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Die Erkenntnis

Weihnachtschallenge 2020

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Inhaltsverzeichnis

 

„Du weißt es... Wie lange schon und vor allem woher?“, fragt er mich mit zitternder Stimme. Seine Augen füllen sich schon mit Tränen. Ich sehe pure Angst in seinem Blick. Die Angst, mich zu verlieren. Die Angst, dass ich ihn hassen könnte. Könnte ich das? Ihn hassen... Wir kennen uns schon seit dem Kindergarten. Er ist mein bester Freund. Mein Bruder, den ich nie hatte. Wie lange ich es schon weiß? Gute Frage... vielleicht schon immer? Bewusst wurde es mir erst zwei Tage vor Weihnachten.

22. Dezember

Wir waren mit unseren Familien in die Schweiz geflogen, um dort Weihnachten und Silvester zu verbringen. Der Urlaub stand schon lange fest und mein bester Freund und ich hatten uns schon wie kleine Kinder darauf gefreut. Es war zwar nicht das erste Weihnachten, welches wir zusammen verbrachten, aber das erste, welches wir in einem anderen Land feierten. Ja, wie Kinder haben wir uns darauf gefreut. Und dabei waren wir in der Abschlussklasse unserer Schule mit den ersten Schritten in unserem richtigem Leben. Er möchte später studieren gehen und ich werde wahrscheinlich eine Ausbildung machen. Aber eines war uns klar: Wir werden in die selbe Stadt ziehen und eine WG gründen.

Es lief eigentlich alles wie gewohnt. Wir bekamen ein gemeinsames Zimmer in der Blockhütte, welche unsere Eltern für die Feiertage gemietet hatten. Die Landschaft um uns herum war wie im Winterwunderland. Schneeweiße Berge und Bäume. Von unserem Zimmer aus hatten wir einen wundervollen Blick in das Dorf, das weiter unten im Tal lag. Die Dächer waren vom Schnee bedeckt und die geschmückten Straßen gaben einen romantischen Touch, bei dem jeder dahinschmelzen konnte. Bei der Kälte ein Wunder.

Wir packten unsere Sachen in die Schränke, bezogen unsere Betten und alberten ein wenig herum. Doch wie immer wenn wir am toben waren, bemerkte ich seine Blicke, die er häufig zu mir herüber warf. Ich konnte immer Sehnsucht darinnen erkennen. Doch richtig deuten konnte ich diese nie. Wie bisher beachtete ich sie auch nicht weiter und ging ins Badezimmer, um zu duschen. Dieses mal war es aber irgendwie anders als sonst. Seine Blicke ließen mich nicht mehr los und so dachte ich unter der Dusche darüber nach.

In der Schule hatte er es nicht wirklich leicht. Im Grunde genommen war ich sein einziger Freund, da er von den anderen ewig gemobbt wurde. Er wäre anders, sagten sie. Schwuchtel, Tucke, Tunte... Ich gab dem nie Beachtung und munterte meinen besten Freund prinzipiell wieder auf. „Sie werden schon damit aufhören“, sagte ich immer wieder. Konnte ich denn wissen, wie recht sie damit hatten? Wie verletzend muss das sein, sich immer wieder solche Beleidigungen anzuhören mit dem Wissen, dass es stimmt? Hin und wieder habe ich mich mit den anderen gekloppt, um meinen Freund zu schützen. Sicher war dann für einige Tage Ruhe, aber es fing nach kurzer Zeit wieder von vorne an. Die Lehrer? Sie sahen es nie und es lohnte sich auch nicht, mit ihnen zu reden. „Unsere Schüler sind nicht so. Sie sind ein Vorbild in Sachen Toleranz und Respekt“, kam es von ihnen. Pah, wenn sie wüssten. Ich sah ihn immer wieder weinen, sah seine Schmerzen. Nur, dass sie damit Recht hatten, sah ich nie. War ich zu blind dafür? Ich kannte ihn doch in und auswendig, oder vielleicht doch nicht?

