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Der Junge aus dem Chor
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Informationen
- Story: Der Junge aus dem Chor
- Autor: Funbeat
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Lovestory
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Liebe Leute! Die nachfolgende Story ist nicht völlig frei erfunden und beinhaltet Zugetragenes. Es ist allerdings auch mein ‚Erstlingswerk‘ und vielleicht findet ihr wohlwollend einen Charme in dem ‚Nicht-Vollkommen’-Erzählmodus. Es geht um die Geschichte und das Mitanfühlen... Über Kritik oder Feedbacks freue ich mich auf alle Fälle. Schauplätze sind eine Kleinstadt an unserer norddeutschen Küste und ebenfalls eine Kleinstadt in Cheshire/England.
Der Junge aus dem Chor
„Nun macht euch mal endlich alle fertig. Das Konzert fängt bald an und ich will nicht zwei Stunden stehen“, forderte die Mutter auf der Diele ihre Familie auf.
Vater, zwei Mädchen und zwei Jungs zogen hastig ihre langen blauen und grünen Lodenmäntel an.
Es war Winter und für ein Konzert in der Kirche mussten diese Mäntel angezogen werden.
Richten wir unser Augenmerk auf Andreas, einen 15-jährigen Träumer, sensibel, nie der Wichtigste in der Klasse, aber auch nicht der Loser. Er war dunkelblond, hatte schokoladenbraune, große Augen. Der Seitenscheitel war brav feucht gezogen, einer seiner smarten feinen Augenbrauen war von dieser Tolle fast verdeckt.
Er musste immer seinen Kopf etwas schräg halten, damit er gut sehen konnte, zum Ärger der Mutter, die jeden Tag zweimal sagte, er müsse endlich mal zum Frisör.
Es lief gerade ein cooler Film im Fernsehen und auf dieses bescheuerte Konzert von einem Jugendchor aus England, aus der Patenstadt des Ortes, hatte Andreas eigentlich keinen Bock, obwohl er selbst im Chor sang und im Haus auch noch ein Mädel aus diesem Chor einquartiert war. Die war aber schon in der Kirche.
In der Kirche hatten Nachbarn in der dritten Reihe von vorn für diese Familie Plätze auf der gnadenlos unbequemen Kirchenbank freigehalten.
Irgendwann wurde die Kirchentür zugemacht, als alles rappelvoll war.
Nach einer Begrüßungs- und Programmansprache kam der Chor herein. Mindestens 50 Jugendliche in weißen langen Roben mit Halskrause.
Es war ein zusammengestellter Chor aus einem gemischten Jugendchor und einem Knabenchor.
Andreas war nun aufmerksam und erfasst von diesem Auftritt. Roben hatten sie in ihrem Chor nicht und diese Nummer kam sehr ausdrucksvoll rüber.
Als der Chor anfing zu singen, ergriff ihn der Gesamtsound, eine Art Lieblichkeit, Herz- und Bauchgefühle.
Ganz rechts, von ihm aus gesehen, stand ein blonder Junge in vorderster Reihe im Chor. Er schätzte ihn auf 13 oder 14. Immer wieder fiel sein Blick auf ihn. Er war die Anmut in Person, sah aus wie ein kleiner Engel, der sich hingabevoll konzentrierte und mit scheinbarer Hochachtung den Dirigenten anvisierte.
Als dieser Junge zusammen mit seinem gleichgroßen dunkelhaarigen Gesangsnachbarn nach vorne trat und mit diesem einen zweistimmigen Duett-Solopart sang, war alles aus.
Andreas bekam eine Gänsehaut und heftete sich mit aller Konzentration nur noch an diesen Jungen. Andreas war total befangen und überwältigt.
‚Dieser Engel ist so nah, aber doch so weit weg. Ein Engländer. Bei welcher Familie dieser wohl einquartiert ist? Wie wird er sprechen, wie wird er sonst sein? Ob er ein guter Typ ist oder 'n Arschloch?‘
Für Andreas war es aber klar: ‚Jemand, der so singen kann und der überhaupt diese Nummer da macht... der muß 'n Hammer sein. Oder hat er nur strenge Eltern, die ihn zu sowas treiben, wozu er gar keinen Bock hat?’
Nun ja… Andreas wusste, er würde ihn niemals kennenlernen – oder gab es doch eine Chance? Vier Tage würden sie im Ort sein, und es gab gemeinsame Programme, in denen die Gastfamilien und deren Chormitglieder mit denen aus England zusammentreffen würden.
Andreas versuchte, sich auf den Jungen zu konzentrieren...
‚Bitte guck mich an, bitte werde auf mich aufmerksam... irgendwie!’
Aber der Dirigent war die Zielperson für den süßen blonden Kerl, erkannte Andreas.
‚Soviel müsste der doch gar nicht an dem Dirigenten vorbeigucken…’
‚Uff’, dachte Andreas und drehte sich mal zu seiner Familie nach rechts und links,
‚hoffentlich haben die nicht mitbekommen, was grad mit mir los ist.’
Aber die waren auf den Chor fixiert. ‚Gut so.’
Nach dem Konzert versuchte Andreas irgendwie zu erspähen, wo die ganzen Chorleute aus England nun herumliefen oder sich aufhielten. Keine Chance!
Da war reges Treiben mit den Gastfamilien, und irgendwie ergab sich keine Möglichkeit, näher da heranzukommen. Das Gastmädel, das bei Andreas' Familie wohnte, befand sich schon bei seiner Mutter an der Seite und es ging zum Auto, um nach Hause zu fahren.
Zu Hause angekommen, gab es im Wohnzimmer noch ein Zusammensitzen.
Das Mädel aus dem Chor wurde von Andreas' Eltern mit Lob für das Konzert überschüttet. Andreas saß artig dabei und sortierte sein Englisch für die entscheidenden Worte: „The solo-boys had a very nice voice.“ „Yes“, antwortete sie, „Timothy and...“
Andreas: „Is Timothy the boy with the fair hair?“ „Indeeeeed Andy, yes he is.“
Nun hatte er schon mal eine Information: Der Junge hieß also Timothy.
Schon bald hatte er auch heraus, bei welcher Gastfamilie Timothy im Ort untergebracht war. „Achduscheiße... ausgerechnet bei DENEN!“, dachte sich Andreas.
Da die Gasteltern gut mit Andreas' Eltern befreundet waren, wusste er: ‚Die sind streng, kann man nicht eben mal hinfahren, das sind ganz reiche Leute, die so „ete petete“ sind.’
Andreas hatte am nächsten Tag ein Hockeyspiel und keine Chance, an den Ausflügen und Programmen mit dem Gastchor teilzunehmen.
Ständig spukte ihm Timothy im Kopf herum. Sein Gesang und die ganze Erscheinung hatten ihm Herzklopfen und so eine Art Sehnsuchtsgefühl im Bauch gemacht.
Auch am nächsten Tag hatte Andreas keine Möglichkeiten, den Chor noch einmal zu sehen.
Es gab aber inzwischen Fotos von dem ersten Auftritt in der Kirche, die das Gastmädel mitbrachte. Andreas klaute sofort einen der Abzüge und brachte ihn heimlich in seinem Schreibtisch unter.
Abreisetag! Andreas und seine Familie brachten das Gastmädel zum Sammelplatz, wo sich alle Gastfamilien, Chormitglieder aus dem Ort und der Gastchor aus England versammelten.
Vor dem Bus brachte der Chor noch ein Ständchen. Timothy war in der Menge nicht zu sehen. Andreas reckte sich nach allen Seiten, lief hinten um die zuhörende Menge herum, aber er entdeckte ihn nicht.
Endlich… Als alle einstiegen, sah er ihn: Timothy! Er erkannte ihn an seinen blonden Haaren, der einzige, der diese Frisur hatte! Eine Art Pottschnitt, langer Pony vorne, lange Deckhaare und hinten dieser zusammenlaufende Schnitt. Eigentlich eine ganz amerikanische Teeniefrisur.
Andreas war so zu Mute, als wollte er noch rufen, aber er traute sich nicht.
Als der blonde Junge sich durch den Bus mühte, mit einem kleinen Rucksack über der Schulter, lief Andreas parallel draußen mit.
Endlich hatte der Engländer im Bus einen Platz gefunden, auf der Fensterseite zu Andreas und schaute hinaus. ‚Ja… er guckt mich an... er sieht mich!’ durchfuhr es Andreas.
Andreas blieb stehen und guckte mit seinen großen Schokoladenaugen und Traurigkeit im Gesicht zu dem Jungen im Bus. Der schien sich auch von der anderen Menge überhaupt nicht beirren zu lassen… stattdessen schaute er Andreas direkt in die Augen. Timothy hatte blaue Augen und sah eigentlich viel mehr wie ein Schwede aus und nicht wie ein Engländer. Der Blonde im Bus schien irgendwie aufgeregt zu sein, er klatschte zweimal mit der flachen Hand an die Scheibe und das galt ganz klar Andreas. Timothy schaute im Bus hektisch nach vorn und hinten und dann wieder genau in das Gesicht von Andreas. Dann machte es „pffffffft“ und die Türen des Busses schlossen sich. Timothy sackte an seinem Platz etwas zusammen und ließ seine eine Handfläche von der Scheibe herabgleiten. Andreas hob seinen rechten Arm, machte eine langsame Winkbewegung... ließ die Hand, in der Luft leicht hochgehalten, stehen.
Timothy lächelte kurz, aber wirkte traurig. Er presste dann seine Lippen aufeinander und Andreas konnte sehen, dass der Blonde auf der einen Seite ein Grübchen dabei hatte.
Der Erwachsenenchor des Ortes stimmte nun spontan ein Lied an. Ein großes Gewinke und Gerufe ging los. Der Bus setzte sich langsam in Bewegung.
Andreas lief auf der Höhe von Timothy neben dem Fahrzeug mit und der Blonde smilte über das ganze Gesicht. Er versuchte mit Handbewegungen Andreas zu vermitteln, dass dieser doch schneller laufen sollte... Andreas gab alles, doch er konnte bald nicht mehr mithalten. Die ganze Menge aus dem Ort blieb zurück und Andreas stand alleine abseits am Straßenrand und gab einen letzten Abschiedswink.
Zuhause wieder angekommen, stapfte Andreas gleich in sein Zimmer. Er kramte umständlich das Foto mit dem Chor in der Kirche heraus, sah Timothy dort in seiner weißen Robe und vertiefte sich in viele Gedanken... Das Foto hütete er wie einen Schatz.
Es war Samstagnacht. Andreas hatte sich vom Dachboden des Hauses ein paar Äpfel geholt, die dort im Dunkeln auf alten Lattenrosten lagerten.
Sie waren von der letzten Ernte aus dem Garten. Das machte er immer, wenn er nicht einschlafen konnte, noch lange lesen wollte, Musik hörte, oder lange über etwas nachdenken musste.
Neben seinem Bett hatte er einen alten Kassettenrekorder stehen, den er auch dazu benutzte, ab und zu sein Klavierspiel aufzunehmen, insbesondere dann, wenn er improvisierte... sich etwas ausdachte. Andreas hatte schon mit 5 Jahren den ersten Klavierunterricht bekommen, klassischen Unterricht, spielte aber auch in einer Schulband an Flügel und Keyboards.
Oft spielte er aus einer Stimmung heraus einfach drauflos. Es war für ihn wie Briefe schreiben, wenn er melancholisch, richtig sauer oder bis zum Anschlag gut drauf war.
Nun lag er halb aufrecht im Bett, hatte sich das Kissen in den Nacken geschoben und hörte von dem Kassettenrekorder eigene Aufnahmen. Dabei fratzte er einen Apfel.
Plötzlich hörte er eine Passage seines Klavierspiels, die er sofort zurückspulte und noch einmal hören musste. Dies tat er ein paar Mal und drückte dann auf Stop! Er sprang auf und kramte das Foto von dem Chor aus seinem Schreibtisch hervor, nahm es mit ins Bett und hörte immer wieder von neuem diese Klavierpassage.
‚Japp!‘ Diese Musik passte zu seinen Gefühlen, als er Timothy auf dem Foto sah. Irgendetwas tat derbe weh, aber er verstand es nicht.
Es war doch ein Junge, aber für Andreas war es ein Engel mit einem Gesang, der ihn völlig bewegt und angefasst hatte. Andreas wusste selbst, wie intim Soprangesang für einen Jungen war und Timothy sah so edel und einfach nur schön aus. Und die Szenen und Gesten bei seiner Abfahrt... In seinem Kopf und Bauch kapriolte es.
Andreas war plötzlich total aufgewühlt, fast wütend, weil diese Gefühle ihn nicht losließen.
Er dachte ständig an den Jungen. Er ärgerte sich, sich hineingesteigert zu haben. ‚Es ist doch sowieso alles verloren! Timothy ist in England und fertig!‘
Andreas vergrub das Foto wieder im Schreibtisch, knallte die Schublade zu und machte das Licht aus.
Es war nun ein guter Monat vergangen, dass der Chor aus England abgereist war.
Andreas fuhr zur Chorprobe, wie jede Woche.
Dort eröffnete der Chorleiter: „Liebe Leute! Ihr erinnert euch sicher an die schönen Tage mit dem Chor aus unserer Patenstadt in England bei uns.“ Andreas riss seine schokoladenbraunen großen Rehaugen auf. „In zwei Monaten fahren wir mit dem Schiff rüber, dann fährt uns ein Bus dorthin und wir übernachten bei Gastfamilien.“ Dann erzählte er von dem aufzuführenden Programm und was alles zu organisieren sei. Andreas blieb fast das Herz stehen und dann schlug es ihm bis zum Hals!
Mit dem Zettel über das Vorhaben für die Eltern in der Hand strampelte er so schnell er konnte nach Hause, um dann dort alles zu besprechen.
Der Abreisetag näherte sich. Andreas hatte sich inzwischen immer wieder überlegt, was er machen oder sagen würde, wenn er Timothy wiedersehen..., ihm gegenüberstehen sollte...
‚Wird Timothy überhaupt da sein? Wird er auch Chorgäste aus Deutschland zu Hause haben? Ob der sich dann überhaupt erinnert?’ und, und, und....
Andreas beschloss, Timothy etwas mitzubringen. Etwas Persönliches! Egal ob er ihn überhaupt beachten würde, egal was passieren würde!
Es war Abend, keiner im Haus. Die Geschwister waren bei Freundinnen und Freunden und die Eltern irgendwo eingeladen. Nur Andreas saß am Klavier, hatte den Kassettenrecorder auf ‚Aufnahme’ geschaltet und spielte. Er spielte und spielte, alles was ihm einfiel, mit allem, was er empfand, auf das Band. Ganz ungestört. Als die Kassette voll war, beschriftete er sie, auf der einen Seite mit ‚Timothy’ - auf der anderen mit ‚Andreas’, wickelte sie in nachtblaues Papier mit Sternen und Monden darauf ein. Dann legte er das kleine Päckchen zwischen seine Klamotten in die schon fast fertig gepackte Reisetasche. Immer wieder holte er es heraus und überlegte, ob es gut aussähe... zu doll, oder etwa wie eine Liebeserklärung wirken könnte? ‚Schock!’
Zwischendurch landete es in seinem Rucksack, weil Mutti ja immer am Schluss den ganzen Koffer wieder neu packte. ‚Nachher merkt sie was!’
‚Scheiße!’ ging es ihm durch den Kopf, ‚der lacht sich weg! Welcher Junge ist bitte so uncool mit so 'nem sensiblen Scheiß?’ Ja, Andreas war kurz vorm Ausflippen. Er haute sich an die Birne und fragte sich, wie bescheuert er eigentlich sei. Dann stellte er sich vor den Spiegel im Flur. ‚Seh' ich aus wie 'n Mädchen? Bin ich irre? Wie ticke ich eigentlich...’ grübelte er.
Andreas schimpfte mit sich herum... „Quatsch Mann, ich bin 'n guter Junge... ich seh nicht grad scheiße aus und kann auch böse gucken, wenn ich will.“
„Mist… warum hab ich so weiche Züge im Gesicht? Man sieht mir voll an, dass ich 'n Weichei bin. Nein, bin ich nicht!“ Er haute den Koffer zu, setzte sich ans Klavier und hämmerte drauf los...
Knuuutsch... „Wiedersehen mein Schätzchen und viel Spaß! Hast du auch deine Partitur mit? Hier… hast du noch ein paar Pfund extra. Sei auf dem Schiff vorsichtig und renne nicht nachts an Deck rum...bla...bla...“ Das war die Mutter-Impfung direkt vorm Bus, und auch noch so, dass es alle mitkriegten... dachte sich Andreas, als er sich endlich aus den Fängen befreit hatte und mit seinem Rucksack den Bus bestieg.
YO! Es ging endlich los. Nach England… zum Schiff! Pockpockpock! Andreas hatte sich gerade einen Fensterplatz ergattert, als er sich erschrocken zum Fenster drehte. ‚Mutti will noch was...’
Andreas verstand nichts. Der Bus schloss die Türen und setzte sich ENDLICH in Bewegung.
Die Busreise und Schiffspassage nach Harwich, auch die anschließende Busfahrt in die englische Patenstadt, ließen Andreas kaum Freiräume für tiefe Gedanken. Es wurde gesungen, in der Schiffsdisco getanzt, in der Nacht wurden Witze in der Kabine erzählt. Der Busfahrer auf englischer Seite war die Ulknudel schlechthin und hielt alle bei Laune. Er bretterte mit seinem Bus durch England mit allem, was die Maschine hergab, was den Chorleiter ein besorgtes
Gesicht aufsetzen ließ.
ENDLICH. Treffen auf dem Marktplatz in der englischen Patenstadt mit Aufteilung auf die Gastfamilien (so hieß es auf dem Programm).
Mit Gehupe bog der Bus zum Platz ein und hielt vor einem Menschenauflauf... dem Begrüßungskommitee, bestehend aus den Gasteltern, Mitgliedern der Chöre aus der Stadt. Andreas war aufgeregt. Das Herz raste und er durchsuchte mit angestrengtem Blick die wartende Menge nach... Timothy. Fehlanzeige! Er schien nicht gekommen zu sein. Überhaupt waren die Jungs aus dem Knabenchor anscheinend alle nicht gekommen.
Als Andreas' Name aufgerufen wurde für „Mr. and Mrs. Smith“, trat Andreas hervor und eine dicke runde Frau in einem schrecklichen Blümchenkostüm wälzte sich auf ihn zu. Aber sie strahlte über ihr ganzes Gesicht und sagte laut: „Andrew. Very, very welcome...“ Anschließend steuerte Mrs. Smith mit Andreas einen alten hellblauen Vauxhall an.
‚Was für ein hässliches Auto’, dachte Andreas. ‚Aber die Alte ist nett.’ Brav und wohlerzogen gab sich Andreas der Sache hin. Reisetasche und Rucksack wurden eingeladen, er sah richtig zum Vorzeigen aus: Dunkelblaue Timberland-Jacke, eine nagelneue dunkelblaue, super sitzende Diesel-Jeans und hellbraune Camel-Schuhe, ein blau-weiß-kariertes Tom-Tailor-Hemd. Seine Tolle war über die ganze Seite wohlgefönt... er hatte sogar sein CK B-Parfüm aufgelegt.
Mrs. Smith war ganz hingerissen von diesem Jungen und verfrachtete ihn auf den Beifahrersitz. Mit einem Ruck ging es los und Mrs. Smith redete, ohne Luft zu holen. Andreas musste auch Luft holen, denn sie fuhr links, saß rechts, und so, wie die Alte fuhr, kam er mit der Einschätzung des Verkehrs noch nicht zurecht. Ausserdem verstand er nur die Hälfte, schließlich war er ja noch nie in England gewesen.
Vor einem kleinen Einzelhaus endete die spannende Fahrt. Der Vauxhall dieselte noch ein bisschen nach, als Mrs. Smith schon am Kofferraum herumfuhrwerkte. Daneben stand ein alter Rover 3000. ‚Wohl das Auto von Mr. Smith.’
Ein hagerer Mann öffnete dann auch die Tür des Hauses und begrüßte Andreas herzlich. Es ging ins Wohnzimmer. Andreas wurde mit Selbstgebackenem vollgestopft, es wurden Fotos hüben wie drüben gezeigt, von Kindern, Geschwistern, Eltern, und Andreas war schnell in Andrew umgetauft.
Andreas berichtete von dem englischen Chorbesuch zu Hause, wie toll er das Konzert fand und vor allem die Solisten. „Timothy hieß wohl der eine.”
„Yes! Timothy D...!” schmetterte Mrs. Smith. „He lives with his mom, 10 minutes from here. Would you like to visit Timothy?” Andreas blieb fast die Uhr stehen: „Emmmm... no… yes…emmm... we don't know each other... perhaps... later... or…” Zu spät!
Mrs. Smith hatte den Telefonhörer schon in der Hand: „Maggy?...“ Sie schien mit der Mutter zu telefonieren... Andreas lief knallrot an und hätte am liebsten eine Falltür unter sich betätigt.
