Stories
Stories, Gedichte und mehr
Catch a fallin' Star
Summerchallenge 2005
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.
Informationen
- Story: Catch a fallin' Star
- Autor: Dani
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Challenge
Inhaltsverzeichnis
von der Redaktion:
Dies war ein Beitrag zur Summer Challenge 2005
Sommer 2005
Eine laue Brise wehte vom Meer zu mir hin, als ich aus einem leichten Schlummer aufwachte. Ich setzte mich auf und blickte in Richtung der Brandung. Das Anrollen der Wellen hatte mich wohl einschlummern lassen.
Dann schwenkte mein Blick halbrechts zum aufgespannten Volleyballnetz, von dem immer wieder Rufe und Gelächter herüber tönten. Meine Augen saugten sich förmlich an einem der Spieler fest. Der hoch gewachsene Anfangzwanziger hatte Aufschlag.
Mit einer geschmeidigen Bewegung warf er den Ball in die Luft und sprang hinterher, um ihn dann mit einem wuchtigen Schlag übers Netz zu treiben. Die drei gegnerischen Spieler hatten keine Chance. Seine beiden Mitspieler riefen ihm freudig Glückwünsche zu, und er solle den nächsten Ball wieder so spielen. Er lachte die beiden an und antwortete mit seiner samtenen Stimme.
Meine Augen blieben weiter an der schlanken, biegsamen Gestalt kleben. Doch dann schüttelte ich den Kopf und schämte mich ob der Gedanken, die durch meinen Kopf strömten. Gedanken, in denen dieser sexy Typ, der fast immer gut gelaunt war, mein Freund war. Doch das ging nicht.
Ich ließ meinen Kopf auf meine Arme sinken und starrte erneut aufs Meer hinaus.
Minuten später hörte das Gelärme am Netz auf und die Gruppe dort verstreute sich. Drei der Spieler stapften scherzend auf mich zu. Zwei davon bildeten eindeutig ein Pärchen. Ich seufzte auf, war doch mein „Schwarm“ darunter, und doch freute ich mich für die beiden, dass sie hier zusammen einen unbeschwerten Urlaub verbringen konnten.
Rückblick: Sommer 2002
Mein Bruder Fabian - für mich Fabi - war, obwohl fast 3 Jahre jünger, glücklicherweise nie eine Nervensäge gewesen. Im Gegenteil, wir verstanden uns ausgesprochen gut. Wenn er mal Kummer oder Probleme hatte, kam er fast immer zu mir und nicht zu unseren Eltern. Als ich neunzehn war, hatte ich, ziemlich spät wie ich finde, meinen ersten Freund. Meine Eltern waren begeistert, aber mein kleiner Bruder erschien eher reserviert und verschwand meist auf sein Zimmer oder zu Freunden, wenn mein Freund bei mir war. Ich glaubte, er war eifersüchtig auf ihn.
Zu diesem Zeitpunkt fingen seine bisher ganz guten Schulnoten an, rapide schlechter zu werden. Mein Bruder wurde immer grüblerischer. Und ich kam immer schwerer an ihn heran.
Er wollte aber nun öfter als sonst ins Web. Und das ging nur über meinen PC. Meine Eltern hatte ihm nämlich zu verstehen gegeben, dass es einen eigenen PC nur bei besseren Noten gäbe.
Wir hatten ausgemacht, dass wir den Verlauf immer nach Ende einer Sitzung löschen würden – ein bisschen Privatsphäre für jeden.
Die Autovervollständigung hatten wir nicht ausgestellt. Es gab ja nie URLs, die das Elektronenhirn ergänzen konnte. Aber etwa vier Monate nachdem ich mit meinem Freund zusammen gekommen war, fing ich an eine Adresse einzutippen. www.b – so weit war ich gekommen, als wie durch Magie plötzlich eine vollständige URL da stand. In dem Augenblick dachte ich gar nicht nach, sondern drückte nur auf Return und schon baute sich die Seite auf. Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, was ich dort sah. Ein gut aussehender Junge schaute mir zwinkernd entgegen und forderte mich auf, einzutreten. Wie in Trance klickte ich auf den „Eingang“ und eine Seite von Jungs für Jungs öffnete sich. Eine Seite, in der Mädchen nur als Geschwister oder als für einen schwärmendes Wesen vorkamen, aber nicht wie erwartet als anbetungswürdiges Geschöpf.
Als ich langsam begriff, platzte mein Bruder herein.
„Melli, darf ich noch mal kurz an den Com…“ dann erstarb seine Stimme. Ich drehte mich um und sah, wie er auf den Monitor guckte, dann ruckte sein Blick zu meinem Gesicht hoch. Er sah vollkommen unsicher und – verängstigt? aus. Doch dann entspannte sich sein Gesicht. Er wirkte zwar immer noch leicht verkrampft, aber nun kam er auf mich zu.
Später hat er mir einmal erzählt, dass er Ablehnung und Enttäuschung in meinen Augen erwartet hatte. Dort hätten ihn aber nur Liebe und Begreifen wollen angeblickt.
Er kam also auf mich zu, schwenkte dann ab und setzte sich aufs Bett. Er setzte zum Sprechen an, räusperte sich, und nun konnten die Worte seinen Mund verlassen.
„Melli, Schwesterchen, ich glaube es ist Zeit, dass wir mal ein längeres Gespräch führen.“
Dem konnte ich nur zustimmen.
