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Almost Nothing 2 - Knocking on Heavens Door

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Fast fünf Jahre sind vergangen, seit Thomas Ingenberg, auch bekannt als ‘Tin’, von der Justiz verurteilt und ins Gefängnis überstellt wurde (Almost Nothing – Fast nichts).

Wie es ihm dort ergangen ist und wie er sein Leben nun angehen will, das erfahrt ihr nun bei ‚Almost Nothing – Knocking on Heavens Door’. Im Laufe der Story kommt es zu kurzen Gewaltsequenzen, die sich leider nicht vermeiden ließen.

Ich wünsche viel Spaß, über nette Kommentare und ehrliche Kritik freue ich mich.

Mats Ole Jorgensen

Ich hasste mein Leben, so wie es gerade im Moment verlief. Vor drei Tagen hatte mich der Sicherheitsbeamte im Jobcenter regelrecht zur Tür hinaus gestoßen, nachdem ich wegen diesem Job hier halb ausgerastet war. Wütend rechte ich das vertrocknete Laub vom Rasen des Paul-Ernst-Parks, bevor ich mir unter einem Baum, an den rauen Stamm gelehnt, eine Zigarettenpause gönnte. Nur wenige hundert Meter hinter mir war das fröhliche Planschen am Schlachtensee deutlich zu hören.

Das Arschloch – ich konnte mir den Namen des Vorarbeiters nicht merken – beobachtete mich argwöhnisch. Aber das interessierte mich nicht, für den einen Euro Stundenlohn wollte ich die Anforderungen nicht übererfüllen und die kleine Pause stand mir zu.

Die aufkeimende Sommerhitze machte mir sehr zu schaffen. Es war nicht mal Juli und das Thermometer kletterte bereits auf über 30 Grad und die Arbeit strengte an. Ich wischte mir mit den erdigen Händen den Schweiß von der Stirn und genoss mit geschlossenen Augen den brennenden Qualm in meinen Lungen.

„Geh da weg, Princess! Du bekommst Flöhe von diesem Kerl.“

Irritiert sah ich mich nach der Quelle dieser schrillen Stimme um und erblickte eine aufgedonnerte Tussi, die auf ihren schwarzen Nuttenstiefeln in meine Richtung tippelte. Zu meinen Füßen kläffte mich plötzlich etwas an, eine Yorkshire-Töle mit pinkfarbenem Umhang.

Die überschminkte Blondine im Kostümchen kam näher und schnappte sich die Leine, die ‚Princess’ hinter sich hergezogen hatte. Ihre Augen hefteten sich auf mein dreckverschmiertes Gesicht und sie verzog angewidert ihren Mund. Ohne ein weiteres Wort lief sie ein paar Meter weiter, wo Princess einen sehr unköniglichen und stinkenden Haufen auf dem Rasen hinterließ. Die blonde Sirene störte sich nicht weiter daran und ging einfach weiter.

„Hey Puppe, dein Köter hat einen Haufen gemacht, ein Mensch mit Manieren hebt so was auf und wirft es weg“, rief ich ihr hinterher.

Blondie blieb abrupt stehen, fuhr auf den Absätzen herum und stierte mich giftig an. „Ein Mensch mit Manieren wäscht sich und läuft nicht wie ein Penner herum. Mach das doch selber weg. Das gehört doch bestimmt zu deinem Job hier.“

Ich wurde sauer und sie machte sich wieder auf den Weg. „Wenigstens muss ich nicht mit ‘nem Kerl vögeln, um sein Geld zu bekommen, ich mache es nur aus Spaß. Anders kommt so eine aufgedonnerte Zicke wie du doch nicht an Geld“, brüllte ich betont laut durch den Park und setzte ein sehr leises „Vielleicht sollte ich das doch mal als Möglichkeit in Betracht ziehen“ nach.

„Das solltest du vielleicht wirklich tun, Jorgensen“, zischte es gefährlich leise hinter mir. „Diesen Job hier kannst du vergessen, für die Firma bist du nicht tragbar.“

Es war das Arschloch. Und mit diesen Worten hatte ich nicht nur den Job hier verloren, sondern ich hatte mir auch eine empfindliche Sperre meiner Stütze eingehandelt. Meine Fallmanagerin im Jobcenter hatte mich bereits vorgewarnt.

