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Ein Tag der Veränderungen
Summerchallenge 2005
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Informationen
- Story: Ein Tag der Veränderungen
- Autor: Florian
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Challenge
von der Redaktion:
Dies war ein Beitrag zur Summer Challenge 2005
Ein Tag der Veränderungen
„Timooooooooooooooo!!!“
Ich schreckte hoch und blinzelte völlig verwirrt um mich. Vor meinem Bett stand ein kleines Mädchen und rief andauernd meinen Namen. Aha, das hatte mich also geweckt. Nach einigen Augenblicken begann mein Gehirn seinen Dienst zu tun und ich erkannte das Mädchen. Es war meine kleine Schwester Mareike die mich recht unsanft geweckt hatte.
Ich plumpste zurück, was Mareike dazu veranlasste ihre Position zu wechseln und auf mich drauf zu klettern.
„Hey, Mari was soll das, geh runter von mir“ protestierte ich lautstark.
Sie jedoch machte keinerlei Anstalten sich zu bewegen. Na ja, mit knapp fünf Jahren konnte ich das noch aushalten ohne platt gedrückt zu werden.
„Timooo, gehst du mit mir in den Zirkus, biiiiiiiiiitte!!“
Was? Zirkus? Ich verstand nur Bahnhof.
„Mari, geh bitte erst mal von mir runter und dann in die Küche, ich komm gleich nach. Da kannst du mir dann alles noch mal erzählen.“
„Aber, der...“
„Nix aber, lass mich doch erst mal aufstehen, ok?“
Sie zog einen Schmollmund, rutschte aber von mir runter und lief ohne weitere Proteste aus meinem Zimmer. Puh, so. Und nun noch mal ganz von vorne. Ich schaute zur Uhr. 7:58 Uhr. Na klasse. Gaaaanz klasse. Es gibt doch nichts Schöneres als am ersten Urlaubstag von einer kleinen Nervensäge um kurz vor acht geweckt zu werden.
Ich schloss noch mal die Augen, aber schlafen konnte ich mir abschminken. Na ja gut, dann wollen wir uns mal ins Getümmel stürzen. Ich stieg aus dem Bett und schlurfte in die Küche.
„Morgen, allerseits.“
„Morgen Schatz“ begrüßte mich meine Mutter mit einem Kuss auf die Wange.
Mareike saß auf der Eckbank und kaute auf einem Stück Brötchen herum. Mein Vater ist Fernfahrer, deshalb waren wir es gewohnt am Wochenende ohne ihn zu frühstücken. Ich setzte mich neben meine Schwester und schnappte mir ein Brötchen.
„So, und jetzt noch mal von gaanz vorne. Wo soll ich mit wem hingehen?“
Diesmal fing meine Mutter an zu reden.
„Mareike hat gerade vor unserem Fenster Zirkuswagen vorbeifahren sehen. Heute Nachmittag gibt’s auf dem Festplatz eine Vorstellung und da will sie unbedingt hin. Papa ist ja nun nicht da und ich bin wie du weißt bei einer Freundin eingeladen. Na ja,... also musst du mit ihr hingehen.“
Ich blickte sie entgeistert an.
„Ich soll einen Zirkus betreten?? Du weißt ganz genau dass ich diese Dinger nicht sonderlich mag.“
Fragt mich nicht warum, aber aus irgendeinem Grund kann ich mit dem ganzen Thema „Zirkus“ so GAR nichts anfangen. Meine Mutter verdrehte die Augen.
„Jaa ich weiß, aber du weißt auch wie Mareike den Zirkus liebt. Und da kannst du ja ihr ja wohl ein Mal eine Freude machen.“
„Biiiiitte, Timo!!!“ nun schaltete sich Mareike wieder ein.
Sie schaute mich mit diesem Hundeblick an. Toll, wer kann denn bitte diesem Blick schon widerstehen? Ich zuckte resigniert mit den Schultern.
„Es scheint ja schon beschlossene Sache zu sein. Was soll ich denn da noch dagegen sagen?”
„Jaaaaaaaa, daaaaaaankeschön“ Mareike sprang auf und fiel mir um den Hals.
„Jaja, is´ ja gut, ich geh mit.“
Ich verfrachtete sie wieder auf ihre vier Buchstaben und widmete mich wieder meinem Brötchen.
„Und wer weiß... vielleicht gibt es noch irgendwo einen großen Bruder, der seine Schwester begleiten muss...“ Meine Mutter grinste süffisant.
Na, das war ja klar, dass sie sich DAS nicht verkneifen konnte. Ich war seit gut einem Jahr geoutet und meine Eltern hatten überhaupt keine Probleme. Im Gegenteil, meine Mutter versuchte mich bei jeder Gelegenheit zu verkuppeln.
Mein Tag war also verplant. Wie schön, grummel... Na ja, was man nicht alles für seine Familie tut.
Nach dem Frühstück wusste ich zunächst nicht so wirklich viel mit mir anzufangen, da ich ja sonst um die Zeit eigentlich immer noch schlief. Ich schwang mich also vor meinen Rechner und ging surfen. Ich checkte meine Mails, die „speziellen Seiten“, aber auch da war nichts wichtiges Neues zu melden. Toll. Und was sollte ich jetzt machen?
