„Woher weißt du das?“

„Weil dich jeder, der dich kennen lernt, toll findet.“

Er macht sich von mir los und setzt sich auf die Couch. Auf dem niedrigen Tischchen daneben liegt ein Foto, das ich eigentlich wegwerfen wollte...mein Unfall kam dazwischen.

„Ist er das?“

„Ja“, bestätige ich, nehme es ihm aus der Hand und zerreiße das Bild.

„Hübscher Kerl. Ist sicher gut im Bett.“

„Sogar sehr gut, technisch gesehen. Aber...“, ich setze mich auf seinen Schoß, „jeder Kuss von dir ist hundertmillionen Mal aufregender.“

„Sollte er irgend etwas unternehmen, um dich zurück zu kriegen, wird seine Visage nicht mehr so schön aussehen, wenn ich mit ihm fertig bin“, grummelt er und umarmt mich ganz fest.

„Oh Mann, Robin, ich lieb dich“, flüstere ich total überwältigt.


„Die Nächste links, immer geradeaus, dann sind wir da“, erkläre ich, während Robin ziemlich nervös am Lenkrad rumknibbelt. Ich hoffe, wir kommen lebend an, er fährt nämlich sehr rasant und für mich ist es kein Wunder mehr, dass er mich umgebrettert hat. Des weiteren hat er seltsame Vorstellungen von reichen Leuten. Beispielsweise fragte er, ob man beim Essen Anzug und Krawatte tragen müsse und er meiner Mama zur Begrüßung Blumen mitbringen solle. Ich erklärte ihm daraufhin, dass ein Knicks ausreichen würde. Leider war er nicht in Stimmung für Späße. Die riesige Einfahrt kommentiert er bloß brummelnd, aber als wir vor dem Haus parken ist er nervlich am Ende.

„Ach du Scheiße...sind die Pferde im Haus untergebracht oder wieso ist das so groß?“

Okay, zugegeben, das hier ist ein totaler Angeberkasten und auf dem Grundstück könnte man locker ein ganzes Dorf bauen. Naja, Pferde brauchen eben Platz. Mir bereitet etwas anderes Magenschmerzen. Neben den beiden Autos meiner Eltern steht ein schwarzer Sportwagen. Der gehört Simon.

„Mein Ex ist da.“

„Und überrascht uns das?“, fragt Robin spöttisch.

„Wir können sofort wieder fahren, wenn du möchtest. Ich ruf meine Eltern an und erkläre alles. Kein Problem.“

„Ist es für dich schwierig, deinen Ex zu sehen?“

„Ehrlich gesagt, hab ich keinen Bock, mich von ihm vertreiben zu lassen. Schließlich gehöre ich hierher. Er nicht. Also soll er sich doch verpissen.“

„Dann ist die Entscheidung gefallen“, entgegnet Robin und schnallt sich ab.

Das ist sie auf jeden Fall, denn in dieser Sekunde erscheint meine Mutter auf der Treppe.

„Hi, Ma“, begrüße ich sie und drücke ihr einen Kuss auf die Wange. „Das ist Robin, mein Freund.“

Meine kleine Maus wischt sich die Hand an der Hose ab. „Guten Tag, Frau Krämer.“

„Hallo, Robin“, lächelt sie und schüttelt seine Flosse, „wie nett, dich kennen zu lernen. Gehen wir doch rein. Ihr wollt euch vorm Essen sicher ein wenig frisch machen. Soll Hilde eines der Gästezimmer herrichten?“

„Nicht nötig, Ma. Er schläft bei mir.“

„Ja, natürlich. Also dann...bis später.“

„Sie hasst mich“, bemerkt Robin, während er sich mein Zimmer bekuckt.

Also eigentlich sind es zwei Zimmer. Und ein Bad. Alle drei Räume sind untereinander verbunden.

„Du hast Verfolgungswahn.“

„Wie sie mich schon angesehen hat...wie einen Eindringling. Und wer zum Teufel ist Hilde?“

„Die Haushälterin. Die macht prima heiße Zimtschokolade“, grinse ich.

„Was frag ich auch“, stöhnt er. „Vielleicht solltest du mir noch eben schnell beibringen, welches Besteck für welchen Gang benutzt wird. Sonst oute ich mich vor deiner Mutter völlig als Gesocks aus’m Ghetto.“

„Arbeite dich einfach von außen nach innen. Oder war es von innen nach außen? Egal. Wie man mit Messer und Gabel umgeht, weißt du doch wohl, oder?“

Robin setzt sich zu mir aufs Bett. „Also die Gabel jage ich deinem Ex in den Handrücken und das Messer ramme ich ihm ins Herz...nachdem ich alle anderen Organe serienkillermäßig perforiert habe.“

„Dann kann ja nichts schiefgehen“, lächele ich und küsse ihn.