In meinen Gedanken vertieft drehte ich den Hahn zu, trocknete mich ab und ging wieder in unser Zimmer, wo mein bester Freund auf dem Bett lag und las. Er hatte wohl wieder geweint, denn seine Augen waren feucht und rot. Was war es diesmal? Was ging ihm durch den Kopf? Ich traute mich nicht ihn zu fragen, aus Angst, ich kenne die Antwort schon. Doch wovor hatte ich diese Angst? Er würde doch der Gleiche bleiben wie er war. Also legte ich mich in mein Bett und nahm mir mein Tablet, um etwas darauf zu spielen. Wir redeten nicht, was doch eher selten vorkam. Es war eine merkwürdige Stimmung im Raum. Und das kurz vor dem Fest der Liebe. Liebe... auch etwas was ich noch nicht kannte. Als ich so darüber nachdachte, kam mir ein merkwürdiger aber nicht abwegiger Gedanke. Könnte es tatsächlich sein, dass er sich in mich verliebt hatte? Die Anzeichen, sofern ich es erahnen konnte, waren definitiv da. Ich selbst hatte keine Freundin und auch sonst war ich noch an einer Beziehung gar nicht interessiert. Doch die Blicke, die er mir zuwarf, kannte ich von unseren Mitschülern, welche schon in der ein oder anderen Beziehung waren. Wie ich darüber denken sollte wusste ich nicht. Es kam mir so surreal vor und der Gedanke, dass sich mein bester Freund in mich verguckt hatte, ließ mich in Unbehagen fallen. Nicht weil er sich in mich verguckt hatte, sondern eher weil es für mich neu war, dass sich ein Junge in mich verguckt hatte. Dazu noch einer, den ich seit dem Kindergarten kannte.

Während meines Grübelns musste ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich kurz wach wurde, war es im Zimmer dunkel. Doch ich bemerkte etwas völlig anderes. Ein warmer Körper schmiegte sich an meinen Rücken. Ich konnte ein leichtes Schluchzen vernehmen und ein Gemurmel, das ich nicht verstand. Ich ließ ihn gewähren, nahm seinen Arm und legte den über meinen Körper. Das brauchte er gerade, die Sicherheit. Das war das Einzige, das ich ihm in dem Moment geben konnte. Er beruhigte sich und schien kurze Zeit später eingeschlafen zu sein. Ich dachte noch ein wenig nach, ging die Erlebnisse der letzten Monate durch und bemerkte immer wieder kleine Details.

Nach dem Sport ging er nie duschen, sondern erst wenn er zuhause war. An sich auch nichts ungewöhnliches, da wir in den letzten beiden Stunden Sport hatten. Aber je mehr ich darüber nachdachte, könnte es auch einen völlig anderen Grund haben. Auch wenn wir schwimmen waren, suchte er sich bei den Duschen immer einen abgelegenen Ort, als ob ihm etwas peinlich wäre. In meinen Gedanken vertieft, schlief ich irgendwann doch ein und träumte vor mich hin.

Eine wundervolle Schneelandschaft, ein angenehm warmes Licht und mein bester Freund, der sich wie ein kleines Kind darüber freute und im Schnee tobte. Um uns herum standen lauter bunt geschmückte Tannenbäume und von irgendwo weither vernahm man leise diverse Weihnachtslieder. Er stand auf und kam langsam auf mich zu. Irgendwas sagte er, doch ich konnte es leider nicht hören, weil die Musik plötzlich lauter wurde. Langsam und mit zitternden Händen zog er mein Gesicht zu sich rüber und um uns herum fing alles an, sich in Luft aufzulösen. Auch mein Bester war plötzlich verschwunden. Vor mir stand ein Mann in einem roten Mantel und einem langen weißen Bart. Er lächelte mich an und sagte: „Mach dir keinen unnötigen Kopf, mein Lieber. Du weißt, wie viel er dir bedeutet und er weiß, wie viel du ihm bedeutest. Mach ihm klar, dass ihr alles zusammen durchstehen könnt wie bisher. Natürlich hat er Angst. Aber die kannst du ihm nehmen, wenn du deinem besten Freund zeigst, dass du noch weiter für ihn da sein wirst wie vorher. Mehr als diesen Ratschlag kann ich dir nicht geben, mein Sohn, aber es ist ein sehr wichtiger. Ihr habt eine besondere Freundschaft und euch verbindet verdammt viel, mehr als du dir je vorstellen kannst. Denke darüber nach. Und nun wach langsam auf.“ Der Mann verschwand wieder und nur noch die Musik war zu vernehmen.