Crunch! Mrs. Smith hatte den Hörer auf die Gabel geworfen, freute sich von einem Ohr zum anderen und gab Andreas zu verstehen, dass die Jungs bis eben Chorprobe in der Kirche gehabt hätten. „Die Mutter schickt ihn nacher mal vorbei!“
Andreas fühlte, dass er so rot sein musste, dass er sich als Leuchtboje hätte verkaufen lassen können. Er spürte Stress in sich und verlegen fuhr er sich immer wieder durch seine Tolle, fühlte, dass er feuchte Handflächen bekommen hatte...
Mrs. Smith hatte für Andreas das Gästezimmer klargemacht. Sie wirbelte nun in der Küche herum und Andreas hatte sich zum „Sich-Frischmachen“ und Auspacken dorthin abgemeldet.
Er registrierte frische Blumen auf einer Kommode und auf einem kleinen Nachtisch neben dem Bett eine überdimensionale Schale mit Süßigkeiten.
Hektisch packte er seine Reisetasche aus und kippte den Inhalt aus seinem Rucksack auf das Bett. „Was zieh ich denn jetzt an? Egal... ich geh erstmal ins Bad.“
Er zog sich aus, überquerte in Shorts und mit seinem Kulturbeutel den Flur und verschwand im Bad, welches Mrs. Smith ihm zugewiesen hatte.
Geduscht stand er vor dem Spiegel und rubbelte sich gerade die Haare trocken, als es irgendwo klingelte. „DIE HAUSTÜR!“ schoss es ihm in den Kopf. Elektrisiert hielt er inne und lauschte.
Er hörte Stimmen draußen im Flur, Türen klappen. Ruhe!
Eilig putzte er sich die Zähne, wickelte sich in ein für ihn zurechtgelegtes großes weißes Badehandtuch und stürzte über den Flur zur Tür seines Gästezimmers. Dabei hörte er Mrs. Smith von Weitem rufen: „Timothy is waiting in your roooom!“
Zu spät! Die Tür zum Zimmer schlug auf und zitterte, als sie gegen den Türstopper knallte.
Erschrocken riss Andreas die Augen auf und blieb neben der Tür stehen. Ebenso erschrocken und mit einem Gesichtsausdruck, ‚ertappt’ worden zu sein, drehte sich der blonde Junge um, der wohl gerade dabei gewesen war, einige Sachen aus Andreas' Rucksack zu inspizieren, die dort auf dem Bett lagen.
Der Schockmoment dauerte einen Moment an. Andreas versuchte englische Worte zu finden.
Der Blonde stand wie angewurzelt da. Er musterte sein Gegenüber mit seinen plüschblauen Augen von oben bis unten. Dort angekommen starrte er auf die Füße von Andreas und plötzlich entfaltete sich ein breites Lächeln in seinem Gesicht, so dass auf der einen Seite neben den süß geschwungenen Lippen ein Grübchen zum Vorschein kam. ‚Was'n nu los?’ dachte Andreas und schaute nach unten. Auf seinem rechten großen Zeh erstrahlte ein weißer Zahnpasta-Klecks. Er schaute in Timothys Gesicht und in dem Moment entlud sich bei beiden ein kleines befreiendes Lachen.
Andreas griff zu seinen Klamotten, die er vorhin ausgezogen hatte und deutete mit knapper Körpersprache an, ‚dass er mal eben was anziehe‘, verließ das Zimmer und ging wieder ins Bad.
Als Andreas smart zurechtgemacht das Zimmer erneut betrat, saß Timothy auf der Bettkante.
Andreas flog leichte Röte ins Gesicht. Er hatte Probleme, Timothy länger direkt anzuschauen, so anmutig und schön sah dieser aus.
Er hatte ein edles schwarzes Hemd an, bis oben zugeknöpft, das er über einer beige-weißen Stoffhose trug. Etwas auffällig waren aber sehr dicksohlige Halbschuhe, die gut geputzt waren.
„My name is Andreas... emm... Andrew”, brachte Andreas hervor.
„I know! My name is Timothy.” „Ok… Did Mrs. Smith tell you?” fragte Andreas.
„Yes, but I know your name since the day we left your city in Germany with the bus!”
Überrascht schaute Andreas Timothy in die Augen, die jetzt einen gewissen Schalk ausdrückten. Timothy erzählte, dass nicht nur er selbst im Bus damals Andreas' Sprint neben dem abfahrenden Bus mitbekommen hatte. Das Mädchen, das bei Andreas zu Hause Gast gewesen war und ebenfalls im Bus gesessen hatte, hatte die Szene mitbekommen und Timothy aufgeklärt, wer der sportliche Junge denn gewesen war und wie sehr sie den Aufenthalt bei Andreas’ Familie genossen hatte.
Timothy wusste, wieviele Geschwister Andreas hatte, auf welche Schule er ging, dass er Hockeyspieler war, Klavier spielte und im Jugendchor sang.
Andreas war platt! Endlich setzte er sich seitlich mit etwas Abstand neben Timothy mit auf die Bettkante und versuchte mit umständlichem Englisch, Timothy irgendwie etwas zu sagen:
„I enjoyed your performance in our church, especially your voice, your solo-parts. Great!”
„Thank you, Andrew...” Pause… „I‘ve seen you in the church beside your parents.“
Andreas wurde wieder rot und verlegen. Er wusste ja noch, wie sehr er seine Blicke in der Kirche auf Timothy fixiert hatte.
Er hatte Respekt vor Timothy. Dieser hatte etwas sehr Klares und Selbstbewusstes, auch wenn er einen halben Kopf kleiner erschien als Andreas und ganz bestimmt ein oder zwei Jahre jünger sein musste. Seine Sprechstimme ließ erkennen, dass der Stimmbruch wohl noch nicht, oder nur ganz sanft, eingesetzt hatte, selbige aber sehr ausgeprägt war. Andreas kannte das, er hatte ja ebenfalls eine trainierte Stimme und konnte mit seinen 15 1/2 Jahren noch im Alt singen.
„It's great to meet you, Andrew”, kam plötzlich etwas leiser von Timothy. Dabei sah er auf seine Beine, die er dabei vor- und zurückbaumeln ließ. Andreas schaute ihn von der Seite an.
Einen Moment später drehte Timothy seinen Kopf zu Andreas, sah ihm kurz in die Augen und blickte wieder auf seine Baumelbeine.
„I'm happy we did meet now“, sagte Andreas… Das ‚happy’ kam noch mit Stimme, den Rest brachte er nur noch flüsternd heraus. Timothy sah wieder auf zu Andreas und schaute ihn leicht smilend mit Grübchenandeutung und zusammengedrückten Lippen bestätigend an.
Ein Gong ertönte mit kräftigen Schlägen aus der Richtung der Küche. Das konnte nur Mrs. Smith sein. „Äääändruuuuuu.... Timmethäääyyyyyyy…“, gellte es durch den Flur. ‚ESSEN! Yoooo!’ Andreas und Timothy sahen sich entschlossen an, nickten synchron, erhoben sich und machten sich auf den Weg.
Mrs. Smith hatte richtig aufgefahren und gab herzlich zu verstehen, dass jetzt richtig zuzugreifen wäre, es dürfte nichts übrig bleiben! Mr. Smith lächelte und nickte zustimmend, sah erfreut zu den beiden Jungs, die er nun mit seiner Frau am Tisch hatte.
Timothy saß Andreas gegenüber. Als der Blonde gerade ein viel zu großes Stück im Mund hatte und es in seiner Wange hamsterte, schaute Andreas ihm direkt ins Gesicht. Timothy hörte auf zu kauen und Andreas merkte, dass sich in seinem Gegenüber ein Lachflash zusammenbraute.
Dabei machte Andreas mit seinen Augen noch einen Zeigehinweis auf eine große kitschige Schüssel auf dem Tisch, die als Griff auf jeder Seite einen Entenkopf mit langem Schnabel zum Anfassen hatte.
Timothy hielt inne, riss die Augen auf. Sein Zwerchfell gackerte und er tat alles Menschenmögliche, um den Mund geschlossen zu halten. Andreas vernahm sein leises, krampfhaft unterdrücktes, inneres Gackern und fixierte, jetzt selbst kurz vor einem Ablachanfall stehend, die immer herrlich schlitziger werdenen blauen Augen von Timothy, die leicht wässrig wurden. Mrs. Smith, die irgendwie den Bezug zu ihrer Schüssel mitbekam, schaute zu den Jungs.
Sie gab bekannt, dass diese herrliche und besonders wertvolle Schüssel aus einem besonderen Geschäft in London stammte, sie hätte das ganze Programm aus dieser Serie gekauft...
Das war zuviel! Timothy sprang auf und rannte ins Bad. Andreas versuchte sich zusammenzunehmen und der etwas erschrocken dreinschauenden Mrs. Smith zu verstehen zu geben, dass Timothy sich nur verschluckt hätte..., es sei wirklich eine besonders schöne Schüssel! Mr. Smith nahm mit verständnisvollem Blick zu Andreas seine Serviette vor den Mund und grinste in sie hinein.
Timothy kam zurück, seine Augen waren feucht und er atmete tief durch.
Er sagte so etwas wie: „Ohh… I’m very sorry... bla bla...“, und nachdem er sich wieder hingesetzt hatte, trat er Andreas unterm Tisch voll gegen das Schienbein und sah ihn dabei mit blitzenden Augen und voll aktiviertem Grübchen frech an.
Dieser Anreisetag in der kleinen englischen Stadt war für Andreas und die Gastfamilie
zur freien Verfügung. Erst am nächsten Tag sollte es einen Empfang im Rathaus geben und am Abend das erste Konzert in der Stadthalle des Ortes.
Nach dem Essen meinte Mrs. Smith, Timothy könne Andreas jetzt mal die Umgebung zeigen, bevor es ganz dunkel sei, und sie einigten sich auf die abendliche Rückkehrzeit von 9 Uhr.
Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen und nach wenigen Minuten verließen sie zusammen das Haus.
Sie kicherten sich jetzt noch einmal über die komischen Situationen beim Essen aus
und Timothy erklärte, dass er Andreas jetzt mal seine Schule von außen zeigen wolle,
danach sein Zuhause. Seine Mom sei im Übrigen supernett und die Tollste auf der ganzen Welt. Die würde Andreas ja dann auch kennenlernen.
Andreas konnte nicht immer alles komplett verstehen, was Timothy so von sich gab,
aber irgendwie war es ihm viel wichtiger, ihn nicht zu unterbrechen. Viel lieber wollte er ihm während des Zuhörens Aufmerksamkeit schenken und den blonden Jungen jetzt dabei angucken ‚müssen‘. So konnte er ihn jetzt erforschen, in seiner Mimik, in seiner ganzen Erscheinung. Auf Andreas wirkte jedes kleine Detail. Alles, was er an dem kleinen Engländer erfasste, empfand er als unglaublich schön, edel, supersmart, mit einem Gefühl der süßesten Hingerissenheit in seinem Bauch, aber auch einer großen Portion Wehmut, die irgendetwas mit einer Art Unantastbarkeitsgefühl zu tun hatte.
Auch stellte Andreas nun fest: ‚Richtig, Timothy ist ungefähr einen halben Kopf kleiner als ich.’
„’Like your hairstyle“, kam plötzlich in dem Gebabbel von Timothy vor.
Andreas wurde etwas aus seinen Gedanken gerissen, wusste aber nicht, ob er das richtig verstanden hatte. Andreas rang nach irgendetwas, um zu erwidern.
„Ich mag dich auch sehr!“ antwortete er. „Pardon?“ kam von der anderen Seite.
Dabei schaute ihn Timothy so an, als hätte er wirklich nur Bahnhof verstanden.
‚Scheiße‘, dachte sich Andreas, ‚gut, dass er das nicht verstanden hat.‘
Er sammelte auf Englisch: „I have to see the barber soon.“
„No, no, no!“, kam als Response. Andreas schmiss einen charmanten Rehaugenaufschlag zu Timothy hinüber, dessen blaue Augen smart zurückfunzelten.
In einiger Entfernung war nun die Schule zu erkennen. Timothy deutete sie wortlos kurz mit einem Fingerzeig an. Erklärend führte er Andreas dann um alle Gebäude. Anschließend schlenderten sie weiter die Straße entlang. Die Häuser wurden einfacher und schließlich
befanden sie sich zwischen Mehrfamilienhäusern aus altem roten Backstein.
Die Leute, die hier und da zu sehen waren, schienen Arbeiter zu sein. Plötzlich klimperte Timothy mit einem Schlüsselbund und öffnete die Eingangstür eines dieser Häuser. Sie stapften über eine alte Treppe in einem etwas heruntergekommenen Treppenhaus bis in den dritten Stock.
Der blonde Junge drehte sich kurz lächelnd zu Andreas um, drückte auf den Klingelknopf, schloss aber dann die Wohnungstür auf. „Mom!“, rief er und warf das Schlüsselbund auf eine Kommode. Andreas schloss die Wohnungstür hinter sich und stand, sich kurz umblickend, wartend da.
Es war eine einfache Einrichtung, aber sehr aufgeräumt und piccobello. Eine Tür ging auf und die Mutter von Timothy kam mit herzlichem Gesichtsausdruck auf die Beiden zu. ‚Eine schöne Frau!’ dachte Andreas. Sehr sportlich und ästhetisch, mit langen blonden Haaren, die zu einem langen Pferdeschweif zusammengebunden waren.
Timothy stellte Andreas höflich vor und die Mutter reichte ihm die Hand. Sie fragte, ob sie mit ins Wohnzimmer wollten, doch Timothy meinte, dass er dem Besuch erst einmal sein Zimmer zeigen wolle.
Andreas betrat Timothys Reich. Alles war ordentlich, es standen auch nicht viele
Möbel darin. An einem Schrank hing die weiße Robe unter einer durchsichtigen Folie.
„Have a seat, please“, sagte Timothy und deutete auf die Bettkante. Brav nahm Andreas Platz.
Der ‚Kleine‘ kramte ein Fotoalbum vom Schrank herunter und setzte sich mit Körperkontakt, ganz eng, neben Andreas. Er knipste seine Nachttischlampe an und drehte sie so, dass sie das Album beleuchten konnte. Dann begann er zu erzählen…, dass sein Vater nicht mehr leben würde…, sie früher mal besser gelebt hätten…, seine Mutter aber alles ganz toll hinkriegen würde und klappte dabei schon mal das Album auf.
Andreas musste sich sehr konzentrieren, um das Wesentliche zu verstehen. Eine Wärme machte sich bei dem Vortrag von Timothy in ihm breit und er genoss diese Nähe.
Ihm fielen jetzt die Hände auf, die in dem Fotoalbum dies und das zeigten und erklärten.
Natürlich mussten diese Hände auch noch die Ausstrahlung dieses Jungen neben ihm
unterstreichen. Es mussten die weichesten Welpentatzenhände der Welt sein, empfand
Andreas. Dabei fiel ihm auf, dass sie sich noch nicht einmal die Hände gegeben hatten.
Während Timothy ganz intensiv erzählte und erklärte, merkte Andreas, wie es in seinem
Nacken zu kribbeln begann. Er bekam eine wohlige Gänsehaut.
Timothy sprach leise, manchmal fast gehaucht. Dabei fuhr er über Urlaubsfotos, auf denen auch noch sein Vater zu sehen war. Andreas drehte sich immer öfter zu Timothy, der voll auf das Album konzentriert war. Er spürte seine Emotionen, die mit den Fotos zu tun haben mussten.
Andreas bekam das Gefühl, Timothy den Arm umlegen zu müssen und focht in sich einen
Kampf aus, dies zu tun oder es zu lassen. Ganz schlagartig durchfuhr ihn der Gedanke
der kostbaren Zeit, die sie nur zusammen haben konnten.
Er tat es! Ganz sanft legte er seinen linken Arm über die ganze Schulter von Timothy, der eine ganz kurze Unterbrechung machte, dann aber genauso weitermachte wie vorher.
Andreas wollte seinen Arm langsam wieder zurückziehen, als Timothy aber mit der
rechten Hand schräg nach hinten griff und den Vorgang stoppte, den Arm wieder dorthin
zog, wo er vorher war. Ohne Unterbrechung fuhr dieser mit seinem englischen Referat
zu den Fotos weiter fort.
Auf der letzten Seite des Albums angekommen, ließ Timothy es aufgeschlagen so liegen
wie es war, schaute nach unten und verstummte. Andreas musterte ihn mit seinen großen
dunkelbraunen, glänzenden Rehaugen von der Seite. Er konnte erkennen, dass sich im
äußersten Winkel des Auges seines Nachbarn eine Träne gesammelt hatte.
Andreas zog Timothy einmal kurz zu sich heran. Dieser schaute langsam hoch und smilte dann
Andreas leicht an, schniefte einmal kurz und fuhr sich mit dem linken Handrücken schnell durch beide Augen.
Andreas war selbst emotional voll am Anschlag. Er hatte nicht alles verstanden, aber
alles mitgefühlt. Timothy schaute wieder nach vorn, schlug das Album zu, machte mit einem
dezenten lieben Lächeln und kurzem Schulterzucken klar, dass es ihm aber gut und alles
weitergehe. Das konnte Andreas seinem Gesichtsausdruck entnehmen.
Timothy wollte aufstehen und das Album wieder an seinen Platz zurücklegen, doch Andreas hielt ihn mit seinem Arm auf dessen Schultern zurück; er erschrak selbst über seine Geste, weil er es gar nicht richtig gesteuert hatte, das zu tun.
Timothy schaute auf das geschlossene Album, dann nach vorne, dann drehte er sich zu Andreas. Andreas bekam so eine Art Angstgefühl im Bauch, fast so, als wenn er aufs Klo müsste. Timothys Augen wanderten von einem Rehauge zum anderen, ganz langsam; er schien auch die Augenbrauen von Andreas zu überfliegen und das Gesicht überhaupt. Andreas stellte einen gewissen Ernst in Timothys Gesicht fest und entdeckte dabei knapp über der Oberlippe seines Gegenübers einen kleinen Punkt auf der einen Seite. Als er das gerade festgestellt hatte, formten sich die blauen funkelnden Augen zu einem herzlich wohlwollenden Augenlachen. Die Augenwinkel verrieten es zusammen mit den feinen Augenbrauen.
Timothy sprang auf: „’Wanna show you something“, griff zu einem kleinen Schreibtisch
und holte eine kleine Blechkiste aus einem der beiden Türchen.
Er setzte sich auf den Boden, winkte Andreas zu sich und stellte die Kiste in die Mitte.
Er nahm den Deckel ab. Darin lagen mindestens 20 kleinere und größere kunstvoll
besprühte und bemalte Steine... in einer Art Graffity-Stil. ‚Das ist also ein Hobby von
Timothy.’ Andreas fand sie wunderschön und jeder einzelne Stein war ganz besonders.
Der kleine Engländer merkte es seinem Gegenüber an, wie fasziniert dieser von seinem Hobby war. Während sie jeden einzelnen Stein herausnahmen und intensiv beguckten, fing Timothy
leise an zu summen, dann etwas lauter, schließlich sang er: „Oh happy day... oh happy dayiiieay...“
Andreas lachte und stimmte in einer zweiten Stimme darunter mit ein. Auch er kannte
diesen Gospelsong perfekt. Timothy strahlte, stand auf und beide machten richtig auf.
Sie schauten sich an, um genau synchron zu sein. Timothy vibrierte richtig und fing an
über die Leadstimme zu improvisieren, phrasierte bis in seine höchste Sopran-Kopfstimme.
Andreas musste sich stark konzentrieren, um das Tempo des Basisgesangs genau halten zu können. „Yeah!“, rief Timothy, kam auf Andreas zu, sprang begeistert mit einem Satz an ihm hoch, verschränkte seine Beine hinter dessen Hüften. „Mom!“, rief er und griff mit langem Arm
nach der Türklinke. „Moooom!“ „Yes Timmy, I heard it! It was great!“, kam es aus dem
Wohnzimmer gerufen.
Timothy landete wieder auf seinen Füßen, stellte sich vor Andreas, lachte ihn strahlend an und fragte energisch: „FRIENDS?“ Andreas hob die Arme zum Schlagabtausch:
„Friends!“, gab er fröhlich und befreit zurück.
Das Ritual klatschte laut und die Mutter näherte sich mit einem Tablett. Kekse und Tee!
„Mom… mooom...“, forderte Timothy... Er bettelte seine Mutter an, ob Andreas nicht bitte, bitte, bitte über Nacht, oder sogar die ganze Zeit seines Aufenthaltes in der Stadt bei ihm bleiben könne.
Die Mutter lachte sympathisch zurück und machte ihm aber verständlich, dass dies nicht ginge, schließlich wäre Andreas ja bei Smiths einquartiert und das sei ja nun nicht zu ändern. Aber vielleicht könne man das für ein Mal so einrichten, sie würde das mit Mrs. Smith besprechen. Heute aber müsse Andreas zurück.
Während sie das sagte, schaute sie auf ihre Armbanduhr, tippte ein paarmal auf das Ziffernglas, und machte die Jungs darauf aufmerksam, dass es bald so weit sei.
