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Ordinary
Teil 2
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Tim erkannte mich auch direkt, wurde dann ein wenig verlegen und verzog sich direkt wieder in die Kabine. Der andere Typ stand immer noch in meine Blickrichtung und konnte damit nichts anfangen. Erst schaute er fragend in meine Richtung, dann drehte er sich einmal um, aber seine Toilettenbekanntschaft war verschwunden. Verwirrt schüttelte er den Kopf und verschwand wieder an die Bar. Diesmal jedoch alleine.
Ich hatte mich zum Glück ziemlich schnell wieder gefasst, zumindest nach außen hin und ging wieder zu David. Der bemerkte erst gar nicht, dass ich wieder zurück war. Stattdessen funkelten seine Augen immer größer in Richtung Thomas. Mir war das auch erst mal ganz Recht, so hatte ich wenigstens die Chance wieder zu Ruhe zu kommen.
So saß ich einfach auf meinem Barhocker und konnte immer noch nicht ganz fassen, was eigentlich geschehen war. Von der Welt um mich herum bekam ich nicht wirklich viel mit, an meinem Ohr hörte ich immer nur ein "Bla, Bla, Bla". Nichts, was ich verstanden hätte.
Statt mich wieder zu beruhigen, stieg in mir die Wut auf. Es hatte endlich klick gemacht und auch ich realisierte endlich, dass ich mich mal wieder in einen Typen verrannt hatte, für den ich nicht mehr war, wie ein kleines Abenteuer. Vorhaltungen konnte ich ihm eigentlich nicht machen, er hatte nie behauptet in mich verliebt zu sein oder mehr mit mir zu wollen außer Sex. Das Einzige, was man im ankreiden kann, und dieses dann kräftig, dass er mich belogen hat. Er wusste schließlich, dass ich mich so nach und nach in ihn verguckt hatte, dennoch hat er mir nicht reinen Wein eingeschenkt, sondern hielt mich für zwischendurch lieber warm, bzw. hatte er dieses versucht und damit eine Bruchlandung hingelegt.
Ich starrte die ganze Zeit nur Löcher in die Luft, während vor meinem inneren Auge Rachepläne geschmiedet wurden, die zum Glück nie zum Einsatz kamen. Irgendwann sah ich Tim dann auch, wie er von den Toiletten wiederkam, den Blick stur geradeaus gerichtet und in einer gespielten Lockerheit, die eher verkrampft wirkte, in Richtung Ausgang schlenderte und dann auch letztendlich verschwand.
"Arschloch", entfuhr es mir gedankenverloren und vier Augen waren auf einmal auf mich gerichtet. "ÄHm, keiner von euch, schon gut!"
"Wieso was denn lo...", wollte David nachfragen, doch er konnte die Frage nicht zu Ende stellen, da etwas, bzw. jemand gegen meinen Tisch krachte.
Glucksend und vor sich her lallend, saß da jetzt jemand auf seinem Hintern vor uns, während wir uns nur mit Glück vor den umkippenden Kölsch retten konnten.
"Ich wusste gar nicht, dass ich so besoffen bin!", grinste dieser jemand in die Richtung eines Mannes. Das Komische war nur, dass der Mann selbst so um die 45 Jahre alt und vollkommen nüchtern war, während der Kichernde gerade mal 20 Jahre alt und sternhagelblau war.
"Geht es?", fragte ich den immer noch Kichernden und hielt ihm meine Hand hin, um ihm wieder hoch zu helfen.
"Klar, doch kein Problem, so betrunken bin ich hoffentlich noch nicht, dass ich nicht einmal selbst aufstehen könnte", erwiderte er, während er sich versuchte hoch zu rappeln. Er stellte eine Hand hinter sich in die Bierlache, um sich so hoch zu wuchten. Aber er war schon so betrunken, dass dieses nicht mehr klappte. Er nahm zu viel Schwung und kippte im selben Moment nach vorn über.
"Hoppala, nicht so eilig." Zum Glück stand ich unmittelbar in seiner Nähe, um ihn davon abzuhalten, direkt auf das Gesicht nach vorne zu krachen.
"Komm, lass dir helfen." Ich griff ihm unter die Arme und zog ihn erst mal zu mir hoch. Er roch nach Schweiß und Alkohol. Eine Kombination, die ich bis heute nicht ertragen kann. Und von seiner Hand tropfte noch das Bier aus der Lache, die sich noch immer über den Fußboden erstreckte.
"Geht schon, ich wollte doch nur zur Toilette." Mit seinen Händen drückte er sich von mir frei, um im selben Moment wieder mit seinen wackeligen Beinen zusammen zu brechen.
"Komm, lass dir helfen." Ich fasste ihm erneut unter die Arme und zog ihn zurück auf die Beine. Seinen linken Arm legte ich mir über die Schulter, so dass ich ihn besser abstützen konnte. Auf dem kurzen Weg torkelten wir noch näher an dem anderen Mann vorbei, der uns belustigt zuschaute. Das größte Problem bestand jetzt jedoch, die Treppe hinunter zu kommen. Diese war schmal und vor allem die Stufen recht rutschig.
"Greif da drüben mal ans Geländer und halte dich bei jedem Schritt fest und ich halte mich auf dieser Seite fest, damit wir nicht glatt weg herunter krachen."
"Ach, das kriegen wir schon hin", grinste er mich an und ich roch seinen fauligen Atem, der jeden Narkosearzt ersetzt hätte.
Schritt für Schritt stiegen wir vorsichtig die Treppe hinab und wie durch ein Wunder passierte nichts. Kein Ausrutscher, nicht einmal ein kleiner Stolperer.
"Siehst du, sind wir nicht gut,", lallte er mich an, "wir sind noch heil und ich kann endlich auf Toilette!" Und damit begann die nicht ganz so angenehme Aufgabe. Wie hätte er alleine auf Toilette gehen können? In eine Kabine auf keinen Fall, da hätte er sich vielleicht noch selbst vollgepinkelt und wäre letztendlich in seinem eigenen Sud eingeschlafen, und Pissoir ging auch nicht wirklich, da er dann zu schnell das Gleichgewicht verloren hätte. Man konnte ihn ja jetzt kaum loslassen, ohne dass er um kracht.
So kam ich auf die grandiose Idee, ihn dabei festzuhalten. Ich verdrehte innerlich die Augen, warum ich dieses eigentlich mal wieder machte, aber ihn hier jetzt einfach liegen zu lassen, war auch nicht mein Ding.
Ich schob ihn in Richtung Pissoirs und platzierte ihn genau davor.
"So, jetzt kannst du direkt vor dich."
"Wie, willst du mir dabei zuschauen? Stehst wohl darauf?", lachte er höhnisch.
Jetzt mit ihm anzufangen zu diskutieren, hätte sowieso nichts gebracht, also verdrehte ich nur erneut die Augen und nahm den Spruch hin.
"Nu beeil dich, gerade angenehm ist das nicht wirklich", erwiderte ich dann doch noch auf seinen Spruch.
Ich fasste ihm um die Hüfte, während er begann sein Geschäft zu verrichten. Einige Momente später kam ein entspannter Seufzer. "Das tat gut", war sein Kommentar darauf. Und ich fragte mich im selben Moment, ob ich auch so peinlich wäre, wenn ich mal besoffen war.
Und jetzt kam wieder der schwierige Weg die Treppe hinauf. Dieselbe Methode, ich hielt mich an der einen, er an der anderen Seite fest, doch diesmal lief es nicht ganz so unproblematisch ab. Auf der letzten Stufe rutschte er aus und fiel nach unten. Aber Betrunkene haben ja irgendwie immer Glück und so schaffte er es noch, sich mit der einen Hand abzufangen, während ich versuchte ihn zu halten. Und so schnitt er sich nur an einer Scherbe, die am Boden lag, in die Hand.
"Zeig mal her", forderte ich ihn auf und wickelte um seine blutende Hand ein frisches Tempo. Das sah viel schlimmer aus, als es eigentlich war. Dennoch hatte ich jetzt die Möglichkeit ihn hier ganz raus zu lotsen, damit er sich heute nicht noch um den Verstand säuft oder gar mit dem anderen Typen verschwindet.
"Weißt du noch, wie du zu dir nach Hause kommst?", fragte ich ihn.
"Klar, ich muss nur ein paar Stationen mit der U-Bahn Richtung Ehrenfeld. Wieso?"
"Ich glaub einfach mal, dass es im Moment für dich am Besten wäre, wenn du jetzt einfach nach Hause fährst und dich ausschläfst?", schaute ich ihn fragend an.
"Kommst du denn dann wenigstens mit?", grinste er mich an.
"Klar, ich glaub kaum, dass du jetzt überhaupt nur einen Schritt vor den anderen alleine machen kannst."
"Glaubst du, soso, na dann lass uns verschwinden. Ich brauch nur noch schnell meine Tasche, die hängt dort unterm Tresen." Er deutete in die Richtung des älteren Mannes. "Und vor allem muss ich mich noch bei ihm bedanken, er hat mir heute schließlich so viel spendiert", strahlte dieser jemand neben mir, wie ein kleines sorgloses Kind.
"Ob das wirklich ein Grund ist zum Bedanken", murmelte ich mir in den Bart.
"Was hast du gesagt?", fragte er nach.
"Ach nichts, schon gut."
"So Peter", begann er sich zu verabschieden, als wir vor dem Mann standen. "Ich glaub, ich werd dann mal nach Hause. Ich bin wohl schon zu betrunken, um hier noch wirklich etwas mitzubekommen."
"Aber ... wolltest du nicht ...?", wollte dieser Peter nachfragen.
"Nein, wollte er nicht", antwortete ich freundlich an Stelle von dem Namenslosen.
Mit der einen Hand griff ich nach der Tasche und hing mir diese um den Hals und zog den Betrunkenen an meiner Seite wieder weg. Auf große Gespräche und Diskussionen mit so jemandem hatte ich jetzt wirklich keine Lust mehr.
Dieser drehte den Kopf noch einmal zur Seite und rief Peter ein Tschööö zu, immer noch nichts ahnend, was dieser eigentlich mit ihm vorhatte.
Wir gingen, beziehungsweise ich zog ihn eher noch einmal in Richtung David und Thomas, die immer noch zusammen in einer Ecke standen und sich unterhielten. Irgendwie waren die beiden schon süß, so zusammen.
"Ich werd diesen jemand hier dann auch erst mal nach Hause bringen, damit ihm nicht noch mehr geschieht. Sorry, dass wir heute kaum miteinander reden konnten. Aber wir telefonieren, ok?", fragte ich in Richtung David.
"Klar, kein Problem. Spiel du heute mal noch ein bisschen Mutter Theresa. Ich bleib ja nicht alleine zurück. Mach's gut. Ich ruf dich morgen an", erwiderte David nur noch schnell und von Thomas kam nur ein kurzes Tschö. Er sah mich einfach nur verwundert an und konnte nicht verstehen, was ich mit diesem Betrunkenen zu schaffen hatte.
Und für das Mutter Theresa wird David noch büßen müssen, schwor ich mir insgeheim.
Dieser Betrunkene und ich torkelten in Richtung Ausgang, mit einem Schwung drauf, wie ein Frachter bei Sturm auf hoher See. Er war kaum noch zu steuern und so musste ich jeden Wackler, jedes Torkeln mitmachen. Und in so einem Laden war das nicht gerade angenehm, da ich mir morgen wieder von jedem erzählen lassen muss, wie betrunken ich doch gewesen sein musste.
Zum Glück waren wir irgendwann endlich durch die Tür und wurden von der frischen, warmen Nachtluft fast erschlagen. Aber es tat gut, die Lunge mal wieder frische Luft spüren zu lassen und nicht diese stickige, stinkende Luft in der Kneipe.
Und genau in dem Moment ließ jemand unmittelbar neben meinem Ohr einen lauten, stinkenden Rülpser ab. So langsam wurde es wirklich richtig widerlich, aber da musste ich jetzt durch. "Komm weiter", forderte ich ihn auf und gemeinsam torkelten und schwankten wir in Richtung U-Bahnhaltestelle.
Dieser Weg wirkte unendlich und kam einem Abenteuerurlaub gleich. Jedes Mal, wenn wir über eine Straße gehen mussten, stieg mein Puls ins Unermessliche, denn so langsam wurde er nicht mal annähernd berechenbar.
Zum Glück geschah nicht wirklich etwas. Vielmehr trabte er mehr schlafend neben mir her, und bekam jetzt wohl gar nichts mehr mit. Erst kurz vor der U-Bahnstation schreckte er plötzlich einmal hoch, bog sich zur Seite und kotzte einmal kräftig in die Büsche.
‚Leckerer Abend’, dachte ich so in meinem Kopf. Erst dieser fiese Alkohol-Schweiß-Geruch, dann der dicke Rülpser, inklusive Alkoholfahne, und jetzt auch noch das. Egal, jeder darf mal derartige Ausritte haben, solange sie nicht zum Regelfall werden.
Zum Glück erwischte ich ihn noch gleich mit dem ersten Griff um die Hüfte, sonst wäre er wohl auch hier in sein Erbrochenes gefallen.
"Geht’s wieder?", fragte ich nach einer Weile, als nichts mehr kam und strich ihm dabei vorsichtig über den Rücken. Und direkt mit dieser Frage, würgte er noch einmal die letzten Reste aus seinem Magen hoch.
Wir standen wohl noch einige Zeit in dieser Stellung wortlos da, bis er und vor allem auch sein Magen sich irgendwann beruhigt hatten. Er stellte sich wieder auf und ich reichte ihm ein Taschentuch, um sich den Mund sauberzumachen.
"Danke", kam es jetzt nur leise von ihm. Seine enthusiastische Stimmung war mit einem Mal verflogen und stattdessen wirkte er einfach nur noch wie ein Häufchen Elend. Seine Augen waren rot unterlaufen, sein Gesicht kreideweiß und unter den Augen bildeten sich tiefe dunkle Ringe.
"Hey, alles ok?", strich ich ihm vorsichtig über den Hinterkopf. "Wohin musst du denn jetzt genau fahren?"
"Venloerstraße ...", erklärte er mir den Weg, soweit er dieses noch konnte, und irgendwie schaffte ich es jetzt auch zu verstehen. Sogar, wo in etwa seine Wohnung lag. Er stützte sich dann wieder auf meine Schulter und wir fuhren diesmal mit dem Fahrstuhl hinab. Auf das Abenteuer Treppe hatte ich diesmal keine Lust.