Lustlos blickte ich auf die Uhr: Neun Uhr. Plötzlich wurde es hell im Zimmer. Ich schaute erstaunt auf und aus dem Fenster. Draußen brach gerade die Sonne durch die grauen Wolken und erhellte mein Zimmer. Da wusste ich wie ich mir die Zeit vertreiben konnte...Photos machen... Voller Freude schnappte ich mir meine Ausrüstung, rief meiner Mutter einen Gruß zu und rannte aus dem Haus.
Vor unserem Haus ist ein kleines Wäldchen, durch den ein malerischer Bach fließt. Das war mein Ziel. Ich rannte so schnell ich konnte, denn die Sonne konnte auch ebenso schnell wie sie gekommen war, wieder verschwinden. Kurz darauf kam ich hechelnderweise an dem Bach an. Die Sonne war noch da, seehr gut. So, nun musste ich aber erst mal meinen Atem unter Kontrolle bringen, denn so würde ich garantiert jedes Bild verwackeln. Das gelang mir schließlich auch und ich begann Photos zu machen. Die Sonne zauberte kleine tanzende Sterne auf die Wasseroberfläche die sich ständig drehten und anders formierten.
Ich fotografierte einige Speicherkarten voll, mal aus dieser Richtung, mal aus jener, mal mit Büschen im Vordergrund... Es ging bereits stark auf Mittag zu, als ich schließlich den Rückweg antrat. Zuhause angekommen stand das Essen bereits auf den Tisch, wie schön! Mareike war das ganze Essen über schon total hibbelig und bekleckerte die Tischdecke mit Tomatensoße. Na ja,... in dem Alter war ein Zirkusbesuch noch ein wirkliches Ereignis. Nach dem Essen leerte ich die Bilder am Rechner aus und sortierte die unscharfen oder verwackelten gleich aus.
Um kurz vor zwei platzte schließlich Mareike in mein Zimmer.
„Timoo, wir wollen los, ich will vorher noch ganz viel Zuckerwatte essen.“
Ich schaltete meinen Rechner aus und drehte mich um.
„Na, da würd ich aber lieber erst mal Mama fragen, ob du das auch darfst,“ antwortete ich lächelnd.
„Das hab ich schon, ich darf mir eine Zuckerwatte und eine Tüte gebrannte Mandeln kaufen.“
„Na ja, dann...“ ich schob sie aus der Tür und mich gleich hinterher.
Im Flur packte ich meine Kameratasche und den üblichen Kram, also Handy, Portemonnaie, Krückstock, Gesangbuch (nein war ein Witz, nur Handy und Geld) ein. Mareike kämpfte indes mit den Schnürsenkeln ihrer Schuhe. Selbst mit knapp fünf Jahren klappte das noch nicht so ganz. Sie hob den Kopf und schaute mich bittend an.
„Timoooo ...“
„Ja, ich mach schon.“ Ich kniete mich hin und band ihr die Schnürsenkel zu.
„So, Abmarsch!“
Meine Mutter war schon zu ihrer Freundin gefahren, also schloss ich die Haustür ab. Mareike stand schon neben dem Wagen und wartete ungeduldig auf mich. Nachdem ich sie angeschnallt hatte, konnte es schließlich losgehen. Der Festplatz war nicht weit entfernt, nach knapp zehn Minuten waren wir angekommen. Der Parkplatz war schon recht gefüllt, obwohl die Vorstellung erst in gut einer halben Stunde losgehen sollte.
Ein stetiger Strom von Menschen strebte zum Eingang. Ich nahm Mareike an die Hand, denn wie schnell konnte man sich verlieren. Am Eingang angekommen stellten wir uns an der rechten Kasse an. Natürlich wäre die linke sinnvoller gewesen, denn ein älterer Mann vor mir, konnte erst sein Geld nicht finden und nachdem er es schließlich doch noch erfolgreich gefunden hatte, fehlten im zwei Euro. Na klasse, das fing ja gut an. Irgendwann gab er es schließlich auf und wir kamen an die Reihe. Die Kassiererin sah allerdings ganz sympathisch aus.
„Hallo, einmal für mich und für meine Schwester, vier Jahre, mittlere Reihe“ sagte ich.
Auf die Plätze hatten wir uns vorhin im Auto geeinigt.
„Für Sie 20 € und für die Kleine 15 €“ antwortete die Kassiererin liebenswürdig.
Hm .. gepfefferte Preise, aber was tut man nicht alles für die Liebe seiner kleinen Schwester. Ich nahm noch ein Programm mit und bezahlte insgesamt 40 €. Wir gingen durch den Torbogen und schon hatte Mareike den Süßkramwagen entdeckt.
„Da hinten gibt’s Zuckerwatte, kommst Du?“
„Jaja, ich komm ja schon.“
Ich hatte kaum Zeit mir erst mal alles anzugucken, Mareike zog mich gleich zu dem Wagen. Aber auch dort war eine Schlange und ich hatte endlich Zeit mich endlich mal umzugucken.
Der Wagen mit den Süßwaren war an der rechten Seite des Platzes aufgebaut. gegenüber davon auf der anderen Seite waren die Toilettenhäuschen. Mein Blick blieb allerdings an dem was davor stand kleben. Ich sage nur groß, blond, Stachelfrisur und enge Jeans ... hm lecker. Obwohl ich eigentlich sonst nicht so auf blond stand.