Im Wohnzimmer sitzen meine Eltern bereits mit ihren Drinks. Und mit Simon, der sein selbstgefälliges Grinsen zur Schau trägt. Ich ignoriere den Penner.

„Paps, das ist Robin...Robin, das ist Paps.“

„Hallo...äh...guten Abend“, murmelt Robin schüchtern.

„Nabend, Robin...etwas zu trinken?“

Mein armer Freund wirft einen Blick auf die vielen Flaschen, die auf einem kleinen Wagen stehen. „Äh...“

„Wir nehmen Mineralwasser“, antworte ich und gieße zwei Gläser voll.

Simon hustet demonstrativ. „Schneidest du ihm das Fleisch auch gleich in mundgerechte Stücke?“

„Wieso nicht? Solange es deine Zunge ist, die auf dem Teller liegt.“

„Hilde hat sicher etwas gezaubert, von dem alle satt werden“, versucht Paps die Situation zu entspannen.

Das Essen verläuft relativ gesittet. Robin benutzt sein Besteck vorschriftsmäßig, obwohl ich weiß, dass er doch gerne Serienkiller spielen würde. Simon labert ununterbrochen von Geld und Aktien und wie der Kurs für was auch immer gerade steht. Ich glaube, der hat zu viel Wallstreet gesehen und hält sich für Michael Douglas höchstpersönlich.

„Robins Eltern gehört die Gärtnerei am Westenfriedhof“, sage ich, bevor einer mit der Frage, was seine Eltern beruflich machen, ankommen kann.

„Gregor, also wirklich“, tadelt Ma. „Was soll denn dein Freund von uns denken?“

Naja, dass es wichtig für sie ist, wie jemand sein Geld verdient.

„Es ist keine Schande, sich bei der Arbeit die Finger schmutzig zu machen“, behauptet Simon. „Du wirst doch sicher später auch mal im Dreck wühlen müssen, oder?“

„Ich beabsichtige, Jura zu studieren“, erklärt Robin.

Wow!! „Ernsthaft?“, frage ich überrascht.

Paps ist total beeindruckt. „Nun, dann hoffe ich, dass Sie schaffen, was sie sich vorgenommen haben, junger Mann. Ich selbst bin schrecklich gescheitert und hab das Jurastudium damals abgebrochen.“

„Allerdings hat mein Mann seine Werbeagentur praktisch aus dem Nichts aufgebaut. Und heute gehört sie zu den Besten.“

„Das war harte Arbeit und eine Menge Klinkenputzen am Anfang“, bestätigt Paps.

Mir ist das Thema peinlich. Robins Eltern sprechen nie über Beruf und Geld. Die fragen, wie man den Tag verbracht hat, ob es einem gut geht und man vielleicht noch ein Stück Erdbeerkuchen mit Sahne möchte. Und immer wuseln die einem durch die Haare und lächeln total herzlich. Meine Eltern sind irgendwie ekelhaft.

Nach dem Essen begibt man sich zu Kaffee oder Drink in den Salon, sprich: ins Wohnzimmer. Simon hält sich mit blödianistischen Kommentaren zurück, was ich sehr begrüße, weil ich ihm sonst an die Gurgel gehen würde! Paps erzählt Robin seine Jurastudium-Story, Ma beobachtet einfach nur. Ich denke, sie hat mir noch nicht verziehen, dass ich mich von ihrem Traumschwiegersohn getrennt habe. Kann schon sein, dass sie Robin mag, aber der Allerbeste ist eben Simon. Man sollte ihr das nicht übel nehmen, schließlich bin ich auch auf sein charmantes Getue reingefallen. Als Robin und ich uns höflich zurückziehen, schicke ich ihn schon mal nach oben und gehe in die Küche, wo Hilde noch rumwuselt. Hilde ist genauso wie man sich eine Haushälterin/Hauswirtschafterin vorstellt...eine ältere, dickliche Frau mit weißer Schürze.

„Willst du mir helfen?“, lächelt sie.

„Bring mich nicht in Verlegenheit, Hilde, du weißt, ich hasse abwaschen und aufräumen.“

„Dann was?“

„Wenn du es einrichten kannst, kochst du Robin und mir ein bisschen Zimtkakao?“

Sie trocknet ihre Hände ab und sieht mich an. „Hab ich eine Wahl?“

„Nein, es sei denn, du willst gefeuert werden“, lache ich.