Er erklärte mir, dass er schon länger gemerkt hatte, dass er nicht auf Frauen stand, aber erst durch meinem Freund war es ihm so richtig klar geworden, dass Männer sein Ding sind. Er war eifersüchtig gewesen, aber nicht auf meinen Freund, sondern auf mich. Deshalb war er auch, wenn es ging, verschwunden, wenn mein Freund bei mir auftauchte und hatte sich auch von mir zurückgezogen.
Bisher hatte er sich nur bei Bekannten im Web geoutet. Ihm aus dem „realen Leben“ bekannte Personen wussten von nichts. Na ja, bis auf mich ab diesem Moment.
Wir rauften uns wieder mehr zusammen, vor allem als ich auch kurz darauf mit meinem Freund Schluss machte, da dieser mich mit so einer Diskotussi betrogen hatte, wie ich um ein paar Ecken herum von Freunden erfuhr. Er schwor zwar, dass es nur ein One-Night-Stand gewesen sei, aber ich konnte ihm nicht mehr vertrauen. Die Luft war raus.
Das machte es für meinen Bruder auch wieder einfacher.
Da ich angefangen hatte, ihm Nachhilfe zu geben, schaffte er das Schuljahr auch mit einigermaßen passablen Noten und blieb nicht sitzen, wie es noch Anfang des Halbjahres zu befürchten stand. Er heimste seinen PC zu seinem siebzehnten Geburtstag, ein paar Tage vor Schuljahresende ein.
Die Sommerferien ließen uns als Familie zusammen rücken. Fabi zog sich nicht mehr so zurück, was auch meinen Eltern auffiel, und ich fuhr ein letztes Mal zusammen mit ihnen und dem Kleinen in den Urlaub.
Zwei Wochen Algarve reichten aus, um uns klar zu machen, dass er und ich den gleichen Geschmack bei Männern haben. Groß, schlank, etwas längere blonde oder hellbraune Haare und humorvoll und fröhlich. Wir gingen oft zusammen aus und checkten die Typen, und diesmal hatte er das Glück und fing sich einen kleinen Ferienflirt ein. Auch ein deutscher Tourist, aber hunderte Kilometer entfernt von uns wohnend.
Was schwierig war, war, dass er bei unseren Eltern nicht out war und den leckeren Kerl vor ihnen verheimlichen musste. Und es war nervig, dass sie versuchten, ihn mit einem Mädchen zu verkuppeln und mich mit seinem Flirt, der vom Alter her mehr bei mir als bei ihm lag.
Wir hatten lange beratschlagt, ob er sich unseren Eltern anvertrauen sollte. Er war aber noch zu unsicher dazu, und wir konnten beide nicht abschätzen, wie sie darauf reagieren würden.
Wenn wir versuchten, sie vorsichtig auszuhorchen, in dem wir das Thema Homosexualität ansprachen, kamen immer widersprüchliche Signale von ihnen. Mal dachten wir, sie würden es ohne Probleme verkraften und ihn so akzeptieren, wie er ist, dann wieder brachten sie einen Hammer-Kommentar und ich konnte sehen, wie Fabi innerlich zusammensackte, und ich musste mich in solchen Momenten zusammenreißen, um unsere Eltern nicht anzuschreien und ihnen ordentlich den Kopf zu waschen.
Sommer 2003
Ein Jahr später stand mein Umzug in eine 100 km entfernte Großstadt an. Ich hatte endlich meine Wunschausbildungsstätte bei einem großen Automobilbetrieb bekommen. Nach dem Abi hatte ich nur Praktika in verschiedenen Autowerkstätten gemacht und in den Beruf des Mechatronikers reingeschnuppert.
Die Ausbildung, die ich jetzt anfange sollte, würde auch einen Studienanteil enthalten, bezahlt, versteht sich. Meine guten Noten in den Leistungskursen Mathematik und Physik hatten geholfen, die Stelle zu ergattern.
Mein Bruder wollte jetzt endlich mit unseren Eltern reinen Tisch machen. Ihre Kommentare bei unseren Aushorchungsaktionen wurden immer zivilisierter, und er wollte mich als Unterstützung dabei haben.
Also setzten wir uns knappe zwei Wochen vor meinem Auszug im Wohnzimmer zusammen.
Meine Mutter legte sofort los:
„Junge, du willst mit uns sprechen? Was gibt es denn wichtiges?“
„Bestimmt hat sich der Junge eine nette Freundin angelacht und traut sich bis jetzt nicht, sie mitzubringen, stimmt’s? Aber schwanger wird sie ja nicht sein?!“, schaltete sich mein Vater ein.
Na klasse, dachte ich da nur, das fängt ja gut an. Ich sah Fabi schlucken.
„Na ja.“, druckste er herum. „Es geht eher um etwas anderes.“ Er sah mich hilfesuchend an und ich versuchte ihm Kraft zuzusenden.
„Mama, Papa, ich will es kurz machen, ich bin schwul. Ich werden nie eine Freundin mitbringen, und wegen Enkelkindern solltet ihr euch an Melli halten.“ Er lächelte schief.
Dann herrschte großes Schweigen. Von unseren Eltern kam erstmal kein Mucks. Ich stand auf und setzte mich neben ihn und drückte ihm die Hand.
War das Schweigen gut oder schlecht? Mir zuckten tausende Gedanken durch den Kopf.
Unser Vater brach schließlich das Schweigen.