Dieses Mal hatten wir sogar richtig Glück. Genau in dem Moment, als wir unten ausstiegen, fuhr eine U-Bahn in seine Richtung ein. Ich hievte ihn in die Bahn auf einen Platz und setzte mich neben ihn, damit er dort nicht auch noch zur Seite kippt, denn kaum saß er, so war er auch schon eingeschlafen und bekam gar nichts mehr mit.
Nur ab und an, wenn die Türen aufgingen, schreckte er hoch, um im gleichen Moment wieder einzuschlafen. Und auch ich hatte jetzt endlich mal die Gelegenheit durchzuschnaufen und mich zu fragen, was ich hier eigentlich tat und ich wusste es immer noch nicht. Anscheinend half ich ihm wohl, um später auch mal Menschen zu haben, die mir dann in einer ähnlichen Situation genauso behilflich sind.
Leise säuselte Mr. Unbekannt neben mir vor sich hin, bis wir letztendlich dann seine Station erreichten. Kurz vorher machte ich ihn durch ein leichtes Rütteln wieder wach, bzw. soweit ansprechbar, dass er wieder gehen konnte. Wir stiegen aus der Bahn und ich hatte ihn wieder auf meiner Schulter hängen.
Zum Glück war es von dort aus nicht mehr sehr weit. Nur noch etwa vier Minuten durch die Straßen torkeln und schon standen wir vor dem Eingang. Diesmal war es auch gar nicht so schlimm, anscheinend sank sein Alkoholspiegel wieder, nachdem er vorhin einen Großteil ausgekotzt hatte.
Und jetzt standen wir halt vor seiner Tür. Sein Kopf hing nur noch nach vorne runter, schaute auf seine Füße, die bis eben noch über den Asphalt schlurften.
"So jetzt bräuchte ich mal die Schlüssel!" Ohne zu antworten oder auch nur den Kopf zu heben, griff er mit einer Hand in seine Hosentasche und gab mir nahezu gleichgültig die Schlüssel. Und wieder hing er regungslos, wie ein Stein, an meiner Schulter.
Ich wagte es dann auch gar nicht erst, zu fragen, welcher dieser Schlüssel denn nun für die Haus- und Wohnungstür wäre. Ich probierte also einfach alle durch. Und irgendeiner öffnete dann auch letztendlich die Tür. Und die nächste Hürde kam auf uns zu.
"Welche Etage müssen wir?", musste ich jetzt dann doch fragen.
Er antwortete nicht, sondern zog mich diesmal in Richtung Fahrstuhl und dort hinein und wählte einfach die Nummer, so musste er wenigstens nicht sprechen. Schien ihm im Moment richtig schwer zu fallen.
Oben angekommen, zog er mich jetzt zu seiner Wohnungstür und blieb mit mir wortlos davor stehen, immer noch auf meiner Schulter hängend.
Ich probierte wieder einen Schlüssel nach dem anderen, bis auch glücklicherweise hier einer das Schloss zum Öffnen brachte. Wir traten in einen kleinen Flur hinein und im selben Moment, als ich hinter mir die Tür zuschnappen ließ, ging eine Zimmertür auf und durch diese kam ein vollkommen verwuschelter und verschlafener Kai nur mit Boxern bekleidet, der seine kleinen Augen auf uns richtete. Erstaunt schaute er mich an, was ich denn hier täte und wanderte mit seinem Blick weiter zur nächsten Person, die im gleichen Moment, einige Schritte auf ihn zumachte und Kai weinend um den Hals fiel.
Mit einem Satz war Kai vollkommen wach und schlang seine Arme um ihn.
"Ist schon gut, Kleiner!", flüsterte er für mich fast nicht hörbar in sein Ohr und strich ihm mit den Händen immer wieder über den Rücken, während der Namenslose sein Gesicht an Kais Brust drückte und vor sich hin schluchzte. In diesem Moment kam ich mir absolut fehl am Platz vor, am liebsten wäre ich jetzt einfach wieder gegangen und hätte das alles vergessen. Schließlich gab es ja jetzt eine Person, die sich weiter um ihn kümmern würde.
Doch Kai deutete mir zu bleiben, noch ein paar Momente.
Ich blieb also stehen, während die beiden dort eng umschlungen dastanden. Nach einer Weile wurde das Schluchzen leiser und Kai zog ihn hinter sich her in eines der Zimmer. Ich blieb jedoch wie angewurzelt stehen und wartete weiter ab. Ich hörte nur ein leises Knarren, ab und an ein Rascheln und ein paar Momente später kam Kai alleine aus dem Zimmer und verschloss es hinter sich.
"Komm!", flüsterte er in meine Richtung und ging voraus in die Küche.
"Setz dich erst mal, muss ein harter Abend, bzw. eine harte Nacht gewesen sein!", versuchte er vorsichtig ein Gespräch aufzubauen.
"Oh ja. Wie heißt er eigentlich?", kam ich endlich dazu, zu fragen.
Und Kai musste dann erst mal herzhaft lachen. "Wie, du weißt nicht einmal wie er heißt?"
Ich schüttelte nur etwas verwirrt den Kopf.
"Und wieso bringst du ihn dann hierher? Willst du 'nen Kaffee?", fragte er danach in einem ernsteren, aber immer noch amüsierten Ton.
"Wieso? Keine Ahnung. Er ist mir betrunken vor die Füße gefallen und bevor er sich dann noch alle Knochen bricht oder von irgendeinem Mittvierziger abfüllen und dann mit nach Hause nehmen lässt, hab ich ihn lieber unter meine Fittiche genommen", antwortete ich allumfassend.
"War er schon wieder so voll?", fragte Kai gedankenverloren, während er nebenbei die Kaffeemaschine zum Laufen brachte. Ich nickte nur stumm und seine Reaktion darauf war nur ein heftiges Kopfschütteln.
"Passiert das denn öfter mit ihm? Seinen Namen hast du mir immer noch nicht verraten."
"Florian, bzw. Flo. In letzter Zeit leider immer häufiger. Er hat aber immer irgendeinen Schutzengel, der es schafft, dass er es sonst immer heil nach Hause schafft. Heute hatte er dich als Hilfe."
"Heute wäre er sonst auch nicht alleine nach Hause gekommen. Zumindest nicht heil."
"So schlimm?", fragte Kai nach.
"Ja leider. Zu Anfang musste ich sogar mit ihm zur Toilette gehen, da er nicht einmal mehr stehen konnte."
Deprimiert und traurig ließ Kai den Kopf hängen und goss im gleichen Moment den Kaffee ein und setzte sich mit dem Kaffee wieder zu mir.
"Du siehst aber auch ziemlich mitgenommen aus." Und deutete dabei auf mein Shirt, das vollkommen verschmutzt war. Teilweise konnte man auch noch die Handumrisse erkennen, die darauf gepatscht hatten.
"Wofür hat man eine Waschmaschine, bzw. für die Müdigkeit ein Bett?", antwortete ich knapp.
"Ich glaub, da wird der Kleine so einiges wieder gutzumachen haben!"
"Ach Blödsinn. Er kann nur mal darauf achten, dass er andere auch so behandelt, wenn diese ihm sturzbetrunken vor die Füße fallen und nicht mehr zurechnungsfähig sind."
"Altkluge Mutter Theresa", grinste er mich an.
"Nicht auch noch du!", grummelte ich vor mich hin und nahm lieber einen Schluck vom Kaffee, wobei ich mir natürlich gleich den Gaumen verbrannte
"Ganz ruhig! Nicht so gierig!", schmunzelte Kai.
"Das ist nicht witzig!", fauchte ich mit kleinen Tränen in den Augen zurück und musste dann auch schon loslachen. Anscheinend muss ich 'nen ziemlich dämlichen Eindruck hinterlassen haben.
"Nein, natürlich nicht!", musste Kai jetzt richtig loslachen.
"Was hast du jetzt eigentlich mit Flo gemacht?", fragte ich nach.
"Den hab ich erst mal ins Bett verfrachtet. Der soll sich erst mal ausschlafen, bevor der morgen seinen Kater genießen darf!"
"Oh ja, den wünsch ich ihm auch. Den hat er sich für den Abend so richtig verdient. Aber er musste eigentlich schon genug leiden. Zum Glück ist er nicht mit diesem Peter mit!"
"Peter?", hakte Kai nach.
"Dieser Mitte-Vierzig-Jährige, der wohl dafür verantwortlich ist, dass Flo so besoffen ist."
"Mein Gott, kann man den nicht mal für zwei Momente aus den Augen lassen?", wurde Kai so langsam wütend.
"Naja, so was passiert leider des Häufigeren. Gerade mit Frischlingen."
"Inwiefern Frischlinge?", stutzte Kai.
"Leute, die das erste Mal mit der Szene in Berührung kommen und dann erst mal nicht wissen, wie es dort abgeht. Fallen halt schnell auf derartige Leute herein, die sie nur in die Kiste zerren wollen."
"Ach, so meinst du das. Sieht man ihm denn an, dass er noch so unerfahren ist?"
"Schon noch, irgendwie."
"Hätte ich ihn doch nicht nach Köln holen sollen", murmelte Kai vor sich hin. Bevor er wieder an seinem Kaffee nippte und zum Fenster hinausschaute, durch das die ersten Sonnenstrahlen des Tages fielen. Ich ging nicht weiter auf seine letzten Worte ein, sondern trank lieber meinen Kaffee zu Ende, um mich dann auch so langsam auf den Weg zu machen.
Ich merkte so langsam, wie sich auch bei mir die Anspannung löste und die Müdigkeit kam.
"Ich werd dann jetzt mal los. So langsam muss ich auch ins Bett!", sagte ich nach einiger Zeit, in der wir uns beide nur anschwiegen und jeder für sich gedankenverloren aus dem Fenster schauten.
"Oh ja, klar. Du könntest natürlich auch hier in meinem Bett schlafen, dann verkrieche ich mich so lange zu Flo, oder aufs Sofa. Wobei, im Moment lieber aufs Sofa, so wie Flo nach Alkohol und Schweiß riecht." Bei diesen Worten legte er die Stirn in Falten und rümpfte leicht die Nase.
"Nein, nein, kein Problem. Ich will lieber in mein eigenes Bett. Dennoch danke", lehnte ich dann doch das Angebot ab.
"Wir haben zu danken. Und klar, kein Problem, aber wir melden uns in den nächsten Tagen sicherlich noch mal bei dir. Schließlich weiß ich ja, wo du wohnst", grinste er mich an.
"Oh ja, was eine Überraschung", musste ich dann auch noch schmunzeln.
Wir gingen in Richtung Wohnungstür und ich voraus, mir dann noch schnell die Schuhe anziehend.
"Kai?", stand dann Flo wieder im Türrahmen. "Kommst du gleich?" Über seine Wangen liefen immer noch kleine Tränen.
"Klar, geh schon mal wieder ins Bett, ich komme gleich, Kleiner!", erwiderte Kai liebevoll.
"Ich will dann mal nicht stören! Bis denne!", grinste ich in Kais Richtung und verschwand so schnell wie möglich aus der Wohnung, damit nicht noch irgendwer wieder ein Gespräch anfängt und ich die beiden noch länger vom Schlafen abhalte. Und vor allem wollte auch ich so langsam los. Es wurde in diesem Moment einfach alles zu viel ...
"Kai ist also mit Flo zusammen ...", waren die ersten Worte über die ich sinnierte und immer wiederholte, als ich am nächsten Morgen wach wurde.
Komisches Paar, irgendwie passen sie gar nicht zueinander und auf eine andere Art schon fast perfekt. Wieso war mir das bei Kai irgendwie nie aufgefallen. Im Grunde war es ja auch egal, so großen Kontakt hatte ich halt nie zu ihm, aber das kann ja jetzt noch werden. Aber erst mal weg mit den Gedanken. Ich schaute auf meine Uhr und ließ mich wieder direkt zurück in die Kissen fallen. Es lohnte sich nicht einmal mehr aufzustehen, war schließlich schon 17 Uhr. Also ein absolut typisches Wochenende. Samstag geht’s bis zum Umfallen auf eine Party und der Sonntag wird dann ganz verschlafen ... Und dann verfinsterte sich meine Miene wieder, denn die Erinnerung an Tim kam wieder hoch.
Wieder diese Szene, wie er aus dieser Kabine kam, mich dann erschrocken anstarrte und auch sofort wieder verschwunden war. So ein Arschloch. Er hatte nicht einmal mehr den Mumm gehabt, sich mir zu stellen oder mich einfach zu begrüßen. Nichts.
Meine Wut verflog zum Glück schnell wieder, irgendwann war es mir einfach zu blöd, so jemandem lange hinterher zu trauern, oder gar Energie für den zu verbrauchen. Da gab es andere Sachen, die meiner Energie bedurften.
Und zudem sollte man ja immer die schönen Seiten des Lebens in Erinnerung behalten. Der Sex mit ihm und auch das Gefühl bis zu diesem Moment auf der Toilette, waren ja auch schön, was spräche also dagegen, dieses in Erinnerung zu behalten. Es war schön, aber dann war es letztendlich auch zu Ende.
Ich fiel also wieder rückwärts in die Federn, schloss die Augen und atmete tief durch, doch diese entspannte Position hielt nicht an, da nur wenige Momente später mein Telefon klingelte.
"Hallo?"
"Hi Fritz!", klang mir Davids Stimme entgegen.
"Na, wie ist es dir noch ergangen?", fragte ich ihn, wieder mit geschlossenen Augen im Bett liegend.
"Ach, der Abend war noch grandios. Thomas und ich saßen da dann noch Stunden und haben die ganze Zeit nur erzählt. Man ist der süß. Auf jeden Fall sind wir dann irgendwann in den Morgenstunden in so ein kleines Cafe geschlendert. Direkt am Rhein und hatte gerade erst geöffnet...."
"Also wurd es noch richtig romantisch. Bei Sonnenaufgang 'ne Kaffee-Latte schlürfen und dazu Croissants knabbern", fiel ich ihm mitschwärmend und mitfühlend ins Wort.
"Woher weißt du das?", fragte David stutzig nach.
"Man kennt dich doch, wenn Kaffee am frühen Morgen, dann doch wohl Kaffee-Latte und Croissants. Du bist und bleibst nun mal der Alte. Egal, wer da neben dir sitzt."