„I will bring you back!“, bestimmte Timothy entschlossen und fing an, die Steine wieder in die Blechkiste zu sortieren. Andreas beobachtete ihn dabei entspannt und fröhlich und knusperte bei der Gelegenheit an einem Keks.
Zehn vor neun! Pünktlich hatte Timothy seinen neuen Freund vor das Haus der Gastfamilie gebracht, in der Andreas untergebracht war.
„Ten minutes“, stellte er auf seiner Armbanduhr fest und lehnte sich mit dem Hintern an den alten Vauxhall von Mrs. Smith. „Yes… ten minutes“, quittierte Timothy und tat dasselbe.
Es war dunkel und ein Fast-Vollmond versuchte einen kleinen Schein durch vorbeiziehende Wolkenschleier zu werfen, die mal dicker und mal dünner waren.
Unterwegs hatten die beiden nicht viel geredet. Sie hatten noch einmal leise ‚Oh happy day‘ gesummt, um das ‚Nicht-Reden‘ zu überspielen.
Andreas war erfüllt von diesem Abend und er spürte dasselbe irgendwie auch von Timothy, der wärend des Gehens immer mal smilend rübergeblinzelt hatte.
„At night I always get the best emotions to compose and to play piano“, sagte er träumerisch. „’Would like to hear it, Andrew“, kam von Timothy mit fragender leiser Stimme.
„Can I tell you something?“, zitterte Andreas jetzt vorsichtig aus sich heraus.
„Indeed. What’s up?“, fragte der blonde Junge und leuchtete Andreas mit seinen blauen Augen erwartungsvoll an. Pause... Andreas suchte Worte und lächelte smart-verlegen.
„Come on... what is it?“, kam es nochmal. „’Could not forget you since I saw you the first time in church. I wished to meet you so bad... the whole time…“, hauchte Andreas fast ohne Stimme aus sich heraus und schaute überall hin, nur bloß nicht in die Augen des Jungen neben ihm. Der sagte jetzt gerade mal gar nichts.
Andreas riskierte schließlich einen flüchtigen Blick und sah, dass Timothy immer noch so guckte wie eben, es aber in dessen Mundwinkel leicht in Richtung Grübchen zuckte.
Andreas fing an mit seinen Rehaugen zu klappern. Timothy konnte genau sehen, wie Andreas' Augenwimpern unregelmäßig auf und ab gingen. Er versuchte Andreas' ganzes Gesicht zu erfassen, der es etwas wegdrehte, als er dies merkte. Timothy nahm die linke Hand aus der Hosentasche und legte sie auf die von Andreas, mit der er sich auf der kalten Heckklappe des Vauxhalls abstützte. Dieser spürte die kleinere Seidentatze, deren weiche Finger versuchten, sich sanft unter die seinen zu graben. Die kleine Hand drückte etwas zu und die Stimme, die dazugehörte, sagte ganz leise, aber bestimmt: „I’m impressed.“ Pause…
„No one ever said things, like you did, to me before.“ „Echt?“, brachte Andreas heraus.
„Pardon?“, kam es sofort von Timothy. „Emmm...wow...“ Andreas schüttelte mit einem verlegenen Grinsen im Gesicht den Kopf und signalisierte damit, dass er planlos am Ende seiner Wortschöpfung sei.
Dann schien ihm etwas einzufallen: „Wait, Timothy!“ Er ließ den Jungen einfach dastehen. Er klingelte. Mrs. Smith öffnete. „Aahhh, Andrew!“, freute sie sich.
„I’m back in few minutes!“, hastete Andreas an ihr vorbei in sein Gästezimmer. Er kramte das kleine Päckchen mit der Kassette aus seinem Gepäck und stürmte wieder hinaus, vorbei an einer etwas überraschten Mrs. Smith, die ein nicht unübersehbares Hindernis darstellte.
Timothy empfing Andreas gleich direkt vor der Haustür. Dieser schob Timothy wieder hinter das Auto und hielt ihm das kleine Päckchen hin. „For me? What’s that?... Why?“, flüsterte der Kleinere spannungsgeladen, nahm dem Hektischen das Päckchen ab, wobei er Andreas leicht geduckt und mit einem Schalk-Smile-Grübchenblick aufs Korn nahm.
Bevor Andreas überhaupt rauslassen konnte, dass er es jetzt noch nicht aufmachen solle, hatte der Junge das Papier schon entfernt. Er starrte auf die Kassette. „Andrew“ las er vor..., drehte die Kassette um, „Timothy?“ las er fragend von der anderen Seite des Geschenks vor. Andreas stand aufgeregt, fast zweifelnd vor ihm.
„Äääändruuuuu!“, schallte es aus der Haustür „Come in please!“, kam es mit Nachdruck.
Timothy knipste seine blauen Augen an und leuchtete damit denjenigen an, in dem gerade eine Gefühlskarambolage ihren Anlauf nahm. Wie aus heiterem Himmel kam die rechte Tatze des blonden Jungen hochgeschnellt, umklammerte in Windeseile Andreas‘ Nacken, zog ihn zu sich heran und küsste ihn blitzartig auf die Wange. Genauso blitzartig ließ er aber wieder von ihm ab und rannte in die Dunkelheit hinaus.
Andreas stand wie angewurzelt da und spulte den Film der letzten Sekunden in seinem Hirn noch ein paarmal vor und zurück. Japp! Er war vernarrt! Und das bis an die Schmerzgrenze! War das jetzt grad eine Eroberung oder hatte er den kleinen Kerl völlig ins Schleudern gebracht, sogar etwas angerichtet?
Er trottete nun endlich ins Haus. Mrs. Smith empfing ihn mit der Frage nach seinen Wünschen, Essen, Trinken, noch zusammen sitzen. Andreas gab zu verstehen, dass es ein toller Abend gewesen, er aber jetzt sehr müde sei. Der Programmplan für den nächsten Tag wurde kurz besprochen, danach zog er sich aus, krabbelte in das Gästebett, knipste sofort das Licht aus und ließ Timothy mit allen Eindrücken von heute und allem, was er an ihm so faszinierend fand, in seinen Gedanken kreisen. Die gewaltigen Decken des Bettes und die weiche Matratze waren zwar gemütlich, aber ungewohnt.
Kaum hatte er sich etwas heruntergefahren und in sich Ruhe einziehen lassen, klopfte jemand von außen an das Fenster. Er schrak hoch! ‚NEIN…!‘, dachte er sofort, schlich zum Fenster, öffnete es und zwei blaue freche ‚Scheinwerfer‘ blitzten ihn an! „You’re crazy!“, flüsterte Andreas. „Come out“, kicherte Timothy. Andreas strich sich unsicher durch seine verwuschelte Tolle. „Okay, but only 5 minutes“, quittierte er.
Timothy hüpfte aufgeregt vor dem Fenster herum, schaute prüfend nach links und rechts. Andreas war schnell provisorisch in Sachen geschlüpft und krabbelte durchs Fenster nach draußen. „Your mother, Timothy?“ „I told her that I forgot my keys in your room... hihi!“
„Okay“, flüsterte Andreas grinsend zurück und fuhr fort: „Why did you come back?“
„I forgot something“, flüsterte Timothy leise und ganz nah an Andreas' Ohr.
Sie gingen beide in die Hocke. „Hmmm?“, fragte Andreas zurück. „I did not say ‚Thank You‘ for the present!“ „Of course you did!“, flüsterte Andreas.
„How?“, wunderte sich Timothy. Kleine Pause... „Errmmm... you kissed me.“
„Yes, I did.“, grinste Timothy verlegen zurück. „ I was highly surprised“, zischelte
er an Andreas' Ohr vorbei, so dass dieser eine Gänsehaut am ganzen Körper bekam.
Der blonde Blauscheinwerferjunge positionierte seine strahlenden Saphire jetzt genau vor Andreas' Augen, so dass sich die Nasen fast berührten. „I hope we are friends for a long time from now on, Andrew“, kam mit ganz leiser und zarter Stimme, dabei stützte sich Timothy mit seinen warmen Händen auf den Knien von Andreas ab.
Andreas musste jetzt schlucken und es machten sich warme Gefühle in ihm breit. Sein Gänsehautgefühl war außerhalb der Skala und die Hingezogenheit zu diesem hinreißenden, anmutigen, gefühlvollen Jungen zwang ihn zu einer Erfüllung. Timothy bemerkte irgendetwas in dem Gesicht von Andreas.
Der Kleine fing gerade an, an seinen Worten von eben zu zweifeln mit „Pardon?“, weil er Andreas' Mimik gerade nicht verstand. Dessen Gesichtsausdruck überflutete sich jetzt mit seinen ganzen Emotionen. Die Rehaugen schlossen sich und seine Lippen näherten sich ganz langsam der rechten Wange seines Gegenübers. Dort platzierten sie den wohl zärtlichsten Kuss, den Andreas je zuvor jemandem hätte geben wollen. Er wartete noch einen kleinen Moment, bevor er Timothy in die Augen sah, weil ihm jetzt ganz plötzlich bewusst wurde, was er gerade getan hatte.
Ganz vorsichtig nahm er seinen Kopf zurück und schlug seine Augen auf.
Die blauen Scheinwerfer waren an, samt Grübchen.
Timothy sackte nach hinten auf seine Hacken und lies angehaltene Luft heraus. Andreas zog leicht fragend seine smart geschwungenen Augenbrauen hoch.
Nach einer kleinen Pause: „Be assured: You will get such a kiss as well, my friend!“, smilte der Kleine und hatte dabei sein Grinse-Schalkgesicht mit Schlitzaugen aufgesetzt.
Gelöst grinste Andreas zurück.
„Piano?“, fragte Timothy sich freuend und zog die Kassette aus einer Tasche. „Piano!“, gab Andreas bestätigend zurück.
Einen kleinen Moment verweilten sie. Timothy steckte die Kassette wieder ein.
„Tomorrow?“, fragte Timothy ganz leise, mit etwas verlegenem Ton. „Tomorrow!“, quittierte Andreas flüsternd-fröhlich.
Andreas stand nun auf und kletterte durch das Fenster wieder zurück ins Haus. Timothy kam von außen an die Fensterbank und reckte seine Arme hoch. Andreas beugte sich herunter und umarmte seinen neuen Freund. Dabei kuschelte er kurz sein Gesicht bei jenem in den Kragen und atmete tief durch die Nase ein. Timothy kicherte leise. Sie lösten sich und der ‚Kleine‘ trat von der Fensterbank zurück. Er warf Andreas einen glücklichen Blick zu, machte sich auf und hauchte noch ein ‚Bye‘, während er sich entfernte.
Andreas schloss das Fenster, zog sich wieder aus und kuschelte sich zufrieden unter die enorme Bettdeckenmasse. Jetzt merkte er, wie müde er wirklich war. Trotzdem fing er an, sich über die Möglichkeiten Gedanken zu machen, seinen neuen Freund am morgigen Tag überhaupt treffen zu können. Ein ziemlich umfassendes Programm stand an, Begrüßung im Rathaus, Stellprobe, Generalprobe, abends ein Konzert. ‚Naja... vielleicht könnte er ja irgendwo ein Fahrrad auftreiben...‘
Bei diesen Überlegungen schaltete sich der aktive Betrieb in Andreas' Kopf aus und der Schlaf übernahm das Zepter.
„Good morning!“ blies es Andreas aus höchstens 30 cm ins Ohr. Er riss die Augen auf und registrierte Mrs. Smith, die ihm mit entzücktem Gesicht scheppernd ein Tablett auf den Nachtisch stellte. Er schnallte, dass er überhaupt nicht mehr zugedeckt war, er hatte sich wohl im Schlaf freigestrampelt. Schnell kam er hoch, ergriff die Decke und zog sie sich hastig bis unters Kinn hoch. Mrs. Smith riss das Fenster auf und sagte laut: „Andrew, it’s a wonderful day!“
Sie erkundigte sich, ob er auch gut geschlafen hätte, reichte ihm von dem Tablett
einen übergroßen Becher. Andreas schlürfte mit aufgesetzt dankbarem Bravgesicht
daran und stellte fest: ‚Tee mit Milch und mindestens 6 Löffeln Zucker!‘
‚Gar nicht süß’, dachte er, ‚aber lieb!’ Er schielte auf das Tablett, woraufhin Mrs. Wirbel-Smith angab, dass es Toasts mit besonderer, original englischer Schönschmeckmarmelade seien und er solle doch gleich zum Frühstück kommen...
‚Frühstück? Was hab ich denn grad hier bekommen???’ überlegte er irritiert.
Andreas spürte den Luftzug, den Mrs. Smith durch ihre Geschwindigkeit verursachte,
als sie fröhlich wieder das Zimmer verließ.
‚Boah‘, dachte er und ließ sich kurz noch einmal in das Kissen zurückfallen.
Dann knusperte er mit langen Zähnen an den, sicher mit Liebe gemachten, Toasts.
Ja... er musste sie irgendwie aufessen.
Als Andreas sein Gästezimmer frisch geduscht und angezogen verließ, kam ihm
eine Duftfahne in die Nase, die auf irgendetwas Gebratenes schließen ließ.
‚Bah! Gebratener Speck und Eier...‘ Aber es gab kein Entkommen!
Mr. Smith wies ihm einen Platz am Tisch zu, wo erneut eine riesige Tasse mit dem gleichen Inhalt wie im Becher an seinem Bett auf ihn wartete. Mrs. Smith kam hinzu und erfreute sich an jedem Bissen, den Andreas anschließend herunterbrachte.
Mr. und Mrs. Smith brachten den Jungen zum Rathaus, wo der offizielle Empfang des Chores aus der deutschen Patenstadt durch den Bürgermeister stattfand.
Als Begrüßungserwiderung gab der Gastchor ein Ständchen. Nach dem Beifall löste sich Andreas sofort aus der Aufstellung und wandte sich an den Chorleiter, ob er sich von der jetzt anstehenden Besichtigung, dem anschließenden ‚Beisammensein‘ mit allen Gastfamilien bis zur Probe freimachen dürfe. Heute sei das ausgeschlossen, meinte dieser, zwinkerte Andreas aber wohlwollend zu, um zu verstehen zu geben, dass die Betonung auf ‚HEUTE‘ lag. Innerlich etwas aufgewühlt, quittierte Andreas dieses mit einem lächelnden: „OK!“
Der Junge ließ den Tag über sich ergehen. Er war mit unzufriedenen Gefühlen unterwegs, versuchte aber, smart und höflich aufzutreten. Immer wieder blickte er sich um und hielt Ausschau...
Andreas war aufgeregt! Er stand auf einem Podest in der zweiten Reihe im Alt des Chores, also relativ mittig. Der Saal der Stadthalle hatte sich bis auf den letzten Platz gefüllt. Sie hatten sich gerade vor dem jetzt wartenden englischen Publikum aufgestellt. Das Gehüstel und Gebrabbel reduzierte sich allmählich, als der Dirigent vor den Chor trat. Andreas' Augen suchten hektisch das Publikum ab und er versuchte, den Chorleiter dabei nicht zu übersehen, da dieser jeden Moment den Einsatz geben würde. Als dieser beide Arme zum Einsatz hob, schweiften Andreas' Blicke noch einmal kurz über die Emporen. Und... JA! Er war da! Timothy stand von ihm aus gesehen rechts oben auf der Empore, die nicht für das Publikum geöffnet war. Andreas lächelte schnell zu ihm hoch und einen Moment später gab der Dirigent, der Andreas einen ‚Pass gefälligst auf‘-Blick zuwarf, den Einsatz.
Andreas spürte die Blicke von Timothy; er brauchte es eigentlich gar nicht riskieren,
immer mal wieder kurz zu der Empore hochzublinzeln, doch er tat es und fast jedes Mal bekam er ein zufriedenes Grinsen zurück. Timothy hatte seine Arme flach auf die Brüstung der Empore gelegt und sein Kinn auf die gefalteten Hände gestützt. Manchmal legte er seinen Kopf auch schräg auf die Arme. Dort oben konnte man nicht sitzen und es war bestimmt nicht die bequemste Möglichkeit, ein zweistündiges Konzert durchzuhalten.
Applaus… Die englischen Zuhörer waren begeistert und der Beifall nahm kein Ende.
Der Chorleiter stimmte noch eine Zugabe an, die genauso, ja fast über Gebühr,
Beifall fand. Nun wurde der Chorleiter nervös, weil er Programmprobleme bekam.
Alle anderen Stücke, die der Chor einstudiert hatte, wären hier fehl am Platze gewesen. Er schaute Andreas, einen anderen Jungen aus dem Alt und ein Mädchen aus dem Sopran an und winkte sie zu sich. „Cantate domino“, flüsterte der Dirigent... Ein Stück, das Andreas und die beiden anderen für den Kantate-Sonntag in der Kirche zu Hause einstudiert hatten. Jetzt hieß es aber Konzentration!
Die drei bauten sich nebeneinander vor dem Chor auf, der Chorleiter gab die drei verschiedenen Einsatzstimmen vor und nachdem der Akkord leise summend rein war, gab er den Einsatz.
Andreas spürte trotz seines Gesanges die noch größere Stille und Konzentration des Publikums. Er sah Mrs. und Mr. Smith da vorn, die mit ihren Augen an ihn geheftet waren. Er wagte es nicht, nach oben zu Timothy zu schauen.
Als der letzte Akkord der Drei verstummte und sich in dem Saal verlor, blieb es eine Weile still.
Dann setzte ein irrer Beifall ein. Andreas guckte nach oben zu seinem Freund.
Der hatte sich etwas über die Brüstung gelehnt und klatschte wie völlig aus dem Häuschen. Dann ‚schwupps‘ war Timothy dort verschwunden.
Nach dem Beifall lösten sich die Reihen des Chores nacheinander auf und verschwanden in einem Nebenraum. Andreas kam mit den anderen dort hinein und sah sich um.
Eigentlich musste er doch jetzt Mr. und Mrs. Smith suchen und mit ihnen ‚nach Hause‘ fahren.
Als ihm das gerade durch den Kopf geisterte, ging eine Seitentür auf. „Yeah... Timothy!“, fuhr es durch Andreas. Sofort ging er auf den blonden Jungen zu, der ihn gleich mit ungezügelter Herzlichkeit anstrahlte. Sie begrüßten sich mit Augen und Ausdruck und sagten gar nichts, dabei zupfte Timothy Andreas immer wieder an dessen schickem weißen Hemd oder drückte auf einen der Perlmuttknöpfe.
Der Blonde zog seinen Freund zu der Seitentür, öffnete sie schnell und zog ihn
hindurch. Nun standen sie dort im Halbdunkeln. Andreas warf seine gut gefönten
Haare nach hinten und sah in ein irgendwie amüsiertes, leicht freches Gesicht.
„You are a great singer... it was great... wonderful choir!“, eröffnete dieser.
Andreas zog smilend die Augenbrauen hoch. Da war doch noch was?? Was hatte dieser schalkige Gesichtsausdruck in Timothys Gesicht zu bedeuten?
Dieser zog ihn zu sich heran: „Meet you tonight at your windoooow“, flüsterte er.
Andreas kribbelte es durch und durch... „Okay“, flüsterte er nach einer kleinen Pause
zurück und grinste.
Das Unwohlgefühl über das heimliche Aussteigen in der Nacht war in ihm einfach
machtlos gegenüber dem Magnetismus dieses Jungen.
Timothy schaute kurz überlegend nach unten. Dann nahm er seine eigene rechte Hand, setzte ‚Schmmmatz!’ einen Kuss auf die Innenfläche und ‚Patsch!’ klebte er die ganze Tatze genau auf die Stelle an Andreas' Brust, unter der sein Herz Kapriolen schlug.
Überrascht hielt Andreas die Hand seines Freundes mit seiner an dieser Stelle instinktiv fest und seine Rehaugen warfen leuchtend eine Botschaft zurück. Ganz warm wurde es in seiner Brust...
Timothy smilte herzlich breit mit geschlossenen Lippen samt Grübchen...
Plötzlich hielten sie inne und lauschten:
Auf der anderen Seite der Tür hinter ihnen wurde jetzt gerufen: „Andreas? Weiß denn
jemand, wo der jetzt wieder steckt?“ „Auf’m Klo.“, sagte irgendeiner nebensächlich.
Andreas packte Timothy an beiden Schultern und bestätigte nochmals: „Okay. Tonight!“, machte sich los, nahm die Türklinke in die Hand, drehte sich wieder zu Timothy um, der einfach nur da stand, schoss auf den ‚Kleinen‘ zu, umarmte ihn hektisch, aber fest drückend, und verschwand dann durch die Tür zu den anderen.
Andreas saß mit fast baumelnden Beinen im Wohnzimmer von Mr. und Mrs. Smith.
