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Die Geschichte von zwei Menschen
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Informationen
- Story: Die Geschichte von zwei Menschen
- Autor: Daniel
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Kurzgeschichte
Prolog
Wenn dies ein Märchen werden sollte, dann würde ich jetzt mit den Worten: „Es war einmal...» anfangen. Aber wie sich jeder gleich denken kann, soll dies kein Märchen werden, sondern eine – sagen wir mal Geschichte. Und zwar die Geschichte von zwei Menschen.
Der eine Mensch, das bin ich. Und der andere? Nun, das ist vielleicht zu weit voraus gegriffen, jetzt schon zu sagen, wer der zweite Mensch ist. Im Grunde genommen sollte ich vielleicht auch sagen, dass dies meine Geschichte werden soll. Aber mal ehrlich, wer würde diese dann lesen wollen, wenn ich gleich zu Anfang sage: „Diese Geschichte handelt von mir und nur von mir.“
Ich hoffe, dass man mir diese Überheblichkeit nachsehen kann und mir für meine Selbstsüchtigkeit verzeiht.
Aber wieso schreibe ich eigentlich hier diese Worte nieder? Im Grunde genommen gibt es ja bereits genügend Geschichten über irgendwelche Personen und es hätte auch jeder Recht, der sagt: „Nicht noch eine Geschichte über irgendjemanden, der sich doch im Grunde genommen nur selbst darstellen will.»
Aber genau das will ich, ich will mich selbst darstellen und ich glaub, dass das der beste Grund ist, dies hier zu schreiben. Denn bis jetzt habe ich noch keine Geschichte gelesen, bei der der Autor zuvor zugegeben hat, dass er sich mit seinem Werk einfach nur selbst darstellen will. Jedes Mal heißt es: „Ich schreibe diese Geschichte in der Hoffnung, dass sie den Lesern gefällt.» Aber ich mache dies nicht, ich schreibe sie, weil ich einfach nur schreiben will. Ich will über mich schreiben und über mein Leben, über meine Gefühle und über meine Sicht der Welt. Und eben diese Gründe sind meiner Meinung nach die beste Berechtigung dazu, dass ich dies hier schreibe.
Jeder, der schon einmal versucht hat, eine Geschichte zu schreiben oder sogar ein Buch, kann mir bestätigen, dass der Anfang wohl das schwierigste ist. In der Schule hat man mir beigebracht, dass es wichtig ist, dass der Anfang einer Geschichte den Leser bereits so fesselt, dass er auf jeden Fall gewillt ist, weiter zu lesen. Es muss so sein, dass der Leser das Verlangen spürt, bis zur letzten Seite durchzuhalten, um zu erfahren, wie es ausgeht.
Aber wie macht man das? Wie bringt man eine andere Person dazu, sie so dermaßen zu fesseln, dass sie die Geschichte nicht mehr aus der Hand legen kann und vor Spannung oder Interesse alles um sich herum vergisst? Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht.
Klar ich könnte einfach versuchen, meine Geschichte anhand der Regeln zu schreiben, die ich gelernt habe, aber wäre es dann noch meine Geschichte?
Nein, ich glaube, das wäre dann nicht meine Geschichte, sondern die der Person, welche die Regeln vor langer Zeit aufgestellt hat.
Daher werde ich meine Geschichte einfach so schreiben, wie ich es will. Ich werde den Anfang so wählen, wie er mir persönlich am Besten gefällt und dann einfach hoffen, dass sie dem Leser auch gefällt und er sich dazu entscheidet, sie bis zum Schluss zu lesen.
Anmerkung des Verfassers: Auch wenn dieser Prolog den Eindruck erweckt, dass es sich bei der Hauptfigur um mich selber handelt, ist dem jedoch nicht so. Diese Geschichte ist von mir frei erfunden und spiegelt höchstens Wünsche oder Vorstellungen von mir wieder.
Kapitel 1 – Der Anfang
Es ist Nacht. Der Mond scheint hell und klar vom Himmel. Sein Licht fällt durch mein Zimmer direkt auf mein Bett. Ich liege nun schon seit einiger Zeit auf dem Rücken in meinem Bett und starre so vor mich hin.
Ich kann nicht einschlafen und unendlich viele Gedanken rasen mir durch den Kopf.
Heute war mein 20. Geburtstag. Kaum zu glauben, nun bin ich schon 20 Jahre alt und fühle mich immer noch nicht erwachsener wie vor vier oder fünf Jahren.
Im Grunde genommen fühle ich mich sogar mehr als Kind wie vorher.
Heute Morgen bin ich mit dem wohl schlimmsten Brummschädel aufgewacht, den ich jemals hatte. Ist ja auch kein Wunder, nach dem Abend zuvor. Um neun Uhr standen mein bester Freund Mark, seine Freundin Melanie und noch zwei weitere Kumpels, Thomas und Christian, den alle nur Chris nennen, vor der Tür.
Eigentlich wollte ich ja einen ruhigen Abend zu Hause verbringen und gar nicht erst an meinen bevorstehenden Geburtstag denken, und obwohl ich mir das bis jetzt jedes Jahr vorgenommen hatte, wurde auch dieses Jahr nichts daraus. Sie waren unerbittlich! Jede Ausrede und jeder Einwand von mir wurde kurzerhand niedergeschmettert und abgelehnt. So kam es, dass ich eine halbe Stunde später neben Mark und Melanie auf der Rückbank von Chris' Auto saß. Auf dem Weg in die Stadt, genauer in einen der, laut Thomas, angesagtesten Clubs der Gegend. Kaum dort angekommen, standen wir auch schon vor der Tür des Clubs und erst jetzt fiel mir auf, wie fein die anderen gekleidet waren und ich machte mir bereits Sorgen, dass ich wohl nicht an den Türstehern vorbeikäme. Und schon waren wir auch an der Reihe. Erst Mark und Melanie. Der Türsteher lächelte und ließ beide ohne jeglichen Kommentar passieren, dann kam Thomas und auch er wurde durchgelassen. Dann waren Chris und ich an der Reihe. Mein Herz raste, denn ich hatte mir im Grunde genommen nicht sehr viel Mühe bei der Wahl meiner Klamotten gegeben, sondern einfach nur eine Hose und ein Hemd aus dem Schrank gezogen und mir ein wenig Gel in die Haare geschmiert. Der Türsteher musterte mich von Oben bis Unten und ich dachte schon, gleich wird er sagen: „Sorry, aber mit diesen Klamotten kommst du nicht rein.» Aber zu meiner großen Verwunderung passierte etwas ganz anderes. Er drückte mir einen Zettel in die Hand und sagte: „Viel Vergnügen, ich hoffe du amüsierst dich hier bei uns.«
Ich nahm den Zettel ohne ihn mir anzusehen entgegen und ging rein zu den Anderen, die bereits drinnen warteten.
Wir gingen weiter rein und erst jetzt wurde ich mir des Zettels in meiner Hand wieder bewusst. Klar im Grunde genommen war es ja nichts besonderes, in einen Club reinzukommen und ich weiß auch nicht, wieso ich erwartet hatte, nicht reingelassen zu werden.
Ich fing an den Zettel zu betrachten.
„Einladung zur Megaparty des Jahres!
Wann? Morgen ab 21 Uhr
Wo? Hier im Club»
Ich fragte die anderen, ob sie auch so einen Zettel bekommen hätten. Mark meinte nur verwundert: „Was für einen Zettel?» Und Melanie grinste nur verheißungsvoll.
Ich zeigte Mark den Zettel und er begann ihn sofort neugierig zu studieren. Als er damit fertig war, grinste er breit und meinte, dass er keinen dieser Zettel bekommen hätte und auch die Anderen, die ihm beim Lesen über die Schultern gesehen hatten, erwiderten das Selbe.
Melanie meinte dann: „Nur wenige bekommen so eine Einladung! Ich habe auch schon davon gehört, aber es ist die Erste, die ich je zu Gesicht bekommen habe. Du solltest dich glücklich schätzen. Zu diesen Partys eingeladen zu werden, ist etwas Besonderes.»
„Hast du das hier auch gelesen?» fragte Mark. „Was denn?« erwiderte ich. „Na diesen Satz hier unten.» Er gab mir den Zettel zurück und zeigte mit dem Finger auf einen kleinen Satz, ganz am Ende der Einladung.
Der Besitzer dieser Einladung ist berechtigt, Einlass gewährt zu bekommen.
Einladung aufbewahren und beim Eintritt vorzeigen.
Thomas, der die ganze Zeit kein Wort von sich gegeben hatte, sah mich an und fragte dann: „Wirst du hingehen?» „Das weiß ich doch jetzt noch nicht, wie du vielleicht weißt, habe ich doch morgen Geburtstag.«, antwortete ich ihm. „Aber du wärst dumm, wenn du nicht hingehen würdest, das ist eine der coolsten Partys, die es gibt!» Ich glaube ein wenig Verärgerung in seiner Stimme zu hören, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wieso.
Ich sagte nur, ich würde es mir überlegen und ging an die Bar, wo ich mir einen Drink bestellte. Den Rest des Abends redeten wir kein Wort mehr über diese Einladung. Aber ich überlegte mir immer wieder, wieso ich, ausgerechnet ich, diese bekommen hatte. Immer wieder fasste ich in meine Hosentasche um sicher zu gehen, dass sie noch dort war, wo ich sie verstaut hatte.
Wir hatten noch eine ganze Menge Spaß. Wir tanzten, tranken und lachten die halbe Nacht.
Um kurz vor zwölf verschwanden dann Mark und Melanie auf einmal und als sie kurze Zeit später wieder auftauchten, hatten sie beide nur ein leichtes Grinsen im Gesicht.
Um zwölf kam dann ein Kellner mit fünf Gläsern Sekt auf uns zu und meinte nur: „Alles Gute zum Geburtstag.» Im selben Moment hatte Melanie ein kleines Päckchen in der Hand und mit einem kleinen Küsschen auf die Wange überreichte sie es mir. „Das ist von uns vier! Wir hoffen, es gefällt dir.« Ich betrachtete es.
Es war sehr hübsch eingepackt. In grün leuchtendem Papier mit einer roten Schleife und eigentlich zu schön und viel zu schade, um es zu öffnen. Da ich aber merkte, wie gespannt die anderen auf mich schauten, entschied ich mich, es doch schon jetzt zu öffnen. Vorsichtig entfernte ich zuerst die rote Schleife, dann machte ich das Papier auf. Zum Vorschein kam eine CD von Anastacia. Ich schaute auf zu den anderen und wollte mich schon bedanken, als Chris nur meinte, mach sie doch mal auf.
Leicht verwirrt öffnete ich die Hülle und musste mich im selben Moment festhalten, um nicht vor Aufregung rückwärts umzukippen. Vor mir erschien eine Karte zum längst ausverkauften Konzert von Anastacia in Stuttgart. Ich schnappte nach Luft und versuchte was zu sagen, aber das Einzige, das ich hervorbrachte, war komisches Gebrumme und Gestammel in der Art von: „Aber...wie,... woher habt ihr... wie seit ihr...?» Die anderen fingen an zu lachen und Mark meinte: „Erinnerst du dich noch an den einen Tag, an dem wir beide hier in der Stadt unterwegs waren, weil du unbedingt eine Karte für dieses Konzert wolltest, aber wir keine mehr bekommen haben? Nun, du kannst dir nicht denken, wie froh ich war, dass dem so war, denn im selben Moment waren Melanie und Chris auch unterwegs, um eine zu besorgen, beziehungsweise die, die wir schon drei Wochen vorher hatten zurücklegen lassen abzuholen.«
Ich konnte mein Glück immer noch nicht fassen und den gesamten Rest des Abends musste ich mir immer wieder die Karte anschauen, um sicher zu gehen, nicht zu träumen. Ich war damals furchtbar enttäuscht, denn wir waren in drei oder vier Vorverkaufsstellen, und überall hieß es, die Karten seien ausverkauft. Und jetzt, jetzt hatte ich eine.
