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Falkenstein
Machtspiel
Band 1 - Machtspiel
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Informationen
- Story: Falkenstein
- Autor: Florian I.
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Fantasy und Mystery
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Rubisco
- Von Drohungen und anderen Nebensächlichkeiten
- Museumsarbeit
- Wien-Wien
- Gedankenwelten
- Rauch und Nebel
- Dämmerung
- Gipfeltreffen
- Etwas zerstört
- Lucilius
- Was bleibt
- Epilog
- Nachwort
Vorwort
Zur Abwechslung mal ein Ausflug in das Genre Urban Fantasy. Wer Anspielungen auf die Alex-Verus-Serie findet, darf diese gerne behalten… ;)
Rubisco
Es war dunkel. Das Innere der Kirche wirkte verlassen, leer. Die Stille wurde nur unterbrochen von gelegentlichen Geräuschen aus der Außenwelt, die laut genug waren, um sich ihren Weg durch die massiven Holztüren am Eingang des Gebäudes zu bahnen. Durch die bemalten Fenster fiel etwas Mondlicht hinein, sorgte für unregelmäßige und leicht gespenstische Schatten an den Wänden und auf dem Boden. Manch einer hätte sich alleine deswegen schon unwohl gefühlt, hier zu sein, doch ich bin nicht manch einer. Ich machte mir eher Sorgen aufgrund meines Verfolgers, der sich wohl kaum von der düsteren Atmosphäre würde verunsichern lassen.
Langsam glitt ich über die glatten und etwas unebenen Marmorfließen, versuchte dabei, jegliches Geräusch beim Auftreten zu vermeiden. Noch war ich alleine im Gebäude, doch das würde sich in wenigen Sekunden ändern. Ich blickte mich um, suchte nach einer guten Position oder einer Versteckmöglichkeit. Keine Zeit für ausgeklügelte Pläne. Schnell änderte ich meine Richtung, trat in eines der beiden Seitenschiffe und stellte mich in den Schatten einer Säule.
Ich musste nur kurz warten, dann spürte ich die menschliche Präsenz am Eingang der Kirche. Noch konnte ich keine Zauber bemerken, doch das würde sich wahrscheinlich sehr bald ändern. Genau wie ich nutzte auch mein Verfolger kein Licht – die Dunkelheit hier drinnen schien ihn nicht allzu sehr zu kümmern. Ich verfolgte die Person mit meiner Magie, sah, wie sie am Ende des Mittelgangs stehenblieb. Es handelte sich um einen großen und kräftigen Mann Ende dreißig, der das Kircheninnere nun von seiner Position aus mit Blicken absuchte. Ich wusste nicht, über welche Möglichkeiten mich aufzuspüren er verfügte, vermutete jedoch, dass er ein Elementarmagier war. Warum auch immer er hinter mir her war – niemand würde bei so etwas ein unnötiges Risiko eingehen.
Elementarmagier – oder auch Kampfmagier – können, wie der Name bereits andeutet, die Elemente beherrschen. Grob gesagt. Sie können Feuerbälle werfen, ganze Gebäude überfluten (theoretisch), kleine Projektile aus Luft formen, um damit auf andere zu schießen, und noch einiges mehr. Das birgt eine Menge Vorteile und macht sie in einem Kampf ziemlich gefährlich. Es hat auch vereinzelte Nachteile, ein Elementarmagier zu sein. Ihre Wahrnehmung etwa ist eher schlecht. Sie können alles, was normale Menschen auch können – also mit ihren Augen sehen, hören, riechen, schmecken, tasten – all sowas eben. Aber darüber hinaus verfügen sie über keinerlei zusätzliche magische Sinne. Was im Prinzip egal ist, da ihre schiere Kampfkraft es so oder so nahezu unmöglich macht, einen Elementarmagier zu besiegen.
Unglücklicherweise bin ich kein Elementarmagier. Was auch der Grund ist, wieso ich mich hinter einer Säule versteckte, anstatt mich meinem Verfolger direkt zu stellen. Mein Name ist Alex Falkenstein und ich gehöre zur zweiten großen Gruppe der Magier.
Magisches Talent ist grundsätzlich angeboren, dabei ist es jedoch mehr oder weniger Zufall, ob und wenn ja welche Art von Magie jemand wirken kann. Ich bin ein Magier, der auf Wahrnehmung spezialisiert ist – ein Sinnesmagier. Wir können Menschen und generell Lebewesen spüren beziehungsweise „sehen“, selbst dann, wenn eine Mauer das Blickfeld verstellt. Wir können auch Zauber spüren, kurz bevor und während sie gewirkt werden. All das und viele unserer anderen Fähigkeiten sind durchaus nützlich – leider bringen sie relativ wenig, wenn ein Elementarmagier sich dazu entscheidet, frontal anzugreifen.
Glücklicherweise bin ich noch nicht allzu oft in solche Situationen geraten, was wohl größtenteils daran liegt, dass ich mit meinen 24 Jahren noch nicht besonders lange Teil der magischen Gesellschaft bin. Bis vor drei Jahren war ich noch in meiner Ausbildung – in dieser hatte ich viel Nützliches über Magie und den richtigen Umgang mit ihr gelernt. Nur wie genau man mit einem nächtlichen Verfolger umgeht, nachdem man diesen in eine Kirche gelockt hat, hatten wir leider nie besprochen.
Ich beobachtete also aus meinem Versteck heraus weiterhin den unbekannten Mann, wie er langsam den Mittelgang hinaufschritt und den Blick dabei über den gesamten Innenraum der Kirche schweifen lies, um mich zu finden. Das war natürlich nicht sehr effektiv, solange ich hinter der Säule stehen blieb, doch irgendwann würde mein Verfolger sicherlich auch in dem Seitenschiff, in dem ich mich aufhielt, genauer nachschauen. Ich überlegte kurz, wie groß meine Chancen wären, wenn ich mich im Schatten der Säulen heimlich zum Ausgang schleichen würde, während der Mann im Mittelgang in die entgegengesetzte Richtung lief, doch der Gedanke daran gefiel mir nicht. Da selbst vorsichtige Schritte in einer ansonsten leeren Kirche verdammt laut sein konnten, war die Wahrscheinlichkeit, dass er mich hören würde, ziemlich hoch. Und dann hätte ich ein Problem, wenn er mich mit seiner gesamten Feuerkraft unvorbereitet traf.
Ich blieb also wo ich war, hielt meine Atmung so gut es ging unter Kontrolle und zog eine ansonsten unscheinbare Kette mit einem kunstvoll verzierten Eisenamulett aus meiner Manteltasche. In die Mitte des Talismans war ein Schriftzeichen eingraviert, um das herum sich eine Art Flammenmuster kreisförmig ausbreitete. Ich schloss meine Hand fest um die Kette und murmelte leise – fast lautlos – einen Zauberspruch.
Der Grund, warum Sinnesmagier wie ich in dieser Welt trotzdem bestehen können, ist, dass wir es wenn möglich vermeiden, einen Kampf einzugehen. Leider führte diesmal so wie es aussah kein Weg darum herum. Für diesen Fall gibt es einige nützliche Hilfsmittel.
Alle Magier – egal ob Elementarmagier oder nicht – können magische Gegenstände benutzen. Das können Zauberstäbe sein oder andere hübsche Dinge, mit denen man zum Teil ganz beachtliche Ergebnisse erzielen kann. Kampfmagier interessieren sich in der Regel selten für solche Hilfsmittel, denn meistens können sie den gleichen Effekt auch aus eigener Kraft erzielen, nur ungefähr zehn Mal mächtiger. Das heißt aber nicht, dass man solche magischen Gegenstände unterschätzen sollte, denn es gibt einige, deren Funktionen selbst für Elementarmagier nützlich wären. In der Regel helfen sie Sinnesmagiern wie mir aber nur dabei, unsere offensichtlichen Schwächen in einem Kampf zu kompensieren.
Das Objekt, das ich jetzt gerade in meiner Hand hielt und mit einem Zauber auflud, war ein Instrument zum Schutz vor Kampfmagie. Oder anderen tödlichen Dingen, wenn wir schon dabei sind. Seine Wirkung ist begrenzt, doch wenn ich die Kette aufgeladen um meinen Hals trug, würde sie genau einen Treffer neutralisieren. Das wirkt auf den ersten Blick nicht nach viel, doch ein Leben mehr ist in einem Kampf immer wieder aufs Neue nützlich – ich spreche da aus Erfahrung.
Nachdem sie aufgeladen war, hängte ich mir die Kette um den Hals. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn der Talisman von vorneherein einsatzbereit gewesen wäre, doch leider hielt dieser Zauber nur für wenige Stunden an, was bedeutete, dass ich ihn immer frisch erneuern musste, sobald es ernst wurde.
Nun, da ich zumindest ein wenig geschützt war, konzentrierte ich mich wieder auf den fremden Magier. Mein Verfolger war inzwischen am Ende des Mittelschiffs angelangt und musterte nachdenklich den Altar. Ich spürte das Flackern eines Zaubers, dann leuchtete eine rote Flamme über seiner nach vorne gestreckten Hand auf – er war also definitiv ein Elementarmagier. Vorsichtig schritt er auf den Altar zu, ohne dabei die Eingangstür der Kirche aus dem Blick zu lassen. Er schien wirklich nicht zu wollen, dass ich entkam.
Ich tastete nachdenklich die Gegenstände in meinen Manteltaschen und an meinem Gürtel ab. Meine Finger berührten meinen Zauberstab und ich ließ sie einen Augenblick darauf verweilen. Zauberstäbe sind magische Instrumente und mit ihnen konnte ich bis zu einem gewissen Grad all die Dinge tun, die ein Elementarmagier auch bewirken konnte. Mein erster Impuls war es, ihn jetzt zu benutzen, doch mein Instinkt riet mir davon ab. Wer auch immer mein Verfolger war, die Wahrscheinlichkeit, dass er mich in einem offenen Kampf selbst mit Zauberstab schlagen konnte, war sehr hoch. Ich tastete weiter und fand den Griff meiner Pistole.
Menschliche Waffen sind in der Welt der Magier verpönt, doch gerade deswegen nutze ich sie gerne. Kein Magier rechnete damit, dass ich versuchen würde, ihn einfach zu erschießen. Mit etwas Vorwarnzeit war das natürlich keine ernsthafte Bedrohung mehr für einen Elementarmagier, doch ein überraschender Schuss aus dem Hinterhalt konnte ihnen durchaus gefährlich werden. Manchmal wäre es eben doch nützlich, wenn man eine bessere Wahrnehmung hätte.
Es war einen Versuch wert. Der Nachteil war natürlich, dass ich danach keine Möglichkeit mehr haben würde, meinen Verfolger zu befragen. Ich hätte schon gerne gewusst, warum er überhaupt hinter mir her war oder wer ihn geschickt hatte, aber es war so oder so unwahrscheinlich, dass ich ihn irgendwie zum Reden bringen könnte.
Ob ich Skrupel hatte, ihn umzubringen? Wenig – in der magischen Welt legt man diese in der Regel schnell ab, wenn man überleben möchte. Er würde sicherlich nicht lange zögern mir wehzutun, sonst hätte er keinen Feuerzauber aktiviert und würde allgemein erstmal versuchen, mit mir zu reden. Und wenn es auf die Frage hinauslief ob er oder ich überleben sollte, war meine Entscheidung klar. Diese Einstellung konnte man natürlich fragwürdig finden, doch ich machte mir inzwischen keine großen Gedanken mehr darüber. Was vermutlich ein deutlich größerer Grund zur Beunruhigung war als ich mir eingestehen wollte, aber gut. Über die moralischen Aspekte konnte ich nachdenken, sobald ich die ganze Sache lebend überstanden hatte.
Der fremde Magier erreichte soeben den Altar, als ich meine Waffe zog und sie entsicherte. Er wirkte überrascht, als er hinter dem massiven Steinblock nur Leere vorfand. Offenbar hatte er damit gerechnet, dass ich mich dort versteckte. Ich zielte und wollte gerade abdrücken, als mich eine Bewegung am Haupteingang der Kirche innehalten lies. Ich senkte die Pistole und konzentrierte meine Wahrnehmung darauf.
Jemand betrat in diesem Moment das Gebäude. Es war eine Frau um die vierzig, und ihr selbstsicheres Auftreten machte deutlich, dass sie keine Angst vor irgendwem in dieser Kirche hatte. Ich glaubte nicht, dass sie zufällig hier war.
Sie kam näher und blieb dann genau in der Mitte des Gotteshauses stehen. Was eigentlich recht dumm war, da es sie ziemlich verletzlich machte. Entweder hatte sie keine Ahnung was hier abging, oder sie war so mächtig, dass sie sich nicht ernsthaft wegen eines Angriffes sorgen musste.
„Wildman.“ rief sie. Ihre Stimme klang dominant.
Der Magier am Altar starrte sie an. Er hatte ihre Schritte gehört und sich in der Hoffnung umgedreht, mich zu entdecken. Der Feuerzauber glühte immer noch über seiner Hand, und als er nun sprach, klang seine Stimme gereizt. „Rubisco. Was willst du?“
„Dich davor bewahren, hier zu sterben.“ meinte sie und lächelte freundlich. „Aber in erster Linie bin ich gekommen um dir zu sagen, dass du Falkenstein in Ruhe lassen sollst.“
„Falkenstein, Falkenstein – nie gehört.“ knurrte der Magier, der offensichtlich Wildman genannt wurde. Es klang nicht sehr glaubwürdig.
„Na klar, und deswegen bist du ihm auch in diese Kirche gefolgt.“ erwiderte Rubisco. Sie lächelte immer noch. „Du suchst übrigens an der falschen Stelle, wenn ich dich darauf hinweisen darf.“ Bei diesen Worten drehte sie ihren Kopf in meine Richtung – durch meine Wahrnehmung sah ich, dass ihr Blick genau auf mein Versteck gerichtet war. Wie hat sie das gemacht? War sie eine Sinnesmagierin? Aber das würde ihrem sicheren Auftreten widersprechen.
„Misch dich nicht im meine Angelegenheiten ein, dann haben wir beide auch kein Problem miteinander.“ sagte Wildman bestimmt. Sein Tonfall war drohend.
Rubisco schien sich durch so etwas nicht einschüchtern zu lassen. „Ich sage es nur noch einmal. Lass Falkenstein in Ruhe. Jetzt sofort. Sonst hast in erster Linie du ein Problem.“ Sie lächelte nicht mehr und ich sah, dass sie sich angespannt hatte, bereit für einen möglichen Angriff.
Wildman starrte sie für mehrere Sekunden schweigend an und für einen kurzen Augenblick spürte ich einen Angriffszauber aufflackern, doch dieser verschwand sofort wieder. Wer auch immer Rubisco war, Wildman hatte offensichtlich keine Lust, sich auf einen Kampf mit ihr einzulassen. „Du machst einen Fehler.“ grummelte er schließlich, doch er griff nicht an.
„Das lass mal schön meine Sache sein.“ sagte Rubisco. „Und jetzt geh.“
Der Magier wirkte nicht glücklich, doch schließlich gehorchte Wildman und lief langsam auf den Ausgang der Kirche zu. Dabei musste er direkt an Rubisco vorbei, die keinerlei Anlass sah, aus dem Weg zu treten. Kurz dachte ich, dass Wildman doch noch einen Angriff versuchen würde, doch er umrundete sie nur, ohne sie aus den Augen zu lassen, und ging dann langsam rückwärts zum Kirchenportal. Die Holztür schloss sich hinter ihm, dann war es plötzlich still.
„Willst du noch lange in deinem Versteck bleiben oder magst du jetzt endlich herauskommen?“ fragte Rubisco nach einer Weile – sie klang amüsiert. Ich blieb wo ich war und schwieg. „Schau, ich weiß, dass du dort drüben hinter der Säule stehst und mich beobachtest. Es würde die Sache einfach beschleunigen, wenn du freiwillig herauskommst – ich rede nicht so gerne mit der Luft. Und ich habe leider nicht den ganzen Abend Zeit für dich.“
Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, einfach weiter in meinem Versteck zu bleiben, doch wenn ich daran dachte, wie eingeschüchtert Wildman von ihr war, kam es mir nicht wie eine gute Idee vor, eine so direkte Anweisung zu missachten. Ich prüfte nochmal, ob ich meine Pistole im Notfall schnell ziehen konnte, dann trat ich langsam hinter der Säule hervor und blickte Rubisco direkt in die Augen. Regel Nummer eins im Umgang mit fremden Magiern: Besser keine Angst zeigen.
„Geht doch, so ist das doch gleich viel angenehmer.“ meinte sie. „Und keine Sorge, ich werde dich schon nicht angreifen, sonst hätte ich auch einfach Wildman die Drecksarbeit überlassen können.“
Damit hatte sie natürlich recht, aber man wusste ja nie.
„Was willst du?“ fragte ich. Meine Stimme klang hart und ich versuchte, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen.
„Freust du dich denn gar nicht, dass ich dir soeben das Leben gerettet habe?“ fragte Rubisco. Sie klang erheitert.
„Vielen Dank, aber mit dem wäre ich auch alleine fertig geworden.“ erwiderte ich und fühlte mich etwas in meinem Stolz gekränkt. Nur weil ich nicht so mächtig war wie ein Kampfmagier, hieß das noch lange nicht, dass ich leichte Beute war.
„Möglicherweise, bedenkt man deinen Ruf. Aber du kannst mir nicht erzählen, dass du dich auf den Kampf gefreut hast.“ Ich zuckte nur mit den Schultern.
Eine Weile war es still zwischen uns. Rubisco musterte mich neugierig und schien darauf zu warten, dass ich etwas erwiderte. „Also, was willst du?“ fragte ich irgendwann erneut, als mir das Schweigen zu blöd wurde.
„Ach, wie gut, dass du fragst.“ meinte sie amüsiert. „Gegenfrage: Was denkst du, warum Wildman hinter dir her war?“
Darüber dachte ich kurz nach. „Keine Ahnung.“ antwortete ich schließlich wahrheitsgemäß. „Ich hatte leider keine Zeit mehr, ihn das persönlich zu fragen.“
„Tut mir wirklich leid, dass ich eure angeregte Unterhaltung unterbrochen habe.“ sagte Rubisco mit leicht ironischem Unterton. Langsam bekam ich das Gefühl, dass sie mich nicht sonderlich ernst nahm. „Nun, es gab Gerüchte über dich.“ fuhr sie fort. „Sagt dir Die Organisation etwas?“
„Die Organisation?“ fragte ich. „Welche?“
„Die Organisation.“
„Ah. Die Organisation. Ja doch, das kommt mir vage bekannt vor.“ meinte ich.
„Die Organisation ist, wie du vielleicht weißt, eine der wichtigsten magischen Vereinigungen in Europa.“ erklärte Rubisco. „Sie untersteht einem Zusammenschluss verschiedener europäischer Regierungen und ihre vielleicht wichtigste Aufgabe ist es, für Ordnung in der magischen Welt zu sorgen. Du weißt schon, Sicherheit für jeden garantieren, Geheimhaltung nach außen und so ein Kram. Darüber hinaus ist die Organisation aber auch eine Art Geheimdienst, der verschiedene Fälle auf der ganzen Welt löst, um dafür zu sorgen, dass niemand durch Magie gefährdet wird. Zumindest ist das der eigene Anspruch, in der Realität sieht das manchmal anders aus.“
Ich lauschte Rubiscos Erklärung interessiert und fühlte mich plötzlich etwas schlecht informiert. Ja, der Name der Organisation war in meiner Ausbildung gelegentlich gefallen, aber ich hatte mich nie weiter mit ihr beschäftigt und deswegen nichts über ihre Aufgaben und Tätigkeitsbereiche gewusst. „Warum erzählst du mir all das?“ fragte ich, während ich Rubisco neugierig musterte. „Arbeitest du für die?“
Die Antwort war ein Lachen. „Nein, bloß nicht. Aber lass es mich erklären: Es gab vermehrt Gerüchte, dass die Organisation dich für einen besonderen Auftrag anwerben will. Ein Auftrag, dessen Inhalt auch für viele andere Magier und magische Vereinigungen von großer Bedeutung ist. Wildman und ich – wir sind beide hier, um zu verhindern, dass du der Organisation hilfst.“
Plötzliche Anspannung durchfloss meinen Körper. Das klang nicht gut. Wildman hatte mich vermutlich töten wollen – was wollte Rubisco?
„Willst du nichts dazu sagen?“ fragte diese schließlich, als ich schwieg.
„Ich arbeite nicht für die Organisation.“ sagte ich. Meine Stimme klang distanziert und in meinem Kopf legte ich mir einen Plan zurecht für den Fall, dass sie mich plötzlich angriff.
Wieder lachte Rubisco. Langsam machte sie mir Angst. „Ich weiß, ich weiß. Wäre ich sonst noch so nett zu dir? Ich bin nur hier um sicherzustellen, dass das auch so bleibt. Weil ich aber im Gegensatz zu anderen kein Fan von Gewalt bin, habe ich mir etwas viel Besseres ausgedacht. Ich möchte, dass du in dieser Sache für unser Team arbeitest, denn aus irgendeinem Grund scheinst du wichtig zu sein. Auf diese Art und Weise schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe.“
Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Ein Jobangebot in einer nächtlichen Kirche von einer ziemlich einschüchternden Magierin, die ich gerade einmal seit zehn Minuten kannte. „Was wäre, wenn ich nein sage?“ fragte ich schließlich vorsichtig.
„Komm schon Falkenstein. Bitte sag mir nicht, dass du so wenig gelernt hast.“ Jetzt lachte sie nicht mehr. „Es steht dir natürlich frei, abzulehnen, aber in diesem Fall muss ich leider davon ausgehen, dass du auf Seiten der Organisation stehst. Und das kann ich nicht zulassen, nicht in dieser Sache.“ Sie sprach die Drohung nicht direkt aus, aber es war offensichtlich, was sie meinte. Wenn ich ablehnte, würde es zu einem Kampf kommen, und sie würde dabei versuchen, mich zu töten. Keine guten Aussichten.
„Warum sollte ich überhaupt wichtig sein für die Organisation?“ fragte ich, um Zeit zu schinden. „Ich bin nur ein Magier von vielen, und mit Sicherheit nicht der Stärkste.“ Ich sprach das Offensichtliche nicht aus, nämlich, dass ich kein Kampfmagier war – Rubisco wusste es vermutlich sowieso schon, aber falls nicht, hatte ich sicher nicht vor, sie selbst über meine Schwächen aufzuklären.
„Tja, weißt du Falkenstein, das ist das schöne mit Prophezeiungen. Man weiß nie, warum sie so sind wie sie sind, aber ihr Inhalt ist in der Regel korrekt.“
Das ließ mich innehalten. Eine Prophezeiung. Ich war noch nie persönlich von einer betroffen gewesen, aber ich hatte Dinge über sie gehört. Keine Ahnung, wie viel davon stimmte, aber leider nahmen die meisten Magier sie verdammt ernst. Wenn ich jetzt wirklich in einer erwähnt wurde, dann würden einige Schwierigkeiten auf mich zukommen. Plötzlich wurde mir bewusst, dass diese Sache vielleicht größer war, als ich noch vor einer Stunde gedacht hatte, als Wildman plötzlich bei mir aufgetaucht war.
„Du wirkst so nachdenklich.“ meinte Rubisco – jetzt wieder mit einem Lächeln – als ich nicht antwortete.
„Verzeih mir, aber ich muss erstmal diese neuen Informationen verdauen.“ antwortete ich. „Weißt du, woher diese Prophezeiung kommt? Oder wie glaubwürdig sie ist?“
„Das musst du andere Fragen. Sie stammt aus den inneren Kreisen der Organisation, aber ich werde ihre Echtheit mit Sicherheit nicht in Frage stellen.“ Ich blickte Rubisco in die Augen, und sie sah so aus, als würde sie das ziemlich ernst meinen. Leider.
Ich seufzte. „Worum geht’s denn überhaupt?“ fragte ich dann. So wie es aussah, wäre es durchaus von Vorteil für mich, so viele Informationen wie möglich zu bekommen, bevor das Chaos erst richtig seinen Lauf nahm.
„Tut mir leid, Falkenstein, aber das ist streng geheim.“ sagte Rubisco. „Wenn du einwilligst für uns zu arbeiten, bekommst du die nötigen Informationen, aber vorher werde ich dazu nichts sagen.“ Toll, sehr hilfreich. „Also, wie sieht’s aus“ kam sie jetzt zur Sache, „nimmst du das Angebot an, ja oder nein?“ Ihr Blick wirkte lauernd, und ich wusste, dass ich jetzt besser keinen Fehler machen sollte.
„Wer ist ‚uns‘?“ fragte ich vorsichtig. „Du verstehst sicherlich, dass ein paar Informationen über meinen potentiellen neuen Arbeitgeber hilfreich wären.“
Sie lächelte. „Ja, ich verstehe es durchaus. Aber auch das ist leider ebenfalls streng geheim, ich werde dazu nichts sagen. Nur so viel, wenn du einwilligst, wirst du mir direkt unterstellt sein. Ist das nicht was?“ Ehrlich gesagt wusste ich nicht, ob mich diese Information beruhigen oder abschrecken sollte. Ich hatte schon deutlich fiesere Magier getroffen als Rubisco – sehr viele sogar – aber genau das machte mir fast noch mehr Angst. In der magischen Welt versucht man in der Regel, sein Gegenüber einzuschüchtern, um die eigene Stärke zu demonstrieren. Die Tatsache, dass Rubisco das nicht tat und stattdessen vollkommen sorglos in diese Kirche hineinspaziert war, konnte nur bedeuten, dass sie wirklich mächtig war. Oder wirklich dumm, aber das konnte ich wohl ausschließen.
„Ich glaube, ich brauche etwas Bedenkzeit…“ unternahm ich einen letzten Versuch, mich aus der Nummer herauszuwinden. Ich ahnte bereits, dass das in diesem Fall nicht funktionieren würde.
„Nein. So läuft das nicht, Falkenstein – du kannst mich nicht für dumm verkaufen. Wir klären das hier und jetzt.“ Sie lächelte nicht mehr und ich bekam den Eindruck, dass ich ihre Geduld für den Moment überstrapaziert hatte. „Bist du dabei, ja oder nein? Ich will jetzt eine Antwort.“
Ich überlegte nur kurz. Wenn ich nein sagte, würde sie vermutlich alles daransetzen, mich zu töten, und ich war mich nicht sicher, ob ich sie daran hindern konnte. Vor allem nicht, solange ich hier ohne Deckung mitten im Raum stand. Ich könnte es natürlich versuchen, aber plötzlich war mir das Risiko eines Kampfes zu groß. Gegen Wildman hatte ich diesbezüglich nicht so viele Bedenken gehabt, aber Rubisco machte mir auf eine andere Art Angst. Ich seufzte, dann traf ich meine Entscheidung. „Gut, ich bin dabei.“ murmelte ich leise.
„Wunderbar, sehr vernünftig.“ antwortete die Magierin und plötzlich klang sie wieder fröhlich, so als wäre nie etwas zwischen uns gewesen.
„Was soll ich tun?“ fragte ich.
„Langsam, immer eins nach dem anderen.“ beschwichtigte Rubisco – das klang zuvor aber noch ganz anders. Sie trat auf mich zu und ich kämpfte kurz gegen den Instinkt an, zurückzuweichen. Als sie näherkam spürte ich ihre magische Aura, doch ich konnte keine aktiven Zauber erkennen. Wenn du mit ihr zusammenarbeiten willst, musst du ihr wohl ein bisschen vertrauen redete ich mir selbst ein und blieb wo ich war. Als sie noch drei Schritte von mir entfernt war, blieb sie stehen und zog einen kleinen dunkelroten Umschlag aus ihrer Tasche. Er sah edel aus und ich musterte ihn kurz, während sie ihn mir überreichte.
„In dem Umschlag befindet sich eine Karte mit einer Adresse. Sei morgen um zwölf Uhr dort, dann besprechen wir alles Wichtige.“ Ich nickte. „Sehr gut.“ fuhr Rubisco fort. „Dann ist ja für den Moment alles geklärt. Ich muss dann auch schon weiter, es gibt noch genügend andere Dinge zu tun. Komm gut nach Hause und sei pünktlich. Ach ja, und solltest du noch mehr Besucher wie Wildman bekommen, kannst du ihnen einfach meinen Namen nennen. In der Regel sollten sie dich dann in Ruhe lassen.“
Ich zog die Augenbrauen nach oben. „In der Regel?“
Rubisco lachte. „Ein wenig Berufsrisiko schadet nie. Aber in dem Fall denke ich, dass du auch hervorragend alleine damit zurechtkommst.“ Ich schwieg und sie nickte mir zu. „Bis morgen Falkenstein.“ Dann drehte sie sich um und schlenderte zurück zum Kirchenportal. Ich merkte, dass sie mir dabei den Rücken zuwendete – ich könnte sie einfach aus dem Hinterhalt heraus angreifen. Nein. Wenn sie dabei verwundbar wäre, hätte sie das nicht gemacht. Also blickte ich ihr nur schweigend nach, sah, wie sie die schwere Holztür öffnete, sich nochmal zu mir umdrehte und mir zunickte, dann war sie verschwunden und ließ mich allein in dem dunklen Gebäude zurück. Ich atmete einmal tief aus, dann sank ich erschöpft auf eine der Kirchenbänke nieder.
Von Drohungen und anderen Nebensächlichkeiten
Schwabing lag verlassen da, als ich aus der Kirche ins Freie trat. In der Ferne hörte ich vereinzelte Autos auf der Leopoldstraße, doch ansonsten war es ruhig. Es war kurz nach eins – seit meinem Gespräch mit Rubisco waren zwanzig Minuten vergangen. Eine Weile war ich noch in der Kirche geblieben, bis ich mir sicher war, dass mir draußen niemand mehr auflauern würde. Jetzt überquerte ich mit schnellen Schritten den nächtlichen Kirchenvorplatz und bog in eine der Seitenstraßen ab. Meine Wohnung lag nur wenige Straßen entfernt, doch irgendwie scheute ich mich davor, dorthin zurückzukehren. Wildman hatte mir dort aufgelauert, und wenn er wusste wo ich wohnte, dann war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es auch andere wissen konnten.
Nachdenklich setzte ich mich auf eine Bank, die zwischen zwei Bäumen auf dem Gehweg stand. Es wurde Herbst, und dementsprechend kalt waren die Nächte in München inzwischen. Ich fröstelte. Schnell zog ich meinen Mantel enger um mich, dann holte ich den Umschlag, den Rubisco mir gegeben hatte, aus meiner Tasche. Vorsichtig öffnete ich ihn und zog eine kleine Visitenkarte heraus. Sie war auf schwerem Papier gedruckt und ein Symbol war in sie eingraviert. Im Schein der Straßenlaternen konnte ich nur erahnen, was es darstellte, doch in diesem Moment war mir die abgedruckte Adresse sowieso wichtiger. Ich sah sie an und stutze kurz.
Salzburg? Damit hatte ich nicht gerechnet. Bisher war ich davon ausgegangen, dass sich diese Angelegenheit auf München begrenzte, doch offensichtlich hatte ich mich getäuscht.
Allgemein fühlte ich mich im Moment etwas schlecht informiert. Seit Abschluss meiner Ausbildung hatte ich mich immer mehr aus der magischen Welt zurückgezogen. Das hatte verschiedene Gründe gehabt, doch vor allem waren die tödlichen Machtspielchen, die Magier untereinander so gerne spielten, nichts für mich. Seitdem hatte ich größtenteils ein friedliches Leben geführt, von kleinen Zwischenfällen einmal abgesehen. Wenn ich ein Elementarmagier gewesen wäre, hätte meine Entscheidung vielleicht anders ausgesehen, aber jemand wie ich sollte es sich lieber zweimal überlegen, ob er wirklich in Auseinandersetzungen geraten möchte. Gelegentlich ließ es sich nicht vermeiden, aber allgemein war ich ganz glücklich als Einzelgänger.
Diese Einstellung könnte mir jetzt auf die Füße fallen, wenn ich nicht aufpasste. Die Prophezeiung, die Rubisco erwähnt hatte, hatte das Potential, mein gesamtes Leben durcheinanderzubringen. Ich konnte es mir nicht leisten, unvorbereitet zu sein.
Ich seufzte. Mir gefiel die Sache nicht, aber offensichtlich würde einfach raushalten diesmal nicht funktionieren. Ich wusste zwar nicht, wer auf die absurde Idee gekommen war, ausgerechnet mich in eine Prophezeiung einzubauen, doch es änderte so einiges.
Ich stand auf und ging nach Hause, hielt dabei Ausschau nach verdächtig wirkenden Menschen, die meinen Weg kreuzten. Ich fand keine Anzeichen, dass irgendwer hinter mir her war, doch wirklich sicher fühlte ich mich nicht, als ich schließlich meine Wohnung betrat. Sie war hübsch und normalerweise liebte ich es, mitten in der Stadt zu wohnen, doch heute Nacht wäre mir plötzlich ein abgelegenes Landhaus lieber gewesen. Schwer zu erreichen, und sich nähernde Angreifer hätte ich mit meiner Wahrnehmung sofort entdecken können.
Mein Spiegelbild starrte mich missmutig an, als ich im Flur stand und meinen Mantel auszog. Die grauen Augen wirkten erschöpft, fertig mit der Welt. Ich musterte mich eine Weile. Meine dunkelbraunen Haare wirkten heute etwas zerzaust, nicht so sorgfältig zurechtgekämmt wie sonst. Sie bildeten einen Kontrast zu der etwas zu hellen Haut, die ich immer schon gehabt hatte. Täuschte ich mich oder wirkte ich heute noch bleicher als sonst? Irgendwie gefiel mir nicht, was ich gerade sah. Ich wirkte dürr, gehetzt, unruhig. Schnell wendete ich mich ab.
Ich zog mich aus, legte meine Waffe unter mein Kopfkissen und ging schlafen.
Am nächsten Morgen erwachte ich früh. Einen kurzen Moment fühlte sich alles so an wie immer, doch dann erinnerte ich mich schlagartig wieder an das, was gestern Nacht passiert war. Ein Angriff auf meine Wohnung, die Verfolgung bis in die dunkle Kirche, das Jobangebot. Ach verdammt dachte ich.
Ich zog die Karte, die Rubisco mir gegeben hatte, aus meiner Manteltasche und musterte gebannt das eingravierte Symbol. Ich hatte es noch nie zuvor gesehen, aber vielleicht gab es ja jemanden, der darüber etwas wusste. Und nebenbei konnte ich auch gleich noch ein paar Fragen über die Organisation stellen.
Ich durchsuchte das Adressbuch in meinem Handy, bis ich die richtige Nummer gefunden hatte. Es tutete lange, bis endlich jemand abnahm. „Eschenbach.“
„Lorenz, ich bin es.“ sagte ich. „Alex.“
Stille. „Alex.“ wiederholte Lorenz nach einer Weile und seufzte. „Was willst du?“
Lorenz Eschenbach war einer der wenigen Kontakte, die ich in der magischen Welt noch hatte. Wir kannten uns schon seit einigen Jahren und führten eine fast schon freundschaftliche Beziehung. Fast.
„Hör zu, Lorenz, ich brauche deine Hilfe. Ich bin ausversehen in so eine Sache hineingeraten und könnte ein paar Informationen über eine Magierin namens Rubisco gebrauchen. Und über die Organisation, wenn wir schon dabei sind.“ Lorenz war in der magischen Welt deutlich besser vernetzt als ich. Das bedeutete, dass er viele Dinge wusste, von denen ich keine Ahnung hatte, was ihn gelegentlich zu einer ziemlich guten Informationsquelle machte.
Lorenz schwieg lange. Als er schließlich sprach, klang seine Stimme distanziert. „Tut mir leid, Alex, aber ich kann dir nicht helfen. Ich glaube es ist besser, wenn du auflegst.“
„Wieso das?“ fragte ich überrascht.
„Du steckst wirklich in verdammt großen Schwierigkeiten. Es kommt mir zurzeit nicht gerade gesund vor, auch nur irgendwelche Verbindungen zu dir zu haben.“ antwortete Lorenz knapp. „Pass auf dich auf!“ Mit diesen Worten legte er auf. Sprachlos lauschte ich einige Augenblicke dem rhythmischen Tuten, dann legte ich das Handy wütend zur Seite. Danke dafür.
Weitere Anrufe konnte ich mir wohl sparen. Egal, dachte ich, dann muss ich eben ohne Informationen klarkommen. Wie schwer konnte das schon sein?
Trotzdem hatten mich Lorenz Worte weiter beunruhigt. Ich wusste, dass ich eigentlich etwas essen sollte, bevor ich mich auf den Weg zu dem Treffen mit Rubisco machte, doch mir war der Appetit vergangen.
Ich zwang mir trotzdem zwei Scheiben trockenen Toastbrots herunter, dann überlegte ich kurz, wie ich nach Salzburg kommen sollte. Die mächtigsten und reichsten Magier hatten in der Regel einen privaten Chauffeur, doch ich gehörte nicht zu dieser Gruppe, ich hatte noch nicht mal ein eigenes Auto. Ein Taxi wäre möglich, aber vollkommen sinnlos. Am Ende entschied ich mich für den Zug.
Magier haben durch ihre Macht einige Vorteile gegenüber normalen Menschen, doch die Fortbewegung gehört leider nicht dazu. Es gibt keine magischen Fortbewegungsmittel – zumindest keine, die das Reisen irgendwie beschleunigen oder vereinfachen würden.
Ich stand auf und begann, den Schrank zu durchsuchen, in dem ich meine magischen Gegenstände aufbewahrte. Es würde ein ereignisreicher Tag werden, und ich hatte nicht die Absicht, unvorbereitet zu sein.
Von München aus ist Salzburg relativ gut mit dem Zug zu erreichen. Die Fahrt verging schnell und immerhin hatte ich dabei eine schöne Aussicht auf die immer näherkommenden Berge. Wirklich genießen konnte ich den Anblick allerdings nicht, da es sich fast durchgehend so anfühlte, als würde am Ende dieser Zugfahrt Ärger auf mich warten. Was vermutlich auch der Fall war. Und so war ich fast schon erleichtert, als der Zug nach zwei Stunden endlich in den Salzburger Hauptbahnhof einfuhr und ich wieder etwas zu tun hatte.
Salzburg ist eine ungewöhnliche Stadt. Es handelt sich um eine Großstadt, doch durch ihre Lage am Nordrand der Alpen wird sie durch mehrere Berge unterteilt und gegliedert. Bei dem Treffpunkt, den Rubisco ausgesucht hatte, handelte es sich um einen Friedhof mitten in der historischen Altstadt links der Salzach im Schatten des Festungsberges. Vom Bahnhof aus waren es dreißig Minuten zu Fuß bis dorthin, und da ich einen ordentlichen Zeitpuffer eingeplant hatte, verzichtete ich darauf, die Strecke mit dem Bus zurückzulegen und spazierte stattdessen los.
Es war ein herrlicher Herbsttag und fast hätte ich es genossen. Die Blätter hatten begonnen, sich zu färben und die Sonne stand tief. Laub raschelte unter meinen Schuhen, als ich den Mirabellgarten durchquerte, um ans Ufer der Salzach zu gelangen. Dort angekommen packte mich eine seltsame Mischung aus Melancholie und Fröhlichkeit. Der Sommer war vorbei, die Tage wurden kürzer, Veränderung lag in der Luft, und doch war der Anblick der herbstlichen Altstadt im Sonnenlicht wunderschön. Ich spürte in mir das Verlangen aufsteigen, es den vereinzelten Touristen gleichzutun, mich auf eine der Bänke am Flussufer zu setzen und einfach nur die Aussicht zu genießen.
Reiß dich zusammen, du bist nicht zum Vergnügen hier. Ich versuchte, diese lästigen Gedanken loszuwerden und mich wieder aufs Wesentliche zu konzentrieren.
Ich hatte im Vorfeld bereits etwas recherchiert und dabei vor allem herausgefunden, dass der Friedhof vermutlich aus dem Jahr 700 stammte, direkt neben dem Salzburger Dom lag und für die Öffentlichkeit zugänglich war. Selbst wenn sich nur ein Bruchteil der Touristen dorthin verirren würde, wäre man dort wohl kaum ungestört. Kurz hatte ich mich gefragt, warum Rubisco sich ausgerechnet an so einem belebten Ort treffen wollte, bis ich irgendwo auf das Wort „Katakomben“ gestoßen war. Diese sind in die angrenzenden Felsen des Festungsberges gehauen worden und über den Friedhof zugänglich. Magier lieben außergewöhnliche Orte, weswegen ich vermutete, dass das Treffen irgendwo in dem Höhlensystem stattfinden sollte.
Es war elf Uhr fünfzig, als ich den Friedhof schließlich erreichte. Er war durch einen etwas versteckt liegenden bogenförmigen Durchgang zu erreichen, und dafür, dass er so zentral lag, hielten sich nur erstaunlich wenige Menschen hier auf. Ich zögerte kurz, dann trat ich durch das Tor.
Wie nicht anders erwartet, war Rubisco nirgends zu sehen, und auch sonst schien keine der anwesenden Personen in irgendeiner Form auf mich zu warten. Um nicht aufzufallen, tat ich es also den übrigen Touristen gleich und schlenderte eine Runde über den Friedhof. Dabei hielt ich die Augen offen und prägte mir meine Umgebung genau ein – wer wusste schon, ob mir diese Informationen später noch nützlich sein würden.
Das Gelände glich grob einem Dreieck, das an jedem Ende einen Ausgang hatte. Im Süden wurde die Anlage durch die steilen Felswände des Festungsberges begrenzt – dank meiner Recherchen erkannte ich hier auch den Eingang zu den Katakomben. Außerdem befanden sich an den äußeren Friedhofsgrenzen in unregelmäßigen Abständen Arkadenreihen, in denen weitere Gräber zu finden waren. Auch diese merkte ich mir als mögliche Verstecke für den Notfall.
In der Mitte des Friedhofs befanden sich ein kleiner Brunnen und der Eingang zu einer von außen schlicht gehaltenen Kapelle. Insgesamt machte all das den Friedhof trotz seiner kleinen Fläche ziemlich unübersichtlich, und das sorgte dafür, dass ich mich hier unwohl fühlte. Zu viele Versteckmöglichkeiten, nichts war vorhersehbar.
Nachdem ich meine Runde beendet hatte, stellte ich mich mit verschränkten Armen neben den Kapelleneingang in der Mitte des Friedhofs und wartete. Hier befand ich mich im Schatten und war nicht sofort zu sehen, hatte selbst dafür aber einen guten Blick auf meine Umgebung und auf die Leute, die in regelmäßigen Abständen vorbeiliefen.
Eine Weile geschah nichts. Ich sah auf meine Uhr – eine Minute vor zwölf. In der Regel sind Magier sehr auf Pünktlichkeit bedacht – das gehörte in unserer Welt mehr oder weniger zum guten Ton – also spannte ich meine Muskeln an und wartete, dass jemand kam. Mit meiner Wahrnehmung suchte ich die Umgebung ab, doch es waren einfach zu viele Menschen unterwegs und keiner von ihnen verhielt sich besonders verdächtig.
„Alexander Falkenstein?“ erklang plötzlich eine Stimme direkt hinter mir. Ich widerstand gerade so dem Reflex, erschrocken aufzuspringen und mich ruckartig umzudrehen. Hinter mir stand ein kleiner Mann Mitte 60 mit ergrautem, spärlicher werdendem Haar und einer Lesebrille auf der Nase. Er schien aus der Kapelle gekommen zu sein, deren Eingang sich in meinem Rücken befunden hatte. Im Nachhinein hätte ich damit natürlich rechnen können. Anfängerfehler – peinlich. Der Mann musterte mich kurz emotionslos und ich tat das selbe mit meinem Gegenüber. Er wirkte auf mich nicht besonders tough, aber wenn er ein Magier war, konnte das natürlich täuschen. Regel Nummer zwei im Umgang mit Magiern: Nicht zu sehr auf Äußerlichkeiten achten.