„Droh mir nicht, verzogener Bengel, sonst reichere ich deinen Kakao mit Arsen an“, antwortet sie und lacht ebenfalls. „Einen hübschen jungen Mann hast du mitgebracht, ich muss schon sagen.“

Ich krieg sofort dieses dümmliche Grinsen, das Verliebte so drauf haben. „Hm-hm.“

„In einer halben Stunde kannst du den Kakao holen. Glaub bloß nicht, ich bring euch den auch noch ans Bett und lese euch eine Gutenachtgeschichte vor“, zwinkert sie.

„Danke, Hilde.“

Immer noch verliebt grinsend schwebe ich die Treppe rauf und treffe Simon.

„Möchtest du das kleine Spiel nicht langsam beenden?“

„Wovon redest du überhaupt?“, stöhne ich genervt.

„Du schleppst diesen Proleten an, um mir weh zu tun. Okay, es funktioniert. Jetzt schmeiß den Penner raus.“

„Ich hab überhaupt nicht vor, dir weh zu tun. Das würde voraussetzen, dass du mir irgendwas bedeutest. Und der Zug ist schon lange abgefahren. Warum kümmerst du dich nicht um den Typen, den du neulich nach Hause gebracht hast? Dem du deine Zunge in den Hals gesteckt hast?“

Er reißt überrascht die Augen auf. „Das ist der Grund für diese Show? Das hatte doch nichts mit uns zu tun. Ich weiß nicht einmal mehr seinen Namen.“

„Na, vielen Dank, jetzt geht’s mir echt besser. Außerdem ist es mir scheißegal. Du bist mir scheißegal.“

Er greift nach meinem Arm. „Das glaub ich dir nicht. Und der kleine Stricher da oben kann’s dir niemals besser besorgen als ich.“

Mann, mir platzt gleich der Kragen. „Sag mal, merkst du noch was? Es geht immer nur um Sex. Genau wie deine lächerlichen Nachrichten auf meinem AB. Du hast nicht ein einziges Mal gefragt, wie es mir geht. Oder auch nur angedeutet, dass du dir Sorgen machst, weil ich mich wochenlang nicht gemeldet habe. Findest du das normal?“

„Wieso hätte ich mir Sorgen machen sollen? Du hattest doch anscheinend viel Spaß mit deinem Proleten. Und soviel ich weiß, hast du immer sehr genossen, wenn ich dich gefickt hab.“

„Was anderes hab ich ja auch nie von dir bekommen.“

„Oh, ich wette, dein Gärtnerjunge überschüttet dich mit romantischen Liebeserklärungen, was? Aber bestimmt auch erst nachdem er erfahren hat, was für ihn dabei rausspringen könnte.“

„Weißt du, Simon, es gibt eine Bezeichnung für deinen Zustand. Man nennt ihn geisteskrank.“

„Also gut, ich gönne dir deine Affäre. Aber wenn du danach wieder bei mir vor der Tür stehst, wirst du dich verdammt anstrengen müssen, mich zu überzeugen, dich reinzulassen.“

„Warte lieber nicht drauf“, zische ich, hole den Kakao aus der Küche und gehe zu Robin.

„Ich kann nicht glauben, dass ich mit so einem Arschloch zusammen gewesen bin.“

„Liebe macht blind und blöd“, zuckt er die Schultern und löffelt die Sahne von seinem Getränk.

„Das war keine Liebe, das war Sportficken“, zitiere ich Brad Pitt.

„Hab ich mir schon gedacht, nachdem dein Ex mich vollgesülzt hat, als du in der Küche warst.“

Ich verbrenne mir prompt das Maul am heißen Kakao. „Er hat was?“

Robin schleckt seinen Löffel ab. „Ich soll mir bloß nicht einbilden, dass ich es mit ihm aufnehmen könnte...Flocke ist nur das Beste gewohnt und das bist du ja nun wirklich nicht...blablabla. Ich hab echt fest damit gerechnet, dass er mir Geld anbietet, damit ich aus deinem Leben verschwinde. Der Typ ist abgedroschener als ’ne Soap.“

„Ich töte Simon, sollte er noch mal mit dir reden.“

„Hast du Angst, er würde mir deine sexuellen Vorlieben aufzählen, während er mich herblassend als Proleten und Stricher bezeichnet?“

„Sag mal...hast du etwa gerade heimlich gelauscht?“

„Ein bisschen“, gibt er zu.

„Mäuschen gespielt, hm?“

„Du behauptest doch immer, dass ich eine Maus bin.“

„Allerdings“, nicke ich.