Der Typ stand da vor den Klo's und schien auf jemanden zu warten. Ich überlegte mir gerade wie ich ihn am besten ansprechend könnte da ging die Tür des Damenklos auf und ein kleines Mädchen kam heraus. Es lief auf den Blonden zu, der es hoch hob und auf den Arm nahm. Gott wie süüß das war ... Sollte meine Mutter tatsächlich Recht behalten und hier noch ein großer Bruder stehen? Plötzlich ging die Tür noch mal auf und eine junge Frau trat heraus. Sie kam lächelnd auf den Blonden zu, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und die drei gingen Weg. Toll. Meine Idee über ein heißes Zirkusabenteuer zerplatze wie eine Seifenblase. Klasse. Echt klasse. Na ja, was sollte es, blond war sowieso nicht mein Fall. Außerdem... wer mit so 'ner Schickse zusammen war, der verdiente mich gar nicht, pf.
"Was möchten Sie, junger Mann?"
Die Verkäuferin riss mich aus meinen Gedanken. Ich drehte mich schnell um und studierte die Auswahl.
"Also einmal die Zuckerwatte pur und die 200g Tüte gebrannte Mandeln."
Die Frau ging zu dieser Zuckerwatte-Maschine, nahm einen Holzspieß und begann eine verdammt große Wolke zu formen. Die bekam Mareike in die Hand gedrückt und ich meine gebrannten Mandeln. So, eine Sorge weniger, Mareike war selig. Wir gingen ein Stück weiter, und stellten uns dann neben den Eingang. Rein wollten wir noch nicht, denn man musste ja nicht eher in diesem stickigen Zelt sein, als notwendig. Und Plätze hatten wir auch, also ... Ich beobachtete Mareike die völlig darauf konzentriert war, die dünnen klebrigen Zuckerwattefäden in ihren Mund zu bekommen. Dieser Augenblick schrie ja geradezu nach einem Photo.
Ich holte vorsichtig meine Kamera aus der Tasche und machte sie einsatzbereit. Mareike war so vertieft in ihre Beschäftigung, dass die gar nicht mitbekam wie ich ein Bild nach dem anderen von ihr machte. Erst nach einiger Zeit blickte sie auf und lächelte mich mit Zuckerwatteverschmierten Gesicht an. Und klick, auch dieser Augenblick war für die Ewigkeit festgehalten.
Irgendwann war sie schließlich fertig damit und ich hatte das Gefühl dass mehr Zuckerwatte an ihren Händen, Gesicht und sonstigen Körperteilen klebte, als sie tatsächlich gegessen hatte. Aber, gut wie ich nun mal bin, hatte ich natürlich vorher damit gerechnet und einen nassen Waschlappen mitgebracht. Den zauberte ich nun aus meinem Rucksack und begann Mareike zu säubern. Sie ließ das auch alles willig mit sich geschehen und nachdem sie wieder vernünftig aussah, betraten wir schließlich das Zelt.
Drinnen war es erstaunlicherweise gar nicht so stickig wie ich gedacht hatte, sondern eigentlich ganz angenehm kühl. Na ja, der Tag war ja auch nicht gerade der heißeste des Jahrhunderts gewesen, also lag das vermutlich auch zum Teil daran. Wir schauten uns um und fanden auch gleich unsere Plätze. Das Zelt war auch schon recht gefüllt, zum größten Teil mit Kindern und den jeweiligen Begleitpersonen. Pünktlich um drei wurden die schweren Plastikplanen vor dem Eingang heruntergelassen und Applaus brandete auf. Das Orchester begann zu spielen, das Licht ging an und die Vorstellung begann.
Als erstes kam eine Pferdernummer dran. Eine Frau ließ eine Horde davon im Kreis galoppieren, dann auf die Hinterbeine stellen usw. Das übliche halt. Zum Schluss stieg sie selbst auf und ritt mit jeweils einem Fuß auf einem Pferd aus der Manege. Nach Ihr betrat ein Clown die Manege. Meine Laune sank rapide! Fragt mich nicht wieso, aber wenn ich Clowns sehe könnte ich ausrasten. Ich finde die weder witzig, noch sonst was. Er vergnügte sich mit irgendwelchen Wasserspielchen in der Manege und die Kinder im Publikum, meine Schwester eingeschlossen, schrieen vor Lachen. Na ja,... ich fandst halt nicht so toll.
Der Clown war dann auch zum Glück bald wieder weg und Helfer bauten einen Käfig um die Manege. Das versprach interessant zu werden. Der Zirkusdirektor betrat nun selbst die Manege. Das Orchester spielte Eye of the tiger und mit einem ohrenbetäubenden Brüllen kamen vier Tiger in die Manege gerannt. Sie sprangen jeder auf ein Podest und fauchten den Direktor an. Dieser machte jedoch nur eine Handbewegung und die vier verstummten. Also, wenn jemand diese Tiere kontrollieren konnte, dann er. Diese Tiere gehorchten ihm aufs Wort. Nachdem die vier wieder aus dem Käfig gelaufen waren, brandete tosender Applaus auf. Der Zirkusdirektor verbeugte sich lächelnd und lief unter einem Tusch aus der Manege. Sofort kamen die Helfer angerannt und bauten den Käfig wieder ab. Währenddessen begann das Orchester wieder zu spielen.
Ich erstarrte. Ich kannte diese Melodie...