„Folgen Sie mir.“ sagte der Mann schließlich und ging ohne auf eine Antwort zu warten an mir vorbei. Ich folgte ihm und tatsächlich lief er geradewegs auf die Steilwand und den Eingang der Katakomben zu. Natürlich, hätte mich auch gewundert, wenn nicht.
Gemeinsam traten wir durch ein Marmorportal in einen Raum, der im Vergleich zum Friedhof leicht erhöht lag. Von dort aus führte eine in den Stein geschlagene Treppe nach oben. Sie war nur spärlich beleuchtet und die Decke wurde mit Holzbalken gestützt – gelegentlich musste ich den Kopf einziehen, um nicht dagegen zu stoßen. Mein Begleiter hatte dieses Problem nicht, er ging zielstrebig voran, ohne langsamer zu werden.
Am Ende der Treppenstufen war eine höhlenartige Kapelle zu sehen. Durch vereinzelte kleine Fenster in der Felswand fiel Tageslicht in den Raum. Ein einfacher Holzaltar war durch die Tür hindurch zu erkennen, doch kurz bevor wir den Raum erreichten, blieb der Mann plötzlich stehen.
Wir standen mitten auf der Treppe vor einem scheinbar beliebigen Stück Felswand. Ich runzelte die Stirn und wollte schon fragen, was wir hier wollten, als ich einen Zauber wahrnahm, der aus dem Stein zu kommen schien. Mein Begleiter vergewisserte sich, dass niemand uns beobachtete, dann hob er seine Hand und legte sie genau auf die Stelle, an der ich den Zauber gespürt hatte. Leise murmelte er einige unverständliche Worte vor sich hin.
Eine Mischung aus Knarzen und Rumpeln erklang, während sich die Umrisse eines Durchgangs in der Felswand bildeten. Mit einem geübten Handgriff drückte der Mann gegen den Stein und dieser schwang wie eine Tür zur Seite auf. Ich musste zugeben, dass ich ein wenig beeindruckt war.
Der Raum, in den wir nun traten, war dunkel. Er lag tiefer im Berg, Fenster gab es hier dementsprechend keine, und so konnte auch kein Tageslicht mehr in ihn eindringen. Mein Begleiter murmelte erneut einen Spruch, dann erleuchteten mehrere an den Wänden angebrachte Lampen die Dunkelheit. Ein kunstvoll verzierter Teppich bedeckte den Boden, ansonsten war der Raum leer.
Am gegenüberliegenden Ende befand sich ein weiterer Durchgang. Wir hielten auf ihn zu und ich sah, dass von dort Treppenstufen tiefer in den Berg hinab führten. Im Gegensatz zu den der Öffentlichkeit zugänglichen Treppen waren diese hier aber hervorragend ausgeleuchtet, Geländer waren an den Seiten angebracht, die Decke war hoch genug und die Stufen schienen aus massivem Marmor angefertigt worden zu sein. Wie auch immer das technisch möglich gewesen war.
Zum ersten Mal, seit wir den Berg betreten hatten, sprach mein Begleiter mit mir. „Wir befinden uns hier in Räumlichkeiten, die hinter den eigentlichen Katakomben liegen. Sie wurden vor mehreren hundert Jahren von Magiern erbaut und sind der Öffentlichkeit weder bekannt noch zugänglich. Uns dienen sie nun schon seit vielen Jahrzehnten als Salzburger Hauptquartier.“ sagte er nicht ganz ohne Stolz. Ich musterte erneut die Treppenstufen aus Marmor und nickte anerkennend – der Bau konnte nicht leicht gewesen sein.
Wir stiegen die Treppen hinab. Unten gabelte sich der Weg. Ein langer Korridor führte nach links, ein weiterer nach rechts. Mit meiner Wahrnehmung konnte ich mehrere Menschen spüren, die sich überall um uns herum aufhielten – diese Anlage musste gigantisch groß sein.
Mein Begleiter führte mich nach rechts. Wir liefen den Gang entlang, dann bogen wir nach links in eine große unterirdische Halle ab. Der Anblick war beeindruckend und ich konnte nicht anders, ich musste einen kurzen Augenblick innehalten und die Szenerie auf mich wirken lassen.
Das Herzstück der Halle bildete ein langgezogenes flaches Wasserbecken. Es war mindestens zehn Meter lang und in ihm spiegelten sich die gewaltigen Kronleuchter, die von der Decke hingen. Links und rechts des Beckens zogen sich Marmorsäulen einmal quer durch die Halle und grenzten es dadurch vom Rest des Saals ab. Die Säulen waren in Weiß gehalten – vermutlich ebenfalls Marmor – während die Wände und die Decke aus nacktem Fels bestanden. Hinter den beiden Säulenreihen erstreckten sich zwei große langgestreckte Tafeln, die mich entfernt an eine mittelalterliche Burg erinnerten. An den Wänden dahinter hingen vereinzelte Gemälde und Portraits.
Wir umrundeten das Wasserbecken, bis wir am anderen Ende des Saals standen. Von hier führten zwei Stufen in einen etwas erhöht liegenden Teil des Raumes. In diesem stand ein großer Schreibtisch aus dunklem Holz, in dessen Mitte ein goldenes Logo eingraviert worden war – es handelte sich um das gleiche Symbol wie auf der Karte gestern Abend. Ich konnte nicht anders, irgendwie musste ich bei diesem Anblick an eine Art modernen Thronsaal denken.
Hinter dem Schreibtisch saß Rubisco in einem ledernen Schreibtischstuhl. Sie hatte uns gemustert, seit wir den Saal betreten hatten, und nun, da wir beide nah genug waren, lächelte sie höflich.
„Falkenstein. Wie schön, dass du es einrichten konntest.“ sagte sie und bedeutete mir, mich in einen der Sessel zu setzen, die auf der ihr gegenüberliegenden Seite des Tisches standen. Meinem Begleiter gab sie mit einer kurzen Handbewegung zu verstehen, dass er im Moment nicht mehr gebraucht wurde.
Zum ersten Mal nahm ich mir die Zeit, um Rubisco genauer zu mustern. Gestern in der Kirche war es dunkel gewesen und ich hatte andere Sorgen als ihr Aussehen gehabt, doch nun war ich ihr nahe genug, um die Details sehen zu können.
Ihre Haare waren schulterlang und rabenschwarz, ihre Augen blitzten rotbraun und folgten jeder meiner Bewegungen. Sie trug einen fein geschnittenen dunkelroten Blazer, der ihre Figur betonte und an dessen Kragen eine goldene Brosche hing. An einem ihrer Finger bemerkte ich einen glänzenden Ring, der das gleiche Symbol wie auf dem Schreibtisch zeigte.
Ich nickte ihr zu. „Bisschen groß für ein Büro, oder nicht?“
„Nun, es soll in erster Linie Eindruck schinden.“ Das war definitiv gelungen.
„Nun, kommen wir gleich zur Sache.“ sagte Rubisco. Sie drückte einen Knopf auf ihrem Schreibtisch und ein großer Bildschirm hinter ihr erwachte zum Leben. „Es geht um einen Gegenstand, den wir gerne hätten. Den ich gerne hätte.“ Ihre rotbraunen Augen blitzten mich streng an. „Du wirst ihn erkennen, wenn du ihn vor dir hast, da bin ich mir sicher, denn er ist in vielerlei Hinsicht besonders.“ Rubisco schwieg einen Moment, dann fuhr sie fort. „Das Problem ist, dass niemand so genau weiß, wo er sich befindet. An dieser Stelle kommst du ins Spiel. Wir haben von Hinweisen aus Wien gehört, und du wirst dort hinreisen und diesen Gerüchten nachgehen.“ Sie blickte mich erwartungsvoll an und ich war ziemlich verwirrt. Verwirrt und überfordert.
„Mal langsam.“ sagte ich. „Um was für einen Gegenstand handelt es sich denn überhaupt?“
„Das kann ich dir zu deiner eigenen Sicherheit leider nicht sagen.“ sagte Rubisco und lächelte entschuldigend. „Diese Information ist streng geheim.“
„Aber das ist unmöglich.“ protestierte ich. „Wie soll ich denn ohne irgendwelche Anhaltspunkte etwas für dich finden, wenn ich noch nicht mal weiß, wie es aussieht?“
Rubisco nickte, wie als hätte sie diese Frage erwartet. „Ich gebe zu, es klingt schwer, aber wenn jemand dazu in der Lage sein sollte, dann du. Denk an die Prophezeiung!“
Ich seufzte resigniert. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie mich etwas überschätzte.
„Außerdem“ fuhr Rubisco fort, „gibt es durchaus Anhaltspunkte.“ Sie zeigte auf ein Bild, das mittlerweile auf dem Bildschirm hinter ihr zu sehen war. Es zeigte das bekannte Gebäude des Kunsthistorischen Museums in Wien. Ich musterte die langgezogene Fassade mit der markanten Kuppel in der Mitte.
„Wir wissen, dass auch Agenten der Organisation sowie anderer magischer Vereinigungen hinter dem Gegenstand her sind, und es hat sich für uns ausgezahlt, diese in den letzten Tagen intensiv zu beschatten. Unsere Leute haben dabei herausgefunden, dass ein Team der Organisation nun schon seit zwei Tagen im Kunsthistorischen Museum in Wien zugange ist. Es scheint, als würden diese Agenten dort nach etwas suchen, bisher allerdings erfolglos. Trotzdem müssen wir davon ausgehen, dass die Organisation nicht grundlos dort ist – wenn ich du wäre, würde ich also im Museum mit der Suche beginnen.“
„Wenn die Organisation dort noch nichts gefunden hat, wie soll ich das dann schaffen?“ fragte ich etwas frustriert.
Rubisco zuckte nur mit den Schultern. „Versuch es einfach. Die Prophezeiung kann nicht falsch liegen.“ Das war wirklich ein großartiger Tipp, vielen Dank dafür.
Ich versuchte, meinen Ärger herunterzuschlucken. „Was passiert, wenn die Agenten der Organisation mich bemerken?“ fragte ich stattdessen.
„Das ist der heikle Teil.“ antwortete Rubisco und zum ersten Mal klang sie ernsthaft besorgt. Wirklich ermutigend fand ich das nicht. „Die Agenten der Organisation werden wohl kaum versuchen, dich zu töten. Schließlich wissen sie, was für eine wichtige Rolle du spielen könntest. Wenn sie dich erwischen, werden sie also vermutlich dafür sorgen wollen, dass du in Zukunft für ihr Team arbeitest.“
Sie machte eine kurze Pause. „Was hingegen die Leute anderer magischer Vereinigungen angeht – nun, sagen wir einfach, dass Wildman nicht der einzige war, der dich ganz dringend aus dem Weg schaffen wollte. Ich möchte, dass du dich weder von der Organisation noch von anderen erwischen lässt, denn beides wäre definitiv zu unserem Nachteil.“
Ich ging diese Information kurz in meinem Kopf durch. Die Organisation schien von allen Gruppen, die Interesse an diesem Gegenstand hatten, noch die netteste zu sein. Sie würden mich nur zwingen, ihnen zu helfen, aber damit kannte ich mich inzwischen ja aus, schließlich arbeitete ich auch nicht freiwillig für Rubisco.
Einen Augenblick überlegte ich, ob es schlau wäre, sich einfach auf die Seite der Organisation zu schlagen. Viel schlimmer als jetzt konnte es ja kaum werden, oder? Doch dann blickte ich in Rubiscos Augen, die mich genau im Blick behielten, und verwarf die Idee ganz schnell wieder. Ich wollte nicht erleben, was sie tun würde, wenn ich sie verriet.
Genauso wenig wollte ich allerdings von irgendwelchen anderen Magiern umgebracht werden, nur weil diese dachten, dass ich eine wichtige Rolle in einer Angelegenheit spielte, von der ich noch nicht mal genau wusste, worum es überhaupt ging.
Zu meinem eigenen Wohl wäre es also wohl am vernünftigsten, das zu tun, was Rubisco von mir erwartete.
„Was kann ich tun, wenn mich eine dieser Gruppen doch erwischt?“ fragte ich schließlich, da ich über einen gewissen Selbsterhaltungstrieb verfügte.
„Nun, für diesen Fall sollst du wissen, dass wir in magischen Kreisen durchaus eine gewisse Macht haben. Solltest du in Schwierigkeiten geraten, kannst du gerne meinen Namen nennen – die meisten Magier werden wissen, mit wem sie es zu tun haben.“
„Die meisten?“ fragte ich zweifelnd.
Rubisco sah mich amüsiert an. „Wie gesagt, etwas Berufsrisiko gehört dazu. Ich vertraue auf deine Fähigkeiten.“
Na gut. „Und wenn ich meinen Job gemacht habe und dir dieses Ding, was auch immer es ist, gebracht habe, kann ich gehen?“ Ein Teil von mir hatte Angst, diese Frage zu stellen. Wenn sie nein sagen würde, könnte ich wohl kaum etwas dagegen tun. Ich versuchte jedoch, möglichst entschlossen zu wirken und sah ihr direkt in die Augen.
Rubisco zuckte mit den Schultern. „Sicherlich.“ sagte sie in einem fröhlichen aber unbeteiligten Tonfall, der ein wenig so klang, als wäre ihr dieses kleine Detail wirklich egal. Es machte mich wütend, aber auch das schien sie nicht großartig zu interessieren.
Ich starrte Rubisco aufgebracht an. Sie erwiderte meinen Blick ruhig, nahm meine Wut fast gleichgültig zur Kenntnis. „Wer seid ihr?“ fragte ich schließlich herausfordernd. Im gleichen Moment wünschte ich, ich hätte diese Frage nicht gestellt.
Rubisco wirkte kurz überrascht, dann wurde ihre Miene hart. „Das geht dich wirklich nichts an, Falkenstein.“ Ihre Stimme klang distanziert. Ich fragte mich, warum sie es mir nicht verraten wollte. Für einen kurzen Augenblick war ich versucht, nachzuhaken, doch ein drohender Blick von Rubisco hielt mich davon ab. Ich würde es schon noch selbst herausfinden.
„Okay, gibt es noch irgendwas, über das ich nicht informiert werde, oder war’s das?“ fragte ich mit einer gewissen Schärfe in der Stimme. „So wie es aussieht habe ich ja einiges zu tun.“
Rubisco blieb gelassen. „So schlechte Laune? Dann empfehle ich dir, einen Spaziergang durch die Altstadt und an der Salzach entlang zu machen, wenn du dich auf den Weg zum Bahnhof machst.“ Sie reichte mir einen unbeschrifteten Briefumschlag. „Dein Zug nach Wien geht in zwei Stunden. Hier drinnen ist deine Fahrkarte.“ Ich nickte stumm und warf einen kurzen Blick in den Umschlag. Neben der Fahrkarte konnte ich in ihm noch einzelne Karten mit Telefonnummern oder Informationen für den Notfall ausmachen. Genervt verdrehte ich die Augen und steckte den Umschlag in meine Manteltasche.
„Wunderbar.“ meinte Rubisco. „Dann ist ja alles geklärt. Lass dich bitte nicht töten, zumindest nicht, bevor du deinen Auftrag ausgeführt hast.“ Ich würdigte diesen Satz keiner Antwort, stand auf und wollte mich umdrehen, als sie mich nochmal zurückhielt.
„Ach und Falkenstein?“ meinte sie in freundlichem aber bestimmtem Tonfall. „Nur damit du Bescheid weißt – es wird immer jemand von unseren Leuten in deiner Nähe sein. Behalte das im Hinterkopf für den Fall, dass du auf dumme Gedanken kommen solltest…“
„Keine Sorge, ich werde euch schon nicht hintergehen, so freundlich wie ich hier integriert werde…“ murmelte ich leicht sarkastisch.
„Geh.“ antwortete Rubisco nur. „Und enttäusch mich nicht. Brunner wird dich nach draußen geleiten.“
Ich drehte mich um und erblickte den Mann, der mich vorhin auf dem Friedhof empfangen und hierhergebracht hatte. Er stand auf der anderen Seite des Raumes und ich ging langsam zu ihm, ohne mich nochmal umzudrehen. Ich wusste dank meiner Wahrnehmung auch so, dass Rubisco mir hinterherblickte. Der Gedanke machte mich nervös, doch ich ließ mir nichts anmerken.
Brunner nickte mir zu, als ich ihn erreichte, und gemeinsam verließen wir den Raum. Ich folgte ihm schweigend durch die unterirdischen Gänge, die mir nun endlos vorkamen. Erst als wir die Katakomben verlassen hatten und wieder draußen auf dem Friedhof standen, fiel ein Teil der Anspannung von mir ab. Es war nicht mal eine Stunde vergangen, seit ich hier angekommen war, und doch fühlte es sich an wie eine andere Welt.
„Viel Glück, Falkenstein. Pass gut auf!“ meinte Brunner zum Abschied. Ich wusste nicht, ob es freundlich oder als Drohung gemeint war. Er nickte mir zu, dann verschwand er wieder in den Katakomben.
Ich blieb auf dem Friedhof stehen, atmete einmal tief durch. Dann zog ich meinen Mantel enger an mich, weil sich die Luft plötzlich kälter anfühlte, drehte mich um und ging. Zwei Stunden waren nicht lang, und ich wollte die Zeit bis zur Abfahrt meines Zuges nutzen, um mich so gut wie möglich vorzubereiten.
Museumsarbeit
Wien empfing mich mit einer unangenehmen Kälte. Das Wetter war während der Zugfahrt umgeschlagen, je weiter wir nach Osten kamen, und als ich nun ins Freie trat, spürte ich leichten Nieselregen auf meiner Haut. Ich zitterte ein wenig und stieg schnell in die nächste Trambahn Richtung Innenstadt.
Das Kunsthistorische Museum liegt am Maria-Theresien-Platz neben der Wiener Ringstraße und gegenüber des von außen fast identischen Naturhistorischen Museums. Auf den ersten Blick fällt vor allem die gewaltige Kuppel auf, die mittig über dem Gebäude thront, aber auch sonst ist die kunstvoll verzierte Fassade ziemlich beeindruckend. Leider hatte ich nicht wirklich Zeit, um die Schönheit des Bauwerks zu bewundern. Außerdem wurde der Regen immer stärker, während ich über den begrünten Platz auf das Museum zulief. Mit schnellen Schritten eilte ich auf den Haupteingang zu und war froh, als ich endlich im Trockenen stand.
Nachdem ich ein Ticket gekauft hatte, stand ich nun in einer prunkvollen Eingangshalle. Sie war mehr oder weniger kreisrund angelegt. Rot gemusterte Marmorsäulen zierten die Wände und die Decke war kunstvoll verziert. Drei Treppen führten von hier aus in die verschiedenen Ausstellungsräume. Ich schnappte mir einen Lageplan und warf einen Blick darauf.
Die Ausstellungsräume waren auf drei Stockwerke verteilt. Die oberen beiden schienen eher uninteressant – dort gab es außer einem kleinen Münzkabinett fast ausschließlich Gemälde zu sehen. Ich wusste, dass viele Magier teure Gemälde als Statussymbol mochten, doch ich bezweifelte, dass es bei dieser Sache um eine solche Nebensächlichkeit ging.
Folglich lagen die für mich interessanten Räume wohl im untersten Stockwerk – hier gab es eine Antikensammlung, eine ägyptisch-orientalische Sammlung und die sogenannte Wiener Kunstkammer, in der alles Mögliche ausgestellt wurde. All das klang nach Statuen, Schätzen und obskuren Gegenständen.
Es hätte mich nicht gewundert, wenn einige davon zufällig magischer Natur waren. Viele magische Gegenstände waren mit bloßem Auge kaum von hübschen Kunstwerken zu unterscheiden.
Ich steckte den Lageplan in meine Hosentasche und nahm die mittlere Treppe hinauf zu den Ausstellungsräumen.
Das Foyer und die Treppenhäuser des Gebäudes waren auf sehr spektakuläre Art prunkvoll und überladen. Die Ausstellungsräume selbst waren immer noch schick, aber deutlich funktioneller eingerichtet.
Der erste Raum, den ich betrat, beherbergte verschiedene Ausstellungsstücke aus der Antike. Kleine Statuen, Schalen, Krüge und Ringe aus Gold lagen fein säuberlich sortiert in beleuchteten Vitrinen. Das Licht im Ausstellungsraum war gedämpft, was ihm eine eigenartige Atmosphäre verlieh.
Ich hatte keine Ahnung, nach was ich suchen musste. Rubisco hatte mir nur gesagt, dass ich den Gegenstand erkennen würde, wenn ich einmal vor ihm stand, doch da war ich mir nicht so sicher. Ich dachte kurz darüber nach, was ich tun sollte, aber eigentlich gab es nur eine Möglichkeit – ich musste das gesamte Museum einzeln absuchen, in der Hoffnung, dabei zufällig den richtigen Gegenstand zu finden.
In diesem Raum konnte ich damit genauso gut anfangen wie überall sonst auch. Und so lief ich von Vitrine zu Vitrine und betrachtete jedes Ausstellungsstück mit meiner Wahrnehmung, um darin verborgene Zauber zu entdecken.
Wie nicht anders zu erwarten war, konnte ich in Raum eins nichts finden. Ich ging weiter in den nächsten, wo noch mehr Objekte aus Gold ausgestellt waren – diesmal handelte es sich hauptsächlich um Schmuck. Auch hier ging ich wieder von einem Stück zum nächsten, doch nach der ungefähr zehnten Vitrine gab ich frustriert auf und dachte nach.
Wenn ich so weitermachte, könnte ich in wenigen Stunden zumindest alle öffentlichen Ausstellungsräume des Museums durchforsten. Aber mal ehrlich, wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass es funktionieren würde? Ich kam mir dabei ja schon nach weniger als zehn Minuten ziemlich blöd und auch ein bisschen naiv vor. Und wenn es wirklich so einfach gewesen wäre, hätten die Agenten der Organisation den Gegenstand dann nicht schon längst selbst finden müssen? Zwei Tage waren eine lange Zeit und Rubisco hatte ein ganzes Team erwähnt, dass hier zugange war. Sie hätten das Museum schon längst dreimal absuchen können, doch offenbar hatten sie dabei nichts gefunden, sonst wären sie nicht mehr hier.
Ich wandte mich ab und lief zurück ins Treppenhaus, aus dem ich gekommen war. Innerlich verfluchte ich Rubisco dafür, dass sie mir so gut wie keine nützlichen Informationen gegeben hatte – alles was ich hier tat, war im Nebel herumzustochern. Es könnte genauso gut sein, dass sie mich nur zum Spaß hierhergeschickt hatte und ihre Leute sich nun köstlich darüber amüsierten, wie ich jedes Ausstellungsstück persönlich überprüfte.
Nein. Ich musste das hier anders angehen. Zeit für eine Planänderung.
Das prunkvoll verzierte Treppenhaus war der Mittelpunkt des Museums. Ich stieg einige Stufen hinauf, dann lehnte ich mich betont unauffällig gegen das Geländer und weitete meine Wahrnehmung aus.
Wenig überraschend war, dass ich überall um mich herum Menschen sah. Ich wollte die Agenten der Organisation aufspüren – vielleicht fand ich in ihrer Nähe ja etwas Nützliches heraus. Da ich aber nicht einfach so zwischen normalen Menschen und Magiern unterscheiden konnte, war diese Fähigkeit an so einem belebten Ort leider wenig nützlich. Ich konzentrierte mich stattdessen also darauf, nach aktiven Zaubern zu suchen, die gerade in diesem Museum gewirkt wurden. Denn wo gezaubert wurde, waren Magier in der Regel nicht weit.
Mit meiner Wahrnehmung ist das so eine Sache. Sie ist keine exakte Wissenschaft – manchmal funktionieren Dinge und manchmal nicht. Ob man Zauber sehen kann, hängt davon ab, wie stark diese sind, ob der Magiewirkende versucht, sie irgendwie abzuschirmen, und auch, wie gut trainiert die eigene Wahrnehmung ist.
Ich war relativ geübt im Umgang mit meiner Wahrnehmung, doch ihre Reichweite ist trotzdem begrenzt. Jetzt weitete ich sie so weit wie möglich aus, versuchte, das gesamte Gebäude auf irgendwelche Zauber zu scannen, die mir einen Hinweis geben könnten.
Falls sich jemand wundert – es wäre unmöglich gewesen, auf diese Entfernung die Aura eines magischen Gegenstandes wahrzunehmen, solange dieser nicht aktiv genutzt wird – dazu ist sie zu schwach. Aus der Ferne direkt nach Rubiscos Gegenstand zu suchen, fiel also aus.
Mit einem aktiv gewirkten Zauber sah das zum Glück anders aus.
Eine Weile spürte ich nichts, doch dann zog etwas am Rande des Wahrnehmungsbereichs meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich fokussierte mich so gut es ging darauf und versuchte, alles andere auszublenden.
Es wirkte wie ein Spürzauber, und er wurde in einem der hintersten Ausstellungsräume gewirkt. Wenn dort andere Magier waren, sollte ich mir das vielleicht mal aus der Nähe ansehen.
Ich wollte eigentlich nicht in die Nähe der Organisationsagenten gelangen, doch ich hatte auch keine große Lust, stattdessen das gesamte Museum in Eigenarbeit abzusuchen. Und auf Dauer würde ich ihnen sowieso über den Weg laufen, also konnte ich auch gleich versuchen, sie ein wenig auszuspionieren.
Ich folgte meiner Sicht die Treppe hinab und durch die Ausstellungsräume, während ich durch die Menschenmengen navigierte. Auf die anderen Museumsbesucher wirkte ich dabei vielleicht etwas abwesend oder zerstreut – wenn sie mich denn überhaupt bemerkten – doch das Gegenteil war der Fall. Ich war hochkonzentriert. Während ich lief, versuchte ich, mit meiner Wahrnehmung den gewirkten Zauber einer bestimmten Person zuzuordnen. Je näher ich kam, desto besser gelang es mir.
Ich betrat den nächsten Ausstellungsraum, doch diesmal war ich vorsichtiger und hielt mich bedeckt. Die Wände im Raum waren dunkelblau gestrichen, was ihn insgesamt etwas düster wirken ließ. Dadurch traten die verschiedenen Ausstellungsstücke in den beleuchteten Vitrinen noch mehr in den Vordergrund. Auf den ersten Blick konnte ich verschiedene Kelche und kleine Skulpturen erkennen, die meisten von ihnen aus Gold und reich verziert. Ich bog nach links ab und kam hinter einer etwas abseits liegenden Vitrine zum Stehen. Von hier aus konnte ich den Rest des Raumes gut überblicken, während ich selbst mehr oder weniger verborgen war.
Den Museumsbesuchern blieb verborgen, dass in diesem Raum gerade vor ihren Augen ein Zauber gewirkt wurde. Was vermutlich auch besser war. Nur dank meiner Wahrnehmung sah ich den Spürzauber, doch ich wusste trotzdem nicht, was genau dieser tat. Dafür konnte ich erkennen, woher er kam. Zwei Männer standen etwas abseits am anderen Ende des Raums, leicht über eine Vitrine gebeugt und mit dem Rücken zu den anderen Besuchern. Dadurch versuchten sie, ihre Hände abzuschirmen, doch ich konnte trotzdem erkennen, dass einer von ihnen einen dünnen geriffelten Metallstab hielt.
Ich wusste nicht, wer die beiden Magier vor mir waren, doch ich tippte im Zweifelsfall auf Agenten der Organisation. Ich war mir aber in jedem Fall relativ sicher, dass sie aus dem gleichen Grund hier sein mussten wie ich – alles andere wäre ein sehr großer Zufall gewesen.
Spürzauber sind relativ vielseitig. Man kann mit ihnen über weite Entfernungen Menschen, Gegenstände und generell fast alles aufspüren. Sie können auf viele verschiedene Arten funktionieren, doch sie alle haben ein Problem: Um einen Spürzauber effektiv wirken zu können, muss man genau wissen, wonach man sucht. Im besten Fall sollte man der Person oder dem Gegenstand schon einmal begegnet sein, sonst erzielt man so gut wie nie ein Ergebnis.
Die Tatsache, dass die beiden Magier es nun mit einem solchen Spürzauber versuchten, deutete also darauf hin, dass sie bei ihrer Suche erstens bisher noch nicht sonderlich erfolgreich gewesen waren und zweitens langsam zu verzweifelten Mitteln griffen. Gut, dachte ich, wenigstens bin ich nicht der Einzige, der nicht weiß, was er tun soll.
Ich beobachtete die beiden Männer genauer. Einer von ihnen war groß und hatte hellbraune, dichte Haare, die in diesem Moment etwas zerzaust aussahen. Der andere war etwas kleiner. Er hatte schwarze Haare und war auch sonst komplett in schwarz gekleidet. Ich schätze beide auf Mitte dreißig, doch da sie mir den Rücken zuwandten, war das schwer einzuschätzen.
Langsam schlenderte ich zur nächsten Vitrine und tat so, als würde ich mich brennend für deren Inhalt interessieren. Nun, da ich die beiden Magier gefunden hatte, blieb die Frage, was ich jetzt tun sollte. Ich war mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob ich hier viel herausfinden konnte, wenn die Organisation es inzwischen mit Spürzaubern versuchen musste.
Und selbst wenn, wie realistisch war es, dass ich ihnen im Erfolgsfall zuvorkommen konnte? Es wäre für mich nahezu unmöglich, zwei Magier im Kampf zu überwältigen, von möglichen Verbündeten der beiden ganz abgesehen. Wie genau sollte ich ihnen dann das Amulett abnehmen?
Der Gedanke an Verbündete beunruhigte mich. Rubisco hatte zudem angedeutet, dass ihre Leute die Agenten der Organisation seit Tagen beobachteten. Wenn sie das konnten, konnten es auch andere. Und in diesem Fall war es wohl nicht allzu schlau, mich länger hier aufzuhalten. Dank der Prophezeiung war ich in dieser Angelegenheit kein Unbekannter mehr – wenn mich jemand erkannte, hätte ich ein Problem.
Vorsichtig ließ ich den Blick durch den Raum schweifen. An einem regnerischen Herbsttag wie heute war das Museum voll mit Touristen, die sich von Vitrine zu Vitrine drängten. Auf den ersten Blick konnte ich niemanden erkennen, der sich verdächtig verhielt. Trotzdem…
Vielleicht sollte ich lieber abhauen, so lange ich noch konnte.
Aber das Museum selbst in stundenlanger Arbeit abzusuchen, ohne ernsthafte Aussichten auf Erfolg, klang auch nicht besser. Ich seufzte und meine Wut auf Rubisco stieg erneut an. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, mich auf eine Mission zu schicken, ohne mir zu erklären, was genau ich tun musste?
Ich schlenderte weiter in den nächsten Ausstellungsraum, um nicht zu sehr aufzufallen. Nun, da ich wusste, wer den Spürzauber wirkte, konnte ich die beiden Magier mit meiner Wahrnehmung auch problemlos durch die Wände beobachten. Das war praktisch, denn ich wusste, dass ich irgendwann auffallen würde, je länger ich im gleichen Raum blieb wie sie. Vor allem, da es nicht unwahrscheinlich war, dass zumindest einer der beiden Männer kein Elementarmagier, sondern so wie ich ein Sinnesmagier war.
Wenn ich so darüber nachdachte, war das sogar sehr wahrscheinlich. Elementarmagier sind zwar sehr gefährlich im Kampf, dafür aber umso schlechter im Finden von versteckten magischen Gegenständen.
Ich beobachtete die beiden mutmaßlichen Organisationsagenten für eine Weile. Sie experimentierten weiter mit dem Spürzauber herum, doch ihr Vorgehen wirkte nicht sehr zielführend auf mich.
Ich wollte mich gerade abwenden, als eine Bewegung der Magier im Raum nebenan meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Einer von ihnen hielt seine Hand an sein Ohr, als würde er einen Kommunikator aktivieren. Eine Weile hielt er still, dann nickte er und sagte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Ich überlegte gerade, ob ich es riskieren sollte, mich den beiden erneut zu nähern, als sie sich plötzlich umdrehten und in Richtung des Raumes gingen, in dem ich mich gerade befand.
Schnell wechselte ich meinen Standort und stellte mich in die Nähe des Durchgangs zum nächsten Ausstellungsraum, um im Notfall schnell entwischen zu können. Dann wartete ich ab.
Ich sah, wie die Magier den Raum betraten. Sie bewegten sich betont lässig, doch dank meiner magischen Sinne konnte ich erkennen, dass die Muskeln der beiden angespannt waren. Ihren Blick hielten sie starr auf den Durchgang neben mir gerichtet, sie sahen sich nicht einmal im Raum um. Das kam mir seltsam vor, es wirkte als wollten sie…
Verdammt! Die Magier hatten bereits den halben Raum durchquert, als ich begriff, was passieren würde. Ich drehte mich um und ging zügig durch den Durchgang in den nächsten Raum. Genau in diesem Moment sah ich, wie mir einer der beiden einen aufmerksamen Blick zuwarf. Dies reichte aus, um meine Vermutung zu bestätigen, und ich beeilte mich, möglichst viel Abstand zwischen mich und die Magier zu bringen.
Leider war dies schwierig, immer wieder versperrten mir Menschen den Weg und so musste ich regelmäßig irgendwelchen Besuchergruppen ausweichen.
Mit meiner Wahrnehmung sah ich, dass die beiden mir folgten. Genau wie ich rannten sie nicht, doch sie waren merklich schneller und zielstrebiger geworden. Wer auch immer gerade mit ihnen geredet hatte, hatte sie wohl auf mich aufmerksam gemacht. In meinem Kopf ging ich Ideen durch, wie ich die beiden hier drinnen loswerden konnte, doch ich fand keine guten.
Das Museum war relativ geradlinig aufgebaut. Ein Ausstellungssaal reihte sich an den nächsten. Gelegentlich bog der Rundgang um die Ecke oder es gab einen Durchgang in einen Nebenraum, doch ansonsten hatte ich nicht viele Möglichkeiten, hier jemanden abzuschütteln. Mich zu verstecken war auch keine Option, denn wenn einer der beiden ein Sinnesmagier war, würde er mich sofort aufspüren. Ich hasse es, wenn meine eigene Magie sich gegen mich wendet.
Der Weg machte einen Knick, als ich eine der Ecken des Gebäudes erreichte und ich bog nach links ab. Ich hatte mir den Lageplan des Museums zuvor gut eingeprägt, deswegen wusste ich, dass dieser Weg durch eine Reihe nebeneinanderliegender Ausstellungsräume geradewegs zurück zum Eingang führte. Von jedem dieser einzelnen Räume zweigte außerdem ein weiterer Durchgang in eine Reihe kleinerer Nebenräume ab, die parallel zu den großen Ausstellungsräumen lagen.
Gegen einen einzelnen Verfolger hätte ich versuchen können, diese Nebenräume zu nutzen, um ihn über irgendwelche Tricks oder Laufmanöver abzuschütteln, doch gegen zwei Leute würde das nicht funktionieren. Sie könnten sich einfach aufteilen und mich einkesseln, und dann hätte ich ein Problem. Verzweifelt suchte ich nach einer Lösung, doch mir fiel keine bessere ein als einfach weiterzulaufen. Das einzig Gute war, dass die mutmaßlichen Organisationsagenten aufgrund der vielen Zuschauer nicht versuchten, mich mit Magie zu stoppen. Noch nicht.
Es gelang mir, die Magier einigermaßen auf Abstand zu halten, doch ich konnte sie auch nicht abschütteln. Während ich lief, kam mir plötzlich ein unangenehmer Gedanke: Wenn jemand die beiden vorhin auf mich aufmerksam gemacht hatte, bedeutete das zwangsläufig, dass sie in diesem Museum mindestens einen Verbündeten haben mussten. Wenn ich in so einer Situation wäre, würde ich es so arrangieren, dass meine Verbündeten von der anderen Seite kamen, um dem Verfolgten irgendwann den Weg abzuschneiden. Nicht gut – langsam stieg eine leise Panik in mir auf.
Okay, Zeit für einen kleinen Trick. Wie in jedem Museum gab es auch hier in regelmäßigen Abständen Security-Mitarbeiter, um die Kunstwerke zu bewachen. So auch am Ende des Raums, durch den ich gerade lief. Bisher hatte ich versucht, nicht auch noch deren Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, doch diesmal war es an der Zeit für eine andere Taktik.
Ich lief auf den Security-Mann zu. Er war ungefähr doppelt so breit wie ich und mindestens zwei Meter groß, was ihn ziemlich einschüchternd wirken ließ. „Helfen Sie mir, diese beiden Typen verfolgen mich!“ rief ich laut, sobald ich nahe genug war.
Der Mann sah mich fragend an, für einen kurzen Augenblick wirkte er überrascht. Dann schweifte sein Blick zu meinen beiden Verfolgern, die wohl noch nicht realisiert hatten, was ich plante. Bevor der Mann mich aufhalten konnte, war ich an ihm vorbeigehuscht.
Mein Plan schien aufzugehen. Der Security-Mitarbeiter baute sich vor den beiden Magiern auf und zwang sie dazu, stehenzubleiben. Das würde sie natürlich nicht aufhalten, doch es würde mir Zeit verschaffen. Zufrieden lächelte ich.
Ich bog nach links in einen der Nebenräume, dann lief ich zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war. Mit diesem Manöver umrundete ich meine beiden Verfolger. Sie würden es mit ziemlicher Sicherheit bemerken – wenn einer der beiden ein Sinnesmagier war, konnte er mich einfach mit seiner Wahrnehmung verfolgen – doch immerhin würde mir jetzt niemand mehr den Weg abschneiden können. Hoffentlich.
Ich eilte durch die Gänge des Museums, weg von den beiden Magiern und zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war. Am Rande meiner Wahrnehmung konnte ich spüren, dass sie mich wieder verfolgten – offensichtlich hatten sie den Security-Mann abschütteln können. Sie waren nun allerdings deutlich weiter von mir entfernt.
Trotzdem würden sie mich hier drinnen früher oder später in die Finger bekommen. Ich konnte mich nicht verstecken, da sie mich dann mit ihrer Magie aufspüren würden. Ich konnte nicht dauerhaft weglaufen, dafür war das Gebäude zu begrenzt und meine Verfolger zu sehr in der Überzahl. Und ich konnte sie auch nicht bekämpfen – erstens gab es zu viele Zuschauer und zweitens wäre ich sowieso unterlegen.
Ich konnte nur hoffen, dass es sich bei den beiden wirklich um Agenten der Organisation handelte. Dann würden sie mich wenigstens nicht umbringen oder in der Öffentlichkeit mit irgendwelchen Zaubern bekämpfen.
Ich lief weiter. Die besten Chancen hatte ich vermutlich, wenn ich es irgendwie aus diesem Gebäude herausschaffte. Meine Augen suchten nach einer versteckten Seitentür mit einem erlösenden grünen Schild – da. Ein Notausgang. Ihn zu benutzen würde vermutlich irgendwo einen Alarm auslösen, aber ehrlich gesagt hatte ich in diesem Moment größere Probleme. Ich steuerte gerade auf die Tür zu, als sich diese plötzlich von selbst einen Spalt weit öffnete. Erschrocken zuckte ich zurück.
„Psst. Alexander Falkenstein?“ sprach jemand hinter der Tür und winkte mir unauffällig zu. „Komm, hier entlang!“ Ich war kurz verwirrt und mein Instinkt sagte mir, niemandem zu vertrauen, doch da meine anderen Optionen nicht wirklich besser waren, lief ich weiter und schlüpfte durch die Tür hindurch.
Ich stand in einem Treppenhaus. Der Kontrast zu den prunkvollen Museumssälen war dabei gewaltig. Die Wände waren in einem schlichten weiß gestrichen und nur die grüne „Notausgang“-Beschilderung sorgte für etwas Farbe. Die Tür schloss sich mit einem lauten Klacken und ich musterte die Person, die vor mir stand.
Es handelte sich um eine Frau um die Fünfzig. Sie trug eine Brille, doch trotzdem stachen ihre leuchtend grünen Augen sofort hervor. Sie hatte kurz geschnittenes, sandfarbenes Haar und trug einen dicken grauen Strickpullover. Alles in allem wirkte sie sofort sympathisch auf mich, doch das Äußere sagt in der magischen Welt bekanntlich nicht viel aus.
Stumm musterten wir uns für eine Weile. Die Frau lächelte leicht, was noch mehr zu ihrem gemütlichen Aussehen beitrug. „Wer sind Sie?“ fragte ich schließlich.
„Mein Name ist Sigrid Schneider.“ Ihre Stimme klang etwas rau, hatte aber trotzdem einen beruhigenden Klang. Ich wartete, doch sie machte keinerlei Anzeichen, noch mehr zu sagen.
„Gut, meinen Namen scheinen Sie ja schon zu kennen.“ sagte ich stattdessen. „Woher eigentlich?“ Es klang nach einer ziemlich dummen Frage nach allem, was passiert war, doch ihr plötzliches Auftreten hatte mich etwas aus der Bahn geworfen.
„Nun, du hast in den letzten Tagen für einiges an Aufsehen gesorgt.“ antwortete Frau Schneider geduldig. Ich wollte bereits etwas erwidern, doch sie brachte mich mit einer knappen Handbewegung zum Schweigen und sprach weiter. „Ich weiß, ich weiß, all das ist nicht deine Schuld. Aber wie du sicherlich weißt, wurdest du in einer sehr wichtigen Prophezeiung erwähnt – du kannst also davon ausgehen, dass sehr viele Magier inzwischen deinen Namen kennen.“
Sie lächelte wieder, dann wurde ihre Miene schlagartig ernst. „Was uns zum nächsten Punkt bringt.“ fuhr sie fort. „Du bist vorläufig festgenommen!“
Ich sah Frau Schneider einen Augenblick entgeistert an, doch eigentlich hätte ich mit so etwas rechnen müssen, als ich durch diese verdammte Tür getreten war. Vermutlich sollte ich froh sein, dass sie mich nur festnehmen und nicht umbringen wollte. Trotzdem…
„Ich gehe davon aus, Sie arbeiten für die Organisation?“ wollte ich wissen.
Jetzt lächelte sie wieder. „Ganz richtig erkannt. Und nebenbei bemerkt kannst du froh darüber sein. Ich bin mir sicher, dass manch andere Partei nicht so nett zu dir gewesen wäre.“
Ich nickte stumm. „Gehören die beiden Magier mit dem Spürzauber auch zu euch?“ fragte ich, während ich angestrengt überlegte, wie ich aus dieser Nummer wieder herauskommen wollte.
Frau Schneider beantwortete meine Frage mit einem Nicken. „Zwei sehr fähige Magier. Leider offensichtlich nicht fähig genug, um dich zu fangen, aber nun, jeder hat andere Stärken.“
„Ich merke es…“ antwortete ich. „Warum genau bin ich nochmal festgenommen?“
Frau Schneider musterte mich mit amüsierter Miene. „Nun“ sagte sie seelenruhig, „ich bin mir sicher, dass wir mit etwas Überlegen einen guten Grund finden, falls du den unbedingt brauchst. Aber eigentlich ist es auch gar nicht so wichtig, denn die Organisation ist niemandem Rechenschaft schuldig. Wir möchten nicht, dass du in dieser Angelegenheit andere Vereinigungen unterstützt, deswegen nehmen wir dich hiermit fest und zwingen dich einfach dazu, für uns zu arbeiten. So einfach ist das.“
Ich starrte Frau Schneider eine Weile ungläubig an und überlegte, ob sie das ernst meinte. Doch wenn ich so darüber nachdachte, ergab es Sinn. In der magischen Welt gibt es nicht viele Regeln. Wer stärker ist, hat Recht. Die Organisation mochte den Regierungen unterstellt sein, doch das bedeutete nicht, dass Magier sie deswegen respektieren würden. Die einzige Möglichkeit für die Organisation, Autorität in der magischen Gesellschaft zu bekommen, war es, stärker als alle anderen zu sein. Und an diesem Punkt musste sie auch nicht mehr darauf achten, ob sie gerade ihre eigenen Regeln verletzte oder nicht. Wenn Frau Schneider mich im Auftrag der Organisation festnehmen wollte, dann konnte sie das tun, egal wie brav ich gewesen war. Die einzige Möglichkeit, dem zu entgehen…
„Was ist nun?“ unterbrach Frau Schneider meine Gedanken. „Ich möchte dich ungern hetzen, aber wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Kommst du freiwillig mit?“ Oder muss ich dich dazu zwingen? war die unausgesprochene Botschaft in ihren Worten.