23.Dezember

Als ich wieder wach wurde, war die Musik noch immer zu hören. Ich schaute mich um und stellte fest, dass das Radio an war. Mein Bester musste schon aufgestanden sein und hatte sich wohl leise Musik angemacht. Ich streckte mich ausgiebig, stand auf und lief Richtung Badezimmer. Gerade als ich die Tür aufmachen wollte, öffnete diese sich und ein nasser bester Freund rannte, nur in einem Handtuch bekleidet, direkt in meine Arme. Wir blieben beide verdutzt stehen und im selben Moment löste sich das Handtuch und fiel zu Boden.

Da stand er vor mir, nackt wie man ihn erschaffen hat. Das letzte Mal habe ich ihn so gesehen, als wir zwölf waren. Aus irgendeinem Grund konnte ich nicht wegsehen. Er bemerkte es einige Sekunden später, nahm blitzschnell sein Handtuch und rannte mit hochrotem Kopf zurück in unser Zimmer. Es war eindeutig zu früh für mich, um das, was da gerade geschehen war, zu verarbeiten. Kopfschüttelnd ging ich ins Badezimmer und verschloss die Tür hinter mir.

Ich ließ das Wasser ins Waschbecken laufen. „Was ist nur los mit dir? Was ist los mit deinem besten Freund?“, fragte ich mein Spiegelbild und wartete vergeblich auf eine Antwort. Ich wusch mich, drehte den Hahn wieder zu und zog mich um. Als ich mit meinem Morgenritual fertig war, lief ich nachdenklich in unser Zimmer zurück.

Er saß auf dem Bett und guckte mich verstohlen an.

„Tschuldige“, murmelte er mir zu.

„Wofür? Ich habe dich nicht das erste Mal nackt gesehen und es wird bestimmt auch nicht das letzte Mal sein.“

„Trotzdem und das mit heute Nacht. Ich hätte mich nicht einfach so in dein Bett legen sollen. Mir ging es einfach nicht gut und ich brauchte die Nähe meines besten Freundes.“

Ich setzte mich neben ihn und nahm ihn einfach in den Arm. Er fing wieder an zu weinen und wollte zwischen seinem Schluchzen immer wieder etwas sagen, aber er konnte es anscheinend nicht. Nach mehreren Versuchen hatte er es anscheinend aufgegeben. Das dachte ich, aber in Wirklichkeit war er einfach eingepennt. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Vorsichtig legte ich ihn richtig auf das Bett und ging dann zu unseren Eltern.

Beim Frühstück plauderten wir ein wenig und auch die Schlafmütze war irgendwann dazugekommen. Wir planten den Tag und hatten uns geeinigt, noch etwas ins Dorf zu fahren. Schließlich war am nächsten Tag Heiligabend und wir mussten noch ein paar Kleinigkeiten besorgen.

Im Dorf trennten wir uns. Er ging mit seinen und ich mit meinen Eltern. Später wollten wir uns dann vor dem Weihnachtsmarkt treffen. Wir schlenderten durch die Läden, kauften einige Dinge und genossen den Schnee. Die meisten Geschenke hatten wir bereits in Deutschland geholt, sodass es wirklich nur noch wenige waren und ein paar Lebensmittel über die Feiertage hinweg. Als wir zurück zum Weihnachtsmarkt liefen, kamen wir an einem Schaufenster vorbei, wo ich ein Lederarmband in den Farben des Regenbogens entdeckte. Ich rang kurz mit mir selbst, entschied mich aber, es zu kaufen und meinem Besten nach der Bescherung zu überreichen. Sollte es wirklich so sein, wie ich es mir dachte, dann sollte er wissen, dass ich hinter ihm stehen werde. Sollte es nicht so sein... mir würde bestimmt jemand einfallen, dem ich es geben könnte.