Nur in dieser Orchester-Version brauchte ich länger um sie zu erkennen. Als es mir schlagartig einfiel, jagte mir ein wohliger Schauer über den Rücken. Es war Underground Army von Anastacia. Einer der besten Songs von ihr überhaupt, ich würde sogar sagen DER beste. In der abgedunkelten Manege ging ein einziger blauer Scheinwerfer an und beleuchtete ein Tuch, was von der Zirkuskuppel bis auf den Boden herabhing. Ein zweiter Scheinwerfer ging an und beleuchtete den hinteren Vorhang, aus dem in diesem Moment ein junger Mann trat. Bei seinem Anblick verschlug es mir die Sprache. Er trug eine schwarze Artistenhose, der Oberkörper war nackt und glänzte im Scheinwerferlicht. Die augenscheinlich fast schulterlangen Haare hatte er straff nach hinten zurückgekämmt und zusammengebunden. Das faszinierendste am ihm waren jedoch seine Augen. Selbst auf die Entfernung konnte ich ihr Leuchten und ihre magische Anziehungskraft spüren, ja fast sehen. Überhaupt machte der junge Mann einen unfassbar beherrschten Eindruck, der fast noch den des Zirkusdirektors übertraf. Er schritt in die Manege und blieb neben dem Tuch stehen. Langsam hob er die Arme und verharrte in dieser Position wie ein Turmspringer kurz vor dem Absprung. Völlige Konzentration.
Dann ein Paukenschlag, er griff das Tuch und zog sich mit atemberaubender Geschwindigkeit nach oben. Unter der Zirkuskuppel verharrte er, an einem Arm hängend, sein Blick in die Ferne schweifend ... Im nächsten Moment ließ er das Tuch los, fiel einige Meter nach unten fing sich dann ab und schwang haarscharf am Boden der Manege vorbei. Er schaukelte sich weiter, flog an dem Tuch durch die Manege, drehte sich, ließ wieder los, fing sich wieder teilweise nur mit einer Hand...
Es sah alles so einfach aus, doch diese Akrobatik zehrte garantiert an den Kräften. Er kam zur Ruhe und verharrte wieder unter der Zirkuskuppel. Beim nächsten Paukenschlag ließ er sich etwas an dem Tuch heruntergleiten. Nun nahm er seine linke Hand und ergriff damit das Tuch unterhalb seiner rechten Hand. Was jetzt kam, lässt mich noch heute völlig zur Salzsäule erstarren. Er atmete noch einmal tief durch und begann sich waagerecht auszustrecken. Durch das Publikum lief ein Raunen, was mir immer neue Schauder über den Rücken jagte. Er stemmte sein eigenes Körpergewicht an einem Tuch hängend in die Waagerechte. Die linke Hand griff nach unten, um besseren Halt zu haben.
Dieser Mann musste eine so ungeheure Körperspannung haben, dass es fast schon unheimlich erschien. Aber damit nicht genug, er begann jetzt auch noch vor und zurück zu schaukeln. Er wurde schneller und schwang jetzt im Kreis an dem Tuch durch das Zirkuszelt. Er wurde schneller, und schneller das Orchester wurde lauter, es steigerte sich, das Lied kam zu seinem Höhepunkt, der junge Mann flog in einer atemberaubenden Geschwindigkeit durch die Luft, er schien fast abzuheben. Dann setzte er zu einem letzten Salto an, sprang ab, flog durch die Luft und landete sicher stehend auf einer eigens dafür ausgelegten Matte. Die Musik hörte auf, und er verbeugte sich.
Stille...
Dann brach ein derart ohrenbetäubender Applaus aus, dass er vor Schreck zusammenzuckte. Jeder sprang auf, es gab keinen im ganzen Zirkuszelt, der sitzen blieb, es wurde geklatscht, gepfiffen, gejubelt... Der junge Mann war sichtlich gerührt von soviel Beifall, aber auch mir liefen die Tränen herunter wie ich feststellte. Der Beifall wollte nicht enden. Der junge Mann verbeugte sich zigmal, lief heraus, kam wieder herein und wurde mit noch mehr Beifall empfangen. Nach einiger Zeit beruhigte sich das Publikum wieder und das Programm ging weiter. Ich nahm den Rest der Vorstellung nur noch von ferne wahr, so sehr hatte mich diese Artistiknummer mitgenommen. Und es gab nicht sehr viel was mich aus der Fassung bringen konnte. Ich sah den jungen Mann immer noch vor meinem geistigen Auge durch die Luft fliegen... und ich hatte das unglaubliche Verlangen ihn wieder zu sehen. Fragt sich nur wie? Es musste doch eine Möglichkeit geben...
Nach gut einer Dreiviertelstunde, beim Schlussbeifall räumte der fliegende junge Mann den meisten Applaus ab. Schließlich war die Vorstellung beendet und wir gingen aus dem Zelt. Diesmal war ich es, der Mareike hinter mir her zog, wieder an die Stelle neben dem Süßkramwagen. Mir war eingefallen wie ich diesen Jungen wieder sehen konnte. Zumindest wollte ich es versuchen... Ich knickerte mich vor sie hin. Ihre leuchtenden Augen sprachen Bände, aber ich fragte trotzdem.
"Na, wie hat’s dir gefallen?"
Sie fiel mir statt einer Antwort um den Hals und gab mir einen dicken Kuss mitten auf die Wange.
"Das war soooo toll, Timo daaaanke das du mit mir hier warst." Ich lächelte
"Hab ich doch gern gemacht mein Kleines. Du sag mal, wollen wir noch mal hinter das Zelt gehen, vielleicht können wir noch ein paar Tiere streicheln?"
Sie strahlte mich an "Jaaaaa!"