Das Modell des Sessels, in dem er versank, hätte man in Deutschland sicher als ‚Aus Wehrmachtsbeständen‘ deklariert. Vor allem Mrs. Smith war vor Entzückung nebst Angetanheit nach dem Konzert kaum noch zu steuern und war wohl der Meinung, Andreas müsse jetzt mal richtig verwöhnt werden. Andreas hatte das Artig-Brav-Plus-Folgsam-Programm aufgerufen und ließ alles irgendwie über sich ergehen. Die Konversation war einfach nur anstrengend und auch wenn Mr. Smith es gut meinte, ihm die besondere Haustechnik mit Brauchwasserspeicher erklären zu müssen, hatte Andreas aber ziemlich auf Durchzug geschaltet und dachte an nichts anderes, als dass er irgendwann heute Nacht Timothy wiedersehen würde. Es kribbelte in seinem Bauch und er hatte echte Unruhe, dass diese Gähn-Zeit jetzt ‚endlich mal rumgeht‘.
Am liebsten hätte er mit den Füßen getrampelt.
Irgendwann verspürte er, dass es jetzt nicht mehr unhöflich sein könne, sich ins
Bett zu verabschieden. Mrs. Smith wollte ihm noch eine Aufnahme vorspielen, auf der ein Chor, in dem sie vor zehn Jahren gesungen habe, mit ähnlichen Werken zu hören sei. Andreas vertröstete sie auf ‚morgen‘ und verabschiedete sich ‚eeeendlich‘ in sein Zimmer.
Er legte sich eine ältere, etwas angefetzte Jeans zurecht, die er für etwaige Wanderungen oder Picknicks eingepackt hatte. Eigentlich war es seine Lieblingsjeans. Sie war eng, hatte einen großen Riss unter einer Pobacke, war völlig ausgewaschen, vom Segeln und anderen Dingen gemartert. Auf Kniehöhe und vorn im Oberschenkelbereich hatte sie auch Risse. Dann kramte er einen Pulli hervor und seine Timberlandjacke.
Er hörte, wie schließlich auch Mr. und Mrs. Smith schlafen gingen, zog sich aus, öffnete das Fenster leicht und legte sich ins Bett. Er war überhaupt nicht müde und spürte, dass ihn seine Aufregung davon abhielt, überhaupt schläfrig werden zu können.
Es war einfach eine irre Vorfreude, die ihm viele Timothy-Eindrücke im Kopf vorführte.
Immer wieder knipste er das Licht an und schaute auf seine Armbanduhr.
Sie hatten ja keine Zeit ausgemacht und er versuchte sich auszurechnen, wann sein Freund sich zu Hause überhaupt auch erst aus dem Staub machen könne, dann dazu gute zehn Minuten Gehweg. Er peilte seine Zeiger auf der Armbanduhr ein und verschob das Treffen mit Timothy immer um eine viertel Stunde. Irgendwann überkam ihn dann doch die Müdigkeit, er merkte es gar nicht richtig, und er driftete weg.
Plötzlich schreckte er aus dem Schlaf: War da nicht etwas? Er horchte. Ruhe.
Er knipste das Licht an, drehte sich etwas... Da war ein Widerstand im Bett!
„Timothy“, flüsterte er überrascht. Der lag mit seinen Klamotten neben ihm und hatte die Augen geschlossen. Schlief er? Andreas überlegte, was er jetzt machen sollte.
„WUHAAA!“, riss Timothy die Augen auf und schnellte ihm mit dem Gesicht entgegen. Dann gackerte er sich weg und gab zu verstehen, dass er gerade erst gekommen sei. Blitzschnell zog sich Andreas an und erst als beide aus dem Fenster geklettert waren, fiel das erste richtige Wort. Timothy wollte Andreas etwas zeigen oder ihn irgendwo hinbringen. Soviel schnallte Andreas.
Am Rande des Wohngebietes schlug Timothy einen Waldweg ein. Er hatte eine winzige Taschenlampe dabei, die in einem Schlüsselanhänger eingebaut war. Die Nacht war relativ klar und man konnte die Umrisse der Bäume und den Weg erkennen.
Sie sprachen nicht viel. Ab und zu blitzte Timothy mit seinen Augen zu Andreas hinüber und schien sich wohl auf irgendetwas zu freuen oder eine Überraschung zu haben.
Bald kamen sie an eine Art Aussichtsplattform am Rande des Waldes. Bei Tageslicht konnte man hier wohl über ein Moor oder so schauen, dachte sich Andreas. Es waren dort zwei aus Baumstämmen gemachte Bänke im Halbkreis angeordnet. In der Mitte war eine kleine Fläche, wo wohl schon Leute gegrillt hatten. Timothy flüsterte “Wait!“ und verschwand kurz.
Nach zwei Minuten kam er zurück mit einem Fahrrad und einem winzigen Anhänger hinten dran. Ein Sack mit Holzkohle, eine Decke, Spiritus und Papier waren darin, ausserdem ein kleiner Rucksack.
Timothy schüttete einen Teil der Holzkohle auf die ‚Feuerstelle‘, zerriss Papier und beträufelte alles mit etwas Spiritus. Andreas fand das richtig genial und merkte auch, dass Timothy ihn während seiner Beschäftigung immer wieder so anblitzte, als wolle er auch bestätigt bekommen, dass er eine coole Idee gehabt hatte.
Er ging auf seinen blonden Freund zu, legte seinen Arm um ihn und flüsterte:
„What a great idea... but you’re crazy!“ Timothy grinste frech und brachte das Feuer in Gang. Dabei versuchte er, es nur ganz klein zu halten, damit es möglichst niemand bemerkte.
Zufrieden saßen Timothy und Andreas auf einer der beiden Baumstammbänke, ihre Gesichter wurden von dem Minifeuer mit warmem Schein etwas beleuchtet. Ab und zu stand Andreas auf und suchte ein paar kleine Äste, wenn die Holzkohle nur noch zu glühen drohte.
Andreas spürte Timothy an seiner Seite. Er war total enspannt und er hatte ein weites Gefühl im Bauch, das mit etwas Abenteuerlust gespickt war.
Plötzlich merkte er, wie sich eine kleine Hand hinten um ihn herum den Weg suchte. Sie grub sich sanft an seiner Hüfte unter die Timberlandjacke.
Andreas legte ganz behutsam seine linke Hand in den Nacken seines Nachbarn. Er wartete einen kleinen Moment... und ließ seine Fingerkuppen kaum merkliche Streichelbewegungen machen. Als Timothy seinen Kopf etwas nach vorn beugte und damit diese Minimini-Liebkosung annahm, intensivierte Andreas es ein wenig.
Nach einiger Zeit merkte Andreas, dass die Hand von Timothy an seiner Hüfte eine Art Antwort gab. Dazu grub sie, kaum merklich, seinen Pullover an dieser Stelle etwas nach oben und landete auf seinem T-Shirt... unter dem Pullover.
Die Zeit verging und länger hatte niemand Stöckchen auf die jetzt nur noch glühende Kohle geworfen. Es wurde etwas kühl.
Timothy zog langsam seine Hand zurück und warf einen verklärten Blick zu Andreas, während er aufstand, um Stöckchen zu besorgen. Als das Minifeuer wieder entfacht war, suchte der ‚Kleine‘ in seinem Rucksack herum, holte etwas heraus und setzte sich wieder neben Andreas.
Dort schaute der blonde Junge auf den Boden, dann auf das, was er in den Händen hielt.
„You are my friend, aren’t you, Andrew?“ „Yes! Sure Timothy!“ „I have something for you. Don’t laugh... ok?“ Andreas bestätigte prompt, dass er nicht lachen würde.
Umständlich, und ohne Andreas anzugucken, übergab er ihm ein in ein Taschentuch gewickeltes Etwas, von der Form ungefähr so wie eine große Kartoffel. Es war schwer. Der Beschenkte erkannte Initialen auf dem Taschentuch, ‚T.D.‘ Es waren Timothys Initialen. Langsam wickelte er es aus und betrachtete es von oben, wendete es mal so... mal so. Andreas merkte, wie seine Augen feucht wurden... Er stammelte: „Es ist... wunderschön... Timothy... wunderschön...“
„Pardon?“ kam es kleinlaut und verunsichert zurück.
Andreas hielt einen von Timothy kunstvoll gestalteten Stein in den Händen. In einer Art Graffityschrift stand auf der einen Hälfte ‚Andrew‘ und auf der anderen ‚Timothy‘. Die beiden Namen wurden von kleinen Kettengliedern verbunden. Das mittlere Kettenglied war rot ausgemalt. Um den Stein verliefen unten herum als Fußandeutung, ganz fein auf jeder Seite, die Farben der Länder... auf der einen die britischen, auf der anderen die deutschen.
Andreas' schokoladenbraune Rehaugen hatten sich mit Tränenwasser gefüllt. Bis zum Anschlag war er gerührt und gefühlsmäßig mit der Zuneigung von diesem Jungen angefasst, dessen Schatz er jetzt erfuhr und bekam. Er klapperte kämpfend mit seinen Wimpern. Kurz schaute er zu Timothy, dessen Gesicht immer noch auf eine Antwort wartete. Doch nun schien dieser zu begreifen und kniete sich schräg vor Andreas, um ihm in die Augen sehen zu können. „YES! You like it... you like it!“, triumphierte Timothy leise und machte frech eine ‚Strike‘-Geste.
„Du Arsch!“, flappste Andreas, wischte sich mit einem Handballen durch die Augen und lachte mit einem Schnief dazwischen. „Ha! I know the meaning of Aaasch“, kicherte Timothy zurück, warf noch ein paar Stöckchen aufs Feuer und wühlte wieder in seinem Rucksack. Hervor kamen zwei Dosen Cola, eine überdimensionale Tafel Schokolade und ein Beutel mit wohl selbstgebackenen Keksen von seiner Mom. Timothy nahm mit der Schokolade in der Hand wieder die Bodenposition vor Andreas ein, öffnete das Papier, brach ein großes Stück davon ab und schob es seinem Freund mit der Bemerkung „For your brown eyes!“ einfach in den Mund und gackerte. „’Will get the dimensions of Mrs. Smith within four days“, quetschte dieser zwischen der Schokolade heraus. „Never!“, kicherte Timothy, stand auf und kniete sich auf die Baumstammbank hinter Andreas, der sich leicht schräg positioniert und die Beine halb auf die linke Seite gelegt hatte.
Der ‚Kleine‘ kuschelte sich von hinten an ihn heran, legte seine Arme auf dem Rücken seines Freundes zusammen und zufrieden seinen Kopf und Körper daran. Andreas durchflutete wieder dieses gutartige, unglaublich warme Gefühl, das zweifellos diese natürlichen, freien und grundehrlichen Waves seines Freundes waren. Den Stein hatten seine weichen Knuffeltatzen gemacht innerhalb eines Tages! Als er das gerade dachte, sagte Timothy wie als Antwort
darauf: „I heard your piano-playing on the cartridge while I made that stone for you... The whole day!“ Dieser Junge nahm nun seine Arme nach vorn und umschloss Andreas. Der nahm eine dieser süßen weichen Tatzengriffel in beide Hände und wärmte sie.
„’s made with love!“, kam von hinten... „Yes, your stone!“, von vorn... „No, your piano!“
„The stone!“ „Your music, my boy!“, kicherte Timothy und sprang von der Bank herunter.
Andreas wedelte mit seiner Tolle herum und fixierte die halb ernst, halb amüsiert prüfend guckenden Blauscheinwerfer seines Freundes. Er stand auf und wollte auf Timothy zugehen, doch der schaltete noch sein breites Grinsen plus Grübchen dazu und machte Ausweichbewegungen. Andreas blieb stehen, strich sich mit seiner rechten Hand die Tolle zurück und sah Timothy mit seinen glänzenden Rehaugen an. Der Blonde kam heran und meinte: „Do you remember what I promised yesterday, Andrew?“ Andreas sagte nichts. Er sah nur, wie anmutig und wunderschön der Junge war, der immer näher kam. Er merkte auch, wie warm es in ihm wurde... dass er Weichheit in den Knien verspürte. Timothy stand jetzt genau vor ihm. Sein leicht geschwungener Mund war ernst, seine süßen, feinen Augenbrauen bekamen einen anderen Schwung und seine Augen schauten etwas von unten zu Andreas hinauf.
Timothy nahm beide Arme, legte sie sanft um den Hals von Andreas, der kurz davor war, in die Knie zu sacken. Kurz bevor Timothy seine Augen schloss, formten sie sich in ein Augenlächeln. Timothy berührte mit seinen weichen Lippen die von Andreas und gab ihm einen langen zärtlichen Kuss. Dieser umfasste jetzt die Hüften seines Freundes. Timothy schlug die Augen auf und schaute auf den Mund, den er gerade geküsst hatte.
Er flüsterte, ob er das denn gut gemacht habe, und guckte artig fragend in die halb geschlossenen Rehaugen. Nach dieser Frage war für Andreas alles zu spät. Er umarmte Timothy ganz fest und liebevoll und ließ ihn nicht mehr los. Er küsste ihn auf die Wange und an seinen schlanken Hals, nahm ihn wieder in den Arm. Timothy machte auch keine Anstalten, die Umarmung zu lösen.
Er flüsterte an Andreas' Hals mit halb angesetzten Lippen: „Never had a friend like you before... ’don’t wanna miss you…“ Das klang traurig und Andreas ließ etwas von ihm ab, um ihn anzusehen. Er entdeckte etwas Flehendes in den hinreißenden Augen von Timothy.
Die ganze Süße dieses Jungen schaffte ihn und er wusste auch nicht weiter.
Trotzdem bekam er es hin, seinem Freund aufmunternd einen Rehaugenzwinker zusammen mit einem tröstenden ‚Hey‘ rüberzubringen.
Andreas löste die Umarmung auf und griff zu den beiden Coladosen. ‚Pfft’ machte es zweimal und er gab Timothy eine hinüber. Dieser leuchtete schon wieder aus seinem Gesicht und kickte mit dem rechten Fuß einen kleinen Ast auf die Kohlen, der sofort Feuer fing.
Andreas und Timothy verbrachten noch eine ganze Weile vor ihrem Minifeuer. Sie kokelten mit Stöckern in der Glut herum, genossen mehr das kostbare Zusammensein, als dass sie nun sehr viel redeten. Die Kekse wurden gefuttert und ab und zu stopfte Timothy seinem Freund grinsend ein Stück Schokolade in den Mund. Vor zwei Monaten war er ja 14 geworden und wünschte sich, dass Andreas nun in Zukunft an jedem Geburtstag dabei wäre und außerdem müsse er mal kommen, wenn er Ferien habe. Er selbst könne ja nicht so gut nach Deutschland kommen, weil das Geld so knapp sei bei ihnen zu Hause und dann wäre ja schließlich auch seine Mutter allein.
Ob Andreas ihm auch schreiben würde, fragte er und stocherte dabei in der Glut herum.
Der zog ihn zu sich heran und versprach es. Timothy fragte nochmal: „Really?“
Andreas gab ihm lächelnd mit der Hand einen Batsch auf die Wange mit dem Gesichtsausdruck: ‚Du spinnst wohl! Natürlich schreib ich dir.‘ Timothy smilte zufrieden und lehnte seinen Kopf an Andreas' Schulter. Er visierte die Jeans von seinem Freund an, die mehrere Risse im Oberschenkel- und Kniebereich hatte. Schon wanderte seine rechte Hand dorthin und seine Finger fingen an, an einem günstig gelegenen Riss an der Jeans herumzupulen. Dann schob sich sein Zeigefinger durch den Riss und wanderte kurz mal auf Andreas' nacktem Oberschenkel herum.
Dieses Gepule, Gegrabbel und Fummeln von diesen Knuffel-Mini-Winnies im Zusammenspiel des Spürens seines angekuschelten Freundes löste bei ihm wohliges Kribbeln und Wärme in dem entsprechenden Körperbereich aus. Er bekam eine schmeichelnde Gänsehaut, so dass sich sein kleiner Nackenflaum aufstellte. Andreas genoss es und dachte: ‚Bitte nicht aufhören… bitte niiicht!‘
Er war sich seines Freundes sicher, dass auch der diese intensiven Momente am liebsten unendlich lange hinziehen wollen würde. Er fühlte das einfach. Ihm wurde bewusst, dass er Timothy erobert hatte. Was dieser kleine Kerl für diesen Abend alles getan hatte..., richtig vorbereitet; dann der Stein... zu Hause nachts abgehauen... das Kussversprechen... die Treuefragen nach dem Sich-Schreiben und ob sie Freunde wären und blieben... jetzt lehnte dieser Junge selbst versunken an seiner Seite... seine Finger hatten mit dem Pulen aufgehört und die niedliche warme Hand lag auf seinem Oberschenkel.
Süß! Sogar die hatte so etwas wie kleine Grübchen, entdeckte der Beknuffelte.
Andreas wurde in seinen Gedanken sanft unterbrochen „Have to leave now…“, kam verträumt-heiser aus Timothy heraus. Nach einem kleinen Realisierungsmoment kniff Timothy Andreas
leicht in den Oberschenkel, smilte ihn mit einem ‚Nützt-ja-nix-Blitzer‘ an und leitete damit
den Aufbruch ein. Sie schütteten Sand auf die noch glühende, auseinanderverteilte Kohle, beluden den kleinen Anhänger und machten sich auf den Rückweg.
Andreas ging neben Timothy her, der das Fahrrad mit dem Anhänger schob.
Er war wieder in die Gedanken von vorhin versunken – die Rührung über diese Nachtaktion, der Einsatz und die Gesten seines Freundes kribbelten in ihm herum, aber auch, dass sie sich in ein paar Minuten trennen würden. Unterschwellig nahm er dabei ganz leise zarte ‚Püsterchen‘ von Timothy war, der ja etwas Gewicht schieben musste... das Fahrrad mit dem Anhänger. Immer wieder funzelte der ‚Kleine‘ kurz herüber, um zu ergründen, was wohl hinter der leicht schwingenden Tolle so los sei. Da war schon was los, denn da wurde gerade realisiert, dass der
Waldweg gleich zu Ende war! Da baute sich etwas Dringendes in Andreas auf, irgendetwas,
was er noch mitteilen oder machen wollte oder müsste, bevor es heute nicht mehr ginge!
Dazu kam noch der Schutz der Verborgenheit im Wald und die Macht der Nacht.
„Stop!“, hauchte Andreas und bremste Timothy samt Fahrrad und Hänger an der Schulter.
Der wirbelte seinen Kopf herum und flüsterte erwartungsfroh: „What’s up, Andrew?“
Andreas schien verzweifelt nach irgendwelchen englischen Worten zu suchen, gab es schnell auf und führte die Aktion, das Fahrrad mal kurz auf den Ständer zu stellen, kurzerhand selbst durch. Timothy stand etwas verdutzt da und verfolgte das Gesicht, das sich jetzt genau vor seiner Nase postieren wollte. Andreas legte eine Handfläche in dessen Nacken und die andere sanft an den blonden Schopf darüber.
Als er gerade etwas sagen wollte, fing Timothy an zu grinsen und seine knallweißen
Zähne blitzten unter seiner geschwungenen Oberlippe, dann gab er Andreas einen ganz schnellen weichen Schmatzer auf die Lippen und grinste noch mehr, dann flüsterte er neckisch:
„I was first!“ Dann gackerte er ganz kurz und grinste fragend.
„Timothy...“, begann Andreas ganz konzentriert... „Andrew!“, kicherte Timothy zurück und brachte jenen etwas damit aus dem Konzept, der seine Hände jetzt auf die Schultern des Blonden verlegte. Timothy merkte wohl, dass sein Freund nach Worten suchte und sie nicht fand,
wurde ernster. „Fuck!“, fluchte Andreas und bröckelte flüsternd unsicher Worte heraus, als wenn sie nicht das sagen könnten, was er meinte:
„Thank you so much for the last hours... emmmm... you prepared... everything tonight... the stone... the wonderful stone... feel so much... cannot say all I want in English... it's much more I can say... fffff...“
Als er versuchte, Ansätze für noch mehr Fragmente herauszubringen, schob sich eine warme weiche Handfläche auf seine Lippen. Dieses wurde begleitet von einem sanften „Psssssssssssst... shut... up!“ und einem frechen Grinsen, das sich langsam zu dem Ohr unter der Tolle den Weg suchte. „Äääääääändruuuu“, flüsterte es ganz leise „I never kissed with boys before, because I never loved a boy, you know?“
Andreas wurde es plötzlich ganz weich in den Knien. Er fürchtete jedes weitere klärende Wort von Timothy und nickte irritiert leicht mit dem Kopf als Antwort. Das Geflüster in sein Ohr ging weiter: „Did I kiss you, Andrew?“ – kurze Pause – Andreas gab die Antwort wieder nickend.
„O...k…!“, kam es deutlich von dem Ohrflüsterer, der sein Gesicht wieder vor das seines Freundes schob und diesen mit seinen blauen Augen relativ ernst anleuchtete.
In Andreas war alles durcheinander, er versuchte die Bedeutung der Worte zu realisieren, seine Rehaugen suchten verzweifelt ein klärendes Ziel. Timothy machte einen kleinen Stöhner à la ‚Mennoh‘. Unmittelbar danach küsste er Andreas einmal auf die Wange und noch einmal auf den Mund... dieses mit einer gewissen Nachdrücklichkeit seiner Worte.