„Fabian, schwul?! Sag mir, dass ich mich verhört habe!“, er sprach leise, so wie sonst nur, wenn er sehr wütend war, weil jemand etwas Schlimmes ausgefressen hatte. Kein gutes Zeichen.
Doch mein Bruder erwiderte stolz: „Du hast dich nicht verhört, ich bin schwul, S-C-H-W-U-L.“
Seine Hand zitterte leicht in meiner, als er dies sagte, doch äußerlich ließ er sich nichts anmerken.
Unsere Mutter kam dann sofort mit der Phrase, das wäre doch bestimmt nur eine Phase. Dabei konnte sie ihm nicht in die Augen blicken.
Unser Vater sagte nichts mehr, stand schließlich nur auf und verlies das Zimmer. Unsere Mutter fing dann auch noch an zu weinen und lief ihm nach.
Das war ganz und gar nicht so gelaufen, wie wir es uns erhofft hatten, wie ich es mir erbeten hatte für meinen kleinen Bruder.
Wir zogen uns in sein Zimmer zurück und beratschlagten. Uns blieb nur zu hoffen, dass unsere Eltern sich wieder einkriegen würden, wenn die Mitteilung ihres Sohnes gesackt war.
Leider war dem nicht so. Fabi wurde von unserem Vater weiter ignoriert oder von unserer Mutter mit vorwurfsvollen Blicken bedacht. Ein vernünftiges erklärendes und klärendes Gespräch war nicht zu führen. Vor allem, erklären konnte man ja auch nicht so richtig was. Das was möglich wäre, wäre, unsere Eltern aufzuklären und dadurch bei ihnen zum Akzeptieren oder besser noch zum Respektieren zu kommen, aber gegen diese Ablehnung kamen wir nicht an.
Fabi zog sich erneut zurück, was unsere Eltern sogar zu erleichtern schien. Mit mir versuchten sie heile Familie zu spielen. Aber da machte ich nicht mit. Am liebsten wäre ich schon früher ausgezogen, die neue Wohnung war schon frei und musste nur noch etwas aufgemöbelt werden, aber ich konnte Fabi unter diesen Umständen doch nicht alleine lassen.
Da er nun Sommerferien hatte, schnappte ich ihn mir eines Tages und zwang ihn auf sein Fahrrad. Wir fuhren zu einer ruhigen Ecke des nahe gelegenen Baggerlochs.
„Willst du über die Ferien nicht mitkommen zu mir? – Ich könnte beim Streichen und Einrichten etwas Hilfe gebrauchen. Platz habe ich ja genug.“
Er blickte mich dankbar an, lächelte dann tapfer „Ach Melli, ich kann doch nicht einfach vor dieser Situation weglaufen.“
Man merkte ihm den inneren Kampf an.
„Fabi, ich hoffe, nein, ich denke, Ma und Paps brauchen einfach nur Zeit. Lass sie eine Weile allein sein und dann merken sie schon, dass sie dich, deine Person, ihren Sohn, vermissen. Und am Ferienende oder vielleicht noch eher, kommst du dann wieder nach Hause, und sie werden kapiert haben, dass sie Mist gebaut haben, dass sie dich nicht verlieren wollen, dass sie dich lieben, so wie du bist. Denn du hast dich ja nicht verändert. Du warst schon immer so, allein der Blickwinkel, unter dem sie dich betrachten, ist ein anderer ,und sie werden schon merken, dass durch die neuen Facetten, die bei dir dadurch sichtbar werden, das Leben interessanter, bunter und keinesfalls schlechter wird!“
Ich hatte mich in Rage geredet und war voller Optimismus, zwang mich geradezu dazu. Ich konnte nicht mit ansehen, wie Fabi so unglücklich war.
Er gab endlich nach und ich teilte am Abend meinen Eltern unseren Entschluss mit.
Unser Vater sagte mal wieder nichts, und unsere Mutter gab nur mit einem kurzen Nicken ihre Zustimmung zu verstehen.
Ich organisierte mit Freunden und Verwandten die Vorverlegung meines Umzugs und keiner sagte etwas dazu, dass Fabi für die erste Zeit mitkommen würde.
Sie scherzten, dass ich so doch nur das Heimweh und die Einsamkeit in der Fremde bekämpfen wollte. Und unsere Eltern benahmen sich endlich auch bei Fabi wieder etwas mehr wie Eltern. Sie sprachen während der Packerei und Plackerei wieder mit ihm. Aber war ihr Lächeln echt, das sie aufsetzten, wenn jemand, der nicht aus unserer vierköpfigen Kernfamilie kam, auftauchte? Ich wünschte es mir so sehr.
Zwei Tage später war die Wohnung in schönen Gelb- und Orangetönen gestrichen und die Farbe getrocknet, der hellblau-mellierte Teppich lag da, wo er hin sollte und die wichtigsten Möbel waren aufgebaut. Nämlich die Einbauküche, die eh schon drin war, und das Bett.
Vielleicht sollte ich etwas zu meiner Wohnung sagen. Ich bekam sie verbilligt über den Betrieb, sonst hätte ich sie mir von meiner Ausbildungsvergütung gar nicht leisten können.
Sie lag in einem kleinen Viertel der Stadt mit guter Verkehrsanbindung und nahe an einem großen grünen Park und die wichtigsten Geschäfte waren zu Fuß schnell erreicht. Meine Nachbarn in dem sechs Parteien Haus waren alle entweder in meinem Alter oder in den Dreißigern.