Ich dachte noch einen Moment nach, dann traf ich meine Entscheidung. Als ich sprach, war mein Tonfall plötzlich anders – härter, selbstbewusster.
„Ich würde es bevorzugen, wenn wir das bleiben lassen.“ sagte ich ruhig und blickte Frau Schneider dabei entschlossen an. Für einen kurzen Moment sah ich Überraschung in ihren Augen aufblitzen, dann fing sie sich wieder.
„Komm schon, Falkenstein.“ Sie klang immer noch geduldig, doch ihre Stimme hatte nun einen neuen Unterton, der zuvor nicht dort gewesen war. Angespannt irgendwie. „Was willst du machen? Dir wird nichts passieren, wenn du für uns arbeitest, doch ich werde dich jetzt sicher nicht gehen lassen. Ich verabscheue Gewalt, doch wenn du es auf einen Kampf auslegen willst, dann sollst du den meinetwegen bekommen. Solange du hinterher noch in der Verfassung bist, für uns zu arbeiten, ist mir das egal.“ Frau Schneider blickte mir einschüchternd in die Augen, dann sprach sie weiter. „Und mal ehrlich, wir wissen beide ziemlich gut, was dein Magietyp ist, nicht wahr? Sinnesmagier haben zweifelsohne ihre Stärken, doch der Kampf gehört nicht dazu.“ Bei diesen Worten lächelte sie leicht überlegen, und ich dachte eine Weile über ihre Worte nach.
Ja, ich war Elementarmagiern im Kampf weit unterlegen, doch das galt nicht für andere Sinnesmagier. Ich musterte Frau Schneider. Sie wirkte nicht gefährlich, nicht wie eine Kämpferin. Das alleine hatte nicht viel zu bedeuten, doch es gab zu viele Punkte, die dagegensprachen, dass Sie eine Elementarmagierin war. Die Art, wie sie mich gefunden hatte beispielsweise. Für einen Sinnesmagier wie mich wäre es ein leichtes gewesen, die Tür genau im richtigen Moment zu öffnen. Aber für einen Elementarmagier? Ohne technische Hilfsmittel wäre das auf bloßes Raten hinausgelaufen.
Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir, dass Frau Schneider eine Sinnesmagierin sein musste und nur bluffte. Ich wollte lieber nicht darüber nachdenken, was passieren würde, wenn ich mich täuschte, doch die Chancen standen nicht schlecht für mich.
Ich lächelte siegesgewiss. „Tut mir wirklich leid, Sie enttäuschen zu müssen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir das hier friedlich lösen können, aber ich habe nicht vor, mich verhaften zu lassen. Und wenn Sie mich nicht gehen lassen…“ Ich zog eine kleine Glasmurmel aus meiner Tasche und warf sie in Frau Schneiders Richtung. Mit meiner Wahrnehmung konnte ich den Zauber darin spüren, und die Tatsache, dass Frau Schneider sich augenblicklich zurückwarf sprach dafür, dass es ihr genauso ging. Die Murmel traf zwischen uns auf dem Boden auf und explodierte in einem Feuerwall.
Ich hatte den magischen Gegenstand so geworfen, dass er Frau Schneider nicht schaden konnte, solange sie sich rechtzeitig zurückzog, doch ich hatte sie überrascht und war dadurch kurzzeitig im Vorteil. Das Feuer schuf für den Moment eine undurchdringliche Barriere zwischen uns, und ich drehte mich um und eilte die Treppen hinunter. Ich hatte kein Interesse an einem Kampf mit Frau Schneider, ich wollte einfach nur entkommen. Die Wirkung der Feuermurmel würde nur für kurze Zeit anhalten, doch bis dahin wäre ich schon außerhalb ihrer Reichweite.
„Bleib verdammt noch mal stehen, Falkenstein!“ hörte ich Frau Schneider von oben wütend rufen, als ich das Ende der Treppe erreichte. Vor mir lag eine weitere Tür. Ich öffnete sie und trat ins Freie.
Regen empfing mich – er war inzwischen deutlich stärker geworden, doch wirkliche Beachtung schenkte ich dem nicht. Ich stand im Innenhof des Museums, hohe Wände schlossen sich zu allen vier Seiten um mich. Ich brauchte einen Augenblick, um mich zu orientieren, dann entdeckte ich am Ende des Innenhofs einen Durchgang, der auf die Straße hinausführte.
Dank meiner Wahrnehmung konnte ich erkennen, dass Frau Schneider in diesem Moment die Stufen des Treppenhauses hinabeilte, dicht gefolgt von den beiden anderen Organisationsagenten, die mich zuvor verfolgt hatten. Bis sie im Innenhof ankommen würden, hatte ich jedoch noch ein wenig Zeit.
Ich eilte durch den Durchgang und stand nun auf der Wiener Ringstraße. Ich sah eine Trambahn, die auf meiner Straßenseite angefahren kam. Das würde funktionieren. Schnell rannte ich auf die Haltestelle zu, die direkt neben dem Museum lag. Ich erreichte sie gleichzeitig mit der Trambahn, und als sich die Türen öffneten, stieg ich ein.
Fünfzig Meter entfernt sah ich meine drei Verfolger aus dem Innenhof des Museums treten. Sie wussten genau, wo ich war, denn sie liefen zielstrebig in Richtung der Haltestelle. Wirklich viel half ihnen das aber nicht, denn die Türen der Straßenbahn schlossen sich bereits mit einem lauten Piepen. Frau Schneider konnte mir nur noch wütend hinterherblicken, als die Bahn abfuhr.
Für den Moment hatte ich die drei abgehängt, trotzdem blieb ich angespannt. Ich war noch nicht außer Gefahr – eine Straßenbahn zu Fuß zu verfolgen ist schwierig, aber sicherlich nicht unmöglich.
Ein Plan setzte sich in meinem Kopf zusammen, als die Trambahn an der Oper vorbeifuhr. Ich stieg aus, eilte die Treppen zur U-Bahn hinab und war verschwunden.
Drei Linien fuhren von hier in fünf verschiedene Richtungen. Selbst wenn es der Organisation gelungen war, mich zu Fuß zu verfolgen – an dieser Stelle wäre damit Schluss. Ich stieg in den erstbesten Zug, fuhr damit einige Stationen, dann stieg ich in eine andere Linie um. Selbst der beste Sinnesmagier würde mir so nicht mehr folgen können.
Nach fünf weiteren Haltestellen stieg ich aus, verließ den Bahnhof und folgte der erstbesten Straße. An der nächsten Kreuzung bog ich rechts ab, an der darauffolgenden links. Dieses Spiel wiederholte ich noch drei Mal, dann setze ich mich in ein Café, an dem ich zufällig vorbeikam. Erst jetzt wich die Anspannung etwas aus mir und ich atmete tief durch.
Inzwischen war es dunkel geworden, und die Reflexionen der Autoscheinwerfer spiegelten sich in den Pfützen auf der Straße draußen vor dem Café. Eine Kellnerin kam vorbei und nahm meine Bestellung auf. Ich wartete, bis ich meinen Tee erhalten hatte und sie außer Hörweite war, bevor ich mein Handy aus der Tasche zog und Rubisco kontaktierte.
Die Nummer, die ich wählte, hatte sich in dem Briefumschlag befunden, den Rubisco mir am Vormittag während unseres Treffens in Salzburg gegeben hatte – versehen mit dem Hinweis, sie bitte nur in Notfällen zu benutzen. Ich entschied, dass es sich hierbei um einen solchen handelte.
Rubisco nahm nach dem zweiten Klingeln ab. Ihre Stimme klang wachsam. „Ja bitte?“
Ich bemühte mich nicht, meine Frustration zu verbergen. „Hier ist dein Agent. Du weißt schon, der mit der unlösbaren Mission, dem du so gut wie alle wichtigen Informationen vorenthalten hast.“ Ich sprach leise – hauptsächlich, damit ich nicht so einfach belauscht werden konnte – doch als netten Nebeneffekt verlieh es meiner Stimme einen leicht bedrohlichen Klang.
Rubisco schien sich trotzdem zu entspannen, als sie meine Stimme erkannte. Offensichtlich sah sie mich nicht als Bedrohung an. „Aah, Falkenstein.“ sagte sie im freundlichen Plauderton. „Wie schön, dass du dich meldest. Bist du gut angekommen? Wie ist das Wetter in Wien?“
„Witzig, wirklich sehr witzig.“ antwortete ich und musste einmal kurz durchatmen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. „Weißt du, wie lange ich es im Museum ausgehalten habe, bevor ich entdeckt wurde? Nicht mal eine halbe Stunde. Danach hat wohl so ziemlich jeder Agent der Organisation dort Jagd auf mich gemacht. Bevor du fragst: Ja, ich habe es mehr oder weniger problemlos nach draußen geschafft, aber was denkst du, wie groß meine Erfolgschancen sind, wenn ich mich ein zweites Mal dort blicken lasse?“ In mir hatte sich eine gewisse Wut aufgestaut, und die schleuderte ich Rubisco nun mit meinen Worten entgegen.
Rubisco schwieg einige Sekunden, bevor sie sprach. „Unsere Leute haben mir davon berichtet, ja.“ sagte sie schließlich. „Ich denke zwar, dass du etwas übertreibst – drei Personen sind bei weitem nicht alle Agenten, die die Organisation im Museum stationiert hat – aber ich Stimme deiner grundsätzlichen Analyse des Problems zu. Beim ersten Mal hattest du noch einen leichten Vorteil, weil die meisten Leute nicht wussten, wie du wirklich aussiehst, aber wenn du das Museum erneut betreten willst, könnte das problematische Folgen mit sich ziehen.“
Ich überhörte die Tatsache einfach, dass Rubisco bereits mitbekommen hatte, was passiert war, und es trotzdem nicht für nötig befunden hatte, mich zu kontaktieren. Es würde nichts bringen, mit ihr darüber zu streiten. „Und welche alternative Vorgehensweise schlägst du jetzt vor?“ fragte ich stattdessen.
„Nun, wir haben uns bereits einige mögliche Notfallpläne überlegt, aber ehrlich gesagt bin ich neugierig, was dein Vorschlag wäre.“ antwortete Rubisco zu meiner Überraschung. Bisher hatte sie nie so gewirkt, als wäre ihr meine Meinung wichtig, solange ich tat, was sie befahl. Woher also dieser Sinneswandel? Hatte sie meine Flucht aus dem Museum beeindruckt oder war sie nur einfach verzweifelt auf der Suche nach neuen Ideen?
Ich überlegte einen Augenblick, doch wenn ich ehrlich war, hatte sich der logischste Plan schon vor einigen Minuten in meinem Kopf aufgebaut. Nun sprach ich ihn laut aus. „Ich habe mir da etwas überlegt…“ begann ich. „Die Organisation möchte diesen Gegenstand – um was auch immer es sich nun handelt – haben. Du möchtest ihn haben. Du möchtest, dass ich ihn für dich finde. Die Organisation möchte mich dazu zwingen, ihn für sie zu finden. Die Ressourcen der Organisation sind auf Dauer zu groß, um effektiv gegen Sie zu arbeiten. Warum also nicht das alles nutzen und mit der Organisation zusammenarbeiten?“ Ich verstummte kurz, damit Rubisco diesem Grundgedanken folgen konnte.
„Nun“ sagte sie, „soweit klingt das ja einleuchtend. Zwei Kritikpunkte: Erstens wird die Organisation niemals mit uns zusammenarbeiten und zweitens würden wir niemals mit der Organisation zusammenarbeiten. Stell dir alleine mal den Streit darum vor, wer am Ende das Objekt bekommt.“
„Ich bin ja auch noch nicht fertig.“ erwiderte ich genervt. „Vielleicht sollte man es nicht als Zusammenarbeit bezeichnen. Um es klarer zu formulieren: Wir nutzen die Ressourcen der Organisation aus. Sobald ich versuche, nochmal einen Fuß in das Museum zu setzen, werden sie mich festnehmen und dazu zwingen, für die Organisation zu arbeiten. Und diesmal werde ich nicht versuchen, dem zu entgehen, und stattdessen genau das tun. Ich werde mit der Organisation zusammenarbeiten und gemeinsam stehen unsere Chancen, dieses Ding zu finden, deutlich besser. Sie werden glauben, dass sie mich unter ihrer Kontrolle haben, aber am Ende gebe ich deinen Leuten Bescheid. Diese kommen vorbei, überwältigen die Organisations-Agenten, schnappen sich das Objekt und alle werden glücklich. Oder besser gesagt: Du wirst glücklich. Wie klingt das für dich?“
Rubisco schwieg. Gespannt wartete ich auf ihre Antwort. Der Plan barg einige Risiken – vor allem für mich. Die größte Gefahr war, dass ich zwischen Rubiscos Leute und die Agenten der Organisation geriet. Egal wie es ausging, mindestens eine der beiden Parteien wäre am Ende ziemlich wütend auf mich. Doch der Plan hatte auch seine Vorteile. Er würde die ganze Sache hoffentlich etwas beschleunigen und außerdem hoffte ich, dass ich über die Organisation endlich an einige der Informationen gelangen würde, die Rubisco mir vorenthielt.
„Der Plan klingt… durchaus verlockend…“ antwortete diese nach einer Weile. Ihre Stimme klang zögerlich, doch sie schien ernsthaft darüber nachzudenken. Viele andere Möglichkeiten hatte Rubisco sowieso nicht, wenn sie weiterhin darauf setzte, dass ich derjenige sein sollte, der diese Mission für sie ausführte. „Warum schlägst du ihn vor?“ fragte sie lauernd. „Du würdest dabei das größte Risiko eingehen.“
Eine gefährliche Frage. Rubisco war mit Sicherheit nicht entgangen, dass sich dieser Plan auch hervorragend dazu eignen würde, sie zu hintergehen. Meine Antwort auf ihre Frage sollte also besser überzeugend sein.
„Nun“ sagte ich, „Stand jetzt scheinen unsere Bemühungen etwas ins Stocken zu geraten. Mein Plan würde den ganzen Prozess deutlich beschleunigen. Ja, er ist gefährlich, aber ich wäre euch dafür auch umso schneller los. Das war der Deal – ich finde dieses Objekt für euch, und ihr lasst mich danach in Ruhe. Ich habe wirklich keine Lust, dass sich diese Sache länger hinzieht als nötig.“
Rubisco lachte. „Du überrascht mich, Falkenstein. Als so risikobereit hätte ich dich nicht eingeschätzt. Aber um ehrlich zu sein, sind wir auch schon zu dem Schluss gekommen, dass sich diese Herangehensweise anbieten würde. Nun, da du sie selbst vorgeschlagen hast, habe ich nicht mal mehr Bedenken, dich dazu zu zwingen.“
Ich grinste stumm vor mich hin. Mit so etwas hätte ich eigentlich rechnen können, doch diesmal spielte es mir wie der Zufall so wollte in die Karten.
Wir sprachen noch eine Weile und planten die Details. Ich sollte am nächsten Morgen ins Museum zurückkehren, und dort darauf warten, dass die Leute der Organisation mich bemerkten und erneut versuchten, mich in die Finger zu bekommen. Natürlich durfte ich dabei nicht zu offensichtlich vorgehen – es sollte sich am Ende so anfühlen, als hätten Frau Schneider und die anderen Agenten mich gegen meinen Willen überrumpelt – doch Rubisco meinte, sie würde dabei ganz auf meine schauspielerischen Fähigkeiten vertrauen. Die könnte ich in den nächsten Tagen tatsächlich öfter gebrauchen.
Am Ende hatte Rubisco mir zwar immer noch keine genaueren Informationen darüber gegeben, um was für einen mysteriösen Gegenstand es sich eigentlich handelte, doch nun, da ich mit der Organisation zusammenarbeiten musste, würde ich ja genug andere Leute fragen können. Zufriedener als zuvor legte ich auf und trank meinen Tee aus, während ich mich in Gedanken weiter mit dem Plan auseinandersetzte. Danach verließ ich das Café und begab mich auf die Suche nach einem Hotelzimmer. Morgen würde ein ereignisreicher Tag werden, und ich wollte dabei möglichst ausgeruht sein.
Wien-Wien
Der Maria-Theresien-Platz lag im Sonnenschein, als ich ihn am nächsten Morgen erreichte. Über Nacht hatte sich das Wetter wieder gebessert, und es versprach ein wundervoller Herbsttag zu werden. Irgendwie machte mich dies trotz aller Umstände fröhlich, und der Anblick der Prachtbauten entlang der Ringstraße verstärkte das Gefühl nur noch. Ich lief auf das Museum zu, kaufte mir erneut ein Ticket, und dann stand ich ein weiteres Mal in der runden Eingangshalle mit den prunkvollen Verzierungen.
Da ich schlecht hier warten konnte, bis ich entdeckt wurde, stieg ich schnell eine der von hier wegführenden Treppen hinauf und verschwand nach rechts in einer Ausstellung. Ich wollte den Organisationsagenten schließlich kein zu leichtes Ziel bieten, das würde sie nur stutzig machen.
Um diese Uhrzeit und bei dem tollen Wetter draußen war das Museum noch ziemlich leer. Ich konnte endlich in Ruhe die einzelnen Artefakte ansehen – wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich hier war, um mich planmäßig verhaften zu lassen, wäre es fast schön gewesen.
Ich schlenderte gerade durch die Ägyptisch-Orientalische Sammlung, als sich herausstellte, dass ich umstellt war. Durch meine Wahrnehmung hatte ich die sich nähernden Magier natürlich schon längst bemerkt, doch ich hatte mich bemüht, sie so nahe herankommen zu lassen wie möglich, bevor es zu offensichtlich wurde.
Diesmal hatte die Organisation wohl Verstärkung mitgebracht. Zwei bisher unbekannte Personen tauchten in meiner Wahrnehmung auf, die mit Frau Schneider und den anderen zusammenzuarbeiten schienen. Offensichtlich hatte man beschlossen, mich von nun an ernst zu nehmen.
Ich sah auf, als Frau Schneider den Saal betrat. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie die restlichen Agenten sich an den beiden anderen Ausgängen positionierten und mir so alle möglichen Fluchtwege abschnitten. Frau Schneider lächelte. Scheinbar nahm sie mir meine Aktion von gestern nicht allzu übel.
„Guten Morgen, Falkenstein.“ sagte sie und kam langsam auf mich zu. „Na, auch wieder hier?“
Ich erwiderte ihren Blick und lächelte ebenfalls. „Unglücklicherweise scheint kein Weg an diesem Museum vorbeizuführen. Ich hätte erwartet, dass Sie bei diesem Wetter lieber draußen etwas unternehmen würden.“
„Glaub mir, das würde ich liebend gerne tun, Wien ist wunderschön. Aber leider geht die Arbeit in diesem Fall vor.“ Frau Schneider musterte interessiert die Vitrine, die ich mir zuletzt angesehen hatte. In ihr war ein kleiner Schrein ausgestellt, der mit ägyptischen Schriftzeichen übersät war und in dessen Mitte eine kleine Statue in einer Art Ausbuchtung saß. „Hast du etwas gefunden, oder hast du nur versucht, dich vor uns zu verstecken?“
„Ich hatte gehofft, dass Sie mir das beantworten könnten, ich bin kein Kunstexperte.“ sagte ich. „Aber ehrlich gesagt bin ich nur hier, weil mich die Ägypter schon immer fasziniert haben.“
Frau Schneider nickte. „Ja, das dachte ich mir fast. Ich möchte deine kleine Besichtigungstour auch wirklich ungern unterbrechen, aber unglücklicherweise bin ich immer noch dazu angeordnet, dich bei Sichtkontakt festzunehmen.“ Ich merkte, wie sie sich anspannte. Selbst wenn ich es versuchen würde – der Trick von gestern würde bei ihr heute nicht mehr funktionieren.
Ich blieb jedoch ruhig. „Nun, das ist in der Tat unglücklich, vor allem, da der Sichtkontakt inzwischen wohl hergestellt wurde.“ Langsam drehte ich ihr den Rücken zu, schlenderte gemütlich zur nächsten Vitrine. Vor einem Feind wäre so etwas eigentlich ziemlich riskant (und dumm) gewesen, doch ich wusste, dass Frau Schneider mir nichts tun würde. Und dadurch wirkte es ziemlich lässig. „Kommen wir doch mal auf die Details zu sprechen.“ sagte ich. Frau Schneider musterte mich aufmerksam. „Angenommen, ich kooperiere und leiste keinen Widerstand – wie wahrscheinlich ist es, dass ich in irgendeiner Weise zu Schaden komme?“
Frau Schneider nickte bedächtig. „Eine ausgezeichnete Frage – warum hast du die nicht früher gestellt? Ich garantiere dir, dass die Organisation sehr besorgt um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter ist. Natürlich lassen sich gewisse Risiken nie ausschließen, doch von unserer Seite hast du nichts zu befürchten, solange du kooperierst.“
Ich lächelte. „Das klingt schön. Fast schon zu schön, um wahr zu sein.“ Ich hielt kurz inne, bevor ich weitersprach. „Sie wissen, dass mein aktueller Arbeitgeber ziemlich erbost wäre, sollte ich plötzlich das Team wechseln. Wie gut kann die Organisation mich vor möglichen Racheaktionen schützen?“
Frau Schneider wog nachdenklich ihren Kopf hin und her. „Wir wissen, für wen du arbeitst.“ sagte sie dann. „In der Tat sind das nicht die freundlichsten Leute. Solange du dich in unseren Kreisen bewegst, solltest du ziemlich gut geschützt sein, aber darüber hinaus…“
Ich nickte. „Ja, das dachte ich mir bereits. Sie verstehen meine Lage sicherlich. Ich habe nichts gegen Sie oder die Organisation, und mir ist es eigentlich ziemlich egal, wer das fragliche Objekt bekommt, aber ich hänge an meinem Leben. Und da Sie meine Auftraggeber zu kennen scheinen, können Sie sich vermutlich lebhaft vorstellen, wie deren Reaktion auf meinen Verrat aussehen würde.“
„Streng genommen verrätst du ja niemanden.“ erwiderte Frau Schneider. „Wir zwingen dich, und du hast gar keine andere Wahl. Ich sehe nicht, wieso deine Auftraggeber deswegen wütend werden sollten.“
„Ich glaube nicht, dass Rubisco das so sehen wird.“
„Nein, vermutlich nicht.“ seufzte Frau Schneider. „Hör zu, Falkenstein. Du bist umstellt, und du wirst diesen Raum nur mit uns gemeinsam verlassen – das steht außer Frage. Und eigentlich müsste uns deine Sicherheit auch nicht weiter kümmern. Weil wir aber eben nicht wie deine bisherigen Auftraggeber sind, verspreche ich dir, dass ich alles mir Mögliche tun werde, um dich optimal zu schützen. Okay?“
Ich dachte kurz darüber nach, dann nickte ich. „Das scheint mir ein akzeptables Angebot. Wollen Sie mir Handschellen anlegen oder können wir uns den Part mit dem Verhaften sparen?“
Frau Schneider lächelte kurz. „Ich denke, dass Handschellen gegen Magier wie dich sowieso nicht viel ausrichten würden, von dem her…“ Sie machte eine kurze Handbewegung und die vier anderen Agenten der Organisation gesellten sich zu uns. Ich erkannte die beiden Magier, die mich gestern durch das Museum verfolgt hatten – sie erwiderten meinen Blick ohne sichtbaren Groll.
Bei den beiden anderen Agenten handelte es sich um eine Frau und einen weiteren Mann. Die Frau schien ungefähr in meinem Alter zu sein, sie war groß, hatte dunkelbraune Haare und dunkle Augen. Sie musterte mich mit einem neugierigen Blick. Ihr Kollege war deutlich älter, ich schätzte ihn auf Mitte vierzig. Er trug einen kurzgetrimmten Bart, seine Haare schienen langsam zu ergrauen. Er lächelte mich freundlich an – damit war er hier allerdings der Einzige.
Die Agenten stellten sich im lockeren Halbkreis um uns und Frau Schneider richtete das Wort an sie. „Das hier ist Alex Falkenstein. Ich denke, ihr habt alle mitbekommen, aus welchem Grund er eine wichtige Rolle in dieser Angelegenheit spielt. Die gute Nachricht: Wir konnten ihn überzeugen, sich uns anzuschließen, und zwar beinahe freiwillig. Also seid nett zu ihm und heißt ihn freundlich in unserem Team willkommen.“
Begrüßungen wurden gemurmelt – manche klangen halbherzig, andere ernst gemeint, doch fast alle Mitglieder aus Frau Schneiders Team schienen sich noch nicht sicher zu sein, ob man mir wirklich trauen sollte. Was wohl eine gute Menschenkenntnis bewies.
Schließlich trat der ältere Magier, der mich bereits mit einem Lächeln begrüßt hatte, vor. „Ich bin Friedhelm Rabe. Ich bin nach Sigrid der zweite Leiter dieses Teams.“ Er wandte sich zur Seite, um mir die anderen drei Magier vorzustellen. „Das hier ist Felix.“ sagte er und zeigte auf den kleineren der beiden Magier von gestern. Ich musterte ihn genauer – das erste, was mir auffiel, waren seine strengen Gesichtszüge. Auch heute war er wieder komplett in schwarz gekleidet. Er nickte mir zu, sein Gesichtsausdruck emotionslos.
„Lukas ist sein Partner.“ fuhr Friedhelm fort und zeigte auf den anderen Magier, der offensichtlich regelmäßig mit Felix zusammenarbeitete. Auch ihn kannte ich bereits von gestern, doch aus der Nähe konnte ich erkennen, dass er jünger war, als ich angenommen hatte. Höchstens Anfang dreißig. Er erwiderte meinen Blick – seine Miene war dabei alles andere als emotionslos, doch wirklich deuten konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht. Irgendwie… distanziert. Und doch hatte ich das Gefühl, als würden seine eisblauen Augen mich durchbohren. Schnell sah ich weg und wandte mich stattdessen der noch unbekannten Magierin zu.
„Und das ist Marina.“ schloss Friedhelm die Vorstellungsrunde. „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und hoffe, dass sie erfolgreich für uns alle verlaufen wird.“
Ich lächelte. Friedhelm schien sehr herzlich und offen zu sein – etwas, das in der magischen Gesellschaft eher selten vorkam. Zu schade, dass ich ihn am Ende verraten musste. Die anderen Teammitglieder konnte ich hingegen noch nicht wirklich einschätzen.
„Freut mich.“ erwiderte ich schließlich. „Ich bin Alex.“
„Nun, ich bin wirklich glücklich darüber, dass wir uns nun alle so gut verstehen.“ meldete sich Frau Schneider wieder zu Wort. „Doch wir sollten bedenken, dass wir nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung haben. Und außerdem werden wir in diesem Moment mit ziemlicher Sicherheit von mindestens einer feindlichen Partei beobachtet. Ich schlage also vor, dass wir versuchen, ein etwas weniger leichtes Ziel abzugeben und uns danach wieder an die Arbeit machen.“
Das machte mich stutzig. „Sie wissen, dass Ihr Team beobachtet wird?“ fragte ich Frau Schneider.
Diese lächelte nur müde. „Das Problem mit der Organisation ist, dass sie nicht ganz so gut aus dem Schatten heraus agieren kann wie andere magische Vereinigungen. Ich habe bisher noch keine feindlichen Agenten in diesem Museum entdeckt, aber ich bin nicht ganz so naiv wie ich vielleicht aussehe. Und deine Wortwahl hat mir gerade bestätigt, dass mindestens Rubiscos Leute uns genau im Blick behalten.“
Ich nickte und Frau Schneider lächelte mir kurz zu. Dann klatschte sie kurz in die Hände. „Also, auf geht’s. Zurück in den Kommandoraum.“
„Kommandoraum?“ fragte ich überrascht, während die Magier um mich herum sich in Bewegung setzten.
„Lass dich überraschen.“ antwortete Friedhelm, der meine Frage als einziger gehört zu haben schien. Er zwinkerte mir zu und gesellte sich dann zu Frau Schneider an die Spitze der Gruppe.
Wie sich herausstellte, verfügte das Team der Organisation tatsächlich über einen eigenen Kommandoraum im Museum. Er lag abseits der für Besucher zugänglichen Bereiche und hätte auch als etwas zu groß geratene Abstellkammer durchgehen können, doch immerhin konnte man sich hier zurückziehen und war verborgen vor neugierigen Blicken.
„Du weißt ja, dass die Organisation einem Bündnis verschiedener europäischer Regierungen unterstellt ist. Die österreichische Regierung gehört ebenfalls dazu, und dieses Museum hier befindet sich zufällig in staatlicher Hand. Das macht vieles einfacher...“ erklärte mir Frau Schneider, als ich sie gefragt hatte, wie es ihr gelungen war, an diesen Raum zu gelangen.
Wir hatten uns auf Stühlen niedergelassen, die lose um einen Tisch herumstanden. Am Ende des Raums wurde über einen Beamer der Raumplan des Museums an die Wand projiziert. Frau Schneider stand daneben, während sie das Wort an ihr Team richtete. Zu diesem gehörten noch zwei weitere Agenten, die im Kommandoraum die Stellung gehalten hatten, während das restliche Team mit mir beschäftigt gewesen war – ein jüngerer Magier namens Erik mit roten Haaren und einem ansteckenden Lächeln, der normalerweise mit Marina zusammenarbeitete, sowie eine Magiern um die vierzig, die mir als Coleoptera vorgestellt wurde. Sie war klein und etwas stämmiger, doch sie wirkte ziemlich widerstandsfähig auf mich. Ich nahm mir vor, mich lieber nicht mit ihr anzulegen.
„Heute ist bereits der vierte Tag, den wir im Museum verbringen.“ erklärte Frau Schneider gerade. „In den letzten Tagen haben wir das gesamte Gebäude mit verschiedenen Methoden mindestens einmal abgesucht, doch gefunden haben wir nichts. Bis auf ein neues Teammitglied.“ Sie deutete auf mich und fuhr dann fort. „Ihr werdet von der Prophezeiung gehört haben, die die Organisation vor Beginn dieser Mission erhalten hat. Der genaue Wortlaut wurde von den Leitern der Organisation als geheim eingestuft, doch sie besagt, dass Magier Alexander Falkenstein die entscheidende Rolle in dieser Angelegenheit spielen wird. Viele magische Vereinigungen haben deswegen versucht, ihn entweder anzuwerben oder auszuschalten, doch unsere Informanten haben herausgefunden, dass eine Gruppierung namens Syndikat unter der Leitung von Magierin Julia Rubisco die meisten dieser Versuche frühzeitig verhindert hat.“
Ich horchte auf. Diese Information war mir neu. Also hatte mich Rubisco ohne mein Wissen mehrmals vor Angriffen geschützt, noch bevor ich sie überhaupt kennengelernt hatte.
Frau Schneider fuhr fort. „Rubisco hat Falkenstein anschließend dazu gebracht, für das Syndikat zu arbeiten. Sie hatte offensichtlich gehofft, diese Angelegenheit mit seiner Hilfe für sich entscheiden zu können. Wir alle wissen, welche Gefahren daraus resultieren könnten. Umso zufriedener bin ich damit, dass Alex ab sofort für unser Team arbeiten wird. Das bedeutet nicht nur eine enorme Schwächung des Gegners, sondern auch eine Stärkung für uns.“ Ich spürte, wie sämtliche Blicke zu mir wanderten. Manche waren freundlich, doch ich konnte auch einiges an Misstrauen erkennen.
„Mit Verlaub, Sigrid.“ meldete sich Lukas zu Wort. „Ich verstehe ja, dass Alex“ – bei diesen Worten warf er mir einen kurzen Seitenblick zu – „eine wichtige Rolle für uns spielen soll. Aber unabhängig davon habe ich trotzdem meine Bedenken, wie sicher es für uns ist, wenn wir ihm einfach so vertrauen. Es hat keine fünf Minuten gedauert, bis er sich dazu entschieden hat, das Syndikat zu verraten. Wer sagt uns, dass er so etwas nicht wieder tun würde?“ Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, dass einige Teammitglieder Lukas nickend zustimmten. Ich konnte es ihnen nicht verübeln, denn erstens lagen sie mit dieser Befürchtung richtig und zweitens schadete es nie, fremden Magiern grundsätzlich zu misstrauen. Ich blickte stur auf den Raumplan an der Wand und vermied es, den Blicken der anderen zu begegnen.
Frau Schneider seufzte, bevor sie antwortete. „Deine Bedenken sind notiert. Und unter anderen Umständen würde ich dir vermutlich zustimmen, doch das hier ist zu wichtig für uns. Vielleicht beruhigt es dich ja, dass Alex streng genommen unser Gefangener ist. Sein Handlungsspielraum dürfte dadurch ziemlich eingeschränkt sein.“
Lukas nickte, doch er wirkte nicht glücklich mit dieser Antwort. Ich versuchte, seinem Blick zu begegnen, doch er vermied es, nochmal in meine Richtung zu sehen. Frau Schneider blickte herausfordernd in die Runde, bevor sie fortfuhr, doch niemand schien mehr etwas zu diesem Thema sagen zu wollen. Vorerst.
„Weiter im Text. Ihr habt in den letzten Tagen vielleicht gemerkt, dass unsere Suchmethoden nicht besonders zielführend waren. Wir sind uns aufgrund der Informationslage ziemlich sicher, dass der fragliche Gegenstand irgendwo hier in diesem Gebäude zu finden sein muss, doch mehr wissen auch wir nicht. Die wichtigste Frage ist nun, wie wir weiter vorgehen wollen. Friedhelm und ich möchten uns darüber zuerst in Ruhe mit Alex austauschen – vielleicht hat er Informationen erhalten, über die wir nicht verfügen.“
Frau Schneider hielt kurz inne, um zu sehen, ob es Wiederworte gab, doch keiner der Anwesenden sagte etwas. „Gut“ fuhr sie fort, „Marina und Coleoptera, ihr seid für die Sicherheit dieses Raums zuständig. Lasst niemanden rein und auch niemanden raus.“ Bei diesen Worten warf sie mir einen warnenden Blick zu und ich lächelte beschwichtigend. „Die anderen werden in der Zwischenzeit wie geplant weiterhin das Museum absuchen, vielleicht finden sich ja doch noch neue Hinweise. Ich rufe euch, sobald wir fertig sind.“
Die Magier erhoben sich. Lukas warf mir auf dem Weg zur Tür einen missmutigen Blick zu, doch als er merkte, dass ich ihn beobachtete, schaute er schnell weg. Die anderen beachteten mich vorerst nicht weiter. Die Tür schloss sich und Frau Schneider, Friedhelm und ich waren alleine im Kommandoraum.
„Es tut mir leid, dass die anderen so abweisend sind.“ begann Friedhelm überraschenderweise. „Das hat nichts mit dir zu tun, sie sind nur einfach zu gute Agenten, um ihr Misstrauen ablegen zu können.“
Ich tat die Sache mit einer Handbewegung ab. Insgeheim hätte ich mich eher schlechter gefühlt, wenn alle freundlich zu mir gewesen wären. „Passt schon, ich kann das gut verstehen.“ Einen Moment schwieg ich. „Mich wundert eher, warum du mir überhaupt nicht zu misstrauen scheinst?“ traute ich mich dann zu fragen.
Friedhelm lachte. „Es gäbe genügend Gründe, das zu tun, nicht wahr?“ sagte er. „Aber die anderen misstrauen dir sowieso schon, welchen Nutzen hätte es also, wenn ich mich dem auch noch anschließen würde.“ Er lächelte kurz, dann fuhr er fort. „Ich glaube fest an dieses Sprichwort: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“
Ich musterte ihn eine Weile. Es war eine ungewöhnliche Herangehensweise für einen Magier, doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab sie. Und in gewisser Weise fühlte ich mich von Friedhelms letzten Worten ertappt. Er wäre sicherlich nicht allzu überrascht, wenn ich die Organisation am Ende verraten würde, doch seine Offenheit mir gegenüber würde mir dabei ein sehr schlechtes Gewissen bereiten.
Wollte ich das?
Ich schüttelte diese lästige Frage ab und konzentrierte mich lieber wieder auf den eigentlichen Grund dieses Gesprächs.
„Welche Informationen hat das Syndikat dir gegeben, bevor Rubisco dich hierhergeschickt hat?“ wollte Frau Schneider wissen.
„So gut wie keine.“ antwortete ich wahrheitsgemäß. „Sie hat mir nicht mal gesagt, um was für einen Gegenstand es sich überhaupt handelt – das sei streng geheim. Dass ich hier im Museum suchen soll, war die einzige Information, die ich bekommen habe. Etwas frustrierend insgesamt…“ Ich wusste, dass Frau Schneider sich mehr erhofft hatte, doch so wie es aussah, war eher sie diejenige, die mir einiges zu erklären hatte.
Wie nicht anders zu erwarten war, wirkte Frau Schneider enttäuscht – sie versuchte allerdings, es in ihrer Miene so gut wie möglich zu verbergen. „Gut“ sagte sie, „mir scheint, es ist an der Zeit, dich auf den aktuellen Stand zu bringen. Bevor du fragst – bei dem Gegenstand, um den es bei all dem hier geht, handelt es sich aller Vermutung nach um ein Amulett aus Gold, in das ein Amethyst eingearbeitet worden ist. Zumindest wurde es so in den meisten Dokumenten beschrieben. Da wir aber nicht einmal das mit Sicherheit sagen können, sind unsere Suchmethoden ziemlich vage. Das Amulett ist höchstwahrscheinlich antik, genauer gesagt römisch. Es scheint zu dieser Zeit von einem Magier namens Lucilius und dessen Zirkel geschaffen worden zu sein, doch das sind nur Mutmaßungen.“
Ich musterte Frau Schneider neugierig. „Und aus welchem Grund interessiert sich plötzlich so gut wie jeder Magier dafür?“
Frau Schneider schwieg kurz, bevor sie mit einer Gegenfrage antwortete. „Was weißt du über Geistzauber?“
Ich überlegte kurz. „Wenig.“ antwortete ich dann. „Ich weiß, dass es magische Gegenstände gibt, mit denen man verschiedene Effekte in diese Richtung erzielen kann. Man kann zum Beispiel versuchen, andere Menschen zu beeinflussen und durch einen Zauber fremdzusteuern, doch soweit ich weiß, funktioniert das nur sehr begrenzt und ziemlich unzuverlässig. Der Wille der meisten Leute ist in der Regel zu stark dafür, und bei anderen Magiern ist so eine Beeinflussung so gut wie unmöglich, da sie den dahinterliegenden Zauber schnell entlarven würden und sich dann noch viel leichter dagegen wehren könnten.“
Frau Schneider nickte kurz und ich fuhr fort. „Es gibt auch noch andere Arten von Geistzaubern. Man kann versuchen, die Gedanken eines anderen zu lesen. Oder man kann die eigene Wahrnehmung weiten, die Konzentration stärken, die Denkleistung kurzfristig steigern. All das ist theoretisch möglich, doch soweit ich weiß, funktioniert es praktisch nur sehr begrenzt. Trotz der Hilfe, die magische Gegenstände normalerweise bieten, sind diese speziellen Zauber ziemlich schwer zu wirken, und wenn man es doch schafft, sind die Ergebnisse in der Regel eher enttäuschend. Andere Menschen zu manipulieren funktioniert so gut wie nie, und auch bei den anderen Anwendungsmöglichkeiten sind die Erfolgsquoten eher gering. Ich bin zwar nicht sonderlich gut vernetzt, aber ich kenne keinen einzigen Magier, der Geistzauber aktiv nutzt.“
Frau Schneider nickte erneut. „Das ist richtig. Es gibt natürlich Ausnahmen, und es wird immer wieder von Magiern berichtet, die solche Zauber effektiv für sich nutzen können, doch all das bewegt sich in einem unbedenklichen Rahmen. Man könnte als Laie zwar leicht davon ausgehen, dass Zauber, die andere Menschen manipulieren können, sehr gefährlich sind, aber solange die Ergebnisse so unzuverlässig bleiben, gibt es in der magischen Welt deutlich Gefährlicheres.“ Frau Schneider verstummte und sah mich nun direkt an. Für einen kurzen Augenblick war ich verwirrt, doch dann begriff ich…
„Oh.“ sagte ich. „Darum geht es? Eine bisher unbekannte Möglichkeit, Geistzauber effektiv zu nutzen?“
„Es ist etwas komplexer, aber ja, im Prinzip geht es genau darum.“ erklärte Frau Schneider. „Mit dem Lucilius-Amulett kann ein Geistzauber gewirkt werden, und zwar auf einem ganz neuen Level. Verschiedene Quellen gehen davon aus, dass er mächtig genug wäre, um mehrere Menschen oder Magier gleichzeitig zu beeinflussen und wie Marionetten zu lenken – und das sind noch die eher verhaltenen Einschätzungen. Wenn dieses Ding auch nur über einen Bruchteil der Macht verfügt, von der wir ausgehen müssen, handelt es sich hierbei um eine immense Bedrohung für uns alle.“
Eine Weile war es still im Raum. Diese Information musste ich erst einmal verdauen. Kein Wunder, dass Rubisco mir nicht erzählen wollte, worum es ging. Vielleicht hatte sie gedacht, dass ich mich dann entweder geweigert hätte, ihr zu helfen, oder das Amulett einfach für mich selbst behalten würde.
Ich atmete einmal tief durch, bevor ich sprach. „Und aus welchem Grund hat die Organisation ein Interesse daran, das Amulett zu bekommen?“ fragte ich. „Wollt ihr es für eure Zwecke einsetzen, um andere Magier besser kontrollieren zu können?“
Frau Schneider warf mir einen scharfen Blick zu, so als wäre sie empört darüber, dass ich überhaupt auf diese Idee gekommen war. Doch in ihren Augen lag gleichzeitig ein gewisses Zögern verborgen – scheinbar war sie sich ihrer Sache selbst nicht ganz so sicher.
„Nein.“ sagte sie schließlich eine Spur zu bestimmt. „Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass die Leiter der Organisation nie darüber nachgedacht haben, den Geistzauber zu benutzen. Aber…“ sie stockte kurz, „man kam zu dem Schluss, dass er dafür zu gefährlich ist. Diese Macht könnte viel zu leicht missbraucht werden, und niemand möchte die Verantwortung dafür tragen, falls sie außer Kontrolle gerät.“ Ich sah, wie Friedhelm Frau Schneider einen skeptischen Blick zuwarf, den sie gekonnt ignorierte.
„Das Ziel der Organisation ist es, zu verhindern, dass eine andere Partei das Amulett für sich gewinnt.“ fuhr sie fort. „Und das gelingt am besten, wenn wir es selbst finden und irgendwo für immer wegsperren.“
Ich runzelte die Stirn. Keine Ahnung, ob Frau Schneider mir wirklich die Wahrheit sagte. Es klang zumindest plausibel. Und selbst wenn sie mich anlog – es wäre nicht mein Problem, falls der Geistzauber in falsche Hände geriet.
Oder?
Doch. Der Gedanke kam plötzlich, aber er war so klar wie selten. Aus irgendeinem Grund vertrauten zwei wichtige magische Vereinigungen darauf, dass ich einen mächtigen Gegenstand für sie finden würde, und sobald ich das tat, war ich verantwortlich für alles, was danach mit dem Amulett passieren würde.