Natürlich ließ ich zum Dank mehrere Runden springen an diesem Abend, was auch dazu führte, dass ich am nächsten Morgen, oder sollte ich besser sagen Mittag mit einem Schädel aufwachte, der sich echt gewaschen hatte. Schon das Gezwitscher der Vögel vor meinem Zimmer kam mir vor, als wenn eine Marschkapelle vor dem Haus auf und ab laufen würde und dabei ihre Fanfaren blies.
Langsam quäle ich mich aus meinem Bett, schlurfe aus meinem Zimmer Richtung Küche, um mir einen starken Kaffee zu holen und um mir im Bad ein wenig Wasser ins Gesicht zu schmeißen.
Als ich in der Küche ankomme, empfängt mich gleich meine Mutter mit einem Lächeln auf dem Gesicht, wünscht mir alles Gute zum Geburtstag und will wissen, ob wir denn schön gefeiert hätten. Ich bejahe und schenke mir eine große Tasse Kaffee ein.
„Wie gefällt dir denn das Geschenk von deinen Freunden?» fragt sie mit einem Lächeln im Gesicht. „Du wusstest davon?« „Ja, natürlich!» grinst sie noch mehr als zuvor.
Ich gehe zurück in mein Zimmer, um mir frische Kleider zu holen und anschließend duschen zu gehen. Als ich meine Hosentaschen auslehre, fällt mir wieder dieser kleine Zettel mit der Einladung in die Hände. Ich sehe ihn mir noch mal genau an und überlege sogar ehrlich, ob ich nicht hingehen soll. Na ja das hat ja noch Zeit, erst mal steht mir das Kaffeetrinken mit meiner Familie und Verwandtschaft bevor. Beim Gedanken daran bekomme ich eine Gänsehaut und das sogar noch jetzt. Jedes Jahr dasselbe! „Mann Junge, du wirst ja immer größer!» ist nur eine der Begrüßungen, die ich über mich ergehen lassen muss. Und jedes Jahr nehme ich mir erneut vor, an meinem Geburtstag im nächsten Jahr, würde es anders werden. Und dennoch sitze ich dann im nächsten Jahr wieder am Tisch im Wohnzimmer, esse ein Stück Käsekuchen nach dem anderen und darf mir alte Geschichten anhören, wie süß ich doch als kleiner Junge gewesen sei und wie gut ich mich doch gemacht hätte.
Wenn ich nicht wüsste, dass sie es ja alle im Grunde genommen nur lieb meinten, würde ich wohl irgendwann explodieren.
Kapitel 2 - Ein unvergesslicher Abend
Drei Stunden, oh mein Gott, ich kann es nicht glauben. Es waren tatsächlich schon drei Stunden, die ich hier am Tisch sitzen und mir das Gerede der anderen anhören musste. Lächeln, Kuchen essen und fröhlich sein. Ich wollte nur noch zurück in mein Zimmer, mich auf mein Bett setzen und mir die Anastasia Konzertkarte ansehen. Aber wie soll ich nur hier raus kommen? Die anderen machen nicht den Eindruck, als wollten sie bald gehen.
Da klingelt das Telefon. Ich glaube, der Himmel mag mich doch mehr, als ich dachte. Meine Mutter, die abgenommen hatte, kommt rein und gibt mir den Hörer mit den Worten: »Für dich Schatz, Mark.«
Ich stehe auf, entschuldige mich und verlasse das Zimmer. Am Telefon meine ich zu Mark: »Du musst Gedanken lesen können oder so was, noch eine Minute länger und ich wäre gestorben.«
Ich höre, wie er lacht und dann meint: »Na dann habe ich mir ja wirklich den passenden Moment ausgesucht. Wollte eigentlich nur fragen, wie es dir geht und ob du nun heute Abend zu dieser Party gehen wirst.«
»Ich weiß es echt noch nicht«, meine ich zu ihm. »Aber ich glaube, wenn die Verwandtschaft noch länger bleibt, schon. Allein, um von hier zu entkommen.«
»Das ist gut, und ich will natürlich einen Bericht, wie es war, schließlich bist du der Einzige von uns, der dort hingehen darf!«
Höre ich da ein wenig Neid in seiner Stimme?
»Ja klar, ich kann dir ja Fotos machen, damit du auch was zu sehen bekommst«, sage ich und kann mir das Lachen kaum verkneifen.
»Na ja wir wollen es ja nicht übertreiben«, kommt darauf von Mark. »So, ich muss dann mal wieder, Melanie kommt gleich, wir wollen essen gehen. Machs gut Kleiner!«
»Ja, du auch! Wünsch euch einen schönen Abend.«
»Ja, ich dir auch und viel Spaß auf der Party.«
»Danke, mach's gut.«
Und das war's auch schon wieder gewesen. Mark und ich telefonieren nie besonders lange, aber das macht nichts.
Drei Stunden später, stehe ich im Bad vor dem Spiegel. Ich bin frisch geduscht, rasiert und frisiere mir gerade die Haare. Irgendwie macht sich in mir ein Gefühl der Aufregung breit. Ich kann mir jedoch nicht erklären wieso. Liegt es an der komischen Einladung? Daran, dass ich ohne irgendeine Unterstützung meiner Freunde auf eine Party gehe, ohne zu wissen, was mich dort erwartet? Vielleicht liegt es ja auch einfach nur an dem Glas Sekt, auf das meine Oma, bevor sie gefahren ist, bestanden hat.
Nachdem ich dann auch meine Haare endlich gebändigt bekommen habe, gehe ich in mein Zimmer, um mir die Schuhe anzuziehen und um meinen Autoschlüssel zu holen. Als ich dabei an meinem Bett vorbei gehe, bemerke ich etwas auf meinem Bett liegen. Ich gehe zum Bett und hebe es auf. Ich kann's kaum glauben. Es sind zwei Kondome. Wer hat die denn bloß auf mein Bett gelegt? Ich drehe mich um und will zum Wohnzimmer laufen, als mein Blick auf die Uhr fällt. Es ist bereits 21.30 Uhr. Ich beschließe der Sache am nächsten Morgen auf den Grund zu gehen und schnappe mir nur noch meine Schlüssel, meinen Geldbeutel und die Einladung und verlasse die Wohnung. Schließlich habe ich noch mindestens 30 Minuten zu fahren, bis ich in der Stadt bin und samstags sind die Parkplätze immer so knapp, also sollte ich mich nun wirklich ranhalten.
Um kurz nach Zehn komme ich in der Stadt an und finde tatsächlich sofort einen Parkplatz und das sogar ganz in der Nähe von diesem Club. Gut, dass ich gestern genau aufgepasst habe, wo der ist, sonst hätte ich mich bestimmt hundert Mal verfahren.
Fünf Minuten später stehe ich vor der Tür des Clubs und gehe rein. Heute steht draußen keiner der Türsteher und drinnen sind nur zwei Frauen, die die Einladungen kontrollieren.
»Darf ich ihre Einladung sehen, bitte?«
Ich zeige ihr meine Einladung und sie lächelt mich an und meint nur: »Herzlich willkommen, an der Bar bekommen Sie einen Begrüßungsdrink.«
Ich gehe rein und gebe meine Jacke ab. An der Bar hole ich mir den versprochenen Drink und setze mich auf einen Hocker an einem Tisch in der Nähe der Tanzfläche. Es ist zwar voll, aber nicht zu voll. Ich schätze mal, dass die meisten erst später eintreffen werden.
Während ich die Leute beobachte und an meinem Drink schlürfe, bemerke ich nicht, wie ein Mann auf mich zukommt. Erst als er bereits direkt an meinem Tisch steht, bemerke ich ihn. Es ist der Türsteher von gestern, nur dass er diesmal nicht seine Arbeitsuniform anhat, sondern eine helle Hose und ein echt klasse T-Shirt.
Er fragt etwas, doch ich kann ihn nicht verstehen, weil die Musik zu laut ist. Ich zucke mit den Schultern und halte ihm mein Ohr leicht entgegen. Er beugt sich runter und fragt noch mal: »Darf ich mich zu dir setzen?«
Ich antworte: »Klar natürlich.« Er setzt sich und lächelt mich an.
»Schön, dass du gekommen bist.«
»Kein Problem, hatte eh nichts vor und wollte vor meiner Familie fliehen.«
»Wieso? Sind sie denn so schrecklich?«
»Nein, normalerweise nicht, aber ich habe heute Geburtstag und da kommt halt immer die gesamte Verwandtschaft und will nicht wieder verschwinden.«
»Du hast heute Geburtstag? Alles Gute dann noch.«
»Danke!«
»Wie alt bist du denn geworden, wenn ich fragen darf?«
„Zwanzig“, antworte ich.
»Schön. Ich bin übrigens der Timothy, aber alle nennen mich nur Tim. Ich weiß auch nicht, was sich meine Eltern bei diesem Namen gedacht haben.«
Eigentlich finde ich den Namen ja ganz schön, aber ich sage lieber nichts, sondern lächle nur und antworte: »Mein Name ist Daniel, aber mich nennen alle nur Danny.«
Tim lächelt zurück.
»Ich muss dich jetzt einfach fragen«, sage ich, »Wieso hast du ausgerechnet mir diese Einladung gegeben, war ich zufällig der hundertste oder hatte ich gestern ein besonderes Shirt an?«
Tim lächelt noch mehr und sagt: »Ach eigentlich habe ich dir die Einladung nur gegeben, weil ich dich süß fand.«
Hat er gerade wirklich süß gesagt? Könnte er vielleicht...?
»Süß? Hast du gerade süß gesagt?«
»Ja, das habe ich. Wieso? Stört es dich?«
»Nein, wie kommst du darauf?«
»Ich weiß nicht, vielleicht könntest du ja ein Problem damit haben, dass ich schwul bin?«
»Du bist schwul?«
»Ja was denkst du denn? Sonst würde ich wohl kaum sagen, dass ich dich süß finde, oder?«
»Wohl eher nicht.«
Irgendwie will alles in mir einfach aufspringen und wegrennen, aber ein anderer Teil von mir will bleiben und dieser scheint stärker zu sein. Ich bin total fasziniert von ihm, obwohl ich ihn kaum kenne und wir bis jetzt auch kaum ein Wort miteinander gewechselt haben.
»Hast du nicht Lust, ein wenig raus zu gehen? Dort können wir uns besser unterhalten.«
»Ja wieso nicht.« Ich überlege, ob ich gerade wirklich gesagt habe, dass ich mit ihm vor die Tür gehe.
Draußen ist es ruhig, die Luft ist klar und noch immer warm. Wir laufen Richtung Stadtpark. Zu dieser Jahreszeit ist er wirklich sehr schön, alles ist grün und voller Leben.