Wir kamen beim Weihnachtsmarkt an und schienen die Ersten zu sein. Mein bester Freund und seine Eltern waren noch nicht in Sicht und so gesellten wir uns zu dem Glühweinstand, der nur ein paar Meter vom Eingang entfernt stand. Meine Eltern bestellten sich einen davon und ich mir eine heiße Schokolade mit einem Schuss Baileys. Ich schaute mich um und kam gar nicht mehr aus dem Staunen raus. So einen wundervollen Weihnachtsmarkt hatte ich selbst in Deutschland noch nicht gesehen, wobei in unserem Land das Entschiedenste fehlte: der Schnee! Doch viel Zeit zum umgucken hatte ich nicht, denn unsere Getränke waren gerade fertig.

Während ich den trank, kam ich wieder ins Grübeln. Was war es, das er mir sagen wollte, aber nicht konnte? Vielleicht doch das, was ich schon dachte, aber das wäre doch zu offensichtlich. Ich kam einfach auf keine vernünftige Antwort. Je mehr ich darüber nachdachte, desto weiter weg kam mir diese auch vor. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Was wenn es doch so ist? Wie sollte ich darauf reagieren? Wie WÜRDE ich darauf reagieren? Fragen über Fragen durchfluteten meinen Kopf, so schnell, dass mir beinahe schwindelig wurde. Ich hielt mich an der Tischkante fest und blieb einen Moment ruhig stehen.

Mein Vater musterte mich und fing an zu schmunzeln: „War wohl doch etwas zu viel von dem Zeugs drinnen, was?“

„Ein wenig“, log ich, „aber passt schon. Es wärmt wenigstens meinen Körper.“

Vielleicht hätte ich ihnen doch die Wahrheit sagen sollen, aber ich traute mich nicht. In dem Moment kam mir der Gedanke, dass er sich genauso fühlen musste. So hilflos... Vielleicht war es das, was ihm zu schaffen machte. Nicht seine eventuelle Homosexualität, sondern dass er sich nicht traute, es wem zu sagen. Für einen kleinen Augenblick konnte ich mich in ihn hineinversetzen und spüren, wie verloren er sich fühlen musste. Ein grausames Gefühl. Und das musste er die ganze Zeit aushalten? Ich würde daran kaputt gehen... „Natürlich“, murmelte ich vor mich hin und mit einem Schlag wurde mir alles klar. Eine Flut von Erinnerungen, von Szenen mit uns beiden, von Bildern, die mir doch irgendwie im Gedächtnis geblieben sind, durchströmten meinen Kopf, wie ein reißender Fluss. Alles ergab plötzlich einen Sinn. Sein Verhalten, seine Blicke, einfach alles. Mein bester Freund ist schwul und geht an seinem Geheimnis kaputt.

Während mir dies so durch den Kopf ging, hatte ich gar nicht bemerkt, dass auch er und seine Eltern mittlerweile bei uns standen und mich fünf Augenpaare anstarrten, als wäre ich ein Geist.

„Du siehst ein wenig blass aus. Geht's dir nicht gut?“, fragte meine Mutter mich mit besorgter Miene.

„Entschuldigung“, murmelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart und widmete mich wieder meiner Schokolade, die mittlerweile kalt geworden war. Ich schob diese Gedanken beiseite und beteiligte mich an den Gesprächen.

Als alle ihre Getränke ausgetrunken hatten, spazierten wir über den kleinen Weihnachtsmarkt und bewunderten diese tolle Stimmung. Doch immer wieder kehrte dieser Fluss aus Szenen zurück. Ich versuchte, diese zwar zu ignorieren, doch schaffte es irgendwann nicht mehr und mir wurde schwarz vor Augen.