Ich war mir nicht sicher, ob ich den Leuten der Organisation vertrauen konnte, wenn sie behaupteten, dass sie die Macht des Geistzaubers nicht missbrauchen würden. Doch eines wusste ich sicher – Rubisco würde das Amulett ohne jede Frage benutzen. Und ich war mir nicht sicher, ob mir ihre langfristigen Pläne damit gefallen würden.
Einmal mehr verfluchte ich mich dafür, dass ich so wenig über die Absichten der verschiedenen magischen Vereinigungen wusste.
Ich seufzte. Plötzlich fühlte sich das alles zu viel an. Ich sah zu Frau Schneider. Ihr Blick ruhte auf mir, sie schien geduldig darauf zu warten, dass ich meine Überlegungen beendet hatte. Friedhelm saß schweigend neben ihr und musterte konzentriert die Tischplatte.
Was sollte ich tun? Konnte ich überhaupt etwas tun?
Ich schob die Gedanken beiseite. Über moralische Probleme konnte ich immer noch nachdenken, wenn wir das Amulett wirklich finden würden. Was mich zu meiner nächsten Frage brachte.
„Wenn der Geistzauber so eine große Gefahr darstellt, warum lässt man ihn dann nicht einfach, wo er all die Jahre war – im Verborgenen? Warum suchen ausgerechnet jetzt alle danach?“ wollte ich wissen.
„Nun, zuerst einmal wussten wir bis vor kurzem nicht, dass er existiert.“ antwortete Frau Schneider. „Unabhängige Magier haben Hinweise über seine Existenz in bisher unbekannten historischen Dokumenten gefunden, die sie vor wenigen Wochen aus irgendeiner magischen Bibliothek gezogen haben. Unglücklicherweise verbreiteten sich die Informationen darüber zuerst in der magischen Gesellschaft, bevor sie bei der Organisation angelangten – es war zu diesem Zeitpunkt also bereits zu riskant, die Sache einfach zu belassen, denn wir wollten nicht, dass irgendjemand anderes dieses Amulett findet.“
Frau Schneider räusperte sich kurz und Friedhelm fuhr an ihrer Stelle fort, während er einen Papierstapel aus einer unscheinbaren Tasche hervorholte und vor sich auf dem Tisch ausbreitete. „In besagten Dokumenten, die wir den anderen Magiern nach einer kurzen… ähm… Diskussion abnehmen konnten, wurde berichtet, dass das Lucilius-Amulett gemeinsam mit verschiedenen anderen Gegenständen kurz vor dem Zerfall des römischen Reichs über Umwege in das heutige Österreich gebracht wurde. Warum das passiert ist wissen wir nicht, jedoch schienen auch damals nur wenige Leute von der verborgenen Macht des Amuletts zu wissen. Die meisten hielten es wohl für irgendein eher unbedeutendes Kunstwerk. Danach verliert sich die Spur des Amuletts ein wenig, doch laut unseren Recherchen ist es sehr wahrscheinlich, dass es irgendwann gemeinsam mit anderen römischen Artefakten gefunden wurde und daraufhin in den Bestand des Kunsthistorischen Museums überging. Nur deswegen sind wir überhaupt hier.“
„Ich verstehe.“ murmelte ich, während ich die Blätter auf dem Tisch musterte. Auf ihnen waren Fotos von handbeschriebenem, vergilbten Papier zu sehen. „Die Informationen sind zu vage, als dass die Organisation das Amulett einfach so finden und beschlagnahmen könnte. Aber sie sind gleichzeitig zu detailliert und zu weit verbreitet, als dass ihr die Sache einfach beruhen lassen könntet.“
Frau Schneider nickte. „So ist es.“
„Und was genau hat es dann mit dieser Prophezeiung auf sich?“ fragte ich. „Bis hierhin hat diese in der Geschichte ja noch keine Rolle gespielt, und doch bin ich nun hier und wurde in die Angelegenheit hineingezogen.“
„Die Informationen, die wir hatten, waren wie gesagt vage, und der Führung der Organisation war nicht wirklich wohl bei dem Gedanken, eine so wichtige Mission ohne konkreten Plan zu starten.“ begann Frau Schneider. „Ich weiß nicht, wie ausgeprägt dein Wissen über Orakel ist, doch drei Dinge über sie sind hierfür wichtig. Erstens, sie sind sehr mächtig. Zweitens, die Organisation hat ein eigenes Orakel tief im Keller ihres Hauptquartiers in München. Und drittens, Orakel sprechen immer in Rätseln, weswegen man sich wirklich nur dann an sie wendet, wenn man sehr verzweifelt ist.“
„Das scheint ja der Fall gewesen zu sein.“ meinte ich. „Also hat euer Orakel eine rätselhafte Antwort gegeben, in der aber trotzdem mein Name genannt wurde?“
Friedhelm lächelte. „Tja, warum das passiert ist, ist wohl ebenfalls ein Rätsel. Aber ja, es war der einzige eindeutige Part der Prophezeiung. Magier Alexander Falkenstein wird kommen und Licht ins Dunkel bringen. Oder irgendwie so. Keine Ahnung, wie das funktionieren soll, denn bisher warst wohl eher du derjenige, der erleuchtet werden musste. Aber Orakel irren sich bekanntlich nie, und deswegen bist du dieser Tage so begehrt.“
„Hm“ machte ich, „und nun sitzen wir hier und wissen nicht weiter…“
„Was uns zurück zum eigentlichen Grund dieser Unterhaltung führt.“ pflichtete Frau Schneider mir bei. „Ich wäre sehr dankbar, wenn einem von euch etwas Cleveres einfällt, denn mir gehen so langsam die Ideen aus. Und das fühlt sich nicht gut an…“
„Tut mir leid, Sigrid.“ meinte Friedhelm. „Alle Vorschläge, die ich bisher hatte, haben nicht funktioniert. Ich bin einfach mehr für simple Kämpfe gemacht – kreative Pläne entwickeln ist sonst eher deine Stärke…“
Frau Schneider seufzte. „Ich hatte befürchtet, dass du das sagen würdest.“ Stille. „Ich hasse es, wenn eine Mission so aussichtslos ist. Da bekomme ich immer das Verlangen, in den Ruhestand zu gehen…“
Ich achtete nur am Rande auf die beiden. Irgendwo am Rande meines Bewusstseins kam mir gerade ein neuer Gedanke auf – noch nicht ausgeprägt genug, um ihn greifen zu können, doch er fühlte sich richtig an.
Da. Das wäre eine Option…
„Ich habe eine Idee.“ sagte ich plötzlich in die Stille hinein. Frau Schneider und Friedhelm blickten überrascht zu mir auf. Ich lächelte. „Welche Rituale habt ihr denn in den letzten Tagen ausprobiert…?“
Gedankenwelten
Zwanzig Minuten später fand eine weitere Besprechung mit dem gesamten Team statt. Diesmal geleitet von Frau Schneider und mir – ein überraschender Karrieresprung. Es ging um den neuesten Plan der Organisation in der Mission Lucilius-Amulett – ein Plan, den ich mir ausgedacht hatte. Frau Schneider erwähnte dies vor ihren Teammitgliedern allerdings nicht, vermutlich aus Angst, dass diese dann von vorneherein dagegen wären. Ich konnte aber auch so an den Gesichtern der anderen Magier erkennen, dass sie nicht sonderlich begeistert waren.
Mit Ritualen ist das so eine Sache. Sie sind aufwendig, bedürfen einer guten Planung, können nur in einer größeren Gruppe von mindestens fünf Magiern durchgeführt werden, und ganz nebenbei können sie auch noch ziemlich gefährlich werden, wenn irgendetwas schiefgeht. Für die meisten Magier bleiben Ritualzauber deswegen etwas, über das sie theoretisch Bescheid wissen, das sie praktisch aber nie tun würden.
Sie haben dennoch einen großen Vorteil – mit Ritualen können ungewöhnliche und sehr mächtige Zauber gewirkt werden, die auf normalem Wege kaum möglich wären.
Ich hatte das zweifelhafte Glück, meine Ausbildung bei einem der führenden Experten für Ritualzauber auf diesem Kontinent gemacht zu haben. Mein alter Meister hat Rituale regelmäßig genutzt und die Risiken nicht gescheut, und so konnte ich relativ viel praktische Erfahrung auf diesem Gebiet sammeln. Seit Abschluss meiner Ausbildung zum Magier vor drei Jahren hatte ich zwar kein einziges Ritual mehr durchgeführt – hauptsächlich, weil ich selten in Gesellschaft anderer Magier war – doch jetzt kamen mir meine Kenntnisse ausnahmsweise zugute.
Eines der Rituale, das ich während meiner Ausbildungszeit kennengelernt habe, erlaubt es, mit magischen Gegenständen zu kommunizieren. Vereinfacht ausgedrückt. Genau genommen öffnet man eine Art Portal, über das man in eine andere Welt gelang. Von den wenigen Magiern, die über diese Welt Bescheid wissen, wird sie Dimension der Gedanken genannt. Das klingt nicht nur sehr beeindruckend, sondern ist auch ein durchaus zutreffender Name. Bei dem Ritual betritt man nämlich mehr oder weniger das Bewusstsein eines zuvor ausgewählten magischen Gegenstands. Wie genau das technisch funktioniert ist nicht bekannt, wie so oft in der magischen Welt. Doch das schöne ist, dass es trotzdem funktioniert.
In der Regel sind die Verwendungszwecke für dieses Ritual allerdings ziemlich limitiert – man tritt durch ein Portal in eine unbekannte und potentiell gefährliche Welt, die niemand versteht, dort kommuniziert man mit dem Geist eines Werkzeugs, das man als Magier auch einfach auf die herkömmliche Art benutzen könnte, und dann kehrt man wieder zurück in die Realität. Sinn ergibt das meistens nicht.
Doch als ich vorhin über die derzeitige Lage nachgedacht hatte, war mir noch ein anderer Aspekt des Rituals eingefallen. Man muss es nicht dabei belassen, nur in die Gedankenwelt eines einzigen magischen Gegenstands zu reisen. Einmal in der Dimension der Gedanken angekommen, kann man stattdessen auch in das Bewusstsein eines weiteren Gegenstandes springen, und immer so weiter – ein wenig wie eine Kette aus verschiedenen aneinandergereihten Welten.
Theoretisch sind dem keine Grenzen gesetzt. Praktisch muss zwischen den beiden Gegenständen, zwischen deren Welten man hin- und herreisen will, irgendeine Verbindung bestehen. Diese ist in der Regel räumlich, wenn sich die beiden fraglichen magischen Gegenstände beispielsweise im gleichen Gebäude befinden. Es gibt noch weitere Verbindungen, die es ermöglichen, zwischen zwei Gedankenwelten zu springen – beispielsweise ein gemeinsamer Besitzer oder ein gemeinsamer Schöpfer, doch auch hier ist nicht eindeutig geklärt, was warum funktioniert.
Was aber auch egal war, denn wenn das Lucilius-Amulett sich wirklich hier im Museum befand, dann war die räumliche Verbindung zu jedem anderen magischen Gegenstand in diesem Gebäude ja gegeben. Und einmal im Bewusstsein des Amuletts angekommen, konnte man bestimmt herausfinden, wo genau es sich nun befand.
So zumindest lautete der Plan. Ich gebe zu, er klang etwas verwirrend und war auf viel zu vielen unbekannten Faktoren aufgebaut. Doch Frau Schneider glaubte offenbar daran, dass es funktionieren könnte.
Oder sie war einfach nur verzweifelt.
„Wir werden meinen Zauberstab als Ausgangspunkt für dieses Ritual nutzen.“ erklärte Frau Schneider gerade. Sie, Friedhelm und ich hatten den genauen Plan erst vor wenigen Minuten ausgetüftelt, doch dafür klang sie bereits erstaunlich routiniert. „Alex meint, dass wir das Ritual zu acht auf jeden Fall in Gang bekommen können. Alles was wir ansonsten brauchen, sind sieben große Kerzen, drei Packungen Salz, ein Silberkelch und – ähm – Rotwein.“
„Rosé geht meines Wissens auch.“ sagte ich.
„Gut, gut.“ meint Frau Schneider. „Sobald wir es geschafft haben, das Portal in die Dimension der Gedanken zu öffnen, wird Alex hindurchgehen.“ Ein Raunen ging durch die anderen Teammitglieder. Bis zu diesem Punkt waren sie Frau Schneiders Erklärung stumm gefolgt – zwar nicht begeistert, doch sie hatten sich auch nicht gegen den Plan aufgelehnt. Die letzte Information schien dies zu ändern.
„Und dann?“ rief Felix aufgebracht und blickte Frau Schneider herausfordernd an. „Wer sagt uns, dass das kein Trick ist? Wer sagt uns, dass es überhaupt sicher ist, dieses Ritual auszuführen? Bestimmt hat er nur auf diese Gelegenheit gewartet und das Portal soll ihm in Wirklichkeit zur Flucht verhelfen.“
„Ich fürchte, ich muss diese Bedenken teilen.“ schloss sich auch Lukas an. Im Gegensatz zu Felix sah er allerdings mich an, während er sprach. Sein Blick war nicht zu deuten, doch irgendetwas war darin, das mich irritierte. „Ich weiß, dass unsere Lage verzweifelt ist, aber ich sehe immer noch nicht, wie wir ihm an diesem Punkt vertrauen können. Tut mir leid, Sigrid.“
Frau Schneider seufzte. „Wer von euch ist ebenfalls dieser Meinung?“ fragte sie schließlich in die Runde, ohne mich anzusehen. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als würden Marina und Coleoptera sich melden wollen, doch sie blieben stumm. Die Stimmung im Kommandoraum war angespannt, doch niemand schien sich Felix und Lukas anschließen zu wollen. Zumindest nicht offen vor Frau Schneider.
„Gut.“ sprach Frau Schneider schließlich. „Felix, Lukas, ich verstehe eure Bedenken, doch es gibt einen guten Grund für unser Vorgehen. Leider kann nur eine Person das entstehende Portal nutzen, für mehr ist es eindeutig zu unstabil. Wenn zwei Leute versuchen würden, hindurchzugehen, würde es vermutlich zusammenbrechen, und das könnte schwerwiegende Folgen für die betroffenen Personen haben. Da die Prophezeiung bezüglich der wichtigen Rolle von Alex in dieser Mission eindeutig ist, habe ich beschlossen, dass er derjenige sein sollte, der in die Dimension der Gedanken reist. Es steht euch beiden natürlich frei, nicht am Ritual teilzunehmen, doch wir könnten eure Hilfe dabei sehr gut gebrauchen.“
Die beiden Magier schwiegen eine Weile. „Du trägst die Verantwortung, Sigrid.“ sagte Lukas schließlich. Frau Schneider nickte, und damit war die Diskussion vorerst beendet.
„Wo war ich?“ fuhr Frau Schneider fort. „Ach ja. Das Portal öffnet sich. Alex wird hindurchgehen. An diesem Punkt können wir das Ritual kontrolliert beenden – um zurück in unsere Welt zu kommen, braucht Alex keine fremde Hilfe mehr.“ Wenn alles gut geht war der Satz, der zwischen den Zeilen hing.
„In der Dimension der Gedanken wird Alex dann versuchen, das Amulett zu finden und in dessen Bewusstsein zu gelangen. Wir wissen, über welche ungewöhnlichen Eigenschaften das Amulett verfügt, mit etwas Glück ist seine Aura dort also relativ leicht aufzuspüren. Wenn Alex in der Welt des Amuletts angelangt ist, wird er versuchen, mit diesem Kontakt aufzunehmen und dessen genauen Standort zu ermitteln. Dann kehrt er zurück, wir bergen das Ding in der echten Welt wo auch immer es sich befindet, und die Mission ist erfüllt. Noch Fragen?“
Niemand meldete sich, doch das lag vermutlich eher daran, dass die meisten Teammitglieder zu verwirrt waren, um konstruktive Fragen zu stellen.
„Sehr schön.“ Frau Schneider wirkte zufrieden. „Wir werden die nötigen Zutaten besorgen und in exakt zwei Stunden mit dem Ritual beginnen. Haltet euch bereit!“
Friedhelm war mit Coleoptera losgezogen, um nötige Erledigungen für das Ritual zu machen. Frau Schneider hatte mit Lukas und Felix den Raum verlassen. Angeblich, um irgendetwas im Museum zu überprüfen, doch ich war mir sicher, dass sie sich mit den beiden über mich unterhalten wollte. Marina und Erik waren mit mir im Kommandoraum geblieben. Ich wusste nicht, was passierte, wenn ich versuchen würde, den Raum zu verlassen, doch ich war mir ziemlich sicher, dass Frau Schneider die beiden angehalten hatte, mich auf keinen Fall gehen zu lassen. Auch wenn es leicht zu vergessen war, war ich immer noch ein Gefangener.
In gewisser Weise war ich überrascht, dass nur Lukas und Felix mir offen mistrauten. Andererseits – die Tatsache, dass Marina und Erik mich bewachen sollten, ließ darauf schließen, dass sich selbst Frau Schneider nicht so sicher war.
Die Tür öffnete sich, und Frau Schneider kam zurück in den Raum, gefolgt von Felix und Lukas. Sie nickte mir zu, dann ging sie zu Marina und Erik und unterhielt sich leise mit den beiden. Felix war ihr gefolgt und brachte sich nun in die Unterhaltung mit ein, während Lukas sich auf einen Stuhl gegenüber von mir setzte. Ich blickte etwas überrascht auf. Viel gab es für mich im Moment nicht zu tun, und so hatte ich begonnen, den genauen Aufbau des Rituals aufzuzeichnen.
Lukas musterte mich. Er wirkte immer noch distanziert, doch gleichzeitig schweifte sein Blick neugierig über meinen Notizblock. „Wie kommt es, dass du dich so gut mit Ritualzaubern auskennst?“ fragte er schließlich.
„Mein alter Meister war damals ein großer Freund von solchen Ritualen. Wir haben sowas regelmäßig gemacht.“ antwortete ich und lächelte etwas verlegen. Ich hatte nicht erwartet, dass er von sich aus ein Gespräch mit mir beginnen würde.
Lukas nickte. „Bei der Organisation haben wir das nie gelernt.“
„Du wurdest bei der Organisation ausgebildet?“
„Ja, ich war der erste Lehrling, den Friedhelm damals ausgebildet hat.“ antwortete Lukas.
Das überraschte mich. „Friedhelm war dein Meister?“
„Ja, damals. Das ist inzwischen einige Jahre her.“ Er deutete erneut auf die Pläne, die ich aufgezeichnet hatte. „Über Rituale wusste Friedhelm aber auch nichts. Kein Wunder, dass er so beeindruckt von dir ist.“
„Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich ihn großartig beeindrucke.“ erwiderte ich trocken.
Lukas sah mich leicht belustigt an. „Das liegt daran, dass du ihn nicht kennst. Er fand es schon ziemlich beachtlich, dass du es gestern geschafft hast, aus dem Museum zu entkommen. Und da kannte er dich noch nicht mal persönlich.“
„Wirklich beeindruckend war das nicht.“ meinte ich. „Ihr wart nur zu dritt.“ Erst als ich diesen Satz ausgesprochen hatte, wurde mir bewusst, wie arrogant er klang. Drei Magier waren deutlich mehr, als ich normalerweise gewachsen war, und das wusste auch Lukas. Hätten Frau Schneider, Felix oder Lukas ernst gemacht und mich nicht unterschätzt, wäre ich niemals entkommen.
Lukas ging nicht darauf ein. „Warum bist du zurückgekommen?“ fragte er mich stattdessen, und plötzlich war das sanfte Lächeln von seinen Lippen verschwunden. Sein Blick bohrte sich in mich, seine blauen Augen fragend und intensiv. Er machte mich nervös – nicht nur, weil ich keine wirklich überzeugende Antwort auf seine Frage wusste.
„Ich… musste zurückkommen, weil das Museum der einzige Ort ist, an dem ich meinen Auftrag ausführen konnte.“ versuchte ich es. Nicht sehr überzeugend, und auch Lukas ließ sich davon nicht blenden.
„Das glaube ich dir nicht.“ erwiderte er ruhig und ich begann unter seinem Blick leicht zu schwitzen. „Du wolltest nie in diese Sache hineingezogen werden. Du wolltest auch nie für Rubisco arbeiten, aber du musstest. Gestern Abend, nachdem du Sigrid und uns entwischt bist, hättest du dich aus dem Staub machen können. Irgendwohin verreisen, wo dich niemand findet, und alles aussitzen. Stattdessen bist du am nächsten Morgen pünktlich zu Beginn der Öffnungszeiten zurückgekommen, wohlwissend, dass du keine fünf Minuten unbemerkt bleiben würdest. Du hast dir nicht mal Mühe gegeben, dich bedeckt zu halten.“ Er verstummte, sprach nicht das Offensichtliche aus, nämlich, dass meine Ausrede verdammt unglaubwürdig war.
Eine Weile dachte ich über seine Worte nach. Er hatte recht, es wäre einfacher gewesen, einfach abzuhauen und mich vor allen zu verstecken. Warum war ich zurückgekehrt? Ein Teil von mir glaubte, dass es der einfachere Weg gewesen war, denn sich zu verstecken hätte bedeutet, mein altes Leben für längere Zeit aufzugeben. Aber da war noch mehr…
„Weißt du, Alex, ich habe nichts gegen dich.“ unterbrach Lukas meine Gedanken. Jetzt lächelte er wieder. „Im Gegenteil, ich glaube, dass wir uns unter anderen Umständen bestimmt gut verstanden hätten. Aber im Moment habe ich das Gefühl, dass Sigrid und Friedhelm einen großen Fehler machen, wenn sie dir blind vertrauen.“
„Sie vertrauen mir nicht blind.“ erwiderte ich zurückweisend.
Lukas zuckte mit den Schultern. „Wäre besser. Diese Sache ist zu wichtig. Wenn Rubisco das Amulett in die Finger bekommt, hätte das fatale Folgen für alle Magier in Europa. Behalte das einfach im Hinterkopf, bis du dich entschieden hast.“
Ich wollte etwas erwidern, doch Lukas stand auf, warf mir einen letzten Blick aus seinen durchdringenden Augen zu, und ging. Ich saß wieder alleine vor meinem Notizblock und hatte das unangenehme Gefühl, dass ich durchschaut war.
Nur, warum hatte Lukas das alles mir erzählt? Zumindest auf mich wirkten seine Argumente ziemlich stichhaltig. Wenn er damit zu Frau Schneider und den anderen Teammitgliedern gehen würde, müssten sie ihm doch zuhören. Welchen Sinn hatte es, mir zu erklären, dass er mich durchschaut hatte.
Ich blickte Lukas hinterher und dachte über seinen letzten Satz nach. Behalte das im Hinterkopf, bis du dich entschieden hast.
„Alex?“ hörte ich Frau Schneiders Stimme plötzlich neben mir und schreckte hoch. „Friedhelm ist zurück, er und Coleoptera haben alles Nötige besorgt. Wenn du so weit bist, können wir anfangen.“
Wir hatten uns dagegen entschieden, das Ritual im Kommandoraum durchzuführen, denn dafür war dieser etwas zu eng. Grundregel Nummer eins im Umgang mit Ritualen: Spare nie an Platz, sonst bereut man es hinterher.
Grundregel Nummer zwei lautet, dass alle Zutaten richtig angeordnet sein müssen. In diesem Fall standen die brennenden Kerzen in einem Kreis von exakt sechs Metern Durchmesser, der mit dicken Linien aus Salz auf dem teuren Parkett skizziert worden war. Vermutlich war es besser so, dass die Organisation der Museumsleitung nicht erklärt hatte, wofür genau wir den großen Vortragsraum im Obergeschoss des historischen Gebäudes brauchten.
In der Mitte des Kreises stand der Silberkelch, den wir selbstverständlich nicht aus den Beständen des Museums geliehen hatten. Er war zur Hälfte gefüllt mit Rotwein – Friedhelm hatte sich für eine nicht gerade billige Flasche entschlossen und den Rest für später behalten.
Auf dem Silberkelch lag Frau Schneiders Zauberstab. Es handelte sich um einen relativ simplen Stab, aus dunklem Holz geschnitzt, mit einer silbernen Fassung am Griff. Er sah unscheinbar aus, doch bei Zauberstäben handelte es sich um vergleichsweise mächtige magische Gegenstände. Und in wenigen Minuten würde ich in das Bewusstsein dieses Stabes eindringen.
„Es ist wichtig, dass der Stab nicht entfernt wird, nachdem ich durch das Portal gestiegen bin.“ schärfte ich Frau Schneider gerade ein. „Ich weiß nicht, wie lange ich brauchen werde, bis ich in die Welt des nächsten Gegenstands weitergereist bin, doch während dieser Phase darf niemand den Stab bewegen. Das könnte fatale Folgen für mich, den Stab und für euch haben – in dieser Reihenfolge.“
Frau Schneider nickte. „Ich werde darauf achten. Noch etwas?“
„Das Ritual funktioniert am besten, wenn der Zauberspruch gesungen wird.“ Ich hatte ihn auf einem Blatt aufgeschrieben, und Frau Schneider las ihn sich gerade durch. Es handelte sich um fünf Zeilen auf Latein. „Am wichtigsten ist letztendlich aber eine möglichst korrekte Aussprache – das hat Priorität.“
In den Gesichtern der Organisationsagenten um mich herum war eine gewisse Anspannung zu erkennen. Ein Ritualzauber war eine neue Erfahrung für sie, und dann ging es dabei gleich um so viel.
„Sobald ich durch das Portal gestiegen bin, könnt ihr aufhören, den Spruch aufzusagen und eure Magie zu wirken. Das Portal wird sich hinter mir schließen. Am besten verlasst ihr den Kreis, sobald alles vorbei ist. Der Wein sollte spätestens nach dem Öffnen des Portals verschwunden sein – wundert euch nicht darüber, das ist normal. Wenn ich die Gedankenwelt des Amuletts einmal gefunden habe und danach in die echte Welt zurückkehren möchte, sollte ich eigentlich wieder an dem Ort landen, an dem sich das Portal ursprünglich geöffnet hat, also hier in diesem Raum. Ich weiß nicht genau, wie lange das dauern wird, aber ich würde von ungefähr dreißig Minuten ausgehen.“
Frau Schneider nickte erneut. „Was tun wir, wenn etwas schiefgeht?“
Ich zog eine leichte Grimasse. „Das ist schwer zu sagen, weil theoretisch alles passieren kann. Ich vertraue darauf, dass ihr erfahren genug seid, um zu wissen, was im jeweiligen Moment angebracht ist.“ Es war keine zufriedenstellende Antwort, das wusste ich. Das beruhigende für Frau Schneider und ihr Team war, dass in den meisten Fällen ich derjenige war, der in Gefahr sein würde.
Frau Schneider seufzte und murmelte leise „Warum bin ich nicht schon längst im Ruhestand?“ Dann klatschte sie laut in die Hände und wandte sich an ihr Team. „Okay, wir legen jetzt los. Denkt an die korrekte Aussprache des Ritualspruchs.“
Wir positionierten uns im Kreis um den Silberkelch herum, und ich begann, den Zauberspruch in einem lauten Singsang aufzusagen. Nach und nach fielen die anderen mit ein, erst zögerlich, dann immer lauter. Wenn sich in diesem Moment jemand in den Raum verirrt hätte, würde man uns vermutlich entweder für verrückt oder für Anhänger einer geheimnisvollen religiösen Bewegung halten.
„Spiritus lucis.
Consurge.
Ex tenebris.
Responde nobis.
Aperi tibi.“
Ich spürte, wie die Magie im Raum anstieg, bis sie fast greifbar in der Luft lag. Ritualzauber sind eine eigenartige Erfahrung – man fühlt sich dabei seltsam beschwingt; verbunden mit der Umwelt und den Leuten um einen herum. Als würde man zu etwas Großem gehören, als wäre man eins. Oder als wäre man betrunken. Ich hörte den Gesang um mich herum, der immer lauter wurde und sich wellenartig durch den Raum auszubreiten schien.
Und dann plötzlich war der Gipfel erreicht – ich konnte nicht sagen, ob nur wenige Sekunden oder mehrere Minuten vergangen waren. Ein heller weißer Lichtstrahl ging von Frau Schneiders Zauberstaub aus, stieg höher, wurde breiter und breiter, und dann öffnete sich plötzlich das Portal.
Wie eine geheimnisvolle Tür ins nirgendwo erschien es mitten im Raum, der Rahmen aus demselben weißen Licht wie zuvor, der Durchgang selbst tiefschwarz. Es war, als würde in diesem Bereich sämtliches Licht geschluckt werden, bis nur noch die Dunkelheit übrigblieb.
Es war unmöglich zu erkennen, was dahinterlag. Trotzdem trat ich auf das Portal zu. Ein letztes Mal atmete ich tief durch. Zeit, die Sache hinter sich zu bringen.
Frau Schneider nickte mir ermutigend zu, während sie weiter den Zauberspruch vor sich hinsang. Ich erwiderte den Blick für einen Moment, dann trat ich durch das Portal.
Rauch und Nebel
Augenblicklich umhüllte mich Stille. Ich stand in einem Raum, dessen Grenzen seltsam undefiniert waren. Als würden sie aus einem dichten bräunlichen Nebel bestehen, der verbarg, was sich dahinter befand. Ich war mir nicht sicher, ob ich es herausfinden wollte.
Es gab keine sichtbare Lichtquelle, doch trotzdem war es hell genug, dass ich sehen konnte. Es fühlte sich an, als wäre ich in eine Welt aus Sepia gestiegen. Einzelne Nebelschwaden waberten um meine Beine herum – sie fühlten sich seltsam kalt an. Ich fröstelte etwas, doch schnell konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Grund, aus dem ich hier war.
Soweit ich es erkennen konnte, war der Raum, in dem ich mich befand, einfach nur leer. Es gab keine anderen Geschöpfe hier und auch keine Einrichtung oder Strukturen. Nicht mal der Boden unterschied sich auf sichtbare Art und Weise von der Decke und den Wänden – überall nur der gleiche Sepia-Nebel auf allen Seiten. Ein wenig, als wäre ich im Inneren einer Wolke gefangen.
Und doch fühlte ich eine Präsenz um mich herum, die mich aus dem Verborgenen zu beobachten schien.
Ich lief testweise einige Schritte in den Raum hinein. Einige Sekunden geschah nichts, doch dann schien sich etwas zu verändern. Bewegung war im Nebel zu spüren. Eine tiefe Stimme ertönte, die aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien. „Sei gegrüßt, Fremder. Was führt dich zu mir?“
Ich räusperte mich, dann sprach ich laut und deutlich in die Leere hinein. „Ich bin Magier Alexander Falkenstein und ich komme im Auftrag deiner Herrin.“
Einen Moment herrschte Stille. Dann wirbelte der Nebel plötzlich auf und begann, mich langsam zu umkreisen. „Im Auftrag meiner Herrin?“ Ein höhnisches Lachen ertönte. „Du weißt nichts über meine Herrin.“ sagte die Stimme drohend.
Verwirrt blickte ich um mich, während der Nebel sich immer schneller bewegte. Bildete ich mir das ein oder umschloss er mich inzwischen enger? Ich hatte keine Ahnung, was gerade passierte. „Ich verstehe nicht ganz…“ begann ich vorsichtig.
„Du weißt nichts über meine Herrin.“ wiederholte die Stimme düster. „Sonst würdest du dich nicht freiwillig hier her trauen.“
Langsam wurde ich nervös, doch ich versuchte, mir das nicht anmerken zu lassen. „Dann kläre mich auf. Was weiß ich nicht über Frau Schneider?“ sagte ich mit fester Stimme.
Erneutes Lachen ertönte. „Du wärest überrascht, Magier. Sigrid mag nett und harmlos wirken, aber davon solltest du dich nicht täuschen lassen.“ Der Nebel kam langsam näher. „Ich war einst ihr Bruder. Ich habe ihr alles gegeben, doch das war nicht genug.“ Die Stimme klang verbittert, als sie fortfuhr. „Sie hat sich gegen mich gewendet. Ich wollte sie nicht verletzen, doch sie war bereit, mich zu töten, um ihre Ziele zu erreichen. Am Ende hat ihr selbst mein Tod nicht gereicht. Sie hat meinen Geist an ihren Zauberstab gebunden, um fortan über meine Kräfte verfügen zu können und mich so noch mehr zu demütigen.“
Sprachlos starrte ich den Nebel an, der sich immer weiter näherte. Ich wusste nicht, ob diese Geschichte stimmte, ob sie überhaupt stimmen konnte. Ich hatte nie von einem Zauber gehört, mit dem so etwas möglich gewesen wäre, doch wenn es ihn gab, jagte mir diese Vorstellung Angst ziemliche Angst ein.
Noch viel furchteinflößender fand ich in diesem Moment allerdings meine aktuelle Situation. Angespannt blickte ich mich um. Der Raum um mich herum wurde jetzt definitiv immer enger. Ich merkte, dass es mir schwerer fiel, zu atmen. Es war, als würde der Nebel mich langsam ersticken. Panik stieg in mir auf, und ich schaffte es nicht, diese zu unterdrücken.
„Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, hierherzukommen.“ fuhr die Stimme fort. Sie wurde lauter, je näher der Nebel kam. Inzwischen klang sie nicht mehr verbittert, sondern einfach nur noch wütend. „Aber es war ein Fehler. All die Jahre war ich hier gefangen, ohne Kontrolle über mich selbst, zum Nichtstun verdammt. Ich will nur noch eins, und das ist Rache.“
„Warte.“ rief ich. Diese Entwicklung gefiel mir nicht, doch vielleicht bestand ja die Möglichkeit, sich aus der Situation herauszureden.
Die Antwort war ein düsteres Lachen. „Du sagtest, du bist im Auftrag meiner Herrin hier? Dann wirst du es nun bereuen, sie je gekannt zu haben. Du wirst diese Welt nicht mehr verlassen, dafür werde ich sorgen.“ Eine gespenstische Stille ertönte, und alles was blieb war Nebel, Nebel überall.
Ich hasse es, wenn ein Plan nicht funktioniert.
Was auch immer in der Vergangenheit vorgefallen war, offensichtlich hatte der wütende Geist in diesem Zauberstab keinerlei Einflüsse mehr auf die Außenwelt. Er wurde von Frau Schneider kontrolliert, und alles was blieb war diese Gedankenwelt. Ich war vermutlich der erste, der sie je betreten hatte, und damit das perfekte Opfer, um all die angestaute Wut zu befriedigen. Nüchtern betrachtet machte es durchaus Sinn, dass der Stab mich umbringen wollte, doch ich hatte trotzdem keine Lust, das zuzulassen.
Was konnte ich tun? Konzentriere dich, Alex. Denk nach.
Die logische Antwort auf eine Bedrohung wie diese war meine Magie. Ich hatte allerdings keine Ahnung, ob diese in der Dimension der Gedanken überhaupt funktionieren würde. Wenn nicht hatte ich ein Problem.
Ich merkte, wie meine Gedanken immer mehr verschwammen – der Sauerstoffmangel verlangsamte zunehmend meinen Körper. Keine Zeit mehr für theoretische Überlegungen. Reflexartig zog ich meinen Zauberstab und zielte in die Nebelwolke hinein. Diese umschloss mich inzwischen fast komplett – wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich den Zauberstab in meiner Hand nicht mal mehr sehen. Mit letzter Kraft murmelte ich einen Zauberspruch – ein klassischer Angriffszauber – und ein gewaltiger Hitzestrahl schoss durch den Nebel hindurch.
Es war sinnlos. Die gute Nachricht war, dass meine Magie hier grundsätzlich funktionierte. Weniger schön war die Tatsache, dass der gewirkte Zauber keinerlei Auswirkungen auf den Nebel zu haben schien – mühelos schloss er mich weiter ein. „Nicht genug, Magier.“ höhnte die Stimme. Ich merkte, wie die ersten Nebelschwaden in meinen Mund und meine Nase vordrangen. Nicht gut.
Was konnte ich sonst noch tun? Theoretisch hätte ich ein Portal zurück in die Außenwelt öffnen können, doch dafür war es jetzt wohl etwas zu spät. Dieser Zauber beanspruchte einiges an Zeit und Energie, und selbst wenn ich es in meinem Zustand schaffen würde, das Portal zu öffnen, wäre ich bis dahin schon längst tot.
Nebel. Zauber gegen Nebel. Denk nach, Alex. Irgendwas?
Duelle zwischen Magiern geraten schnell mal außer Kontrolle. Elementarmagier verfügen über viele verschiedene kreative Möglichkeiten, einen Gegner zu töten. Sinnesmagier, die lange überleben möchten, tun in der Regel gut daran, für jeden möglichen Angriff einen entsprechenden Verteidigungszauber zu kennen. In neunzig Prozent der Fälle tut es hierfür ein Schild, doch es gibt eine Handvoll Sprüche, die mit diesem nicht geblockt werden können.
Ein eher obskurer Angriffszauber, den manche Magier in der Theorie wirken können, ist eine Art Giftnebel, der den Gegner komplett umgibt. Er wird inzwischen so gut wie nicht mehr verwendet, da sich die meisten Magier damit ausversehen selbst vergiftet haben – es ist leicht, den Spruch zu wirken, aber es ist sehr schwer, den tödlichen Nebel gezielt zu lenken und an der Ausbreitung zu hindern. Trotz all dem schadet es nicht, für den Notfall einen Verteidigungsspruch zu kennen. Mein Meister hatte mir einst eine Methode beigebracht, mit der man Nebel mit dem Zauberstab bündeln und dann aufsaugen konnte. Im Prinzip wie ein Staubsauger, nur deutlich effektiver.
Ich war nicht mehr in der Lage, um über all das nachzudenken. Eher instinktiv erinnerte ich mich an den Zauberspruch, den ich nun mit letzter Kraft vor mich hinmurmelte. Mit meinem Stab zielte ich in den Nebel hinein, dann ließ ich den Zauber los.
Die Wirkung zeigte sich sofort. Ein schmerzverzerrter Schrei hallte durch den Raum, als der Zauberstab die ersten sepiafarbenen Schwaden einsog. Als Antwort darauf schien der Nebel sich nur noch aggressiver um mich zu winden – offenbar hatte mein Gegenangriff einen wunden Punkt getroffen.
Der Nebel schien mich nun sehr dringend ersticken zu wollen und ich zwang mich mit letzter Willenskraft, den Zauber aufrecht zu erhalten. Trotzdem wurde mir langsam schwarz vor Augen und einige sehr lange Sekunden sah es so aus, als wäre es aussichtslos.
Das war‘s. Ich würde sterben, wegen etwas, das Frau Schneider vor vielen Jahren getan hatte und für das ich nun büßen sollte. Verzweifelt warf ich meine letzten Energiereserven in den Zauber, verstärkte ihn so gut es mir noch möglich war.
Plötzlich lichtete sich der Nebel um mich herum ein wenig. Es war nicht viel, doch es genügte. Gierig schnappte ich nach Luft – es war die reinste Wohltat. Einige Sekunden lang atmete ich einfach nur, dann lenkte ich meine wiedergewonnene Lebensenergie in den Zauber, verstärkte diesen. Ein erneuter Schmerzensschrei erklang, diesmal lauter als zuvor. Ich lächelte befriedigt – wer auch immer hinter diesem Nebel steckte, hatte es nicht anders verdient.
Die Schreie häuften sich. Um mich herum war der Nebel in einem Umkreis von mindestens drei Metern verschwunden und nun, da ich keine Angst mehr haben musste, zu ersticken, ging ich in den Angriff über. Unersättlich sog mein Zauberstab immer größere Nebelwolken ein.
„Magier, stopp!“ rief die Stimme plötzlich. Sie klang schmerzverzerrt und fast schon panisch.
Ich antwortete nicht, sondern schritt mit gezücktem Zauberstab auf den Nebel zu. Ich war wütend und wollte Rache.
„Stopp!“ flehte die Stimme erneut. „Du hast gewonnen. Ich ergebe mich.“
Ich lachte zynisch. „Das hättest du dir vielleicht überlegen sollen, bevor du mich ersticken wolltest.“ Nach wie vor hielt ich den Spruch aufrecht.
Die Antwort war ein erneuter Schmerzensschrei. „Dein Zauber wird mich töten.“ brachte die Stimme qualvoll hervor.
„Das ist nicht mein Problem.“ sagte ich schulterzuckend.
„Ich denke schon. Was denkst du wird mit dieser Welt passieren, wenn ich fort bin?“
Das ließ mich innehalten. Ich befand mich in der Gedankenwelt von Frau Schneiders Zauberstab, welcher durch die Stimme und den Nebel verkörpert wurde. Wenn ich die Präsenz umbrachte, würde sie aufhören zu existieren und der Teil der Dimension der Gedanken, in dem ich mich befand, würde zwangsläufig zusammenbrechen. Ich hatte keine Ahnung, wie schnell dieser Prozess ablaufen würde und ob ich mich vorher noch in Sicherheit bringen konnte, doch ich hatte keine Lust, es herauszufinden.
Außerdem war ich hier, weil ich eine Mission zu erledigen hatte. Ich hatte keine Lust, das komplette Ritual nochmal mit einem neuen magischen Gegenstand durchzuführen. Und ich hatte noch weniger Lust, Frau Schneider zu erklären, warum genau ich ihren Zauberstab zerstört hatte.
Ich seufzte. Sieht so aus, als würde die Rache für heute ausfallen.
„Also gut.“ sagte ich schließlich. „Ich lasse dich am Leben. Unter zwei Bedingungen.“
„Sprich und nenne mir deine Forderungen. Ich bin bereit, sie zu akzeptieren.“
„Erstens wirst du nicht mehr versuchen, mich umzubringen. Ich habe nichts mit Frau Schneiders Vergangenheit zu tun – such dir einen anderen Weg, dich zu rächen. Wenn du dich nochmal gegen mich wendest, kenne ich keine Gnade mehr. Klar?“
„Natürlich.“ antwortete die Stimme unterwürfig.
„Bedingung zwei betrifft den Auftrag, in dem ich hier bin. Ich möchte, dass du mir ohne Widerspruch dabei hilfst.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann.“ antwortete die Stimme. „Wie lautet dein konkretes Anliegen?“
„Ich bin nicht wegen dir hier, sondern lediglich auf der Suche nach einer anderen magischen Präsenz, die sich irgendwo in der Nähe befinden muss.“ sagte ich. „Ich möchte, dass du mich mit dieser verbindest.“
Einen Augenblick herrschte Stille. „Es gibt hier unzählige wie mich, auf die deine Beschreibung zutreffen könnte.“ sagte die Stimme zögerlich. „Drücke dich konkreter aus, Magier.“
Ich nickte. „Die Präsenz ist spezialisiert auf Geistzauber. Sehr mächtige Geistzauber. Und sie ist um die 2000 Jahre alt.“
Diesmal kam die Antwort schneller, und sie klang nicht sonderlich begeistert. „Das war in der Tat konkret genug. Mir ist nur eine Präsenz dieser Art bekannt, aber du irrst dich. Sie befindet sich aktuell nicht in meiner Nähe. Und das ist gut so.“
Ich versuchte, mir die Überraschung nicht anmerken zu lassen. „Sicher? Laut unseren Informationen müsste sich der Gegenstand, in dem sich die Präsenz befindet, ebenfalls in Wien befinden.“
„Eure Informationen sind nicht korrekt.“ Der Nebel bewegte sich plötzlich wieder etwas stärker, so als wäre er aufgebracht.
Interessant. Also lag die Organisation falsch. „Kannst du mich trotzdem mit ihr verbinden?“ fragte ich hoffnungsvoll.