„Ach leck mich doch!“, knurrte ich ihn an und machte mich auf den Weg zum Ausgang, der Tussi hinterher.

„Hey, die Weste will ich zurück“, brüllte mein ehemaliger Vorgesetzter. Direkt vor dem Haufen der Töle blieb ich stehen.

„Aber sicher doch“, antwortete ich und zog das geforderte Teil aus, ließ es auf den Haufen fallen und drehte den Dreck mit meinem Schuh hinein, bevor ich aus dem Park rannte. Das Arschloch gab die Verfolgung schnell und laut keuchend auf.

Nach einer Stunde Fußweg und einem Besuch beim Kiosk, wo ich mich mit einem Sixpack Bier versorgt hatte, kam ich vor der Tür des Hauses an, in dem sich mein kleines Ein-Zimmer-Wohnklo befand. Der Briefkasten versorgte mich mit einem Schwung neuer Rechnungen und Mahnungen.

In meinem Reich angekommen, feuerte ich die Post auf den kleinen Couchtisch, wo sie zwischen den leeren Schachteln diverser Fertiggerichte verschwand und öffnete eine der Bierflaschen.

„Scheiße“, fluchte ich. Mit der kommenden Sperre hätte ich kein Geld für die Miete und der Hausherr wartete nur auf eine Gelegenheit, mir eine fristlose Kündigung auszusprechen.

Die Bierflasche fand noch ein kleines Eckchen auf dem Tisch und ich ging in das winzige Bad, wo ich meinen Blaumann und das Shirt auszog und riskierte einen Blick in den Spiegel.

Ich passte in diese versiffte Wohnung. Nicht das ich unbedingt hässlich war, eigentlich eher im Gegenteil, aber ich wirkte irgendwie ziemlich verwahrlost. Dicke Ringe unter den Augen, das dunkelblonde Haar war stumpf und strähnig, der Dreck aus dem Park hing an mir wie eine zweite Hautschicht. Im Moment fühlte ich mich und sah eher aus wie fast dreißig und nicht wie neunzehn.

Seufzend stieg ich unter die Dusche und wusch mir den Schweiß vom Körper. Das Rauschen der Toilette in der Nebenwohnung, hörte ich einen Moment zu spät und der Schwall heißen Wassers, welcher sich für einen Moment über mich ergoss, brachte mich zum Aufschreien. Ich musste raus aus diesem Loch. Ein bitteres Lachen folgte, denn dafür würde der Vermieter bald schon sorgen.

In der Bettecke fischte ich noch tragbare Klamotten aus einem Berg Wäsche. Meine Waschmaschine war hin und sie war der eigentliche Grund für meinen Besuch bei der staatlichen Fürsorge. Doch dazu kam es ja nicht mehr.

Kurz darauf klingelte mein Telefon.

„Jo, Kev, was geht?“, meldete ich mich bemüht locker, als ich die Nummer erkannte. Kevin war ungefähr in meiner Situation, mein bester Freund und ein ehemaliger Schulkollege, der mit mir, nach der mittleren Reife, die Schule verlassen hatte.

Nun, bester Freund reichte nicht ganz, er war meine Familie, mein Bruder und mehr als das. Zu meinen alkoholkranken Erzeugern hatte ich keinen Kontakt, so blieb er mir als einziger Rückhalt.

 

Schwul waren wir beide und nicht selten landeten wir zusammen in der Kiste. Meine Erfahrungen mit anderen waren begrenzt und unterschieden sich grundlegend von den wirklich schönen Erlebnissen mit ihm. Leider fühlte er sich in der Taschengeldszene zunehmend wohler und hatte außerdem noch einen guten Draht zu seinem Sachbearbeiter. Da musste sogar ich grinsen, denn den hatte mein Kumpel in der Hand, schließlich war der Typ verheiratet.

„Hey, Mats, Party heute Abend. Ich lade dich ein.“ Über meinen chronischen Geldmangel wusste er Bescheid, aber ich war nicht ganz überzeugt.

„Komm lieber her, ich will mich nur noch besaufen!“, antwortete ich deshalb. Ein Abend zu zweit mit ihm war mehr nach meinem Sinn.