"Na, so egal war das gar nicht. Thomas ist halt schon süß ..."
"Ja, ja, schwärm bloß nicht weiter", erwiderte ich gespielt neidisch.
"Ach, wirst dann eifersüchtig?", musste David ins Telefon lachen.
"Ich, wie kommst du darauf?", lachte ich mit.
"Stimmt, du hast ja sowieso deinen Neuen!"
Und das hatte gesessen. Zum Glück tat die Erinnerung dann doch gar nicht mehr so weh, wie erwartet.
"Nein, seit gestern Abend nicht mehr wirklich. Eigentlich nie wirklich. Aber zurück zu dir. Heute bist du dran mit deinem Thomas."
"Autsch, da hatte ich ja wieder den Fettnapf erwischt."
"Vergiss es, erzähl von Thomas weiter!", forderte ich ihn auf. Letztendlich konnte ich an meiner Situation sowieso nichts ändern und jetzt noch darüber jammern? Nein! Außerdem hatte David selten so viel Glück gehabt, wie den letzten Abend, also war er heut mal dran zu schwärmen und die ganze Welt auf dieses Gefühl neidisch werden zu lassen.
"Wie soll ich sagen?", begann er dann wieder zu erzählen. In seiner Stimme konnte man sein Lächeln hören, welches er wohl die ganze Zeit trug. "Also irgendwann hatte ich dann einfach meine Hand auf sein Knie gelegt. Auch wenn er dies in Zukunft bestreiten wird, aber dabei ist er doch leicht zusammengezuckt." Und man spürte wieder dieses verliebte Grinsen, was er im selben Moment aufsetzte.
"Und so ging es dann Schritt für Schritt weiter. Er legte dann seinen Arm um meine Hüfte. Wir schauten uns in die Augen. Küssten uns und lagen irgendwann Stunden später erschöpft in meinem Bett und kuschelten noch miteinander. Ich glaube von der Zeit dazwischen, brauchst du nicht wirklich Details hören, die kennst du ja in- und auswendig!"
"Hey, was soll das denn heißen?"
"Kostverächter warst du doch selbst auch nie. Zwar nie wirklich schlimm am Rumtreiben, aber deinen Spaß hattest du auch immer wieder zwischendurch."
"Ich wollte schon sagen, das klang erst so, als würde ich alles ins Bett ziehen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist", spielte ich mal wieder den Empörten.
"Nein, nein. Du weißt schon, wie ich das meine. Es war dennoch schön!", ging er jetzt ganz schnell wieder vom Thema weg.
"Und wo ist er jetzt?"
"Wer? Thomas?"
"Ja, wer denn sonst!" Ab und an konnte David doch etwas schwierig werden, vor allem wenn er grad seine fünf Minuten hatte, in denen er absolut begriffsstutzig war.
"Der bekam dann 'nen Anruf vor einer halben Stunde und musste leider Gottes wieder wegdüsen." Und um diese Tatsache zu verstärken, setzte er noch einen tiefen Seufzer hinterher.
"Aber ihr seht euch wieder? Oder war es doch nur ein One-Night-Stand?"
"Soweit ich bisher weiß, war es für ihn kein One-Night-Stand. Ihm war es sogar eher unangenehm, dann weg zu müssen. Und meinerseits soll es auch nicht daran hapern, dass mehr draus werden könnte."
"Also seht ihr euch wieder?", fragte ich etwas verwirrt nach. Wieso können einige Menschen nicht einfach klare Antworten geben.
"Ja. Wenn es noch klappt heute Abend!" Na endlich schaffte er es mal kurz und knapp eine Aussage zu treffen.
"Aber so wie sich das anhört, habt ihr ja noch keine Sekunde geschlafen?"
"Nein, wie auch. Dafür war es zu schön und zum Schlafen haben wir Zeit, wenn wir tot sind."
"Ja, ja, nun komm nicht mit solchen Sprüchen. Wahrscheinlich sackt ihr dann nachher nur noch zusammen aufs Bett und schlummert wie kleine Babys nebeneinander ein."
"Ja, ist doch schon gut. Hauptsache Thomas ist dann bei mir. Ups, sorry, bei mir hat es grad an der Tür geklingelt. Wird wohl schon wieder Thomas sein. Dir also noch 'nen schönen Abend!", würgte er dann doch ziemlich schnell das Gespräch ab und noch bevor auch ich mich verabschieden konnte, hörte ich dieses "Tut-Tut". Ich tat es ihm also gleich, ließ dann den Telefonhörer auf den Fußboden fallen und kuschelte mich wieder in meine Kissen.
Binnen weniger Momente war ich dann auch schon wieder weggeschlummert, ohne weiter diesen Nachmittag, bzw. Abend durch irgendwen gestört zu werden. Erst am nächsten Morgen, bzw. eigentlich noch mitten in der Nacht um vier Uhr, wachte ich dann von selbst wieder auf. Hab dann ja auch genügend geschlafen.
Ich stand also lieber auf und setzte mich auf meine Dachterrasse, um noch ein bisschen die frische Luft der Nacht zu genießen. Hier über den Dächern Kölns, konnte man schon die ersten Sonnenstrahlen am Horizont erahnen, die so langsam das Funkeln der Sterne verdrängten und den Himmel wieder in einem wunderschönen Azur erstrahlen ließen.
Eigentlich war das Leben viel zu schön, um es mit derartigen Lappalien wie Tim zu stören. Ich schloss die Augen und ließ den Kopf in den Nacken fallen, um die kühle Luft einzuatmen, die mit einer leichten Brise über die Dächer wehte. Und dann fielen mir wieder Flo und Kai ein. Wie sie so dastanden, wie unterschiedlich sie doch eigentlich waren. Kai wirkte immer eher wie der große Bruder, der Flo beschützen müsse und der dann doch nicht mit war, als Flo in der Bar abgesackt ist.
Und vor allem fragte ich mich, was Menschen eigentlich dazu bewegt, in eine Bar zu gehen und sich derartig hemmungslos alleine zu betrinken, bzw. sich von einem derart älteren Herrn aushalten zu lassen. Und irgendwas sagte mir, dass mit Flo etwas nicht in Ordnung war, aber so eine Ferndiagnostik würde immer falsch ausfallen. Mir fielen allein schon im ersten Moment vier verschiedene Varianten ein. Würde ich länger darüber nachdenken ... Mein Kopf würde explodieren.
Ich stand an dem Geländer meiner Terrasse und genoss die ersten Sonnenstrahlen, die sich vermehrt auf meinem Gesicht niederließen. Ein leichtes Kribbeln durchfuhr mich und ließ mir die Nackenhaare zu Berge stehen.
Und wieder kam die Erinnerung an Tim. So einfach, wie ich es mir ausgemalt hatte, war es dann doch nicht, von diesem Idioten loszukommen.
Als diese Anspannung sich dann wieder gelöst hatte, wurden meine Nerven und meine Nackenhaare erneut auf die Probe gestellt. Doch diesmal war es ein schrilles Piepen aus meiner Wohnung. Und wieder einmal verfluchte ich meinen Wecker. Obwohl ich ja ausgeschlafen war, aber dieses ... argh. Wieso kann die Welt nicht zu zivilisierten Zeiten anfangen zu arbeiten, dann würde eine derartige Erfindung, bzw. Zumutung, wie so ein Wecker hinfällig.
Zumindest wurde ich dadurch daran erinnert, dass ich mich so langsam für die Arbeit fertig machen musste. Das übliche Programm und ich stand wieder vor meiner Tür und lief die Treppen hinunter, ohne daran zu denken, dass dort wahrscheinlich wieder Kai kurz vor seiner Arbeit auf mich treffen würde. Dabei hatte ich gar nicht das wirkliche Bedürfnis, heute auf ihn zu treffen. Die Geschichte von Samstag konnte noch ruhen, sie musste heute nicht wirklich auseinander gepflückt werden.
Mein Schritt wurde langsamer und ich schlich förmlich die Treppe hinunter. Schritt für Schritt, immer von einem leisen Knarren des Holzes, auf dem ich schritt, begleitet. An der letzten Treppe spähte ich um die Ecke hinunter und schaute, ob er dort stand, oder vielleicht gerade auf dem Weg zur Tür war.
"Ah, hab ich’s doch geahnt, dass hier wer herumstreicht!", fuhr mich dann eine schrille Stimme unerwartet an. Der Schock war so groß, dass ich ausrutschte und auf meinem Hosenboden, die letzten Treppen hinunter glitt. Wobei, gleiten wäre ja sanft gewesen, dieses war alles andere als sanft.
Unten angekommen, verharrte ich erst mal in meiner Position. Nur mein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Ich blieb erst mal ruhig und hörte in mein Inneres, ob ich mich irgendwie verletzt hätte. Doch zum Glück verzog sich der Schmerz wieder schnell. Nur mein Hintern wummerte weiterhin etwas.
"Oh mein Gott!", hörte ich wieder diese schrille Stimme hinter mir und diesmal erkannte ich auch, wer es war: meine Vermieterin. "Oh, entschuldige, Fritz. Das wollte ich nicht. Ich hab nur gehört, wie sich einer durch den Flur die Treppe hinab schlich. Und du weißt ja, wie besorgt ich des Öfteren bin. Aber wer konnte denn ahnen, dass du ... mein Gott hoffentlich ist dir nichts passiert? Soll ich lieber einen Arzt rufen? Oder ..."
"Ganz ruhig. Mir geht’s schon wieder gut. Mein Hinterteil ist schon 'ne gute Knautschzone. Nichts weiter passiert", warf ich in ihren Endlosmonolog dazwischen. Sie flitzte aber auch weiterhin, wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her.
"Fritz, wirklich alles ok?", fragte sie noch einmal nach, während sie die Treppe hinunter eilte. Und im selben Moment passierte dann natürlich genau das, was ich eigentlich mit dieser Aktion verhindern wollte. Ich traf auf Kai, der in diesem Moment wie üblich zur Arbeit kam und gleich in schallendes Gelächter ausbrach.
"Mein Gott, kann man dich denn nie alleine lassen. Entweder du fällst in den Rhein oder die Treppen hinunter ..."
Den Rest konnte ich nicht mehr verstehen, da ich mit einer aufsteigenden Wut an ihm vorbeigehastet bin, ihm noch ein paar böse Blicke für diese Kommentare zugeworfen habe und schnurstracks durch die Tür bin, ohne das Finale seines Satzes abzuwarten. Die Tür fiel ins Schloss und ich stand endlich im Freien. Einmal tief durchatmen und dann ab zur Haltestelle, damit ja keiner auf die Idee kommt, mir zu folgen. Zum Glück kam auch direkt eine Bahn, ich sprang hinein und konnte jetzt mit Sicherheit davon ausgehen, bis heute Nachmittag in Ruhe gelassen zu werden ........
...... Am Nachmittag sollte dann aber nicht das gleiche Spielchen laufen. Diesmal hatte ich mir die ganze Zeit auf der Arbeit vorgenommen, einfach schnurstracks an Kai vorbei zu gehen. Und so stand ich dann doch mit etwas weichen Knien vor der Tür und wollte gerade die Treppe hoch eilen, als just in diesem Moment Kai vor die Tür trat und mir somit den Durchgang versperrte. Klasse Pläne. Am Morgen zertrümmere ich mir fast meinen Allerwertesten und dann müsste ich mit ihm vielleicht noch reden.
"Hallo Fritz? In Eile?", begann er dann auch sofort.
"Eigentlich schon, wieso fragst du?"
"Eigentlich heißt zwar überhaupt nicht, aber dennoch werd ich dich in Ruhe lassen. Wollte dir eigentlich nur sagen, dass sich Flo freuen würde, wenn du ihm die Chance geben würdest, sich für Samstag zu entschuldigen."
"Da gibt’s doch ..."
"Oh doch, gibt es", unterbrach er mich. "Gib ihm wenigstens die Chance. Bitte!" Wow, er konnte sogar mal richtig herzerweichend sein. Und ich ließ mich natürlich erweichen und sicherte zu.
"Dann komm doch heute Abend einfach bei uns vorbei. Ich bin da sowieso außer Haus und ihr könnt dann spontan entscheiden!", schlug er vor.
"Ok, dann halt heute Abend. Kannst Flo ja sagen, dass ich gegen 19 Uhr antanze. Auch wenn es eigentlich gar nichts gibt, wofür er sich bedanken müsste."
"Oh doch, das gibt es. Und dafür, dass du eigentlich in Eile bist, hast du ja massig Zeit am Abend!", grinste mich Kai im Gehen noch an.
Ich hasste es, wenn er mich so auflaufen ließ. "Also tschöö und euch beiden einen wunderschönen Abend!" Ich knurrte noch ein Tschö vor mich hin und verschwand dann auch im Haus, wo die nächste Person auf mich wartete. Wer sonst als meine Vermieterin.
"Hallo Fritz."
"Hallo."
"Ich wollte mich nur noch einmal für den Zwischenfall heute Morgen entschuldigen ..."
"Nein, nicht auch du noch", unterbrach ich sie. "Es gibt doch gar nichts zu entschuldigen. Du hattest vollkommen Recht. Wieso solltest du nicht in Acht sein, wenn jemand leise durch dein Haus schleicht?"
"Schon, aber dennoch ..."
"Nein, kein dennoch. Ich muss mich entschuldigen, was ich hiermit auch sofort tue." So langsam redete ich mich immer mehr in Rage, was ich eigentlich gar nicht wollte und was sowieso in diesem Moment eher unangebracht war.
"Musst ja nicht gleich so zickig werden. Ich wollte doch nur höflich sein", wies mich meine Vermieterin auch darauf hin, dass ich mich wohl im Ton vergriffen hatte.
"Entschuldige, ich hatte einfach ein hartes Wochenende."
"Was ist denn passiert? Willst du nicht mal wieder zum Kaffee kommen, dann können wir mal wieder über alles reden!"
"Danke für die Einladung. Ein andermal gerne, aber nicht heute. Bin jetzt leider schon verabredet", musste ich leider ablehnen, wobei ich das lieber getan hätte, als mich mit Florian zu treffen.
"War ja nicht auf heute festgelegt. Ich lauf dir schon nicht weg. Wenn du mal Zeit und Lust hast, musst du nur die Treppen herunterkommen. Dann hoffentlich ganz und ohne Schmerzen." Und dann war es an ihr, wie auch Kai, auf meine Kosten Späße zu machen.