„Nein.“ ertönte es um mich herum. „Du weißt nicht, was du verlangst, Magier.“
Ich schwieg eine Weile. Der Verlauf des Gesprächs war etwas enttäuschend. Die Tatsache, dass das Amulett sich gar nicht im Museum befand, würde die ganze Sache etwas verkomplizieren. „Okay, deine Ablehnung ist zur Kenntnis genommen. Neuer Vorschlag – kannst du mich stattdessen mit einer anderen Präsenz verbinden, die möglicherweise bereits eine Bindung zu meinem Zielobjekt hat?“
Ich sah, wie der Nebel sich beruhigte und schöpfte Hoffnung. „Glaub mir, das willst du nicht.“ sprach die Stimme. „Aber theoretisch spricht nichts dagegen.“
„Nun, doch, zufälligerweise will ich genau das.“ sagte ich und lächelte.
„Du bist verloren.“ antwortete die Präsenz humorlos. Dann verstummte die Stimme, und ich sah, wie in der Mitte des Raums Bewegung aufkam. Nebel erhob sich aus dem Boden, verdichtete sich und stieg auf, formte ein Oval, das sich langsam schwarz färbte. Ein weiteres Portal.
„Bitte sehr.“ sprach die Stimme ein letztes Mal. „Wenn du diesen Wunsch immer noch hegst, gehe hindurch. Mehr als davon abraten kann ich nicht.“
Ich überlegte nicht lange. Die Präsenz hatte vor wenigen Minuten noch versucht, mich umzubringen. Dass sie den Plan jetzt trotzdem als zu gefährlich erachtete, war alles andere als ermutigend, doch es war die einzige Möglichkeit. „Vielen Dank.“ antwortete ich. „Ich hoffe, wir sehen uns nie wieder.“
Dann stieg ich durch das Portal.
Diesmal traten die Veränderungen nicht so schnell ein. Eine Weile fühlte es sich an, als würde ich durch das Nichts gleiten – meine Augen waren blind, ich konnte nichts hören und ich spürte keinen Boden mehr unter meinen Füßen. Dann klarten sich meine Sinne wieder auf und ich erreichte mein Ziel. In meinen Augenwinkeln sah ich, wie das Portal, durch das ich getreten war, verblasste und langsam verschwand.
Diese Welt war ganz anders als die erste. Sie hatte klar definierte Grenzen – ich stand diesmal in einem richtigen Raum, der etwa zwanzig mal dreißig Meter groß war. Die Decke wurde von vielen antik anmutenden Säulen getragen, die im Abstand von zwei Metern über den ganzen Raum verteilt waren. Dadurch wirkte alles stark eingeengt, ein wenig wie ein Labyrinth aus Säulen.
Die Säulen waren aus weißem Stein, ebenso die Decke. Der Boden bestand aus cremefarbenen Marmorplatten. Nur die Wände waren in tiefem schwarz gehalten. Kerzen waren in Metallhalterungen an den Säulen angebracht – ihr flackernder Schein tauchte den Raum in ein gespenstisches, düsteres Licht. Es wäre eine sehr stilvolle Inneneinrichtung gewesen, wenn sie nicht so verdammt gruselig gewirkt hätte.
Ich versuchte, mir die Anspannung nicht anmerken zu lassen. Mit ziemlicher Sicherheit wurde ich bereits beobachtet, und ich wollte nicht ängstlich wirken – in der magischen Welt überlebt man in der Regel nicht lange, wenn man das tut.
Eine Gestalt erschien in meinem Blickfeld. Ich fokussierte meinen Blick auf sie und sah – einen Schatten. Einen Schatten in menschenähnlicher Form, der langsam über den Boden schwebte, an den Säulen vorbei und zielstrebig in meine Richtung.
Anspannung durchflutete mich und ohne es zu wollen, verfiel ich in eine Verteidigungshaltung. Ich verlagerte mein Gewicht und legte meine Hand auf den Griff meines Zauberstabs, um ihn schnell ziehen zu können.
Der Schatten kam näher. Er hatte angedeutete Beine, doch diese verblassten zu einem undefinierten Grau, während er über den Boden schwebte. Das gleiche galt für seine Arme, auch sie verblassten an den Enden immer mehr. Rauch waberte um die Gestalt herum, und mein Gefühl sagte mir, dass es das war, woraus sie bestand. Verdichteter grauer Rauch. Als hätte ich von sowas heute nicht schon genug gehabt.
Der Schatten hatte keine Augen, doch ich hatte trotzdem das starke Gefühl, beobachtet zu werden.
„Eindringling.“ ertönte eine tiefe, knarrende Stimme. Auch diesmal schien sie aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen – es war also nicht der Schatten, der zu mir sprach. Zumindest nicht direkt. „Nenne mir den Grund deiner Anwesenheit, oder schweige auf ewig.“
Ich schluckte. „Sei gegrüßt.“ brachte ich schließlich heraus. „Mein Name ist Magier Alex Falkenstein und ich bin hier im Auftrag der Organisation. Ich möchte dich nicht weiter behelligen, ich bin nur auf der Suche nach etwas – einer anderen Präsenz. Mir wurde gesagt, dass du Kontakte zu dieser haben könntest.“
Der Schatten war zwischen zwei Säulen stehengeblieben, ungefähr vier Meter von mir entfernt. Ich versuchte, seine Anwesenheit so gut wie möglich auszublenden.
Die Stimme erklang wieder – diesmal etwas weniger bedrohlich. „Welch Ehre – ein Magier in meinen heimischen Hallen. Nun, fahre fort – wonach genau suchst du?“
„Die Präsenz, nach der ich suche, ist spezialisiert auf Geistzauber. Sehr mächtige Geistzauber. Sie ist sehr alt und stammt vermutlich aus dem antiken Rom.“
Stille. Dann ertönte ein heiseres Geräusch, das ich erst nach einigen Augenblicken als Lachen identifizieren konnte. „Ich wusste, dass das eines Tages passieren würde.“ sprach die Stimme schließlich. „Es ist das Einzige, was ihr Magier wollt – Macht. Nun, du wirst sehen, was dir das bringt.“
Ich räusperte mich. „Entschuldige, aber ich kann dem nicht ganz folgen.“
Ein erneutes Lachen. „Ich kenne die Präsenz, nach der du suchst, Magier. Wie der Zufall es so will, bin ich ebenfalls alt, und ich wurde in Rom erschaffen, bevor ich schließlich in dieses… Museum verfrachtet wurde. Ohne Zweck, ohne Nutzen – nur ein Ausstellungsstück unter vielen. Nicht mächtig genug, als dass Magier wie du sich jemals für mich interessieren würden. Doch nun bin ich plötzlich doch zu einer Sache gut. Ich habe immer noch eine Verbindung nach Rom.“
„Das Amulett befindet sich also wirklich nicht in Wien?“ fragte ich, um sicher zu gehen.
„Das ist korrekt.“
Ich nickte. „Aber du sagst, du kannst trotzdem eine Verbindung zu dieser Präsenz herstellen, weil ihr beide einen gemeinsamen Ursprung habt?“
„Auch das ist korrekt. Ich könnte so eine Verbindung herstellen.“
„Sehr gut. Ich wäre wirklich sehr dankbar dafür.“ sagte ich.
„Langsam, Magier. Ich habe nicht gesagt, dass ich das tun werde.“ Die Stimme klang plötzlich noch grimmiger als zuvor. Ich sah, dass der Schatten sich wieder bewegte, er kam langsam weiter auf mich zu geschwebt.
Verdammt. „Und warum nicht?“ wollte ich wissen, während ich den Schatten nervös beäugte.
Die Stimme lachte bitter. „All die Jahre wurde ich von euch Magiern in diesem Museum vergessen, und nun plötzlich bin ich als Mittel zum Zweck wieder gut genug? Nenn mir einen guten Grund, warum ich dir helfen sollte?“ Der Schatten kam bedrohlich nahe. Ich trat einen Schritt zurück, brachte eine Säule zwischen ihn und mich. Eine Bewegung in meinen Augenwinkeln ließ mich umblicken. Weitere Schatten tauchten plötzlich auf, umzingelten mich und kamen immer näher.
Nicht schon wieder. Meine Stimme klang angespannt, als ich antwortete. „Nun, ich war es nicht, der dich in dieses Museum gebracht hat, und ich war auch keiner der Magier, die dich vergessen haben. Trotzdem verstehe ich deine Wut – sage mir, was ich tun kann, und ich werde versuchen, es umzusetzen.“
Schweigen. Schließlich blieben die Schatten stehen. Ich wertete das als positives Zeichen und fuhr fort. „Ich schlage dir einen Pakt vor. Du erfüllst mir meinen Wunsch, und im Gegenzug werde ich dich aus dem Museum befreien.“
Einige Sekunden vergingen. „Dein Vorschlag klingt vielversprechend, Magier.“ Der Groll war plötzlich aus der Stimme verschwunden. „Ich wäre bereit, ihn zu akzeptieren, unter einer Bedingung: Ich möchte gebraucht werden und nicht wieder jahrzehntelang in der Ecke verstauben. Glaube mir, du würdest eine Zusammenarbeit mit mir nicht bereuen. Ich mag vielleicht nicht über die Macht des Geistzaubers verfügen, doch auch meine Kräfte sind nicht zu verachten.“
Ich lächelte. „Also gut, einverstanden. Ich kümmere mich um alles, sobald ich das Amulett gefunden habe.“
„Du willst das wirklich?“ Die Stimme klang düster. „Ich muss dich eindringlich davor warnen, in Kontakt mit dem Amulett zu treten. Du weißt nicht, worauf du dich da einlässt.“
Ich seufzte. Das war schon die zweite Warnung vor dem Lucilius-Amulett innerhalb kurzer Zeit. Vielleicht war nun der Punkt gekommen, diese endlich ernst zu nehmen, doch es führte wohl kein Weg daran vorbei. „Ich muss.“ antwortete ich schließlich bestimmt. „Mach dir keine Sorgen, es wird schon nichts passieren.“
„Ich wünschte, ich könnte deine Zuversicht teilen.“ sprach die Stimme. „Doch wenn das dein Wunsch ist, werde ich dir nicht im Weg stehen.“ Mit diesen Worten lösten sich die Schatten um mich herum ins Nichts auf. Gleichzeitig flackerte Licht wenige Meter von mir entfernt auf, breitete sich aus, wurde unwahrscheinlich hell, bis es plötzlich die gesamte Fläche zwischen zwei benachbarten Säulen einnahm – blendend weiß. Es war ein weiteres Portal – ein Portal, das mich direkt in die Gedankenwelt des Amuletts führen würde.
„Ich hoffe, du bist hinterher noch in der Lage, deinen Teil des Paktes zu erfüllen.“ murmelte die Stimme.
Zögerlich ging ich auf die Lichtfläche zu. „Danke für deine Hilfe. Ich werde zurückkommen, das verspreche ich dir.“ Ich wollte nicht durch dieses Portal treten, doch mir fiel keine andere Möglichkeit ein. Jetzt zu kneifen wäre dumm sagte ich mir und trat in das Licht.
Dunkelheit.
Dunkelheit. Mehr Dunkelheit.
Dunkelheit.
Als ich wieder etwas spürte, war es ein enormer Druck, der mich von innen heraus zu zerquetschen schien. Wie Kopfschmerzen im gesamten Körper. Mir war schlecht, doch ich war zu benommen, um es zu bemerken. Es war, als würde ich ein tiefes Dröhnen um mich herum vernehmen, doch als ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren, war ich mir nicht mehr sicher, ob es nicht doch nur Einbildung war.
Ich versuchte, meine Augen zu öffnen, doch alles was ich sah, war Schwarz. Ich spürte eine Präsenz in meinem Hinterkopf, die immer stärker und stärker wurde, bevor sie mich schließlich komplett zu vereinnahmen schien.
Du musst sehr mutig sein, dass du dich hierherwagst, Magier. Oder sehr dumm. Ich wusste nicht, ob ich mir die Stimme in meinem Kopf nur einbildete oder nicht, doch die Worte waren so deutlich zu vernehmen, dass ich zusammenzuckte. Ich wollte versuchen zu sprechen, etwas erwidern, um Hilfe rufen, doch ich brachte meinen Mund nicht auf.
Sei dir stets deiner Schwäche bewusst. Sei dir bewusst, wer hier die Kontrolle hat. Eines Tages wirst du mich anflehen, dich wieder gehen zu lassen. Panik stieg in mir auf, das Verlangen zu schreien wurde immer größer, doch es gab nichts, was ich tun konnte. Das muss ein Traum sein, redete ich mir selbst ein, aber es war nicht sehr überzeugend.
Es ist kein Traum erwiderte die Stimme in meinem Kopf. Und nun raus hier. Verschwinde!
Verschwinde.
Dunkelheit. Immer mehr Dunkelheit. Ich fiel, und diesmal war ich mir sicher, dass es keine Einbildung war. Glücklicherweise verlor ich das Bewusstsein, bevor ich auf dem Boden aufkam.
Dämmerung
Als ich erwachte, lag ich in einer unterirdischen Halle – Fels umgab mich zu allen Seiten. Der Ort erinnerte mich an die Katakomben in Salzburg, in denen ich gestern noch meine Unterredung mit Rubisco gehabt hatte, doch er wirkte verlassen und düsterer.
Mir tat alles weh. Ich versuchte, mich aufzurappeln, doch mein Körper schrie mich an, liegenzubleiben. Ich gehorchte und versuchte stattdessen, mich aus meiner Position im Liegen heraus genauer umzusehen.
Nur langsam kehrte meine Sicht zurück. Nach einer Weile konnte ich einige bogenförmige Nischen erkennen, die rund um mich herum in den Stein geschlagen waren. In ihnen befanden sich mehrere Regalbretter aus Holz. Die meisten dieser Bretter waren leer, doch auf einzelnen konnte ich menschliche Schädel erkennen, die mich aus ihren leeren Augenhöhlen heraus anzustarren schienen. Der Boden um mich herum war mit einer dicken Staubschicht bedeckt – ich schien der erste Besucher seit langem zu sein.
Erneut versuchte ich, mich aufzusetzen, und diesmal gelang es mir. Mein Kopf tat immer noch weh und mir war schlecht. „Das mache ich nie wieder.“ sagte ich in die Stille hinein.
Was war passiert? Meine letzte eindeutige Erinnerung war, dass ich durch das Portal getreten war, das mich in die Gedankenwelt des Amuletts hätte bringen sollen. Danach folgte nur noch Dunkelheit.
Ich sah mich erneut um. Ich war wieder in der echten Welt, da war ich mir relativ sicher. Es waren nur feine Unterschiede und ich hätte mich täuschen können, doch Dinge wie der Staub um mich herum oder der modrige Geruch sprachen nicht dafür, dass ich mich immer noch in der Dimension der Gedanken befand.
Erleichtert atmete ich auf. Wenigstens eine gute Nachricht.
Wie war ich zurückgekommen? Ich wusste es nicht. So wie ich das Ritual in Erinnerung hatte, hätte ich derjenige sein sollen, der sich aktiv dazu entscheidet, in die reale Welt zurückzukehren. Und eigentlich hätte ich dann auch wieder an meinem Ausgangspunkt landen müssen, nämlich bei Frau Schneider und den anderen Agenten der Organisation.
Was mich zur nächsten Frage brachte – wo war ich? Ich bezweifelte, dass sich dieser Raum irgendwo im Museum befand. War ich überhaupt noch in Wien?
Irgendetwas war schiefgelaufen. Nur was?
Ich hatte einen Pakt mit einer vergessenen magischen Präsenz geschlossen. Dann war ich durch das Portal getreten. Trotz Warnung. Es hätte mich in die Gedankenwelt des Amuletts bringen sollen. Und nun lag ich hier und wusste nicht, was passiert war. Hatte ich mit dem Amulett kommuniziert? Oder war bei dem Übertritt von der einen Welt in die andere etwas schiefgelaufen? Ich wusste es nicht mehr.
Eine Weile versuchte ich, die Gedanken in meinem Kopf zu sortieren und basierend auf den wenigen Informationen, die ich hatte, einen Plan zu schmieden. Ich kam nicht weit. Erstmal raus hier, dachte ich. Wenn ich wusste, wo genau ich war, konnte ich immer noch über den nächsten Schritt nachdenken.
Langsam stand ich auf. Noch fühlte ich mich etwas wackelig auf den Beinen, doch mit jeder Sekunde wurde es besser. Ich sah mich um und entdeckte einen Durchgang am hinteren Ende der Halle. Gerade wollte ich darauf zugehen, als in meiner Wahrnehmung etwas aufblitzte. Es war kein Mensch, sondern etwas Magisches. Kein Zauber, der gewirkt wurde, mehr… eine Präsenz. Wie ein magischer Gegenstand, doch auf subtile Art anders. Immense Macht, sorgsam verborgen hinter einem Schleier, doch immer noch eindeutig sichtbar für jeden Sinnesmagier, der genauer hinsah.
Ich drehte mich um und folgte meiner Wahrnehmung. Sie führte mich einige Schritte vom Ausgang weg, in einen kleinen Seitengang, der noch ein wenig dunkler war als die Haupthalle. Auch hier waren Nischen in den Fels eingearbeitet, doch die Regale waren leer. Nur ein wenig Goldschmuck lag etwas verborgen auf einem der Bretter. Eine Kette, zwei unterschiedlich große Ringe – und ein auf den ersten Blick unscheinbares Amulett von etwa fünf Zentimetern Größe. Ein Amethyst war in dessen Mitte eingearbeitet, die Seiten waren mit eingravierten Symbolen verziert.
Ich musterte das Amulett genauer. Es war zu einfach – viel zu einfach – doch meine Wahrnehmung bestätigte, was ich bereits vermutet hatte: Die Magie und die Macht, die ich gespürt hatte, gingen von diesem Amulett aus.
Ich zögerte. Wenn das wirklich das Lucilius-Amulett war, wollte ich ihm eigentlich nicht so nahekommen, geschweige denn es anfassen – der Gedanke an so einen mächtigen Geistzauber machte mich unruhig.
Doch das hier war die Gelegenheit, alles zu beenden – der Grund, aus dem ich überhaupt hier war. Vorsichtig nahm ich das Amulett in meine Hand. Seine Präsenz war deutlich zu spüren, doch sie veränderte sich nicht – die wahre Macht des Gegenstands lag immer noch unter einem Schleier verborgen. Hoffentlich würde das so bleiben. Ich steckte das Amulett in die Tasche meines Mantels, dann drehte ich mich um und kehrte in die Haupthalle zurück. Ein loser Stein klackerte unter meinen Füßen, als ich gegen ihn stieß, und hinterließ ein gespenstisches Echo in der leeren Kammer. Zeit, endlich hier rauszukommen.
Der Durchgang war natürlich blockiert. Eine Gittertür versperrte den Weg, und sie war fest verschlossen. „Natürlich.“ sagte ich mehr zu mir selbst und seufzte. „Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht.“
Für die meisten Menschen wäre an dieser Stelle Endstation gewesen. Natürlich gab es die Option, das Schloss zu knacken, doch ich persönlich hatte so etwas nie gelernt, und passendes Werkzeug hatte ich auch nicht dabei.
Als Magier hat man jedoch noch andere Möglichkeiten. Ein Elementarmagier hätte die Tür einfach mit roher Gewalt aus den Angeln heben können. Als Sinnesmagier war das leider nicht ganz so einfach, doch genau dafür sind magische Hilfsmittel erfunden worden.
Ich zog meinen Zauberstab aus einer der Taschen, die an meinem Gürtel befestigt waren. Wer neu in die magische Welt kommt, hält Zauberstäbe meist aufgrund bestimmter Klischees für sehr mächtig, und in gewisser Weise sind sie das auch. Trotzdem gelten Zauberstäbe für gemeinhin als Zeichen der Schwäche. Benutzt werden sie in der Regel nämlich nur von Sinnesmagiern, die damit ein wenig ihre Nachteile gegenüber Elementarmagiern kompensieren können. Wirklich mithalten können wir damit aber trotzdem nicht, und deswegen schindet ein Zauberstab in der magischen Welt so gut wie nie Eindruck. Vielmehr zeigt er anderen ganz deutlich Ich bin kein Kampfmagier und Ich brauche solche Hilfsmittel.
Dennoch lässt sich nicht abstreiten, dass Zauberstäbe nützlich sein können. Zum Beispiel, wenn man von rachsüchtigem Nebel attackiert wird. Oder wenn man vor einer fest verschlossenen Tür steht, die sich nur mit roher Gewalt öffnen lässt. Ich lud etwas Magie in den Stab, zielte, und schnitt dann mit einem konzentrierten Strahl aus Feuer und Hitze durch das Gitter hindurch.
Mit einem lauten Schlag fiel die Tür zu Boden und wirbelte eine Menge Staub auf. Ich wartete, bis dieser sich gelegt hatte, dann steckte ich meinen Stab zurück, klopfte meinen Mantel ab und trat in den Durchgang.
Der Gang führte um eine Kurve und endete in einer weiteren unterirdischen Kammer. Diese war etwas kleiner als die erste, doch dafür war sie deutlich höher. Ein beeindruckendes Deckengewölbe erstreckte sich über mir. Die Wände waren mit steinernen Säulen verziert, zwischen denen weitere Regalbretter angebracht waren. Auf diesen stapelten sich diesmal fein säuberlich ganze Skelette.
Der Anblick hatte etwas seltsam Faszinierendes, doch ich wendete meinen Blick schnell ab und suchte stattdessen nach einem Ausgang. Es gab nur einen weiteren Durchgang, der Ähnlichkeiten mit dem ersten hatte, und auch dieser war verschlossen. „Auf ein Neues.“ seufzte ich und zog meinen Zauberstab.
Wie sich herausstellte, handelte es sich um ein verdammtes unterirdisches Labyrinth. Mindestens dreißig Minuten lang irrte ich durch die Gänge, landete in einer Grabkammer nach der nächsten, bis ich endlich einen Weg nach oben fand. Es handelte sich um eine metallene Wendeltreppe, die in einem engen Schacht errichtet worden war. Sie schien deutlich weniger alt zu sein als die restliche Anlage.
Die Treppe führte mehrere Stockwerke nach oben und endete schließlich in einem engen, etwas heruntergekommenen Büroraum. Ein kleiner Mann mit braunem Haar, Brille und Bart saß an einem Schreibtisch, der über und über mit Papierstapeln und Büchern bedeckt war. Als ich in den Raum trat, schreckte er hoch und starrte mich halb wütend, halb ängstlich an. „Ehi, che ci fai qui?“ rief er, stand auf und kam drohend auf mich zu.
Ich wusste nicht, was der Mann gesagt hatte, doch er wirkte nicht begeistert über mein unverhofftes Auftauchen. Verständlich. „Sorry, didn’t mean to disturb you.“ murmelte ich und quetschte mich an dem Mann vorbei zum Ausgang. Für einen kurzen Moment schien er mit dem Gedanken zu spielen, mich aufzuhalten, doch zu seinem Glück entschied er sich dagegen – offensichtlich hatte ich ihm ein wenig Angst eingejagt. Gut so, dachte ich. Ich hatte nach all dem keine Lust, mich auch noch mit einem Zivilisten zu streiten.
Das Büro war der Nebenraum einer kleinen Kapelle, in der ich nun stand. Sie war üppig verziert, doch wirklich Augen hatte ich dafür nicht. Stattdessen ging ich zielstrebig auf den Ausgang zu. Ich öffnete die schwere Holztür, trat hinaus auf die Straße, und… traute meinen Augen kaum.
Laue Nachtluft empfing mich, die blaue Stunde neigte sich gerade dem Ende entgegen. Ich stand in einer breiten Gasse – ein Motorrollerfahrer fuhr gerade knatternd über das Kopfsteinpflaster an mir vorbei und verschwand in der Ferne. Menschen saßen einige Häuser weiter im Freien an den Tischen einer Pizzeria, aßen, tranken und lachten. Ihre Stimmen vermischten sich mit dem Straßenlärm, der in der Ferne zu hören war. Straßenlaternen tauchten die Szenerie in ein gelbliches Licht. Ich sah nach oben und musterte die alten Stadthäuser, die sich um mich herum erhoben. Sie waren rot, orange oder gelb gestrichen und hatten wuchtige hölzerne Fensterläden in dunklen Farben. Eine ältere Frau saß an einem der Fenster, rauchte und beobachtete das Geschehen unter ihr. Sie musterte mich kritisch.
Ich war in Rom. Oder zumindest in einer ähnlichen italienischen Großstadt, so viel war sicher. Das Straßenbild war so charakteristisch, dass ich es sofort wiedererkannte.
Wie war ich hierhergekommen? Ich konnte es mir nicht wirklich erklären. Ich griff in meine Manteltasche und meine Hände umschlossen das Amulett, das ich vor kurzem aus den Katakomben unter mir geborgen hatte. Hatte es etwas damit zu tun? War das überhaupt möglich?
Ich musste nachdenken. Langsam schlenderte ich die Gasse entlang – ich fühlte mich etwas planlos. Nach einigen Metern gelangte ich auf einen kleinen verlassenen Platz, auf dem zwei Bäume und eine etwas heruntergekommene Bank standen. Ich setzte mich und dachte über meine Situation nach.
Wie lange war ich bewusstlos gewesen? Wir hatten das Ritual in Wien am frühen Nachmittag gestartet und nun war es Abend. Selbst wenn ich über eine halbe Stunde in der Dimension der Gedanken unterwegs gewesen wäre, waren danach noch mindestens drei Stunden vergangen, die ich dort auf dem Boden gelegen haben musste.
Ich dachte erst gar nicht mehr darüber nach, wie zum Teufel ich es geschafft hatte, in Italien zu landen oder wieso ich überhaupt bewusstlos geworden war – darauf würde ich sowieso keine vernünftigen Antworten erhalten. Stattdessen überlegte ich, was ich jetzt tun sollte.
Frau Schneider und die Agenten der Organisation hatten mit Sicherheit lange darauf gewartet, dass ich zurückkam, und jetzt würden sie entweder immer noch warten, sich Sorgen machen oder denken, dass ich sie hintergangen hatte. Vermutlich letzteres. Ich sollte wohl versuchen, sie zu kontaktieren.
Die Alternative wäre es, Rubisco Bescheid zu geben. Genau das war schließlich mein Auftrag gewesen – das Amulett finden und es ihr überreichen. Gut, ich hatte die Mission etwas anders ausgeführt, als sie es geplant hatte, aber wen würde das schon interessieren. Es wäre für mich mit Sicherheit der einfachste Weg – danach wäre ich sie los und ich müsste mir keine Gedanken mehr um die Sache machen.
Nur, dass Rubisco die Macht des Amuletts mit ziemlicher Sicherheit missbrauchen würde. Und ich war mir nicht sicher, ob ich das zulassen wollte. Ich hatte mich nie in die Angelegenheiten anderer Magier eingemischt, doch in diesem Moment war ich dazu gezwungen, es zu tun. Wenn ich Rubisco das Amulett überreichen würde, wäre alles, was danach damit passieren würde, meine Schuld.
Aber was würde passieren, wenn ich es stattdessen der Organisation übergeben würde? Im besten Fall würden Frau Schneider und die anderen sich über meine Treue freuen und dabei vergessen, dass ich einfach so verschwunden war. Rubisco wäre natürlich sauer auf mich, aber mit etwas Glück würde es der Organisation tatsächlich gelingen, mich vor ihr und dem Syndikat zu schützen.
Es war aber genauso gut möglich, dass mein plötzliches Verschwinden das ohnehin spärliche Vertrauen der Organisation in mich erschüttert hatte. Sie würden das Amulett nehmen, doch ich war mir nicht sicher, ob sie sich danach noch dafür interessieren würden, was mit mir passierte. Dann würde ich alleine mit den wütenden Mitgliedern des Syndikats zurückbleiben. Und wenn das passierte, schätzte ich meine Chancen auf eine glückliche Zukunft als sehr gering ein.
Frustriert schüttelte ich den Kopf. Entweder ich übergab das Amulett an Rubisco, doch dann müsste ich möglicherweise für immer mit Schuldgefühlen leben. Oder ich übergab das Amulett an die Organisation und müsste stattdessen die Rache des Syndikats fürchten. Mir gefielen beide Optionen nicht, aber was sollte ich sonst tun? Das Amulett selbst behalten? Das kam nicht in Frage – alleine der Gedanke an einen so mächtigen Geistzauber in meiner Nähe machte mich unruhig.
Ich seufzte und griff nach meinem Telefon, um die Uhrzeit und meinen genauen Standort zu überprüfen. Es war zwanzig Uhr fünf, und ich befand mich tatsächlich mitten in Rom. Ich steckte das Handy gerade zurück in die Tasche, als mir plötzlich ein neuer und beunruhigender Gedanke kam.
Rubisco kannte meine Handynummer, ich hatte mit ihr telefoniert. Was, wenn sie zufällig über die Möglichkeit verfügte, mich zu orten? Nein, das müsste sie gar nicht erst tun. Sie war eine Magierin, für sie gab es noch viel einfachere Wege, mich zu finden. Spürzauber zum Beispiel eigneten sich hervorragend dazu, einen Menschen aufzuspüren, wenn man ihm einmal begegnet war. Ich vermutete, dass das Syndikat Frau Schneiders Team während des Rituals überwacht hatte. Was hatte Rubisco wohl getan, als ihr berichtet wurde, dass ich nicht wie geplant zurückgekehrt war?
Und wenn ich so darüber nachdachte, verfügten Frau Schneider und die Organisation über die gleichen Möglichkeiten, mich aufzuspüren. Alle wollten bestimmt brennend wissen, wohin ich verschwunden war, und ein Spürzauber würde ihnen ziemlich schnell die Antwort liefern.
Es gibt Möglichkeiten, einen solchen Spürzauber zu blocken, so dass man nicht mehr gefunden werden kann, doch dafür muss man zuerst einmal wach sein. Ich war mehrere Stunden bewusstlos gewesen, und in dieser Zeit wäre es sowohl für das Syndikat als auch für die Organisation ein leichtes gewesen, meinen Standort zu bestimmen. Zum Glück gibt es selbst für Magier normalerweise keine Möglichkeit, mal eben ohne Zeitverzögerung nach Rom zu reisen – eineinhalb Stunden Flugzeit von Wien nach Rom waren das mindeste, plus Wartezeiten und die Fahrt zum Flughafen. Trotzdem war die Wahrscheinlichkeit groß, dass mindestens eine der beiden Vereinigungen bereits auf dem Weg zu mir war, und ich war mir in diesem Moment nicht sicher, ob ich gefunden werden wollte. Ich hatte also keine Zeit zu verlieren.
Schnell sprang ich auf, überprüfte zur Sicherheit, ob sich das Amulett noch in meiner Tasche befand, dann lief ich los.
Es dauerte eine Weile, bis ich fand, was ich suchte. Telefonzellen sind sehr selten geworden heutzutage, doch ich wollte diesen Anruf aus Sicherheitsgründen nicht mit meinem eigenen Handy tätigen, um jede Möglichkeit, gefunden zu werden, zu vermeiden.
Frau Schneider hatte mir eine Nummer gegeben, unter der ich sie erreichen konnte. Diese wählte ich nun. Es tutete mehrere Male, bis endlich abgenommen wurde.
„Sigrid Schneider hier.“ erklang es im Hörer. Sie wirkte gestresst, und im Hintergrund konnte ich Lärm hören.
„Hallo, hier ist Alex.“ sagte ich und zwang mich, locker und freundlich zu klingen. Erinnerungen an meine Reise durch die Dimension der Gedanken und an das dunkle Geheimnis, das mir ihr Zauberstab offenbart hatte, bevor er versucht hatte mich zu töten, kamen auf, doch ich schob all das für den Moment beiseite. Nicht jetzt.
Pause. Als Frau Schneider schließlich sprach, klang ihre Stimme wachsam. „Falkenstein. Wie schön, dass du dich doch noch meldest.“ Sie wirkte gereizt – ich interpretierte das als schlechtes Zeichen.
„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber es sind einige unvorhergesehene Dinge passiert.“ antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Das haben wir bemerkt. Wo zur Hölle bist du?“
„Ach, wissen Sie, ich glaube, das haben Sie bereits selbst herausgefunden.“ sagte ich und lächelte. Frau Schneider ging nicht darauf ein, was mir Antwort genug war. Ich fuhr fort. „Es gibt einige Neuigkeiten. Die gute Nachricht zuerst: Es sieht so aus, als wäre unser Plan trotz allem erfolgreich gewesen. Ich bin nach wie vor an einer Zusammenarbeit interessiert, jedoch wird dies nicht ohne die ein oder andere Zusicherung von Seiten der Organisation funktionieren.“
Frau Schneider schwieg eine Weile, bevor sie antwortete. „Falkenstein, ich warne dich. Treib keine Spielchen mit uns, das könntest du sonst noch bereuen.“
„Ich treibe keine Spielchen.“ sagte ich. „Ich habe nur die Mission ausgeführt.“
„Du hast das Amulett? Sehr gut. Übergib es uns, und wir vergessen, dass du einfach so verschwunden bist, obwohl du unter Arrest standst.“
Ich seufzte. „Es ist nicht so, als hätte ich das absichtlich gemacht, aber darum geht es nicht. Ich bin wie gesagt bereit, das Amulett an die Organisation zu übergeben, aber so einfach ist das nicht. Ich brauche eine Versicherung, dass man mich vor Racheaktionen des Syndikats beschützen wird.“
Schweigen. Frau Schneider überlegte lange, was sie sagen sollte. „Da gibt es nur ein Problem.“ antwortete sie schließlich. Ihre Stimme klang distanziert. „Die Organisation kann dir im Moment leider nicht genug vertrauen, um diesen Deal einfach so einzugehen. Übergib uns das Amulett, und ich werde sehen, was sich machen lässt. Einverstanden?“
Enttäuschung durchflutete mich, gefolgt von Wut, doch ich versuchte, diese Gefühle zu verbergen. So viel zu meiner Hoffnung, dies auf die leichte Art zu machen. „Nein. Das Mistrauen scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Wenn die Organisation nicht einmal bereit ist, mir diese Kleinigkeit zuzusichern, wie soll ich dann glauben, dass Sie nicht einfach versuchen werden, mich zu hintergehen? Sie wissen genauso gut wie ich, dass ich aktuell ziemlich verletzlich bin, deswegen muss ich wohl oder übel zu stärkeren Vorsichtsmaßnahmen greifen.“
Frau Schneider seufzte. Als sie antwortete, klang ihre Stimme plötzlich müde. „Hör zu, Falkenstein. Ich bin bereits in Rom, und wir werden dich finden – ob du willst oder nicht. Ich persönlich möchte kein schlechtes Verhältnis zu dir, schließlich haben wir dir einiges zu verdanken, aber die Anweisungen von oben sind klar. Ich kann dir keine Zugeständnisse machen, aber ich verspreche, dass ich mich für dich einsetzen werde, wenn du gefügig bist. Sei nicht so dumm, dich mit der Organisation anzulegen.“
Ich schwieg eine Weile, dachte über Frau Schneiders Worte nach. Bilder von sepiafarbenem Nebel, der mich ersticken wollte, wallten erneut in meinem Kopf auf, und diesmal ließ ich sie für einen Augenblick zu. Die Entscheidung, die ich treffen musste, würde einen großen Einfluss auf meine Zukunft haben. Ich wollte Frau Schneider glauben, denn es würde vieles einfacher machen, doch eine Stimme in meinem Hinterkopf riet mir, das nicht zu tun. Die Stimme wurde immer lauter und erneut sah ich die Bilder aus der Dimension der Gedanken vor meinem inneren Auge. Nebel. Rache. Tod. Dunkle Geheimnisse.
„Tut mir leid, aber für mich steht einiges auf dem Spiel.“ sagte ich leise in den Hörer. „Nehmen Sie es nicht persönlich, aber ich glaube, ich tue gut daran, in dieser Situation niemandem zu vertrauen.“
Bevor Frau Schneider etwas erwidern konnte, legte ich auf. Dieses Gespräch war nicht so verlaufen, wie ich es erhofft hatte, doch vermutlich hätte ich damit rechnen müssen.
Ich sah auf die Uhr. Kurz vor neun. Frau Schneider war bereits in Rom, das hatte sie selbst gesagt. Vermutlich war sie nicht alleine hier, ich tippte darauf, dass ein Teil ihres Teams sie hierher begleitet hatte.
Und wenn die Organisation bereits hier war, dann war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Rubisco auftauchen würde. Zeit zu verschwinden.
Ich zog einen weiteren magischen Gegenstand aus meiner Tasche – einen unscheinbaren silbernen Ring. Es handelte sich um einen Einmalgegenstand, das heißt er funktionierte nur ein einziges Mal, doch er würde trotzdem nützlich sein. Der Ring war dazu gemacht, Spürzauber für eine gewisse Zeit zu blocken. Ich trug ihn schon seit einer Weile mit mir herum, doch jetzt schien mir ein geeigneter Zeitpunkt, ihn zu benutzen.
Ich kanalisierte meine Magie in den Ring, bis ein leichtes Glühen um ihn erschien, dann steckte ich ihn an meinen Finger. In diesem Moment sorgte der Ring dafür, dass sämtliche Spürzauber, die auf mich ausgerichtet waren, nicht mehr funktionieren würden – meine Position wurde also niemandem mehr angezeigt. Die Kraft des Rings hielt nur für knappe zehn Stunden an, doch das war genug. Ich sah nochmal auf die Uhr, dann schaltete ich mein Handy aus. Es war neun Uhr abends – bis morgen früh um sieben hatte ich meine Ruhe.
Die Organisation und das Syndikat wussten zwar, dass ich in Rom war, doch selbst für Sinnesmagier war es nahezu unmöglich, die komplette Stadt ohne einen Spürzauber und ohne Anhaltspunkte nach mir abzusuchen – dafür war Rom einfach zu groß und die Reichweite der Wahrnehmung zu gering.
Ich lief los, überquerte den Tiber. Ein lauer Wind wehte auf der Brücke und in der Ferne ragte die leuchtende Kuppel des Petersdoms über der Stadt empor. Bei dem Anblick schlich sich ein kurzes Lächeln in mein Gesicht – eigentlich konnte ich mich nicht beschweren. Erst Salzburg, dann Wien, jetzt Rom. Nicht viele Leute kommen innerhalb so kurzer Zeit an so viele beeindruckende Orte.
Ich erreichte das andere Ufer und wandte mich nach rechts. Bäume säumten das Flussufer und ein schmaler Fußweg führte unter ihnen entlang. Gelegentlich wehte mir ein Windstoß entgegen und sorgte für ein sanftes Rascheln in den Baumkronen, doch ansonsten war der Abend angenehm warm. Straßenlaternen tauchten die Promenade in ein spärlich gelbes Licht. Nur wenige Menschen waren in diesem Abschnitt unterwegs, und zum ersten Mal, seit ich die Katakomben verlassen hatte, verschwand der Großstadtlärm. Um mich herum wurde es ungewohnt still und plötzlich fühlte ich mich seltsam verletzlich.
Ein einzelnes Auto fuhr langsam an mir vorbei, erhellte die Straße für einen kurzen Moment, dann war es wieder verschwunden. Nervös blickte ich mich um. Es gab eigentlich keinen Grund zur Beunruhigung, aber trotzdem blieb ein nagendes Gefühl tief in meinem Inneren.
Nein. Bestimmt schüttelte ich den Kopf. Das war Einbildung. Ein urtümlicher Instinkt aus vergangenen Zeiten, der die Dunkelheit fürchtete, nicht mehr. Es waren nur noch ein paar hundert Meter bis nächsten größeren Straße – dort würde ich mit etwas Glück ein Taxi finden, das mich zum Bahnhof bringen konnte.
Ein Mensch erschien am Rande meiner Wahrnehmung. Noch lief die Frau ungefähr fünfzig Meter hinter mir, doch sie holte schnell auf. Auf den ersten Blick erschien sie normal, doch ihre Bewegungen hatten etwas Zielstrebiges. Angespannt beobachtete ich sie weiter, während ich begann, ebenfalls schneller zu laufen. Schritte hallten auf dem dunklen Asphalt.
Warum war ich so nervös? Weder Rubisco noch Frau Schneider konnten mich so schnell erreicht haben, und jetzt, wo der Ring mich vor Spürzaubern verbarg, gab es für keinen von ihnen mehr eine Möglichkeit, mich zu finden. Und doch hielt sich dieses hartnäckige Gefühl, verfolgt zu werden.
Die Frau hinter mir hatte mich fast eingeholt, sie war nur noch knapp zehn Meter entfernt. Ich spannte mich an, bereitete mich auf einen möglichen Angriff vor, doch ich wagte nicht, mich umzudrehen, beobachtete sie stattdessen mit meiner Wahrnehmung, während sie zielstrebig in meine Richtung lief. Ein Adrenalinstoß durchfuhr mich. Die Frau war jetzt noch drei Meter entfernt, doch bis jetzt gab es keinerlei Anzeichen, dass sie es tatsächlich auf mich abgesehen hatte.
Zwei Meter. Ein Meter. Ich hielt angespannt den Atem an.
Schnellen Schrittes lief die Frau an mir vorbei, ohne mich auch nur anzusehen. Erleichtert atmete ich auf und für einen kurzen Augenblick fragte ich mich, warum ich so eine Angst vor einer einsamen Spaziergängerin gehabt hatte. Dann drehte sich die Frau plötzlich um, baute sich vor mir auf und blickte mich herausfordernd an.
Ach verdammt.
Augenblicklich blieb ich stehen. Sie war ziemlich groß, wirkte durchtrainiert, trug eine gemusterte Bluse und eine modische Jeans, ihre dunkelbraunen Haare waren hochgesteckt. Ihre dunklen Augen musterten mich amüsiert. Schnell sah ich mich mit meiner Wahrnehmung um – wir beide waren in diesem Moment die einzigen Menschen hier draußen in einem Umkreis von fast fünfzig Metern. Ungut.
„Magier Falkenstein, nehme ich an.“ sagte die Frau. Ihre Stimme war tief und sie sprach mit einem italienischen Akzent. Ich nickte zögerlich. Die Frau lächelte. „Sehr gut. Du hast etwas, das uns gehört.“
Sie meinte das Lucilius-Amulett. Offensichtlich. Woher auch immer sie wusste, dass ich es bei mir hatte. Wirklich ungut.
Was sollte ich tun? Das Einzige was mir einfiel, war Zeit zu schinden. „Definiere uns.“ sagte ich zögerlich. „Wer bist du?“
„Ich bin Magierin Fontana.“ sagte die Frau. „Und ich bin die in Rom stationierte Agentin des Syndikats.“
„Hat Rubisco es noch nicht einmal für nötig befunden, selbst zu kommen?“
Fontana lächelte. „Keine Sorge, sie ist auf dem Weg. Aber wir waren der Meinung, dass diese Angelegenheit zu dringend ist, um länger zu warten. Es hat eine Weile gedauert, bis ich dich gefunden habe – du hast wohl vergessen, das Syndikat zu kontaktieren…“
Ich zuckte mit den Schultern. „Mein Fehler.“ Innerlich verfluchte ich mich dafür, dass ich mit so etwas nicht gerechnet hatte. Ich hätte den Ring viel früher aktivieren und nicht so viel Zeit vertrödeln sollen. Doch dafür war es jetzt zu spät. Fontana hatte mich gefunden und sie verlangte das Amulett.
Sollte ich es ihr geben? Ich hatte zwar eigentlich beschlossen, das Amulett nicht dem Syndikat zu überlassen. Doch war ich auch bereit, für diese Entscheidung zu kämpfen? Fontana würde sich mit einem einfachen Nein sicherlich nicht zufriedengeben, so viel war klar.
Ich hatte also zwei Möglichkeiten. Entweder ich gab nach – es würde sich nicht gut anfühlen, doch ich würde mir das Leben dadurch wesentlich leichter machen – oder ich stand zu meiner Überzeugung und riskierte dabei, verletzt oder getötet zu werden. Wie weit war ich bereit zu gehen?