Also hob ich sie kurzerhand hoch und wir gingen um das Zirkuszelt herum zu dem hinteren Eingang. Wie ich feststellen musste hatte ich nicht als einziger die Idee gehabt denn dort liefen bereits einige Eltern mit ihren Kindern herum. Die Zirkusleute waren aber anscheinend darauf vorbereitet, denn überall waren Tiere angeleint an Pflöcken, die in der Erde steckten.
Ich ließ Mareike herunter und sie rannte gleich zu dem ersten Pflock an dem ein kleines Pony angeleint war. Sie streckte erst vorsichtig die Hand aus, aber nachdem das Pony sie freudig schnaubend angestupst hatte, wurde sie zutraulicher. Mareike streichelte dem Pony sanft über den Kopf und sprach leise mit ihm. Und ob ihr mir nun glaubt oder nicht, ich hatte das Gefühl das Pony würde sie genau verstehen. Na ja,... mir zuckte es jedenfalls schon wieder in den Fingern davon ein Bild zu machen. Ich versuchte zu widerstehen, aber schließlich gab ich doch nach. Photos konnte man schließlich nicht genug haben. Ich holte also die Kamera raus und fotografierte die beiden. Für einen ganz kurzen Moment war meine eigentliche Mission hier vergessen.
„Hast du vorhin auch Photos gemacht?“ fragte plötzlich jemand hinter mir.
Ich schrak zusammen und verwackelte das Bild. Toll. Ich drehte mich um. Hinter mir stand der süße Artist von vorhin. Ich zuckte noch mal zusammen. Er hatte die schwarze Artistenhose gegen eine schwarze Jeans ausgetauscht und trug jetzt zu meinem Leidwesen auch ein T-Shirt. Die Haare hatte er locker nach hinten gebunden. Jetzt aus der Nähe sah ich, dass er nicht älter als ich sein konnte. Außerdem spürte ich jetzt auch aus der Nähe diese unglaubliche Ausstrahlung wesentlich intensiver als vorhin. Wenn man in seiner Nähe stand, musste man ihn einfach angucken. Er strahlte eine so unfassbare Stärke, aber auch gleichzeitig eine Melancholie und Freundlichkeit und Liebe aus... dieses Gefühl was ich in dem Moment fühlte lässt sich total schwer beschreiben, es waren so viele Gefühle die da auf mich einströmten, aber wenn man diese ganzen Gefühle mal aufsummiert, dann war es eigentlich nur schön!
ich starrte ihn an. Irgendwann fiel mir ein, dass er mir ja eine Frage gestellt hatte. Nur,... was für eine?
„Äh, wie... was?“ stotterte ich.
Er lächelte. Gott, was für ein Lächeln ...
„Ich hatte gefragt ob du vorhin auch Photos gemacht hast“ wiederholte er und deutet auf meine Hände. Ja, warum hatte ich Blödmann eigentlich keine Bilder gemacht? Gute Frage ...
„Ähh, also nein, hab ich nicht. Ich war viel zu gefesselt von deiner Nummer.“
Ich hörte mich diesen Satz sagen, wusste aber nicht so wirklich warum, denn damit hatte ich ihm ja ein Kompliment gemacht. Hätte ich mir nicht irgendetwas anderes ausdenken können? Toll... das musste ja nicht gleich in den ersten zwei Minuten sein. Jedoch wich plötzlich alle Freundlichkeit aus seinen Blick und er schaute zu Boden. Ich war total verwirrt.
„Oh,... sorry, hab ich was Falsches gesagt?“
Er hob den Kopf und blickte mich mit einem derart melancholischen Blick an, dass ich ihn auf der Stelle in den Arm nehmen wollte. Was ich aber tunlichst unterließ.
„Nein, nein, ist schon ok. Später vielleicht. Zurück zu den Photos. Du hast also keine gemacht!“
„Nein, hab ich nicht. Leider...“ fügte ich noch hinzu.
„Leider? Wolltest du welche machen?“
„Ich...“ setzte ich an, wurde jedoch unterbrochen.
Aus einem der Wohnwagen die hinter dem Zelt standen brüllte jemand.
„Verdammter Bengel, komm endlich her!“
Panische Angst flackerte in seinem Blick auf.
„Komm bitte heute Abend wieder, bitte...“ rief er mir noch schnell zu, während er sich umdrehte und zu dem Wohnwagen lief, aus dem die Stimme gekommen war.
„Äh, ja... klar“ konnte ich gerade noch rufen.
Kurz vor dem Wagen drehte er sich noch mal um, warf mir ein flüchtiges Lächeln zu und verschwand im Wagen. Ich glaube verwirrter als ich in dem Moment konnte niemand sein. Ich hatte keinen blassen Schimmer was hier eben abgelaufen war, ich wusste ja nicht einmal seinen Namen. Das einzige was ich mit Sicherheit wusste war, dass ich heute Abend wieder hier sein würde.
„Timo, wer war das?”
Ich drehte mich um. Hinter mir stand Mareike und schaute mich mit großen Augen an. Ich ging in die Knie und nahm sie auf den Arm.
„Tja, mein Kleines, wenn ich das mal wüssten. Wollen wir noch Tiere streicheln gehen?”
„Ja, zu diesem großen da hinten trau ich mich nicht alleine.“ Sie zeigte auf einen Elefanten.
Ich ging mit ihr auf dem Arm zu dem Elefanten. Der Elefant streckte vorsichtig seinen Rüssel aus und berührte damit ganz sachte Mareikes Haare. Sie lachte.