„Ne Alter, nicht in deiner Siffbude. Heute ist KulturBrauerei angesagt, mir egal was es kostet, dich abzufüllen. Hatte ne gute Woche“, lachte Kevin in den Hörer.

„Okay, du alter Stricher, wann soll ich da sein?“ Den zickigen Unterton schloss ich mühsam aus meiner Stimme.

„Neidisch? Ich hol dich um neun Uhr ab. Hoffentlich findest du noch meinen Zweithelm in deinem Dreck.“

„Als ob es bei dir besser aussieht“, versuchte ich einen schwachen Konter. Ich war wirklich die größere Schlampe von uns. Aber mal ehrlich, bei dem Loch fehlte mir jede Lust Ordnung zu halten.

„Viel besser, ich hab jetzt ne Putze, kostet nur ‘nen Blowjob pro Durchgang und mein Schweigen. Es ist der Michels.“

Soviel zum Thema ‚Sachbearbeiter bei der ARGE’. „Du bist wahnsinnig.“

Das Gespräch war beendet und ich entschloss mich zum Aufräumen, ein wenig zumindest. Mit einer weiteren Flasche Bier gestärkt, schnappte ich mir einen Müllsack und fegte den Couchtisch leer, samt Post. Rechnungen und Mahnungen kamen, früher oder später, sowieso wieder. Hinter der Couch war noch genug Pfand für eine weitere Schachtel Zigaretten und ich stellte den ganzen Kram in den Flur. Den Müllsack entsorgte ich durch das Wohnzimmerfenster, unter dem sich der übervolle Container befand. Die Tüte blieb zielgenau auf den anderen liegen.

Das Chaos war nun halbwegs beseitigt, jetzt war es einfach nur noch erbärmlich dreckig.

Bis zu Kevins Ankunft blieben noch ein paar Stunden, deshalb kratzte ich noch etwas Geld zusammen und verschwand, nach dem dritten Bier, in Richtung Waschsalon. Auf der Suche nach alternativen Verdienstmöglichkeiten waren saubere Sachen vielleicht von Vorteil.

Die ganze Aktion war nach drei Stunden beendet und ich runter mit den Nerven. Der Salon platzte fast aus den Nähten und es dauerte allein ein halbe Stunde, bis ich endlich an eine freie Maschine kam. Da drin kam ich mir wie auf einem türkischen Volksfest vor und hatte nicht ein Wort von dem verstanden, was sich die alten Klatschweiber mit den Kopftüchern zu erzählen hatten. Kurz gesagt: Es war schreiend langweilig dort.

Insgeheim freute ich mich bereits auf den Abend mit Kev, nicht nur wegen der Einladung. Vielleicht hatte ich ja Glück und er fand heute keinen spendablen Gönner. Sex mit ihm war für mich nämlich immer eine besondere Freude, kam aber in letzter Zeit sehr selten vor. Meistens wurde er ja gut versorgt, bevor es ihm besorgt wurde und vielleicht war ich wirklich ein wenig eifersüchtig.

Etwas frustriert schaltete ich daheim meinen uralten PC ein und hoffte, dass der WLAN-Stick, den ich vor ein paar Monaten im Fachmarkt geklaut hatte, heute wieder ein kostenloses Nachbarnetzwerk fand. Diesmal hatte ich Glück und ‚entspannte’ mich noch auf einer Pornoseite.

Die Sauerei auf meinem Oberkörper spülte ich mir bei einem weiteren Duschbad vom Leib, allmählich wurde es auch Zeit, die Zeiger rückten langsam, aber sicher in Richtung 21 Uhr.

Meine frische Wäsche lag mittlerweile auf einem großen Haufen im Bett und ich suchte mir etwas Passendes heraus. Auf mein enges weißes Tanktop, mit einer schwarzen Buddha-Figur auf der Brust, fuhr Kevin eigentlich ziemlich ab. Anschließend zwängte ich mich in eine besonders enge Jeans, deren Beine ein Stück oberhalb des Knies endeten. Sie war so eng, dass ich auf Unterwäsche verzichten musste. Das brachte im Gegenzug mein Paket besonders gut zur Geltung. Die nackten Füße verschwanden in flachen Sneakers, die früher mal weiß und jetzt eher grau waren. Mein Spiegelbild gefiel mir deutlich besser als noch am Mittag, die Ringe unter den Augen waren fast weg und die Haare fahrtwindtauglich gegelt, der Helm blieb auch nach dem Aufräumen verschwunden.