Der letzte Kuss auf den Mund hatte bei Andreas den Groschen fallen lassen. Die weichen Lippen, die er gerade von seinem Freund gespürt hatte, fühlte er immer noch auf den seinigen, obwohl der jetzt ungefähr einen halben Meter vor ihm stand.
Andreas zog Timothy zu sich heran, küsste ihn diesmal riiiichtig und langanhaltend auf den Mund. Der Kleine erwiderte dabei den Kuss und Andreas spürte dabei dessen Handflächen sanft auf seinem Rücken. Danach suchte sich Andreas mit seinen Lippen die Stelle unterm Ohr an Timothys Hals, der seine Wange an der von Andreas anschmiegend vorbeifuhr. Einen kleinen Moment hielten sie dann inne, bevor sie sich lösten.
Schließlich nahmen sie wieder ihren Rückweg auf, jedoch in höherem Tempo.
Andreas meinte zu fühlen, dass das, was gerade insgesamt abgelaufen war, seinen Freund fast überfordert hätte, egal, wie dieser sich selbst bemüht hatte.
Kaum hatte er das gedacht, lachte Timothy ihn an, wie eine Antwort darauf.
‚Hmmm. Hatte ich das Gefühl nicht schon einmal?‘, spulte er seine Gedanken hin und her...
Es muss so gegen halb elf am Vormittag gewesen sein, als Andreas vom Klappen
einer Autotür und dem Anlassen eines Motors geweckt wurde.
Er blinzelte, gähnte einmal tief, stützte sich mit den Ellenbogen im Bett etwas hoch und plierte, Umgebung, Helligkeitsstatus und Geräusche erfassend, aus seinen verschlafenen Augen.
Das Fenster stand offen und er nahm seine Klamotten wahr, die er in der vergangenen Nacht getragen hatte. Sie hingen auslüftend an den Fensterflügeln.
‚Ach ja‘, dachte er, ‚hab ich ja dahingehängt... hoffentlich ist der Rauchgeruch bisschen raus!‘
Aber was war das? Neben ihm stand wieder das Tablett mit einem vollen Becher und Marmeladentoasten. Er berührte den Becher. ‚Oh... warm.‘
Da war Mrs. Smith also schon bei ihm drin gewesen.
‚Hmm… Hat sie mich echt pennen lassen... Ach jaaaaa, heute ist ja Sonntag und am Nachmittag dieser Ausflug mit unserem Chor und allen, die Lust haben aus den Gastfamilien und so…‘, erinnerte er diesen Programmteil.
Er schlug die Bettdecke zurück und stand entschlossen auf... Doch dann hielt er inne und bemerkte etwas: ‚Oh Mann, ey… Mit DEM Ding lauf ich jetzt aber nicht übern Flur.‘
Er setzte sich auf die Bettkante und bediente sich von dem Tablett. Dabei versuchte er bewusst, das Handicap zu ignorieren, damit es verschwände, doch das dauerte eine ganze Weile, schon allein deshalb, weil ihm bewusst wurde, dass er seit drei Tagen zu ‚Sowas‘ ja überhaupt nicht gekommen war. Aber das ging jetzt auch nicht, ihm spukte nämlich plötzlich eine Idee im Kopf herum.
„Good morning!“, kam Andreas aufgeweckt, wohlduftend, frisch geduscht und gefönt zu Mr. und Mrs. Smith ins Wohnzimmer, die dort gerade bei einem Tee saßen und einem Sonntagskonzert im Fernsehen lauschten. Mrs. Smith fand es prächtig und vernünftig, dass der Junge sich jetzt nach dem anstrengenden Konzert gestern so richtig ausgeschlafen hatte.
Mr. Smith machte mit den Augen ein wohlwollendes ‚Richtig, Junge‘-Zeichen.
Mrs. Smith bemutterte nun Andreas in der Küche und fand, dass er sich ja richtig gut kleide.
Sie bewunderte seine schicke, leicht tallierte graue Lodenjacke, eine Art Janka, die einen leichten Trachtentouch hatte. Andreas wusste, dass dies eine besonders edle Jacke war. Er hatte sie sich einmal als Geschenk von einer Tante aussuchen dürfen, als er diese einmal in München besucht hatte. Dennoch hatte er sie eher weniger aus Eitelkeit angezogen, als wohlwissend, dass heute eher klassisch gut gekleidet, aber leger, angesagt war. Dazu hatte er eine fast nagelneue weiße Jeans an und ein schickes passendes klein-rot-weiß-kariertes Oberhemd mit einem weißen T-Shirt darunter.
Während Mrs. Smith um ihn fröhlich mit spitzem, entzücktem Munde herumwuselte, um den Jungen das nächste Jahrzehnt vor dem Verhungern zu bewahren, fand dieser, dass es doch eine gute Gelegenheit wäre, sie zu fragen, ob er nicht gleich eben mal zu Timothy laufen könne, um ihn zu fragen, ob der nicht gern den Ausflug mitmachen möchte. Sie meinte, sie könnte ja dort eben mal anrufen, doch Andreas schaffte es, sie davon zu überzeugen, dass er dann auch gleich mal ein bisschen laufen würde und das ihm ja gut täte.
Mrs. Smith fand das prima, denn sie hätten ja früher kein Telefon gehabt und wegen jedem Scheiß Zig-Kilometer… und im Winter... halb ohne Essen... bla... sülz...damals...
Andreas bahnte sich während des Vortrags geschickt den Weg zur Haustür, verstand auch wirklich nicht alles davon, smilte smart zu Mrs. Smith und verabschiedete sich, im Sich-Davonmachen winkend.
Auf dem Weg beschleunigte er immer mehr sein Geh-Tempo in ein Fast-Laufen. Das machte die immer stärker werdende Vorfreude auf den Moment, den er wohl gleich erleben würde. Er war mit seinen Gedanken einfach schon ein paar Minuten voraus...
Er drückte auf die Klingel der Wohnung und fuhr sich noch einmal durch seine frische Tolle, rückte ein bischen an seinen Klamotten herum, bis er nähernde Schritte vernahm. Timothys Mutter öffnete und machte eine sympathische, überraschte ‚Huch‘-Geste. Sie begrüßte Andreas superfreundlich mit gedämpfter Stimme und bat ihn hinein. Er schaute schon auf Timothys Zimmertür, aber sie bat ihn in die Küche, wo sie gerade Gemüse putzte. „I think Timothy is tired.“ Sie wäre schon zweimal bei ihm drin gewesen, aber er würde so tief und fest schlafen, dass sie es noch nicht gewagt hatte, ihn dann wirklich wecken zu wollen. Schließlich sei ja Sonntag.
Sie bot Andreas einen Küchenstuhl auf der anderen Seite des Küchen- oder auch Esstisches an. Andreas war von der Frau sehr beeindruckt. Sie war eine sehr attraktive Frau und hatte auch so etwas Anmutiges wie ihr Sohn. Er erkannte sogar einige Züge an Mimik und Charme wieder, die er so an Timothy mochte. Wenn die Mutter ihn etwas fragte und ihn mit ihren blauen Augen so selbstbewusst ansah, war es für Andreas eine Gratwanderung, nicht rot oder verlegen zu werden. Dabei hatte er doch überhaupt keinen Grund rot zu werden...Oder??
Er kam sich geprüft vor, obwohl sie das gar nicht tat. Im Gegenteil. Sie war einfach nur supernett, und irgendwie jung in ihrer ganzen Art. Fast wie eine Freundin.
Sie kam für Andreas so rüber, als wenn Timothy ihr bestimmt viel von ihm erzählt haben müsste. ‚Naja‘, dachte er, ‚vielleicht ist das auch einfach ihre Art, so zu sein.’
Das Gespräch ging unter anderem über die Schule von Timothy und wie die von Andreas sei, über Sport, über Musik und Chor, die Eltern und Geschwister von Andreas. Auch erzählte sie von Timothy und wie er versuche, ein bisschen der „Mann im Haus“ zu sein und mit ihr zusammenhalte, dass er aber auch kämpfe in diesen oder jenen Situationen, an Weihnachten, Geburtstagen, dass er mehr Stärke zeige, als er habe.
Andreas verstand das Meiste gut, was die Mutter sagte. Sie sprach sehr deutlich und nicht zu schnell, manchmal machte sie auch eine Bemerkung auf Deutsch oder sagte ein deutsches Wort, wenn sie den Eindruck hatte, dass er nicht folgen könne. Für Andreas stand fest: Die Mom war klasse! Da war Respekt im Spiel, selbst ihrem eigenen Sohn gegenüber.
Andreas brachte jetzt sein Anliegen vor, ob Timothy den Ausflug mitmachen dürfe.
Das fand sie ganz klasse und meinte, dass er jetzt mal leise rübergehen solle und nachschauen, ob sich da schon was in seinem Zimmer täte.
Andreas tickerte leise mit den Fingernägeln an die Zimmertür von Timothy.
Er horchte... Nichts! Leise öffnete er die Tür, ging hinein und schloss sie hinter sich. Vorsichtig näherte er sich dem Bett... ‚Meine Güüüte!’, fuhr es ihm in den Bauch.
Timothy lag fast ganz ausgestreckt auf dem Rücken, die Arme lagen etwas angewinkelt nach oben über seinem Körper, seine Knuffelhände halb geöffnet oberhalb seines Kopfes, der leicht zur Seite, in Andreas’s Richtung, gebettet war.
Sein Oberkörper war fast nicht bedeckt; die Decke war leicht schräg bis knapp unter den Bauchnabelbereich weggeschoben. Eines seiner Beine schaute unter ihr etwas zur Seite heraus. Andreas konnte noch den Ansatz einer Art Frotteehose erkennen, der diese jeweils mit einem Zugbändchen oberhalb der Waden fixierte.
Ein ebenfalls schneeweißes Schlafoberteil, auch aus diesem Stoff, lag neben dem Bett auf dem Boden. Andreas ließ sich ganz sachte, schräg zu seinem Freund gewandt, auf der Bettkante nieder, mit leicht offenem Mund und kaum atmend, wobei sein Herz ihm immer mehr bis zum Hals schlug. Er hatte Timothy so nah bisher noch nicht einmal einfach nur ansehen können, ohne dass Blicke, Reaktionen, Worte oder Handlungen etwas verändert oder verlangt hätten.
Das wurde ihm jetzt bewusst und er wollte ihn noch einen Moment wenigstens jetzt so
angucken dürfen. ‚Ob Timothy das gutfinden würde…‘
Andreas hatte die Seele von seinem Freund schon gespürt und dessen Zuneigung.
Dass dieses so unfassbar im Einklang mit dieser Süße, Lieblichkeit und Anmut war,
mit dem, was da so in hingegebener und einfach freier, ungeschützter, aufgemachter Haltung lag, machte ihn in sich fast irre vor Liebe. Das musste doch wohl Liebe sein, oder? Seit der letzten Nacht wusste er, dass dieser Junge dort auch so etwas empfand. Weil das so war, wollte er das auch so für sich zulassen.
Andreas staunte. Timothy musste sehr sportlich sein und war schon mehr ein kleiner
Teenager, als er vielleicht vermutet hätte. Seine Brust war schon etwas ausgeprägt
und wohldefiniert, nicht ganz so, aber etwas davon, wie Andreas es von einem Freund kannte, der Leistungsschwimmer war. Timothy hatte auch etwas auf den Rippen und... ‚Der ist ganz sicher kein ganz kleiner Junge mehr‘, überlegte sich Andreas.
Zu seinen Hüften hin wurde Timothy ganz schmal, soweit Andreas das erkennen konnte. Die Haut musste sich an der Oberfläche ganz seidig weich, dann aber fest anfühlen. Andreas nahm seine rechte Hand und legte sie fünf Zentimeter über die linke Brust von Timothy. ‚Ob er es merken würde, wenn ich sie anfasse?‘, haderte er mit Respekt vor seinem Freund. Dessen Anmut, aber auch eine Portion von diesem Selbstbewussten und Klaren, lag in dem Ausdruck, wie er da lag. Aber dann sah Andreas auch diese vertraute grundtiefe Gutartigkeit, die Timothy genauso von innen nach außen abstrahlte.
Ganz vorsichtig fuhr Andreas mit den drei mittleren Fingerkuppen seiner rechten Hand
an dem linken rosafarbenen Brustnippel vorbei. Er streichelte ihn dort ein paar Mal
sanft hin und her, etwas rauf und runter. Dabei nahm er die ganz leisen, gleichmäßigen, leicht hochfrequenten, Ein- und Ausatmer des Vierzehnjährigen wahr. Sie waren so zufrieden und unbeschwert, empfand Andreas.
Dieser nahm jetzt seine linke Handfläche und legte sie Timothy ohne Druck auf den Bauch, machte dabei diese kleinen Atembewegungen mit.
Dann legte er sie ihm dorthin, wo er der Meinung war, darunter müsse dessen Herz schlagen. Ein ganz bisschen konnte er etwas von diesem Beat dort spüren.
Timothy schmatzte einmal kurz mit seinen Lippen, zeigte einmal dabei sein kleines Grübchen und atmete tief durch. Nach einer Weile des Innehaltens lehnte sich Andreas so über seinen Freund herüber, dass er sich auf der anderen Seite mit dem Ellenbogen abstützen konnte. Gewissermaßen hatte er Timothy überbrückt und dessen Beine lagen unter Andreas‘ Achselhöhle.
Mit der rechten Hand streichelte er den schönen Körper und versank in dieser Liebkosung, dabei fixierte er dieses selbst hingabevoll mit seinen Augen, was er dort tat.
Das machte er sehr ausdauernd lange...
„Äääändruuuu…“, kam plötzlich relativ klar und sehr lieb begrüßend von ‚oben‘.
Andreas guckte erschrocken in Timothys Gesicht.
Dieser smilte von einem Ohr zum anderen und blitzte amüsiert aus seinen Augen.
Timothy gackerte: „Watched you longer as you think.“
Andreas wurde knallrot und positionierte sich wieder ‚braver‘ auf der Bettkante.
„Did you check out my body?“, fragte Timothy frech grinsend und fuhr sich dabei mit der Zunge über die Unterlippe. Der Ertappte musste schlucken. Diese Direktheit mit der Wahrheit in der Frage war fies, doch er wurde erlöst...
Die Zimmertür wurde nach einem sanften vorherigen Anklopfen geöffnet und die
Mutter schaute herein. Von ihr kam ein humorvolles Erstaunen über das ‚Endlich-Wachsein‘
ihres Sohnes und sie fragte, was er denn dann gleich gerne essen wolle.
Andreas lud sie selbstverständlich und nett mit ein.
Die Tür schloss sich wieder und Andreas und Timothy sahen sich an, wobei Timothy wieder mit einem Schalk im Gesicht lächelte. Er kostete gern noch einmal die gewisse Peinlichkeit für Andreas aus, sagte aber dann im Aufstehen mit ehrlichem Ausdruck „I enjoyed it!“ und backste seinen Freund im Aufstehen mit einer Hand auf die Wange.
Der Blonde ging auf seinen Schrank zu und öffnete diesen. Andreas saß auf der Bettkante und schluckte leise. Timothys Figur war zum Klauen. Unter den schmalen Hüften saß diese schneeweiße Frotteeshorts, die dadurch, dass sie unterm Knie diese Bändchen hatte, toll saß. Andreas überlegte, wo er denn hingucken sollte, wenn die jetzt fiele.
Da kam auch schon die Antwort: „Do you like my built, Andrew?“, fragte Timothy, während er sich mit dem Rücken zu dem leicht Verwirrten frische Klamotten aus dem Schrank zusammenstellte.
„Yes... sure, Timothy“, sagte dieser kleinlaut wieder in gesund durchbluteter Gesichtsfarbe.
„Yes or no?“, kam nochmal leicht kichernd. Andreas antwortete jetzt aber auch amüsierter: „Yes, of course man! You are Mr. Universe!“
Timothy drehte sich um und frotzelte plötzlich sauer und angefasst: „I’m not Mr. Universe! Sorry!“ … Pause… „You have a great body, Andrew! I watched you in your clothes as well. Sure, I’m not as strong as you are. I’d be happy if I had your body!“
Andreas war ganz perplex. Er hatte dort wohl in eine Wunde bei Timothy gehauen.
Er stand auf und ging zu ihm rüber, der umständlich mit seinen Klamotten rummachte.
„Timothy… I really like your body! You are wonderful, you know? That’s why I enjoyed to watch you sleeping… To taste you...“ Dabei wanderten seine schokoladenbraunen Rehaugen verliebt durch Timothys Gesicht. Der fing an zu smilen und sagte kleinlaut: „Sorry Andrew.“ „Now I’ll drop my pants… if you wanna watch, sit down on my bed!“, kommandierte er wieder fröhlich. „Or d’ya wanna read something?“, kicherte er wieder los und zeigte dabei auf ein paar Comics. Andreas nahm wieder auf der Bettkante Platz und grinste amüsiert.
Timothy stellte sich mit dem Rücken zu ihm vor die offenen Schranktüren und wackelte mit seinen Hüften. Dann sang er gackernd auf die Melodie von ‚Oh happy day‘: „Oh happy aaaass...Oh happy boooody...“ Dabei schmiss er den Kopf nach links und rechts und fuchtelte mit seinen Armen rythmisch in der Luft herum.
Dann rutschte diese Frotteehose langsam zu Boden. Das Bettkantenpublikum schüttelte leicht den Kopf mit dem Gedanken: ‚Das kann ja gar nicht wahr sein!’ Nicht nur wegen dieses Anblicks, sondern auch wegen dieser ganzen Nummer, die gerade gelaufen war. Andreas lachte und warf sich zurück auf Timothys Bett.
In der Küche erwartete Timothys Mutter die beiden Jungs mit Sandwiches und warmem Kakao. Andreas widmete sich hauptsächlich dem Kakao, denn er war ja von Mrs. Smith bereits reichlich versorgt worden, was er auch der Mutter mit der Bitte um Nachsicht mitteilte. Die lachte sehr darüber, denn sie kannte Mrs. Smith wirklich gut.
Der Junge aus Deutschland beobachtete, wie Timothy und seine Mom miteinander umgingen.
Es war lustig in der Küche! Timothy machte ständig Sprüche oder forderte sie irgendwie heraus, zwickte sie mal von hinten kurz in ihre schlanken Beine, wenn sie in günstiger Position war, oder nahm etwas weg, was sie sich gerade irgendwo zurechtgelegt hatte. Sie tat es dann aber umgekehrt fast genauso, nahm ihm was vom Teller, wenn er gerade trank oder brachte ihn, anschleichend von hinten und dann anschließend mit festen Griffen in seine Hüften kitzelnd, zum Quietschen, bis er schallend lachend den Kopf nach hinten warf, in dem noch ein Stück Sandwich herumhüpfte. Dann drehte sie plötzlich das im Hintergrund leise laufende Radio etwas auf, als sie
wohl einen Lieblingssong erkannte. „Oh, Trini Lopez!“, stellte sie fröhlich fest und spontan sangen die beiden mit, nickten und wippten zu diesem alten Evergreen, in dessen Refrain irgendetwas mit ‚Sunshine’ vorkam, fiel dem angetanen Beobachter auf.
‚Das passte’, fand Andreas und freute sich weiter an dieser Szene zwischen den beiden. Er fand es allerdings besonders, das Timothy so einen alten Song genauso wie seine Mutter, prompt und wie selbstverständlich, draufhatte und einfach so mitsingen konnte. Es musste wohl so etwas wie ein ‚Insider’ sein, überlegte er.
Inzwischen war Timothy aufgestanden und räumte den Tisch ab, mit seiner Mutter, die am Küchenschrank und an der Spüle zugange war, zusammen weiter mitsingend und dazu tänzelnd. Dabei bumpten sie ab und zu mal ihre Hüften zusammen und schauten hin und wieder und zum Mitsingen auffordernd zu Andreas. Sein Freund machte plötzlich ganz listig und genau im Takt einen Hackenkicker an den Po seiner Mutter, die diese Aktion auf das Wort ‚Sunshine’ im Refrain mit einem Abwaschschaum-Backs an dessen Wange, genauso frech, gleich quittierte. Timothy warf dann ein kleines, schon abgewaschenes Küchenbrettchen in die Spüle, so dass seiner Mom der Schaum ins Gesicht spritzte.
Der Freche nahm schon halb Anlauf in Richtung Flur und funkelte, kichernd singend, seiner Mom in die Augen. Die ließ alles in die Spüle fallen, was sie gerade in der Hand hatte, und startete blitzartig ihrem Sohn hinterher. Andreas hörte, wie sie durch die Wohnung rannten und schließlich in Timothys Zimmer landeten. „Äähääähäääändruuuuu!“, kiekste es laut und flehend dorther. Als der amüsierte Gast dort hereinkam, sah er, wie die Mutter den sich wild verteidigenden Winselnden auf dem Bett nach Strich und Faden durchkitzelte, mit gelegentlichen Kniffen in den Po.