Eine kleine Küche nannte ich mein eigen. Mit zwei Leuten würde man gemütlich darin werkeln und brutzeln können, aber schon mit drei Personen würde sie zu eng sein. Neben der Küche waren das Bad, ohne Wanne, dafür mit Dusche, und ein kleiner Abstellraum, in dem die Waschmaschine und ein billiger Trockner verstaut werden sollten.
Gegenüber der Küchentür befand sich das Schlafzimmer. Darin stand schon das große Futonbett. Ein großer Kleiderschrank war erst in Einzelteilen vorhanden.
Das hört sich bis jetzt nicht sehr groß an, aber das Beste war ein riesiges Wohnzimmer. Daraus hätte man auch glatt zwei Zimmer machen können. Vorne wollte ich eine Arbeitsecke einrichten, dann, durch einen Raumteiler verdeckt, sollte ein ausziehbarer Esstisch und eine Anrichte kommen und hinter einer Kommode dann das eigentliche Wohnzimmer: Schlafcouch, Sessel und Fernseher. Natürlich war meine Dolby Surround Anlage mitgekommen. Vom Essbereich aus konnte man auf den Balkon, der nach Westen heraus ging, gelangen. Darauf standen noch von meinem Vormieter Gartenmöbel und zwei große Töpfe mit Pflanzen.
Nachdem sich die letzten Helfer verabschiedet hatten und Pizzakartons in Müllbeuteln verstaut waren, ließen Fabi und ich uns in die Gartenmöbel auf dem Balkon plumpsen. Letzte Sonnenstrahlen spendeten noch etwas Wärme.
Für den Tag hatten wir es geschafft. Alles Wichtige war in der Wohnung, und wir mussten uns gleich nur noch einen Ruck geben und das Bett beziehen.
„Wer geht zuerst Duschen?“ wollte ich wissen.
Mein Bruder gab mir großzügig den Vortritt, wohl wissend, dass ich dann schon mit dem Bettenmachen anfangen würde.
Am nächsten Tag kam noch mal ein Kumpel von mir vorbei und zu dritt wurden fleißig Möbel aufgebaut und die angelieferte Waschmaschine und der Trockner hoch geschleppt. Der Lieferservice umfasste das Hochtragen natürlich nicht.
Am späten Nachmittag verabschiedete sich mein Kumpel und machte sich wieder auf den Weg nach Hause, und wir schalteten den Fernseher ein, beziehungsweise mussten wir erstmal die Sattelitenschüssel aufbauen und ausrichten. Nach etwa einer Stunde waren die Programme in einer mir genehmen Reihenfolge programmiert, und mein Bruder hatte den Videorekorder und den DVD-Player angeschlossen.
Gemeinsam genossen wir einen Action-Film, bevor uns die Müdigkeit überwältigte.
Am Wochenende war endlich alles eingeräumt und gemütlich, und wir gingen am Samstag auf die Piste und checkten die Lokations aus.
Ich hatte noch eine Woche Ferien vor mir, bevor meine Ausbildung begann. Wir lernten in dieser Zeit gemeinsam die Stadt kennen und entdeckten im Park eine ruhige Wiese. Hier waren zwar viele junge Leute unterwegs, aber keine lauten Assis und Prolls.
Die Woche war schnell vorbei und ich musste mich auf dem riesigen Werksgelände einfinden. Meine zehn Mitauszubildenden waren fast alle in meinem Alter und beinahe nur Männer. Neben mir gab es nur eine weitere Frau.
Ich merkte sofort, dass die Ausbildung das richtige für mich war, auch wenn ich am Feierabend immer ziemlich erschöpft war und des Öfteren auch zu Hause richtig büffeln musste.
Obwohl ich also nicht viel Zeit für Fabi hatte, taute er trotzdem richtig auf. Hier kannte er niemanden und konnte sich geben, wie er war. Ich hatte ihm zu verstehen gegeben, dass er sich hier ruhig outen könnte. Wenn jemand von meinen neuen Bekannten damit nicht zurechtkäme, würde die Bekanntschaft halt ein schnelles Ende finden.
Mein Bruder hielt sich aber nach dem Erlebnis mit unseren Eltern zurück.
Apropo unsere Eltern. Sie riefen zwei Mal an, um sich nach dem Einzug und der Ausbildung zu erkundigen, aber nach Fabi fragten sie nicht.
Kurz vor Ende von Fabis Ferien wurde er wieder deutlich niedergeschlagener. Ich hielt es nicht mehr aus und rief bei ihnen an.
Sie freuten sich über meinen Anruf, aber immer noch keine Frage nach Fabi. Mir platze der Kragen, und ich fragte unseren Vater, der den Hörer übernommen hatte, ob er sich noch an seinen Sohn erinnern würde, oder ob er denn bei mir bleiben solle.
Zu meinem Entsetzten nahm er Letzteres ernst und stimmte dem zu. Das wäre doch die beste Lösung mit dem Problem fertig zu werden. Ich schrie in den Hörer „das Problem“ wäre sein Sohn und mein Bruder. Da machte es Klick in der Leitung.
Fabi hatte das ganze mitbekommen. Er sah mich nur stumm an, konnte sich nicht rühren. Ich ging auf ihn zu, zog ihn in meine Arme und fing an zu heulen. Ich glaube, ich war geschockter als er. Er war es, der mich tröstete, dabei hatten unsere Eltern doch ihn verleugnet.