„Er sollte sich ausruhen und morgen wird es ihm besser gehen“, hörte ich weit entfernt eine Stimme, welche ich nicht kannte, sagen. Dann war es wieder still und ich flog in die Welt der Träume.

24.Dezember

Ich wurde langsam wach, setzte mich auf und musste erst überlegen, wo ich war. Der Duft kam mir bekannt vor und nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich erkennen, dass ich in unserem Zimmer in der Blockhütte war. Es war bereits früh am Morgen, wie ich dank der Uhr feststellen durfte. Ich versuchte mich zu erinnern was geschah und die letzte Erinnerung war die Flut, die mich durchströmte.

Stöhnend ließ ich mich in mein Kopfkissen fallen, schlug die Hände vors Gesicht und murmelte flüsternd: „Ich weiß es...“

„Was weißt du?“

Ich schreckte hoch, knipste die Nachttischlampe an und riss meine Augen weit auf, als ich sah, dass mein bester Freund, eingewickelt in seine Decke, auf dem Bett saß und mich fragend ansah. Er hatte mich anscheinend die ganze Zeit beobachtet, denn es sah nicht danach aus, als wäre er gerade wach geworden. Was sollte ich sagen? Ich wusste es nicht, denn ganz sicher war ich mir in dem Moment doch nicht mehr. Nur ließ es mich nicht los und so fragte ich ihn ohne groß herumzureden: „Kann es sein, dass du schwul bist?“ Er wurde auf einen Schlag blass.

Tja und da wären wir im Hier und Jetzt angekommen.

„Du weißt es... Wie lange schon und vor allem woher?“, fragt er mich mit zitternder Stimme. Seine Augen füllen sich schon mit Tränen. Ich sehe pure Angst in seinem Blick. Die Angst mich zu verlieren. Die Angst, dass ich ihn hassen könnte. Könnte ich das? Ihn hassen... Mir fällt sein Weihnachtsgeschenk wieder ein. Nein! Niemals könnte ich ihn hassen, dafür ist er mir zu wichtig. Ich liebe ihn, so wie ich einen Bruder oder eine Schwester lieben würde, wenn ich so was hätte. Aber hassen könnte ich ihn nicht. Das ist völlig unmöglich.

„Die Vermutung war schon da, aber in den letzten zwei Tagen wurde es mir deutlicher“, sage ich und setze mich richtig auf das Bett.

Er wickelt sich noch fester in seine Decke ein und murmelt: „Ja, das stimmt, aber wie..?“

Ich fange an, ihm alles zu erzählen. Von den Blicken, die er mir zuwarf, welche mir auffielen. Ich erzähle ihm von meinen Gedanken, die ich in den letzten Tagen, Wochen, wenn nicht Monate schon hatte, aber wegstieß. Davon, wie klar es mir gestern auf dem Weihnachtsmarkt wurde, als alles plötzlich einen Sinn ergab und es mir zu viel wurde.

„Aber eines kann ich dir versprechen“, sage ich mit ernster Stimme. „Du bist und bleibst mein bester Freund, egal ob du nun auf Frauen, Männer oder auf beides stehst. Wir haben dafür viel zu viel durchgemacht, als dass man so etwas besonderes wie diese Freundschaft einfach wegwerfen könnte. Ich liebe dich wie einen Bruder und ich genieße die Zeit mit dir, egal was da noch kommen mag. Da verkloppe ich lieber weiter unsere Mitschüler, wenn sie wieder solche dummen Sprüche klopfen, als dich in den Wind zu schießen“

Er sieht mich ungläubig an, dann laufen ihm die Tränen runter und er hüpft aus seiner Decke heraus zu mir ins Bett. Wir umarmen uns und ich weiß, dass uns das hier keiner mehr nehmen kann.

„Danke“, nuschelt er kaum hörbar. Ich nehme ihn noch fester in meinen Arm. Es ist, als hätten wir eine neue Stufe unserer Freundschaft erreicht. Und selbst wenn er sich in mich verliebt haben sollte, das hier bleibt auf ewig ein besonderer Moment für uns beide.