Ich rollte nur mit den Augen und schluckte diesmal den Kommentar herunter, den sonst Kai um die Ohren geschleudert bekommen hätte, wenn er vor mir gestanden hätte.
"Was hältst du denn von morgen Abend?", machte ich dann einen Vorschlag.
"Natürlich, gerne doch. Du weißt doch, wie gerne ich schwatze", strahlte sie mich vorfreudig an.
"Dann also bis morgen? Ich muss jetzt leider schon hoch, sonst schaffe ich meinen Termin nicht mehr!", drängte ich sie dann etwas.
"Also bis morgen, komm einfach runter, wenn du Zeit hast!"
"Oki, wird gemacht. Dir dann noch einen schönen Abend, aber ich muss jetzt wirklich los", drängte ich weiter und deutete dabei auf meine nicht vorhandene Uhr.
"Diese Jugend von heute, immer nur im Stress. Mach’s gut Fritz", lächelte sie mich noch an und verschwand dann auch in ihrer Wohnung, während ich die Treppen hoch in mein Apartment eilte.
Im Grunde hatte ich noch genügend Zeit, aber ich brauchte jetzt einfach einmal ein paar Momente, um wieder herunterzukommen. Und diese verbrachte ich wie üblich auf meiner Terrasse im Liegestuhl.
Im Grunde hätte ich mich zu diesem Zeitpunkt wieder selbst treten können, warum ich Florian zugesagt hatte. Aber nun musste ich hin. Hatte ja noch nicht einmal die Nummer von den beiden, um abzusagen. Aber vorher hieß es noch einmal tief durchatmen, frisch machen und dann saß ich auch schon wieder in der U-Bahn und hielt mir wieder selbst vor, auf was für einen Schwachsinn ich mich da eingelassen hatte.
Dabei kam mir dann auch einfach die Idee, die Notbremse zu ziehen und so eine Gleisblockierung zu provozieren, um so leider verhindert zu sein. Oder einfach den Kopf durch die Scheibe zu rammen. Aber wahrscheinlich wäre eher mein Kopf breit, bevor die Scheibe auch nur einen Riss bekommen würde.
Irgendwann, leider Gottes, erreichte ich dann auch schon die Endhaltestelle, stieg aus und stand dann auch kurz darauf vor dem Eingang. Noch einmal tief durchgeatmet und dann auch schon geklingelt. Es folgte das übliche kurze Schnarren und Kratzen.
"Hallo Fritz!", quiekte eine Stimme erfreut durch den Fernsprecher und im gleichen Moment summte der Türöffner. Ich zögerte noch etwas, doch einfach wieder zu gehen, aber letztendlich kam ich nicht drum herum, ihm unter die Augen zu treten.
Oben stand die Tür nur angelehnt. Ich klopfte zaghaft und schaute dann mit dem Kopf hinein.
"Komm schon mal rein!", hörte ich Florians Stimme aus der Küche schallen.
"Entschuldige, aber ich bin nicht ganz pünktlich mit allem fertig geworden. Musste bis vor ein paar Minuten noch an einer Arbeit für die Uni schreiben und hab es jetzt knapp geschafft abzuwaschen. Willst du was trinken?", fragte er mich nahezu außer Atem.
"Gerne."
"Was denn? Cola, Fanta, Wasser, Kölsch?"
"Für mich ein Kölsch, für dich ein Wasser!", grinste ich ihn an. Und seine Miene verzog sich.
"Hey das ist unfair!", warf er mir zu.
"Ja und? Du musst mich ja nicht betrunken nach Hause bringen!"
"Du mich ja auch nicht. Sind ja schließlich schon dort, also besteht für dich keine Bedrohung!"
Er holte zwei Kölsch aus dem Kühlschrank und lotste mich dann auf den Balkon, von dem aus man die Venloerstraße entlang schauen konnte. War wunderschön. Anders als meine Terrasse, aber dennoch wunderschön. Sonnenuntergang und unter einem huschten immer noch die Menschen durch die Straßen und die Autos rauschten immer schubweise vorbei. Halt eine ganz besondere Atmosphäre, die hierbei aufkam.
"Und wie war dein Tag?", fing er dann an ein Gespräch aufzubauen.
"Ach ging so einigermaßen. Halt viel Stress auf der Arbeit. Aber sonst nichts Besonderes passiert", log ich natürlich. Was ging es ihn auch schließlich an, dass mir meine Vermieterin einen blauen Hintern verpasst hatte.
"Und selbst?", fragte ich zurück.
"Nicht so berauschend. Hatte immer noch leichte Kopfschmerzen von Samstag, die sich dann aber zum Glück schnell verzogen haben und so konnte ich wenigstens noch etwas für die Uni machen."
"Was studierst du denn?"
"Na das, was jeder macht!"
"Also BWL oder Jura", antwortete ich ihm daraufhin.
"BWL", erwiderte er knapp und rollte dabei die Augen.
"Scheint dir nicht wirklich Spaß zu machen?"
"Nicht wirklich. Ist halt alles etwas sehr trocken und theoretisch. Werde es dann wohl auch abbrechen. Hab jetzt doch schnell die Lust daran verloren. Und das obwohl ich erst im zweiten Semester stecke. Aber mal schauen, vielleicht gibt’s ja doch noch irgendwo wen, der mich weiter dazu begeistert hier zu bleiben und weiter zu studieren", funkelte er mich dabei an.
"Wieso? Was würdest du denn sonst machen wollen?", fragte ich etwas stutzig und verwirrt.
"Keine Ahnung. Wobei doch schon irgendwie. Erst einmal nur ein bisschen jobben, so dass ich mich über Wasser halten kann und durch die Weltgeschichte ziehen" erzählte er und schaute dabei in die Ferne.
"Hält dich hier denn gar nichts mehr?", hakte ich nach.
"Doch Kai. Sonst eigentlich nichts mehr wirklich." Man konnte förmlich sehen, wie seine Augen schon von der Ferne träumten.
"Wo würdest du dann hingehen?"
"Wahrscheinlich erst mal Berlin."
"Wieso gerade dahin?"
"Berlin ist einfach unbeschreiblich. Riesig und vor allem nicht alles so auf winzigem Platz gebaut, wie hier in Köln. Alles ist groß und vor allem weit. Man muss nur die Straße des 17. Juni entlang schauen. Es wirkt einfach nur riesig. Und an jedem Ort spürt man einfach diese Vielfalt, die ich hier vermisse. Köln gilt zwar heute noch als schwule Hochburg. Aber eigentlich hat es diesen Titel in den letzten Jahren verloren. Alles nur noch bieder und eingefahren. Es wirkt noch wie vor Ewigkeiten. Nichts hat sich geändert. Immer noch die gleichen Läden, wie vor zehn Jahren. Selbst innen sieht es noch gleich aus. Von nirgends her wurden Einflüsse aufgenommen. Man schottet sich sogar eher dagegen ab. Anders als Berlin, alles fließt, alles lebt. Überall gibt es neue Einflüsse, überall entsteht etwas Neues und dieses fehlt mir hier einfach." Man konnte mitträumen, so wie er es erzählte und mit seinen Bewegungen untermalte.
"Und wieso gehst du dann einfach und verwirklichst dann nicht deine Träume, als weiterzuträumen?"
"Mir fehlt im Moment einfach noch der Antrieb, der Mut für den letzten Schritt. Und vor allem auch wegen Kai. Ich hab ihn sau doll lieb und vor allem hab ich ihm auch sehr viel zu verdanken. Da hab ich einfach Angst, ihn hier zurückzulassen." Sein Blick verschleierte sich bei diesen Worten etwas und es schien diesmal eher so, als würde er nach innen schauen, als in die Ferne.
"Hast du denn schon mal mit ihm darüber gesprochen. Vielleicht würde er sogar mitkommen?", hakte ich nach.
"Nein, würde er nicht. Er hat sich hier sein Leben aufgebaut. Ich glaube nicht, dass er noch einmal von vorne anfangen wollen würde. Er hat hier alles und vor allem seinen Traumjob. Er verdient zwar nicht die Welt, aber er macht genau das, wovon er seit Jahren geträumt hatte. Kai hatte damals schon immer geschwärmt, als er meine Eltern und mich besucht hatte, wie toll es doch wäre mit Jugendlichen zusammen zu arbeiten. Endlich mal etwas Sinnvolles zu tun und nicht einfach nur Massen an Geld zu verdienen. Sondern Menschen helfen, Menschen eine Basis für ihr Leben zu geben. Vor allem denen, die sonst keine Chance haben, eher noch abrutschen würden."
"Das muss ja schon Ewigkeiten her sein. So wie du es beschreibst."
"Nicht wirklich. Seitdem sind erst fünf Jahre vergangen. Er hat diesen sozialen Treffpunkt für Jugendliche noch gar nicht so lange."
"Dennoch fünf Jahre sind knapp ein Viertel meines Lebens, also nicht wirklich kurz."
"Schon, schon", erwiderte Flo nur knapp.
Beide nippten wir an unseren Bierflaschen und schauten in die Ferne.
"Warum hast du das am Samstag eigentlich getan?", fragte Flo plötzlich und brachte das Thema zur Sprache, weswegen ich hier eigentlich hergekommen bin.
"Keine Ahnung. Ich habe nie vorher darüber nachgedacht. Ich hab es rein aus dem Gefühl gemacht, dass es gut so ist. Ich hoffe ja immer noch darauf, dass mir auch irgendwann mal jemand helfen wird, falls ich in eine derartige Situation gelangen sollte."
"Was ist an dem Abend eigentlich passiert. Aus Kai war nicht wirklich etwas herauszubekommen", schaute Florian mich fragend an.
"Ich war eigentlich nur mit einem Freund dort, um mal wieder ein bisschen zu feiern. Doch er lernte glücklicherweise jemanden kennen und die beiden verstanden sich dann auch gut. Ich war dann natürlich erst mal abgeschrieben, was ich auch nicht als wirklich schlimm empfand, da er es verdient hatte. Musste schließlich lange genug drauf warten ... Aber auch egal, ich verwirre damit viel zu sehr. Also ich war dann auf Toilette und hatte dort leider das unschöne Erlebnis, dass der Typ, in den ich mich verknallt hatte und mit dem ich den Abend davor noch zusammen war, sich mit irgendeinem anderen auf der Toilette vergnügt hatte." Immer noch stellten sich bei den Worten bei mir die Nackenhaare auf. Aber so langsam ging es, es war jedenfalls nicht so schlimm wie noch beim ersten Mal, als ich darüber nachdachte.
"Oh sorry", entfuhr es Flo.
"Kein Problem. Ich hatte mich da einfach in etwas hineingesteigert. Er hatte mir eigentlich nie die große Liebe vorgegaukelt, aber er hatte letztendlich auch nie gesagt, dass das zwischen uns nur Sex für ihn war und nichts mit Gefühlen zu tun hatte. Und vor allem hatte er mich auch belogen. Statt mir zu sagen, er wolle ausgehen und sich wieder mal jemanden anderen aufreißen, erzählte er mir nur, er müsse arbeiten und hätte deswegen keine Zeit. Das ist eigentlich mein einziger Vorwurf an ihn, dass er mir nie von Anfang an gesagt hat, woran ich eigentlich bin. Egal ich lenke zu sehr vom Thema ab ..."
"Nein, nein, ist schon gut", unterbrach mich Flo. "Erzähl ruhig weiter, wenn du magst."
"Heute nicht. Hab den Rest schon zu oft erzählt. Und so schlimm war das auch gar nicht ... Auf jeden Fall bin ich dann wieder nach oben gekommen und stellte mich etwas benommen wieder neben diesen Freund, der immer noch am Flirten war." Ich machte eine kurze Pause, um an meinem Kölsch zu nippen.
"Und dann flog da plötzlich etwas gegen unseren Tisch und warf unsere Kölschgläser um! Und das warst dann du."
"Oh wie peinlich!", unterbrach mich Flo und wurde puterrot.
"Ach, das ging noch", grinste ich ihn belustigt an.
"Wie? Wurde es noch schlimmer?", fragte Flo entsetzt.
"Natürlich. Ich musste dir dann aufhelfen und dich irgendwie auf Toilette bringen, damit du dir nicht in die Hosen machst. Und vor allem dabei war nicht einmal die Treppe das Schwierigste, sondern der Toilettengang selbst. Auf einer Schüssel wärst du vermutlich eingeschlafen und dabei runtergerutscht und hättest dich selbst vollgemacht oder gar noch verletzt. Und vor einem Pissoir hättest du nie alleine stehen können. Denn Stehen fiel dir in diesem Moment allgemein ziemlich schwer. Kurz gesagt, du konntest es gar nicht mehr. Du warst so voll, dass man dich halten musste, damit du nicht zu Boden sackst. So musste ich dich halt vor dem Pissoir festhalten, damit nichts passiert. Die Situation war zwar nicht grad angenehm, aber anders ging es nicht."
"Wie, du hast mir vor dem Pissoir ...?", er konnte es gar nicht aussprechen und wurde dabei bleich.
"Nein, nein!", musste ich lachen. "So schlimm auch nicht. Nein, ich hab dir nur um die Hüften gefasst und dich somit aufrecht gehalten. Den Rest hast du schon gemacht. Halten musste ich ihn dir noch nicht!", musste ich bei dem Gedanken schon alleine laut loslachen, während Florian einen tiefen Seufzer ausstieß und sich ein bisschen entspannte, aber immer noch bleich wurde.
"Und danach?", fragte er weiter.
"Danach hielt ich es für besser, dich nach Hause zu bringen, damit dir nicht noch Schlimmeres passiert. Zum Beispiel dass du weiter säufst und dir 'ne Alkoholvergiftung zuziehst oder dass dich dieser Peter mit nach Hause nimmt."
"Peter?", fragte er wieder stutzig nach und wurde im selben Moment noch bleicher.
"Ja, du ahnst schon richtig. Ein Mann Mitte 40, der dich wohl den Abend abgefüllt hat, um dich dann mit nach Hause zu nehmen. In diesem Zustand hättest du sowieso nichts mehr gemerkt."
"Aua!", entfuhr es Flo nur.