Im Park angekommen laufen wir auf dem Weg, der rund um den kleinen See in der Mitte führt. Ich habe gehört, dieser Park wurde ein wenig dem Central Park in New York nachempfunden, da ein früherer Bürgermeister dieser Stadt wohl ein totaler Fan von New York war. Der Sand knirscht leise unter unseren Schritten. Der Mond ist heute besonders hell sagt Tim und ich merke wie er ein wenig näher neben mir läuft.
»Wie lange bist du schon schwul?« frage ich und bereue es sofort wieder, denn sicherlich ist ihm die Frage unangenehm. »Du musst aber nicht antworten, wenn du es nicht willst«, schiebe ich schnell nach.
»Eigentlich war ich es schon immer, aber ich habe immer daran gezweifelt, bis meine erste und einzige Beziehung mit einem Mädchen kaputt ging, weil ich nichts, sagen wir mal, mit ihr anfangen konnte.«
»Und wie hat sie es aufgenommen? War sie sauer auf dich?«
»Sie weiß es ehrlich gesagt bis heute noch nicht, sie wohnt noch in meinem alten Heimatort.«
»Und wo ist der?«
»In Nordrhein-Westfalen.«
»Und was verschlägt dich dann hierher?«
»Das Studium.«
»Du studierst? Ich dachte du bist Türsteher.«
»Ja das auch, aber nur an den Wochenenden, und das auch nicht an jedem. Ich will mir halt noch ein wenig dazu verdienen, als Student kannst du echt jeden Euro gebrauchen.«
»Ach so. Und was machst du, wenn du nicht arbeitest oder studierst?«
»Ach viel, ich gehe ins Kino, ins Theater,... magst du Theater?«
»Ja, sehr gerne sogar. Eigentlich sogar mehr als Kino. Ich spiele sogar selber in unserer Theater AG in der Schule.«
»Schön. Vielleicht können wir ja mal zusammen ins Theater gehen, nächsten Monat spielen sie den ‚Tod eines Handlungsreisenden' hier im Stadttheater.«
»Ja mal schauen, wenn ich Zeit habe gerne. Und hast du einen Freund?« Warum frage ich ihn das?
»Nein habe ich nicht, zumindest noch nicht«, während er das sagt, fängt er an, breit zu grinsen und schaut mich an.
So laufen wir noch lange Zeit durch den Park und vergessen dabei vollkommen die Zeit. Ich fühle mich irgendwie vollkommen wohl in Tims Gesellschaft und es macht mir wahnsinnigen Spaß, mich mit ihm zu unterhalten. Wir sprechen über Gott und die Welt.
Um halb drei schaue ich dann auf meine Uhr und erschrecke total, weil ich jegliches Zeitgefühl verloren hatte.
»Du, ich sollte so langsam zurück zum Club, ich muss noch meine Jacke holen.«
»Ja, ist ok. Ich begleite dich noch dort hin. Ok?«
»Ja klar.« Ich lächle ihn an.
Nachdem ich meine Jacke geholt habe, geht Tim wieder mit mir vor die Tür und fragt: »Wo hast du dein Auto stehen?«
»Dort vorne auf dem kleinen Parkplatz hinter der Kirche«, antworte ich.
»Soll ich dich noch bis dort hin begleiten?«
»Wenn du willst.«
Auf dem Weg zum Auto tauschen wir noch unsere E-Mail-Adressen aus. Vor dem Auto dann suche ich meine Schlüssel in den Tiefen meiner Hosentaschen und als ich ihn endlich gefunden habe und mich noch mal zu ihm umdrehe, um mich zu verabschieden, sehe ich, wie er mich auf eine vollkommen liebevolle Art und Weise ansieht.
Noch im selben Moment kommt er noch einen Schritt näher und küsst mich ganz zärtlich und vorsichtig auf den Mund. Ich weiß nicht wieso, aber es ist ein so schönes Gefühl, dass ich nicht in der Lage bin, ihn wegzustoßen oder mich auf irgendeine andere Weise dagegen zu wehren.
Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit und doch dauert der Kuss nur ein paar Sekunden.
Er geht wieder einen Schritt zurück und ich bekomme kein Wort raus. Ich schaue ihn an.
Er lächelt. Ich weiß nicht, ob ich auch gelächelt habe. Das nächste, an das ich mich erinnere ist, dass ich mich umgedreht habe und in mein Auto gestiegen bin. Ohne ein weiteres Wort und ohne mich noch mal umzuschauen fahre ich los. An die Fahrt kann ich mich im Grunde genommen nicht mehr erinnern, auch nicht daran, wie ich nach Hause und in mein Bett gekommen bin.
Jetzt liege ich hier und mir rasen tausende von Gedanken durch den Kopf und immer wieder ist dort ein Gedanke oder viel mehr eine Person.
Tim.
Nach unzähligen Stunden, draußen wird es schon langsam wieder hell, schlafe ich endlich ein.
Kapitel 3 - Der Tag danach
Es ist drei Uhr mittags, als ich endlich aufwache. Im ersten Moment weiß ich nicht mal, wo ich bin, aber dann fällt mir alles wieder ein. Ich erinnere mich an jedes Detail des letzten Abends. An die lange und interessante Unterhaltung, an den Spaziergang durch den Park und an den Kuss. Und immer wieder an den Kuss. Dabei scheint die Erinnerung an diesen einen kurzen Moment von Mal zu Mal intensiver zu werden.
Ich beschließe erst mal duschen und dann frühstücken zu gehen.
Nachdem ich wieder in meinem Zimmer bin, schalte ich meinen PC ein. Mir ist eingefallen, dass ich bereits seit zwei oder drei Tagen nicht mehr nach meinen E-Mails geschaut habe. Und wie ich mir schon gedacht hatte, ist mein Postfach voll. Insgesamt 20 Mails. Ich überfliege schnell die Absender und den jeweiligen Betreff.
Ganz am Schluss ist eine Mail ohne Betreff und der Absender ist mir auch unbekannt. Aber Moment, da war doch was! Ich krame in den Taschen der Hose, die ich gestern Abend an hatte und hole den Zettel mit Tims E-Mailaddy heraus. Tatsächlich, es ist seine Adresse.
In mir kommt auf einmal Freude auf, ohne dass ich wüsste wieso.
Ich öffne die Mail und beginne sie zu lesen:
An: DannyBoyFR@web.de
Von: Littlefool@gmx.de
Betreff: --
Hallo Danny!
Ich hoffe, du hast gut geschlafen.
Außerdem hoffe ich, ich habe dich gestern nicht allzu sehr geschockt, als ich dich geküsst habe, aber ich konnte einfach nicht mehr widerstehen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn ich noch mal was von dir höre, oder wir uns vielleicht sogar noch mal treffen.
Viel liebe Grüße
Tim
Ich muss die Mail, obwohl sie so kurz ist, immer wieder lesen und überlege die ganze Zeit, was ich darauf antworten soll. Soll ich ihm schreiben, dass er mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will und ich ihn am liebsten sofort als später wieder sehen möchte? Ich antworte:
An: Littlefool@gmx.de
Von: DannyBoyFr@web.de
Betreff: re --
Hallo Tim,
danke für deine Mail, ich habe mich sehr über sie gefreut. Ich hoffe, ich habe dich gestern nicht verletzt, weil ich einfach, ohne ein Wort zu sagen, gefahren bin, aber ich war doch recht verwirrt und ich bin es immer noch. Denn um ehrlich zu sein war der Kuss das schönste, was ich je in meinem Leben erlebt habe.
Wenn du willst, können wir uns heute Abend noch mal treffen.
Wie wäre es mit dem kleinen Café am Münsterplatz? Sagen wir um halb acht?
Dann können wir ja noch mal über das, was passiert ist reden.
Bis dann
Danny
Nachdem ich die Mail abgeschickt habe, stehe ich auf und lege mich wieder auf mein Bett und schon wieder gehen mir immer die gleichen Bilder vom Vorabend durch den Kopf.
Ich glaube, ich muss noch mal eingeschlafen sein, denn als ich die Augen wieder aufmache, ist es bereits kurz vor Sieben. Ich stehe auf und schau auf meinen Rechner. Ich sehe, dass mir Tim wieder geantwortet hat und mit einem starken Herzklopfen öffne ich seine Mail:
An: DannyboyFR@web.de
Von: Littlefool@gmx.de
Betreff: Heute Abend
Ok
Tim
Mehr steht nicht drin und dennoch macht mein Herz regelrechte Freudensprünge. Ich renne ins Bad, um mir meine Haare zu richten und um mir noch mal die Zähne zu putzen. Währenddessen überlege ich mir fieberhaft, was ich wohl am Besten anziehe. Ich entscheide mich dann für eine helle Hose und ein kurzärmliges Shirt.
Und schon sitze ich im Auto und bin auf dem Weg.
Kapitel 4 - Kaffee oder Tee?
Mal wieder viel zu spät, weil ich den Verkehr vollkommen unterschätzt habe, komme ich auf dem Münsterplatz an und steuere direkt auf das kleine Café am hinteren Ende des Platzes zu.
Ob er wohl schon da ist und auf mich wartet? Ja, ich sehe ihn bereits. Er sitzt an einem kleinen Tisch für zwei Personen und studiert interessiert die Karte.
Ich gehe auf ihn zu. Er bemerkt mich, als er kurz von der Karte aufschaut. Er lächelt und mir fällt auf, wie nett ich sein Lächeln eigentlich finde und wie gerne ich es mittlerweile sehe.
»Hallo«, sagt er, als ich nah genug bin.
Ich antworte: »Hallo, tut mir leid, aber ich habe verschlafen und den Verkehr unterschätzt.«
»Macht doch nichts, jetzt bist du ja da.«
»Ja. Wartest du schon lange?«
»Nein, eigentlich nicht, ich war selber spät dran, um ehrlich zu sein.«
Wir müssen beide lachen.
»Und weißt du schon, was du trinkst?«
»Die machen hier einen sehr guten Kaffee, aber der Tee ist auch nicht schlecht.«
»Was trinkst du denn?«
Ich beschließe einen Tee zu trinken, da ich sonst bestimmt nicht schlafen könnte.
»Tee.«
»Gut, dann trinke ich auch einen Tee«, sagt er lächelnd und winkt der Kellnerin.
Nachdem sie unsere Bestellung aufgenommen hat und im Gebäude verschwunden ist, schaut mich Tim an.
»Bist du mir böse, weil ich dich einfach geküsst habe?«
»Nein.«
»Schön, das freut mich. Ich hatte schon Angst, du würdest mir nicht antworten auf meine Mail, nachdem ich ewig gewartet hatte.«
»Tut mir leid, aber ich bin erst kurz vor drei aufgestanden und habe auch da erst meine E-Mails kontrolliert.«
»Ach so.« Er lächelt wieder.
»Und bist du sauer, weil ich einfach weggefahren bin?«
»Nein, ich glaube, ich hätte genauso reagiert.«
»Gut.«
Die Kellnerin kommt mit unseren Tassen, stellt sie auf den Tisch und lächelt uns dabei an.
»Soll ich ehrlich sein?« frage ich ihn.
»Ja.«
»Nachdem du mich geküsst hast, musste ich immer wieder daran denken und seit dem wünsche ich mir immer wieder, noch mal geküsst zu werden. Es war so unbeschreiblich schön.«
Tim richtet sich auf und ich merke, wie glücklich er über diese Antwort ist. Seine Hand streift meine, als er nach dem Zucker greift und ich bemerke, wie sie für den Bruchteil einer Sekunde länger verweilt, als es vielleicht normal ist. Und es ist schön.