„Das kitzelt!“
Damit war das Eis gebrochen. Ich lächelte auch ganz automatisch, war aber mit meinem Gedanken immer noch bei dem seltsamen Gespräch von vorhin. Was hatte ich gesagt, dass ihn so verängstigt hatte? Ich wusste mir keinen Rat. Was anderes als bis heute Abend abwarten, konnte ich ja auch nicht. Irgendwann hatte Mareike genug von den Tieren und wir fuhren nach Hause. Mittlerweile war es kurz nach halb sechs. Wie ich gesehen hatte, fing die Abendvorstellung um acht Uhr an. Also noch gut eine Stunde Zeit. Meine Mutter war bereits wieder zu Hause und Mareike versuchte ihr die ganzen zwei Stunden in zwei Minuten zu erzählen was gehörig in die Hose ging.
„Und dann hat sich Timo mit diesem komischen Mann unterhalten.“
Toll. Dankeschön, Mareike! Meine Mutter sah mich erstaunt an. Ich drehte entnervt die Augen zur Decke und sie verstand.
„Das ist schön dass es dir so gut gefallen hat, jetzt geh aber nach oben, wasch dich und zieh dich um, in einer halben Stunde gibt es Essen. Machst du das?“
„Ja, Mami.“ Mareike nickte eifrig und lief dann aus dem Zimmer.
Meine Mutter verschränkte die Arme vor der Brust und schaute mich mit hochgezogener Augenbraue an.
„So. Und nun erzähl mal.“
Da ich meiner Mutter bedingungslos vertraute, erzählte ich ihr die komplette Geschichte, angefangen mit der Nummer im Zirkus und unserer Begegnung danach.
„Und nun habe ich echt keinen Plan was los ist.“ schloss ich meinen Bericht.
„Hm. Das ist eine sehr gute Frage. Die kann ich dir leider auch nicht beantworten. Das Beste ist, du lässt diesen Abend einfach mal auf dich zukommen.“
Was anderes blieb mir, wie bereits gesagt, auch nicht übrig. Das Abendessen verlief dann auch ganz ruhig und danach begann ich mich umzuziehen. Um kurz nach sieben schnappte ich mir schließlich meine Kamera, verabschiedete mich von meiner Mutter und Mareike, stieg ins Auto und fuhr los. Um Punkt halb acht war ich schließlich auf dem Festplatz angekommen und stieg aus dem Auto. In der Dunkelheit sah das Zirkuszelt natürlich wesentlich schöner aus, als am Nachmittag. Obwohl ich tierisch aufgeregt war, konnte ich es mir nicht verkneifen ein, zwei Bilder zu machen. Tja, ich weiß, aber ein Laster musste der Mensch ja haben. Ich stellte mich wieder an die rechte Kasse, weil sie dieses Mal bedeutend kürzer war. Schließlich kam ich an die Reihe.
„Hallo, einmal ganz vorne, wenn noch etwas frei ist.“
Die Kassiererin schaute mich an. Es war dieselbe wie heute Nachmittag.
„Sagen sie mal, waren sie nicht heute Nachmittag schon mal hier?“
„Ja, stimmt. Da war meine kleine Schwester dabei.“
Ihr Gesicht erhellte sich. „Na, dann sind sie ja der Richtige. Immer durch, bitte schön.“
Ich war verwirrt. „Ähh ...“
„Nein, sie brauchen nicht zu bezahlen, gehen sie einfach durch.“
Hm... ja, warum nicht. „Ok, danke.“
Ich ging weiter durch den Torbogen. Immer noch grübelnd. Als ich ins Zelt wollte hielt mich der Kartenkontrolleur an.
„Ihre Eintrittskarte bitte.“
„Die Dame an der Kasse hat mich so durchgelassen, ich weiß zwar nicht wieso, aber es ist so. Fragen sie sie doch am besten einmal.“ Auch bei ihm klickte augenscheinlich etwas.
„Ach SIE sind das... nun ja, entschuldigen sie vielmals. Bitte, kommen sie, dort hinten ist ihr Platz.“ Er wies mit der Hand ins Zelt.
So langsam hatte ich genug. „Würden sie die Güte besitzen und mir vielleicht erklären, was hier eigentlich los ist?“
„Tut mir Leid, ich weiß es selbst nicht. Ich habe nur die Anweisung bekommen, dass ich sie zu ihrem Platz bringen soll, wenn sie auftauchen. Und nun, folgen sie mir bitte.“
Er ging voraus ins Halbdunkel des Zirkuszeltes und ich folgte ihm. Das versprach ja ein höchst interessanter Abend zu werden. Der Kartenkontrolleur brachte mich schließlich zu einem Platz in der ersten Reihe direkt am Manegenrand. „Bitte sehr“ Ich bedankte mich und er ging wieder zum Eingang zurück. Ich setzte mich und kurz darauf begann dann auch die Vorstellung. Das Programm war ein wenig anders als am Nachmittag es waren einige „ernstere“ Nummern dabei, angeglichen an das Publikum, das mehr aus Erwachsenen bestand. Ich packte meine Kamera aus und machte ab und zu ein paar Bilder, aber so toll war es auch wieder nicht.