"Jep. Aua kannst du schon richtig sagen. Aber ist ja nichts passiert. Du hast dich noch von ihm verabschiedet mit einem Dauergrinsen auf den Lippen, was du diesen Abend erst zum Schluss wieder abgelegt hast, nachdem du neben der U-Bahn in die Büsche gereihert hast."
"Bitte wie?", fragte er nach.
"Nachdem du neben der U-Bahn in die Büsche gereihert hast!", wiederholte ich noch einmal meine Worte von eben.
"Und du erzählst mir hier jetzt nichts von dem bösen Wolf und den sieben Geißlein?", fragte er noch einmal ungläubig nach.
"Nein, absolut nicht. Das waren dann aber auch schon alle schlimmen Dinge. Schlimm in Relation, hast dich einfach gehen lassen und am Ende gab es dann mich, der dich nach Hause gebraucht hat", beendete ich die kurze Fassung der Ereignisse.
"Aua", entfuhr es Flo erneut.
"So schlimm war es nun auch nicht. Ich bin wahrscheinlich in diesem Zustand nicht wirklich anders. Jeder darf doch mal seine Ausrutscher haben", versuchte ich ihn zu beruhigen. Er saß immer noch mit offenem Mund und kreidebleich da.
Nur ein "Danke." entfuhr ihm, als er sich so langsam wieder fing und etwas Farbe in sein Gesicht zurückkehrte.
"Danke, ich hoffe, ich kann dies irgendwann wieder gut machen!"
"Kannst du. Wenn du in so einer Situation auch anderen Menschen hilfst, denen es ähnlich geht, wie dir in diesem Zustand."
"Klar. Wird gemacht!", deutete er mir noch mal. Er drehte sein Gesicht jetzt wieder in Richtung Horizont und sah in die Ferne.
"Wahrscheinlich ist es wirklich besser, wenn ich Köln verlasse. Hier hat mir nichts Glück gebracht!", entfuhr es Flo dann.
"Was ist mit Kai?"
"Oh sorry, außer Kai natürlich", verbesserte er sich auf Nachfrage. "Aber sonst scheint hier nicht meine Welt zu sein. Vielleicht ja doch eher in Berlin, oder ganz woanders." In seinen Augen bildeten sich kleine Tränen und in diesem Moment konnte ich nicht anders. Ich nahm ihn einfach in den Arm und ließ ihn weinen.
Das Einzige was man hörte, war ein leises immer wieder kehrendes Schluchzen von Florian. Sonst herrschte zwischen uns Stille. Keiner sagte etwas zu dem anderen. Er schmiegte sich nur an mich und ich strich ihm immer wieder sanft über den Rücken.
Doch auf einmal wurde sein Schluchzen immer leiser und sein Gesicht erhob sich von meiner Brust und schaute mich an. Seine Augen fixierten die meinigen und versuchten ineinander zu versinken. Wie ein Automatismus gingen die Köpfe zusammen und unsere Lippen fanden sich zu einem Kuss. Dieser wurde immer intensiver und heftiger, seine Hände glitten unter mein Shirt, meine strichen über seinen Hintern und plötzlich lagen wir auf dem Sofa.
Unsere Küsse und Berührungen waren schon so intensiv, dass Flo leise anfing zu stöhnen.
Doch genau in diesem Moment machte es bei mir Klick und die Sicherung die raus gesprungen war, funktionierte wieder.
"Nein, ich kann nicht", versuchte ich mich von ihm zu lösen, während er weiter küsste.
"Nein, das dürfen wir nicht!", redete ich weiter und löste mich mit einem Ruck von ihm. "Sorry, aber das geht nicht, das weißt du selbst." Ich schlüpfte nur schnell in meine Schuhe und lief zur Tür hinaus, während mir noch das "Warum?" aus Florians Mund im Ohr widerhallte. Doch ich fragte nicht, warum wir dieses nicht tun dürften, sondern eher, warum ich mich überhaupt dazu hinreißen lassen hatte, so weit zu gehen.
Für mich war klar, dass dieses nicht sein durfte. Ich konnte ihn einfach nicht so behandeln. Es wäre in meinen Augen absolut nur Sex gewesen, mir war durchaus bewusst, dass ich nie hätte irgendetwas für ihn empfinden können, außer maximal Freundschaft. Wenn sich so etwas entwickeln sollte. Bisher waren wir ja, wenn überhaupt, nur weit entfernte Bekannte.
Aber vor allem fragte ich mich, warum er so etwas gemacht hatte. Er war mit Kai zusammen. Und dieses seit Jahren, sie wohnten sogar zusammen. War er so naiv? So unüberlegt? War ihm eigentlich klar, was er damit angerichtet hätte? Alles aufs Spiel gesetzt. Aber vielleicht wollte er ja dieses auch. Schoss es mir durch den Kopf. Es war absurd, aber vielleicht hätte er so den letzten Antrieb bekommen nach Berlin zu gehen, wenn er Kai verloren hätte. Schluss machen ist immer so eine Sache. Keiner mag es wirklich, keiner kann es aussprechen. Und so hätte er es nie aussprechen müssen.
Oder hatten sie vielleicht eine offene Beziehung? Jeder darf auch mit anderen, solange man keine Gefühle mit ins Spiel bringt?
Mein Kopf drehte sich und meine Gedanken schwirrten umher.
Ich realisierte nur schwach, wie neben mir ein Auto hupte und der Fahrer darin fluchte. Ich bin wohl bei rot über die Ampel gegangen. Danach schwirrten meine Gedanken wieder um dieses kleine Wörtchen warum.
Zu mir kam ich erst wieder in der U-Bahn. So langsam realisierte ich, dass ich vollkommen verknautscht dastand. Die Hose und Schuhe offen und vor allem das Shirt falsch herum an. Zum Glück interessiert dieses hier niemanden, dennoch war es im ersten Moment peinlich. Und so passierte, was kommen musste. Ich lief rot an und richtete so schnell wie möglich meine Klamotten wieder. Machte die Hose zu und schnürte die Sneaker. Und danach ließ ich mich einfach nur in den Sitz zurücksinken und atmete erst mal tief durch.
Neben mir starrte mich ein Junge, so um die 20, belustigt an. Er war eigentlich ganz süß, sogar ziemlich süß und aus seinem Grinsen wurde plötzlich ein Lächeln. Vor allem wich er meinem Blick nicht aus.
"Und hast du Lust?", fragte er unumwunden.
"Sonst gerne, aber heute nicht!", antwortete ich knapp.
"Nicht ein bisschen?", versuchte er es noch mal und setzte dabei einen Dackelblick auf, der mich wohl sonst sofort zum Schmelzen gebracht hätte.
"Lust schon, aber ich bin zu erledigt. Sorry Kleiner, aber du kannst dir andere, sogar bessere als mich aussuchen. Beim nächsten wirst du garantiert fündig."
"Schade. Bist sogar richtig süß, aber wer nicht will, der hat halt schon. Schönen Tag noch." Er stand auf und stieg aus.
"Dir noch viel Erfolg und dann viel Spaß!", rief ich noch hinterher. Er nickte nur kurz lächelnd zurück und wenige Momente später war die Bahn auch schon wieder abgefahren.
Ich fuhr die letzten Stationen ohne nachzudenken weiter. Mein Kopf war einfach leer und ich starrte Löcher in die Luft. Erst als ich ausstieg und dann die Luft tief einatmete fragte ich mich, was das eigentlich für ein Tag war. Erst knutsche und fummle ich mit Kais Freund umher und dann lasse ich so jemand Süßen sausen. Es wäre doch nur Sex gewesen, keine Verpflichtungen, nichts. Ich Idiot. Ab und an wusste ich selbst nicht, was ich tun sollte, ob lachen oder weinen.
Ich ging in meine Wohnung hoch und ließ mich einfach nur noch mitsamt Klamotten ins Bett fallen und schlief ein ...
... Und was war anderes zu erwarten. Auch am nächsten Morgen piepte wieder mein Wecker und ich stand diesmal im Bett. Ich ging mürrisch ins Bad und guckte erst mal in den Spiegel und ich fragte mich, wer da mir entgegen schaute. So sah ich normalerweise nicht aus. Tiefe Augenringe und blutunterlaufene Augen.
Ich hatte zwar schlecht geschlafen, aber dass sich dieses gleich so niederschlagen würde. Zum Glück hatte man ja seine Hausmittelchen. Esslöffel lagen immer griffbereit im Gefrierfach und die drückte ich mir einfach für zehn Minuten auf die Augenlider. Danach noch ein bisschen Feuchtigkeitscreme hinweg und alles sah wieder normal aus. Und in dem Moment wo ich im Spiegel wieder einigermaßen normal aussah, fühlte ich mich zum Glück auch gleich tausendfach besser. Ich sprang noch schnell unter die Dusche und sprintete die Treppe hinunter. Nicht weil ich zu spät dran war, sondern einfach, um nicht Kai vor die Nase zu laufen. Diesmal passierte zum Glück nichts. Weder meine Vermieterin stellte mir ein Bein, noch traf ich im Flur auf Kai. Erst als ich in die U-Bahn einstieg, sah ich ihn für ein paar Augenblicke. Denn er stieg aus der U-Bahn aus, in die ich musste, aber dieses auch noch in einem hinteren Wagon. Er nickte mir nur kurz zu und war dann auch wieder verschwunden.
Hatte er von gestern Abend irgendetwas erfahren? Wenn ja, wie würde er darauf reagieren? Das waren die zwei Fragen, die mich dann während der Arbeit gefangen hielten. Doch ich fand keine Antwort darauf. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, was dann los sei, wenn er davon erfahren würde. Dazu kannte ich ihn viel zu wenig, um ihn überhaupt annähernd einzuschätzen. Und irgendwann kamen zu diesen Fragen auch wieder die Erinnerungen des letzten Tages dazu. Mein Kopf kochte und brodelte.
Irgendwann saß ich dann aber auch wieder in der Bahn nach Hause. Völlig mit den Nerven fertig. Und jetzt kam wieder der Moment, vor dem ich mich die ganze Zeit drücken wollte. Ich traf wieder auf Kai, diesmal direkt vor der Haustür. Doch er nickte mir nur kurz zu und ging an mir vorbei.
War er sauer und sprach deshalb mit mir kein Wort? Doch dann drehte er sich noch einmal zu mir um und fragte: "Alles ok mit dir?", und setzte dabei seinen besorgten Blick auf.
"Ja, alles bestens, musst dir keine Sorgen machen!"
"Wirklich?", hakte er noch einmal nach.
"Ja, wirklich!"
"Dann erhol dich mal gut von der Arbeit. Nen schönen Nachmittag!" Er lächelte mich noch kurz aufmunternd an und verschwand dann auch direkt wieder.
Ich ging durch die Haustür und mein Blick fiel als erstes auf die Wohnungstür meiner Vermieterin und in dem Moment wurde mir erst wieder bewusst, dass ich ja eigentlich mit ihr heute verabredet war. Im Grunde hatte ich schon Lust, mal wieder mit ihr ein bisschen zu schnattern, aber ... naja mein Kopf drehte sich nur vor Ereignissen. Aber ich riss mich zusammen und klopfte an ihre Tür. Nen starken Kaffee konnte ich jetzt sowieso gebrauchen.
Nach einigen Momenten öffnete diese sich und meine Vermieterin guckte mit dem Kopf heraus.
"Du schon hier? Mit dir hab ich ja noch gar nicht gerechnet", war ihr erster Kommentar.
"Hallo erst mal. Ich wollte auch nur Bescheid sagen, dass ich dann in etwa 'ner Stunde wieder unten bin. Ich wollte sowieso erst mal hochgehen und mich frisch machen", lächelte ich sie höflich an.
"Ups. Hallo natürlich. Kein Problem, wie gesagt: Ich hatte sowieso erst später mit dir gerechnet, aber so weiß ich wenigstens schon mal, zu wann der Kaffee fertig sein muss und wie ich sehe, brauchst du heute einen extrastarken."
"Seh ich so fertig aus?", fragte ich nach.
"Wirklich frisch und fröhlich siehst du nicht aus", erwiderte sie ehrlich.
"Also beschissen", formulierte ich nur noch kurz aus und sie antwortete nur mit einem knappen ja.
"Na dann sollten wir das heute wohl lieber verschieben?", bot ich an.
"Oh Gott nein. Wirst schon sehen, mit mir kann man nicht nur über lustige Sachen schwatzen", lächelte sie mich aufmunternd an. "Also bis gleich!"
"Bis gleich!", antwortete ich nur und hievte mich die Treppen hinauf.
Die Stunde verging schneller als erwartet. Als erstes kam eine lange entspannende Dusche und danach eigentlich gar nichts mehr. Ab und an schaff es selbst ich, nicht auf die Wasserrechnung zu schauen und einfach mal 'ne halbe Stunde zu duschen. Ich sprang danach nur noch schnell in meine Klamotten und stand wenig später frisch und gestriegelt vor der Tür meiner Vermieterin.
"Komm schon mal rein. Der Kaffee ist in wenigen Momenten durchgelaufen!", forderte sie mich auf, nachdem ich geklopft hatte. Wir saßen wie des Öfteren an unserem Lieblingsort, auf ihrer Terrasse, die natürlich um so einiges größer und komfortabler war, als die meinige.
"Siehst ja schon deutlich erholter aus, als vorhin." Mit diesen Worten und einer großen Kanne Kaffee gesellte sie sich zu mir.
"Was eine Dusche halt so bewirken kann", lächelte ich sie an.
"Nun erzähl mal. Gibt’s schon wieder Probleme mit irgendwelchen Jungs?", fragte sie dann auch direkt.
"Musst du gleich immer so direkt sein? Und vor allem warum musst du immer Recht haben?"
"Du sitzt hier vor einer älteren Dame. Ich hab das auch schon alles durch, Kleiner. Also erzähl mir nichts. In deinem Alter sind doch noch die größten Probleme, die mit dem Herzen oder der Hose zu tun haben. Der Rest erwartet dich erst später noch."
"Du kannst einem ja Mut machen", schüttelte ich den Kopf.
"Ach so schlimm ist das gar nicht. Eigentlich sogar eher schön. Was wäre das Leben ohne dieses hin und her. Ganz einfach langweilig. Und 'nu erzähl, wer hat dir den Kopf verdreht?"
"Eigentlich niemand", antwortete ich knapp.
"Eigentlich?", hob sie die Augenbraue.
"Bis auf diesen einen, aber der ist schon vergessen!"