»Wollen wir gleich noch ein wenig durch den Park von gestern laufen, oder musst du wieder heim?«
»Nein, wir können ruhig noch ein wenig Laufen gehen. Ich habe viel Zeit, habe doch Ferien.«
»Schön.«
Nachdem wir unseren Tee gemütlich ausgetrunken und gezahlt haben – wobei es sich Tim nicht ausreden ließ, mich einzuladen – gehen wir wieder in Richtung Park.
Auf dem Weg unterhalten wir uns über alles mögliche, doch diesmal bemerke ich, wie ich es bin, der immer wieder ein wenig näher an Tim heranrückt und ich sehe auch, wie er es mit einem seiner süßen Lächeln wahrnimmt, aber versucht dies nicht zu zeigen.
So spazieren wir lange Zeit durch den Park. Ich glaube, wir sind bestimmt so an die 20 Mal um den kleinen See gelaufen. Später, als es bereits dunkel ist, fragt Tim, ob ich Lust hätte, noch mit ihm nach Hause zu kommen. Da mir dieser Vorschlag recht gut gefällt und ich keine anderen Pläne habe, stimme ich zu.
»Wo hast du denn dein Auto stehen? Wieder dort, wo du es auch gestern hattest?«
»Ja.«
»Gut, dann würde ich sagen, wir gehen es holen und fahren zu mir, denn sonst müssten wir mit der Straßenbahn fahren.«
»Ok, kein Problem«, antworte ich, froh darüber, dass er bei mir mit im Auto fahren wird und wir nicht in getrennten Autos fahren würden.
Zehn Minuten später sind wir an meinem Auto und weitere zehn Minuten später stehen wir vor einem großen Mehrfamilienhaus.
»Hier wohnst du?«
»Ja.«
»Alleine?«
»Nein, ich wohne mit zwei Freunden von mir zusammen in einer WG, aber die sind im Moment beide nicht da. Der eine ist auf einer Tour mit ein paar Kommilitonen und der andere ist für ein paar Tage nach Hause zu seiner Familie gefahren.«
Wir betreten die Wohnung und gehen in die Küche.
»Was willst du trinken? Ich habe O-Saft, Cola, Milch und Wasser.«
»Ach, ein Wasser wäre ok. Wo ist denn die Toilette?«
»Den Flur runter auf der linken Seite.«
»Danke.«
Nach dem ich von der Toilette zurück komme, ist die Küche dunkel und eine der anderen Türen steht offen und ein schwaches Licht von dort ist zu erkennen.
Ich gehe zur Tür, bleibe jedoch draußen stehen.
»Komm ruhig rein, ich dachte, hier ist es angenehmer als in der Küche«, sagt Tim, als er mich bemerkt. Er war gerade dabei, ein paar Kerzen anzuzünden.
Ich setze mich in einen der beiden Sessel, die mitten im Zimmer an einem flachen kleinen Tisch stehen. Auf dem Tisch brennt eine Kerze und zwei Gläser mit Wasser stehen auch dort.
Ich trinke einen Schluck.
Tim setzt sich in den zweiten Sessel mir gegenüber.
Wir beginnen uns wieder zu unterhalten, während er mich dabei immer wieder ansieht und lächelt.
»Soll ich ein wenig Musik machen?«
»Was hast du denn anzubieten?« frage ich.
»Wie wäre es mit Anastacia?«
»Ich liebe Anastacia. Besonders ihre Stimme ist so klasse.«
»Ja finde ich auch. Ich gehe nächstes Wochenende zu ihrem Konzert in Stuttgart.«
»Du auch? Ich habe gestern von meinen Freunden eine Karte für dieses Konzert geschenkt bekommen.«
»Oh, das ist ja toll, vielleicht können wir ja zusammen hingehen, dann wird's bestimmt noch lustiger.«
»Ja klar wieso nicht, hatte eh keine Lust, die Fahrt alleine zu machen.«
Ich schaue mich in seinem Zimmer ein wenig um. Es ist eigentlich recht groß, aber dennoch sehr gemütlich eingerichtet. An den Wänden hängen Poster von verschiedenen Bands und Stars und einige Bilderrahmen mit Leuten. Über dem Schreibtisch hängt eine kleine Pinwand und daneben ein Kalender. Und über dem Bett hängt ein Gemälde in verschiedenen, schönen Blautönen. Es zeigt einen nackten Mann von hinten. Es gefällt mir sehr gut.
»Woher hast du das Gemälde dort an der Wand?« frage ich ihn neugierig.
»Das hat mein Exfreund mal für mich gemalt.«
»Aber das bist nicht du oder?« Er grinst breit.
»Doch.«
„Oh!“ ist das einzige, was ich in dem Moment rausbekomme. Ich betrachte das Bild noch ein wenig und schau mich dann weiter im Zimmer um. Neben dem flachen Bett stehen eine kleine Lampe und ein Wecker auf dem Boden. Daneben liegen einige Zeitschriften und ein Buch.
»Was für ein Buch ist das?«
»Die Mitte der Welt von Andreas Steinhöfel.«
Das Buch kenne ich, ich habe es letzten Monat gelesen, als ich es durch Zufall in der Bibliothek gefunden habe und es so interessant klang, dass ich es mir ausgeliehen habe.
»Ist ein gutes Buch«, sage ich.
»Ja ist es.« Er lächelt wieder.
Dann fällt mein Blick auf seinen CD-Ständer. Er ist fast schon überfüllt.
»Gefallen dir meine CDs?«
»Ich habe sie mir ja noch nicht mal angesehen, wie solle ich da wissen, ob sie mir gefallen?« gebe ich lächelnd zurück.
»Ich habe auch das neue Album von Anastacia. Soll ich es einlegen?«
»Oh ja, da sind ja einige sehr schöne Lieder drauf.«
»Ja und auch ein paar total Romantische.«
»Stimmt.« Hat er das wohl aus einem bestimmten Hintergrund gesagt?
Ich bin irgendwie total nervös im Moment und es wird immer schlimmer. Meine Hände beginnen zu schwitzen. Ich beobachte, wie er aufsteht, eine CD aus dem Regal holt und sie in seinen CD-Player einlegt. Die Musik beginnt leise zu spielen.
Ich schau mich noch mal um. Auf dem Schreibtisch steht ein kleiner Laptop. Dasselbe Gerät, wie ich es auch habe. Daneben steht ein Bild. Auf dem Bild sind ein Mann und eine Frau, ich schätze mal seine Eltern, dann noch Tim selbst und noch ein Junge.
»Wer sind die Leute dort auf dem Bild mit dir, auf deinem Schreibtisch?«
»Das sind meine Eltern und mein Exfreund.«
»Deine Eltern wissen also bescheid? Und wie kommen sie damit zurecht?«
»Eigentlich ganz gut, sie waren immer recht aufgeschlossen und hatten nie ein Problem damit. Ich glaube, das Einzige, das ihnen Sorgen bereitet ist, dass sie niemals einen Enkel von mir bekommen werden.« Tim fängt laut an zu lachen. »Aber dafür haben sie ja noch meine Schwester.«
»Wieso ist die nicht mit auf dem Bild?« will ich wissen.
»Weil wir dort im Urlaub in Italien waren und meine Schwester nicht mit war.«
»Aha, und wieso bist du nicht mehr mit deinem Freund zusammen, wenn ich fragen darf?« »Dumme Frage, Danny, du bist so dämlich«, schießt es mir durch den Kopf.
»Wir haben uns auseinander gelebt und dann irgendwann beschlossen, in Freundschaft auseinander zu gehen. Heute sind wir die besten Freunde.«
»Ach so.« Ich mustere ihn von oben bis unten. Er hat sich wieder hingesetzt und leicht vorgebeugt, als ob er mich so besser sehen könnte.
»Und deine Mitbewohner, wissen die auch bescheid?«
»Ja sollten sie wohl, ist schließlich ne schwule WG hier.«
»Oh, das wusste ich nicht.«
»Aber jetzt weißt du es.« Er lächelt wieder und zum ersten Mal fallen mir seine Grübchen auf, die dabei zu erkennen sind. Was ist nur los mit mir, ich bin total fasziniert von ihm. Dann steht er auf und geht durchs Zimmer. Ich schaue ihm hinterher. Er geht ans Fenster und schaut raus.
»Wir haben heute Vollmond«, sagt er, ohne sich umzudrehen. »Komm doch und schau mal.«
Ich gehe auch ans Fenster und stehe neben ihm, während ich raus schaue auf den Mond.
Er rutscht ein wenig näher an mich heran und seine Hand tastet nach meiner. Sie berühren sich und ich spüre die leichte Wärme, die von seiner Hand ausgeht. Es ist ein wunderschönes Gefühl, hier so zu stehen, aber ich traue mich nicht, ihn anzusehen, obwohl ich seine Blicke genau auf mir spüre. Dann drehe ich doch meinen Kopf, da ich es einfach nicht mehr aushalte, ich muss ihn einfach ansehen.
Unsere Blicke treffen sich und die Zeit scheint still zu stehen. Wir schauen uns gegenseitig tief in die Augen. Eine Ewigkeit scheint so zu vergehen und doch sind es nur ein paar Sekunden.
Dann tastet auch seine andere Hand nach mir, sie hält mich erst an der Schulter fest, dann wandert sie weiter nach oben, streichelt über meinen Hals über meine Wange und durch meine Haare. So zärtlich und doch so fordernd, dass ich den Atem anhalte vor Aufregung.
Seine Augen leuchten klar und hell im Mondlicht, die Kerzen, die er vorhin angezündet hat sind mittlerweile erloschen und es ist dunkel im Zimmer, das einzige Licht, dass noch da ist, kommt von seinem CD-Player oder viel mehr vom Display der Anlage.
Ich will stundenlang so stehen bleiben und doch kann ich es nicht abwarten, dass etwas passiert.
Da kommt er immer näher. Sein Gesicht ist jetzt wieder direkt vor meinem, aber diesmal ist es nicht er, der die Initiative ergreift und mich küsst, sondern zu meiner Verwunderung bin ich es, der den ersten Schritt tut, und seine Lippen auf die seinen drückt. Ich spüre einen kurzen Moment lang, wie er leicht verwundert reagiert, aber dann den Kuss einfach zu genießen scheint. Ich kann gar nicht mehr genug bekommen und als er seinen Kopf wieder zurück zieht kann ich mich kaum zusammenreißen, ihm nicht zu folgen, sondern auf der Stelle stehen zu bleiben. Zum Glück entfernt er sich nicht all zu weit. Gerade nur so weit, dass er mir wieder in die Augen schauen kann. Er ist ein kleines bisschen größer als ich. Er lächelt wieder, und im hellen Mondlicht kann ich fast jeden seiner Gesichtszüge erkennen.
Wir schauen uns wieder in die Augen und diesmal weiß ich, dass ich mir sicher bin. Wenn ich beim letzten Mal noch überlegt habe, warum ich das hier tue und wieso ich nicht gehe, weiß ich, dass es nur einen Grund dafür gibt. Ein Grund, der mein ganzes Leben auf den Kopf stellen wird. Ein Grund, dessen Auswirkungen eine starke Welle von Veränderungen nach sich ziehen wird. Ich schaue ihn weiter an. Er scheint etwas sagen zu wollen, aber ich glaube, er traut sich nicht so richtig.