Timothy war bald wehrlos durch die Intensivbehandlung und ergab sich und blieb durchatmend und geschafft liegen.
„Moooooom?“, rief er noch liegend zu seiner Mutter, die wieder in der Küche herumklapperte. „Timmmiiii?“, kam es im Ton genauso nachäffend zurück.
Der Bestrafte wühlte sich von seinem Bett herunter und bahnte sich seinen Weg, dabei schon fragend, in die Küche. Ob Andrew denn nicht heute Nacht bei ihm übernachten könne, flehte er gleich mit der äußersten Schmerzgrenze der Fleh-Umwicklungstonarten. Andreas hatte inzwischen, sich raushaltend, auf Timothys Bettkante Platz genommen, aber mit einer unbedingt wunschunterstützenden Energieanspannung für dieses Anliegen. Es vergingen ein paar Augenblicke… dann kam der Kleine mit gesenktem Haupt von seiner Verhandlung durch die Tür zurückgeschliffen und blieb so vor seinem Freund stehen.
Dann riss er strahlend seine beiden blauen Scheinwerfer auf, stampfte einmal auf den Boden und machte das ‚Strike’-Zeichen. Er setzte sich flink neben Andreas, legte einen Arm um ihn und erzählte ihm aufgeregt tuschelnd, unter dessen herunterhängender Tolle, dass sie es erlaubt habe, gleich auch Mrs. Smith anrufe und alles mit ihr regeln werde.
Die beiden freuten sich gegenseitig in ihre Augen und Andreas klatschte Timothys freie Hand ab, die er ihm hinhielt. Dann schaute Andreas auf die Uhr und erinnerte, dass ja auch jetzt bald der Ausflug losgehen würde.
Am vereinbarten Sammelplatz für alle Chormitglieder aus Deutschland und die englischen Gastgeber warteten zwei große Reisebusse. Auch Mr. und Mrs. Smith waren gekommen und Mrs. Smith unterhielt unüberhörbar lebhaft eine der verschiedenen Grüppchen, die sich hier und dort an den Bussen gebildet hatten.
Ohne jetzt noch draußen herumzustehen, huschten die beiden Jungs in einen der Busse und richteten sich gleich auf den hintersten Plätzen ein: Andreas am Fenster, Timothy rechts daneben.
Als der Blonde seinen leichten Stoffmantel auszog, erkannte Andreas, dass sich sein Freund
wohl echt bemüht haben musste, sich auch ein bischen schick zu machen.
Und das war ihm gelungen! Er war nämlich nicht dabei gewesen, als sich der Kleine für den Ausflug angezogen hatte, sondern hatte noch mit der Mutter so lange im Wohnzimmer gesessen. Es fiel ihm auch deshalb auf, weil Timothy so merkwürdig guckte, als dieser sein Outfit unter dem Mantel freigab, so, als wenn er nicht wüsste, ob das wirklich gut aussähe: Ein sehr schickes, fast nachtblaues Hemd mit einem edlen geschlossenen Stehkragen, Hirschhornknöpfen und Knopfleiste, über einer sehr schönen beigen, jeansartigen Cordhose getragen.
Andreas bemusterte ihn, nickte mit verklärtem Blick… Dann flog ihm wegen dieser Anmut und gnadenlosen unbefangenen Süße seines Nachbarn eine leichte Röte ins Gesicht, begleitet von einem verlegenen Schlucken. Timothy funzelte ihn erst leicht fragend, dann nachprüfend an. Dann schaute der Kleine nach vorn und seine Augen formten sich zu kleinen lächelnden Schlitzen. Andreas tat sofort das Gleiche... nach vorn gucken. Schließlich schielte er aber wieder zurück: Timothy grinste! Fast triumphierend übers ganze Gesicht!
„Shut up!“ beschwerte sich jetzt Andreas angesteckt lachend. Dann machte Timothy eine völlig unverständliche Unschuldigkeitsmiene und kicherte mit zugepresstem Mund. „Arsch!“, sagte Andreas grinsend, ja wohlwissend, dass sein Nachbar den Begriff kannte. Als Antwort schob Timothy seine linke Hand unter Andreas’ Oberschenkel. Dieser schlug die Hände vor sein Gesicht. Der andere kriegte sich gar nicht wieder ein und bekam einen Gackerflash.
Der Bus hatte sich inzwischen gut gefüllt und setzte sich nach einer kleinen Programmansprache über das Ausflugsprogramm in Bewegung.
Die beiden Jungs hatten es da hinten gemütlich. Die letzten drei Reihen vor ihnen waren nicht besetzt, dafür war der andere Bus proppevoll. Timothy versuchte, seinem Freund so einfach wie möglich sein Wissen über die Gegend zu vermitteln: Dies sei sein Schulweg... das da hinten sei eine Brauerei... da würde ein Freund wohnen... da hinten würde seine Mutter immer einkaufen.
Bald fuhren sie über Land und die beiden ließen einen Moment wortlos die Fahrt
auf sich wirken.
Andreas war in sich gekehrt. Er konnte es nicht mehr ständig aus seinen Denkprozessen heraushalten: Übermorgen würden sie abreisen! Es durchzogen ihn Wehen, aus Verzweiflung und Panik über einen einfach unvermeidbar bevorstehenden Abschied... Die Hand seines Freundes hatte sich vor ein paar Minuten wieder unter seinen Oberschenkel geschoben, und er spürte ihre Wärme, die sich hinauf bis zu seinem Herz zog. Er wollte doch aber auch tapfer sein für Timothy, damit dieser nichts von dieser Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht fühlte, der er selbst gegenüberstand. Andreas liefen seine Augen mit Tränenwasser voll und er schaute jetzt lieber mehr aus seinem Fenster, damit der kleine Kerl ihm nichts anmerkte.
Die Hand unter seinem Bein bewegte sich, verschwand dort und einen Augenblick
später wurde es dann auf seinem Oberschenkel vertraut warm...
„Think of nothing sad“, flüsterte die vertraute Stimme lieb, die dazugehörte.
Andreas blickte sich um. Timothy hatte etwas flehend Bittendes in seinem Gesicht.
‚Wieso merkt der immer alles?’, dachte der Beflüsterte und legte seine Hand auf die
andere auf seinem Bein, die angefangen hatte, die Finger tröstend hin- und her zu bewegen. Jetzt musste Andreas fast noch mehr kämpfen und wusste: Er MUSSTE nun aus dem Fenster gucken – nicht in das Gesicht seines Freundes, sonst wäre ja mit der Beherrschung der Gefühle alles aus.
Pffffffffffffffff...Tscchschschsch… Der Bus hatte gestoppt und die Türen öffneten sich.
Aus beiden Bussen entluden sich die Fahrgäste und draußen rief der deutsche Chorleiter
seine Schützlinge zusammen, um jetzt erst einmal ein Lied anzustimmen und fuchtelte weisend mit seinen Händen zu einer schnellen Aufstellung. Auch Andreas nahm im Chor seinen Platz ein.
Andreas beobachtete Timothy, wie der in der vor dem Chor zusammengekommenen Zuhörerschaft hinter Mrs. Smith hin- und herwuselte und Faxen machte, um ihn zum Lachen zu bringen. Dann stellte der Blonde sich neben Mrs. Smith, die verzückt und schon vor dem ersten gesungenen Ton halb davonschmolz, und versuchte sie in Haltung und Gesichtsausdruck zu imitieren. Als Andreas sah, wie Timothy sich plötzlich mit verzogenem Gesicht mit seiner Nase zum Oberarm von Mrs. Smith drehte und dann so tat, als würde er kurz mal bei ihr ihren Achselgeruch überprüfen, sich dann mit blitzenden Kicherschlitzaugen die Nase zuhielt, platzte Andreas vor Lachen.
Dessen Chornachbarin stieß diesen sofort mit dem Ellenbogen in die Hüfte. Aber auch sie hatte den Quatsch verfolgt und musste sich beherrschen. Das bekam wiederum Timothy mit, schielte und machte eine Hasenzahnfratze, wackelte steif hin und her. Das Mädchen neben Andreas tuschelte: „Wo hast du den denn gewonnen? Der is ja süß... Der war doch auch mit in Deutschland, ne?“ Eine Antwort bekam sie nicht mehr, denn der Chorleiter gab den Einsatz.
Timothy leuchtete für Andreas aus der zuhörenden Menge heraus, wie der Einzige in Farbe in einem Schwarz-Weiß-Film, stand jetzt aber augenlachend und respektvoll neben Mrs. Smith und ließ das Dargebotene auf sich wirken.
Die Besichtigung zogen die beiden Jungs schnell durch, wobei sich Andreas dabei aber immer mal ein paar Momente mit seinem Freund bei Mr.und Mrs. Smith aufhielt; er hätte es nicht höflich gefunden, ihnen nun überhaupt keine Aufmerksamkeit zu schenken. Dennoch waren Andreas und Timothy als erste Rückkehrer wieder am Bus.
Sie klopften an die vordere Einstiegstür und nach einer Weile kam der Busfahrer aus einer der Sitzreihen… Er hatte wohl ein kleines Nickerchen gemacht... und öffnete die Tür. Es war ein sehr netter Mann, der fand, er müsse den Boys wohl die technischen Details erklären. Andreas verstand nur Bahnhof, außer, dass das Ding wohl eine besondere Zusatzbremse haben müsse, die irgendwie magnetisch-elektrisch während der Fahrt eingesetzt werden könne. Jedenfalls war es das, wovon der Busfahrer hauptsächlich redete.
Plötzlich rief der Fahrer des anderen Busses zu seinem Kollegen herüber und winkte diesen zu sich. Im Weggehen gab er den Jungs zu verstehen, dass sie sich schon mal reinsetzen könnten.
Andreas und Timothy suchten wieder ihre alten Plätze auf. Sie hatten einen kleinen Beutel von Timothys Mom mitbekommen und machten sich über Sandwiches und Orangensaft daraus her.
„Do you have a girlfriend in Germany?“, kam es ganz beiläufig während der Untersuchung des Beutels nach weiterer Verpflegungsauswahl. „Not for the moment“, antwortete der andere und warf seine Tolle mit gekonntem Schwung aus seinem Gesicht. „I had ten at least, even though I am just fourteen!“, kam klar von dem Kleineren, worauf ihn die Rehaugen ungläubig-erschrocken anguckten. „Really?“, kam etwas unsicher die Rückprüfung von Andreas. „Or have there already been eleven?“, überlegte Timothy und legte den Zeigefinger dabei an die Lippen.
Andreas guckte seinen Freund an und zeigte auf ein dickes Mädchen, das sich schnaufend
im Gang des Busses ihren Platz suchte. „Number 12!“ feixte der Deutsche und schubste den Spinnenden kräftig und dabei kichernd vom Platz in den Gang.
Der stand auf und bahnte sich, ohne sich zu Andreas umzudrehen, den Weg zu dem Mädchen –
„Hi, I’m Timothy!“ – und nahm deren Täschchen, um es oben im Gepäckfach zu verstauen.
Die registrierte leicht irritiert und lila-werdend den hübschen aufmerksamen Bengel und ließ sich in ihren Sitz am Fenster plumpsen. Timothy setzte sich unaufgefordert daneben und sprudelte auf sie los. Die schokoladenbraunen Rehaugen schauten verdattert hinter dem vorletzten Sitz hervor um mitzubekommen, was sich dort tat.
Der Bus füllte sich wieder und als alle vollzählig waren, setzte er sich in Bewegung in Richtung des nächsten Ausflugsziels.
Andreas fing langsam an zu grübeln, weil sein Freund ja gar nicht zurückkam und immer noch lebhaft mit dem Mädchen zugange war.
Hatte Timothy den Schubs falsch aufgefasst? Oder wollte er ihm mit der Aktion etwas
klarmachen? Andreas hatte sich ganz tief hinten in die Ecke des letzten Platzes zurückgezogen und machte sich immer sorgenerfülltere Gedanken, je mehr Zeit verging, dass der Platz neben
ihm leer bleiben würde.
Nach einer ganzen Weile spürte er, dass sich wieder jemand neben ihm hinsetzte, dabei sah er, das Gesicht von der Tolle etwas geschützt, zum Fenster hinaus, Timothys strahlende Saphiraugen. „Not pretty but very nice!“, vernahm er die überzeugte Stimme seines Freundes. Die Rehaugen ließen die Gegend, nicht speichernd, an sich vorüberziehen. Nach einer Weile kam dann jemand angekrabbelt... „Soooorrry Äääändruuuu...“, flüsterte ihm der blonde Junge ganz lieb ins Ohr und es schob sich eine weiche warme Tatze unter seinen Oberschenkel.
Andreas blickte sich, verlegen lächelnd, zu seinem Freund um, die gerade noch abklingende
Verletztheit spiegelte sich in seinen schokoladenbraunen Guckaugen wider.
„You pushed me hard and I tried to give it back, but I was just kidding“, funzelte Timothy durch sein Gesicht und kicherte dann amüsiert feixend: „Hihihi, you are in loooove, Andrew!”
„Yes!“ kam zurückgezischelt und blitzschnell packte dieser seinen Freund und kitzelte ihn,
die Stellen ja jetzt wohlwissend, so lange durch, bis der flehend Gackernde von seinem Platz rutschte. Danach half er ihm wieder hoch und Timothy rückte seine Klamotten wieder zurecht.
Noch zwei Ausflugspunkte wurden angesteuert und es wurde schon langsam dunkel, als sich der Bus auf der Rückfahrt zum Ausgangspunkt gemächlich über kleine Landstraßen schaukelte. Timothy hatte sich bei Andreas angekuschelt und war eingeduselt. Andreas genoss es sehr, seinen Freund so selbstverständlich an sich zu spüren. Wenn es besonders schaukelte, versuchte er die Bewegung ein bischen auszugleichen, damit der Kuschelnde nicht geweckt würde.
Schließlich bahnte sich der Chorleiter den Weg durch den Gang von vorn, hielt hier und dort
ein kleines Schwätzchen. Bald kam er auch ganz hinten bei den Jungs an. Andreas wusste nicht, wie er gucken oder was er machen sollte. Er kämpfte, um nicht verlegen zu wirken und nicht auch noch rot zu werden, als der Mann, zufrieden abnickend, dabei einen Apfel kauend, beide da so kuschelnd sah. „Oh, hast du einen Freund gefunden? Das ist ja nett!“, stellte er sympathisch fest und hangelte sich langsam zurück.
Andreas entspannte sich wieder und ließ eine Art empfundene Schutzschild- und Harmonieglocke über seinen angekuschelten Freund und sich herunter. Er hatte auch Schmetterlinge im Bauch, weil er wusste, dass er heute bei Timothy übernachten durfte... Er würde ihn vielleicht nie mehr so nah bei sich haben... und für sich allein.
Während er damit so in Gedanken versunken war, nahm er diesen vertrauten Schnuffelgeruch
wahr, den Timothy irgendwie an sich hatte, der dieses Wärmeempfinden in dessen Nähe auch noch verstärkte...
Nach dem Ausflug fuhren die beiden Jungs mit Smiths erst zu deren Haus, damit sich Andreas seine Sachen für die Übernachtung bei seinem Freund zusammensuchen konnte; anschließend ging es weiter zu Timothy nach Hause, wo dessen Mutter schon mit einem abendlichen Imbiss für die Beiden wartete.
Als Andreas seinen Rucksack mit seinen Utensilien vor dem Essen schnell in Timothys Zimmer ablegte, fiel ihm auf, dass die Mutter während des Ausflugs dort ein Nachtlager für ihn auf einer Luftmatratze neben dem Bett ihres Sohnes ‚gebaut‘ hatte.
‚Super‘, freute er sich darüber, dass er ganz nah bei seinem Freund sein konnte und die
Mutter das so eingerichtet hatte.
Während des Essens spürte Andreas in sich ein immer stärker werdendes Kribbeln, denn er hatte auch das Gefühl, dass Timothy wohl Ähnliches empfand. Es war irgendwie so, dass, wenn er die blauen Augen des ihm Gegenübersitzenden fixieren wollte, die ihn kurz intensiv leuchtend anfunkelten, dem Augenkontakt nicht standhalten konnten. Es lag etwas in der Luft zwischen den beiden! Der Blonde war fast quirliger als sonst, bemerkte Andreas und hatte den Eindruck, der wolle vielleicht eine Art Nervosität überspielen.
Die Mutter hatte die Idee, nach dem Essen im Wohnzimmer gemeinsam etwas zu spielen.
Sie schlug mehrere Möglichkeiten vor, doch Timothy hatte zu allem irgendwie keine Lust.
Dann ließ sie sich das Erlebte vom Ausflug berichten und fast mittendrin verabschiedete sich der Kleine schon mal, um sich für die Nacht fertig zu machen. Es war ja auch inzwischen schon sehr spät am Abend… eine Zeit, zu der die Mutter ihren 14-jährigen Sohn längst ins Bett verfrachtet hätte, fühlte Andreas an.
Andreas saß nun noch mit der Mutter zusammen und wartete auf das ‚Freizeichen‘ fürs Bad.
Er erkannte, dass die schöne Frau jetzt doch recht bedacht-freundlich-ernst wurde...
Sie eröffnete: „You must be a very important person for Timmy…“ Sie habe ihn lange nicht so erlebt. „I think, he likes you very, very much...“, sagte sie und schaute dabei auf irgendeine Art besorgt... und meinte weiter, dass es sehr schade wäre, dass er hier so jemanden nicht hätte und dass Timothy so enge Freundschaften eigentlich nicht, oder selten knüpfe... Er ließe nicht unbedingt jeden an sich heran... aber... vielleicht sei das ein gutes Zeichen, und sie lächelte Andreas lieb und zunickend an. „I see, you as well like him a lot, do you?“, smilte sie. Dieser wurde sehr verlegen und es flog ihm eine Röte ins Gesicht. Er spürte auch, wie seine Handflächen feucht wurden. Sie guckte ihn sehr smart und fast amüsiert an: „I’m not blind... I can read it in your eyes!“
Er wagte ihr kaum in die Augen zu schauen... klapperte verlegen mit seinen Rehaugen...
und erwiderte ein kleines und kurzes „Yes!“... dann musste er schlucken.
Die Mutter smilte ihn wohlwollend an: „Hey... that’s ok…“, beugte sich zu Andreas vor,
legte ihre Hand kurz auf sein Knie und wiederholte leiser, aber ganz entschieden und
klarmachend zwinkernd: „That’s ok, Andrew!“ Lachend meinte sie dann noch, dass sie ja selbst nicht immer immun gegen IHN sei, insbesondere, wenn er etwas wolle oder sie eigentlich streng sein müsste.
„Readyyyyy!!!“, schallte es fröhlich vom Flur herein und man hörte eine Tür knallen.
Die Mutter und Andreas sahen sich grinsend an, wohlwissend, jetzt das Gleiche zu denken.
Der Junge warf seine Tolle aus dem Gesicht, stand auf und bahnte sich den Weg zum Zimmer seines Freundes.
Timothy lag schon halb aufrecht und die Decke fast bis zum Hals hochgezogen, fröhlich mit
seinen Augen funzelnd, im Bett, als Andreas mit hüpfendem Herz hereinkam. Er wollte gerade routiniert seinen Kulturbeutel und Nachtsachen packen, um ins Bad zu gehen, als Timothy mit frech-forderndem Gesichtsausdruck meinte: „No, no, no Andrew... drop your clothes HERE!“, und kicherte. „Now it’s your turn!“
Andreas hielt einen Moment inne, grinste dann aber verlegen zurück und stellte sich mitten ins Zimmer. Der Blonde drehte jetzt erst einmal seine kleine Nachttischlampe auf Andreas, der daraufhin lachen musste. „Fiiies!“, brachte er heraus, was der andere wohl auch von der Bedeutung her so begriff, weil der jetzt noch amüsierter und frecher guckte.
Andreas knöpfte langsam seine Jacke auf und warf sie auf den Boden... dann sein Hemd...
dabei riskierte er einen Blick zu dem Betrachter, dessen blaue Flutlichter andere Dimensionen
angenommen hatten, dessen freches Rumgegrinse einer Art Gebanntheit gewichen war.
Dann knöpfte sich der Akteur die weiße Jeans auf und darunter kam seine dunkelblaue anliegende Shorts zum Vorschein. Ohne Pause zog dieser sich dann das T-Shirt über den Kopf und ließ es fallen. Dann blieb Andreas mit geschrägtem Kopf und Tolle so im Raum stehen und stemmte die Arme in die Hüften... warf seinem Freund ein smart-verlegenes Grinsen ins Gesicht.
Timothy schaute ihn mit großen Augen direkt in seine Schokies... Dann grinste das Blauauge selbst verlegen und sagte leise: „Yeah… stop it“, kicherte etwas und machte eine ‚Bitte-einhalten‘-Handbewegung. Andreas griff nach seinem Kulturbeutel und einer anderen Shorts und ging ins Bad.