„Ach, ich habe da noch was für dich. Eigentlich wollte ich es dir erst heute Abend geben, aber ich denke, du brauchst es jetzt dringender“, fällt mir ein und ich überreiche ihm sein Päckchen. Er öffnet es sanft, ohne das Papier zu beschädigen. Er schaut sich die Schatulle an und klappt auch diese ganz vorsichtig auf. In seinem Gesicht kann ich gerade nicht erkennen, was er denkt. Er nimmt das Armband raus und begutachtet es sorgsam. Nach einigen Minuten grinst er mit leuchtenden Augen übers ganze Gesicht. Ich habe ihn schon ewig nicht mehr so gesehen und bin froh, dass es so gut angekommen ist.

„Das ist das schönste Geschenk. Ich bin dir dafür sehr dankbar, denn nicht jeder hat so einen tollen besten Freund.“

„Mich freut es, dass es dir gefällt. Ich hatte es gestern zufällig in einem Schaufenster gesehen und musste es einfach holen.“

„Soll ich es unseren Eltern erzählen?“, fragt er mich in meinen Nacken hinein und schaut auf sein Armband, welches ich ihm zwischenzeitlich um seinen Arm gelegt hatte.

„Diese Entscheidung kann ich nicht für dich treffen. Solltest du es aber dennoch machen, werde ich hinter dir stehen. Und bekanntlich geschehen an Weihnachten allerhand pure Wunder.“

Und was für ein Wunder. Als er es ihnen nach dem Essen und vor der Bescherung erzählt, ist für kurze Zeit völlige Stille am Tisch. Plötzlich fängt mein Vater an zu lachen und die anderen stimmen mit ein. Verdutzt schauen mein Bester und ich uns an und zucken nur mit den Schultern. Mein Vater erholt sich und wendet sich an den Vater von dem Geouteten: „Du schuldest mir 50 Euro, mein Lieber.“

Er gibt ihm das Geld und flüstert zu seinem Sohn: „Hättest du dich nicht an Silvester outen können? Dann wären wir jetzt um 50 Euro reicher.“

„Ihr wusstet es alle schon?“, schreit er hysterisch auf. Ich kann es auch nicht wirklich glauben und starre unsere Eltern mit großen Augen an. War ich also doch langsamer als alle anderen. Komisch nur, dass meine Eltern mich nie darauf angesprochen haben. Konnte natürlich auch sein, dass sie dachten, ich wüsste es schon... Meine Gedanken kreisen schon wieder und ich schiebe diese beiseite, bevor mir wieder schwarz wird.

„Seit ein paar Monaten. Wir haben eigentlich nur darauf gewartet, dass du es tun würdest. Nur eure Väter mussten natürlich eine Wette daraus machen, wann du dich outen würdest. Entweder Weihnachten oder Silvester“, sagt seine Mutter kichernd.

„Aber“, fügt sie hinzu, „wir haben definitiv kein Problem damit, denn nur wenn du glücklich bist, können wir es auch sein. Da ist es uns schnuppe, wer unser Schwiegerkind sein wird.“

Sie und sein Vater nehmen ihn in den Arm und sind einfach nur fröhlich. Ich sehe, wie er vor Freude weint, sich zu mir umdreht und mir einen Kuss auf die Wange gibt. Okay, entweder ist die Heizung zu hoch oder es ist generell warm hier im Raum, denn ich merke, wie mir eine komische Hitze in den Kopf steigt. Alle fangen an zu lachen. Ich gucke etwas bedröppelt, aber steige mit ein.

Ich kann euch versichern, dass es noch ein schönes Fest wird. Gleich ist die Bescherung dran und danach wird ein schöner Film geschaut. Wie es weitergeht? Ich weiß es nicht, bin aber darauf gespannt, was noch alles auf uns zu kommt. Jetzt möchte ich erst einmal das Weihnachtsfest genießen.

Nachwort

In diesem Sinne wünsche ich euch frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

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