Fontana musterte mich ungeduldig. „Möglicherweise habe ich mich undeutlich ausgedrückt – ich möchte, dass du mir das Amulett übergibst. Jetzt.“ sagte sie und unterbrach damit meine Überlegungen. Es war an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen.
Zwei Möglichkeiten. Gleichgültigkeit oder Verantwortungsbewusstsein. Einfach oder schwer.
Plötzlich war die Antwort klar. Ich wusste, was ich zu tun hatte.
„Tut mir leid. Ich übergebe das Amulett nur an Rubisco persönlich.“
Fontana warf mir einen genervten Blick zu. „Glaub mir, wenn du es mir gibst, ist das, als würdest du es ihr persönlich überreichen.“ sagte sie ungeduldig. „So und nicht anders lauten ihre Anweisungen. Wenn ich du wäre, würde ich diese befolgen.“
Kurz verzog ich mein Gesicht zu einer Grimasse. Okay, dann wohl auf die harte Tour.
„Ich werde jetzt gehen und du wirst mich nicht aufhalten.“ sagte ich bestimmt. „Rubisco wird das Amulett erhalten, aber ich werde es nicht an dich übergeben. Denk nicht mal daran, dich mir in den Weg zu stellen, denn sonst werde ich wütend. Und Rubisco wäre mit Sicherheit nicht erfreut, wenn sie deswegen ihr Amulett nicht bekommt.“
Für einen kurzen Moment wirkte Fontana überrascht, dann verwandelte sich ihre Miene in ein spöttisches Grinsen. „Du bluffst, Falkenstein. Rubisco hat mich davor gewarnt, dass du wahrscheinlich versuchen wirst, dich rauszureden. Und sie hat mich ausdrücklich angewiesen, nicht nachzugeben.“
Es nervt mich wirklich, wenn mir niemand mehr meine Ausreden abkauft. Aber einen Versuch war es wert gewesen.
„Nun gut.“ sagte ich schließlich und musterte Fontana abschätzend. „Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich dir das Amulett nicht geben werde.“
Fontana zuckte nur mit den Schultern. „Deine Entscheidung. Dann werde ich es mir eben holen.“ Mit diesen Worten machte sie einen Schritt in meine Richtung. Gleichzeitig hob sie ihren Arm.
Meine Wahrnehmung warnte mich gerade noch rechtzeitig. Ich reagierte sofort – innerhalb eines Sekundenbruchteils warf ich mich zur Seite. Ein Blitzzauber flog an mir vorbei und schlug stattdessen in einen Baum hinter mir ein. Er hätte mich nicht getötet, aber schmerzhaft wäre ein Treffer wohl dennoch gewesen.
Ich blieb nicht stehen um es herauszufinden. Noch bevor Fontana realisierte, dass ihr Angriff mich verfehlen würde, hatte ich mich umgedreht und war losgerannt. Drei Meter bis zum nächsten Baumstamm. Ich überbrückte die Distanz in weniger als einer Sekunde und warf mich in Deckung, bevor ein weiterer Angriffszauber mich knapp verfehlte.
Adrenalin durchflutete meinen Körper und mein Herz schlug eine Spur zu schnell. Warum geriet ich in den letzten Tagen nur ständig in solche Situationen? Die einzig gute Nachricht war wohl, dass Fontana nicht versuchte, mich umzubringen. Vielleicht war ihr der Ort dafür zu exponiert. Noch.
„Letzte Chance, das friedlich zu lösen.“ rief sie. Mit meiner Wahrnehmung sah ich, dass sie langsam auf mein Versteck zugeschlendert kam. Ich lehnte mit dem Rücken am Baumstamm und überlegte händeringend, was ich nun tun sollte. Fontana war eine Kampfmagierin, ich war also mal wieder unterlegen.
Mit meinen Fingern tastete ich für einen Moment den Griff meiner Pistole ab, doch diesen Gedanken verwarf ich schnell wieder. Es gab nur wenige Dinge, die meine aktuelle Situation verschlimmern konnten, doch irgendetwas sagte mir, dass eine Pistole auf offener Straße ziehen definitiv dazugehörte.
Stattdessen zog ich meinen Zauberstab und leitete meine Magie hinein. Was reine Kraft anging war ich Fontana hoffnungslos unterlegen, doch in diesem Moment hatte ich einen Vorteil auf meiner Seite – den Überraschungseffekt. Meine Gegnerin konnte mich in diesem Moment nicht sehen, und da sie nicht über die gleiche Wahrnehmung wie ich verfügte, würde sie nicht merken, wie sich mein Zauber langsam aufbaute, wie sich die Magie langsam im Zauberstab aufstaute.
Mit meiner Wahrnehmung passte ich einen Moment ab, in dem Fontana gerade etwas unachtsam zu sein schien. Ihre Augen waren für einen kurzen Augenblick zur Seite gerichtet, wohl um zu überprüfen, ob wir noch alleine waren. Das reichte mir. Schnell sprang ich aus meiner Deckung heraus und attackierte sie mit einer Druckwelle purer Macht.
Der Spruch, den ich gewählt hatte, war ebenfalls nicht tödlich, doch er verfügte über eine Menge kinetischer Energie. Die Welle erfasste Fontana, bevor sie die Gelegenheit bekam, einen Schild aufzubauen, dann wurde sie von dem Druck mehrere Meter nach hinten geschleudert. Ihre Füße verloren dabei den Kontakt zum Boden. Mit einem überraschten Aufschrei flog die Kampfmagierin über das kleine Mäuerchen hinweg, das den Spazierweg vom einige Meter tiefer liegenden Fluss abtrennte.
Ein lautes Platschen ertönte, dann war es plötzlich still. Vorsichtig lief ich auf den Rand des Weges zu und sah nach unten. Eine Steilwand führte von hier in die Tiefe. Unten folgte ein mehrere Meter breiter Grünstreifen, dahinter lag der Fluss. Langsam und stetig floss er durch die Dunkelheit. Gelegentlich wurde das Licht der Straßenlaternen auf der Wasseroberfläche reflektiert, doch ansonsten wirkte er wie ein tiefschwarzer Sog.
Eine Bewegung in der Nähe des Ufers zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Kopf tauchte aus den dunklen Wellen auf – Fontana. Die Strömung hatte sie bereits einige Meter fortgetrieben, doch ansonsten schien sie unbeschadet. Kein Wunder – sie hatte genug Zeit gehabt, um sich auf den Aufprall vorzubereiten und im Fallen einen Schild zu bilden.
Trotzdem – für den Augenblick war sie ausreichend damit beschäftigt, nicht unterzugehen. Das würde nicht lange so bleiben – Elementarmagier sind relativ unkaputtbar – aber ich beschloss, dass ich nicht bleiben musste, um mich von ihrem Wohlergehen zu überzeugen. Ich drehte mich um und rannte los. Ich hatte verdammtes Glück gehabt, dass ich die Magierin so überrumpeln konnte, doch das würde nicht nochmal funktionieren. Meine einzige Gelegenheit, ihr zu entkommen, war jetzt.
Eine Weile rannte ich im Zickzack durch die Straßen, vergewisserte mich dabei mehrmals, dass mir niemand folgte. Erst als ich eine ausreichend große Entfernung zwischen mich und den Tiber gebracht hatte, blieb ich erschöpft stehen. Der Tag war anstrengend gewesen, und langsam spürte ich meine Müdigkeit. Ich konnte von Glück sprechen, dass Fontana alleine gewesen war und dass das Syndikat in Rom offenbar keine Sinnesmagier beschäftigte, die mich mit ihrer Wahrnehmung hätten verfolgen können. So war ich mir relativ sicher, dass ich außer Gefahr war. Für den Augenblick.
Eine breite Straße öffnete sich vor mir zwischen den engen Gassen – ich war selten so erleichtert gewesen, andere Menschen zu sehen. Mehrere Taxis warteten im Schatten einer großen Kirche und ohne zu zögern stieg ich in das erstbeste.
„To Termini, please.“ sagte ich zu dem Fahrer, der mich im Rückspiegel skeptisch musterte. Er nickte und das Fahrzeug setzte sich in Bewegung, gliederte sich ein in den langsam fließenden römischen Verkehr. Ich lehnte mich zurück, beobachtete die nächtliche Stadt, wie sie an mir vorbeizog. Am Bahnhof kaufte ich ein Ticket und stieg in meinen Zug. Ich überprüfte, ob der Ring an meinem Finger immer noch glühte, dann schloss ich die Augen. Es war ein langer Tag gewesen und morgen würde es nicht besser werden. Das sanfte Rattern des Waggons wiegte mich schließlich in einen unruhigen Schlaf.
Gipfeltreffen
Ich stieg die letzten Meter der Anhöhe hinauf, bis ich endlich den Gipfel erreichte. Einen Großteil der Strecke hatte ich auf einem breiten Wanderweg zurücklegen können, doch die letzten zehn Minuten musste ich abseits irgendwelcher Pfade durch den Wald und schließlich über eine etwa hundert Meter breite Wiese laufen, um an diesen Ort zu gelangen.
Der Gipfel selbst war übersät mit Felsen. Einige von ihnen waren nur kniehoch, andere überragten mich wiederum. An manchen Stellen senkte sich die Erde etwas ab und bildete Vertiefungen zwischen den einzelnen Gesteinsbrocken. Es war nicht viel, doch zumindest boten die Felsen etwas Deckung und einige wenige Versteckmöglichkeiten.
Ich ließ mich auf einem der Felsen nieder und blickte zurück ins Tal. Ich war allein hier oben, abseits irgendwelcher Wanderrouten. Was der Grund war, warum ich genau diesen Ort ausgesucht hatte. Bei dem, was nun folgen würde, wollte ich keine Zuschauer haben.
Sechs Uhr zweiundfünfzig. Ich lächelte – fast auf die Minute pünktlich.
Ich war über Nacht von Rom nach Florenz gefahren. Dort war es mir gegen vier Uhr morgens dann endlich gelungen, einen Taxifahrer zu überzeugen, mich hinaus aufs Land zu fahren. Natürlich nur mit Geld, nicht mit Magie oder Gewalt.
Die letzten zwei Stunden war ich durch die Dunkelheit diesen Berg hochgewandert. Und nun saß ich hier und wartete darauf, meinen Plan in die Tat umsetzen zu können, während die Sonne langsam aufging. Ich blickte auf den Ring, den ich immer noch trug. Sein Glühen war über Nacht stetig schwächer geworden, und nun war es so gut wie verschwunden. Der Zauber würde in wenigen Minuten aufhören zu wirken, und dann könnten andere Magier mich wieder aufspüren. Was bedeutete, dass ich vermutlich irgendwas zwischen einer und fünf Stunden Zeit hatte, um mich auf eine Begegnung mit der Organisation, dem Syndikat oder beiden vorzubereiten – je nachdem, wie schnell sie es hierherschafften.
Meine Idee war es, die beiden Fraktionen hier oben fern irgendwelcher Zuschauer aufeinander treffen zu lassen, und mich dann unauffällig zurückzuziehen. Die Organisation und das Syndikat würden sich ohne Zweifel gegenseitig bekämpfen – wenn alles glatt lief, wären sie danach nicht mehr auf mich fokussiert.
Es war ein riskanter Plan, dessen war ich mir bewusst. Es gab viel zu viele Komponenten, die unsicher waren. Aber mir fielen aktuell nicht viele Möglichkeiten ein, um das hier auf eine gute Art zu beenden, und die meisten davon waren unrealistisch. In dem Moment, in dem ich das Amulett gefunden hatte – nein, in dem Moment, in dem ich in dieser verdammten Prophezeiung erwähnt worden war – war klar gewesen, dass diese Sache hässlich enden würde.
Die Vorgehensweise, die ich mir schließlich ausgesucht hatte, war keineswegs ideal, doch zumindest konnte ich das Aufeinandertreffen mit den anderen Parteien nach meinen Bedingungen gestalten. Ich hatte einen ruhigen Ort ohne Zeugen gewählt, an dem ein paar schießwütige Magier niemanden verschrecken würden. Einen Ort, den ich in der verbleibenden Zeit kennenlernen konnte, und den ich so effizient wie möglich zu meinen Gunsten präparieren wollte. Ich hatte nicht vor, selbst zu kämpfen, wenn es sich vermeiden lies, doch im Ernstfall zahlt es sich bekanntlich aus, vorbereitet zu sein.
Ich stand auf und durchsuchte die Taschen an meinem Gürtel. Bevor ich nach Salzburg gefahren war, hatte ich einige magische Gegenstände eingepackt, von denen ich dachte, dass sie nützlich werden könnten. Sobald mir klargeworden war, dass ich auf eine Mission nach Wien geschickt wurde, hatte ich meinen Bestand noch etwas aufgeforstet, und nun hatte ich so einige praktische Hilfsmittel bei mir. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, um sie zu benutzen.
Als erstes zog ich eine Kette hervor, an der ein hübsch verzierter Eisentalisman hing. Diesen magischen Gegenstand hatte ich zuletzt benutzt, als Wildman mich vor drei Tagen gejagt hatte. Damals hatte ich ihn nicht gebraucht, aber genau das war seine Stärke. An neunzehn von zwanzig Tagen trägt man den Talisman umsonst mit sich herum, doch am zwanzigsten Tag ist man plötzlich froh, dass man ihn noch dabeihat. Ich murmelte leise einen Zauberspruch und leitete meine Magie in den Talisman. Er würde mich aufgeladen genau einmal vor einem tödlichen Treffer schützen. Ich wollte natürlich trotzdem versuchen, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, doch als Sinnesmagier lebt man manchmal eben gefährlich.
Als nächstes platzierte ich einige Glasmurmeln an strategisch günstigen Plätzen rund um den Gipfel. Sie ähnelten der, mit deren Hilfe ich vor Frau Schneider, Felix und Lukas aus dem Museum geflohen war. Auch in ihnen war ein Feuerzauber eingearbeitet, allerdings war er diesmal so ausgerichtet, dass er erst auf meinen Befehl hin losgehen würde. Im Prinzip hatte ich das Gebiet also in ein Mienenfeld verwandelt – allerdings mit magischen Mienen, die ich selbst kontrollierte. Sinnesmagier würden den Zauber in den Murmeln natürlich wahrnehmen, wenn sie gut genug aufpassten, doch gegen Elementarmagier könnten die Feuermurmeln vielleicht noch nützlich werden.
Ich verbrachte eine weitere Stunde damit, verschiedene magische Gegenstände rund um den Gipfel zu verteilen, dann ließ ich mich etwas erschöpft aber zufrieden auf einem Felsen nieder.
Es konnte noch eine Weile dauern, bis die Organisation oder das Syndikat mich erreichen würden. Ich zog mein Handy aus der Tasche, schaltete es zum ersten Mal seit gestern Abend wieder ein und wählte Frau Schneiders Nummer.
Frau Schneider nahm augenblicklich ab, was mich nicht überraschte. Als Organisationsagentin war sie wohl eher keine Langschläferin. „Guten Morgen, Frau Schneider.“ sagte ich. Aus irgendeinem Grund hatte ich unangemessen gute Laune – vielleicht lag es an dem fantastischen Ausblick über das herbstliche Tal, das unter mir von der Morgensonne angestrahlt wurde.
„Falkenstein. Was wird das?“ Frau Schneider klang etwas gereizt – offensichtlich nahm sie mir mein Vorgehen doch übel.
„Nichts, ich wollte nur nochmal über mein Angebot von gestern Abend sprechen. Die Organisation bekommt das Amulett und ich bekomme im Gegenzug Schutz vor dem Syndikat garantiert. Habt ihr es euch inzwischen nochmal überlegt?“
Stille. Als Frau Schneider schließlich sprach, klang sie plötzlich wirklich sauer und mich beschlich das leise Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. „Wie arrogant bist du eigentlich? Ich habe dir gestern bereits gesagt, dass die Organisation das nicht garantieren kann, aber dass ich mich für dich einsetzen würde, weil ich deine Hilfe zu schätzen gelernt habe. Das war bevor du beschlossen hast, Katz und Maus mit uns zu spielen. Was denkst du wohl – hat diese Aktion das Vertrauen meiner Vorgesetzten in dich gestärkt?“ Frau Schneider machte eine kurze Kunstpause, bevor sie diese Frage selbst beantwortete. „Nein, selbstverständlich nicht. Die Organisation ist nun ernsthaft sauer auf dich, und glaub mir, diesmal werde ich nicht versuchen, dich zu schützen. Du kannst nicht ewig vor uns weglaufen, dafür ist die Organisation zu mächtig. Wir wollen dieses Amulett haben, und wir werden es bekommen. Was dabei aus dir wird, ist mir persönlich ziemlich egal.“
Ich schwieg eine Weile. Natürlich hätte ich mit dieser Reaktion rechnen sollen, aber ein kleiner Teil von mir hatte gehofft, dass Frau Schneider nach der erfolglosen Nacht nochmal in sich gegangen und nun zu einem Handel bereit war.
„Schade.“ sagte ich schließlich. „Ihr hättet das alles wirklich deutlich leichter machen können. Für mich und für euch.“
„Falsch.“ antwortete Frau Schneider aufgebracht. „Du hättest das leichter machen können. Für dich. Aber ich hätte von vorneherein wissen müssen, dass es irgendwann so enden wird. Weißt du, eine Weile habe ich wirklich gedacht, dass du dich uns angeschlossen hast, weil du an die Sache glaubst. Dass wir dir trotz allem vertrauen können. Ich habe dich sogar vor meinem Team verteidigt. Aber Lukas und die anderen hatten Recht, am Ende geht es dir nur um dein verdammtes eigenes Wohl.“
„Lukas hat geglaubt, dass ich noch immer für Rubisco arbeite. Damit liegt er falsch.“ Aus irgendeinem Grund hatte ich plötzlich das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen.
Frau Schneider lachte nur. „Das magst du vielleicht glauben. Aber Tatsache ist: Solange du gegen die Organisation arbeitest, unterstützt du automatisch das Syndikat und all die anderen Vereinigungen, die an dem Amulett interessiert sind.“
Langsam wurde auch ich wütend. „Ich müsste nicht gegen die Organisation arbeiten, wenn ihr bereit gewesen wäret, mir so etwas Simples wie Schutz vor dem Syndikat zu gewährleisten. Tut nicht so, als wäre das hier meine Schuld.“
Frau Schneider schwieg eine Weile. „Wir drehen uns im Kreis, Falkenstein. Unser Standpunkt war klar, aber du hast dich nicht darauf eingelassen, weil du noch mehr wolltest. Das wird dir nun auf die Füße fallen.“
Ich seufzte. „Tut mir leid, dass ich ein Interesse daran habe, zu überleben.“ Ich verstummte einen Augenblick. „Wenn ihr das Amulett unbedingt wollt, warum kommt ihr es dann nicht endlich holen?“ fragte ich dann. „Kommen Sie, Frau Schneider. Wir wissen beide, dass ihr mich schon längst wieder aufgespürt habt. Diesmal werde ich nicht mehr davonlaufen, also los, worauf warten Sie noch?“
„Was planst du diesmal, Falkenstein?“ fragte Frau Schneider genervt.
„Gar nichts, gar nichts. Ich versuche nur, dafür zu sorgen, dass alles gut wird.“ antwortete ich.
Frau Schneider lachte grimmig. „Eins schwöre ich dir – wenn die Organisation wegen dir das Amulett verliert, dann werde ich höchstpersönlich das Team leiten, das dich festnehmen wird.“
Ich schmunzelte. „Na dann hoffen wir mal, dass das nicht eintreten wird, nicht wahr? Beeilen Sie sich – ich warte.“ Mit diesen Worten legte ich auf. Ich hatte erfahren, was ich wissen wollte – die Organisation wusste, wo ich war, und Frau Schneiders Team war auf dem Weg zu mir. Ich hoffte, dass das gleiche auch für Rubisco galt.
Ich seufzte und lehnte mich zurück. Ab jetzt hieß es wohl warten…
Meine Wahrnehmung warnte mich rechtzeitig.
Sinnesmagie ist begrenzt. Im Museum in Wien hatte ich den Spürzauber, den Lukas und Felix gewirkt hatten, über etwas weniger als hundert Meter hinweg wahrnehmen können – das war allerdings sehr nah am Limit gewesen. An so einem belebten Ort mitten in der Großstadt ist es sehr schwer, sich auf Dinge zu konzentrieren, die weiter entfernt sind.
Auf dem Land ist die Reichweite meiner Wahrnehmung deutlich größer. Wenn die Gegend menschenleer ist, kann sie mit der nötigen Konzentration auch mehrere hundert Meter weit reichen. Das war der zweite Grund, warum ich ausgerechnet einen verlassenen Berggipfel für mein Vorhaben gewählt hatte. Es war niemand in der Nähe, der mich ablenken konnte, und so bemerkte ich die Ankunft der Neuankömmlinge schon mehrere Minuten im Voraus, während diese noch damit beschäftigt waren, den Berg zu erklimmen.
Ich konzentrierte mich, bemühte meine Wahrnehmung, um herauszufinden, was mich erwarten würde. Es war eine Gruppe bestehend aus vier Leuten – drei Männer und eine Frau. Rubisco. Die anderen drei dürften dann wohl Mitglieder des Syndikats sein.
Seit meinem letzten Telefonat mit Frau Schneider war etwas mehr als eine Stunde vergangen – Rubisco musste sich also wirklich beeilt haben, um mich so schnell zu erreichen. Nun galt es, sie so lange wie möglich hinzuhalten, bis Frau Schneider und ihr Team kamen. Hoffentlich würde letzteres nicht mehr allzu lange dauern, sonst hatte ich ein Problem.
Egal. Ein wenig Risiko schadet ja bekanntlich nie.
Ich stellte mich zwischen zwei der Felsen und wartete. Der einzige Nachteil dieses Berggipfels war, dass die Deckung hier auf Dauer begrenzt war. Als Sinnesmagier war mein erster Impuls in der Regel, mich zu verstecken. Das könnte heute schwierig werden.
Es dauerte noch fast zehn Minuten, bis Rubisco und ihre Gefolgsleute den Waldrand erreichten. Von dort aus führte der Weg gute hundert Meter über offene Fläche hinauf bis zum Gipfel. Ich sah, wie die Magier einen kurzen Moment zögerten, dann traten sie hinaus ins Freie. Rubisco führte sie an und stieg selbstbewusst den Hang hinauf.
Als sie noch fünfzig Meter entfernt waren, trat ich aus den Schatten der Felsen heraus und blickte der Gruppe entgegen. Rubisco begegnete meinem Blick und lächelte. Es war ein eindeutiges Gewinnerlächeln, sie schien wie immer absolut überzeugt zu sein, dass sie bekommen würde, was sie wollte.
Zehn Meter vor mir blieb sie stehen. Ich nickte ihr zu. „Rubisco.“
„Falkenstein.“ erwiderte sie. „Wie schön, dass wir uns wiedersehen.“
Ich musterte Rubisco. Ihre schwarzen Haare wehten sanft im Wind. Sie trug einen langen grauen Mantel, ihre Hände hatte sie dabei lässig in den Taschen verstaut. Rein äußerlich wirkte sie nach wie vor nicht gefährlich, doch sie hatte etwas an sich, das ausdrückte leg dich nicht mit mir an oder du wirst es bereuen.
Die Männer, die im Halbkreis hinter ihr stehengeblieben waren, wirkten nicht ganz so locker, obwohl sie auf den ersten Blick deutlich stärker als Rubisco aussahen. Alle drei waren groß und kräftig und in dunkle Klamotten gehüllt – ich schätzte, dass es sich um Kampfmagier des Syndikats handeln musste. Sie betrachteten mich nüchtern – solange Rubisco sie zurückhielt, würden sie mir wohl kaum etwas tun, doch wenn es darauf ankam, würden sie nicht zögern.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell hier auftauchen würdest.“ sagte ich. „Was genau verschafft mir das Vergnügen?“
„Ach, weißt du“ antwortete Rubisco, „ich war doch etwas überrascht, als mir meine Agenten berichtet haben, dass du auf mysteriöse Weise aus Wien verschwunden bist, ohne dass die Organisation dich aufhalten konnte. Und da du offensichtlich nicht mit Magierin Fontana kooperieren wolltest, dachte ich, es wäre am besten, ich würde selbst nach dem Rechten sehen.“
„Ich verstehe.“ Sie wusste, dass ich das Amulett bei mir hatte, und sie wusste, dass ich mich geweigert hatte, es an Fontana zu übergeben. Trotzdem wirkte Rubisco gelassen, es schien sie nicht sonderlich zu kümmern, dass ich versucht hatte, sie zu hintergehen. Natürlich nicht, schließlich würde sie so oder so bekommen, was sie wollte. Fast schon seelenruhig stand sie vor mir und lächelte mich an. Offensichtlich nahm sie mich nicht ernst.
Eine Weile schwiegen wir. Jeder schien darauf zu warten, dass der andere etwas sagte. Ich musterte Rubisco, versuchte meine Chancen einzuschätzen. Schon seit unserer ersten Begegnung in München hatte ich die Vermutung, dass Rubisco eine Sinnesmagierin war. Es passte nicht zu ihrem selbstbewussten Auftreten, doch sie hatte einige Dinge getan, die anders kaum zu erklären waren. Wenn ich recht hatte, bedeutete das, dass ich in einem direkten Kampf gegen sie vielleicht sogar eine Chance haben könnte. Nur leider hätten ihre drei Begleiter in der Zwischenzeit genügend Zeit, um mich sehr gründlich aus dem Hintergrund zu töten. So oder so war ein Angriff also keine Option, doch das hatte ich auch nicht vorgehabt.
„Weißt du, ich hätte wirklich nicht erwartet, dass du diesen Auftrag erfolgreich ausführen würdest.“ sprach Rubisco schließlich, während sie gedankenverloren in die Ferne blickte. „Ich meine, natürlich war da diese Prophezeiung, deswegen habe ich dich ja auch rekrutiert. Aber unter uns – insgeheim bin ich immer davon ausgegangen, dass du scheitern würdest.“
Ich lachte. „Wie gut, dass du mir das erst jetzt sagst, sonst wäre ich glatt entmutigt gewesen.“
„Sieh es als Kompliment, Falkenstein.“ meinte Rubisco. „Offensichtlich habe ich dich unterschätzt und du bist deutlich fähiger als gedacht. Aber ich bin gerne bereit, meinen Irrtum zuzugeben.“
„Nun, weißt du“ antwortete ich, „ohne die Hilfe der Organisation hätte ich es nicht so weit geschafft. Von ihnen habe ich die entscheidenden Informationen bekommen, und sie haben mich letztendlich bei dem entscheidenden Zauber unterstützt. Du hingegen…“ ich verstummte.
Rubisco grinste mich herausfordernd an. „Höre ich da etwa Kritik an meinem Führungsstil heraus? Am Ende ist doch alles gut gegangen, oder etwa nicht?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Manche Dinge hätte man sich sicherlich einfacher machen können. Aber egal – du kannst ja bei Gelegenheit eine nette Dankeskarte an die Agenten der Organisation schicken, um dich bei ihnen für die Unterstützung erkenntlich zu zeigen.“
Rubisco lachte. „In der Tat klingt das verlockend. Ich werde darüber nachdenken. Sobald du mir das Amulett gegeben hast.“
Ich blickte Rubisco in die Augen. Ihr Lachen war verschwunden, stattdessen blickte sie mich fordernd an. Instinktiv wollte ich wegsehen, doch ich zwang mich, den Blickkontakt zu halten.
„Richtig, das Amulett…“ sagte ich schließlich. Plötzlich wurde ich nervös. Wenn die Agenten der Organisation nicht bald auftauchten, hätte ich ein Problem.
„Ja, das Amulett.“ erwiderte Rubisco leicht genervt. „Jetzt, Falkenstein!“
Ich schwieg. Ein wenig, um selbstbewusst zu wirken, doch in erster Linie, um Zeit zu schinden. Lange würde dieser Trick nicht funktionieren, das wurde mir schon gestern während meiner Begegnung mit Fontana klar.
„Weißt du, ich frage mich schon die ganze Zeit, was du damit eigentlich vorhast.“ meinte ich schließlich. „Denkst du nicht, dass ich mir eine Antwort auf diese Frage verdient habe? Nach allem, was ich in den letzten Tagen für dich getan habe.“
Rubisco schenkte mir ein kurzes reserviertes Lächeln. „Ein wenig seltsam ist dieses plötzliche Interesse an meinen Plänen schon, findest du nicht? Vor allem, weil du sicherlich schlau genug bist, um es selbst herauszufinden. Aber weißt du was, weil du es bist, werde ich dir diese Frage trotzdem beantworten. Und danach wirst du mir das Amulett überreichen. Sonst…“ Sie zuckte mit den Schultern und sprach den Rest des Satzes nicht aus.
Ich nickte. „Natürlich.“
„Ich gehe davon aus, die Organisation hat dir erzählt, über welche Fähigkeiten das Lucilius-Amulett verfügt? Oder du hast es bereits selbst herausgefunden, wie auch immer. Ich bin mit meiner jetzigen Position als Leiterin des Syndikats durchaus zufrieden, aber ich denke, dass noch einiges mehr möglich wäre. Im Prinzip möchte ich im Kräfteverhältnis der magischen Welt nur ein Gegengewicht zur Organisation bilden, eine Art Gleichgewicht schaffen. Im Moment ist die Organisation zu stark, als dass sich jemand gegen sie auflehnen könnte, aber mit einem so mächtigen Geistzauber ließe sich das sicherlich ändern, glaubst du nicht?“ Rubisco lächelte. „Viele Magier haben es satt, immer nur auf das zu hören, was die Organisation ihnen befielt, und das Syndikat wird dieses Problem in Zukunft endlich angehen.“
„Natürlich, schließlich möchtest du diejenige sein, die anderen Magiern Befehle erteilt, nicht wahr?“ erwiderte ich mit spöttischem Unterton.
„Nun, du hast es erfasst. Aber ich glaube wirklich, dass es der magischen Welt guttun würde, wenn die Organisation kein Machtmonopol mehr hätte.“
„Im Gegensatz zu dir missbraucht die Organisation ihre Macht aber nicht. Sie lässt die Magier in Ruhe, wenn sie nicht gerade gegen ein Gesetz verstoßen.“ antwortete ich. „Was glaubst du, warum ich in all den Jahren nie von der Organisation gehört habe?“
Rubisco zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Das könnte daran liegen, dass du all die Jahre als magischer Einsiedler gelebt hast. Wenn du mehr mit anderen Magiern zu tun gehabt hättest, wüsstest du, dass die Wirklichkeit anders aussieht.“
Ich schwieg und musterte Rubisco eindringlich. „Ich glaube dir nicht.“ sagte ich schließlich. „Und ich glaube auch nicht, dass du etwas zum besseren verändern würdest. Zumindest nicht für andere Magier als dich selbst. Wenn die Organisation tatsächlich alles und jeden dominieren würde, wäre das Syndikat wohl kaum so gut organisiert. Ich glaube nicht, dass es gut enden würde, wenn du noch mächtiger werden würdest, als du ohnehin schon bist.“
Rubisco blickte mich spöttisch an. „Und was genau willst du jetzt dagegen tun?“ Erneut wurde mir bewusst, dass sie mich nicht wirklich ernst nahm. Das hatte sie nie getan, sonst hätte sie mich nicht durchgehend wie ein kleines Kind behandelt, um das sie sich neben all ihren Pflichten auch noch kümmern musste.
Ich seufzte. „Ich könnte dir zum Beispiel das Amulett nicht geben.“ Ja, das war dumm, aber ich konnte einfach nicht anders.
Rubisco lachte kurz auf, dann wurde sie wieder ernst. „Komm schon Falkenstein, du weißt genauso gut wie ich, dass du mir nichts entgegenzusetzen hast. Sei nicht so dumm und setze dein Leben aufs Spiel, nur, weil du meine Moralvorstellungen etwas fragwürdig findest.“
„Ach weißt du, irgendwie möchte ich gerade genau das tun.“ antwortete ich und zuckte betont lässig mit den Schultern. In meinem Inneren hingegen war ich so angespannt wie noch nie, alle meine Instinkte schrien mich gleichzeitig an, das nicht zu tun. Nervös hielt ich nach Frau Schneider und ihrem Team Ausschau, doch so wie es aussah, musste ich das hier alleine durchstehen.
Rubisco seufzte. „Genug gespielt, Falkenstein. Du wirst jetzt zu mir kommen und mir das Amulett ohne Widerstand überreichen, sonst wirst du diesen Tag nicht überleben. Ich war wirklich sehr geduldig mit dir, aber das ist ab jetzt vorbei.“
Ich sah Rubisco in die Augen und sie erwiderte meinen Blick. Sie bluffte nicht – das spöttische Funkeln, das die ganze Zeit dort gewesen war, war nun aus ihren Augen verschwunden. Wenn ich ihr das Amulett jetzt nicht gab, würde sie es sich mit Gewalt holen. Ich zögerte, wandte den Blick allerdings nicht ab und blieb, wo ich war.
„Jetzt, Falkenstein.“ sagte Rubisco. Ihre Stimme klang drohend.
„Gut, wenn das so ist…“ sagte ich und machte einen kurzen Schritt in ihre Richtung. Im gleichen Moment sprach ich das Befehlswort für eine der Feuermurmeln, die ich zuvor überall auf dem Gipfel verteilt hatte. Eine davon lag seit Beginn des Gesprächs direkt neben einem der drei Kampfmagier. Ein interessanter Zufall, der mir sofort aufgefallen war und den ich jetzt schamlos ausnutzte.
Die Feuermurmel explodierte innerhalb von Sekundenbruchteilen in einem Feuerwall. Der Syndikatsmagier, der den magischen Gegenstand zu seinen Füßen erst jetzt bemerkte, hatte gerade noch genug Zeit, um überrascht zu schauen. Dann wurde er von der Hitzewelle erfasst und die Flammen verschlangen ihn.
Für Elementarmagier stellt Feuer normalerweise keine große Gefahr dar. Wenn sie vorbereitet sind, können sie problemlos einen Schild erschaffen, um sich davor zu schützen. Doch der Magier hatte nicht damit gerechnet, dass der Angriff so plötzlich und von unten kommen würde – er hatte seine Aufmerksamkeit die ganze Zeit auf mich gerichtet gehabt und die Feuermurmel direkt neben sich schlichtweg übersehen. Dafür bezahlte er nun mit dem Leben.
Im gleichen Moment warf ich mich zurück und nutzte die Ablenkung, um mich zwischen die Felsen über mir zurückzuziehen. Mit meiner Wahrnehmung sah ich, dass Rubisco und die beiden verbliebenen Magier instinktiv in Verteidigungshaltung gegangen waren – dieser kurze Moment der Unsicherheit reichte mir, um aus ihrer direkten Reichweite zu entkommen.
Einen Moment lang war es still, die Magier des Syndikats wirkten geschockt über den plötzlichen Tod ihres Kollegen. Dann tönte Rubiscos Stimme über den Gipfel. „Das wirst du bereuen, Falkenstein, hörst du? Ich war trotz allem nett zu dir, aber damit ist jetzt Schluss. Du hast es geschafft, mich ernsthaft sauer zu machen, Glückwunsch!“
Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, analysierte stattdessen die Situation. Meine Chancen standen nun etwas besser, aber auch gegen drei Magier war ich nach wie vor haushoch unterlegen. Ich hielt es außerdem für unwahrscheinlich, dass ich nochmal einen von ihnen ausschalten konnte – das war mir zuvor nur gelungen, weil ich den Überraschungseffekt auf meiner Seite gehabt hatte.
Andererseits hatte ich genug Zeit gehabt, um den Berggipfel gründlich zu meinem Vorteil zu sabotieren. Dies würde ich nun weiter auszunutzen. Manch einer würde sagen, dass so ein Vorgehen unsportlich war, doch gerade als Sinnesmagier tat man nun mal gut daran, es gar nicht erst auf einen fairen Kampf hinauslaufen zu lassen.
Rubisco und die beiden verbliebenen Kampfmagier hatten sich innerhalb weniger Sekunden von ihrem Schock erholt. Nun begannen sie, sich zu formieren.
Mein Instinkt riet mir augenblicklich, wegzulaufen. Dabei gab es allerdings ein Problem: Das gesamte Gebiet rund um den Gipfel war eine freie Fläche ohne Deckung – ich hätte ein viel zu leichtes Ziel abgegeben bei dem Versuch, den Waldrand zu erreichen.
Ich blieb also wie geplant wo ich war, versteckt in einem Durchgang zwischen zwei der Felsen. Rubisco kam in meine Richtung gelaufen, die beiden verbliebenen Kampfmagier links und rechts hinter sich. Ich wartete, bis die drei in meinem Sichtfeld auftauchten, dann aktivierte ich einen weiteren magischen Gegenstand, den ich vor dem Kampf hier versteckt hatte. Eine durchsichtige Wand baute sich zwischen den beiden Felsen auf und trennte mich von Rubisco und ihren Leuten. Sie bestand mehr oder weniger aus verhärteter Energie und war dafür gemacht, Zauber oder sonstige physische Angriffe zu blockieren. Ihre Haltbarkeit beschränkte sich zwar auf wenige Minuten, doch in dieser Zeit war die Barriere so gut wie unüberwindbar.
Rubisco musterte die Energiewand genervt, dann machte sie eine Handbewegung und einer ihrer Männer umrundete den Felsen, hinter dem ich mich verschanzt hatte. Offensichtlich sollte er mich von der anderen Seite attackieren, während Rubisco und der zweite Magier den Ausgang blockierten und darauf warteten, dass die Barriere sich auflöste. Wenn dieser Plan aufging, säße ich in wenigen Minuten in der Falle und wäre von allen Seiten umzingelt.
Doch für den Moment bedeutete das auch, dass die drei Syndikatsmagier sich trennen mussten. Gegen alle zusammen hatte ich kaum eine Chance, doch mit einem einzelnen Gegner sollte ich klarkommen. Hoffentlich.
So oder so war ich für den Moment allerdings in einer Sackgasse gefangen – keine optimale Ausgangssituation.
Ich wandte der Energiewand den Rücken zu, schließlich würde ich rechtzeitig spüren, wann sie sich auflöste. Erstmal musste ich mich um das drängendere Problem kümmern. Schnell zog ich meine Pistole und bereitete mich auf den Kampf vor, der buchstäblich gleich um die Ecke kommen würde.
Mit meiner Wahrnehmung konnte ich genau sehen, wo der Syndikatsmagier sich befand. Ich wartete, blieb in Deckung, dann streckte ich den Arm mit der Waffe genau im richtigen Moment heraus und feuerte. Der Knall war ohrenbetäubend laut und hallte zwischen den Felsen wider.
Der Kampfmagier hatte mit einem Angriff dieser Art wohl gerechnet, denn er zog augenblicklich einen Schild hoch. Die Kugel konnte ihm so nichts anhaben, doch zumindest war er nun vorsichtiger geworden und näherte sich nur zögerlich. Offensichtlich wollte er nicht so enden wie sein Kollege wenige Augenblicke zuvor. Mit der freien Hand zog ich meinen Zauberstab und schuf ebenfalls einen Schild. Dieser wäre nicht so widerstandfähig wie der Schild eines Elementarmagiers, doch immerhin stark genug, um die meisten Angriffe zu blocken.
Der Magier blieb außerhalb meines Sichtfelds stehen, so dass sich etwas Fels zwischen uns befand. Für den Moment hatten wir einen Patt, doch auf Dauer wäre er deutlich stärker als ich. Es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis auch er das herausfand und seine Vorsicht verlor. Abgesehen davon löste sich die Energiebarriere hinter mir, die mich im Moment noch von Rubisco und dem anderen Kampfmagier trennte, in wenigen Minuten auf, und dann wäre ich so gut wie tot. Ich steckte die Pistole weg – jetzt war nicht der Zeitpunkt für rohe Gewalt. Kreativität war gefragt.
Schnell durchsuchte ich meine Taschen, bis ich die beiden Gegenstände fand, die ich brauchte. Bei dem ersten handelte es sich um eine weitere Glasmurmel, diese war jedoch dunkelgrau und nicht rötlich. Murmeln werden allgemein sehr gerne als magische Werkzeuge benutzt und so verwundert es nicht, dass es sie in vielen verschiedenen Variationen gibt, die allesamt andere Zauber beinhalten. Zum Glück bin ich als Sinnesmagier sehr gut darin, die jeweiligen Zauber zu spüren und sie blind auseinanderzuhalten. Diese Murmel beinhaltete einen Nebelzauber. Nicht so gefährlich wie ein Feuerzauber, aber in gewissen Situationen dennoch nützlich.
Der zweite Gegenstand war ein kleines kristallenes Prisma, das einen speziellen Sinneszauber enthielt. Sinneszauber beeinflussen wie der Name schon ausdrückt die Sinne und die Wahrnehmung anderer Personen – sie sind grundsätzlich verwandt mit der Sinnesmagie, die ich allgegenwertig nutze, allerdings wirken sie deutlich spezifischer. Sie funktionieren nicht bei anderen Sinnesmagiern, da diese den Zauber sofort durchschauen würden. Gegen Elementarmagier sind sie jedoch ein praktisches Mittel.
Ich spürte, dass der Kampfmagier sich langsam auf mein Versteck zubewegte. Gleich würde er mir gegenüberstehen, und dann würde es hässlich werden. Schnell leitete ich etwas Magie in das Prisma und beschwor den Zauber hinauf. Dank jahrelanger Übung geschah all das innerhalb von Sekundenbruchteilen.
Der Magier trat um die Ecke… und war verwirrt. Er hatte damit gerechnet, mir gegenüberzustehen, und in gewisser Weise tat er das auch. Jedoch war ich plötzlich nicht mehr alleine – rund um mich herum standen ein Dutzend identische Kopien meiner selbst. Sie waren in einem Halbkreis angeordnet, und es war nicht ersichtlich, welcher Alex Falkenstein denn nun der echte war. Ich machte einen kleinen Schritt aus der Deckung heraus, und im selben Moment taten die Kopien es mir gleich. Alle führten synchron exakt dieselbe Bewegung aus.
Der Kampfmagier wirkte für einen kurzen Moment verwirrt, dann bekam sein Gesicht einen gleichgültigen Ausdruck. Er konnte nicht herausfinden, wer ein Trugbild war und wer nicht, doch er konnte sehr wohl versuchen, jeden einzelnen meiner Doppelgänger zu töten, bis klar wurde, welcher von ihnen nun menschlich und verletzlich war.
Ein Zauber flammte auf und eine meiner Kopien wurde von einem Feuerball in die Brust getroffen. In der Regel wäre so ein Treffer tödlich gewesen. Nichts geschah, und somit war das erste Trugbild als solches enttarnt. Der Magier wollte sich gerade dem nächsten Abbild meiner selbst annehmen, als ich den zweiten magischen Gegenstand in seine Richtung warf. Die Murmel zerbrach und dichter Nebel trat aus ihr aus. Innerhalb weniger Sekunden konnte man in einem Umkreis von etwa zehn Metern nicht einmal mehr die eigene Hand vor Augen sehen.
Als Sinnesmagier war mir das egal. Ich konnte genau erkennen, wo der Kampfmagier sich befand. Ich sah allerdings auch, dass sein Schild weiterhin aktiviert war – es würde also nichts bringen, ihn jetzt anzugreifen. Wenn überhaupt würde ich dabei nur meinen eigenen Standort verraten.
Stattdessen schlich ich mich langsam an dem Magier vorbei. Ich hatte mir meine Umgebung zuvor gut eingeprägt und so wusste ich nun, wo ich hinlaufen musste. Meine Schritte setzte ich dabei so leise wie möglich, um nicht doch noch entdeckt zu werden. Erst als ich den Rand der Nebelwolke erreicht hatte, atmete ich etwas auf. Durch dieses Manöver hatte ich mich gleichzeitig auch von Rubisco und dem zweiten Mann entfernt. Die beiden standen immer noch auf der anderen Seite der Energiebarriere und bewachten den Ausgang. Sie würden schnell merken, dass ich ihnen entkommen war, doch bis dahin war es längst zu spät.