Er gestand mir nach einer durchheulten Nacht, in der wir erst weit nach Mitternacht eingeschlafen waren, dass er dieses Verhalten unserer Eltern irgendwie erwartet hatte. Er war bei weitem nicht so optimistisch wie ich gewesen, dass unsere Eltern zur Vernunft kommen würden.
Irgendwie brachte ich diesen Arbeitstag herum und konnte mir von einem Kollegen, er hieß Holger, einen großen Van organisieren. Ich weiß nicht mehr genau, was ich ihm sagte, wofür ich diesen bräuchte, aber er sagte ihn mir sofort zu.
Am nächsten Morgen, es war zum Glück ein Samstag, stand er mit dem Van schon um sechs Uhr vor der Haustüre. Abgekämpft und blass kamen Fabi und ich herunter. Ich stellte sie einander vor und bedankte mich noch einmal für seine Hilfe.
Er hatte eine Tüte mit belegten Brötchen mit und verpflanzte mich trotz meiner Proteste auf den Beifahrersitz und mein Bruder setzte sich nach hinten. Ich denke, er hatte sich zusammengereimt, dass es großen Krach in der Familie gegeben hatte und wollte uns nicht alleine zu ihnen lassen. Ich glaube auch nicht, dass es gut gewesen wäre, wenn ich gefahren wäre.
Da wir so früh aufgebrochen waren, kamen wir um kurz nach sieben bei unseren Eltern an. Fabi und ich hatten beide noch einen Haustürschlüssel und von meinem machte ich Gebrauch.
Unsere Eltern waren noch nicht auf, und wir gingen ohne sie zu wecken direkt in das Zimmer meines Bruders.
Als erstes fiel mir auf, dass die Pflanzen auf der Fensterbank vertrocknet waren. Als Fabi erschrocken Luft holte, ließ ich meinen Blick durchs Zimmer schwenken und wurde noch blasser. Alle elektronischen Geräte waren entfernt worden, die Kleidung, die hier geblieben war, war aus dem Schrank gerissen worden und flüchtig in Plastiktüten und Altkleidersäcken verstaut. Bücher und Krimskrams waren aus den Regalen geräumt und zu einem Haufen in die Ecke geschichtet worden.
Ich war wie erstarrt, und ich glaube in dem Augenblick, bei diesem Anblick, zerbrach etwas in mir. Es war klar, dass unsere Eltern, oder besser, unsere Erzeuger wie ich sie von da an nannte, Fabian nicht mehr bei sich haben wollten, ihn wahrscheinlich sogar nicht mehr als ihren Sohn ansahen.
Schließlich drehte ich mich um und blickte meinen kleinen Bruder an. Er lächelte mir bitter zu.
„Tja, lass uns schnell das wichtigste packen und dann schnell verschwinden. Zum Glück bin ich schon volljährig.“
Holger packte, ohne zu Fragen oder einen Kommentar abzugeben, mit an.
Unsere Erzeuger wachten nun auch auf. Fabian - sein Kosename Fabi passte nicht mehr zu ihm, er war jetzt zu erwachsen dafür - ignorierten sie wieder, und Holger streiften sie nur mit einem kurzen Blick. Aber auf mich kamen sie zu. Wollte mich begrüßen. Doch nun war ich an der Reihe mit dem ignorieren, auch wenn es mir in der Seele wehtat, denn auf eine verquere Weise hatte ich sie immer noch lieb und doch lag der Hass, ob ihres Verhaltens meinen Bruder gegenüber, ganz nah dabei und gab mir Kraft.
Kraft dem Betteln meiner Mutter und der Verzweiflung in den Worten meines Vaters zu widerstehen.
Fabians Fernseher und PC fanden wir zum Glück in der Garage. Das Bett, der Schrank und eines der Regale waren schnell abgebaut und alles wurde mit Mühe im Van verstaut. Ein paar Kleinigkeiten und auch kleinere Möbelstücke ließen wir zurück, da nichts mehr in den Wagen passte.
Ohne uns zu verabschieden fuhren wir ab. Weder Fabian noch ich blickten zurück.
Auf einmal wandte sich Fabian an Holger.
„Hör mal, du musst doch jetzt wer weiß was von uns denken.“
„Kleiner, ich hab euch gerne geholfen, du musst keine Erklärung abgeben.“
„Das will ich aber.“
Dann erklärte er ihm den ganzen Schlamassel.
Holger stellte keine Fragen und hörte nur aufmerksam zu. Am Schluss schenkte er uns beiden nur ein warmes, aufmunterndes Lächeln.
„So etwas Ähnliches habe ich mir schon aus dem gestrigen Gestammel von Melanie und der Situation vorhin zusammengereimt. Ihr werdet das schon schaffen. - Am besten wendet ihr euch an das Jugendamt und auch Fabians Kindergeld sollte nun auf sein Konto und nicht mehr auf das eurer Eltern gehen. Und was ist mit Schule, oder steht eine Ausbildung für dich an, Fabian?“
Es war ein Glück, das Holger unseren Blick auf diese Formalitäten lenkte.
„Das musst du dann Montag alleine machen, Brüderchen. Während der ersten sechs Monate darf ich ja leider noch keinen Urlaub nehmen.“
Und Fabian meisterte den Umgang mit den Behörden.