»Ich...«, setzt er an.
»Ja?«
»Ich muss dir was sagen.«
»Ja?«
»Ich habe mich total in dich verliebt, schon an dem Abend, an dem du mit deinen Freunden in den Club gekommen bist und ich dich nur für den Bruchteil einer Sekunde gesehen habe. Nachdem ich dir die Einladung gegeben habe, habe ich die ganze Zeit gebetet, dass du kommen wirst und ich dich wieder sehen kann.«
Ich schau ihn an und frage mich, ob er es schon bemerkt hat. Aber nachdem er jetzt einen leicht ängstlichen Eindruck auf mich macht und gespannt meine Antwort erwartet, bin ich mir sicher, er hat noch keine Ahnung.
»Ich muss dir auch was sagen.«
»Ja?« Eine riesige Anspannung ist in seiner Stimme zu hören und auch Angst.
»Ich war, nachdem du mich gestern geküsst, hast wahnsinnig verwirrt. Ich weiß nicht wieso, aber es war das schönste Gefühl, das ich je erleben durfte und ich wünschte mir nichts anderes, als diesen Moment immer und immer wieder zu erleben. Aber gleichzeitig hatte ich auch Angst.«
»Angst?«
»Ja Angst davor, was diese Empfindungen bedeuten.« Seine Angst, die vorher nur unterschwellig bemerkbar war, scheint jetzt an die Oberfläche zu stoßen, ich sehe, dass er wohl eine schlechte Antwort von mir erwartet.
»Und?«
»Und...« Ich zögere und seine Hand, die immer noch meine Hand festhält scheint den Griff in Erwartung einer schlechten Nachricht lockern zu wollen.
»Und...ich glaube,...ich habe mich in dich verliebt.«
Er schaut mich an.
Eine unendliche Sekunde nach der anderen vergeht, ohne dass er etwas sagt, und auch ich bin nicht in der Lage, etwas zu sagen.
Dann plötzlich umschließt seine Hand meine Hand wieder fester und er kommt wieder näher auf mich zu. Ich sehe die Freude in seinen Augen leuchten. Und ich kann es kaum noch aushalten.
Er nimmt mich in den Arm und gibt mir einen Kuss. Diesmal ist der Kuss voller Leidenschaft und Verlangen, aber auch voller Glück und Zufriedenheit über die Antwort, die dem Kuss voranging.
Der Rest des Abends vergeht irgendwie, ohne dass ich ihn in Worte fassen könnte. Wenn ich versuche, mich an ihn zu erinnern, strömt nur eine unendliche Fülle von Gedanken, Empfindungen und Glückseeligkeit durch mich hindurch. Ich erinnere mich daran, wie ich irgendwann nachts um halb zwei oder noch später, schweren Herzens gesagt habe, dass ich jetzt gehen müsse. Ich erinnere mich an die Enttäuschung in seinen Augen und wie sie schrieen: »Bleib doch, bleib doch bitte! Zumindest noch ein kleines bisschen.« Und alles in mir wollte das genauso, aber ich entschied mich dennoch zu gehen.
Als ich die Wohnung verlasse, gibt er mir noch einen langen, innigen Kuss und einen Zettel mit seiner Telefonnummer. Ich verspreche ihm, dass ich ihn am nächsten Tag anrufen werde und gehe, nicht ohne mich noch mal nach ihm umzuschauen. Er sieht mir nach.
Das Nächste, an das ich mich erinnere, ist, wie ich am nächsten Tag in meinem Zimmer aufwache und vor Glück fast zittere. Ich muss immer wieder an ihn denken.
Kapitel 5 - Ein Tag wie kein anderer
Wie viele Stunden waren vergangen, seitdem wir uns zum Abschied noch einmal einen langen, zärtlichen Kuss gegeben haben?
Mittlerweile ist es drei Uhr nachmittags und ich glaube mich daran zu erinnern, dass ich gegen zwei Uhr in mein Bett gefallen bin und mir nur ein einziger Gedanke durch den Kopf zu rasen schien: »Warum? Warum bist du gegangen?«
Immer und immer wieder stellte ich mir diese eine Frage und immer wieder erhielt ich keine Antwort. Ich wusste es selber nicht. Ich wusste nur, dass ich es bereute, gegangen zu sein, und dass ich ihn mehr als alles andere wieder sehen wollte.
Ich kramte in meiner Hose, die ich in der Nacht nur achtlos auf den Boden geworfen hatte.
Endlich, da war sie, seine Nummer – Tims Nummer. Ich öffnete meine Zimmertür, um zu lauschen, ob jemand in der Nähe meines Zimmers war. Aber ich hörte nichts außer das leise Summen unseres Kühlschranks in der offenen Küche neben meinem Zimmer. Ich weiß auch nicht, wieso ich etwas anderes erwartet hatte. Es war Montag drei Uhr nachmittags. Meine Mutter war genauso wie mein Vater auch, in ihrem gemeinsamen Geschäft für Computer und Bürobedarf in der Stadt und meine Schwester war ja schon heute Morgen, soweit ich weiß, in die Ferien zu unseren Großeltern auf den Bauernhof gefahren. Ich frage mich wirklich, wie ihr das noch Spaß machen konnte. Vor zwei Jahren war ich das letzte Mal dort gewesen. Es war auch recht lustig gewesen, dennoch schwor ich mir damals, dass es das letzte Mal gewesen sein sollte, dass ich dort meine Ferien verbringen sollte.
Damals war mir zum ersten Mal der süße Knecht, der den Sommer über für meine Großeltern arbeitete, aufgefallen und ich erschrak damals so sehr vor meinen Empfindungen, dass ich mir schwor, niemals wieder dort hinzugehen und länger als ein paar Stunden zu bleiben.
Jetzt, als mir die Erinnerungen, die ich all die Zeit verdrängt hatte, wieder ins Gedächtnis kamen, war mir klar, dass ich es im Grunde genommen schon seit einer ganzen Weile wusste und nur nicht wahr haben wollte: Ich bin schwul!
Was mir bei diesem Gedanken jedoch Kopfzerbrechen bereitete war, dass ich im Grunde genommen ja keinen Grund hatte, diese Tatsache dermaßen zu verdrängen.
Was also hatte damals dazu geführt, dass ich einen so starken Schock erlitten hatte, dass ich jegliche Erinnerungen an diesen Sommer verdrängt hatte?
Mit dem Telefon in der Hand setze ich mich auf den Sessel, den ich in meinem Zimmer stehen habe und dabei fällt mein Blick auf mein Fotoalbum im Regal neben dem Sessel.
Ich greife danach und schlage es auf. Irgendwo müssten eigentlich noch Bilder sein, von dem Sommer bei meinen Großeltern auf dem Bauernhof. Gefunden!
Und da ist auch ein Foto von uns allen, wie wir vor einem großen Traktor mit Heu auf dem Anhänger stehen. Ich und meine Schwester sitzen oben auf dem Heu und unten stehen meine Großeltern und Sam, der Knecht. Und jetzt fällt mir auch der Rest der Geschichte wieder ein. Jetzt, wo ich Sams Bild sehe, kommen auch alle anderen Erinnerungen wieder zurück.
Ich war an diesem Tag sehr müde von der Arbeit auf dem Feld und bin daher nach dem Abladen des Heus noch eine ganze Weile im Stall im Heu liegen geblieben, als Sam auf einmal rein kam. Er hatte sich mittlerweile sein Hemd ausgezogen und lief mit freiem, braungebranntem Oberkörper herum. Er sah einfach wunderbar aus. Seine Brust war muskulös und die Haut spannte sich straff darüber. Seine kurzen blonden Haare fielen ihm leicht in die Stirn und seine Augen leuchteten hell und klar wie Diamanten.
Lächelnd kam er auf mich zu und setzte sich neben mich ins Heu. Wir begannen uns zu unterhalten und er fragte mich, ob ich denn schon eine Freundin habe. Ich war damals natürlich bereits 18 und hatte auch schon einige Erfahrungen mit Mädchen gesammelt.
Sam selbst war auch nicht viel älter als ich, ich glaube, er war zu diesem Zeitpunkt 22 oder vielleicht auch schon 23 und dennoch hatte ich irgendwie das Gefühl, er wäre älter. Ich glaube, das lag einfach an seinem Aussehen und seinem Auftreten.
Ich erzählte ihm ein wenig von meiner letzten Freundin und er hörte mir interessiert zu. Besonders an den Stellen, an denen es um Sex ging wurde er hellhörig, jedoch interessierte er sich mehr dafür, wie ich mich selbst fühlte, als dafür, wie es war, mit einem Mädchen zu schlafen.
Auf einmal, ich erzählte ihm gerade wie mich meine Ex eines Abends überrascht hatte mit einem romantischen Essen und einer heißen Liebesnacht, merkte ich, wie er leicht im Heu hin und her zappelte und dann hob er seine Hand und legte sie mir auf mein Bein. Dabei streichelte er es sanft und rutschte dabei jedes Mal ein kleines Stück weiter nach oben mit seiner Hand.
Da ich in diesem Moment doch recht verwirrt und auch ein wenig geschockt war, war ich nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen, aber ein kleiner Teil in mir wollte das auch gar nicht. Ganz im Gegenteil, ich hob auch meine Hand und berührte Sam an seiner warmen und muskulösen Brust. Langsam streichelte ich sie und spürte wie sich seine Brustwarzen leicht aufrichteten.
Auf einmal kam er mir dann immer näher mit seinem Gesicht und gab mir dann, als er meins erreicht hatte, einen langen Kuss. Ich war überwältigt und aber auch total überrascht davon.
Was dann geschah war einfach umwerfend. Ich erlebte den schönsten Sex, den ich je hatte, er war tausend Mal schöner, als mit meiner letzten Freundin.
Nachdem wir sozusagen fertig waren, schliefen wir Arm in Arm im Heu ein und erst am Abend, als es draußen bereits zu dämmern begann, wachten wir beide wieder auf.
Als ich mir wieder bewusst wurde, was geschehen war, erschrak ich so stark, dass ich noch am selben Abend meinen Großeltern sagte, ich wolle am nächsten Tag wieder heimfahren.
Da sie natürlich wissen wollten, wieso, lies ich mir schnell eine Ausrede einfallen und erzählte ihnen, dass ich total den Geburtstag meines besten Freundes vergessen hätte.
So kam es, dass ich am nächsten Tag von meinen Großeltern zum nahe gelegenen Bahnhof gebracht wurde und nach Hause fuhr. Und noch auf dem Weg im Zug begann ich, die gesamten Erinnerungen an diesen letzten Abend zu verdrängen, weil ich einfach nicht bereit dazu war, mir einzugestehen, dass mir das so gut gefallen hatte, was geschehen war. Ich wollte einfach nicht glauben, dass ich schwul sei.
Und jetzt? Wie sieht es jetzt aus? Bin ich jetzt bereit, es mir eingestehen?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, wenn ich jetzt nicht gleich Tims Stimme hören würde, würde ich verrückt werden.
Ich wählte seine Nummer.
Eine kleine Ewigkeit, die in Wirklichkeit nur zwei oder drei Klingeltöne lang dauerte, benötigte Tim, um den Hörer abzunehmen.
»Hallo?« höre ich ihn fröhlich, aber leicht verschlafen sagen.
»Hallo«, sage ich und ich merke, wie ich leicht rot werde. Ich bin ja so froh, dass dies kein Bildtelefon ist.