Ich umrundete zügigen Schrittes die Felsenansammlung auf dem Gipfel, um so viel Abstand zu den Syndikatsmagiern wie möglich zu bekommen, als ich mit meiner Wahrnehmung auf etwas aufmerksam wurde. Eine Gruppe Menschen war in einiger Entfernung aufgetaucht. Mein Herz schlug etwas schneller und neue Hoffnung stieg in mir auf. Aufgeregt sah ich genauer hin – es handelte sich tatsächlich um die Agenten der Organisation. Ich erkannte Frau Schneider, Lukas, Felix und Marina.
Nur vier Magier. Etwas enttäuscht verzog ich das Gesicht zu einer Grimasse. Etwas mehr Unterstützung hätte gegen Rubisco sicherlich nicht geschadet, aber gut, ich konnte mich wohl kaum beschweren.
Das Team war noch ein gutes Stück entfernt. Ich schätzte, dass es mindestens fünf Minuten dauern würde, bis es den Gipfel erreichte. Das klang nach wenig, doch in einem Kampf war es verdammt lange. In dieser Zeitspanne konnte ich noch dreimal sterben, wenn ich nicht aufpasste. Ich musste es irgendwie schaffen, Zeit zu schinden und Rubisco und die beiden anderen Syndikatsmagier so lange wie möglich hinzuhalten…
Verdammt. Während ich auf Frau Schneiders Team konzentriert gewesen war, hatte ich die Bewegungen des Syndikats etwas aus den Augen verloren. Viel zu spät erkannte ich, dass ich gerade dabei war, Rubisco direkt in die Arme zu laufen. Sie hatte mein Manöver offensichtlich durchschaut und die Felsen von der anderen Seite umrundet, so dass sie mir nun entgegenkam. Überraschenderweise war sie dabei allein. Kurz fragte ich mich, warum die Kommunikation zwischen den dreien so schlecht war, doch dann beschloss ich, dass ich diese Gedanken besser auf später verschieben sollte.
Ich hielt an. Rubisco kam sehr zielstrebig auf mich zu – offensichtlich wusste sie genau, wo ich war. Ich hatte keine Zeit mehr, ihr auszuweichen. Schnell wählte ich eine Position, von der aus ich im Notfall eine der vorher verteilten Feuermurmeln zwischen uns bringen konnte. Gleichzeitig achtete ich darauf, dass sich die beiden Kampfmagier nicht von hinten an mich heranschlichen – wohlwissend, dass ich kaum etwas dagegen tun konnte, sollte das passieren.
Rubisco kam um die Ecke gebogen. Sie wirkte immer noch elegant und ziemlich unbeschadet, nicht so, als wäre sie gerade in einen Kampf verwickelt. Ich hielt meinen Zauberstab bereit, doch ich griff nicht an. Noch nicht.
„Du überrascht mich, Falkenstein.“ sagte sie ruhig, sobald sie nahe genug war. Offensichtlich hatte sie genug Zeit gehabt, um ihre Wut hinunterzuschlucken. Oder es gehörte von Natur aus zu ihrer Strategie, Gegner mit Worten zu brechen. „Ich hätte nicht gedacht, dass dein Selbsterhaltungstrieb so schwach ausgeprägt ist.“
Ich schwieg einen Moment, bevor ich antwortete, musterte Rubisco trotzig. Jede Sekunde die verging und in der ich nicht kämpfen musste, war ein Gewinn. „Normalerweise bin ich einzig und allein daran interessiert, am Leben zu bleiben, deswegen habe ich mich bisher aus solchen Angelegenheiten herausgehalten.“ sagte ich schließlich in zynischem Tonfall. „Aber Glückwunsch, du hast es geschafft, dass ich plötzlich Ideale entwickelt habe und bereit bin, für sie einzustehen. Ich schätze, das sagt in erster Linie etwas über dich aus.“
Rubisco lachte. „Du bist ein Narr. Aber bitte, wenn du bereit bist, dafür zu sterben.“ Mit diesen Worten griff sie an.
Etwas zerstört
Die immense Wucht der Attacke überraschte mich. Rubisco nutzte einen Zauberstab, was wohl endgültig bestätigte, dass sie eine Sinnesmagierin war. Doch irgendetwas an ihren Bewegungen, an ihrer Magie war anders. Ihre Macht schien sogar die von Elementarmagiern zu übertreffen, war dabei aber komplett anderen Ursprungs. Es war, als würden ihre Angriffe nicht von ihr ausgehen, sondern viel mehr aus einer Art Feld stammen, das sie umgab – sie koordinierte die Zauber nur. Ich schaffte es gerade noch, meinen Schild hochzuziehen, bevor mich ein Feuerzauber und eine Art elektrischer Schlag gleichzeitig trafen. Die Wucht des Aufpralls war gewaltig und um ein Haar hätte mein Schild dem nicht standgehalten.
Einen kurzen Moment war ich erstaunt – technisch sollte das gar nicht möglich sein. Dann hatte ich keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, weil ich meine gesamte Kraft daransetzen musste, die nächsten Sekunden zu überleben.
Rubiscos Zauber trafen immer schneller auf meinen Schild und ich spürte, dass ich diesen nicht mehr lange aufrechthalten konnte. Schon nach wenigen Sekunden schwitzte ich unter der Kraft ihrer Angriffe. Es war beinahe beeindruckend, wie mühelos Rubisco diese lenkte – ein Feuerball hier, im gleichen Moment mehrere Luftprojektile aus einem etwas anderen Winkel. Ein schräger Teil meines Gehirns wunderte sich, warum sie nicht in der Lage war, ihre Zauber beispielsweise auch von hinten kommen zu lassen – offenbar musste ihre Technik doch Grenzen haben. Oder sie spielte einfach nur mit mir.
Mit letzter Kraft verstärkte ich meinen Schild, als meine Wahrnehmung mich plötzlich anschrie. Die beiden anderen Magier des Syndikats kamen in diesem Moment um die Felsen auf mich zu gelaufen – gleich würden sie mir in den Rücken fallen und ich würde sterben, wenn mir nicht verdammt schnell etwas einfallen würde. Ich tat mich schon gegen Rubisco allein schwer – gegen die drei zusammen hätte ich im Kampf keine Chance.
Mir fiel nur eine Möglichkeit ein, die Sache zu überleben. Ich wartete, bis die beiden Magier an der richtigen Position waren, dann zündete ich alle übrigen Feuermurmeln, die ich in diesem Bereich des Gipfels verteilt hatte, gleichzeitig. Zwar hatten meine Gegner bereits damit gerechnet, dass ich so etwas nochmal versuchen würde, doch zumindest konnte ich eine Barriere aus Flammen zwischen uns bringen und sie dadurch für einige Sekunden ablenken. Diese Zeit nutzte ich und warf mich hinter einen der Felsen in meiner Nähe.
Mit zittrigen Fingern zog ich das Lucilius-Amulett aus meiner Manteltasche. Seine Präsenz war deutlich zu spüren – mächtig, lauernd. Ich konzentrierte mich so gut es ging und leitete meine Magie in den Gegenstand.
Es birgt immer ein gewisses Risiko, wenn man magische Gegenstände das erste Mal unter Zeitdruck benutzt. Wenn man mit einem neuen Gegenstand arbeitet, übt man deswegen in der Regel zuerst in Ruhe mit diesem, bevor man ihn im Ernstfall nutzt. Ich wollte das Amulett nicht benutzen, vor allem nicht ohne die nötige Vorbereitungszeit, doch extreme Situationen erfordern extreme Lösungen. Die Alternative wäre es, zu sterben.
Ich spürte, wie der Geistzauber sich langsam unter mir aufbaute – er war mächtiger als alles, was mir je zuvor begegnet war. Rubisco schien es auch zu bemerken, denn sie kam sofort auf mein Versteck zugeeilt, den Zauberstab bereit zum Schlag.
Im nächsten Moment lag sie bewusstlos auf dem Boden. Eine extreme Welle mentaler Macht war von dem Amulett ausgegangen und hatte sie zielstrebig niedergestreckt. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das gemacht hatte. Oder ob ich das überhaupt gemacht hatte. Vermutlich nicht. Es sorgte jedenfalls nicht dafür, dass ich weniger Angst vor dem Amulett bekam. Ich spürte, wie die Macht des Gegenstands auch gegen meinen Geist andrängte, langsam und stetig, und dabei versuchte, die Kontrolle zu übernehmen, doch es überwältigte mich nicht. Noch nicht.
Langsam stand ich auf und starrte etwas ungläubig auf Rubiscos bewusstlosen Körper hinab. Wie lange dieser Zustand wohl anhalten würde?
Einer der beiden Syndikatsmagier kam um den Felsen herumgerannt und ich erinnerte mich plötzlich wieder daran, dass ich mich immer noch mitten in einem Kampf befand. Der Magier blieb abrupt stehen, als er seine am Boden liegende Chefin sah, sein Gesichtsausdruck voller Erstaunen. Dann wanderte sein Blick zu mir und ich sah plötzlich aufkommende Wut, aber auch Angst in seinen Augen. Er feuerte einen weiteren Feuerball auf mich und ich wob im letzten Augenblick einen Abwehrzauber. Mit der anderen Hand zog ich meine Pistole und zielte auf den Kampfmagier. Er warf sich in Deckung und ich beeilte mich, aus seinem Sichtfeld zu entkommen.
Ich hatte das Amulett nicht gegen ihn eingesetzt. Erstens wusste ich nicht, was ich überhaupt tun musste, um einen ähnlichen Effekt wie bei Rubisco zu erzielen. Zweitens, und das war der Hauptgrund, wurde mir mit jeder Sekunde, in der ich das Amulett nutzte oder auch nur bei mir trug, unwohler zumute. Der Geistzauber hatte sich inzwischen wieder zurückgezogen, doch ich fühlte seine lauernde Präsenz immer noch deutlich.
Meine Wahrnehmung verriet mir außerdem, dass Frau Schneiders Team den Berggipfel inzwischen auf der gegenüberliegenden Seite der Felsgruppe erreicht hatte. Ich beschloss, dass die Organisation sich ruhig um die beiden Kampfmagier kümmern konnte, drehte mich um und flüchtete den Abhang hinab in Richtung Waldrand, bevor ich in das Blickfeld von Frau Schneider und den anderen geriet. Ich spürte, wie hinter mir Zauber aufflammten, als die Agenten der Organisation auf die beiden verbliebenen Magier des Syndikats trafen, doch ich blieb nicht stehen, um herauszufinden, wer gewann.
Ich lief, bis ich die ersten Bäume erreichte, dann kam ich langsam zum Stehen und lehnte mich schwer atmend gegen einen Baumstamm. Über mir tobte inzwischen ein erbitterter Kampf zwischen den beiden Gruppen. Ich fokussierte meine Wahrnehmung darauf und erkannte, dass Rubisco noch immer etwas abseits am Boden lag. Sie schien aber wach zu sein. Vermutlich war es nur eine Frage der Zeit, bis auch sie in den Kampf eingriff.
Ich atmete tief ein, um mich zu beruhigen. Das war nicht ganz so verlaufen, wie geplant, und um ein Haar hätte ich mit meinem Leben dafür bezahlt. Ich hatte Rubisco unterschätzt. Und mich selbst überschätzt. Diesen Fehler würde ich so schnell nicht mehr begehen.
Was hatte mich nur geritten, als ich mich für diesen Plan entschieden hatte?
Ängstlich tastete ich nach dem Lucilius-Amulett in meiner Tasche. Mit leicht zittrigen Fingern zog ich es heraus und betrachtete es. Es sah normal aus, wirkte nicht mehr aktiv. Ich ärgerte mich darüber, dass ich gezwungen gewesen war, es zu benutzen. Niemand wusste, wie mächtig dieser Gegenstand wirklich war. Ich hatte gesehen, wie problemlos das Amulett Rubisco niedergestreckt hatte, und das war passiert, ohne dass ich irgendetwas tun musste. Was, wenn es sich nicht einfach so wieder abschaltete? Könnte es sich auch gegen mich wenden?
Ich schauderte. Ich wollte dieses Ding nicht mehr mit mir herumtragen, aber zumindest für die nächsten Minuten schien wohl kein Weg daran vorbeizuführen. Vorsichtig steckte ich das Amulett zurück in meine Tasche und atmete erneut tief durch.
Okay, dachte ich. Ich lebe noch und Frau Schneiders Team kümmert sich in diesem Moment für mich um das Syndikat. Könnte schlimmer sein.
Ich lief noch ein Stück weiter in den Wald hinein, bis ich merkte, dass ich nicht mehr allein war – jemand war mir gefolgt. Wenigstens handelte es sich nicht um Rubisco. Ich blieb stehen und drehte mich um. Die andere Person war ebenfalls stehengeblieben. Sie stand gut verborgen im Schatten der Bäume, doch vor meiner Wahrnehmung konnte sich niemand verstecken.
„Du kannst auch einfach rauskommen.“ rief ich in den Wald hinein. Meine Stimme klang erschöpft – eigentlich reichte es mir für heute mit unangenehmen Auseinandersetzungen.
Es raschelte im Unterholz, dann trat Lukas zwischen zwei Bäumen hervor. Er fixierte mich mit entschlossener Miene.
„Ich dachte, du bist Elementarmagier.“ sagte ich, als er schwieg. „Woher wusstest du, wo ich bin.“
Lukas lachte humorlos. „Du bist ziemlich einfach zu durchschauen, Alex. Ich wusste genau, dass du hier sein würdest. Ich musste es mir nicht mal von Sigrid bestätigen lassen.“
Ich musterte ihn nachdenklich. „Willst du nicht lieber deine Leute im Kampf gegen Rubisco unterstützen, anstatt mich zu verfolgen?“
„Wenn ich das richtig erkannt habe, ist Rubisco bewusstlos. Ich glaube, mit zwei Magiern kommen die anderen auch ohne mich klar.“ Er schwieg kurz. „War das dein Werk?“
„Was genau?“ fragte ich möglichst ahnungslos.
„Rubisco. Ich hätte nicht gedacht, dass du sie im Kampf schlagen könntest.“ Neugierig sah er mich an. Ich schwieg. Leider war ich wohl wirklich leicht zu durchschauen, denn nach einigen Augenblicken sprach Lukas weiter: „Es war das Amulett, nicht wahr? Du hast es die ganze Zeit bei dir getragen, und als die anderen Magier überraschenderweise stärker waren als du, hast du es benutzt, um zu entkommen, oder?“
Ich verzerrte mein Gesicht zu einer Grimasse. „Es lief nicht ganz wie geplant.“ gab ich schließlich zu. „Ich glaube trotzdem, dass es besser wäre, wenn du wieder zurückgehst. Rubisco wird nicht lange bewusstlos bleiben, und dann könnten die anderen deine Unterstützung mit Sicherheit gebrauchen.“
„Gute Idee, Alex. Ich gehe zurück, um den Kampf auszutragen, in den du uns überhaupt erst geführt hast. Und in der Zwischenzeit verschwindest du in aller Seelenruhe mit dem Amulett und wartest darauf, dass wir uns gegenseitig auslöschen.“ antwortete Lukas, seine Stimme klang sarkastisch. „Nein. Ich denke, es ist besser, wenn ich dir zuerst das Amulett abnehme.“
Ich starrte ihn an. „Glaubst du wirklich, dass ich das Amulett selbst behalten möchte?“ fragte ich dann.
„Keine Ahnung. Verrate es mir doch.“ antwortete Lukas. „Aber nachdem du es nicht einfach der Organisation übergeben hast und stattdessen diesen beknackten Plan durchgezogen hast, muss ich wohl davon ausgehen, oder nicht?“
Ich seufzte frustriert. „Wie oft noch – wenn die Organisation bereit gewesen wäre, mir mit Rubisco zu helfen, hättet ihr das Amulett auch ohne Umstände haben können. Aber so musste ich euch leider erst dazu zwingen.“
Lukas schüttelte ungläubig den Kopf. „Weil das ja auch so viel besser ist.“ Seine Stimme klang verärgert. „Verdammt, Alex, verstehst du nicht, was du angerichtet hast? Sigrid hat dir vertraut, und sie wäre bereit gewesen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dir zu helfen. Und was machst du? Du trittst ihr Vertrauen mit Füßen, legst dich mit der gesamten Organisation an, um deinen dummen Racheplan durchzuziehen. Ich verstehe, was dein Problem ist, aber du hättest beweisen können, dass du wirklich auf unserer Seite stehst. Du hättest Sigrid und Friedhelm zeigen können, dass ihr Vertrauen in dich gerechtfertigt war. Du hättest sogar ein Verbündeter der Organisation werden können. Aber nein, du musstest natürlich alle daran erinnern, dass du deinen egozentrischen Ruf auch absolut verdient hast.“
Ich schwieg und blickte Lukas nachdenklich in die Augen. Er schien jetzt richtig wütend zu sein, und seine Worte hatten mich mehr getroffen, als ich zugeben wollte. Konnte er nicht sehen, wie verzwickt meine Situation war? Dass ich Frau Schneider eben nicht vertrauen konnte – nicht nach dem, was ich in der Dimension der Gedanken über sie erfahren hatte. Ich wollte zu einer Rechtfertigung ansetzen, doch plötzlich war ich zu müde dafür. „Ich glaube nicht, dass du es verstehst.“ murmelte ich schließlich, als mir keine schlagkräftige Antwort einfiel.
Lukas zuckte mit den Schultern. „Es ist mir auch egal, ob ich es verstehe. Ich will, dass du mir jetzt das Amulett gibst, danach kannst du meinetwegen abhauen und weiterhin nur an dich selbst denken.“
Ich zögerte. „Ich gebe das Amulett nur Frau Schneider persönlich.“
„Keine Sorge, wenn du es mir gibst, wird sie es erhalten.“ versicherte Lukas. Seine Worte fühlten sich an wie ein Déjà-vu und ich wurde kurz an meine Begegnung mit Fontana zurückerinnert. Mit dem Unterschied, dass ich es diesmal tatsächlich ernst meinte.
Ich wollte gerade antworten, als mir etwas am Rande meiner Wahrnehmung auffiel. Lukas sah mich fragend an, während ich ihm per Handzeichen zu verstehen gab, dass er kurz still sein sollte. Ich sah genauer hin… und schauderte.
Ich fuhr zu Lukas herum. „Wir müssen zurück zu den anderen. Jetzt!“ rief ich mit einer Dringlichkeit in der Stimme, die zuvor nicht dort gewesen war.
„Wieso…?“ setzte Lukas an, doch ich unterbrach ihn.
„Rubisco ist zurück unter den Lebenden und kämpft in diesem Moment gegen Frau Schneider – es sieht schlecht aus für sie.“ Ich zögerte, sah nochmal genauer hin, um mir wirklich sicher zu sein, bevor ich den nächsten Satz aussprach, doch es stimmte. „Und Felix und die beiden Kampfmagier des Syndikats kämpfen gerade zu dritt gegen Marina. Wir müssen den beiden helfen, jetzt sofort!“ Mit diesen Worten lief ich los, den Hang hinauf, zurück an den Ort, von dem ich eben noch geflohen war.
Lukas zögerte einen Moment, dann rannte er mir eilig hinterher. „Was meinst du mit Felix kämpft gegen Marina?“ brüllte er fast schon. Ich sah ihn nicht an, hielt meinen Blick starr auf mein Ziel gerichtet, doch ich konnte mir seinen verwirrten, leicht entsetzten Gesichtsausdruck gut vorstellen. Die beiden hatten lange Zeit gemeinsam gearbeitet, sich gegenseitig vertraut.
„Es tut mir leid“ brachte ich hervor, während ich weiter den Berg hochlief. „aber so wie es aussieht, hat Felix soeben das Team gewechselt. Er kämpft ziemlich eindeutig auf der Seite des Syndikats und gegen Marina.“
„Das… das kann nicht sein.“ stammelte Lukas, dann verstummte er, doch zumindest folgte er mir weiterhin. Ich sah erneut auf den Kampf – im Moment standen Frau Schneider und Marina alleine gegen vier Magier. Und unter diesen war auch noch Rubisco, die vermutlich so mächtig wie zwei Elementarmagier zusammen war. Ich beschleunigte meine Schritte noch stärker, bis ich den Berg schließlich hinaufrannte.
Ich wusste nicht, woher ich meine Entschlossenheit nahm. Eigentlich war es doch von vorneherein mein Plan gewesen, das Syndikat gegen die Organisation kämpfen zu lassen, während ich selbst mich zurückzog. Doch als ich jetzt sah, dass Frau Schneider und ihr Team Hilfe brauchten, hatte ich keine Sekunde darüber nachgedacht, sie alleine zu lassen. Ein wenig war ich von mir selbst überrascht, doch in diesem Moment wusste ich plötzlich genau, was ich zu tun hatte.
Der Kampf fand auf der Seite des Gipfels statt, auf der ich Rubisco und die anderen Syndikatsmagier ursprünglich in Empfang genommen hatte. Frau Schneider und Marina standen am Hang und kämpften gegen die anderen Magier, die eine Position über ihnen bezogen hatten. Der Kampf war heftig, beide Parteien hatten schon lange aufgehört, miteinander zu sprechen. Ich sah, wie sehr Frau Schneider unter den Angriffen von Rubisco schwitzte und für einen kurzen Augenblick packte mich schlechtes Gewissen. Ich schüttelte das Gefühl ab – später. Jetzt musste ich erstmal versuchen, zu helfen.
Überraschenderweise hielt sich Marina deutlich besser als Frau Schneider, obwohl sie alleine gegen drei Magier kämpfte. Sie war eine Kampfmagierin, und trotz ihres jungen Alters schien sie über genug Erfahrung zu verfügen, um sich ihre Gegner vom Hals halten zu können.
Einer dieser Gegner war ihr ehemaliger Kollege Felix. Ich hatte keine Ahnung, wie es dazu gekommen war, doch der dunkelhaarige Magier mit dem leicht distanzierten Gesichtsausdruck kämpfte eindeutig auf Seiten des Syndikats. Er stand etwas abseits, hatte seinen Zauberstab gezogen und feuerte regelmäßige Angriffe aus dem Hinterhalt auf Marina, während diese auf die beiden Elementarmagier des Syndikats fokussiert war.
Ich spürte, wie Lukas etwas rufen wollte, als er Felix erblickte, doch ich brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Die Agenten des Syndikats standen mit dem Rücken zu uns, und zumindest die beiden Kampfmagier hatten uns noch nicht bemerkt – dafür waren sie zu beschäftigt mit Marina. Ich scannte den Hügel mit meiner Wahrnehmung ab – da. Ich wusste doch, dass ich an dieser Stelle noch einige Feuermurmeln angebracht hatte.
Eine der Murmeln lag direkt neben einem der Kampfmagier. Ohne weiter darüber nachzudenken sprach ich das Befehlswort, und die Glasmurmel explodierte. Feuer loderte auf und hätte den Magier beinahe getötet, wenn er nicht im letzten Augenblick zur Seite gesprungen wäre. Offensichtlich hatte er aus der Vergangenheit gelernt, doch auf das, was nun kam, war er trotzdem nicht vorbereitet. Ich hatte bereits meine Pistole gezogen, und während er noch damit beschäftigt war, sich das Feuer vom Leib zu halten, schoss ich dem Syndikatsagenten von hinten in den Kopf.
Der Knall übertönte alle anderen Geräusche. Dann entstand ein plötzlicher Moment der Stille, während der Kampfmagier zu Boden ging und in den Flammen verschwand. Alle blickten mich an – Lukas überrascht, Rubisco genervt, Felix schockiert, Marina dankbar, und Frau Schneider verwirrt. Sie hatte allerdings nicht viel Zeit, sich über meine Ankunft zu wundern, denn Rubisco griff sie augenblicklich erneut an. Ohne weiter darüber nachzudenken, zog ich meinen Zauberstab und eilte ihr zur Hilfe.
Mit unserem Auftreten hatte sich das Bild etwas geändert. Plötzlich waren es nicht mehr zwei Agenten der Organisation gegen vier Syndikatsmitglieder, sondern vier gegen drei. Außerdem konnten Lukas und ich dem Syndikat nun im wahrsten Sinne des Wortes in den Rücken fallen. Rubisco und ihre Leute waren umstellt und mussten mit Angriffen von zwei Seiten gleichzeitig rechnen. Solange wir gut zielten und nicht unsere eigenen Leute trafen, war das ein großer Vorteil.
Ich schleuderte einen Feuerball auf Rubisco. Die Magierin hatte ihn dank ihrer Wahrnehmung natürlich kommen sehen. Mühelos wehrte sie den Zauber ab, doch für den Augenblick war sie gezwungen, ihre Aufmerksamkeit mir zuzuwenden. Frau Schneider nutzte die Gelegenheit und griff nun selbst an, um die Syndikatsmagierin nicht zur Ruhe kommen zu lassen.
„Felix.“ hörte ich Lukas im gleichen Augenblick schreien. Er klang verständlicherweise wütend. Ich hatte keine Zeit, mich zu ihm umzudrehen. Nur über meine Wahrnehmung bekam ich am Rande mit, wie er fassungslos auf seinen ehemaligen Partner zulief.
Ich attackierte Rubisco mit einem weiteren Feuerball, dicht gefolgt von einem Zersetzungszauber. Beide Angriffe waren in der Theorie tödlich, und beide fing sie mühelos ab. Selbst gegen zwei Gegner wirkte Rubisco nicht im Geringsten angestrengt.
Einige Meter weiter duellierte sich Marina weiterhin mit dem verbliebenen Kampfmagier des Syndikats. Nun, da sie sich nur noch um einen Gegner kümmern musste, wirkte sie bedeutend selbstbewusster und forscher. Sie würde in den nächsten Minuten die geringsten Probleme haben.
Felix hatte sich etwas vom Kampfgeschehen abgewendet und lief Lukas entgegen. Seine Miene war unleserlich, als er seinem Teampartner in die Augen sah.
Im nächsten Moment beschoss Rubisco mich mit einem ganzen Feld elektrischer Blitze. Ich musste meine gesamte Energie darauf verwenden, meinen Schild zu verstärken, doch wie durch ein Wunder hielt er dem Angriff stand. Ich sah, wie sie mich über den Zauber hinweg anlächelte. Sie war immer noch siegesbewusst.
„Was zur Hölle machst du da?“ hörte ich Lukas im Hintergrund aufgebracht rufen. Er schien völlig neben der Spur zu sein, als hätte er den Kampf um sich herum gar nicht bemerkt. Ich hoffte nur, dass er wachsam genug war, um möglichen Querschlägern oder Angriffen aus dem Hinterhalt ausweichen zu können, doch ich konnte ihm nicht helfen. Rubisco hielt mich und Frau Schneider ziemlich gut in Schach.
„Du verstehst das nicht.“ sagte Felix. Seine Stimme war distanziert.
Ich wich einem schlecht platzierten Geschoss von Rubisco aus und feuerte einen einzelnen Energieblitz auf sie. Sie fischte ihn mit einer geschickten Bewegung aus der Luft.
„Dann erkläre es mir!“ verlangte Lukas. „Ich habe dir vertraut.“
Felix schwieg. „Ich habe meine Gründe.“ antwortete er schließlich. „Du sagst selbst immer, dass man niemandem vertrauen kann. Nun, du hattest recht.“
„Nein.“ schrie Lukas aufgebracht. „So leicht lasse ich dich nicht damit davonkommen.“ Ich spürte, wie er einen Angriffszauber schuf. Eine ganze Wand aus Feuer kam auf Felix zugeschossen. Dieser wirkte kurz überrascht, bevor er im letzten Moment seinen Schild hochzog. Die Flammen rauschten an ihm vorbei und erloschen. Felix blieb unverletzt.
Lukas starrte seinen Partner entsetzt an – offenbar begriff er erst jetzt, was er gerade getan hatte. Dann überschlugen sich die Ereignisse plötzlich. Felix ging nun selbst in die Offensive – sein Zauberstab schwang bedrohlich durch die Luft, bevor er einen Schwall tödlicher schwarzer Energie auf Lukas losließ. Dieser warf sich zur Seite. Lukas war ein Elementarmagier, Felix ein Sinnesmagier – theoretisch konnte dieser Kampf nur auf eine Art enden. Doch anstatt etwas auf den Angriff zu erwidern, stand Lukas einfach nur da und starrte Felix schmerzerfüllt an.
Ein weiterer Angriff von Rubisco lenkte mich ab. Ich spürte, wie ich langsam müde wurde. Der Kampf durfte nicht mehr lange so weitergehen.
„Du willst wissen, warum ich es getan habe?“ hörte ich Felix hinter mir wütend rufen, während er einen erneuten Angriffszauber heraufbeschwor. Ein Feuerball flog in Lukas Richtung und prallte vergeblich an dessen Schild ab. „Ich habe es satt, für die Organisation zu arbeiten. Ich will wahre Macht und ich will mir das nehmen können, was ich will, ohne ständig auf das hören zu müssen, was die Organisation mir befiehlt. Das Einzige, was die Organisation je tut, ist die Macht anderer Magier zu begrenzen, um weiterhin selbst bestehen zu können. Damit ist jetzt Schluss. Ich war viel zu lange ein Werkzeug.“ Ein weiterer Feuerball prallte gegen Lukas Schild – dieser schien es nicht mal zu bemerken.
„Das macht keinen Sinn.“ stammelte Lukas stattdessen. „Was willst ausgerechnet du mit Macht?“
Felix lachte. „Du bist ein Narr, Lukas. Ich wusste, dass du das niemals verstehen würdest – was glaubst du, warum ich das Thema nie angesprochen habe? Du kennst mich nicht einmal annähernd so gut, wie du immer dachtest.“ Er schuf einen weiteren Angriffszauber, doch die letzten Worte schienen Lukas endlich aus seiner Trance aufgeweckt zu haben – diesmal wehrte er sich. Felix Feuerball prallte nutzlos gegen Lukas Schild, dann ging dieser in den Angriffsmodus über.
Eine Feuerwand tat sich wie aus dem Nichts hinter Felix auf und blockierte jegliche Rückzugsmöglichkeiten. Lukas lief auf ihn zu, blanke Wut stand in seinem Gesicht und schwarze Energie glühte um seine Hand herum auf. Bevor Felix wusste, wie ihm geschah, trafen zwei Energieblitze auf seinen Schild. Einer davon wurde abfangen, doch der zweite drang hindurch und traf ihn in die Brust. Mit einem Schmerzensschrei sank Felix zu Boden und blieb reglos liegen.
Es war immer wieder beeindruckend, die enorme Macht eines Elementarmagiers hautnah mitzuerleben. Felix hatte keine Chance gehabt und ich schauderte kurz – in so einem Moment hasste ich es, ein Sinnesmagier zu sein. Zum Glück stand Lukas im Moment auf meiner Seite.
Ich sah, wie Lukas auf Felix zulief, die Hand zu einem erneuten Schlag erhoben. Durch meine Wahrnehmung konnte ich spüren, dass Felix noch lebte. Lukas beugte sich etwas ratlos über seinen ehemaligen Teampartner und ich musste mich abwenden, weil Rubisco mich wieder stärker forderte.
„Gib auf.“ rief ich über ihre Angriffe hinweg. „Du kannst nicht mehr gewinnen – es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis du alleine gegen uns stehst.“
Rubisco lachte, im Gegensatz zu mir klang sie kein bisschen außer Atem. „Das klingt für mich immer noch nach einem ziemlich erfolgsversprechenden Szenario.“ Doch ein Blick in ihre Augen zeigte mir, dass sie den am Boden liegenden Felix besorgt musterte.
Meine Wahrnehmung verriet mir, dass Marina sich in der Zwischenzeit ziemlich gut gegen den verbliebenen Syndikatsmagier schlug. Dieser schien langsam zu ermüden, denn seine Bewegungen wurden immer schwerfälliger. Marina konnte weiter in die Offensive gehen. Auch Rubisco musste langsam klarwerden, dass es nicht gut um ihr Team stand. Sie war stark und schaffte es problemlos, gegen zwei Sinnesmagier gleichzeitig zu kämpfen, aber gegen zwei weitere Elementarmagier würde es auch für sie verdammt schwer werden.
Zum ersten Mal seit meiner Ankunft ergriff nun Frau Schneider das Wort. Sie klang etwas atemlos, doch der Verlauf des Kampfes schien ihr wieder neue Energie zu geben, denn ihre Augen blitzten aufgeweckt. „Magierin Rubisco, ich biete Ihnen hiermit die Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Nehmen Sie Ihre noch verbliebenen Agenten und gehen Sie. Die Organisation ist nicht darauf aus, Sie zu vernichten, wir wollen nur Falkenstein und das Amulett.“
„Ich gehe nicht ohne das Amulett.“ entgegnete Rubisco bestimmt. Im gleichen Moment spürte ich, wie sie einen erneuten Zauber aufbaute und ich begriff, was kommen würde.
„Lukas, pass auf!“ schrie ich, kurz bevor Rubisco mehrere Energieblitze gleichzeitig auf ihn abfeuerte. Der Magier stand immer noch unschlüssig über Felix gebückt, Rubisco hatte er gar nicht beachtet. Erst bei meinem Warnruf sah Lukas auf und schuf sofort einen Schild. Trotzdem konnte er nicht mehr die gesamte Wucht des Angriffs abfangen. Ein Teil der Blitze ging durch seinen Schild hindurch auf ihn über. Sein Gesicht verzerrte sich schmerzvoll, dann sackte er langsam neben Felix zu Boden.
Fassungslos starrte ich Rubisco an, die zufrieden lächelte. Dann packte mich plötzlich eine unbeschreibliche Wut. Ehe ich mich versah, hatte ich meinen Zauberstab gezogen und lief auf Rubisco zu, schuf dabei einen Angriffszauber und traf sie mit allem, was ich zu bieten hatte.
Es war nicht genug – Rubisco hatte gespürt, was auf sie zukommen würde und hatte ihre Schilde entsprechend verstärkt, doch immerhin taumelte sie ein wenig rückwärts. Sofort attackierte Frau Schneider sie von der anderen Seite und für einen kurzen Moment fühlte es sich so an, als könnten wir Rubisco mit vereinten Kräften besiegen. Doch dann fing sich die Syndikatsmagierin wieder, ihre Verteidigung stabilisierte sich und der Augenblick war vorüber.
Es lief nicht gut. Besorgt blickte ich zu Lukas. Er lag reglos am Boden und ich befürchtete das Schlimmste. Für einen kurzen Augenblick konzentrierte ich meine Wahrnehmung auf ihn – und atmete auf. Er war noch am Leben. Offenbar hatte sein Schild gerade genug Energie abgefangen, dass der Treffer nicht tödlich gewesen war. Erleichterung durchflutete mich. Ich weiß nicht, ob ich es mir verziehen hätte, wenn Lukas in einem Kampf gestorben wäre, an dem ich schuld war.
Trotzdem hing sein Leben am seidenen Faden. So wie er dort lag, war er viel zu verletzlich.
Rubisco schien die Gelegenheit noch nicht bemerkt zu haben – sie war gerade auf Frau Schneider konzentriert, die ihr in diesem Moment mit mehreren Angriffen einiges abverlangte. Schnell verlagerte ich meine Position ein wenig, so dass ich nun zwischen Rubisco und Lukas stand. Vielleicht konnte ich auf diese Weise mögliche Angriffe auf Lukas abzufangen.
Unglücklicherweise stand ich somit auch mit dem Rücken zu Marina und dem Elementarmagier, gegen den sie immer noch kämpfte. Mir war etwas unwohl dabei, doch ich vertraute darauf, dass Marina ihn gut genug in Schach hielt, so dass er mir nicht plötzlich in den Rücken schießen konnte. Im Notfall würde meine Wahrnehmung mich einige Millisekunden vor dem Angriff warnen – das musste einfach reichen.
Das Problem schien sich schneller zu beheben als gedacht. Ein Schrei erklang hinter mir, als ich gerade dabei war, einen neuen Angriffszauber aufzubauen. Ich traute mich nicht, Rubisco den Rücken zuzuwenden, doch meine Wahrnehmung verriet mir, dass Marina es geschafft hatte, den Schild ihres Widersachers zu durchdringen. Einige Sekunden hielt er sich noch auf den Beinen, dann traf Marina ihn mit einem konzentrierten Hitzestrahl in die Brust. Der Syndikatsmagier fiel tot zu Boden, Marina hatte gesiegt. Erleichtert atmete ich auf – vielleicht war es doch nicht aussichtslos.
Marina warf einen letzten bedauernden Blick auf den toten Magier, dann kam sie entschlossen in unsere Richtung gelaufen, um Frau Schneider und mich gegen Rubisco zu unterstützen. Eine Verschnaufpause schien sie nicht zu benötigen.
Ein weiterer Blitzzauber kam bedrohlich schnell auf mich zu und ich musste ausweichen. Er schlug genau an der Stelle ein, an der ich soeben noch gestanden hatte. Nicht ablenken lassen. Vorsichtig erneuerte ich meinen Schild, dann konzentrierte ich mich wieder voll und ganz auf Rubisco.
Es stand schlecht um die Leiterin des Syndikats. Ihr Schicksal wurde in dem Moment besiegelt, in dem Marina ihren Kampf gewonnen hatte. Man merkte es ihren mühelosen Bewegungen noch nicht an, doch selbst Rubisco musste wissen, dass sie auf lange Frist nur verlieren konnte. Klar, sie war mächtig – sehr mächtig sogar. Wäre es um einen reinen Kräftevergleich gegangen, hätte es die Syndikatsmagierin vermutlich sogar mit uns dreien aufnehmen können. Doch das war nicht alles, was zählte. Rubiscos Position war schlecht – sie war umzingelt von drei Gegnern, die sie alle gleichzeitig von verschiedenen Seiten mit verschiedenen Zaubern angriffen. Selbst unbegrenzte Macht konnte das auf Dauer nicht kompensieren. Viel mehr stand nun ihre Reaktionsgeschwindigkeit im Fokus, und diese war zwar durchaus beachtlich, aber trotzdem nicht schnell genug.
Ich lächelte. Es lief gut für die Organisation, zum ersten Mal seit Beginn des Kampfs fühlte es sich nicht mehr aussichtslos an. Rubiscos Angriffe hatten mir einiges abverlangt und ich nahm am Rande wahr, wie ausgelaugt ich war, doch ich erlaubte mir nicht, darüber nachzudenken. Nur noch eine Weile. Zuversicht machte sich breit.
Was soll ich sagen? Das Schicksal ist ein mieser Verräter.
Genau in diesem Moment spürte ich plötzlich einen seltsamen Druck, der sich in meinem Hinterkopf aufbaute. Innerhalb von Sekunden stieg er an, bis er mit einem Mal dominant war und alle meine Gedanken beherrschte. Es war schmerzhaft – für einen Augenblick glaubte ich, keine Luft mehr zu bekommen, doch vermutlich täuschte ich mich. Viel Schlimmer war jedoch, nicht zu wissen, was überhaupt geschah. Mein erster Impuls war es, laut zu schreien, doch im gleichen Augenblick bemerkte ich, dass ich es nicht mehr konnte. Schlagartig überkam mich ein flaues Gefühl und Panik machte sich breit.
Was zur Hölle war das?
Eine leise Vermutung baute sich tief in mir auf, nagte an meinen Gedanken, wurde immer lauter.
Nein dachte ich, als ich begriff. Nicht jetzt.
Das Lucilius-Amulett. Der verdammte Geistzauber.
Ich wollte erneut aufschreien, doch wieder brachte ich keinen Ton heraus. Ich nahm vage den Kampf war, der immer noch um mich herumtobte, doch es fühlte sich an, als wäre ich in einer anderen Welt gelandet. Seltsam verschleiert. Dann spürte ich plötzlich gar nichts mehr, nur noch die Welle mentaler Macht, die mich von Innen heraus überkam und jegliche Kontrolle übernahm.
Eine Weile wurde mir schwarz vor Augen – ich wusste nicht, ob es nur wenige Sekunden oder mehrere Minuten waren, denn ich verlor jegliches Zeitgefühl. Dann erwachte ich wie aus einem Albtraum, nur um festzustellen, dass mein Leben ein ebensolcher war. Ich hatte die Kontrolle über meinen Körper verloren.
Ich konnte sehen, ich konnte hören, ich konnte bis zu einem gewissen Grad fühlen, doch ich konnte mich nicht mehr bewegen oder gar sprechen. Auch meine Magie war fort, und ohne meine Wahrnehmung fühlte ich mich sofort noch verletzlicher. Verzweifelt versuchte ich, zu rennen, irgendetwas zu tun, doch es ging nicht. Ich war gefangen, ein Zuschauer im Inneren meiner selbst.
Seltsamerweise kämpfte mein Körper immer noch weiter, als wäre nichts geschehen. Das Amulett – oder was auch immer mich genau fremdsteuerte – musste dafür sorgen, und es schien dabei die Kontrolle über meine Magie übernommen zu haben. Offenbar hatte es ein Interesse daran, dass ich nicht hilflos von Rubiscos Angriffen zerschmettert wurde.
Fast wäre es lustig gewesen. Seit Stunden trug ich diesen verdammten Gegenstand nun bereits in meiner Manteltasche herum. Die ganze Zeit hatte ich Angst vor der Macht des Amuletts gehabt, und trotzdem hatte ich es bis zuletzt nicht abgelegt. Warum hatte es sich ausgerechnet diesen Zeitpunkt ausgesucht, um die Kontrolle über mich zu übernehmen?
Fragen über Fragen, doch eine Antwort schien nicht in Sicht. Ich wollte etwas tun – irgendetwas – doch es war aussichtslos. Als würde man versuchen, als mit den Händen einen Tsunami aufzuhalten. Ich konnte nur zusehen, wie das Unheil seinen Lauf nahm.
Ich merkte, wie Rubisco mich prüfend musterte. Als Sinnesmagierin konnte ihr eigentlich kaum entgangen sein, dass sich etwas an mir verändert hatte. Lässig wehrte sie einen Angriff von Frau Schneider ab, dann wandte sie sich mir zu. Ein Hitzestrahl von Marina verfehlte sie nur knapp, doch Rubisco ließ sich davon nicht abhalten. Unbeirrt kam sie in meine Richtung. Auch ohne meine Wahrnehmung wusste ich, was kommen würde – sie hatte den Zauber des Amuletts gespürt, nun wollte sie alles daransetzen, mich zu töten. Vermutlich dachte sie, dass ich das Amulett erneut gegen sie einsetzen wollte. Bedachte man ihre Entschlossenheit, schien sie nicht vergessen zu haben, was beim letzten Mal geschehen war, als der Geistzauber sie angegriffen hatte.
Schwarze Magieblitze trafen meinen Körper mit einer beeindruckenden Wucht. Der Angriff war absolut tödlich, und die Verteidigung, die das Amulett für mich schuf, hatte ihm nicht viel entgegenzusetzen. Ich spürte trotz allem den Schmerz durch meinen Körper zucken, dann wurde zum zweiten Mal innerhalb von Minuten alles schwarz und ich fiel bewusstlos zu Boden.
Lucilius
Wo bin ich? Alles was ich wahrnahm, war Schmerz. Nur langsam kehrten meine Erinnerungen zurück.
Rubisco hatte mich mit ihrer gesamten Macht getroffen. Ich hätte tot sein sollen. Doch aus irgendeinem Grund war ich es nicht.
Mein Talisman. Er hatte mir das Leben gerettet. Ich wollte nach der unscheinbaren Kette mit dem Eisenanhänger tasten, die ich um meinen Hals getragen hatte, doch es ging nicht. Meine Hände gehorchten mir nicht.
Stimmt, da war ja was. Die Wirkung des Geistzaubers auf mich hatte durch Rubiscos Treffer leider nicht nachgelassen, was schade, aber leider zu erwarten gewesen war. Der konstante Druck in meinem Kopf dominierte immer noch jeden einzelnen Gedanken. Die daraus resultierenden Kopfschmerzen wurden immer stärker, doch das könnte möglicherweise auch daran liegen, dass Rubisco mich faktisch getötet hatte. Wer wusste sowas schon?