Als er wieder zurückkam, sah er Timothy, wie der etwas verklärt an seinem weißen Frottee-Oberteil schnuffelte. Er hatte es wieder nicht an, es diente ihm wohl irgendwie als Schnuffeltuch. ‚Deshalb’, vermutete Andreas, ‚hatte es heute Morgen wohl auch auf dem Boden gelegen.’ Er versuchte jetzt nicht zu grinsen, auch wenn sein Freund eigentlich aus so einem Alter heraus war, denn es sah einfach zu süß aus. Kaum hatte er das gedacht, wurde Timothy wieder lebendig und begrub das Oberteil irgendwo unter der Decke.
Andreas schlüpfte in sein Lager auf der Luftmatratze und Timothy drehte seine Nachttischlampe so, dass sie nur noch einen ganz sanften, dämmerigen Schein warf.
Es klopfte an der Tür... Die Mutter kam herein, erkundigte sich, ob denn alles ok wäre, brachte noch zwei Gläser mit Orangensaft und stellte diese auf den Nachttisch. Dann beugte sie sich über Timothy, der seine Mom umarmte und es schmatzte zwei-drei Mal. Schließlich sah sie zu Andreas hinunter, lächelte ihn an, streckte ihre Arme aus und Andreas kam ihr etwas entgegen. Sie umarmte ihn mit einem „You are very welcome to stay with during your holidays and whenever you want, Andrew“ und gab ihm einen herzlichen Kuss auf die Wange. Der brachte gar nichts raus und saß verdattert auf seiner Luftmatratze. Er drehte sich zu Timothy, der wohl selbst irgendwie von seiner Mom überrascht war und das mit einer Geste kommentierte, die ungefähr ‚Oha, bei der hast du aber 'n Stein im Brett’ ausdrückte. Die Mutter verließ mit einem Gute-Nacht-Wunsch das Zimmer.
Als Andreas fragte, ob sie noch mal gucken käme, meinte der Blonde mit einer abwinkenden Handbewegung: „Hm... I don't think so“, und grinste.
Sie schauten sich eine Weile wortlos an... Andreas fing das Zwerchfell zu flackern an,
als Timothy von da oben mit einem Schmelzblick zu ihm herunterfunkelte und ihn
durchaus auch ein bisschen abcheckte. Dann klappte der Kleinere einen Teil seiner Bettdecke
herum und klappste mit seiner linken Hand aufs Laken, um Andreas aufzufordern,
mit darunterzukrabbeln. Ganz behutsam und seinen Freund dabei mit seinem Rehblick
in dessen plötzlich groß guckenden Blauscheinwerfer guckend, schob sich Andreas neben Timothy unter die Bettdecke. Flauschig und warm war dieses kleine Nest und der weiche, unglaublich antuende Schnuffelgeruch des süßen Jungen ließ es wohlig um ihn werden. „Hmm... oooh...C.K?“, fragte der Blonde leise und den leichten Parfümgeruch genießend.
„Yes“, grinste die Tolle. Pause... Gucken... Augenkonversation ...
‚Ich wach wahrscheinlich gleich in meinem Bett auf und muss aufstehen’, dachte sich Andreas... Er erkannte wieder den kleinen Punkt auf Timothys Oberlippe, und er fuhr mit seinen Augen über diese feinen Augenbrauen, diese vertrauten, für ihn innen losgelassenen Augen, die alles über das Wesen und die Seele seines Freundes aussagten… Dieser unbeschwerte, gutartige, liebevolle, kleine Kerl mit großem Herz... der so selbstbewusst, ästhetisch und anmutig, so nah bei ihm war... mit ihm war und sein wollte... rührte ihn so tief an und seine Gefühle machten sich im ganzen Körper breit.
Ohne es zu steuern oder zu denken, schob Andreas seinen rechten Arm unter Timothys Schulter und zog ihn zu sich heran. Dieser erwiderte seine Geste, indem er seinen rechten Arm um den Hals seines Freundes schlang. Die Lippen der beiden berührten sich zärtlich und es begann ein Dialog von kleinen weichen, wartenden, langsamen Küssen. Andreas kochte das Herz von Hingabe angefüllt, als er spürte, dass eine kleine, weiche, warme Hand über seine Brust strich und ihn ganz behutsam in die Rückenlage drehen wollte. Er spürte, dass der Kleine erregter wurde; dieser zitterte etwas am ganzen Körper. Nun hatte der sich halb über ihn gebeugt und fuhr mit seiner Tatze zärtlich erkundend über Andreas’ Brust. Dabei funzelte er mit verklärten blauen Augen über dessen Oberkörper und küsste einmal darauf, auf dessen Hals und wieder auf den Mund.
Dann schob er ein Bein mit angewinkeltem Knie über das rechte von Andreas, den rechten Arm unter dessen Nacken und holte zu einem sehr langen und intensiven Kuss auf den Mund aus. Andreas umschlang ihn mit beiden Armen und dieser Kuss sollte einer von denen werden, die er nie vergessen sollte.
Timothys Engagement wurde noch intensiver, denn er hatte inzwischen fast seinen ganzen Körper über Andreas geschoben und küsste ihn fast hektisch und mit aller Hingabe. Andreas spürte nicht nur seine, sondern auch die Erregung seines jungen Freundes sehr, unter anderem auch an dessen Atem und wagte es, die Augen zu öffnen. Aus Timothys Augen kamen kleine Tränen, die ihn fast flehend anguckten. „Don't leave... don't leave…“, vernahm er verzweifelt gehaucht…
Andreas drehte Timothy sanft auf die Seite, küsste ihn zärtlich auf die Stirn und sagte ebenfalls ratlos: „I'm not able to do a thing... Timmy...“, danach ergossen sich Sturzbäche aus Andreas' Rehaugen. Er weinte bitterlich drauflos, den Kopf auf die Brust seines Freundes gedrückt, die er ab und zu hier und da abküsste. Die kleinen weichen Tatzen fuhren ihm durch die Haare und um den Hals, „’Will never forget you, Äääändruuuuu“, flüsterte es schluchzend.
So blieben sie eine ganze Weile einfach liegen… spürten sich und hatten sich…
Als Andreas seinen Kopf von der kleinen Sportbrust nahm, fühlte er seine eigenen halbtrockenen Tränen darauf. Er schaute auf in die Augen des süßen Jungen... sie schauten ihn lieb und mit einem leichten Smilen an. Aber… da war noch etwas... irgendetwas klebte da in seinem Bauchbereich, als er sich kurz von seinem Freund lösen wollte... er schaute kurz hinunter... dann flüsterte es von oben: „Sorry Ääändruuuu…“, und er guckte wieder in ein leicht verlegenes, smilendes Blaublitzfunzelaugengesicht, das dann auch noch kurz die Achseln zucken ließ.
Andreas kicherte etwas in sich rein, Timothy steckte sich sofort an und gackerte drauflos, mit der Unterdrückung kämpfend...
Es wurde wieder ruhig unter den Beiden und ihre Augen unterhielten sich in einer Weise, die Liebe, Respekt und eine besondere Seligkeit ausdrückten.
Während Andreas so seine glänzenden Rehaugen über Timothys fast achtungsvolles Gesicht wandern ließ, um doch bitte jede Einzelheit abzufotografieren, strich er diesem mit äußerster Sänfte über die Stirn und dessen blonde Strähnchen leicht zur Seite.
Einen Augenblick später wanderte die rechte warme Tatze seines Freundes hinter sein linkes Ohr und entfaltete dort zärtlich ihre kleineren weichen Finger, deren seidene Fingerkuppen ein Gänsehaut förderndes Kreisen und Streicheln begannen, dass Andreas der Atem wegblieb.
Ganz zaghaft kam bald der dazugehörige Körper nach, der Andreas wieder etwas in die Rückenlage kommen ließ. Der süße Blonde kuschelte seine linke Wange leicht über die rechte Brust des Fünfzehnjährigen und ließ dabei seine Hand von dessen Hals und linken Arm herabgleiten, wonach sie gefühlvollst langsame Runden auf drei Fingerspitzen über Andreas' linke Brust und Bauchdecke, um den Bauchnabel herum und wieder herauf drehte.
Andreas spürte einfach nur noch große Wärme in seinen Körper fluten, überall dort, wo der Kleine ihn berührte, und wie von dessen kreisenden Fingern überdies auch noch kleine, hochsensible Gefühlskribbel-Wirbelstürme in ihn hineingesendet wurden.
Er selbst hatte seinen rechten Arm hinter den Rücken von Timothy geschoben und beantwortete diese Zärtlichkeit auf dessen Rücken...
Nach einer Weile fing Andreas an, dort kleine Zeichen und Buchstaben mit seinen Fingerspitzen zu signalisieren… „Tiiiii... emmm... emmm... Timmy“, kam eine kaum noch wahrzunehmende Weichhauchrateflüsterantwort von diesem. „Elll... why…(LY)…“, riet er weiter… Dann nahm Timothy seinen Kopf hoch, küsste Andreas zaghaft auf die Wange, knipste danach noch einmal zwei kleine halbgeschlossene, glücklich blaufunzelnde Augen an und
antwortete, fast nur noch die Lippen bewegend: „I love you, too, Andrew“, und kuschelte seinen Kopf wieder auf Andreas' Brust. Dieser strich ihm sanft durch die blonden Haare und während er seine Hand über Timothys Hüfte wandern ließ, merkte er, dass dessen Körper sich noch weiter enspannte. Nach einer Weile nahm Andreas den gleichmäßigen leisen Atem seines so halb auf ihm eingeschlafenen Freundes wahr. Er wagte es nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen...
Er wollte es auch nicht... er wollte es einfach nur genießen... als wenn es ein Vorrat für eine lange Zeit oder für immer sein müsste... Wenn er ihn doch nur beschützen könnte und das, was ihn ausmachte... Aber jetzt lag er mit ihm innig und warm zusammengekuschelt, er konnte ihn anfühlen und riechen mit seinem Schnuffelgeruch, er spürte seinen leisen Hauch auf der Brust,
seinen Arm halb über seiner Bauchdecke, wo die kleine warme Hand neben dem Bauchnabel
ihren Platz gefunden hatte.
Andreas schloss in diesem Anfühlen die Augen und wollte sich gerade so zufrieden in den Schlaf driften lassen, als er ein leises Knarzen des Bodens im Zimmer wahrnahm, doch er verspürte keine Panik, oder Fluchtgedanken aus dieser Situation... Es war ihm einfach alles egal...
Jemand nahm einfach nur die Bettdecke und legte sie sanft und mütterlich über die bloßen Oberkörper, wobei Timothy ein paarmal schmatzte und dabei Andreas' Körper mit dem freien Arm auf dessen Bauch noch mehr umschlang.
Das war das Letzte, was Andreas im Wegdämmern noch registrierte, dann schlief er ein.
Andreas blinzelte… Helligkeit kitzelte ihn im Gesicht... Finger kneteten auf seinem Rücken herum... „Ääääändruuuuuu…“, kitzelte es ihn im Ohr...
Dann drehte er sich ganz auf den Bauch und ließ die Augen wieder zufallen...
„Aahh... mmmmmhhh…“, stöhnte er wohlig-grinsend und genoss erst einmal die Aufweckmassage.
Dann: „Ufff!“ Jemand hatte sich knapp hinter seinen Po auf die Oberschenkel gesetzt und legte mit seinen Griffeln auf seinem Rücken richtig los. Bei dieser Aktion merkte er, wie seine Shorts langsam, aber sicher, immer weiter über seine ‚Backen‘ hinunterrutschten. Er versuchte, dieses mit einem Arm rücklings zu unterbinden, aber ‚Patsch‘ wurde dieser kichernd zur Seite manövriert. „Yeah, yeah, yeah!“, triumphierte Timothy und klatschte ihm auf eine ‚Backe‘ und kniff in die andere. Andreas machte einen kleinen befreienden ‚Bocksprung‘ und riss sich die Hose wieder hoch, drehte sich lachend-beschwerend um und sah in ein hyper-aufgewecktes, frech-grinsendes Gesicht. Dann legte sich Timothy mit seinem ganzen Körper auf Andreas und fing an, ein großes Geknuddel anzuzetteln. Dabei kitzelte er ihn unter den Hüftknochen, unter den Achseln und jeden gemeinen Kitzelbereich, den er so erreichen konnte. Der Blonde hatte sein weißes Frottee-Oberteil angezogen und Andreas versuchte, ihn damit zu ärgern, immer irgendwo eine Schnuffelstelle zu erwischen, um seinen Freund mit dem ‚Daran-Schnuffeln‘ zu ärgern.
Nach einer Weile des Bett-Tobens kuschelte sich Timothy von hinten in einer Art
Embryostellung an Andreas heran und schmiedete mit diesem den Plan, seine Mutter, die bestimmt noch schlafe, mit einem Frühstück zu überraschen. Als Andreas Anstalten machen wollte, denn nun auch dafür aufzustehen, hielt ihn Timothy von hinten fest und tuschelte: „Äääändruuuu...?“
„Yes?“, wisperte er zurück... aber es kam irgendwie nichts… Andreas drehte sich um. „This night...“ „Yes?“, smilte dieser... „I will never forget it… Will YOU ever… forget... Andrew?“, kam, begleitet von großen, ehrlich fragenden blauen Blitzeaugen. Andreas dachte, er höre nicht richtig... Und ihm schoss die Wehmut in die Augen. Fast verzweifelt und eindringlich, aber leise, antwortete er fast buchstabierend: „N e v e r! Timmy... Never!“ Seinen ganzen Ausdruck jagte er dabei durch seine schokoladenbraunen Treueaugen.
Er zog den süßen Kerl zu sich heran, umarmte ihn ganz fest und wiederholte noch einmal leise: „I will never forget this night, and I will never forget every little moment, we had together!“ Dann gab er ihm einen zärtlichen Kuss auf die rechte Wange. Zwei warme Tatzeninnenflächen hielten ihn dabei auf seinem Rücken fest, als wollten sie nie mehr loslassen...
„The Breakfast“, sagte Andreas und sie lösten sich entschlossen. Timothy schlich schon in die Küche und Andreas zog sich ein T-Shirt mit langen Ärmeln aus seinem Rucksack an.
Der Kleine dirigierte, welches Brot und welche Marmelade Andreas zu verwenden hatte, brachte einen alten Wasserkocher in Gang und hantierte mit einer großen verbeulten Teedose und einem Teelöffel herum.
Als alles auf einem Tablett angerichtet war, lotste Timothy seinen Freund mit dem Tablett zum Schlafzimmer seiner Mutter. Die begrüßte die beiden, sich herzlich freuend, schon mit einem Buch im Bett lesend. Das Tablett wurde auf einem Stuhl beim Bett abgestellt und die Jungs hockten sich rechts und links auf die Bettkante. Während der Blonde seiner Mutter, egal ob sie gerade etwas sprach oder nicht, ein kleines Marmeladenbrot nach dem anderen in den Mund schob, versuchte Andreas zu erzählen, was heute für ihn auf dem Programm stände.
Heute würden ja beide Chöre an dem Abschiedskonzert teilnehmen, der englische Knabenchor, in dem Timothy sang, und der Chor aus Deutschland. Bald verließen die Jungs wieder das Schlafzimmer der Mutter. Sie hatten noch ein wenig Zeit, mussten sich noch nicht sofort fertigmachen und hofften, dass die Mutter ihnen jetzt noch eine Weile Zeit ließe...
Timothy hatte im Schneidersitz auf seinem Bett Platz genommen und schnuffelte an seinem
weißen Frotteeoberteil. Andreas hockte sich auf sein Luftmatratzenlager und dachte nach.
Gerade hatten sie mit der Mutter die Programmabläufe des heutigen Tages besprochen.
Bald würde er von Mrs. Smith abgeholt und zur Probe seines Chores gefahren werden.
Auch Timothy hatte mit seinem Knabenchor kurz vor dem gemeinsamen Abschlusskonzert
noch eine Generalprobe. Danach sollte es dort in der Stadthalle ein abschließendes
Beisammensein, Ausklingen und... Abschiednehmen geben, da am nächsten Tag die meisten englischen Gastgeber wieder arbeiten oder zur Schule mussten. Auch Timothy musste am nächsten Tag wieder zur Schule. Also... keine großen Verabschiedungen am Bus... und schon gar nicht von seinem Freund...
Als Andreas zu Timothy hochblickte, stellte er fest, dass dieser das in sich gekehrte Schnuffeln unterbrochen hatte, ihn jetzt ernst-besorgt mit großen fragenden Augen ansah.
„I believe we can meet after the concert“, blinzelte es antwortend unter der Tolle hervor.
„Think you’re right“, kam es kleinlaut. Andreas kniete sich vor die Bettkante seines Freundes und nahm dessen rechte Hand in seine Hände. Dabei schaute er in das anmutige und gerade Traurigkeit ansammelnde süße Gegenüber und gab diesem einen aufmunternden, einseitigen Schokorehaugenzwinkerer. Timothy quittierte mit einem kleinen Funzelsmile, wobei dieser kurz seine geschwungenen Lippen zusammenpresste, was sein kleines Grübchen aktivierte.
Daraufhin führte Andreas die kleine Tatze mit seinen beiden Händen zu seinem Mund,
breitete sie vor diesem wie eine kleine Kostbarkeit auf seinen Handflächen aus und gab ihr einen kleinen zarten Kuss... dann noch einen... und noch einen... fing an zu grinsen... Dann zog er den frotteebedeckten Arm zu seiner Nase und schnuffelte witzelnd daran... Immer tiefer saugte er sich in den Stoff und Timothy fing an zu gackern. Der Blonde holte mit seiner anderen Weichflauschtatze aus und backste sie frech an die Wange seines Freundes, der sich sofort erhob und den Kleinen aufs Bett knuddelte, um diesen nach bewährter Methode und sich ‚rächend‘ durchzukitzeln. Timothy quietschte, gackerte und winselte um Gnade. Zwischendurch wurde die Tolle auch dessen Bauchnabels fündig und prustete dort mit seinen Lippen kräftig hinein.
Die kleinen Greifer des Blonden zogen an der Tolle und kniffen dem Angreifer in die Brustnippel, doch dieser verstand es, dem Kleinen mit dem Kitzelprogramm die Kraft zu rauben.
Ein schneller Schmatzer auf die angeheizte Wange des Unterlegenen, und Andreas ließ von ihm ab.
Nach einer kleinen Pause stand Timothy geplättet, aber mit einem Plan in seinem Gesichtsausdruck, auf, stapfte zu seinem kleinen Schreibtisch, holte kleine Zettel und zwei Stifte daraus hervor. Ohne Worte begriffen beide: Adressen und Nummern jeweils für den anderen aufschreiben! Anschließend verstaute Andreas den Zettel von seinem Freund in seinem Rucksack, zog sein langärmeliges Shirt aus und stopfte dieses ebenfalls dort hinein. Dann ging er ins Bad, um sich fertig zu machen, denn Mrs. Smith würde ihn ja bald abholen. Während er dorthin über den Flur stappste, bekam er ein „It’s about time“ von der schon fertig angezogenen und zurechtgemachten Mutter mit auf den Weg, die in der Küche hantierte.
Als Andreas zurück in Timothys Zimmer kam, wuselte der mit freiem Oberkörper an seinem
Schreibtisch herum, legte hektisch Zettel und Stifte weg. Dann rannte er ins Bad.
Der Fünfzehnjährige bahnte sich seinen Weg in die Küche, wo er von der herzlichen Mutter seines Freundes ein kleines Frühstück bekam. „You slept well, Andrew?“ Er lächelte verlegen: „Yes I did“, und guckte immer wieder reaktionscheckend unter seiner Tolle zu dieser Frau hinauf, während er Cornflakes mit Milch löffelte. Höflich bedankte er sich auch, dass er hier hätte übernachten dürfen. Sie legte die Dinge, die sie gerade in der Hand hatte, nieder und setzte sich zu Andreas an den Tisch. „He will be very sad...“, sagte sie lieb und strich ihm die Tolle aus dem Gesicht. Der schaute mit leicht verzerrten, sich zusammenreißenden Augen auf und erwiderte leise: „Me, too“, und blickte kurz hilflos umher, dabei versuchte er mit noch mehr Cornflakes-Hineinlöffeln sein gerade platzendes Herz zu überlisten, doch daraus wurde nichts.
Er wusste in diesem Moment nicht wohin und spürte doch so dieses Anteilnehmen der Mutter,
welches diesen gerade angesprungenen Motor in Wallungen brachte. In seinen Augen platzte der Staudamm, und mit den Cornflakes im Mund weinte er bitterlich drauflos. In den Wehen seiner Gefühle schluckte er hektisch, um endlich Luft holen zu können. Instinktiv schloss er seine Arme um die Mutter und versteckte sein Gesicht an deren Körper. Diese legte sanft ihre Arme um Andreas und sagte in der Bedeutung so etwas wie: „Das Programm habe ich heute Abend oder morgen bestimmt noch einmal“, und lachte dabei aufmunternd tröstend-herzlich.