Endlich klingelte es an der Tür. Ich drückte auf den Summer und kurz darauf stand mein Kumpel vor der Tür. Braungebrannt, ein schlichtes schwarzes Muscle-Shirt und weiße Shorts. Die Goldkette wirkte etwas protzig, aber er war trotzdem zum Anbeißen.

„Gut siehst du aus“, grinste er mich an, nach einer schnellen Musterung von Kopf bis Fuß. „Willst du zur Party oder am Bahnhof arbeiten?“

„Blowjob ein Fuffi“, grinste ich zurück.

„Hmmm, billig, so mag ich es am liebsten.“ Kevin lachte laut und setzte zu unserer üblichen Begrüßung an, eine dicke Umarmung und ein intensiver Kuss. Er roch geil, nach einem neuen Aftershave.

„Ich bin nicht billig. War ein Freundschaftspreis.“ Wir standen noch immer in inniger Umarmung.

„Dass es heute mit dir nicht billig wird, glaube ich auch“, flüsterte er mir direkt ins Ohr. „Darfst du dann gerne abarbeiten.“ Seine Zunge leckte kurz durch meine Ohrmuschel und meine Jeans zeigte sofort wieder etwas mehr vom Paket.

Kevin klopfte mir kurz auf den Hintern, wohl wissend, was er mir mit seiner Zunge angetan hatte, aber er drängte auch gleich zur Eile und wir gingen ins Treppenhaus.

„Kein Helm?“

Ich schüttelte den Kopf. „Der liegt noch irgendwo, hab noch nicht überall aufgeräumt.“

Seufzend brachte er seinen Helm, der vor der Wohnung lag, in meinen Flur und wir nahmen die U-Bahn. Offen betrachtete ich ihn während der Fahrt und Kevin lächelte mich an.

„Was ist los, Mats?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Darf ich dich nicht mehr anglotzen?“ Bei meiner Zickigkeit verzog er das Gesicht ein wenig. Ich wäre halt wirklich lieber mit ihm allein geblieben, aber Kevin spürte das nicht. Früher war er sensibler für meine Stimmungen.

„Hab dich lieb, Kleiner“, flüsterte er mir zu und zauberte damit doch wieder ein kleines Lächeln auf meine Lippen.

Die Bahn wurde langsamer voller und ich hockte mich direkt neben ihn und schloss die Augen für einen Moment, genoss die Illusion von uns beiden allein. Kevin legte seinen Arm um mich. Es dauerte nicht mehr lange und wir waren am Ziel. Natürlich war es schon rappelvoll und wir standen noch in einer kleinen Warteschlange.

„Kevin, mir ist heute echt nicht nach Party.“ Endlich war es raus.

„Und was dann?“

„Ach, ich hätte nichts dagegen, wenn wir heute einfach mal allein wären. Hatten wir schon eine Weile nicht mehr.“

„Aber das können wir doch immer, du musst halt mal was sagen.“

Ich zog eine Augenbraue hoch. „Das habe ich in den vergangenen zwei Wochen bestimmt sechs oder sieben Mal probiert, du warst immer beschäftigt.“

„Dann lass uns den Abend hier zusammenbleiben, okay?“ Nicht ganz das, was ich mir wünschte, aber ein Kompromiss.

Nun, ganz so blieb es dann doch nicht. Für eine kleine Weile tanzten wir zusammen und Kevin blieb nah an mir dran, wollte eine gute Show für die anderen liefern. Zugegeben, die Art, wie er mit mir über die Tanzfläche wirbelte, war heiß, weckte den Wunsch nach mehr. Aber beinahe hektisch wechselte er ständig die Position. Gerade genoss ich noch das Reiben seines Hinterns an meinem Schritt, schon stand er hinter mir und streichelte meine Vorderseite.