»Hallo mein Süßer, na wie hast du geschlafen? Bist du gut heim gekommen? Ich find es schade, dass du nicht noch länger geblieben bist«, schießt Tim gleich los und lässt mir gar keine Zeit, um auf seine Fragen zu antworten.
»Was machst du denn heute alles so?« setzt er gleich übergangslos zur nächsten Frage an, nachdem ich nur ein kurzes »Ja!« heraus bringen konnte.
»Ich weiß noch nicht, eigentlich wollte ich ein wenig schwimmen gehen, aber mein bester Freund hat heute keine Zeit.« Natürlich war das eine Lüge, denn ich hatte Mark gar nicht erst gefragt, ob er heute Zeit hätte und wenn ich es getan hätte, dann wüsste ich genau, dass er sofort mitgekommen wäre.
»Wenn du willst, kann ich ja mitkommen, ich gehe gerne schwimmen und war auch schon länger nicht mehr«, sagte Tim und mein Herz machte einen kleinen Hüpfer.
»Ja gerne«, antwortete ich und wir machten eine Uhrzeit und einen Treffpunkt aus, da mir Tim einen kleinen Baggersee zeigen wollte, den ich noch nicht kannte.
Eine halbe Stunde später war ich wieder in der Stadt und wartete auf Tim in dem kleinen Park, in dem wir nun schon zweimal zusammen spazieren gegangen sind.
Dann nach fünf Minuten sehe ich ihn direkt auf mich zu laufen und kann nur sehr schwer dem Drang widerstehen, ihm gleich um den Hals zu fallen und ihn zu küssen.
Er hat eine helle kurze Hose und ein dunkles T-Shirt an, in dem man seinen muskulösen Oberkörper sehr gut erahnen kann. Ich merkte irgendwie erst jetzt, wie braun er bereits ist.
»Hallo mein Süßer«, begrüßt er mich und lächelt mich strahlend an. Ich glaube sogar, dass es ihm genauso geht wie mir, und das er mich jetzt am liebsten in den Arm nehmen würde.
»Sollen wir mit meinem Auto fahren, oder mit deinem?«, fragt er mich und ich kann ihn nur anstarren, ohne eine Antwort heraus zu bekommen.
Doch nach einigen Sekunden schaffe ich es wieder mich zusammen zu reißen und sage, dass es mir egal sei.
»Gut, dann fahren wir zur Abwechslung mal mit meinem Auto. Ich parke direkt neben dir.«
»Woher wusstest du...«, aber ich schlucke die restliche Frage runter, denn sie erscheint mir auf einmal so unwichtig. Tim lächelt nur und wir laufen gemeinsam zum Parkplatz.
Kapitel 6 - Am See
Die Fahrt bis zu diesem Baggersee dauert doch länger, als ich sie mir vorgestellt hatte. Mittlerweile sind wir schon über 20 Minuten unterwegs und gerade, als ich Tim fragen will, wie weit es noch ist, meint er, dass wir gleich da wären und ich mich schon mal auf eine kleine Art Überraschung gefasst machen solle.
Fünf Minuten später sind wir dann an dem See und steigen aus.
»Mach die Augen zu und lass mich dich führen«, sagt Tim und nimmt mich an der Hand. Es ist ein großartiges Gefühl, seine warme Hand auf der Haut zu spüren und ich schließe meine Augen. Er führt mich einen kleinen schmalen Pfad entlang und immer wieder bleiben wir kurz stehen, da ein Stock oder ein Ast im Weg liegt, den er erst aus dem Weg räumen will, damit ich nicht stolpern kann.
Ich werde immer ungeduldiger und überlege schon, ob ich kurz meine Augen aufmachen soll um zu schauen, wo wir gerade sind, als er sagt, dass ich meine Augen jetzt öffnen könne.
Als ich die Augen aufmache, sehe ich eine Decke und einen Korb. Ein Picknick.
»Wann hast du denn das hier her gebracht?« frage ich ihn.
»Heute Morgen, bzw. nachdem du mich angerufen hast und wir uns zum Schwimmen verabredet hatten. Darum war ich auch so spät dran vorhin.«
Ich schaue mich weiter um. Wir sind in einer kleinen Art Bucht an einem See, das Wasser ist klar und leuchtet blaugrün. Weit und breit ist keine andere Menschenseele zu sehen und auch auf dem Wasser kann ich niemanden entdecken.
Das Ufer, an dem Tim die Decke ausgebreitet hat, fällt leicht Richtung Wasser ab und man kann erkennen, dass es nicht sofort steil ins Uferlose abfällt, wie es eigentlich an den Baggerseen üblich ist. Ich drehe mich wieder zu Tim um, und bemerke, wie er mich lächelnd und neugierig anstarrt.
»Gefällt es dir hier?« fragt er.
»Es ist der schönste Platz, den ich mir vorstellen kann«, antworte ich und schaue mich noch mal um. Da bemerke ich, wie Tim sich langsam nähert und mich von Hinten umarmt. Seine Arme umschließen meine Brust und sein Kopf erscheint seitlich neben meinem. Ich sehe, wie sein Blick in dieselbe Richtung wie meiner zuvor wandert und seine Augen dabei klar und hell leuchten. Ich drehe meinen Kopf ein wenig in seine Richtung und er dreht sich im selben Moment zu mir. Unsere Nasen streifen sich dabei ein wenig. Dann sieht er mir mit seinen schönen Augen in meine und wir verlieren uns gegenseitig in den Tiefen unserer Blicke. Er küsst mich.
Die Zeit scheint für immer stehen zu bleiben und mir wird dabei schon fast schwindlig.
Nachdem wir so eine kleine Weile Arm in Arm gestanden und uns geküsst haben, setzen wir uns auf die Decke und Tim beginnt den Korb zu öffnen und auszupacken.
Er holt als erstes eine Flasche mit Sekt, dann eine Dose mit Erdbeeren und dann eine weitere Dose heraus. In der zweiten Dose ist Sahne und mir beginnt schon das Wasser im Mund zusammenzulaufen und auch eine leichte Gänsehaut im Nacken macht sich bemerkbar. Allein der Gedanke daran, was jetzt folgen mag, macht mich ganz kribbelig.
Tim öffnet die Erdbeeren und die Sahne, nimmt eine Erdbeere und tunkt sie leicht in die Sahne.
Dann nimmt er sie und beißt ein Stück ab. Anschließend taucht er sie noch mal in die Sahne und dann bin ich dran, er hält sie mir liebevoll vor den Mund und ich beiße auch ein kleines Stück ab. Sie schmeckt einfach himmlisch. Süß und saftig und ich glaube auch, dass sie ein kleines bisschen nach ihm schmeckt, was ja im Grunde genommen dumm ist, denn wie kann eine Erdbeere nach einem Menschen schmecken, der gerade ein kleines Stück von ihr abgebissen hat.
Nachdem wir so ein paar Erdbeeren gegessen haben, öffnet Tim den Sekt und holt noch zwei Sektgläser aus dem Korb. Er gibt mir ein Glas und nimmt sich selber auch eins.
In diesem Moment wird mir erst klar, wie sehr ich immer von so was geträumt habe. Etwas so Romantisches und Liebevolles. Einen Moment so voller Liebe und Zärtlichkeit, dass man sich wünscht, dass er niemals wieder vergehen wird.
Nach dem wir gemeinsam ein Glas Sekt getrunken haben, legen wir uns nebeneinander auf die Decke und Tim hält dabei meine Hand ganz fest in seiner, als hätte er Angst, dass ich auf einmal aufspringen und wegrennen würde. Wenn er nur wüsste, dass ich mich lieber umbringen lassen würde, bevor das passiert.
Gemeinsam schauen wir in den blauen Himmel, an dem hier und dort ein paar kleine weiße Wolken zu sehen sind. Dann hebt Tim seinen Kopf und legt ihn auf meine Brust, während er dabei immer noch meine Hand festhält. Mit meiner freien Hand streichle ich ihm durch sein Haar, dessen Duft ich sogar bis zu mir rauf wahrnehmen kann. Es riecht leicht fruchtig, süß und es glänzt im Licht.
Irgendwann bemerke ich, wie Tim immer gleichmäßiger anfängt zu atmen und ich glaube, er ist auf meiner Brust eingeschlafen. Auch ich schließe die Augen und genieße das Gefühl, seines Kopfes auf meiner Brust, wie er sich langsam im Takt meiner Atmung hebt und senkt und wie ich seinen Atem leicht auf meinem Bauch wahrnehmen kann.
Ich glaube, es müssen einige Stunden vergangen sein, bis ich mich wieder bewege. Es ist möglich, dass auch ich eingeschlafen bin, ich weiß es nicht.
Auf jeden Fall spüre ich auf einmal, wie Tims Kopf nicht mehr auf meiner Brust ruht und voller Panik, er könnte weg sein, öffne ich meine Augen und blicke um mich.
Doch da entdecke ich ihn. Er sitzt neben mir und schaut mich an. Er blickt auf mich herab und lächelt dabei.
»Wie lange sitzt du schon da und schaust mich an?«
»Ungefähr ne Stunde.«
»Und wieso hast du mich nicht wach gemacht?«
»Ich konnte nicht, du hast einfach zu süß ausgesehen und ich wollte diesen Moment einfach genießen, dich ansehen.«
Ich kann einfach nicht anders, ich beuge mich zu ihm hoch und gebe ihm einen langen Kuss, den er mit der gleichen Leidenschaft erwidert.
Der Rest des Tages verläuft so wunderbar, dass ich jetzt immer noch denke, es ist alles nur ein Traum gewesen. Wir sind zusammen ins Wasser gegangen und einmal quer durch den See geschwommen, dann haben wir uns auf einer kleinen Sandbank in die Sonne gelegt und Händchen haltend einfach nur dagelegen. Zurück sind wir dann gelaufen, da wir beide keine Lust mehr hatten, ins Wasser zu gehen. An der Decke angekommen hat sich Tim hingesetzt und ich habe meinen Kopf in seinen Schoss gelegt. Er hat immer wieder zärtlich meine Haare gestreichelt.
Gegen neun oder so haben wir unsere Sachen zusammen gepackt und sind dann wieder in Richtung Stadt gefahren mein Auto holen. Dort angekommen frage ich Tim, ob er nicht mal zur Abwechslung mit zu mir kommen wolle.
»Wenn wir vorher noch kurz bei mir vorbeifahren könnten, ich würde mir gerne noch was Frisches anziehen und die Sachen wegbringen.«
»Ja, kein Problem.«
Mit einem kleinen Umweg zu seiner Wohnung, wo wir uns ca. zehn Minuten aufgehalten haben sind wir dann zu mir weitergefahren. Leider jeder in seinem Auto.
Kapitel 7 – Bei mir
Während der Fahrt ging mir jedoch immer wieder ein Gedanke durch den Kopf: Bitte lass noch niemanden daheim sein. Ich weiß nicht wieso mir der Gedanke, meine Mutter oder mein Vater könnten daheim sein, so große Angst macht. Vielleicht liegt es einfach daran, dass ich ja selber gerade erst entdeckt habe, was mit mir los ist und ich daher Angst davor habe, es jemandem zu sagen.