"Vergessen? So schnell geht das nicht, außer es war nie wichtig."
"Dann war es wohl nie wirklich wichtig. Es war zu Anfang zwar noch ein kleines Problem, aber den hab ich schon längst vergessen."
"Wieso?", gespannt sah sie mich an und nippte immer wieder zwischendurch an ihrer Tasse.
"Weil es nur 'ne kleine Affäre über ein paar Tage war, bei der beide Seiten von einer unterschiedlichen Grundhaltung ausgingen."
"Die deinige war mehr und die seinige war Sex?"
"So in etwa." Wieso musste sie immer wieder so direkt, teilweise sogar provokant sein. Vor allem schockierte mich dabei immer, dass vor mir eine alte Dame war. Von so jemandem erwartet man eigentlich, dass sie solche Wörter gar nicht mehr in ihrem Wortschatz hat.
"Wie kam es denn raus?"
"Ich hatte ihn beim Sex mit jemand anderem erwischt."
"Nun ja, erwischt ist da wohl falsch formuliert!", rümpfte sie die Nase.
"Nicht wirklich. Er hatte mir eigentlich gesagt, er könne sich mit mir nicht treffen, weil er arbeiten müsse. Stattdessen erwische ich ihn am Abend mit einem wildfremden Kerl auf der Toilette. Die einzige Sache, die man ihm eigentlich vorwerfen kann."
"Unschöne Sache, aber wenigstens habt ihr es schnell gemerkt. Obwohl, er hätte früher die Notbremse ziehen müssen und dir reinen Wein einschenken können. Dann wär’s dir leichter gefallen und garantiert hättest du dann auch deinen Spaß gehabt. Auch ohne Erwartungen", sagte sie gleichgültig und nippte wieder an ihrer Tasse.
Ich hob nur fragend die Augenbraue.
"Nun erzähl mir nicht, du hättest nur Sex, wenn du die große Liebe erwarten würdest. Es waren zwar nicht viele, aber die du mit hoch in deine Wohnung genommen hast ... ich muss wohl nicht weiterreden. Du vergisst, ich bin eine neugierige Oma. So etwas entgeht mir nicht."
"Hast ja auch Recht. Einer mag nun mal One-Night-Stands, andere mögen sie nicht ..."
"Und du bist ihnen nicht immer abgeneigt", sagte sie wieder in einer erschreckenden Gleichgültigkeit. "Und dennoch wünscht du dir eigentlich mehr."
"Irgendwie schon", gab ich zu.
"Junge, hab deinen Spaß, vergiss aber nie, dass Sex nicht alles ist. Hab durchaus mal deinen Spaß, stumpfe dabei jedoch nicht ab." Und jetzt kam die Oma wieder in ihr durch. Ratschläge aus ihrem langen Leben.
"Und wenn das nicht das Problem ist, was dann?", hakte sie weiter.
"Ach ich hab den Abend, an dem ich Tim, derjenige welcher, erwischt hatte, lernte ich noch jemand anderen kennen. Diesmal nicht aus irgendwelchen sexuellen oder gar weitergehenden Gründen. Knapp gesagt. Dieser jemand war betrunken und konnte nicht einmal mehr gerade stehen."
"Und bei dir kam dann der Samariter durch!"
"Wieso sagt das jeder? Hab ich öfter derartige Anfälle?", fragte ich leicht empört.
"Ob man dieses Anfälle nennen sollte, sei mal so dahingestellt. Aber durchaus hast du eine Ader dafür. Was ja auch nicht wirklich schlimm ist."
"Auf jeden Fall war dieser jemand etwa 20 Jahre alt und war in dieser Kneipe von einem Mittvierziger abgefüllt worden. Was erwartet man da?"
"Das dieser Kerl versucht den Jüngling gefügig zu machen. So wie sie es seit Hunderten von Jahren versuchen. Zumindest seitdem es Alkohol gibt!" Knapp, präzise und mit einem Schuss Alterserfahrung.
"Genau. Und da er auch nicht alleine zu sich nach Hause konnte, hab ich ihn halt persönlich dahin abgeliefert. Sein Freund hat ihn dann in Empfang genommen und ich hab mich wieder verabschiedet. Und dann hat er mich gestern noch einmal kontaktiert und wir haben gestern Abend noch einmal darüber gesprochen." Ich machte dann eine Pause, um an meinem Kaffee zu nippen. Sie blieb diesmal still und wartete einfach gespannt ab.
"Und dabei ist eine Situation entstanden, bei der wir am Ende knutschend und fummelnd auf dem Sofa lagen. Zum Glück hab ich dann noch die Notbremse gezogen. So etwas ist nicht mein Ding, in irgendwelchen Beziehungen rumzupfuschen. Sachen gegriffen und raus zur U-Bahn und bis heute frage ich mich, warum er so reagiert hat?"
"Offene Beziehung?", fragte sie kühl.
"Könnte sein. Dennoch ist es komisch, da ich seinem Freund regelmäßig begegne!"
"Kenne ich diesen jemand denn dann auch?", wurden ihre Augen jetzt größer.
"Ja!" Und ihre Augen explodierten fast vor Neugierde.
"Nun spann mich nicht auf die Folter. Ein altes Herz macht nicht mehr so viel Spannung mit!", quengelte sie, als ich nicht sofort den Namen preisgab.
"Sein Freund ist Kai und er heißt Flo, beziehungsweise Florian."
Und im selben Moment, wo ich dieses ausgesprochen hatte, brach sie in ein großes Gelächter aus. Ich sah sie nur fragend an und verstand die Welt nicht mehr.
"Bitte? Wieso lachst du?", fragte ich dann, nachdem sie sich nicht erklärte.
"Noch Kaffee?", fragte sie daraufhin ernst.
"Ja und die Antwort!", wurde jetzt ich ungeduldig "Auch ein junges Herz verkraftet nicht so viel Anspannung."
"Kleiner, du musst noch viel mehr Anspannung verkraften in deinem Leben. Dieses Mittel darf nur ich einsetzen." Sie stand auf goss noch einmal Kaffee nach, setzte sich wieder. Sie wirkte dabei wie eine Diva, die es genoss, die Kontrolle über alles zu haben.
"Also Fritz, Florian und Kai sind kein Paar. Sie wohnen nur in einer WG. Da hast du wieder mal Äpfel und Birnen zusammengeworfen."
"Aber sie haben den Tag in einem Bett übernachtet?", fragte ich stutzig, mit einer Stimme die sich fast überschlug.
"Das ist noch ein Relikt aus ihren Kindheitstagen. Da haben sie öfter in einem Bett übernachtet, wie das gute Freunde halt machen."
"Und woher weißt du das?", fragte ich immer noch ungläubig.
"Hast du vergessen, dass mein Sohn auch ein sehr guter Freund von Kai war, bzw. immer noch ist?", schaute sie mich stirnrunzelnd an.
Und jetzt war ich erst mal sprachlos und trank erst mal den Kaffee. "Nichts als die Wahrheit", bestätigte sie noch einmal. "Also mach dir ja keine Gedanken darüber. Dabei konntest du nichts zerstören. Es gab nichts zu zerstören."
"Aber ...", wollte ich nachhaken, doch sie fiel mir ins Wort.
"Nichts aber. Hättest ruhig deinen Spaß haben dürfen. Wobei, sei froh, dass du ihn nicht hattest. Flo kommt dann schnell auf die Idee, er sei verliebt, um dann zwei Wochen später festzustellen, dass man doch nicht zueinander passt. Er kann schon sehr anstrengend sein. Aber behalte das ja für dich. Zumindest das letzte!", schaute sie mich ermahnend an.
"Woher weißt du das?"
"Na von wem wohl. Kai natürlich. Glaubst du ich rede mit dem nicht, wenn er hier mal eine Zigarettenpause vor der Tür einlegt?"
Kaum hatte sie diesen Satz beendet, klingelte auch schon mein Handy.
"Hallo David."
"Hi Fritz. Ums direkt kurz zu machen, hast du gerade Zeit? Ich war mit Thomas heute einkaufen und ich wollte deinen Kommentar zu den neuen Sachen. Ich bin mir dessen nicht ganz so sicher, was Thomas da so ausgesucht hat?"
"Das geht heute schlecht, ich bin grad bei meiner Vermieterin zum Kaffee ...", in diesem Moment hatte sie mir auch schon das Gerät vom Ohr genommen und sprach dann selbst hinein.
"Hallo David. Falls du auch das Urteil einer älteren Dame verkraften kannst, dann komm einfach vorbei." Mir fiel die Kinnlade runter, als ich sah, wie cool sie reagiert und vor allem wie gut sie hörte.
"Ok, dann in 15 Minuten. Selbes Haus nur Erdgeschoss. Bis gleich", beendete sie das Gespräch, legte das Handy ab und schaute mich wieder an.
"Nicht so überrascht, Kleiner. Ich bin eine neugierige Frau und dazu gehört es auch, gute Ohren zu haben. So etwas kommt uns doch wie gerufen, vielleicht können wir dich damit auf andere Gedanken bringen und noch ein bisschen lachen. Du weißt ja, Lachen hält jung!"
"Dann musst du dein ganzes Leben gelacht haben", rutschte daraufhin einfach so raus und dabei wollte ich mich noch nicht einmal einschleimen.
"Danke für das Kompliment", antwortete sie verzückt. "Also um aufs Thema zurück zu kommen: Um Flo brauchst du dir keine Gedanken machen. Eigentlich ein ganz lieber Kerl, nur ab und an etwas anstrengend. Also sei wieder brav zu Kai, bei dem brauchst du keine Angst haben."
Ich nickte ihr nur zu.
"Also kein Schleichen mehr durch den Treppenflur oder hastiges Eilen zur U-Bahn?", legte sie noch einmal nach und hielt mir die Hand entgegen, so als ob wir einen Vertrag abschließen würden.
"Woher weißt du das alles?"
"Kleiner, ich weiß noch so einiges mehr. Aber das wirst du heute nicht erfahren. Vielleicht später einmal. Und jetzt Hand drauf?!" Und mit einem festen Händedruck war wieder alles besiegelt und ich um Tonnen Steine auf dem Herzen leichter.
"So ich muss dann schnell noch in die Küche, neuen Kaffee aufbrühen. Bleib du ruhig hier und falls es klingelt, kannst du ihm ja die Tür öffnen." Sie stand auf und verschwand in ihrer Wohnung und ich blieb bis zum Klingeln auf der Terrasse und genoss noch ein wenig die Sonne, die sich so langsam wieder daran machte, hinterm Horizont zu verschwinden.
Pünktlich auf die Minute standen dann auch David und Thomas vor der Tür. In ihren Händen hielten sie prall gefüllte Einkaufstaschen.
"Hast du im Lotto gewonnen?", fragte ich etwas entgeistert.
"Nö,", erwiderte er, "das sieht mehr aus, als es ist!"
"Und vor allem wer hat dich dazu bekommen zum Friseur zu gehen und dir etwas komplett Neues zu verpassen?" Ich war förmlich entsetzt, als ich ihn so das erste Mal wieder sah. Seine Haare waren endlich mal nicht zu einem Seitenscheitel à la Großvater geformt, stattdessen standen dort jetzt kleine Stachel zu Berge. Ein richtiger Igel, sogar mit kleinen, blonden Strähnchen.
"Wer das war? Ich natürlich!", sprang dann auch Thomas ins Bild hinein und grinste wie ein Honigkuchenpferd.
"Gute Arbeit", konnte ich da nur feststellen. "Wozu wir ihn jahrelang nicht bekommen haben, das schaffst du innerhalb weniger Tage", war ich immer noch erstaunt und nicht nur ich.
"Mein Gott. David bist du das wirklich?", kam es ungläubig von meiner Vermieterin. Sie stellte vorsichtig die Kanne mit dem Kaffee auf ein Sideboard und ging auf David zu, um erst mal seine Frisur von Dichtem zu betrachten. Natürlich konnte sie nicht anders und patschte erst mal auf die Haare.
"Mein Gott, was ist da drin? Das ist ja steinhart!", fragte sie immer noch ungläubig.
"Na Gel, was sonst?", stutzte David.
"Benutzt du wohl zum ersten Mal in deinem Leben!", grinste sie ihn an und machte ihn sogleich verlegen. "Sieht aber Klasse aus", attestierte sie dann aber auch gleich.
"Hab ich alles nur Thomas zu verdanken", strahlte David und legte einen Arm um Thomas Hüfte.
"Von uns wolltest du ja keinen Rat annehmen", fiel ich daraufhin in die Runde.
"Ihr habt halt nicht die schlagenden Argumente gehabt", warf er zurück und grinste vielsagend in Thomas Richtung.
"Genug der Begrüßung. Der Kaffee fällt aus und ich hole ein oder zwei Flaschen Wein aus meinem Kämmerchen. Ich merke schon, der Abend wird noch schön. Geh du ruhig schon ins Bad und zieh die neuen Sachen an. Dann kannst uns ja alles vorführen." David verschwand im Bad, meine Vermieterin holte eine Flasche Wein und wir setzten uns wieder auf die Terrasse.
"So, ich komm dann jetzt mal raus!", kündigte sich David selbst an und als er den ersten Schritt ins Freie trat, konnten wir unseren Augen nicht trauen. Es war nichts Extravagantes, nichts Gewagtes, sondern endlich mal eine Jeans, die ihm bis über die Schuhe fiel und endlich mal etwas weiter hing und da drüber ein rotes Shirt von Mexx, aber für David waren das Welten. Meiner Vermieterin und mir fiel der Reihe nach die Kinnlade herunter.
"Aus einem Entlein wird endlich ein schöner Schwan", entfuhr es ihr nur, ohne dass sie groß realisierte, was sie da eigentlich gerade gesagt hatte. Ich konnte ihr daraufhin nur beipflichten. Thomas saß grinsend neben uns und freute sich, dass er das Richtige angestellt und David angedreht hatte.
"Meint ihr wirklich?", fragte David etwas unsicher zurück.
"Aber klar. Wärst du immer schon so auf die Partys gegangen, hättest du garantiert öfter auch so deine Geschichten mit den Typen gehabt." Nicht einmal jetzt konnte meine Vermieterin ein Blatt vor den Mund nehmen, stattdessen trieb sie ihm die Röte ins Gesicht.