Ich hatte immer noch keine Ahnung, was ich gegen das Amulett tun konnte, also verschob ich dieses Problem auf später. Stattdessen wollte ich mir ein Bild von der Lage machen.
Nur langsam kehrte mein Sehsinn zurück. Als ich meine Umwelt wieder wahrnehmen konnte, herrschte überall um mich herum Chaos. Ich wollte aufstehen, doch das Lucilius-Amulett blockierte nach wie vor alle meine Bewegungen. Ich blieb also liegen, versuchte, so viel zu erkennen wie irgendwie möglich.
Einige Meter unter mir lag ein toter Körper – es war der Syndikatsmagier, den Marina getötet hatte. Zwei weitere von ihnen waren hier gestorben, ich hatte sie getötet. Die Erkenntnis kam schleichend, doch für den Moment schob ich sie beiseite. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für Reue. Glücklicherweise waren die beiden Magier in den Flammen verbrannt, so dass es keine Leichen gab, die mich daran erinnern konnten.
Von Rubisco fehlte jede Spur. Zumindest konnte ich sie in meinem etwas eingeschränkten Blickfeld nicht mehr entdecken. Sie musste verschwunden sein, sonst hätte sie vermutlich schon längst versucht, mich ein weiteres Mal umzubringen.
Am Rande meines Blickfelds bemerkte ich Marina und Lukas. Die beiden starrten hilflos und entsetzt in meine Richtung. Einen kurzen Augenblick freute ich mich zu sehen, dass Lukas wieder auf den Beinen war. Dann folgte ich dem Blick der beiden und jegliche Freude war verschwunden.
Über mir stand Frau Schneider. Ihr Gesichtsausdruck war angestrengt, leicht schmerzverzerrt, doch in ihren Augen konnte ich bloße Panik erkennen. Sie hatte die Hände gegen ihre Schläfen gepresst und murmelte verzweifelt einen Zauberspruch vor sich hin. Ich brauchte nur wenige Sekunden, bevor ich begriff, dass sie versuchte, gegen das Amulett anzukämpfen… und gerade verlor. Frau Schneider war eine erfahrene Meistermagierin und sie wehrte sich mit allem was sie aufbringen konnte. Doch so problemlos, wie der Geistzauber mich unter Kontrolle gebracht hatte, war es nicht verwunderlich, dass auch sie kaum standhalten konnte.
Vielleicht hatte der Einfluss des Amuletts auf mich ja nachgelassen, wenn es gerade mit Frau Schneider beschäftigt war? Probehalber versuchte ich, selbst gegen den Geistzauber anzukämpfen. Ich stemmte mich gegen den Druck, versuchte die Präsenz aus meinem Kopf zu verbannen.
Es war aussichtslos. Selbst jetzt war die Macht des Amuletts um keinen Deut geschwächt.
Langsam kehrte auch in mir die Panik zurück. Es war absolut unmöglich, etwas gegen die Besessenheit zu unternehmen, wenn man einmal unter der Kontrolle des Amuletts war. Und es würde einfach immer weitermachen, bis es jeden in seiner Reichweite übernommen hatte. Ich wollte Marina und Lukas zubrüllen, dass sie von hier verschwinden sollten, solange sie noch konnten, doch mir war es ja noch nicht einmal mehr möglich, zu sprechen.
Etwas Goldenes blitzte neben mir im Gras auf. Aus meiner Position war es schwer zu erkennen, doch es schien sich um das Lucilius-Amulett zu handeln. Es musste mir bei meinem Sturz aus der Tasche gefallen sein. Offenbar machte es keinen Unterschied, ob ich es an meinem Körper trug oder nicht – sein Einfluss auf mich blieb gleich.
Ein lauter Schrei ertönte neben mir. Ich sah, wie Frau Schneider einen letzten verzweifelten Versuch unternahm, der Kontrolle des Geistzaubers zu widerstehen. Sie blickte mich angsterfüllt an, doch es gab nichts, was ich für sie tun konnte. Das Amulett würde bekommen, was es wollte.
„Nein!“ schrie Lukas aufgebracht. In Sekundenbruchteilen hatte er seine Hand erhoben und einen Zauber aufgebaut. Ehe ich mich versah peitschte mir ein gewaltiger Feuerstrahl entgegen. Hätte ich mich frei bewegen können, wäre ich panisch geflüchtet, doch so konnte ich nur zusehen, wie das Feuer auf mich zugeschossen kam.
Welch Ironie des Schicksals, dachte ich noch. Ich hatte diesen Plan nur eingefädelt, um nicht zu sterben, und jetzt würde mich bereits zum zweiten Mal am heutigen Tag jemand umbringen. Dann ergab ich mich meinem Schicksal und wartete auf den Einschlag.
Er kam nicht. Oder zumindest nicht in der erwarteten Form.
Erst im letzten Moment realisierte ich, dass der Angriff nicht gegen mich gerichtet war. Mit beeindruckender Präzision traf Lukas das Lucilius-Amulett, das nur wenige Zentimeter neben mir im Gras lag.
Der Einschlag war gewaltig. Eine Welle unbeschreiblicher Macht setzte sich explosionsartig frei. Sie war so stark, dass sie mich von den Beinen gerissen hätte, wenn ich nicht schon am Boden liegen würde. Frau Schneider jedenfalls wurde von der Welle erfasst und einen guten Meter nach hinten geworfen. Alles war plötzlich ohrenbetäubend laut. Ein schriller Schrei ertönte, seltsamerweise schien er aus meinem Inneren zu kommen. Ich konnte Wut heraushören, aber auch Verzweiflung. Das Geräusch wurde lauter und lauter, es klang seltsam übernatürlich, und für einen kurzen Moment glaubte ich, es würde mich zerreißen. Dann verstummte der Schrei schlagartig. Alles war ruhig.
Plötzlich war der Spuk vorbei.
Von einem Moment auf den nächsten verschwand der Druck in meinem Kopf. Das Amulett gab mich frei. Ich hatte wieder die Kontrolle über meinen Körper, das spürte ich sofort.
Ich war vollkommen erschöpft und wollte eigentlich einfach nur liegen bleiben, doch ich riss mich nochmal zusammen. Zögerlich versuchte ich, meine Finger zu bewegen. Ich hatte unbegreifliche Angst davor, dass der Geistzauber jederzeit zurückkehren könnte, doch nichts dergleichen geschah. Erleichtert atmete ich auf– so etwas wollte ich wirklich nie wieder erleben.
Vorsichtig setzte ich mich auf. Leichter Schwindel durchfuhr mich, doch seltsamerweise genoss ich das Gefühl beinahe. Etwas verwundert blickte ich auf die Stelle im Gras neben mir. Eben hatte dort noch das Lucilius-Amulett gelegen. An seiner Stelle brannte sich nun ein etwa zwanzig Zentimeter tiefer Krater in die Erde. So einfach war das?
Neben mir hatte sich Frau Schneider erschöpft in die Wiese fallen lassen. Sie atmete schwer und schien sich nur langsam von dem mentalen Angriff des Amuletts zu erholen. Ich unterdrückte den spontanen Impuls, sie überschwänglich zu umarmen – das wäre unangebracht gewesen, wenn man unsere Vorgeschichte bedachte. Außerdem war ich viel zu erschöpft dafür.
Lukas und Marina kamen auf uns zugelaufen und ich versuchte, aufzustehen. Zu meiner eigenen Überraschung funktionierte es, obwohl mir alles wehtat. Ich fühlte mich noch etwas wackelig auf den Beinen und kurz drohte ich zur Seite zu kippen, doch dann fing ich mich wieder. Am besten nicht darüber nachdenken.
„Alles okay bei euch?“ fragte Lukas, sobald er uns erreicht hatte. Er musterte Frau Schneider und mich wachsam, so als traue er dem Frieden noch nicht wirklich. Marina hinter ihm wirkte eher gleichgültig, doch bei genauerem Hinsehen konnte ich erkennen, dass sie immer noch in kampfbereiter Haltung war.
Ich nickte. „Wie auch immer du das gemacht hast – du hast uns beide gerettet. Danke!“
Lukas zuckte abtuend mit den Schultern. „Ich habe nicht lange darüber nachgedacht. Es war einfach mein erster Impuls, dieses Ding zu zerstören, und das scheint funktioniert zu haben.“
„Was verwunderlich ist.“ sagte Frau Schneider. Langsam rappelte auch sie sich auf, dann sprach sie weiter. „Mich wundert es wirklich, dass das Amulett nicht versucht hat, dich davon abzuhalten. Die Macht dazu hätte es gehabt.“ Sie sinnierte einen Augenblick darüber nach. „Nun, möglicherweise hat es gerade deswegen funktioniert, weil es so eine reflexartige Tat war. Wenn du länger darüber nachgedacht hättest, hätte es deine Gedanken lesen können und den Angriff verhindert.“
„Gut möglich.“ meinte Lukas. „Wenn man bedenkt, wie problemlos es Rubisco bekämpft hat, nachdem sie versucht hat, Alex zu töten.“
Ich horchte auf. „Was ist mit Rubisco passiert?“ fragte ich.
Frau Schneider seufzte. „Sie ist geflohen, nachdem klar wurde, dass sie das Amulett nicht mehr bekommen konnte. Der Geistzauber hat sich gegen sie gerichtet, und sobald sie das erkannt hat, war sie schneller verschwunden, als wir reagieren konnten. Nicht, dass wir sie hätten aufhalten wollen.“
„Aber warum hat der Zauber sie nicht sofort erledigt? So wie beim ersten Mal?“ Ich dachte daran zurück, wie problemlos das Amulett Rubisco besiegt hatte. Innerhalb von Sekundenbruchteilen hatte sie bewusstlos auf dem Boden gelegen.
„Ich glaube, der Schlüssel dazu bist du.“ antwortete Frau Schneider nachdenklich. „Unsere Recherchen haben ergeben, dass das Amulett zwar auch alleine über eine gewisse Macht verfügt, allerdings braucht es die Energie eines Magiers, um sein volles Potential zu erreichen. Beim ersten Mal hast du das Amulett bewusst dazu eingesetzt, um Rubisco zu entkommen. Du hast deine Magie in den Gegenstand fließen lassen und dabei als eine Art Katalysator fungiert. Beim zweiten Mal hat Rubisco daraus gelernt und sofort versucht, dich zu töten. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass das Amulett an diesem Punkt bereits eigenmächtig gehandelt hat. Seine Macht hat ein wenig abgenommen, während du bewusstlos warst, und nur deswegen konnte Rubisco überhaupt noch fliehen. Wirklich gebraucht hat der Geistzauber dich allerdings nicht mehr, um andere Leute zu attackieren.“
Ich nickte. Soweit ergab das halbwegs Sinn. Allerdings… „Wieso konnte das Amulett überhaupt eigenmächtig handeln? Warum konnte es ohne jede Vorwarnung die Kontrolle über mich übernehmen?“
Frau Schneider dachte eine Weile darüber nach. „Ich vermute mal, dass es das nur konnte, weil du zuvor freiwillig eine Verbindung mit dem Amulett eingegangen bist. Zumindest wurde es dadurch deutlich leichter, dich zu überwältigen. Und sobald es über deine Kräfte verfügte, konnte das Amulett es auch mit Rubisco und mir aufnehmen.“ Sie schwieg eine Weile, dann fuhr sie fort. „Warum es das hingegen getan hat… Nun, das ist eine gute Frage. Es ist ungewöhnlich, dass magische Gegenstände ein Eigenleben entwickeln, aber hier war das definitiv der Fall.“
Ich dachte an Frau Schneiders Zauberstab und all die Dinge, die ich in der Dimension der Gedanken erlebt hatte – und schauderte. Vielleicht steckte in so einigen magischen Gegenständen mehr, als Magier bisher angenommen hatten.
Eine Weile schwiegen wir. Nun, da Frau Schneider es sagte, kam ich mir plötzlich ziemlich dumm vor. Ich hätte das Amulett niemals benutzen dürfen. Andererseits hatte ich in diesem Moment keine andere Wahl mehr gehabt. Vielleicht war mein gesamter Plan von vorneherein fragwürdig.
Als hätte sie meine Gedanken gespürt, wandte sich Frau Schneider nun mir zu. „Was uns zurück zu dir bringt, Falkenstein.“ sagte sie streng. „Was zur Hölle hast du dir bei all dem hier gedacht? Was war das für ein idiotischer Plan? Rubisco und ihre Helfer waren kurz davor, mich und Marina zu töten – du hast uns bewusst in diese Falle gelockt. Und dann hast du ganz nebenbei noch zugelassen, dass ein potenziell gefährlicher Gegenstand uns alle unter seine Kontrolle hätte bringen können, nur, weil du die Angelegenheit lieber eskalieren lassen wolltest, anstatt wie unter vernünftigen Leuten üblich alles in Ruhe zu besprechen.“ Frau Schneider blickte mir wütend in die Augen, und plötzlich fühlte ich mich schlecht. Ja, ein großer Teil von dem, was heute passiert war, war meine Schuld gewesen.
„Andererseits“ fuhr Frau Schneider fort, und ihre Stimme klang nun wieder etwas milder, „kann ich nicht leugnen, dass Rubisco eine mindestens ebenso große Schuld trifft wie dich. Und am Ende hast du tapfer auf unserer Seite gekämpft und dabei dein Leben riskiert, obwohl du uns auch einfach im Stich hättest lassen können. Dafür danke ich dir im Namen meines Teams.“
Überrascht sah ich auf. Ich hätte nicht gedacht, dass sich Frau Schneider bei mir bedanken würde. Eher hätte ich mit weiteren Vorwürfen gerechnet.
„Es war nie meine Absicht, euch in eine Falle zu locken oder mit dem Amulett zu fliehen.“ murmelte ich leise. „Ich wollte es wirklich an die Organisation übergeben, aber erst, nachdem ich vor einer Racheaktion des Syndikats sicher war. Im Nachhinein war diese Vorgehensweise vielleicht etwas kurzsichtig.“ Ich dachte über meine Worte nach und spürte, dass ich sie tatsächlich so meinte. Zwar war ich immer noch etwas verärgert darüber, dass die Organisation mir zuvor keinen Schutz vor dem Syndikat garantieren wollte. Doch das, was heute passiert war, hatte mir sehr deutlich vor Augen geführt, dass mein Handeln moralisch mindestens genauso fragwürdig gewesen war.
Frau Schneider schwieg eine Weile. Nervös sah ich zu Lukas, und er nickte mir beruhigend zu. Die Botschaft in seinen Augen war überraschend klar: Wir alle haben Fehler gemacht, lass uns nochmal neu starten. Ich lächelte dankbar – aus irgendeinem Grund bedeutete es mir viel, dass er mich nicht mehr ausschließlich für einen egoistischen Idioten hielt.
„Nun“ sagte Frau Schneider schließlich, „wenn man bedenkt, dass am Ende doch noch alles gut ausgegangen ist, denke ich, dass die Organisation keinen Grund sehen wird, dauerhaft sauer auf dich zu sein. Zumal du ja durchaus einen wichtigen Beitrag geleistet hast – ohne dich wäre das Amulett immer noch irgendwo dort draußen und die Gefahr, dass es fremden Magiern in die Hände fallen würde, wäre immer noch groß. So hingegen…“ Frau Schneider kniete sich nieder, um die Stelle zu betrachten, an der das Amulett zuletzt gelegen hatte. Alles was davon übrig war, war wortwörtlich verbrannte Erde.
„Ich kann mir vorstellen, dass die Leiter der Organisation etwas enttäuscht sein werden, wenn sie erfahren, dass das Amulett im Kampf zerstört wurde. Unser Auftrag lautete schließlich, den Gegenstand zu bergen und in den Besitzt der Organisation zu bringen.“ Sie hielt inne, dann grinste sie schelmisch, was wirklich ungewöhnlich aussah. „Ich denke allerdings, dass ich sie schnell davon überzeugen kann, dass es so besser für uns alle ist.“ Einen Augenblick sah Frau Schneider mir in die Augen, und ich wusste, dass wir bei dieser Sache einer Meinung waren – keiner von uns beiden wollte nochmal von einer so mächtigen Präsenz dominiert werden und dabei die Kontrolle über den eigenen Körper verlieren.
Lukas schien das ähnlich zu sehen. „Selbst wenn ich Ärger dafür bekomme, es zerstört zu haben – ich würde es wieder tun.“ sagte er. „Es war die einzige Möglichkeit, euch beide zu retten.“
Frau Schneider nickte. „Ich bin jedenfalls froh, dass du es getan hast. Sollten die Leiter damit ein Problem haben, werde ich es auf meine Kappe nehmen.“
Einen kurzen Augenblick standen wir schweigend beisammen und irgendwie hatte dieser Moment etwas Friedvolles. Dann fiel Lukas Blick auf Felix, der einige Meter weiter reglos im Gras lag. Er war immer noch bewusstlos.
„Ich kann es immer noch nicht glauben.“ sagte Lukas leise und starrte betrübt zu Boden. Wortlos ging Frau Schneider auf ihn zu und umarmte ihn tröstend. Nachdenklich beobachtete ich die beiden. Kurz überlegte ich, ob ich es Frau Schneider gleichtun sollte, doch dann entschied ich mich dagegen. Lukas fing meinen Blick auf und ich wendete mich leicht beschämt ab.
„Glaub mir, ich war nicht weniger schockiert als du.“ meinte Frau Schneider schließlich, während sie Felix aus der Ferne musterte. „Ich dachte immer, unser Team funktioniert so gut, weil wir einander vertrauen können, doch nach dem heutigen Tag bin ich mir plötzlich nicht mehr so sicher…“
Lukas schüttelte betrübt den Kopf. „Er ist ein Einzelfall. Wir sollten nicht anfangen, wegen ihm alles andere zu hinterfragen.“ sagte er entschieden. „Es tut trotzdem weh.“ fügte er leise hinzu.
Gemeinsam gingen wir zu Felix. Etwas ratlos beugten wir uns über den bewusstlosen Magier. „Was machen wir mit ihm?“ fragte Marina.
Frau Schneider musterte ihr ehemaliges Teammitglied nachdenklich. „Ich wünschte, ich wüsste die Antwort auf diese Frage.“ sagte sie schließlich. „Die Entscheidung liegt letztlich nicht bei mir, aber ich denke, dass wir ihn auf Dauer gehenlassen müssen. Für die Organisation wird es kaum von Nutzen sein, ihn gefangen zu halten.“
Ich beobachtete Lukas aus den Augenwinkeln. Er wirkte unglücklich und zu gerne hätte ich gewusst, was ihm in diesem Moment durch den Kopf ging. Hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er seinen ehemaligen Partner im Kampf verletzt hatte? Weil er versucht hatte, ihn zu töten? Oder war es einfach nur der Schmerz des Verrats, den er gerade fühlte? Ich konnte es nur mutmaßen.
Was bleibt
Es dauerte eine Weile, bis Frau Schneider ihr Telefonat mit den oberen Leitern der Organisation beendet hatte. Während sie telefonierte, verdüsterte sich ihr Gesichtsausdruck immer mehr und sie ging ruhelos auf und ab.
„Sie sieht nicht glücklich aus.“ sagte ich zu Lukas. Wir standen einige Meter entfernt und warteten auf neue Ansagen von Frau Schneider. Ich hatte sie gefragt, ob es nicht besser wäre, wenn ich gehen würde, doch sie meinte, ich solle bleiben, bis alles entschieden sei. Ich wusste nicht, ob mich das beunruhigen sollte, aber da ich zu müde für zusätzlichen Ärger war, gehorchte ich einfach.
„So ist das mit Vorgesetzten.“ meinte Lukas. „Man hat immer nur Stress mit ihnen.“
Ich sah ihn neugierig an. „Gilt das auch in eurem Team?“
Er lachte. „Ich glaube nicht, dass ich diese Frage einem Außenstehenden beantworten sollte. Aber ja, es ist furchtbar – ständig vertraut sie Leuten, die nur Ärger bringen.“ Dieser Seitenhieb war gegen mich gerichtet und wir lachten beide, doch dann dachte ich an Felix und verstummte.
„Ich hoffe, du hast keinen ganz so schlechten Eindruck mehr von mir.“ sagte ich nach einigen Momenten der Stille. „Klar, ich bin ein Einzelkämpfer, der nicht im Team arbeiten kann und am Ende nur auf sein eigenes Wohl aus ist, aber zumindest habe ich versucht, das Richtige zu tun.“
Lukas schwieg eine Weile. „Ich glaube nicht, dass du dich so schlecht in einem Team machen würdest.“ antwortete er dann zu meiner Überraschung. „Immerhin hast du uns dazu gebracht, dieses Ritual zu vollführen, ohne dass etwas schiefgegangen ist. Und du hast Sigrid ohne zu zögern gegen Rubisco geholfen, obwohl es gefährlich war.“
„Ich wollte nur nicht, dass sie meinetwegen verletzt oder getötet wird.“ meinte ich nur. „Es war keine große Sache.“
Lukas musterte mich eindringlich, dann lächelte er. „Ich glaube, ich habe dich unterschätzt, Alex.“
Eine Weile schwiegen wir beide, dann hörten wir plötzlich Marina rufen. Sie hatte neben Felix Wache gehalten und ihn nicht aus den Augen gelassen. „Er wacht auf!“ Schnell eilten Lukas und ich zu ihr.
Felix stöhnte leise, als wir die beiden erreichten. Der Treffer war wohl ziemlich heftig gewesen. „Ich glaube, ich möchte ihn nicht mehr sehen.“ sagte Lukas nach einigen Sekunden und wandte sich ab.
„Ich kann ihn verstehen.“ murmelte Marina leise, sobald er außer Hörweite war. „Die beiden waren zusammen, seit Lukas seine Ausbildung beendet hat.“
Ich sah sie fragend an. Was genau meinte sie mit zusammen? Ich wollte die Frage nicht aussprechen, doch Marinas Wortwahl hatte mich neugierig gemacht.
„Gib ihm Zeit.“ flüsterte Marina mir plötzlich zu.
„Was meinst du?“ fragte ich verwirrt, doch sie machte nur eine undeutbare Handbewegung.
In diesem Moment kam Frau Schneider zurück. Sie hatte ihr Telefonat beendet – ihre Miene war unlesbar. „Und?“ fragte Lukas, sobald sie uns erreichte.
„Die Bosse waren nicht glücklich darüber, dass das Amulett zerstört wurde.“ begann Frau Schneider. „Aber am Ende blieb ihnen nichts anderes übrig, als diesen Fakt zu akzeptieren. Außerdem waren sie sehr empört darüber, dass das Syndikat die Frechheit besessen hat, uns anzugreifen. Sie wollen Rubisco nun offiziell auf die Liste der Feinde der Organisation setzen.“
„Was genau bedeutet das?“ fragte ich, wobei ich mir Mühe geben musste, nicht zu hoffnungsvoll zu klingen.
Frau Schneider seufzte. „Nichts. Leider. Das ist mehr ein symbolischer Akt. Am Ende wird sich niemand in der Organisation nochmal mit dem Syndikat anlegen wollen, wenn es sich vermeiden lässt.“ Sie schwieg kurz. „Manchmal frage ich mich, ob wir unsere eigentlichen Aufgaben zu sehr vernachlässigen.“ murmelte sie dann leise und mehr zu sich selbst.
„Was ist mit Felix?“ wollte Marina wissen.
„Nun, die Nachricht seines Verrats hat alle angemessen schockiert. Ich habe die Anweisung erhalten, ihn zurück ins Hauptquartier der Organisation zu bringen. Dort wollen die Leiter in den nächsten Tagen diskutieren, wie sie mit ihm verfahren wollen. Allerdings vermute ich, dass es auch hier auf einen symbolischen Akt hinauslaufen wird. Felix wird nie wieder für die Organisation arbeiten, so viel ist sicher. Aber ansonsten bezweifle ich ehrlich gesagt, dass ihm von unserer Seite weitere Konsequenzen drohen.“ meinte Frau Schneider zerknirscht. Lukas schwieg. Ich wusste nicht, ob das eine gute oder schlechte Nachricht war.
„Jedenfalls“ fuhr Frau Schneider fort, „haben wir nun einen freien Platz in unserem Team, den es neu zu besetzen gilt. Am besten mit einem weiteren Sinnesmagier. Ich werde das mit Friedhelm in Ruhe besprechen, sobald wir zurück im Hauptquartier sind, aber die Bosse hatten da so eine Idee…“ Bei diesen Worten sah Frau Schneider mich durchdringend an und ich zuckte reflexartig zurück.
„Was für eine Idee?“ wollte Lukas wissen.
Frau Schneider seufzte erneut. „Nun, obwohl die Organisation Falkensteins ursprüngliches Verhalten am heutigen Tage stark missbilligt, waren die Bosse insgesamt sehr angetan von meinem Bericht über ihn.“ Sie sah mich demonstrativ nicht an, während sie diese Worte aussprach. „Sie waren sehr beeindruckt von seinem Wissen über Ritualzauber, der Art, wie er das Amulett quasi im Alleingang geborgen hat und auch davon, dass er am Ende auf unserer Seite gegen Rubisco gekämpft hat.“ Sie pausierte, um einmal tief durchzuatmen, dann fuhr sie wenig enthusiastisch fort. „Jedenfalls hat man die clevere Idee geäußert, ihn dazu zu überreden, in Zukunft weiterhin für die Organisation zu arbeiten, auf freiberuflicher Basis. Das wäre dann auch als Wiedergutmachung für den bescheuerten Plan anzusehen, mit dem er heute fast alles ruiniert hätte.“
Ich schwieg – damit hatte ich nicht gerechnet. Frau Schneider wohl auch nicht, so wie sie mich ansah. Offensichtlich hatte sie eher gehofft, dass die Bosse der Organisation mich genauso wie Felix oder Rubisco behandeln würden. Lukas und Marina sahen mich hingegen erfreut an.
Ich musterte Frau Schneider. Dachte an das Geheimnis, das ich in der Gedankenwelt über sie erfahren hatte. Wäre es wirklich eine gute Idee, mit ihr zusammenzuarbeiten? Sie mochte mich jetzt schon nicht besonders. Wie würde sie wohl reagieren, wenn sie wüsste, dass ich über diese Informationen verfügte? „Und wie… endgültig ist dieser Plan?“ fragte ich vorsichtig. „Sind die Bosse sich sicher?“
„Man hat mir die finale Entscheidung überlassen, weil ich die Sache am besten einschätzen kann und du außerdem mein Team unterstützen würdest.“ Sie musterte mich streng. „Ich bin wirklich unglücklich darüber, dass du für deine Fehler auch noch mit einem Jobangebot belohnt werden sollst, aber… Ich muss zugeben, dass du über einige Eigenschaften verfügst, die unserem Team durchaus guttun würden.“ Frau Schneider schwieg, musterte lange und sehr intensiv die Wolken am Himmel, bevor sie weitersprach. „Ich werde mich nochmal mit Friedhelm beraten. Ich denke, du solltest dich in nächster Zeit für einige Bewerbungsgespräche bereithalten.“
Eine Woche war seit dem finalen Kampf um das Amulett vergangen, und ich war zurück in München. Die ersten Tage seit meiner Rückkehr hatte ich mich noch jedes Mal paranoid umgesehen, sobald ich meine Wohnung verlassen hatte, doch weder von der Organisation noch von Rubisco und dem Syndikat hatte ich seitdem nochmal etwas gehört. Langsam kehrte wieder Normalität ein.
Auch von anderen Vereinigungen hatte ich nichts mehr mitbekommen. Keine nächtlichen Verfolger mehr, keine Killer, die mir vor meiner Wohnung auflauerten. Die Nachricht über die Zerstörung des Lucilius-Amuletts musste sich wohl verbreitet haben.
Wenn ich so darüber nachdachte, wunderte es mich allerdings schon, dass die Organisation und das Syndikat am Ende die einzigen Konkurrenten um das Amulett gewesen waren. Es musste noch andere Vereinigungen mit Interesse an der ganzen Sache gegeben haben. Warum hatte ich nie etwas von ihnen gehört, von der kurzen Begegnung mit Wildman einmal abgesehen?
Es musste Rubiscos Werk gewesen sein. Diese Erkenntnis kam mir irgendwann am zweiten Tag nach meiner Rückkehr. Frau Schneider hatte bereits zu Beginn der Mission erwähnt, dass Rubisco mich ohne mein Wissen vor anderen magischen Vereinigungen schützte. Das allein hätte diese allerdings noch nicht davon abgehalten, zu versuchen, auf andere Wege an das Amulett zu gelangen. Rubisco musste sie unterdrückt haben, um sich selbst das Amulett zu sichern – je mehr ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir.
Nach wie vor unklar war mir hingegen, woher Rubiscos außergewöhnliche Kräfte stammten. Noch nie zuvor hatte ich gesehen, dass sich jemand so mühelos durch einen Kampf bewegen konnte wie sie. Ich wusste nicht, wie die Sinnesmagierin das machte, doch ihrer ungewöhnlichen Stärke musste irgendein Geheimnis zu Grunde liegen. Ich bezweifelte, dass ich es jemals lüften würde. Bei genauerer Überlegung brauchte Rubisco das Amulett eigentlich gar nicht. Sie verfügte auch so schon über mehr als genug Macht.
Ich zog meinen Mantel an und ging nach draußen. Eigentlich hätte ich mich über die wiedergewonnene Normalität freuen sollen, schließlich war es das, was ich von Anfang an gewollt hatte. Doch aus irgendeinem Grund fehlte mir in den letzten Tagen etwas. Da war eine gewisse Leere, die einfach nicht verschwinden wollte.
Nachdenklich lief ich durch die Straßen Schwabings, bis ich schließlich vor dem Englischen Garten stand. Der Herbst hatte inzwischen endgültig Einzug gehalten und die Blätter an den Bäumen strahlten in den schönsten Farben. Laub raschelte unter meinen Füßen, während ich zwischen den Bäumen entlangspazierte. Eine Brücke führte mich über den Schwabinger Bach, und einen kurzen Augenblick hielt ich inne und genoss den Anblick. Wasser rauschte unter mir entlang, wild und unaufhaltsam, stetig wie der Lauf der Zeit.
Ich dachte oft über das Lucilius-Amulett nach, seit ich aus Italien zurück war. Es hatte mich nur für wenige Minuten unter seiner Kontrolle gehabt, doch diese hatten sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Noch immer schreckte ich nachts hoch, weil ich dachte, der Geistzauber wäre zurückgekehrt. Die Panikattacken wurden inzwischen etwas seltener, doch sie kamen immer noch in regelmäßigen Abständen. Ich bezweifelte, dass ich sie jemals ganz loswerden würde.
Eine Weile hatte ich mich noch mit der Frage beschäftigt, was das Amulett angetrieben hatte. Gab es einen tieferliegenden Grund, aus dem es mich und alle anderen unter seine Kontrolle hatte bringen wollen? Am Ende gab ich es auf. Die logischste Erklärung, die mir einfiel, war immer noch, dass es sich um eine Art parasitäre Lebensform handelte, die wie wir alle auch nur das eigene Überleben sichern wollte. Wenn man in diesem Fall denn überhaupt von Leben reden konnte. Wirklich zufrieden war ich mit dieser Erklärung jedenfalls nicht, doch auch in diesem Fall bezweifelte ich, dass ich jemals den wahren Grund erfahren würde. Ich hoffte einfach nur, dass der Geistzauber tatsächlich ein für alle Mal zerstört worden war.
Ich seufzte, mein Blick folgte gedankenverloren dem Wasser, das unaufhaltsam in die Ferne strömte. Da war noch eine Sache, die mich beschäftigte.
Ich hatte zwei Menschen getötet an jenem schicksalshaften Tag in der Toskana. Es war im Kampf gewesen, und hätte ich es nicht getan, hätte ich diesen niemals gewinnen können. Vermutlich wäre ich nicht mal mehr am Leben, denn die beiden Syndikatsmagier hätten mich mit ziemlicher Sicherheit getötet, wenn ich ihnen nicht zuvorgekommen wäre. Trotzdem war es in beiden Fällen eine bewusste Entscheidung gewesen. Ich hatte die beiden Magier aus dem Hinterhalt heraus angegriffen, ohne dass sie darauf vorbereitet gewesen waren. Notwehr sieht anders aus.
Es war nicht das erste Mal gewesen, dass ich jemanden umgebracht hatte. Unter Magiern ist es durchaus üblich, dass Streits bis auf Leben und Tod ausgefochten werden, und jemanden im Kampf zu töten wird nicht zwingend als moralisch verwerflich angesehen. Ich war in der Vergangenheit mehr als einmal in einen solchen Konflikt verwickelt gewesen. Ich wollte überleben, und deswegen war die Entscheidung in jedem einzelnen Fall klar gewesen, doch trotzdem blieb dieses unangenehme Schuldgefühl, das an mir nagte und mit jedem Tag größer wurde. Wenn ich ehrlich war, war genau das der Hauptgrund gewesen, warum ich irgendwann nichts mehr mit der magischen Welt zu tun haben wollte. Ich wollte nicht ständig vor die Entscheidung gestellt werden, jemanden zu töten oder selbst zu sterben. Jetzt war es trotzdem wieder passiert und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.
Erneut seufzte ich. Die beiden Syndikatsmagier hatten gewusst, auf was für ein Spiel sie sich da einließen. Machte es das besser? Nein. Würde ich trotzdem wieder so handeln? Vermutlich, wenn ich mich und andere dadurch schützen konnte.
Niemand hatte gesagt, dass das Leben als Magier nur Vorteile bringen würde. Ich schob all die unangenehmen Gedanken beiseite. Eines Tages würde ich mich ihnen vermutlich stellen müssen, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Langsam ging ich weiter, überquerte eine der großen Wiesen und stieg den Hügel zum Monopteros hinauf. Der Ausblick auf München von dort ist einer der schönsten der Stadt und ich genoss es immer wieder, hier oben zu sein. Ich setzte mich auf eine der Stufen und wartete.
Einige Minuten vergingen. Ich hielt mit meiner Wahrnehmung Ausschau, und so sah ich ihn bereits kommen, bevor er den Hügel erreicht hatte. Einige weitere Momente verstrichen, dann erschien eine Person hinter mir und setzt sich neben mich.
Ich drehte mich um. Lukas lächelte. Seine blauen Augen blitzten lebhaft und seine dichten braunen Haare waren etwas zerzaust durch den Wind hier oben. Er wirkte verändert, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Irgendwie freier.
Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander, genossen die Aussicht. „Du wolltest mit mir reden?“ durchbrach ich schließlich als erster die Stille.
„Sie haben sich dafür entschieden.“ sagte Lukas nur.
„Wofür entschieden?“ fragte ich etwas verwirrt.
Lukas sah mich amüsiert an. „Für dich.“ antwortete er. „Sigrid und Friedhelm haben sich nach dem Kampf gegen Rubisco nochmal über den Vorschlag beraten, dich in unser Team mit einzubeziehen. Am Ende des Tages waren beide der Ansicht, dass du einen wertvollen Beitrag leisten würdest. Ich habe den Auftrag, dich darüber zu informieren. Was ich hiermit getan habe. Die offizielle Einladung dürfte in den nächsten Tagen folgen.“
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen – aus irgendeinem Grund freute ich mich über diese Nachricht. „Mich wundert es wirklich, dass Frau Schneider das zulässt. Sie klang nicht begeistert von dieser Idee.“ sagte ich.
Lukas lachte. „Du wärest überrascht.“ meinte er nur. „Offensichtlich war sie der Meinung, dass deine etwas rücksichtslose Art, Probleme zu lösen, das Team in Zukunft bereichern könnte.“
Ich warf ihm einen gespielt beleidigten Blick zu. Gleichzeitig wunderte ich mich, was wirklich dahintersteckte. Ja, ich kannte mich gut mit Ritualzaubern aus, aber davon abgesehen gab es genügend Magier, die sehr viel besser für einen solchen Job geeignet waren. Warum hatte Frau Schneider sich für mich entschieden, obwohl mehr als deutlich war, dass sie mir die Sache mit dem Amulett und Rubisco übelnahm?
Erneut stellte ich mir die Frage, ob es eine gute Entscheidung wäre, in Zukunft mit Frau Schneider zusammenzuarbeiten. Von unseren zwischenmenschlichen Konflikten einmal abgesehen war da immer noch mein Erlebnis in der Dimension der Gedanken. Es war nach dem Kampf gegen Rubisco etwas in den Hintergrund getreten, doch ich war mir relativ sicher, dass Frau Schneider nicht erfreut wäre, wenn sie wüsste, was ihr Zauberstab mir über ihre Vergangenheit erzählt hatte. Ich hatte keine Ahnung, um was es bei der ganzen Sache wirklich ging, aber eins war ziemlich sicher: Frau Schneider darauf anzusprechen kam nicht in Frage.
Es wäre ein wirklich guter Grund, den Job nicht anzunehmen und die Organisation in Zukunft zu meiden. Doch irgendetwas hielt mich davon ab, nein zu sagen. Das Angebot reizte mich mehr als ich zugeben wollte.
„Was passiert, wenn ich ablehne?“ fragte ich nach einer Weile mit einer gewissen Vorsicht in der Stimme. Nur zu gut erinnerte ich mich an Rubiscos Jobangebot vor wenigen Tagen in der nächtlichen Kirche – damals war ein Nein keine Option gewesen.
Lukas warf mir einen enttäuschten Blick zu. „Nichts.“ sagte er dann ruhig. „Wir sind nicht das Syndikat. Die Leiter der Organisation wären sicherlich nicht erfreut, aber wir zwingen in der Regel niemanden in unsere Dienste.“
Das hat man in Wien ja gesehen wäre mir fast herausgerutscht, doch zu meiner eigenen Überraschung konnte ich mich gerade noch zurückhalten. Eine Weile saßen wir schweigend da.
„Es ist seltsam.“ traute ich mich schließlich zu sagen. „Die letzten Tage waren ruhig, als wäre nie etwas passiert. Eigentlich ist es genau das, was ich wollte. Doch jetzt, wo ich mein altes Leben wiederhabe, bin ich mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob ich glücklich darüber bin.“
Lukas musterte mich nachdenklich. „Ich glaube, du langweilst dich.“ meinte er bestimmt. „Jetzt, nachdem du erlebt hast, wie es noch sein kann, sehnst du dich insgeheim nach etwas mehr Aufregung. Dein altes Leben war sicher, keine Frage. Aber was bringt schon Sicherheit, wenn man in Wahrheit ganz andere Bedürfnisse hat.“
Er hatte recht. Insgeheim war ich in den letzten Tagen zu dem gleichen Schluss gekommen, doch erst dank Lukas Worten konnte ich es mir selbst eingestehen.
Gleichzeitig war da noch etwas Anderes in seiner Stimme. Eine gewisse Traurigkeit. Ich ahnte, worum es ging, doch ich drängte ihn nicht, wartete stattdessen, ob er das Thema von sich aus ansprechen würde.
„Er war ihr Spion.“ sagte er schließlich, während er abwesend in die Ferne starrte. „Schon die ganze Zeit über.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Die Nachricht überraschte mich nicht – es wäre im Gegenteil eher seltsam gewesen, wenn Felix die Organisation auf einen spontanen Einfall hin verraten hätte – doch darum ging es nicht. Lukas litt sichtlich unter dem Verlust und ich wusste, dass keines meiner Worte ihn darüber hinwegtrösten könnte. Also schwieg ich und legte stattdessen einen Arm um ihn.
Wir mussten ein seltsames Bild abgeben wie wir dort saßen, aber es war mir egal. Lukas schwieg sehr lange und ich glaubte, vereinzelte Tränen in seinen Augen sehen zu können, doch er hielt sich im Griff. Irgendwann schüttelte er bestimmt den Kopf, wie als würde er das Thema für sich selbst abschließen wollen. Dann wandte er sich mir zu. Als er sprach hatte seine Stimme einen fast fröhlichen Tonfall, so als wäre nie etwas gewesen. „Das Leben geht weiter.“ meinte er und grinste mich an. „Lass uns nicht mehr über die Vergangenheit reden.“
Die Sonne senkte sich langsam und tauchte den Park in goldenes Licht. Wir saßen und sprachen, und in diesem Moment fühlte es sich nach einem Start in einen neuen Lebensabschnitt an. Die Zukunft würde nicht leichter werden, aber ich war gespannt, was sie bringen sollte.
Epilog
Es war Nacht. Das Museum war dunkel und verlassen. Langsam durchquerte ich die verlassene Eingangshalle und stieg die zentrale Treppe hinauf. Meine Wahrnehmung war auf eine bestimmte Aura fokussiert. Nun, da ich wusste, wonach ich suchen musste und nicht mehr durch irgendwelche Touristen um mich herum abgelenkt wurde, dauerte es nur wenige Minuten, bis ich sie entdeckte. Ich bog in einen der Gänge, meine Schritte hallten durch die Dunkelheit. Nur das Licht der Straßenlaternen draußen erhellte die Räume etwas und warf lange gespenstische Schatten an die Wände.
Eine Vitrine stand etwas abseits. In ihr befand sich nur ein einzelner silberner Ring, der auf den ersten Blick ziemlich unscheinbar wirkte. Ich lächelte – das war einfacher gewesen als gedacht.
Ich wirkte einen Zauber, und der Alarm, der die Vitrine sicherte, wurde stillgelegt. Langsam hob ich den Deckel an, dann sprach ich laut und deutlich in die Dunkelheit hinein.
„Dein neuer Besitzer ist hier.“ sagte ich und behielt den Ring genau im Blick. „Das war es doch, was du dir gewünscht hast, nicht wahr? Nun, jetzt ist der Augenblick gekommen.“ Keine Antwort, doch dank meiner Wahrnehmung spürte ich, wie die Aura des Rings sich veränderte. Wie zur Bestätigung wallte die Macht der Präsenz kurz auf, gut sichtbar für jeden Sinnesmagier. Dann legte sie sich wieder und ich lächelte. „Also gut, Zeit zu gehen.“
Ich nahm den Ring und steckte ihn in meine Manteltasche. Dann drehte ich mich um und eilte zurück zum Ausgang. Niemand hatte mich bemerkt und das Sicherheitssystem war kein großes Hindernis für einen Magier. Das war fast schon zu einfach.
Es war drei Uhr nachts in Wien. Wie zuvor das Museum lag auch der Maria-Theresien-Platz verlassen da, als ich ins Freie trat. Eilig lief ich durch die kalte Herbstnacht, huschte durch die leeren Gassen, meinen Mantel eng um mich geschlungen. Mit meiner Wahrnehmung ging ich den wenigen einsamen Spaziergängern, die um diese Uhrzeit unterwegs waren, aus dem Weg. Fast genoss ich es hier draußen. Die nächsten Tage würden anstrengend werden, dessen war ich mir sicher, doch in diesem Moment war mir das egal. Gut gelaunt glitt ich durch die Nacht.
Die Dinge würden sich ändern, doch dieses Mal war ich darauf vorbereitet. Zeit, aktiv zu werden.
Nachwort
Das war der erste Teil der Falkenstein-Serie – ich hoffe, sie hat dem ein oder anderen gefallen, auch wenn es nicht das ist, was man auf Nickstories normalerweise erwarten würde. Eigentlich sollte diese Geschichte nur ein kurzes Experiment werden, doch schon während dem Schreiben der ersten Seiten habe ich festgestellt, dass mir dieses Genre ziemlich viel Spaß macht. Für die Zukunft sind deswegen noch weitere Teile geplant – ich habe bereits viel zu viele Ideen, in welche Richtungen sich die Serie entwickeln könnte. Lasst mich also gerne wissen, wie ihr diesen Teil fandet, was ich noch verbessern könnte und was euch in einer möglichen Fortsetzung interessieren würde.
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