Kurze Zeit später fahren wir beide bei uns auf den Hof. Der ist zum Glück sehr groß und so passen auch beide Autos drauf. Während ich aussteige, beginnt mein Herz wie verrückt zu schlagen. Tim steigt aus seinem Auto und kommt auf mich zu. Er will mich küssen. Einerseits will ich alles daran setzen, dass er es nicht tun kann und überlege schon, ob ich mich einfach umdrehen und loslaufen soll, aber andererseits will ich ja selber nichts anderes, als ihn zu küssen, seine weichen und warmen Lippen spüren. Ich kann nicht anders, ich lasse es zu. Mir ist in diesem Moment dann doch alles um mich herum egal.
Wir gehen rein. Ich schließe die Türe auf und wir treten ein. Es ist relativ still im Haus nur aus dem Wohnzimmer, das auch im Erdgeschoss liegt, höre ich den Fernseher.
»Meine Eltern sind da«, sage ich.
Wir gehen ins Wohnzimmer und da sehe ich meine Eltern auf der Couch liegen.
Ich sage kurz hallo und stelle ihnen Tim als einen Freund vor, und dann gehen wir wieder raus in den Flur.
»Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich gesagt habe, du seiest nur ein Freund, aber meine Eltern wissen es noch nicht, und ich will es ihnen nicht so sagen.«
»Nein, ist kein Problem. Ich kenne das, ging mir damals genauso.« Tim lächelt wieder.
»Wo hast du dein Zimmer?«
»Noch oben im ersten Stock, aber im Laufe der Woche ziehe ich in den Keller, wir haben dort eine kleine Einliegerwohnung und nachdem sie jetzt endlich fertig ist, kann ich einziehen. Ich habe dort unten alles: eine kleine Küche, ein eigenes Bad und zwei Zimmer. Willst du sie mal sehen?«
»Ja klar gerne doch.«
Wir gehen runter und betreten die Wohnung durch den zweiten Eingang.
»Ich habe auch noch einen separaten Eingang, also bin ich wirklich ganz für mich allein gestellt, wenn ich will. Ich habe auch schon fast alles zusammen, mir fehlen nur noch Töpfe und ein kleines Regal für meine CDs. Eigentlich wollte ich heute schon die erste Nacht hier unten schlafen, aber dazu müsste ich erst mein Bett runter bringen. Abgebaut ist es schon.«
»Soll ich dir helfen? Wäre kein Problem.«
»Aber es ist doch schon kurz nach zehn!«
»Ja und? Du weißt doch, dass ich normalerweise immer nachts arbeite.«
»Ja wenn es dir nichts ausmacht, gerne doch.«
Wir gehen hoch in mein altes Zimmer, in dem nur noch meine Matratze auf dem Boden liegt und das Bettgestell in Einzelteilen zerlegt an der Wand lehnt. Zehn Minuten später sind alle Teile unten in meiner neuen Wohnung im Schlafzimmer und ich beginne damit, das Bett wieder zusammen zu bauen. Tim sitzt derweil mir gegenüber auf dem Boden und beobachtet mich dabei lächelnd.
»Was ist daran so lustig?«
»Nichts!«
»Ach so«, muss ich breit grinsen.
Weitere zehn Minuten später ist das Bett aufgebaut und ich hole mein gesamtes Bettzeug nach unten. Ich überlege, ob ich Tim fragen soll, ob er heute bei mir übernachten will und noch bevor ich mir selber sicher bin, verlassen die Worte meinen Mund und ich höre nur noch, wie sie in der Stille verklingen.
»Gerne doch, dann kann ich dir morgen helfen, den Rest deiner Wohnung einzurichten, wenn du willst.«
»Ja, wieso nicht. Aber als erstes gehen wir dann morgen in den nächsten Möbelmarkt und besorgen das fehlende Regal.«
»Ja ok, aber sag mal, was ist mit deinen Eltern? Was sagen die, wenn ich hier übernachte, ich dachte, die wissen noch nichts von uns?«
»Ja, das ist kein Problem. Ich sage ihnen einfach, dir ist es zu spät, um noch heim zu fahren, und dass du mir morgen helfen willst.«
»Gut, dann bleibe ich. Wenn du willst, kann ich mir ja meinen Schlafsack und eine Iso-Matte aus dem Kofferraum holen, ich habe die immer da drin.«
»Warum denn das? Ich dachte, du schläfst bei mir im Bett?« Habe ich das gerade wirklich gesagt?
Ich sehe, wie Tims Augen anfangen hell zu leuchten und wie ihm die Freunde über mein Angebot immer mehr ins Gesicht steigt.
»Sollen wir jetzt noch ein paar Sachen aus deinem Zimmer holen?«
»Ja, wenn du willst, aber erst holen wir noch die Regale und Schränke aus dem Keller meiner Eltern, damit wir die Sachen auch gleich einräumen können, oder?«
»Ja, ist wohl das Beste so.«
Wir räumen noch bis halb zwei in meiner kleinen Wohnung rum. Irgendwann um halb eins sehe ich mir Tim an und ich bemerke, wie es ihm wohl wirklich wahnsinnig Spaß zu machen scheint, hier mit mir meine Wohnung einzurichten. Als wir dann um halb zwei beschließen, es nun aufzugeben, fallen wir nur noch total kaputt ins Bett.
Tim gibt mir noch einen langen Kuss und dann schlafen wir beide Arm im Arm ein.
Am nächsten Morgen wachen wir fast gleichzeitig gegen halb zehn auf. Da wir gestern noch nichts von meinen Küchensachen aus dem Keller geholt haben, gehen wir hoch in die Küche meiner Eltern, um dort zu Frühstücken. Wir lassen uns richtig schön Zeit. Meine Eltern sind ja beide bei der Arbeit und daher sind wir ganz alleine im Haus. Nach dem Frühstück gehen wir erst mal gemeinsam duschen und machen uns dann fertig. Tim ist zum Glück nicht sehr viel größer als ich, daher kann ich ihm ein Shirt und einen Pulli (es ist heute für einen Augusttag sehr kalt und es sieht nach Regen aus) von mir geben.
Dann steigen wir in mein Auto und fahren los in den Nachbarort, in dem ein neues Wohncenter aufgemacht hat. Wir stöbern so durch den Laden und am Schluss habe ich dann doch noch Einiges mehr gefunden, als ich eigentlich dachte.
Nachdem wir wieder bei mir sind, fangen wir erst mal an, alle restlichen fehlenden Möbel in den Keller zu bringen, was einige Zeit in Anspruch nimmt.
»Macht dir so was eigentlich Spaß?« frage ich Tim.
»Ja, sehr großen sogar. Wenn ich mir das hier so alles ansehe, bekomme ich sogar richtig Lust, wieder mal mein Zimmer in der WG umzustellen.«
Ich muss grinsen.
Nachdem alle Möbel, die ich habe, einschließlich meines Schreibtisches, den wir dann doch ins Schlafzimmer gestellt haben, da er im Wohnzimmer einfach nicht gut aussah, in die Wohnung gebracht haben, gehen wir erst mal wieder hoch in die Küche und ich koche uns Nudeln mit Tomatensoße, das einzige, was ich wirklich gut aus dem Kopf, also ohne Kochbuch, kochen kann. Danach fangen wir an, alles einzuräumen. Während ich meine Anlage, den Fernseher und das ganze Zeug aufstelle, räumt Tim meine Küche ein. Die ganze Verkabelung bedarf viel Zeit, da ich diesmal versuche, diesen ganzen Kabelsalat zu vermeiden, wie er immer in meinem alten Zimmer vorhanden war. Ich bemerke dabei nicht, wie mich Tim heimlich beobachtet und sich dabei wohl köstlich amüsiert, da ich immer wieder leise vor mich hin fluche, wenn ich einen Kabelstrang, den ich gerade erst geordnet habe wieder lösen muss, weil ich ein Kabel vergessen habe oder ein Kabel so nicht lang genug ist. Eine halbe Stunde später bin ich dann doch endlich fertig. Tim hat mittlerweile auch alles Geschirr in den Schränken verstaut und räumt gerade die wenigen Lebensmittel, die ich schon habe, ein. Ich schau ihm erst ein wenig zu, dann gehe ich daran, meinen Computer aufzustellen.
Diesmal ist es Tim, der mich beobachtet und ich bin mir sicher, er hat viel Spaß daran.
Nachdem ich ein paar Probleme mit dem Drucker hatte, da die dummen Stecker mal wieder nicht so wollten wie ich, bin nun auch ich endlich fertig mit meiner Arbeit.
Zufrieden über das, was wir geleistet hatten, lassen wir uns zufrieden auf der Couch nieder.
Nachdem wir nun eine Weile schweigend dagesessen hatten, ist es Tim, der als erstes wieder was sagt: »Also so schön, wie deine kleine Wohnung jetzt ist, würde ich am liebsten sofort mit einziehen.« Und ein breites Grinsen macht sich wieder auf seinem Gesicht breit.
»Na mal abwarten«, erwidere ich auch breit grinsend.
Tim meint, er wolle erstmal in seine Wohnung fahren, da er keine frischen Klamotten mehr bei hat und als er meinen Gesichtsausdruck bemerkt, schiebt er sofort nach, dass er so schnell wie möglich wieder zurück kommen würde.
Schweren Herzens verabschiede ich mich von ihm mit einem tiefen und innigen Kuss.
Kapitel 8 – Und nun
Zwei Stunden sind vergangen und ich habe in der Zeit erst die Küche aufgeräumt, dann mein altes Zimmer gründlich sauber gemacht und die letzten Sachen, die noch darin rumlagen zusammengepackt, und runter gebracht, denn schließlich wollen meine Eltern nun dort ein kleines Gästezimmer einrichten. Nachdem ich auch damit fertig bin und mein Umzug in meine eigene kleine Wohnung nun endgültig abgeschlossen ist, gehe ich duschen.
Nach der Dusche setze ich mich auf die kleine blaue Couch in meiner Wohnung und schaue mich um.
„Sie ist wirklich sehr schön geworden“, höre ich jemanden in der Tür sagen, leicht erschrocken sehe ich auf und sehe, dass meine Mum in der Tür steht und mich anlächele.
„Habt ihr das wirklich alles gestern noch gemacht?“
„Nein, einen Teil haben wir erst heute Morgen gemacht.“
„Sieht wirklich gut aus und ich habe gesehen, dass du dein altes Zimmer schon sauber gemacht hast, ist echt nett von dir, so können Papa und ich am Wochenende anfangen, es einzuräumen. Übrigens kommt nächste Woche Oma für ein paar Tage zu Besuch, also passt es echt gut.“
„Oma kommt für ein paar Tage? Warum denn das?“
„In ihrem Haus werden einige Arbeiten erledigt, darum. Ach ja, Schatz, hier sind noch die Schlüssel für deine Haustür, Papa hat gestern Morgen noch das Schloss ausgewechselt.“
„Cool, danke Mum.“
Mum dreht sich gerade um, als sie dann doch noch mal kehrt macht, um noch was zu fragen.
„Du, sag mal, wann kommt denn dein Freund wieder?“
Wie meint sie das jetzt? Hat sie etwa was gemerkt?