Wir saßen so noch ein Weilchen da, bis schließlich auch der letzte Sonnenstrahl verschwunden war. Es ging die ganze Zeit hin und her und vor allem wurde immer wieder Thomas gelobt, dass er es endlich geschafft hatte, aus David einen Schwan werden zu lassen. Irgendwann jedoch wollte ich dann doch ins Bett. Und so verließ ich die illustre Runde, verabschiedete mich natürlich noch höflichst bei meiner Vermieterin, die mir noch einmal ins Ohr flüsterte, Kai und Flo nicht mehr aus dem Weg zu gehen. So lag ich dann irgendwann in meinem Bettchen und schlummerte sofort weg ...
Es folgte eine dieser tauben Nächte. Man wacht morgens auf und weiß gar nicht, was mit einem ist. Man kann sich an keinen Traum erinnern, geschweige denn an einen Gedanken vor dem Einschlafen. Man fühlt sich einfach wie betäubt unter seiner Decke. Das Bett sieht auch irgendwie nicht benutzt aus. So als wenn man wie ein Stein dagelegen und nicht einmal den Finger gekrümmt hätte.
Und so fühlte sich auch alles in mir an. Es war taub, es war nichts. Irgendwo mitten auf dem Weg zwischen Himmel und Hölle. Kein Gefühl, kein gar nichts. Nahezu hypnotisiert stand ich auf, stieg unter die Dusche und holperte wenige Momente später auch schon die Treppen hinunter.
Unten stand Kai und suchte in seiner Tasche nach seinen Schlüsseln.
"Hallo", begrüßte ich ihn so locker wie möglich.
"Hallo", antwortete er stumpf, fand seine Schlüssel und verschwand wortlos hinter der Tür. Ich schaute nur noch die Tür an und überlegte wieder, was ich wohl diesmal wieder falsch gemacht hätte. Aber irgendwie fiel mir nichts ein. Noch in Gedanken über seine Reaktion trat ich vor die Tür und lief vor eine dicke Mauer, die mich fast umhaute. Denn im Gegensatz zu meiner Taubheit, war die Luft bis aufs letzte bisschen gespannt und drückend.
Sofort traten mir die ersten Schweißperlen auf die Stirn und es wurden bei jeder Bewegung mehr, gleich ob man den kleinen Finger bewegte oder die Stirn runzelte. Bei jedem bisschen trat der Schweiß wie in Bächen aus der Haut.
Es war diese typisch ekelige Sommerschwüle, die auf alles und jeden drückte. Das Atmen fiel schwer und später gesellten sich dann auch noch Kopfschmerzen zu den Schweißperlen auf der Stirn.
Ich ging so schonend wie möglich zur U-Bahn-Haltestelle, doch dort angekommen, hechelte ich nur so vor mich hin wie ein Hund, dem es zu heiß war. Jede kleine Bewegung brachte einen förmlich um.
Der Tag lief auch nicht anders weiter, als er begonnen hatte. Ich fuhr wie immer zur Arbeit und auch dort war die Stimmung niedergeschlagen. Jeder fühlte sich unwohl und schwitzte vor sich hin. Und jeder hoffte auf die schnellstmögliche Erlösung, das nahende Gewitter. Doch dieses ließ noch etwas auf sich warten. Ich hechelte, förmlich schon in meinem eigenen Schweiß schwimmend, hin und her. Zum Glück lenkte irgendwann die Arbeit von der Zeit ab und so verging es doch zum Glück schnell. Kurz nach 16 Uhr verließ ich das Krankenhaus und im gleichen Moment, als ich durch die Tür schritt, ging auch schon mein Handy los.
"Hallo?"
"Hallo Kleiner", schallte mir Gretas Stimme ins Ohr.
"Hi du. Wo bist du denn? Die Nummer kenne ich gar nicht?", fragte ich etwas stutzig.
"Ich bin noch auf Arbeit. Und heute ist nicht viel los und da hab ich einfach mal die Zeit genutzt und dachte mir, rufst du doch einfach mal Klein Fritzchen an." Für diesen Kommentar "Klein Fritzchen" gab es von mir erst einmal ein tiefes Grollen.
Dieses wird mich wohl bis auf alle Ewigkeit, wenn nicht sogar noch nach dem Tode verfolgen. "Klein Fritzchen", na klasse. Könnt ihr euch vorstellen wie atemberaubend schön es als Kind war, jeden Witz von "Klein Fritzchen" zu hören? Es nervte auf Dauer nur noch.
"Schon gut, also dann wieder Fritz. Wie geht es dir denne?", korrigierte sie sich.
"Wie soll es bei solch einem Wetter schon gehen. Man fühlt sich matt und erledigt und schwimmt in seinen eigenen Klamotten durch die Gegend", antwortete ich doch etwas zu genervt.
"Musst ja nicht gleich so rumblaffen. Wenn du dich selbst bemitleid...", wollte sie losfauchen, doch ich fiel ihr glücklicherweise noch rechtzeitig ins Wort.
"... Sorry Greta. Ist ein komischer Tag und ich wollte dich eigentlich gerade nicht annerven. Bin nur ziemlich genervt und matt", versuchte ich mich zu erklären, was ja auch so einigermaßen der Wahrheit entsprach.
"Ja, ja. Das Wetter. Meine alte Dame ist schon wetterfühlig. Und das mit 20 Jährchen. Die Jugend von heute, so was von verweichlicht ..."
"Schon gut, schon gut!", wiegelte ich ab "Was ist denn der Anlass deines Anrufs?", kam ich aufs Thema zurück.
"Nur so!", antwortete sie etwas kleinlaut.
"Nur so? Gibt es bei dir nicht!", erwiderte ich knapp und begann schon den Braten zu riechen.
"Wie meinst du?", stellte sie sich noch einmal auf dumm.
"Komm Greta, bitte mach es heute einmal kurz. So steigen wenigstens deine Telefonkosten nicht ins Unermessliche"
"Darf man nicht einmal einen Freund ..."
"Greta!", ermahnte ich noch einmal, als sie erneut versuchte abzulenken.
"Also gut. Ich wollte fragen, ob wir uns nicht heute Abend bei dir treffen könnten?" Ich konnte vor meinem inneren Auge sehen, wie sie mich ganz unschuldig und bittend anschaute.
Wie konnte man da nein sagen.
"Wann willst du denn vorbeikommen?", fragte ich seufzend. Auch diesmal gab ich lieber gleich auf. Bei meiner Laune hätte ich sowieso keine Chance gehabt, irgendetwas an ihrem Vorhaben zu ändern.
"Wir wollten so gegen sechs bei dir vorbeischauen?!", fragte sie etwas zögerlich.
"Wer ist denn wir?", wurde ich auf einmal dann doch noch hellhörig.
"Ach, na halt ich und noch wer anderes." Ihre Stimme sollte gelangweilt und gleichgültig klingen. Aber man hörte dennoch, wie gebrechlich und ängstlich sie wirkte.
"Wer soll denn noch mit dir vorbeischauen?" Natürlich musste ich nachfragen. Schließlich sollte dieser jemand in meine Wohnung. Und wenn es sich dabei um Tim handeln sollte, würde ich eher meine Toilette mit der Zahnbürste putzen, als ihm die Tür zu öffnen.
"Na ich und ...", die Spannung stieg förmlich ins Unendliche. "... und ... na ja halt ich und ... Tom!", fiel es dann kaum hörbar aus ihrem Mund und wurde über einige Kabel und Satelliten an mich übertragen.
"Tom also. Na, der ist gerne eingeladen. Will diesen Mr. Right schließlich auch einmal kennen lernen." Von ihrer Seite kam daraufhin keine Reaktion. Sie blieb still und ich wollte nicht weiter nachbohren.
"Also um sechs?", fragte ich noch einmal nach. Und von ihr kam ein kaum hörbares ja.
"Bis später Greta und mach dir mal keine Sorgen. Wird schon alles gut laufen!", versuchte ich sie aufzumuntern und gleichzeitig das Gespräch zu beenden, denn letztendlich war mir bewusst, dass ab diesem Moment nichts mehr zu reißen war. Sie brauchte jetzt erst mal eine Verschnaufpause, um wieder zu ihrer alten Fröhlichkeit zu gelangen.
"Bis später!", hauchte sie noch ins Telefon und kurz darauf machte es Klick und es war aufgelegt. Ich steckte mein Handy ein und stand erst mal ein paar Momente da, bevor ich kurz den Kopf schüttelte und weiterstiefelte.
‚Komischer Tag’, schoss es mir durch den Kopf. Es wollte irgendwie absolut gar nichts normal ablaufen. Wie auch. Anscheinend hatte ich heute Nacht dreifach gerufen, als die A****-Karten verteilt wurden. Ich fuhr mit der Bahn nach Hause.
Die Luft in der Bahn war so dick, dass man sie mit einem einfachen Küchenmesser hätte zerschneiden können. Aber von keiner Seite war auch nur irgendeine Erlösung zu sehen. Über mir zogen zwar graue Wolken hinweg, aber sie wirkten nicht so, als würden sie hier niedergehen und die Luft entspannen.
In der U-Bahn war die Luft so übel, dass direkt meine Kopfschmerzen und dazu ein Rumpeln im Magen zurückkehrten. Diese Mischung aus Litern Schweiß und XXL-Packungen Deo ergaben einen Duft, der einer faulenden Leiche nahe kam.
Mein Magen hielt aber diese Fahrt durch. Und so behielt ich mein Mittagessen bei mir. Ich stiefelte wie immer von der Station aus nach Hause und über mir verdunkelten die Wolken sich immer mehr, so dass in einigen Fenstern schon das Licht angeknipst wurde.
Als ich mich unserem Haus näherte, sah man von weitem, wie aus den Zimmern des Jugendtreffs das Licht herausstrahlte. Je näher ich kam, umso deutlicher konnte ich erkennen, dass Kai alleine in den Räumen saß und über irgendwelchen Unterlagen hing.
Er hob mit einem mal den Kopf, schaute erst grübelnd an die Decke und richtete dann seinen Blick gedankenverloren durch das Fenster nach draußen.
Und sein Blick visierte genau mich an. Wie zu Salz erstarrt blieb ich stehen und starrte zurück. Anscheinend hatte Kai gar nicht bemerkt, was er da tat, denn erst Sekunden später erwachte er aus seiner Trance, bemerkte wohl, wo er hinstarrte und richtete ruckartig seinen Blick wieder auf die Papiere.
Ich brauchte noch zwei Sekunden länger, bevor ich mich aus meiner Starre löste, auch kurz den Kopf schüttelte und wieder weiter ging. Das Haus hinein, die Treppen hinauf, in meine Wohnung und dann fiel die Tür zu und in dem Moment auch die Spannung aus mir heraus.
‚Was war da eben geschehen?’, schoss es mir durch den Kopf. Und so stand ich dann mit dem Rücken an meine Wohnungstür gelehnt da und überlegte. Und es gab in meinen Augen nur eine plausible Erklärung. Er hatte gar nicht bemerkt, wen oder was er da angestarrt hatte. Er war in Gedanken und ich habe einfach etwas überreagiert.
Ich war wohl heute einfach zu sensibel für derartige Aktionen. Mit dem Rücken die Tür hinabrutschend, sank ich zu Boden und atmete erst mal tief durch. Später, als ich mich wieder etwas unter Kontrolle hatte, stand ich wieder auf, entledigte mich meiner Sachen und sprang unter die kalte Dusche, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Aber so langsam zweifelte ich daran, diesen überhaupt noch zu bekommen.
Die Tropften prasselten wie ein kalter Novemberregen auf mich nieder und jeder einzelne Tropfen stach wie ein Nadel in meine Haut. Ich weiß nicht warum, aber es fühlte sich gut an. Vielleicht, weil ich es endlich mal wieder schaffte, mich selbst zu spüren. Auch Schmerz kann gut tun, dieses Gefühl nicht einfach nur taub und stumm durch die Welt zu laufen.
Man kann viel erzählen und sagt dennoch nichts. Man kann viel unternehmen und erlebt dennoch nichts. Aber sich ein einziges Mal selbst zu spüren, zu wissen, dass man auch noch da ist. Dass man Mensch ist, das tat gut.
Ich musste Ewigkeiten unter der Dusche gestanden haben. Nahezu regungslos, erst als ich die Augen wieder öffnete, realisierte ich, dass meine Haut feuerrot war und an einigen Stellen sich sogar schon tiefbläulich verfärbt hatte. Aber zu diesem Zeitpunkt merkte ich schon nichts mehr. Die Tropfen perlten über meine Haut, aber ihre Kälte war verflogen, sie fühlten sich dann eher schon wie ein warmer Sommerregen an.
Ich stellte das Wasser ab, blieb aber noch eine Weile in der Dusche stehen, bis auch die letzten Tropfen über meine Haut geglitten waren. Erst dann, immer noch irgendwie in Trance, ergriff ich mein Handtuch und rubbelte meine Haut trocken. Diese war jedoch so überempfindlich, dass jedes Bewegen über die Haut einen höllischen Schmerz auslöste. Es brannte wie Feuer und ich musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht sofort anzufangen zu fluchen.
Daraufhin lullte ich mich in eine Wolldecke und verzog mich aufs Sofa. Meine Gedanken spielten immer noch wirr und ließen sich nicht ordnen. Immer wieder tauschten die Bilder der vergangenen Tage und die Stimmen erzählten durcheinander. Mal hörte ich Tims Stimme, wie er mir am Telefon erzählte, dass er arbeiten müsse, unterlegt mit den Bildern aus der Toilette. Wie er aus der Kabine kam und mich entsetzt ansah. Dann wieder die Erinnerung an gestern Abend, wie David Modenschau machte. Es folgte das Treffen mit Greta im Park, oder auch wie ich mit Flo plötzlich auf dem Sofa wieder zu Sinnen kam und einfach davonlief.
Und immer wieder die Stimmen durcheinander, mal hörte ich Kai erzählen, dann wieder Thomas oder Tim oder Greta.
Nichts ließ sich entwirren und irgendwann machte mein Verstand das einzig Sinnvolle, er stellte ab und ich schlief einfach an Ort und Stelle in meine Decke gehüllt ein ...
....