„Der arme Irre scheint sich absolut sicher zu sein, dass er dich wiederbekommt. Und ich frage mich...“

„Nee“, unterbreche ich ihn und stelle meine Tasse ab „das lässt du schön bleiben.“ Langsam ziehe ich ihn in meine Arme. „Du, kleine Maus, hast absolut nichts zu befürchten, okay?“

„Tut mir leid, aber ich bin meist gar nicht so selbstsicher wie ich tue. Schon gar nicht, wenn mir ein arroganter Schnösel mit dicker Brieftasche und schöner Visage den Freund stehlen will. Irgendwas Tolles muss ja an ihm dran sein, immerhin warst du mit ihm zusammen.“

„Simon ist wie ein Hochglanzmagazin. Hübsch anzusehen, aber kalt und glatt. Ungefähr genauso war unsere Beziehung.“

„Und ich bin dagegen der Schundroman, oder?“, grinst er schief.

„Du bist das Lieblingsbuch, das man immer wieder lesen will, weil es so schön und vertraut ist. Oder wie eine Geschichte, die dermaßen aufregend ist, dass du dich zwingen musst, sie ganz langsam zu lesen, weil du nicht möchtest, dass sie irgendwann zu Ende ist.“

„Du machst echt verschrobene Liebeserklärungen“, schüttelt er den Kopf.

„Ich finde, ich hab meine Gefühle total gut rübergebracht“, schmolle ich.

„Okay, also ich bin ein Buch. Magst du jetzt ein wenig in mir blättern?“

„Blödmann.“

„Du darfst mich aus meinem Schutzumschlag nehmen“, erklärt er und zieht sein Shirt aus, „und über meine Seiten streichen. Aber wehe du machst da Eselsohren rein“, giggelt er.

„Und bis wohin darf ich lesen?“

„Bis zur spannendsten Stelle“, lächelt er und küsst mich.


„Hab ich mal erwähnt, dass ich Pferde nicht mag?”

„Sowas darfst du hier nicht sagen“, antworte ich und tätschele meinem Liebling, Daredevil, den Hals, „besonders nicht, wenn meine Mutter dabei ist.“

„Du zwingst mich aber bitte nicht, auf eines dieser stinkenden Ungeheuer zu steigen, oder?“, fragt er beklommen.

Zwei Sekunden später betritt Ma den Stall. Im eleganten Reitdress, mit zurückgebundenen Haaren und...Simon im Schlepptau. „Wollt ihr ausreiten?“

Daredevil macht ein leises prrrrrrrrr-Geräusch und verspeist knirschend ein paar Stück Zucker.

„Aber nicht mit ihm. Der ist seit vorgestern verkauft.“

Geschockt starre ich sie an. „Verkauft? Wieso das denn? Du hast versprochen...“

„Daredevil geht nach England. Der Preis war mehr als in Ordnung und sieh dich doch mal um, wir brauchen den Platz“, zuckt sie die Schultern.

Wenn es nicht zu peinlich wäre, würde ich in Tränen ausbrechen. Das ist mal wieder typisch meine Mutter. Interessiert sie doch einen Scheiß, dass ich dieses Pferd gern hab.

„Ich hab dir immer gesagt, dass du dein Herz nicht zu sehr an eines der Tiere hängen sollst, Gregor. Aber um dich zu beruhigen...der neue Besitzer ist genauso in das Biest vernarrt wie du. Er wird es gut haben. Du weißt, wie sehr ich darauf achte, dass meine Goldstücke in vernünftige Hände kommen.“

Entschuldigung, aber meine Mutter ist eine dämliche Kotzkuh!!

„Also, junger Mann, haben Sie schon mal auf einem Pferd gesessen?“, wendet sie sich an Robin.

„Ähem...als Kind auf’m Pony. Das ist allerdings bloß im Kreis gelaufen.“

„Ich hab keine Lust mehr auf Reiten“, sage ich finster.

„Diesen Satz hab ich bis jetzt von dir noch nie gehört“, grinst Simon und zwinkert bescheuert.

Ma bemerkt die Anzüglichkeit offensichtlich nicht. Robin dagegen schon. Er setzt wieder seinen Serienkillerblick auf. Ich verabschiede mich einstweilen von meinem Liebling, greife nach Robins Hand und verschwinde mit ihm. Eine Weile schlendern wir schweigend umher, klettern über Zäune, bis wir schließlich vor der Scheune stehen, die zum angrenzenden Hof gehört.

Robin sieht mich an. „Ach du Scheiße, da braucht man ja nur mal kräftig pusten und alles fällt zusammen.“

Okay, das Teil ist echt verlottert, aber mir gefällt so etwas. Ich stehe auch auf verfallene Gebäude, Abrisshäuser und dergleichen.