Er zog offiziell bei mir ein. Vom großen Wohnzimmer wurde die nun ehemalige Arbeitsecke entfernt und mit einem Wandelement in einen eigenen Raum für Fabian umgewandelt. Für Bett, Schrank, Regal und den Schreibtisch mit dem PC war geradeso platz. Mein Zeug wanderte dafür ins Schlafzimmer. Auch hier wurde es jetzt etwas eng, aber dies war eine erfreulich praktikable Lösung.
Fabian ging von jetzt an ins nahe gelegene Gymnasium. Die letzten beiden Jahre bis zum Abitur standen an.
Nach einiger Zeit hatten wir uns einen gemeinsamen Freundeskreis aufgebaut. Wir waren ja schon immer weniger wie Bruder und Schwester gewesen, aber jetzt wurden wir endgültig zu Freunden.
Fabian ging nun öfters in die Szene, und ich kam auch hin und wieder mit. Dafür hatte ich dann einen gut aussehenden Begleiter, wenn ich in die Disko ging.
Nur einen Freund hatten weder er noch ich. Ein kleiner Flirt mal hier, mal da, aber für mehr hatte ich keine Zeit. Die Ausbildung war sehr anstrengend. Und bei Fabian? Ich weiß nicht, woran es lag.
Sommer 2005
Fast zwei Jahre später, kurz vor dem Abi, hatte er dann doch endlich einen klasse Typen gefunden. Mark. Ein Traummann. Schade für mich und ein Glück für Fabian, dass Mark schwul war. Er passte vom Aussehen genau in unser Beuteschema und man konnte super mit ihm herumalbern.
Trotz seines Freundes klotzte Fabian beim Abi richtig ran. Schon vor der mündlichen Prüfung, nach Bekanntgabe der schriftlichen Noten, war klar, dass es ein Spitzenabitur werden würde.
Mark und ich setzten uns eines Abends zusammen, als Fabian büffelte, und überlegten, wie wir den anstehenden Schulabschluss angemessen feiern könnten. Ich weiß nicht mehr, wer darauf kam, aber wir beide beschlossen zwei Wochen Urlaub zu nehmen, natürlich erst nach der Zeugnisübergabe, und Fabian zu einem Flug ans Meer zu entführen.
Die Abiturfeier war gekommen. Ich hatte unseren Erzeugern wider besseres Wissen eine Einladung zugeschickt. Sie kamen nicht. Gut ,das ich Fabian nichts davon gesagt hatte. Ich war sie nie besuchen gefahren, und ihre Anrufe hatten sie sehr schnell aufgegeben. Auch zum Rest der Familie schlief der Kontakt ein. Ich weiß nicht, was unsere Erzeuger an Müll und Lügen über uns verbreiteten und wollte es auch gar nicht wissen.
Fabian bekam als zehnter sein Zeugnis überreicht. Er sah richtig schick in seinem Anzug aus. Mark lächelte ihm freudig zu, und ich schoss Fotos.
Als alle ihre Zeugnisse überreicht bekommen hatten, wurden er und zwei Mitschüler erneut auf die Bühne der Aula gerufen. Er hatte es geschafft, als drittbester seines Jahrgangs das Abitur zu machen!
Mark hielt es nicht mehr auf seinem Sitz, und er rannte fast auf ihn zu und umarmte und küsste ihn. Ich hatte Fabian schon lange nicht mehr so glücklich gesehen.
Die Reise wurde eine volle Überraschung. Zwei Wochen Kanaren. Drei Sterne Hotel mit Halbpension direkt am Strand. Und der Flug schon in zwei Tagen.
Da wir nach der Feier entsprechend lange geschlafen hatten, begannen wir erst spät mit dem Packen, aber bis zum Abend waren unsere Klamotten in drei Koffern verstaut und schnell noch Sonnenmilch gekauft. Am nächsten Morgen ging es früh zum Flughafen.
Für Fabian war es der erste Flug, Mark und ich waren schon mal mit diesem Fortbewegungsmittel in der Weltgeschichte rumgegondelt. Er in den Urlaub und ich im Herbst zu einem Praktikum in eine der ausländischen Fabriken meiner Firma. Entsprechend aufgeregt war mein „kleiner“ Bruder, der mich um einen Kopf überragte, und löcherte uns mit Fragen.
Das Einchecken ging schnell vonstatten und nachdem wir die Duty Free Shops durchstöbert hatten, machten wir uns auf zum Abflugterminal. Der Flug verlief weitgehend ruhig, mit nur einer kurzen Warnung vor Turbulenzen und der Aufforderung sich anzuschnallen. Es blieb aber bei zwei kleinen Wacklern.
Der Flug war, meiner Meinung nach, viel zu schnell vorbei und strahlender Sonnenschein erwartete uns am Flughafen. Mein Sweatshirt verließ sehr schnell meinen Oberkörper und fand sich um meine Taille gebunden wieder. Auch die beiden Jungs ließen ihre T-Shirts die Inselluft schnuppern.
Eine Reiseleiterin erwartete uns kurz nach den Gepäckbändern und geleitete uns zu den schon wartenden Bussen. Der klimatisierte Bus kutschierte uns, mit mehreren Stopps an verschiedenen Hotels, zu unserem Domizil.
Die beiden Doppelzimmer waren schnell bezogen. Fabians und Marks lag genau meinem gegenüber. Das Duschbad war sauber, das Bett bequem und schön breit und die Klamotten schnell im Schrank verstaut. Im TV kamen angenehmer Weise auch deutsche Fernsehprogramme. Mein Fenster ging auf eine kleine Grünanlage am Rande des Hotels heraus.