Bis... tja, bis das Orchester begann, die mir so vertrauten Töne zu spielen. Ich bekam eine derartige Gänsehaut... unfassbar. Dann betrat er die Manege. Er schritt langsam, wieder nur von einem Scheinwerfer beleuchtet in die Mitte und blieb dort stehen. Plötzlich drehte er den Kopf und schaute genau in meine Richtung. Er entdeckte mich und lächelte mir zu. Dann nickte er fast unmerklich. Ich war viel zu verdattert um irgendwas zu machen. Im Nachhinein erinnere ich mich glaub ich auch gelächelt zu haben. Kurz darauf fing ich mich wieder und begann Photos zu machen. Ich hatte vorher schon ausprobiert wie die besten Einstellungen für dieses diffuse Licht waren, also konnte ich mich jetzt voll und ganz auf die Wahl des Bildausschnittes konzentrieren. Er am Tuch hängend... ganz oben unter der Zeltplane kauernd... dann in Bewegung, fast zu schnell für die Kamera... und dann ein Schlussbild wie er sicher auf der Matte landete, der ganze Oberkörper von feinen Schweißperlen überzogen.
Auch jetzt brandete ein ohrenbetäubender Applaus auf und er musste mehrmals wieder hereinkommen. Ich überlegte kurz ob ich jetzt sofort zu ihm nach hinten gehen sollte, verwarf diesen Gedanken aber wieder. Da hinten musste doch während einer Vorstellung alles total hektisch ablaufen und da wäre ich sicher nur im Weg. Also versuchte ich mich auf den Rest der Vorstellung zu konzentrieren, was nur schwerlich klappte. Während vorne ein Messerwerfer seine Assistentin an eine Wand nagelte (nur mit Messern, versteht sich) spürte ich plötzlich eine Bewegung neben mir. Ich drehte mich zur Seite und... blickte in sein lächelndes Gesicht. Ich wollte gerade etwas sagen, da legte er sich den Finger auf den Mund und bedeutete mir, leise mit nach draußen zu kommen. Keine Frage, der Rest der Vorstellung war mir völlig egal. Ich nahm meine Tasche und schlich ihm hinterher.
Er führte mich aus dem Artisteneingang aus dem Zelt. Draußen atmete ich erst einmal tief ein. Die Sommernacht war zwar noch warm, aber würzig und sehr angenehm. Über den Baumwipfeln des nahen Waldrandes hing ein buttergelber Vollmond. Ich hatte jedoch kaum Zeit das ganze zu genießen denn plötzlich nahm mich der junge Mann, von dem ich nicht einmal den Namen kannte, an die Hand und zog mich fort. Wo sich unsere Haut berührte spürte ich eine Wärme die nicht normal zu sein schien. Es war eines der angenehmsten Gefühle die ich je gespürt hatte.
Während er mich durch die Wohnwagenlandschaft führte, sprach keiner von uns ein Wort. Hinter dem letzten Wohnwagen vor dem Waldrand lagen ein paar große Felsbrocken. Er machte eine einladende Geste und wir setzten uns. Die Steine waren erstaunlich bequem. Kurze Zeit herrschte Stille, dann begann er schließlich zu reden.
„Ich bin dir unendlich dankbar, dass du noch mal wiedergekommen bist.“
„Hey, ist doch ok. Hat mir doch auch Spaß gemacht.“ Was für eine selten dämliche Antwort, wie konnte ich nur...
Er blickte auf und hatte wieder diesen melancholischen Blick drauf.
„Also... ich weiß jetzt nicht so recht wie ich das sagen soll, aber... also heute Nachmittag im Zirkus als ich dran war, hab ich mich im Publikum umgeblickt und... ich weiß nicht, du bist irgendwie aus der Menge hervorgestochen. Und als du dann danach noch hinter dem Zelt aufgetaucht bist... da konnte ich irgendwie nicht anders, ich musste dich ansprechen. Und als du mich dann direkt angeguckt hast... also... auch auf die Gefahr hin, dass du jetzt schreiend wegrennst... Ich hab mich in dich verliebt.“
Er schaute mich unsicher und schüchtern an. Ich war für einen Moment völlig weggetreten. So was war mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert. Da saß dieser total süße, liebe Kerl vor mir und erzählte mir mal eben so dass er sich in mich verguckt hat. In meinem Kopf drehte sich JEDER einzelne Gedanke und ich konnte einfach nichts herausbringen als
„Äh...“. Er zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen und sprang auf.
„Ok, dacht ich mir. Also man sieht sich, schönes Leben noch.“ Er drehte sich um und wollte gehen.
Grr, ich hätt mich selbst treten können in diesem Moment. Da stand dieser süße liebe Kerl vor mir (ich wiederhole mich) und gestand mir seine Liebe und ich brachte nichts weiter als Ähhh raus. Klasse. Gaaanz klasse. Wie kann man nur so dämlich sein? Ich sprang ebenfalls auf und griff nach seiner Hand.
„Halt warte, so meinte ich das doch nicht“ Er drehte sich um, im Mondlicht glitzerten seine Augen feucht.
„Also, um ehrlich zu sein... jedes Mal wenn ich mit dir zusammen bin, bringst du mich derart durcheinander dass es schon fast unheimlich ist. Seit heute Nachmittag kann ich an nichts anderes mehr denken als dich und dich und dich und... DICH. Du hast mir so was von total den Kopf verdreht, dass... tja, ich habe den ganzen Nachmittag gegrübelt und festgestellt dass ich nicht mehr ohne dich leben kann. Ich mein, eigentlich ist das absurd ich kenn dich ja nicht mal einen Tag und weiß noch nicht einmal deinen Namen, aber... ach keine Ahnung ich liebe dich einfach.“
Ich hatte mich so in Rage geredet dass mir auch schon die Tränen herunterliefen. Ich blickte ihn an... er schaute zurück... langsam kam er auf mich zu. Er hob eine Hand und strich mir zärtlich über die Wange. Jede seiner Berührungen jagte mir einen Schauder über den Rücken. Seine andere Hand strubbelte mir sanft durch meine Haare. Er zog mich zu sich, ich schloss meine Arme um ihn und ließ meinen Kopf auf seine Schulter sinken. Wir standen einfach so im Mondlicht und umarmten uns.