„Sicher haben sich riesige Spinnen da drin schon ganze Städte gebaut“, brummelt Robin weiter, steigt dann aber doch nach mir die wacklige Holzleiter rauf.

„Wir können auch wieder zurück gehen und mit Simon plaudern“, erkläre ich und lasse mich ins Heu fallen.

Robin legt sich neben mich. „Lass mal. Sein Statement zum Thema ’Flocke reitet gerne’ hat mir gereicht.“

„Ich wünschte, wir wären nicht hergekommen“, zische ich. „Erst dieser Arsch mit seinem verblödeten Gelaber und meine Mutter...“

„Bist du traurig, weil sie den Gaul verkauft hat?“

„Es ist doch nicht nur das.“

„Was sonst?“

„Keine Ahnung. Wenn ich es weiß, sag ich’s dir.“

„Okay“, seufzt er, zieht sein Shirt ein Stück nach oben und präsentiert mir stolz seine Nippel.

„Warum tust du das?“

„Um deine Laune zu bessern.“

Langsam streiche ich mit meinem Finger über seinen nackigen Bauch. „Hör auf, so beschissen süß zu sein, wenn ich schmollen will.“

Robins Gesicht nähert sich meinem, aber ich drehe meinen Kopf zur Seite, weshalb seine Lippen auf meiner Wange landen.

„Komm schon, Flocke“, giggelt er und macht dämliche Knutschgeräusche, „nur ein Kuss auf deine kleine Schmollschnute, hm?“

Wie soll man sich gegen diese geballte Ladung Niedlichkeit wehren?! Ich küsse ihn wie verrückt. Wir knutschen, rangeln, bewerfen uns gegenseitig mit Heu, knutschen weiter, ziehen uns halb aus, bis Robin irgendwann auf mir sitzt.

„Großer Gott, Flocke! Ein bisschen Küssen, ein wenig anfassen und...“, seine Hand gleitet prüfend zwischen meine Schenkel, „schon gehst du ab wie Hulle, was?“

„Das musst du gerade sagen.“

„Ich denke, wir sollten das nicht zu weit treiben.“

„Dann geh runter von mir“, schnaufe ich.

Umständlich legt er sich neben mich und streichelt meinen Bauch. „Ich überlege gerade...“

„Wow“, unterbreche ich ihn grinsend, „bin beeindruckt.“

„Was passiert, wenn deine Eltern tatsächlich meine besuchen?“

„Hä?“

„Wenn sie Mamas Nippesfigürchen sehen und unser hässliches Haus...vielleicht sollten wir das Ganze filmen und als Dokusoap an RTL 2 verkaufen.“

„Du hältst meine Eltern für total versnobte Arschgeigen, oder? Bloß weil Simon eine ist und meine Mutter ihn mag.“

„Nee“, entgegnet er, „das ist wahrscheinlich bloß mein Minderwertigkeitskomplex. Ich hab bis jetzt noch nicht so häufig erlebt, dass sich ein Junge aus gutem Haus in mich verliebt.“

Irgendwie nervt mich das so langsam. „Hör auf, okay? Ich kann nichts dafür, dass meine Eltern mehr Geld haben als deine. Für mich spielt das keine Rolle.“

„Logisch nicht. Du musstest dir auch diesbezüglich nie Sorgen machen, oder?“

„Robin, was zur Hölle willst mir eigentlich sagen? Bin ich zu reich, um dein Freund zu sein, oder was?“

„Weiß nicht. Nein“, schüttelt er den Kopf, „ich möchte nur nicht, das deine Eltern vielleicht denken, was Simon denkt.“

„Simon hat in seinem ganzen Leben noch nicht gedacht.“

„Dass ich irgendwie versuche, einen Vorteil aus unserer Beziehung...“

„Halt den Rand“, unterbreche ich ihn völlig entnervt.

„Wie bitte?“

„Halt...den...Rand. Wenn nur so’n Schwachsinn aus deinem Mund kommt, lass ihn lieber zu. Oder...mach ihn bitte nur auf, damit ich meine Zunge reinstecken kann.“

Robin schaut mich einen Moment verdutzt an, dann öffnet er den Mund dermaßen weit, dass ich schlimme Kieferausrenkungen befürchte. Mit Maulsperre zum Arzt zu müssen wäre sicher unangenehm.

„Du bist ein Blödian, weißt du das?“, grinse ich.