„Ähh, welcher Freund?“
„Na der junge Mann, der dir geholfen hat und letzte Nacht hier bei dir übernachtet hat.“
„Du meinst Tim?“
„Ja, ich glaube schon, oder hat letzte Nacht noch jemand bei dir im Bett übernachtet?“
„Aber woher weißt du, dass er bei mir im Bett geschlafen hat?“
„Ganz einfach, sonst würde doch sicherlich noch irgendwo eine zweite Garnitur Bettwäsche rumliegen, oder? So war es doch zumindest immer, wenn Chris bei dir übernachtet hat.“
„Aber ich hätte die Bettsachen doch schon längst wieder wegräumen können.“
„Schätzchen, ich bin zwar schon einiges älter als du, aber ich bin immer noch deine Mutter. Glaubst du, ich hätte die Blicke nicht bemerkt, die du Tim zugeworfen hast, als ihr „Hallo“ gesagt habt? Daniel, ich kenne dich gut genug, um zu merken, dass du dich in Tim verliebt hast.“
Oh, ich glaube das war der Moment, vor dem ich mich eigentlich noch ein wenig drücken wollte, nämlich der Moment, in dem ich meiner Mutter sage, dass ich schwul bin. Und jetzt ist sie mir sogar zuvor gekommen, und hat es mir gesagt, dass ich schwul bin.
„Jetzt schau mich nicht so an. Papa und ich, wir denken uns das schon seit einiger Zeit, erst letzten Sonntag haben wir uns darüber unterhalten.“
„Ihr habt was?“ Ich bin irgendwie total durcheinander.
„Ja, wir haben uns das schon seit einer ganzen Weile gedacht, allein weil du ja in letzter Zeit nicht gerade viel mit Mädchen zu tun hattest und da haben wir mal so scherzeshalber darüber nachgedacht. Und als du dann angefangen hast, jedes Mal, wenn eine dieser Boygroups im Radio oder Fernsehen kam, mitzusingen und lauter zu machen, bin ich doch ein wenig sicherer in meiner Annahme geworden. Und was mich dann doch noch mehr bestätigt hat, war deine Fixierung auf alles, was im Fernsehen mit dem Thema schwul zu tun hatte.“
Es ist komisch, aber das ist mir selber nie aufgefallen und meiner Mum schon seit ewigen Zeiten. Das ist einfach unglaublich.
„Und jetzt? Seid ihr von mir enttäuscht?“
„Aber nein, wie kommst du denn darauf? Das macht dich doch nicht zu einem anderen Menschen, du bist doch immer noch mein kleiner Junge von früher. Und das wichtigste ist doch nur, dass du damit glücklich wirst.“
Wow, ich bin total geplättet. Wenn man bedenkt, dass ich mir schon so meine Gedanken gemacht habe, wie sie es aufnehmen würden. Dabei ist es überhaupt kein Problem für sie.
„Also, mein Schatz, sag mal, wann kommt dieser Tim mal wieder vorbei, der ist wirklich sehr nett.“
In diesem Moment piepst mein Handy. Noch während ich überlege, was ich meiner Mutter antworten soll, lese ich die empfangene SMS, sie ist von Tim.
„Wenn du willst, kann ich ihn ja fragen, ob er heute noch mal kommen will, zum Abendessen.“
„Ja warum nicht, das halte ich für eine sehr gute Idee, dann lernen wir ihn auch besser kennen. Sag ihm. er soll um sieben hier sein.“
„Ok, das werde ich machen. Wenn er denn Zeit hat.“
Meine Mutter verlässt das Zimmer und ich überlege, ob ich Tim auch nur eine SMS schreiben soll oder ob ich ihn gleich anrufen soll. Ich entscheide mich für den Anruf.
„Hallo?“
„Ja hi, ich bin es, Danny.“
„Oh, hallo mein Süßer, na wie geht es dir? Ist dein Zimmer jetzt fertig?“
„Ja, komplett. Dank deiner Hilfe ja sogar schneller als ich dachte. Du, ich habe mich gerade mit meiner Mutter unterhalten.“
„Worüber?“
„Nun eigentlich über das Zimmer und die Wohnung, aber dann hat sie sich nach dir erkundigt.“
„Nach mir? Wie kommt's?“
„Wart ab, es kommt noch besser: Sie weiß bescheid, was zwischen uns läuft.“
„Echt? Und wie hat sie reagiert? Ich hoffe doch nicht schlecht, falls doch, du weißt, du kannst jederzeit zu mir kommen.“
„Nein, das ist nicht notwendig, sie hat es sogar sehr gut aufgenommen und sie möchte, dass du heute Abend zu uns zum Essen kommst, wenn du kannst.“
„Oh, das ist schlecht, ich habe heute Abend Training.“
„Schade.“
„Aber weißt du was, ich werde es einfach ausfallen lassen und lieber zu dir kommen.“
„Echt? Klasse. Kannst du um sieben hier sein?“
„Nein, das reicht mir leider nicht, geht auch halb sieben?“ Ich höre wie er kichert.
„Na das muss ich mir aber erst noch überlegen, ob ich dich schon so früh hier haben will.“
Er hört sofort auf zu kichern und ich bin froh, nach dem Schock mit meiner Mum meine Schlagfertigkeit zurück zu haben.
„Natürlich geht auch halb sieben, je früher du kommst, desto besser.“
„Ok, dann komme ich einfach, sobald ich kann, ja?“
„Ja, das ist gut. Ich freue mich schon darauf.“
„Ich mich auch, also bis später, Süßer.“
„Ja, bis später.“
Nachdem wir mit dem Telefonieren fertig sind, gehe ich hoch zu meiner Mutter und sage ihr bescheid, dass alles geklappt hat und das Tim kommen wird. Anschließend gehe ich an meinen PC und meine E-Mails, welche ich nun schon seit einer etwas längeren Zeit nicht mehr kontrolliert habe abrufen und beantworten. Haben sich auch einige angesammelt. Nachdem ich sie sortiert habe, bleiben doch noch sechs Mails, die ich beantworten muss. Ich mache mich also an die Arbeit. Zehn Minuten später klopft es an meine Haustür. Natürlich wunder ich mich total, denn außer Tim weiß ja noch keiner, dass ich bereits hier unten wohne. Ich gehe hin und öffne. Es ist Tim. Es ist Tim mit einer kleinen Tasche und einer roten Rose.
„Was machst du denn schon hier?“ frage ich ihn breit über beide Wangen grinsend.
„Ach soll ich wieder gehen?“
„Nein, komm rein, ich habe mir nur gewundert, wie du so schnell hier sein konntest, sind doch erst zwanzig Minuten vergangen, seit dem wir telefoniert haben. Du musst ja theoretisch sofort losgefahren sein.“
„Bin ich auch, ich habe noch während des Telefonats meine Sachen zusammengeräumt und nachdem wir aufgehört hatten, bin ich auch sofort los.“
„Ach du bist doch verrückt.“, sage ich noch immer lächelnd.
Wir gehen ins Wohnzimmer und setzten uns auf die Couch. Ich muss Tim erst mal alles genau erzählen, wie es mit meiner Mum war, als ich mich mit ihr unterhalten habe. Und danach wollen wir hoch gehen, kommen aber nicht sofort dazu, weil wir uns erst mal lange und ausgiebig küssen müssen.
Kapitel 9 - Liebe kann so schön sein!!!
Es klopft! Es klopft nochmals, diesmal etwas lauter.
Tim und ich müssen voneinander ablassen, denn es ist sicherlich meine Mum, die mir bescheid sagen will, dass das Essen fertig ist. Und auch wenn sie es gut aufgenommen hat, dass ich schwul bin, finde ich, sollte ich sie ja nicht gleich so sehr schocken.
»Herein«, rufe ich und ich merke selber, wie mir die Stimme dabei umkippt. Tim kichert. Meine Mum betritt den Raum.
»Hallo ihr zwei, das Essen ist dann in ein paar Minuten fertig, könntet ihr mir vielleicht schnell noch helfen kommen und den Tisch decken?«
»Klar!« sagt Tim, springt auf, geht ein paar Schritte auf meine Mutter zu und streckt ihr die Hand entgegen. »Wenn ich mich dann vielleicht doch noch mal offiziell vorstellen darf, mein Name ist Timothy, aber sie dürfen mich gerne Tim nennen.«
Meine Mutter nimmt seine Hand und schüttelt sie, während sie sagt: »Freut mich, dich kennen zu lernen, Tim. Ich bin Irmgard, aber die meisten Leute nennen mich nur Irmi.«
Ich bin total überrascht, meine Mum bietet Tim sofort das »Du« an, obwohl sie ihn kaum kennt. Selbst Chris hat sie es erst letztes Jahr angeboten und Chris geht seit wir sieben waren bei uns ein und aus. Ich glaube, ich muss sie später echt mal darauf ansprechen. Wir gehen also rauf in die Wohnung meiner Eltern. Während meine Mum sich wieder den Töpfen widmet, hole ich die Teller und das Besteck sowie die Gläser aus dem Schrank, während Tim den Tisch abräumt. Meine kleine Schwester hat wohl mal wieder ihre Hausaufgaben hier in der Küche gemacht. Na ja immerhin – früher sah es immer so aus, als würde sie in der Schule nichts schaffen, sie hat nie ihre Hausaufgaben gemacht und die Noten waren auch immer sehr schlecht, aber seit diesem Jahr hat es sich sehr gebessert, selbst die Lehrer loben sie nur noch und das will viel heißen.
Ein Auto fährt in den Hof. »Das muss Papa sein, er hat deine Schwester vom Schwimmbad abgeholt. Sie kommen ja gerade richtig zum Essen.«
Tim kommt zu mir und flüstert mir ins Ohr: »Sag mal, weiß dein Dad auch schon bescheid?«
»Ja, soweit ich weiß schon, Mama hat sich mit ihm darüber unterhalten.«
»Also ich muss ja schon sagen, dass ich mich jetzt noch ein wenig unwohl fühle«, meint Tim.
»Du mach dir mal keine Sorge, er wird dich schon nicht auffressen«, meine ich lachend und stelle die Gläser neben die Teller, die Tim vorher verteilt hat.
Die Tür geht auf und Dad kommt rein. Als er Tim neben mir stehen sieht, lächelt er gleich noch mal ein wenig mehr als sonst. Na ja typisch mein Dad, ich habe bis jetzt erst zweimal erlebt, dass ihm das Lachen vergangen ist. Einmal, als er mitbekommen hat, wie knapp ich damals dem Tod entkommen bin, als ich meinen Autounfall hatte und das zweite Mal, als Opa gestorben ist. Wobei ja beide Male durchaus verständlich waren.
»Na du musst wohl derjenige welcher sein, der mir meinen einzigen Sohn wegnehmen will«, sagt mein Dad und ich sehe wie Tim augenblicklich drei Nuancen blässer wird. Selbst Mum schaut auf und Dad fängt an zu lachen.
»Entspannt euch doch, ich habe doch nur einen Scherz gemacht.«
Tim, immer noch etwas blass um die Nase, versucht sich ein Lächeln abzuringen, geht auf meinen Dad zu und streckt auch ihm die Hand entgegen, genauso wie vorhin bei Mum. »Ich bin Timothy oder Tim, wie sie wollen.«
»Schön, ich bin Rainer und das Sie vergessen wir gleich mal wieder, ok?«
»Ok«, meint Tim und man merkt sofort, wie er sich wieder entspannt.
Wir setzen uns alle an den Tisch und Mum fängt an aufzutischen. Es gibt Hackbraten mit Kartoffelbrei und Soße sowie Salat. Da fällt mir erst auf, wie lange es her ist, dass wir das letzte Mal zusammen gegessen haben und ich merke, wie sehr ich es doch von Zeit zu Zeit mag, mit meiner Familie zusammen zu sitzen. Besonders jetzt wo Tim neben mir sitzt.
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