Das Zimmer von meinem Bruder und seinem Freund war genauso eingerichtet. Der Unterschied war, dass sie einen Balkon hatten, der auf das Meer ausgerichtet war. Die Aussicht war atemberaubend, und wir beschlossen, uns schnell umzuziehen und einzucremen, um dann das Hotel und vor allem den Strand und das Meer zu erkunden.
Das Hotel war wirklich schön, hell und freundlich eingerichtet. In den Speisesaal konnten wir einen kurzen Blick werfen, und auch der gefiel uns. Am Pool vorbei gelangten wir dann über einen Grünstreifen an den weiten Strand. Der salzige Geruch des Meeres weitete meine Lungen, und ich beobachtete, wie Fabian Marks Hand ergriff und ihn zur Brandung zog. Unsere Flipflops hatte wir in die Hände genommen und die beiden quiekten auf, als die erste Welle sie traf.
„Wie ist das Wasser?“ wollte ich wissen.
„Herrlich!“, antwortete Fabian. „Der erste Eindruck ist zwar etwas frisch, aber schwimmen wird kein Problem sein.“
Nun erreichte auch ich das Wasser und watete gleich etwas herein. Doch, es war richtig angenehm.
Die nächsten zwei Tage lagen wir nur faul am Strand herum und gingen früh ins Bett. Mark und ich waren von der Arbeit geschlaucht, und Fabian konnte endlich den Abistress hinter sich lassen. Doch dann war Party angesagt. In einem Inselführer hatten wir über einen kleinen Club im nächsten Ort gelesen und gingen hin. Wo man hin sah nur leckere Männer, aber nix für mich. Die Regenbogenflagge prangte gut sichtbar über dem Tresen der Bar.
Meine beiden Jungs amüsierten sich und ich hatte Spaß am Beobachten der Flirtoffensiven und konnte ohne blöd angemacht zu werden richtig abtanzen.
Kurz bevor wir uns ein Taxi rufen wollten, wurden wir von einem jungen Mann angesprochen, ob wir nicht auch aus seinem Hotel kämen. Dem war so und so hatten wir jemanden gefunden, der sich mit uns den Taxipreis teilen würde.
Die nächsten Tage unternahmen wir dann viel zu viert. Die Jungs spielten am Strand oft Volleyball und zockten ihre Gegner ab. Mark konnte fantastisch spielen, und ich ertappte mich des Öfteren dabei, wie ich ihn ungewollt beobachtete. Tja, er war halt genau mein Typ.
Eines Abends, zwei Tage vor unserem Rückflug nach Hause, zogen Mark und Fabian dann alleine los. Niklas, der vierte in unserem Bunde, und ich zogen mit einem Handtuch und einer Flasche Wein bewaffnet zum Strand.
Wir unterhielten uns über Gott und die Welt und kamen auch auf Homosexualität zu sprechen. Tja, Niklas war nicht schwul, sondern bi und angetrunken wie wir waren, von dem romantischen Ambiente unterstützt, kam es, wie es kommen musste und wir schliefen miteinander.
Am nächsten Tag war es uns total peinlich, aber wir brachten diesen Tag noch mit Anstand und ohne, dass Fabian und Mark, die beiden Turteltäuberiche, etwas merkten, herum.
Zu Hause hatte mich dann schnell der Alltag wieder. Das letzte Ausbildungsjahr nahm mich stark in Anspruch und Fabian fing zu studieren an. Er hatte zum Glück in unserer Stadt seinen Studienplatz bekommen.
Auf diesen großen Schritt folgte schnell ein zweiter. Fabian und Mark beschlossen, zusammen zu ziehen. Sie fanden eine kleine gemütliche Wohnung, 10 Minuten mit der U-Bahn von mir und etwa genauso weit auch von der Uni entfernt.
Es war ungewohnt alleine zu wohnen, aber Fabian kam oft genug mit seinem Schatz zu Besuch.
Ich fühlte mich einige Zeit nach dem Urlaub morgens etwas unwohl, aber das verging bald. Als dann aber, nach knapp vier Monaten, meine monatliche Regel ausblieb, ging ich zum Frauenarzt. Die Diagnose war klar. Ich war schwanger. Als Vater kam nur Niklas in Betracht.
Da ich erst so spät zum Arzt gegangen war, musste ich das Kind austragen. Eine Abtreibung wäre eh nie für mich in Betracht gekommen.
Fabian und Mark nahmen die Nachricht bald Onkel zu werden freudig auf.
Die Ausbildungsleitung war zwar nicht begeistert, aber die Ausbildung würde ich nach dem Mutterschutz wieder aufnehmen können.
Die Geburt lief zum Glück ohne Komplikationen ab und ich brachte eine süße kleine Tochter zur Welt. Leonie nannte ich sie.
Fabian und Mark kamen öfters vorbei um eifrig Baby zu sitten. Ich nutzte das dann meist, um in Ruhe einkaufen zu gehen. Kurz vor Ende des Mutterschutzes passierte es dann. Ich überquerte schwer bepackt einen Zebrastreifen, als ich auf einmal einen Wagen heranrasen hörte. Ein Ausweichen war für mich unmöglich. Der Wagen erfasste mich und das letzte, was ich dachte war, dass meine Kleine gut versorgt sein würde.