"DingDong"
Das Geräusch meiner Klingel, unterlegt mit dem Hämmern einer Hand auf Holz, erreicht irgendwann mein Trommelfell und leitete dieses weiter in mein Gehirn, wo es unwillig angenommen wurde. Innerlich sträubte ich mich davor die Augen zu öffnen, denn dann wäre ich ja wieder in dieser Welt, mit den Erinnerungen, die ich nicht entwirren konnte. Aber irgendwann musste es ja dann doch geschehen. Wenn nicht jetzt, dann später.
Ich wollte zwar für später plädieren, aber da war es schon längst zu spät.
Meine Augen waren schon längst geöffnet und das grelle Licht der Welt blendete mich erst mal. Und im selben Moment realisierte ich dann auch, dass dort jemand vor meiner Tür stand und versuchte, mich zu erreichen. Und im gleichen Moment wurde mir auch klar, wer dieses war. Es war schließlich schon nach 18 Uhr und somit konnte es sich nur um Greta und den unbekannten Tom handeln.
Mit einem Satz war ich aufgesprungen und versuchte in meine Klamotten zu steigen. Zerrend und reißend stieg ich in meine Hose und Shirt und während ich diese noch ordnete und deren Sitz überprüfte, öffnete ich parallel dazu die Tür.
"Sorry, bin vorhin einfach so eingeschlafen. Hallo erst mal!", stand ich jetzt immer noch etwas wirr vor den beiden und streckte die Hand entgegen.
"Das sieht man allerdings!", stand Greta da und begann zu lachen.
"Was gibt’s denn da zu lachen?", fragte ich stutzig.
"Na bewundere dich mal selbst im Spiegel!", lachte sie weiter. Und ich tat dieses etwas verwirrt. Und ich begann genauso zu lachen. Ich war vollkommen zerknittert, mein Shirt hatte ich falsch herum an, meine Haare standen zu Berge und vor allem sah ich immer noch ziemlich neben der Spur aus. Eigentlich eher eine tragische Figur, aber schon wieder so tragisch, dass man drüber lachen musste.
"Kommt erst mal rein!", deutete ich den beiden und verschwand dann noch einmal kurz ins Bad, um mich jetzt wirklich zu richten.
"So gefällst du mir schon viel besser!", war der erste Kommentar, als ich das Bad verließ und mich Greta mit einer Umarmung richtig begrüßte.
"Und das hier ist, wie angekündigt, Tom." Und deutete dabei auf die Person hinter sich, die sich jetzt von meinem Sofa erhob und mir die Hand hinstreckte.
Ich konnte meinen Augen nicht trauen, was Greta da mitgebracht hatte. Eigentlich gar nicht der Typ von Mann auf den sie stand. Relativ dünn und hoch gewachsen, richtig schlaksig. Kantiges, markantes Gesicht, mit einer feinen Brille auf der Nase. Seine Haare waren schwarz und durch und durch verstrubbelt, so als wäre nicht ich gerade aus dem Bett gefallen, sondern er. Er wirkte jedoch nicht wie die angedeuteten 18 Jahre, sondern eher wie 24, wie ein typischer Student. Verschlafen und verknittert. Und relativ ungewöhnlich für sein junges Alter war vor allem der Drei-Tage-Bart, der sein Gesicht zierte.
Seine Erscheinung wirkte nicht wirklich wie ein 18-jähiger Schüler, sondern wirklich wie ein waschechter Student. Schluffig und dennoch markant. Und vor allem blitzen mich die Augen mit einem durchdringenden Blick an, den ein 18-jähriger normalerweise in seiner Naivität noch gar nicht entwickelt hat.
"Hallo!", auch seine Stimme war tief und so harmonisch Schwingend wie ein Bass.
"Hallo!", erwiderte ich noch etwas in Gedanken und drückte ihm die Hand. "Was wollt ihr denn trinken?", wollte ich dann doch mit der nächsten Frage beweisen, dass ich trotz der anfänglichen Schwierigkeiten den guten Gastgeber heraushängen lassen konnte.
"Was hast du denn?", fragte Greta, während sich beide nebeneinander niederließen und Tom gleich seinen Arm beschützend um Greta legte.
"Cola? Wasser? Wein? Kaffee? Prosecco? ....", ratterte ich meine Liste nieder.
"Prosecco?", schaute Greta Tom fragend an.
"Prosecco? Hast du auch ein Kölsch da?", fragte er schon leicht bettelnd.
"Klar, kein Problem, also zwei Kölsch und ein Prosecco!", wiederholte ich noch einmal wie ein Oberkellner und entsprang in Richtung Kochnische. Mir war heut richtig nach Alkohol. Ich brauchte jetzt irgendetwas, um wieder auf Normal zu kommen, aber diesmal kein Prosecco, lieber mal was Handfestes und zum Glück verlangte dann Tom auch nach Kölsch.
Wenige Momente später standen dann die Getränke auf dem Tisch und wir stießen erst einmal an. "Schöne Wohnung hier", begann jetzt das Gespräch mit Tom etwas holperig.
"Jep. Hab ich nur durch Zufall bekommen. Jeder, der die Wohnung mal länger als fünf Minuten gesehen hat, vor allem die wunderschönen Sonnenaufgänge, hat sie geliebt und war neidisch", erzählte ich schon mit fast stolz geschwellter Brust.
Mein Blick fiel auf Greta, die, im Gegensatz zu sonst, stillschweigend neben Tom saß und abwechselnd mich und Tom mit großen Augen ansah.
"Glaub ich dir!", erwiderte Tom und es entstand wieder eine unangenehme Stille.
Wir saßen uns einfach gegenüber und tranken unser Kölsch.
"Was machst du denn beruflich?", versuchte ich das Gespräch weiter in Gang zu bringen.
"Ich bin noch Schüler. Mache erst nächstes Jahr mein Abi."
"Mit welchen Leistungskursen?"
"Deutsch und Englisch", antwortete er knapp.
"Und danach?"
"Erst einmal Zivi und danach dann Deutsch und Englisch auf Lehramt studieren!"
Greta saß immer noch schweigend daneben, begann sich aber nach und nach an Toms Seite zu schmiegen.
"Ach, auch Zivi. Und wo?"
"Dachte irgendwo im Krankenhaus."
"Also wie ich."
"Bist du grad Zivi?", fragte er dann auch einmal was nach und wirkte sogar endlich einmal leicht interessiert.
"Jep. In 'nem Krankenhaus, in der Radiologie. Also alles was mit Röntgenstrahlung zu tun hat."
"Und was machst du da genau?"
"Vor allem Archivarbeit und Patientenanmeldung."
"Klingt nicht wirklich interessant."
"Kein Zivijob ist interessant. Die einen fahren vor allem Betten durchs Haus und bringen Blut ins Labor und andere sitzen in der Verwaltung."
"Sind denn wenigstens schöne Schwestern um dich herum?", grinste er mich vielsagend an.
Woraufhin endlich auch Greta mal etwas sagte. Sogar gespielt zickig, dass mit den schönen Schwestern konnte sie ja nicht auf sich sitzen lassen.
"Schwestern? Vor allem Pfleger und die sind dann wohl eher für Fritz reserviert", und grinste ihren Tom dabei an, dem bei diesen Worten die Gesichtszüge kurzfristig entglitten.
"Ach, du bist schwul?", fragte er jetzt noch einmal direkt an mich adressiert, woraufhin ich nur nickte und seine Gesichtszüge immer noch einen Moment entglitten blieben. Doch schließlich fing er sich wieder und antwortete nur kurz: "Sorry, konnte ich ja nicht wissen, dass du nicht auf Frauen stehst."
"Halb so wild. So wichtig ist das nun auch nicht. Eher, dass du in Gretas Beisein nicht von schönen Krankenschwestern vorschwärmen sollst. Sonst greift sie irgendwann zum Skalpell und Flutsch war es das mit deiner Manneskraft", grinste ich ihn diabolisch an.
"Ach das würd sie nicht. Schließlich weiß sie ja, dass sie die schönste Krankenschwester abgeben würde."
"So, so. Weiß ich das also?", fragte sie noch einmal leicht provozierend nach.
"Klar doch. Nur ohne die weiße Tracht gefällst du mir noch besser", grinste er sie an und gab ihr einen Kuss.
"Heb dir das für nachher auf", flüsterte sie ihm, für mich kaum hörbar, zu und ich lächelte nur in mich hinein. Endlich wurde so das Gespräch lockerer.
Aber er wich jetzt dennoch vom Thema wieder ab.
"Und wie lange musst du noch?"
"Nur noch 3 Monate mit ein bisschen Urlaub dazwischen."
"Und danach?", versuchte er interessiert zu wirken, doch jetzt wirkte er schon wieder wie zu Anfang. So als wäre er eher aus Zwang hier.
"Noch keine wirkliche Ahnung. Das muss sich dann leider kurzfristig entscheiden. Vielleicht auch erst einmal nur jobben."
"Noch gar keine Vorstellung?", hakte er nach.
"Nein, nicht wirklich. Alles ist irgendwie möglich."
"Und auch keine Interessen?"
"Doch, aber die sind so weit verstreut, dass es nahezu alles werden könnte. Von Medizin bis zum Theologiestudium."
"Theologie als Schwuler?", zog er die Augenbraue hoch.
"Wieso nicht?"
"Na, weil die Kirche und deine Sexualität nicht wirklich zusammenpassen. Oder irre ich mich da so sehr?"
"Wer sagt denn, dass ich in den Kirchendienst gehen muss? Wieso kann man nicht als Atheist Theologie studieren, wenn einen dieses Thema interessiert und man sich gerne damit auseinandersetzt. Und vor allem wieso sollten Homosexualität und Glaube nicht zusammenpassen? Was uns da der Papst sagt, ist nicht alles."
"Ja, aber dennoch, selbst in der Bibel steht es."
"Da steht gar nichts wirklich. Die angeführten Zitate sind immer aus dem Zusammenhang gerissen und vielfältig deutbar. Glaube an Gott, hat nichts mit der Sexualität zu tun."
"Und vor allem", kam mir Greta zur Verteidigung, "niemand auf Erden hat doch wohl über den anderen zu richten. Dieses Privileg oder auch diese Bürde hat maximal unser Gott. Das weiß selbst ich als Katholikin."
"Aber um dich zu beruhigen", grinste ich ihn an, "Theologie ist sowieso eher das Unwahrscheinlichste. Auch wenn es absolut interessant ist. Auch für einen gläubigen Atheisten."
"Lassen wir das Thema lieber, sonst kommen wir selbst mit dem Atheismus noch in eine Diskussion", beschwichtigte er.
"Bist du eigentlich ein Zugezogener oder lebst du schon immer in Köln?", versuchte er diesmal das Gespräch am Laufen zu halten.
"Nur ein Zugezogener. Bin Ursprünglich aus einem Dorf im Westerwald", nahm ich ihm die nächste Frage direkt ab.
"Und wieso dann direkt schon zum Zivi nach Köln? Wäre doch sicherlich günstiger bei den Eltern geblieben?"
"Weißt du wie es im Westerwald ist?"
"Schöne Natur? Schöne Landschaft, viel Ruhe ..."
"... Also stinklangweilig", fiel ich ihm dazwischen. "Irgendwann muss man sich entscheiden, ob man auf dem Dorf versauern will, oder ob man hier seinen Spaß hat."
"Ja, aber den Spaß kann man doch auch dort haben? Freunde, Familie, etc.?", wollte er abwiegeln. Greta saß wieder stillschweigend neben ihm und ihre Augen gingen wieder wie bei einem Tennisspiel von Mann zu Mann.
"Freunde und Familie, ok. Aber nach der Schule verlaufen sich die meisten Freundschaften. Der eine zieht halt zum Studieren dorthin, die anderen haben durch ihre Ausbildung kaum noch Zeit und dann sitzt man allein da. Und vor allem wenn man schwul ist, wird die Situation natürlich noch einmal verstärkt. Finde in solchen Regionen Gleichgesinnte. In der Großstadt allgemein ist das Problem weniger groß." Und ich schnitt wieder dieses unangenehme Thema an. Jedoch wurde es durch das Klingeln von Gretas Handy unterbrochen.
Sie stand auf und ging mit ihrem Anruf auf den Balkon, so dass sie ungestört war. Wir blieben beide stillschweigend auf unseren Plätzen zurück und tranken unser Kölsch.
"Entschuldige Fritz, aber ich muss dringend nach Hause."
"Wieso? Was ist denn passiert?", fragte ich etwas erschrocken nach.
"Keine Angst nichts Schlimmes. Hab jetzt keine Zeit alles zu erklären und vor allem weiß ich auch noch nicht viel. Erklär es dir das nächste Mal. Ok?"
Ich nickte nur und sie gab mir einen Kuss auf die Wange, während sie Tom die Hand hinhielt und ihn in Richtung Tür dirigierte.
"Dann danke fürs Kölsch und für die Einladung", bedankte sich Tom und reichte mir zum Abschied die Hand.
"Gern geschehen", kam es darauf nur von mir.
"Und sorry noch mal, dass wir so schnell aufbrechen müssen. Aber ... ich werd es dir später erklären. Noch 'nen schönen Abend, Fritz", und gab mir dabei zwei Abschiedsbussis. Beide verschwanden daraufhin aus der Wohnung. Ich schloss ab, entledigte mich wieder meiner Klamotten und verkroch mich auf mein Bett.
Mir war schon klar, dass der Abend nicht nach Gretas Geschmack verlaufen war, aber dass sie deswegen gleich flüchtet? Anders wirkte dieser Abschied nicht. Eine Flucht vor was auch immer. Tom und ich haben halt unsere Anfangsschwierigkeiten. Vielleicht werden wir uns auch nie grün hinter den Ohren. Aber im Endeffekt ist das auch nicht mein Problem. Greta muss ihn mögen, nicht ich. Und wenn Greta mit ihm glücklich ist, dann wird es wohl das Beste für sie sein. Es ist schließlich auch in ihrem Leben Platz für mehrere Personen, auch für Tom und mich. Ich ließ noch einmal das Gespräch Revue passieren und bemerkte erst im Nachhinein, wie wir dort einen Hahnenkampf ausgetragen haben. Zwar nur unterschwellig, aber die Stimmung war nie wirklich entspannt.
Jeder musste dem anderen beweisen, dass man im Recht lag. Wir waren einfach zu unterschiedlich. Vielleicht kommen Tom und ich ja noch einmal zusammen und bereinigen dieses, vielleicht aber auch nicht. Alles halb so wild, dachte ich mir und schlummerte mit diesen letzten Worten dahin ...
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