Ich streichelte sanft seinen Rücken und merkte wie er unterdrückt schluchzte. Hatte ich schon wieder etwas falsch gemacht? Wär ja nichts Neues. Vorsichtig löste ich mich von ihm. Er schniefte und sah mich mit tränenverschmierten Augen an.
„Hey, was ist denn? Hab ich was falsch gemacht?“
Er wischte sich mit der Hand über die Augen.
„Nein, nein,... es ist nur einfach so schön endlich jemanden gefunden zu haben, der genau dieselben Gefühle empfindet wie man selbst. Dieses Gefühl ist einfach nur toll. Außerdem... ich bin sowieso nah am Wasser gebaut, ich fang bei fast allem an zu heulen.“
Wir mussten beide lachen. „Na, dann ist ja gut.“ Sein Gesicht wurde wieder ernst.
„Du, äh... sorry, wenn ich dich jetzt so abwürge, aber ich müsste langsam wieder zurück. Ich weiß, es ist nicht sonderlich nett, aber...”
Ich unterbrach ihn. „Hey, ist doch kein Problem, das versteh ich.“
Wir gingen Hand in Hand zurück. Am Ausgang angekommen fiel mir noch etwas ein.
„Du, äh... es mag ja komisch klingen, aber,... ich weiß immer noch nicht deinen Namen.“ Er wurde rot, Gott wie süß.
„Oh... äh, sorry, ich bin aber auch unhöflich. Ich heul dich voll und sag dir nicht mal wer ich bin. Also ich bin Nikolaos.“
Ich zog eine Augenbraue hoch.
„Nikolaos? Das klingt so griechisch. Du sprichst doch aber perfekt deutsch?“
Er lachte. „Tja, die Frage kommt öfter. Also ich bin hier in Deutschland geboren, meine Mutter ist Deutsche und mein Vater ist zwar Grieche, aber lebt, seit er ein Jahr alt war, in Deutschland. Meine Großeltern sind zu der Zeit aus Griechenland geflohen. Warum, das würde jetzt zu weit gehen, das erzähl ich dir beim nächsten Treffen, ok?“
Er grinste frech. Ich hob prüfend eine Augenbraue.
„Hmmmm, das muss ich mir ja noch überlegen... na ja, ok.“
Sein Gesicht strahlte vor Freude. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, denn trotz seines muskulösen Körpers war er ein Stück kleiner als ich, und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn.
„Ich freu mich drauf, also bis dann.“ rief er und rannte zurück.
Weg war er.
Ich stand noch eine ganze Weile an derselben Stelle und starrte ihm nach. Dann konnte ich mich endlich losreißen und rannte beschwingt zum Wagen. Die ganze Rückfahrt über summte ich vor mich hin und war einfach glücklich. Zu hause angekommen schlich ich mich ins Haus denn Mutter und Mareike schliefen schon. In meinem Zimmer angekommen zog ich erst mal bequeme Sachen an und fuhr den Rechner hoch. Ich musste ja schließlich noch die Bilder von der Kamera herunterladen. Himmel, was brauchte der denn solange dafür ... dann konnte ich schließlich das erste öffnen.
Und es verschlug mir wie sooft schon an diesem Abend die Sprache. Nikolaos stand in der Manege, eine Hand am Tuch und... blickte direkt in die Kamera. In meinem Eifer hatte ich das gar nicht mitbekommen. Er schaute mit einem vorsichtigen Lächeln in die Kamera, es war nur Momente bevor er sich am Tuch hochziehen würde. Ich war völlig hin und weg. Einige Zeit saß ich nur vor dem Bildschirm und starrte dieses ergreifende Bild an. Irgendwann riss ich mich los und klickte die anderen auch noch durch. Die waren zwar auch noch seeehr nett, aber im Vergleich zu dem ersten einfach nicht so toll. Na ja,... wenigstens hatte ich, sollte es mit Nikolaos doch nicht so funktionieren, eine wunderschöne Erinnerung. Ich musste mich jetzt mal selbst loben, solche Bilder hatte ich noch nie gemacht. Aber ich hoffte ja, dass ich ihn noch oft genug leibhaftig zu Gesicht bekommen würde. Mal abwarten...
Ich schaltete den Rechner ab, zog mich aus und legte mich ins Bett. In meinem Kopf ließ ich den ganzen Tag noch einmal Revue passieren. Was ein einziger Tag doch alles verändern konnte! Heute Morgen hatte ich so überhaupt keinen Bock zu diesem Zirkus zu gehen... und heute Abend hatte ich die Liebe meines Lebens gefunden. Unglaublich.
Ich merkte wie ich schläfrig wurde und kuschelte mich noch mehr in das warme Bett. Mal schauen was die nächsten Tage und Wochen so bringen werden, dachte ich noch. Kurz darauf glitt ich mit einem sanften Lächeln auf den Lippen ins Traumland hinüber.
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