Ich hatte kurz vor der Geburt irgendwie ein seltsames Gefühl gehabt, so, als ob mir in der Zukunft irgendetwas Schlimmes passieren würde. Nenn es weibliche Intuition oder durch die Schwangerschaft ausgelöste Hormonschwankungen. Jedenfalls setzte ich ein Testament auf und vermachte alles meinem Bruder und schloss meine Erzeuger davon aus. Auch das Sorgerecht sollte für denn Fall, dass mir etwas passieren würde, auf Fabian übergehen.
Epilog
Mark saß neben mir am Strand von Fuerte Ventura, und wir schauten unserer im Wasser planschenden Tochter zu.
Leonie, unsere kleine Löwin, war inzwischen achteinhalb Jahre alt. Sie sah mehr und mehr wie ihre Mutter, meine große Schwester, aus. Das löste zwar Trauer bei mir aus, aber auch schöne Erinnerungen wurden geweckt.
Meine Erzeuger, ich hatten diesen Ausdruck damals von Melli übernommen, hatten versucht, mir Leonie weg zu nehmen, als sie von Mellis tödlichem Unfall erfahren hatten. Aber irgendwie schien meine Große etwas voraus geahnt zu haben und hatte vorgesorgt. So hatten sie keine Chance vor dem Familiengericht.
„Papa, Papa.“, kam Leonie auf mich zu. „Erzählst du mir von Mama?“
„Natürlich.“
Ich lächelte meine Kleine an. Sie kuschelte sich an ihren zweiten Vater, den sie zum Unterscheiden Daddy nannte, und blinzelte mir ob der grellen Sonne zu.
„Deine Mutter war einer der tapfersten Menschen, die ich kenne. Sie hat mir sehr, sehr geholfen.“
Kindgerecht erzählte ich ihr die ganze Geschichte.
Am Abend war Mark an der Reihe, unsere Kleine ins Bett zu bringen und blieb bei ihr, um ihr aus "Der Herr der Ringe" vorzulesen, der derzeitig präferierten Gutenachtgeschichte.
Ich ging an den Strand, an dem Leonie damals gezeugt worden war, lauschte den Wellen und dachte zurück.
Ohne Melli hätte ich das damals, glaube ich, nicht geschafft. Sie hatte bedingungslos zu mir gestanden, als ich unsicher in die Welt blickte und nicht weiter wusste. Sie hatte mir Mut gemacht und war voller Optimismus gewesen. Zwar manchmal leider unbegründet, aber es gab mir Kraft, sie hinter mir zu wissen. Als unsere Erzeuger mich verstoßen hatten, nahm sie mich auf und unterstützte mich, obwohl ihr das Verhalten unserer Erzeuger damals das Herz brach.
Ich ließ das ganze erstmal nicht so ganz an mich heran, baute im geheimen einen Panzer auf und verkroch mich in der Arbeit für die Schule. Nach Außen tat ich unbeschwerter, als ich war. Ich wollte Melli keinen Kummer machen. Erst Mark knackte nach und nach meinen Panzer, und als Melli dann starb, brach er ganz zusammen. Doch für Leonie nahm ich mich zusammen. Der Gerichtsstreit um das Sorgerecht ließ mich die ganze Geschichte noch mal durchleben, und mit etwas professioneller Hilfe verarbeitete ich das so richtig.
Vor zwei Jahren war dann mein „Vater“ gestorben und letzte Woche, kurz bevor wir abgeflogen waren, war plötzlich ein Brief angekommen. Er war von meiner Mutter. Sie wollte wieder Kontakt und bereute es angeblich, was damals vorgefallen war.
Morgen würde ich mit Mark darüber sprechen, ob ich mit ihr Kontakt aufnehmen sollte oder nicht. Ich fragte mich, was Melli dazu sagen würde und mir war, als würde ich sie am Strand entlang gehen sehen und die Wellen flüsterten:
„Fabi, ich hoffe, nein, ich denke Ma und Paps brauchen einfach nur Zeit. Lass sie eine Weile allein sein und dann merken sie schon, dass sie dich, deine Person, ihren Sohn, vermissen. Und am Ferienende oder vielleicht noch eher, kommst du dann wieder nach Hause und sie werden kapiert haben, dass sie Mist gebaut haben, dass sie dich nicht verlieren wollen, dass sie dich lieben, so wie du bist.“
Der im Wasser gespiegelte Mondschein blendete mich kurz und ich blinzelte. Die Gestalt verschwand und die Wellen wurden wieder Wellen und rauschten von vorne und hinter mir säuselten auch noch die Palmen in der warmen Sommernachtluft.
Mit einem Lächeln im Gesicht stand ich auf und schlenderte ins Hotel zu meinen beiden Schätzen zurück.
Nachwort:
Das ist keine typische NiSt-Story, da aus der Sicht einer Frau geschrieben. Danke, dass du sie trotzdem bis zum Ende gelesen hast :-) Ich hoffe, sie hat dir gefallen und war wenigstens einigermaßen realistisch – ich weiß, dass das Ende etwas theatralisch war, künstlerische Freiheit halt. Da ich selber zu der weiblichen Hälfte der Bevölkerung gehöre und auch niemanden kenne, der nach dem Coming out solche Schwierigkeiten hatte, kann sich natürlich der ein oder andere „Fehler“ eingeschlichen haben. Falls du also Anmerkungen oder Verbesserungsvorschläge hast, schrieb mir ruhig einen Kommentar, ich beiße nicht. Lob ist natürlich auch willkommen. Danke an Catha für das schnelle und gute Beta!
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.