Robins Mund klappt problemlos wieder zu. „Trotzdem magst du mich.“

„Nee. Ich bin dir mit Haut und Haaren verfallen.“

„Das trifft sich gut“, seufzt er und kuschelt sich an mich, „ich bin dir nämlich mindestens genauso verfallen.“

Ich weiß nicht wieso, aber Robins Geruch macht mich immer so...schwumselig. Ernsthaft, als hätte ich Drogen geschnüffelt. Allerdings ohne ätzende Nebenwirkungen. Dazu noch der Duft des Heus und seine Haut ist so...so...warm und weich und sahnig und phantastisch und perfekt. Meine Arme schlingen sich fester um seinen Körper.

„Ich krieg keine Luft“, nuschelt er.

„Wie wär’s mit Mund-zu-Mund-Beatmung?“

„Ich ertrinke nicht, Flocke, ich werde bloß zu Tode umarmt“, kichert er.

„Ich will dich trotzdem küssen.“

Robin hebt seinen Kopf von meiner Brust. „Hey...lass dich bitte auf überhaupt gar keinen Fall davon abhalten.“

Die nächsten drei bis vier Stunden knutschen wir wie die Blödmänner. Und ich schwöre, ich höre im Himmel John Lennon singen!

Leider stoppt der himmlische Gesang in dem Augenblick, als wir zum Haus zurück kommen und Simons Angeberkarre immer noch dick und fett da rumsteht. Wieso zum Arsch kann die Sau sich nicht endlich verpissen?! Wieso zum Arsch muss die Sau uns ausgerechnet jetzt über den Weg laufen? Breit grinsend und mit federndem Gang. Gott, ich hasse Simon. Kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen, dass ich den mal toll fand. Ich meine, okay, er sieht unwahrscheinlich gut aus. Das war’s aber auch schon.

„Ahhhh...die beiden Frischverliebten“, behauptet er und lächelt ein falsches Lächeln.

Ich will ihn ignorieren, aber da begriffelt er mich plötzlich. „Oh, wie süß...ihr seid im Heu gewesen, ja?“, stellt er fest, während er mir einige Reste aus den Haaren fischt.

„Kümmer dich um deinen Scheiß“, zische ich und flitsche seine Flosse weg.

„Das ist wirklich außerordentlich romantisch...ich wusste gar nicht, dass du neuerdings auf so einen lächerlichen Teenager-Kram stehst.“

„Ich bin ein Teenager.“

Er wendet sich an Robin. „Und, Gärtnerjunge...wie ist es so, mal in das Leben reicher Leute reinzuschnuppern?“

„Muss ich mich mit dem unterhalten?“, fragt er mich.

„Gewöhn dich lieber nicht dran. Flocke war schon immer von einem Spielzeug schnell gelangweilt.“

„Es ist nett, mit dir zu plaudern, aber...“, Robin greift nach meiner Hand, „Flocke und ich wollen jetzt ficken. Wenn du uns also entschuldigen würdest...“

Wow, was für eine böse, kleine anbetungswürdige Maus ich mir geangelt hab! Simon glotzt belämmert aus der Wäsche, während wir grinsend an ihm vorbeischlendern. In meinem Zimmer hab ich ihn schwuppdiwupp aufs Bett geschubst und mich auf seinen Schoß gesetzt.

„So...dann werden wir jetzt also ficken, richtig?“

Robin wird fürchterlich rot. „Ähem, eigentlich nicht. Eigentlich hab ich das nur gesagt, weil...“

„Weiß ich“, unterbreche ich ihn. „Aber wir könnten doch trotzdem ein bisschen...“

Robin schiebt meine Hände weg, die unter sein Shirt gewandert sind.

„Ich finde, wenn du ein Problem hast, sollten wir darüber reden.“

„Ich habe kein Problem.“

„Und warum willst du keinen Sex?“, frage ich.

„Und warum bist du so versessen drauf?“

„Weil ich verknallt bin...und scharf auf dich“, zucke ich die Schultern. „Entschuldige vielmals.“

„Mir...mir geht das jedenfalls zu schnell“, murmelt er.

„Okay, aber warum?“

Er sieht mich an, als hätte ich etwas sehr Schlimmes gefragt und ich komme mir vor, wie ein notgeiler Vollidiot.

„Weil wir uns kaum kennen?“, schlägt er vor. „Weil ich es nicht unbedingt wahnsinnig aufregend finde, Sex zu haben, wenn dein Exfreund hier rumläuft.“

„Als wir allein in meiner Wohnung waren, wolltest du aber auch nicht.“

„Wenn du’s nicht aushalten kannst, solltest du dir vielleicht einen anderen Typen suchen. Ein paar Türen weiter wartet einer.“

Der hat wohl einen an der Schüssel!! „Ich will aber dich, Blödmann.“

„Dann warte gefälligst, bis ich soweit bin“, brüllt er und schubst mich von seinem Schoß.