Während dieser Junge sich beruhigte und der Mutter ein „Thank you“ entgegenbringen
konnte, fing Timothy im Bad an zu singen. Es war seine Sopranstimme, die anscheinend Passagen aus dem bevorstehenden Konzertprogramm übte. Andreas schaute mit noch verwässerten Schokoaugen hoch...‚ das konnte doch nicht wahr sein... ‚Bitte nicht auch noch das auf die Mühlen‘, dachte er und versuchte, einen Kommentar aus dem Gesicht von Timothys Mutter zu erhaschen. Die grinste sich fast weg und hatte dabei fast die gleichen Schlitzscheinwerfer wie ihr Sohn. Andreas ließ sich anstecken und schüttelte seinen Kopf über dieses einfach ‚Unglaubliche‘ von seinem Freund, was die Mutter ebenso genau kannte und in diesem Moment so quittierte.
Einen Moment später tippelten nackte, noch nasse Füße über den Flur... „Two minutes!“, flog es fröhlich hinein... dann knallte dessen Zimmertür.
„Moooooom…“, schallte es einen Moment später dorther. Die Mutter sackte einmal kurz ‚mennoh-mäßig‘ zusammen, lachte und machte sich in Richtung Timothys Zimmer auf den Weg. Als sie darin verschwunden war, nahm Andreas Getuschel und Bitte-Fleh-Sprachsound von seinem Freund wahr. Dann kam die Mutter mit respektvoller ‚Ohhh... aha‘-Mimik im Gesicht über das, was wohl dort besprochen oder gewünscht worden war, wieder in die Küche.
Es klingelte an der Wohnungstür. „Mrs. Smith!“, fuhr es durch Andreas. Kaum hatte er das gedacht, vernahm er ihre Stimme: „Timothy, my dear“, schmatz schmatz... und da schwenkte sie auch schon in die Küche, von dem Kleinen dorthin begleitet, der, inzwischen angezogen, schräg hinter der ‚properen‘ Dame stand und sich mit unzufrieden-ernstem Gesicht die Smith-Schmatzer mit beiden Händen von den Wangen scheuerte. Andreas wollte seinem Freund darüber gerade ein schadenfrohes Grinsen zukommen lassen, als das bekannte, gut ausgefüllte Blümchenkostüm die Sicht versperrte. Brav stand er auf und hoffte auf Gnade in der Hinsicht, was den Kleinen ereilt hatte. Den warmherzigen Ballondrücker, der ihm nur kurz die Luft raubte, konnte er ab.
Schnell machte er sich aus dem Staub, um noch schnell seine Sachen aus Timothys Zimmer zu holen. Dort erwartete ihn ein aufmerksam hingestellter, ganz zurechtgemachter Junge. Andreas zog seine schicke Jacke an, warf den Rucksack über eine Schulter und ging noch einmal, nach etwas Liegengelassenem blickend, durchs Zimmer. Dabei verfolgten ihn die blauen Augen, bis er vor diesen abschließend stehenblieb. Diese blitzten auf, der Kleine schmiss sein herzliches Grübchengrinsen an und hüpfte mit einem Kuss an die Wange seines Freundes. Jetzt zog er diesen, mit einer Hand an dessen Oberarm zupfend, zu sich hin und flüsterte: „Ääääändruuuu...“ Andreas kribbelte es vertraut gänsehäutig am Ohr... „See you at the concert... And after...“
Der Bekribbelte ließ seinen Rucksack fallen, umarmte seinen Freund und erwiderte einen sanften Kuss hinter dessen Ohr, begleitet von einem leisen: „Okay, Timmy.“
Schnell nahm Andreas wieder seinen Rucksack auf, zwinkerte noch einmal lieb
mit einem Schokoauge zurück und verließ das Zimmer.
Die beiden Jungs hatten erst wieder Blickkontakt, als die beiden Chöre halb links und halb rechts vor dem Publikum der englischen Gastgeberstadt ihre Aufstellung einnahmen.
Auch an diesem frühen Abend waren alle Platzkapazitäten ausgelastet. Im Wechsel wurde ein buntes Programm dargeboten, welches durch viele Stilrichtungen führte. Die letzte Darbietung geschah im Zusammenwirken beider Chöre auf Englisch, was vorher nicht geprobt werden konnte, jedoch hervorragend klappte und von dem englischen Chorleiter dirigiert wurde.
Andreas empfand insbesondere hierbei eine innige Verbundenheit zu seinem Freund, zu dem er hinübersehen und dessen Feedback er aus seinem Gesicht lesen konnte.
Generell hatte er den Eindruck, dass sein eigener ganzer Chor, dessen einzelne Mitglieder in der Stadt Freunde gefunden hatten, einen ganz besonders offenen und losgelösten Ausdruck zum Publikum hinübertragen konnte, was sich in dem Finale mit dem englischen Chor vereinte.
Nachdem der letzte gesungene Ton verstummt war, blieb es eine ganze Weile respektvoll still,
bevor das anscheinend vom Druck des letzten Stückes beeindruckte Publikum einen sehr ausdauernden, tosenden Applaus zurückzollte. Danach traten die Chöre ab und verschwanden in ihren jeweiligen ‚Backstage‘-Bereichen. Gleich sollten sie sich mit ihren Gastfamilien, dem englischen Chor und deren Anhang zu einem Abschiedsbuffet in den Restaurationsräumen einfinden, ohne sich umzuziehen.
Als Andreas diese Räume betrat, hielt er sofort Ausschau nach weißen Roben, und besonders nach einer ganz bestimmten, die einen blonden Jungen umhüllte. „Andrew!“, hörte er eine überschwängliche Frauenstimme... Mrs. Smith! An sie angeschlossen waren Mr. Smith und die Mutter von Timothy. Andreas wurde erstmal tüchtig von der fülligen Dame bedrückt und bezückt. Dann kam ein herzlicher Händedruck mit begleitenden Lobesworten von Mr. Smith,
und dann strahlte ihn Timothys Mom an, die ebenfalls von den Darbietungen erfüllt war.
Dann klimperte ein Glas zu einer Rede durch irgendwelche Lautsprecher und der Bürgermeister
hielt eine Ansprache... Sehr ausgiebig und fast nicht endend, wie Andreas fand, der unruhig
seine Tolle hierhin und dorthin fliegen ließ und jeden Winkel, den er erfassen konnte, nach seinem Freund durchzoomte.
Nach dem Beifall für die gehaltene Rede begann der deutsche Chorleiter seine Erwiderung
und Danksagungen. Andreas wurde fast irre, wo war Timothy bloß? Hilfesuchend sah er dessen Mutter an, die nichtwissend mit den Achseln zuckte und sich jetzt auch helfend umsah, dabei aber irgendwie amüsiert aussah. Andreas ahnte irgendetwas... und sah an Mrs. Smith vorbei, die eine wesentliche Blickbarrikade darstellte. Er schaute um sie herum, und dort wanderte, immer seinen Bewegungen entsprechend, ein Zipfel einer weißen Robe um sie herum, um sich zu tarnen.
‚Schnapp!‘... hatte er ihn und schubste dabei die gewichtige Mrs. Smith, die kurz „Ohhh!“ machte und irritiert um sich schaute. Timothy blitzte schalkig frech mit seinem Grübchengrinsen in den erleichterten, aber mit dem ‚Na warte!‘ besetzten Gesichtsausdruck von Andreas.
Der Kleine zog ihn zu sich heran und flüsterte ihm grinsend fragend ins Ohr: „Did you miss me?“
„No. Never!“, fauchte es grinsend zurück... Dabei piekste dieser den Robenfratz in die Hüfte.
Dann wiederholte er seine Antwort flüsternd ganz nah bei seinem Freund:
„Yes... surely I missed you!“ „Psssssst!“, kam es zurechtweisend von Timothys Mom. Die beiden Jungs stellten sich so hin, als wären sie die Brav-Preis-Träger des Monats. Von der Seite her spürte Andreas, dass er Timothy nicht angucken durfte. Er vernahm einen kleinen Kicher-Unterdrückungskampf dorther und schaute etwas nach unten, wo ihm ein Stückchen weiter vorn Pfennigabsätze (!) an zierlichen Schuhen von Mrs. Smith auffielen, in denen deren Füße kaum Platz fanden. Timothy simulierte mit seinen etwas klobigen Halbschuhen das Wegtreten eines dieser Absätze, was im Ernstfall einen Unfall unglaublichen Ausmaßes hätte bedeuten können.
Andreas holte blitzschnell ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und prustete dort seinen
Lachplatzanfall hinein. Dann hörte er Timothy neben sich losquietschen; spätestens da war alles aus.
Zum Glück fingen in dem Moment alle Laberzuhörer des Redners an zu klatschen und ließen diesen Ausbruch im Applaus untergehen.
Bald wurde das Buffet eröffnet. Artig schoben sich die Jungs in der Deckung von Mrs. Smith
zu den aufgefahrenen Speisen und waren davon fasziniert, was auf deren Teller so alles
Platz fand. Im Gänsemarsch suchten sich die drei Erwachsenen mit den beiden Freunden
im Schlepptau anschließend einen Tisch, an dem sie alle gemeinsam Platz hatten.
Andreas bekam einige Kumpanen von seinen Freund vorgestellt, die ab und zu bei ihm auftauchten, die Erwachsenen unterhielten sich nach dem Essen hier und dort, mal an diesem, mal an jenem Tisch.
Zum Schluss der Veranstaltung rief der englische Chorleiter noch einmal den Knabenchor zusammen und machte eine den Abend abschließende Ansage, wobei er darum
bat, nach diesem Beitrag nicht zu applaudieren.
Als Timothy sich zu seiner Position dorthin begab, fühlte Andreas einen tiefen Schmerz
und so etwas wie Angst in seinem Körper und seiner Seele aufsteigen. Er spürte, dass ihm unmittelbar nach dieser Darbietung der Abschied von seinem Freund bevorstehen würde.
Es wurde leise im Saal und der Fünfzehnjährige stand wie gelähmt, diese letzten, noch nicht beendeten Minuten auszukosten, seine kostbare Eroberung noch sehen und noch wahrnehmen zu können, ein bisschen abseits vom Geschehen, da.
Die Jungs im Sopran mit Timothy begannen, eine ganz gefühlvolle, wundervolle, alt-englische Weise einzuleiten, die sich langsam in Vierstimmigkeit aufbaute. Es war so still unter den Zuhörenden, dass man das Brechen eines Streichholzes hätte knacken hören können. Für Andreas war es das Reinste und Rührendste, was er von so einem Chor jemals gehört hatte.
Ganz sanft und bis in die Stille endend, ließen die Jungs bald den letzten Akkord verklingen.
Im Saal verharrten alle ausnahmslos ergriffen, bis der Chorleiter seine Jungs Reihe für Reihe abtreten ließ, die dicht an Andreas vorbei den Saal durch eine Klapptür verließen.
Andreas fand in seiner gerührten Verfassung mit seinen Blicken das Gesicht von Timothys Mutter, die ihm ein eindeutiges Zeichen gab, ihm jetzt hinterherzugehen.
Er ging durch die Klapptür hindurch und sah, wie die englischen Jungs dort Mäntel anzogen und einer nach dem anderen durch eine Seitentür ins Freie gingen.
Er sah nun, wie Timothy seine Robe auszog, seinen leichten Mantel anzog und näherte sich ihm langsam. „Ääändruuu“, freute der Junge sich mit kleiner Stimme, als er seinen Freund erblickte
und knöpfte noch schnell den letzten Knopf zu.
Inzwischen waren sie allein in diesem Raum, der letzte der anderen Jungs hatte hinter sich die Außentür geschlossen. Es war Ruhe.
„Timmy…“, begann Andreas und schaute jetzt in ein brav und tapfer dastehendes anmutiges Gesicht…, „it’s time...“, zitterte jetzt seine Stimme, während sich seine schokoladenbraunen Rehaugen mit Tränen füllten und seine Knie butterweich wurden.
Der Kleine kämpfte, er sah es. Dessen süße, blaue Augen fingen an, unruhig zu werden
und suchten nach Hilfe. Eine kleine Träne bildete sich in seinem linken Augenwinkel.
Der weiche, so lieb geschwungene Mund fing an, seine Lippen leicht zusammenpressend
zucken zu lassen, das kleine Grübchen knipste sich an und wieder aus, wieder an,
und wieder aus, die kleinen Nasenflügel weiteten sich.
Andreas fühlte, wie ihm jetzt Tränen über die eine Wange liefen und sein Blick verschwamm.
Er fuhr sich mit dem rechten Handrücken schnell durch die Augen, um klarer sehen zu können... Timothy leuchtete ihn nun mit hingegebenen, wasserdurchtränkten, unsagbar liebeerfüllten und danksagenden Blauscheinwerfern an, und das tapfer-bleiben-und-doch-aufgeben-müssende, leicht in die Schräghaltung kommende Antlitz des Vierzehnjährigen fing bitterlich an zu weinen. Dabei senkten sich seine Augen und blickten verzweifelt wieder auf.
Andreas brach an dieser Stelle aus sich heraus, Tränen aus allen Toren schossen ihm über seine Wangen. Es zerriss ihn in seiner Seele, er schaute zur Decke, wieder zu seinem Freund, und brachte diesem aus tiefstem Herzen hervor: „Love you, Timmy... love you... I really love you my friend...“ „Love you, too, Ändruuu... I really love you so much, tuuuuuu“, kam es von dem sich auflösenden Gegenüber in ganz hoher, heiserer, fast singender Stimme.
Danach schluckte Timothy zweimal kurz auf, wischte sich mit den kleinen Handflächen durch sein Gesicht, näherte sich Andreas, legte seine warmen feuchten Tatzen in dessen Nacken, zog ihn zu sich heran, gab diesem erst einen Schmatzer auf die Wange und dann einen bewusst letzten, liebevollen und zärtlichen Kuss auf dieselbe Stelle.
Andreas machte es ihm antwortend genauso nach und schmeckte dabei die Tränen seines Freundes.
Langsam ließen sie von sich ab und einen kleinen Augenblick ihre Augen sprechen.
Timothy stand verweint da und hatte seine tapfere Haltung angenommen.
Er ging einen Schritt zurück... und: „Bye Äääääändruuuu...“, kam es ganz leise und heiser
gehaucht von ihm...
„Bye Timmy…“, antwortete Andreas schluckend...
Der Kleine blitzte einmal mit seinen süßen blauen Augen und funzelte seinen Freund ein letztes Mal so vertraut an..., dann wandte er sich plötzlich blitzschnell in Richtung Ausgangstür, stieß sie auf und flitzte ins Freie.
Von draußen hörte Andreas ihn im Wegrennen mit seiner, dabei ins Losheulen zerbrechenden, Stimme rufen: „I will miss youuu!“
Mrs. Smith hatte Andreas am nächsten Morgen zum Sammelplatz gebracht, von wo ein Bus den Chor aus Deutschland zum Schiff nach Harwich bringen würde.
Der Junge stand, sein Gepäck schon im Bus untergebracht und sich DEN Platz in der
hintersten linken Ecke der letzten Sitzreihe gesichert habend, noch draußen mit Mrs. Smith
und den letzten sich noch verabschiedenden Leuten.
Mrs. Smith hatte ihm natürlich reichlich Leckereien für die Reise ‚aufgezwungen‘.
Gerade wollte er sich von der netten herzlichen Dame verabschieden, als ein alter rostiger Morris hinter dem Bus hielt. Die Mutter von Timothy stieg aus und eilte gezielt auf Andreas zu... mit einem kleinen Päckchen in der Hand.
„Andrew...!“, rief sie. Andreas' Herz machte einen freudigen Satz. Schnell umarmte sie den Jungen, schaute ihm einmal lieb und sein Befinden checkend ins Gesicht, strich ihm herzlich durch die Tolle und hielt ihm das kleine Päckchen entgegen. „Timothy wanted me to give this to you... it’s all his work...“, erklärte sie fast gerührt.
Andreas schaute sie spannungsgeladen an: „What’s this?“, fragte er.
Sie berichtete, dass Timothy sie sehr bekniet hatte, doch ‚bitte bitte‘ seine Weihnachtskekse für
Andreas backen zu können. Es wären allerdings auch die einzigen, die er könne, lachte sie.
Er hätte gestern, nachdem Mrs. Smith Andreas dort abgeholt hatte, sofort angefangen, diese komischen Kekse zu backen. Auch wenn nicht Weihnachten sei... Andreas müsse auf jeden Fall diese Kekse von ihm für die Fahrt haben. Darauf habe Timothy bestanden.
Der Beschenkte war völlig platt. ‚Wie kann jemand bloß auf sowas kommen...
Typisch Timmy!’, dachte er in sich hinein und freute sich riesig.
Er bemerkte, dass Mrs. Smith und die Mutter seines Freundes genau darüber jetzt redeten. „Lovely... and oooohhhh“, hörte er Mrs. Smith verzückt. Die Frauen amüsierten sich sehr darüber.
Der Busfahrer wies bald alle Fahrgäste an, einzusteigen: „Das Schiff wartet nicht auf uns!“
Andreas verabschiedete sich herzlich von den beiden Frauen... die Mutter von Timothy
warf ihm noch einen fliegenden Handkuss im Weggehen zu ihrem Auto zu.
Der Bus machte sich auf den Weg nach Harwich, Andreas hatte das kleine Kekspäckchen
noch so gerade in seinen Rucksack hineinbekommen und ließ nun in seiner Verkrümelecke
im Heck des Fahrzeugs die Landschaft an sich vorüberziehen, während er verträumt aus dem
Fenster schaute. Er versuchte irgendwie anzufangen, das Erlebte zu verarbeiten...
Seine Emotionen gingen von Freude über große Liebe und große Trennungstrauer bis hin zur Glücklichkeit über diese tiefe Freundschaft zu diesem Jungen.
In so kurzer Zeit hatte er Schätze über Schätze von ihm bekommen... Er dachte an die Kekse... an den Stein von Timothy... er hatte etwas von ihm... aber hauptsächlich im Herzen...
‚Hihi, die erste Nacht, als er vor dem Fenster stand... dann diese Aktion im Wald... und funzelnd blitzende Blauscheinwerfer...’
... Warum konnte jetzt nicht jemand kribbelig in sein Ohr flüstern...
... Schlaf.
Die Passagier- und Autofähre ‚Prinz Hamlet‘ fuhr in die Nacht hinein.
Andreas hatte sich gerade in seine Kabine zurückgezogen, die er sich mit drei Leuten teilte.
Er war allein und wollte dort auch alleine sein. Die anderen waren in der Schiffsdisco oder irgendwo auf dem Schiff unterwegs.
Er fing an, Dinge aus seinem Gepäck auszupacken, die er für die Nacht haben wollte. Aus seinem Rucksack nahm er zuerst das Päckchen mit den Keksen und öffnete das Papier. Andächtig nahm er einen Keks heraus und betrachtete ihn.
„Hihi!“ Er musste lachen. Es war ein ziemlich unförmiger Keks, nach leichten feinmotorischen Schwierigkeiten ausschauend, und er stellte sich grinsend vor, wie Timothy diesen Keks wohl umständlich mit seinen Tatzengriffeln geformt hatte.
‚Was für 'ne Idee‘, amüsierte sich Andreas und biss ein Stück ab...
‚Lecker! Ganz klar lecker!‘ Es waren ganz klar leckere, tolle Kekse und für ihn in dem Moment sowieso die besondersten Kekse, die es auf der Welt gab.
Ganz unkontrolliert, während er noch grinste, wurden seine Augen feucht...
Einen Moment später schloss er halb flennend die Tüte und legte sie vorsichtig auf die Seite,
grub weiter in seinem Rucksack und suchte sein langärmeliges Shirt für die Nacht.
Er hatte es ja ganz unten reingestopft… Aber es war nicht da! Dennoch war dort etwas Weißes verborgen... er nahm es heraus... „NEIN!“, sagte er laut. Er sprang auf und lief damit in der Kabine herum... Timothys weißes Frottee-Schnuffel-Oberteil!
Er ließ es auseinanderfallen... Ein kleiner Zettel fiel heraus und auf den Boden.
Andreas setzte sich mit dem Zettel auf seine Koje und las mit der Empfindung, als wenn die
Stimme, die das geschrieben hatte, spräche: „Äääändruuuuu... sooorrryyy.... I changed
the shirts.... Kisses!..... Timmy.“ Dann war noch ein Smiley drauf.
Andreas fing an zu heulen, dachte: ‚Ist der denn nun irre?‘, und bettete sich einen Moment
dieses Schnuffelteil mit diesem vertrauten, weichen und süßen Geruch ins Gesicht.
Dann räumte er schnell seine Sachen zusammen, legte sich in die Koje, knipste das Licht aus und
legte seine Wange sanft auf das weiße Frottee... jetzt wohlwissend, dass Timothy wahrscheinlich genau so auf seinem Shirt lag und sich einen Zipfel vom Ärmel zum zufriedenen Einschlafschnuffeln ausgesucht hatte.
Das Schiff schob zuverlässig, und ab und zu vom Antrieb leicht zitternd, durch die Nacht,
dabei wiegte es sich hin und wieder sanft im Wellengang und den Jungen säuselnd in einen tiefen Schlaf.
* * ENDE * *
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