Zwei Sekunden später schlingt er seine Arme um mich. „Sorry. Ich wollte dich nicht anschreien.“

Ich glaube so langsam, er hat doch ein Problem.


Die letzte Woche bei meinen Eltern war...ganz okay. Simon hatte sich irgendwann vom Acker gemacht, Paps hatte Robin das Du angeboten und Ma versuchte wenigstens, sich Mühe zu geben...jedenfalls solange Robin in der Nähe war. Als sie mich eines Abends mal kurz allein erwischte, fing sie sofort an, mir Simon ein- und Robin auszureden.

„Du kennst diesen Jungen ein paar Wochen, Gregor. Was weißt du denn über ihn?“

„Hat Simon dir gesagt, Robin hätte es auf euer Geld abgesehen?“, fragte ich amüsiert.

„Natürlich nicht. Gregor, du tust Simon Unrecht. Er leidet schrecklich.“

„Und zwar an Idiotie“, entgegnete ich genervt. „Würde es dir was ausmachen, dich aus meinem Liebesleben rauszuhalten, Ma?“

„Überleg dir, was du wegwirfst“, forderte sie, „Simon hat eine glänzende Zukunft vor sich.“

„Wenn du unbedingt eine Tochter haben willst, du du unter die Haube bringen kannst, dann schaff dir um Himmelswillen eine an. Ich brauche niemanden heiraten, um versorgt zu sein.

Fühlst du dich vielleicht nicht ganz wohl, Mutter?“

„Es geht mir ausgezeichnet“, zischelte sie. „Ich verstehe nur nicht, warum...“

„Weil Simon ein Arschloch ist. Deshalb.“

Damit war dann das Gespräch beendet und das Thema zwischen uns sowieso. Ich meine, was soll der Scheiß? Plötzlich tut sie so, als wäre sie total an meinem Leben interessiert. Es hat mich echt nie gestört, dass meine Eltern sich nicht wie normale, liebevolle Eltern verhalten haben, wirklich nicht. Und ich war nie einer, der an Mamas Rockzipfel hing oder mit Papa viel Zeit verbringen wollte. Außenstehende mögen es vielleicht schrecklich finden, dass wir so unsentimental miteinander umgehen. Mir wäre es peinlich, wenn Ma und Paps plötzlich anfangen würden, mich zu umarmen oder sowas.

Jedenfalls sind wir jetzt wieder zu Hause, also bei Robin, und die Ferien sind vorbei. Der letzte Ferientag ging mit einem wahnsinnigen Kälteeinbruch einher. Es ist mindestens zehn Grad kälter geworden. Das ist natürlich einerseits okay, weil halt die Schule wieder anfängt und da ist es latte, ob’s draußen regnet, schneit oder sonst was. Andererseits war der Sommer mit Robin so unglaublich schön und viel zu kurz. Ich will doch einfach nur weiter mit ihm in der Sonne liegen und knutschen. Naja, was soll’s?! Zusammengekuschelt bei Kerzenschein Zimtkakao trinken hat schließlich auch seinen Reiz. Das nur mal eben zum Wetter. Es ist nämlich leider so, dass morgen wieder der so genannte Ernst des Lebens beginnt, den ich persönlich verabscheue. Ma sagt immer, ich soll froh sein, dass ich noch zur Schule gehen darf. Des weiteren erklärt sie mir andauernd, wie gut ich es habe, dass ich nie so hart werde schuften müssen wie Paps. Und ständig wollen alle wissen, was ich nach dem Abi studieren will. Ey, woher zum Fuck soll ich das wissen? Ich weiß noch nicht einmal, welche Klamotten ich morgens anziehen soll, okay?! Ernsthaft, ich hab tatsächlich niemals so weit im Voraus gedacht, geschweige denn geplant. Ich kann mich unmöglich entscheiden, womit ich die nächsten vierzig Jahre mein Geld verdienen möchte. Allein der Gedanke daran ist vollkommen absurd. Als Kind wollte ich Pirat werden. Ein bisschen will ich das auch heute noch, aber leider ist das kein Ausbildungsberuf. Und studieren kann man das sicher auch nicht, obwohl man inzwischen doch nun wirklich jeden Scheiß studieren kann. Also ich bin total planlos und hab nicht die geringste Ahnung, was aus mir werden soll. Ich werde wieder in meine blöde Wohnung zurück müssen, Robin den ganzen Tag über bloß kurz auf dem Schulhof sehen, ihn am Nachmittag mit irgendwelchen Freunden teilen müssen, allein in meinem Bett schlafen und am nächsten Tag geht alles von vorn los. Aus diesen ganzen Gründen hasse ich den Ernst des Lebens und finde, ich habe sehr Recht damit! Robin dagegen scheint das alles ziemlich locker zu sehen. Ich befürchte, er freut sich sogar auf seine Freunde. Da ist ja auf den ersten Blick nichts Falsches dran, auf den zweiten Blick allerdings erkennt man, dass wir erschreckend wenig Gemeinsamkeiten haben. Klar, wir sind verliebt und mögen beide Erdbeerkuchen mit Schlagsahne, haben einen ähnlichen Humor und so. Aber im Gegensatz zu mir hält er soziale Kontakte für total wichtig. Ich kann die Leute aus der Schule ganz gut aushalten, möchte die jedoch keinesfalls bei mir auf der Matte stehen haben. Die Typen, die ich durch Simon kennen gelernt habe, bewegen sich alle in einer völlig anderen Welt als ich. Für die gibt’s nur Geld, Sex und Erfolg. So langsam beschleicht mich das Gefühl, ich passe nirgendwo richtig hin. Daran sind logischerweise meine Eltern Schuld, die mich dermaßen zur Selbstständigkeit erzogen haben, dass ich überhaupt niemanden brauche.

Natürlich erkenne ich das erst jetzt, wo ich mich verliebt habe und Robin mir in ein paar Wochen schon so verdammt wichtig geworden ist, dass ich keine einzige Sekunde mehr ohne ihn sein will. Das geht mir super auf den Geist, weil ich mir wie eine beschissene Klette vorkomme und Kletten werden immer irgendwann verlassen.

„Was’n los?“

„Nichts“, behaupte ich und werfe meine Snoopy-Socken in die Tasche.

„Ganz schön komisch, nach vier Wochen wieder allein zu schlafen.“

Danke, dass du mich noch mal dran erinnerst!

Robin hält ein Stück Kopfkissen an seine Nase. „Mmmhhh...aber wenigstens riecht das nach dir. Dann hab ich nachher nicht gar so große Sehnsucht.“

„Wir sehen uns doch morgen in der Schule“, sage ich, als hätte ich mit Sehnsucht nicht im Entferntesten zu tun.

„Trotzdem wird es mir fehlen, mit dir einzuschlafen“, zuckt er die Schultern.

Ich könnte mich jetzt heulend in seine Arme werfen, aber was würde das ändern? Ich meine, das würde alles noch schlimmer machen. Und außerdem ist das hier ja kein Abschied für immer. Es ist nicht so, dass einer von uns beiden gleich stirbt oder ins Ausland geht. Meine Güte, Flocke, reiß dich zusammen!!

„Dir scheint das irgendwie nicht so viel auszumachen“, fügt er etwas enttäuscht hinzu.

Buahahaha...ich geh hier grad kaputt, du dumme Nuss!

„Was erwartest du? Dass ich heulend zusammenbreche?“

„Nee“, entgegnet er finster, „aber ein kleines bisschen traurig könntest du schon sein, finde ich. Schließlich sind wir verliebt und da ist es ja wohl normal, dass man sich vermisst, oder?“

„Tu ich doch.“

„Dann schieb gefälligst deinen Arsch hier rüber und zeig’s mir, verdammt noch mal.“

Schwupps hab ich mich an ihn geklammert und küsse ihn wie verrückt.

„Schon besser“, lächelt er. „Und jetzt sag mir, dass du mich lieb hast.“

„Ich hab dich lieb“, antworte ich völlig willenlos. Wenn Robin mich anlächelt, verliere ich meist ziemlich den Verstand und Herr meiner Sinne bin ich schon gar nicht mehr.

Giggelnd tätschelt er meinen Kopf. „Braver Junge.“

Nachdem Robin mich gentlemanlike nach Hause gefahren hat und wir uns ungefähr eine Stunde voneinander verabschiedet haben, fühle ich mich...ich weiß gar nicht, was ich mit mir anfangen soll und nicht einmal mein geliebter Lennon kann mich aufheitern. Simon hab ich nie so schrecklich vermisst. Obwohl ich anfangs irre verknallt war. Überhaupt hat es mir nie etwas ausgemacht, allein zu sein. Jetzt grad allerdings halte ich es kaum aus. Naja, ich schätze, es ist alles nur eine Frage der Gewöhnung. Immerhin hatte ich die ganzen Sommerferien eine Familie, und da ist es doch logisch, dass die einem fehlt, oder? Kein Grund zur Panik. Und schon gar kein Grund, sich in einen verfluchten Jammerlappen zu verwandeln.

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