Für meine Kuschelstimmung wurde das zu viel und ich beendete dieses kleine Fiasko. „Sorry Kev, bleib ruhig hier, ich hau mich hier irgendwo hin.“

Er guckte zwar nicht gerade begeistert, ließ mich aber ziehen. Direkt neben der Tanzfläche fand ich eine kleine Sitzgruppe und flegelte mich hinein. Bei der Bedienung, die kurz darauf vorbei kam, bestellte ich ein Bier und ließ es auf seiner Getränkekarte eintragen. Zumindest hatte er mir die noch schnell zugesteckt.

Missmutig beobachtete ich ihn und es dauerte nicht lang, bis sich jemand an ihn herantanzte. Kevin stieg natürlich gleich drauf ein. Zusammenbleiben stellte ich mir anders vor. Ich revanchierte mich durch den regen Gebrauch seiner Zahlkarte und spürte irgendwann die wohltuend bleierne Leichtigkeit des Alkohols. Mittlerweile saß ich seit fast zwei Stunden hier und wartete vergeblich auf ein wenig Aufmerksamkeit.

„Hey.“ Jemand rüttelte mich wach. „Mats, mit dir ist heute wirklich nicht viel los, oder?“

„Ach, der Herr hat sich wieder an mich erinnert.“ Ich verließ meine halb liegende Position und setzte mich wieder aufrecht hin. „Wie spät ist es überhaupt?“

„Gleich zwei Uhr“, antwortete er etwas zerknirscht. „Sorry, Kleiner.“

„Macht doch nichts. Ich sitze hier nur seit 4 Stunden rum. War ja ein toller Abend zusammen.“

Kevin griff nach meiner Hand und sah mich seltsam an. „Vielleicht täusche ich mich ja, aber möchtest du mir etwas sagen?“

„Klar. Ich will nach Hause.“ Dem Gesichtsausdruck nach, war es nicht das was er hören wollte. Aber was erwartete er auch. ‚Danke, für den schönen Abend’?

„Hey, es tut mir leid, echt. Warum bist du heute so mies drauf?“

„Schön, dass du das jetzt schon fragst. Mein Tag war beschissen. Hab diesen dämlichen Job im Park verloren. In Kürze wird’s also richtig eng bei mir.“

„Fuck. Kommst du mit zu mir? Ich hab voll das schlechte Gewissen, lass es mich wieder gut machen.“

Obwohl ich mich über die Aussicht freute, dämpfte mein Mund seine Stimmung wieder ab. „Klar, schlimmer wird’s dadurch sicher nicht.“ Kevin wirkte tatsächlich ein wenig verletzt, dabei hatte er mich doch im Stich gelassen.

Ohne zu murren, zahlte er den ordentlichen Batzen auf seiner Karte und wir verließen die KulturBrauerei in Richtung Bahn. Alles drehte sich ein wenig, ich hatte ganz ordentlich einen sitzen. Kev zog mich zu sich heran, den Arm um meine Hüfte gelegt und hielt mich so auf einem einigermaßen graden Kurs. Leider schmolz mein Ärger in seiner Nähe wieder zusammen, zumindest für einen sehr kurzen Moment.

„Warum hast du mir nichts von deinem Freund erzählt?“

Wir drehten uns um und der Antänzer stand vor uns. „Mats, das ist Colin. Wir haben uns vorhin kennengelernt.“

„Ach, sag bloß. Ihr seid mir gar nicht aufgefallen. Und ich bin nicht sein Freund“, giftete ich den Störenfried an.

Dieser Colin grinste nur. „Sicher? Aber umso besser. Kann ich mitkommen? Ich würde gerne da weitermachen, wo wir vorhin aufgehört haben.“

Der Typ langte Kevin in den Schritt und küsste ihn dreist vor meinen Augen. Sichtlich bemüht schob dieser den anderen von sich weg. „Heute nicht, ich muss mich unbedingt mal um ihn kümmern, war nicht so ganz sein Tag.“

„Also, wir können uns auch zusammen um ihn kümmern. Er ist ja ganz süß, solange er mich nur mit seinem Blick umbringen will.“

Fassungslos beobachtete ich das Geplänkel der beiden. „Es ist mir scheißegal was ihr miteinander treiben wollt. Ich bin einfach nur müde. Ich kann auch auf der Couch pennen.“

„Nix da. Du gehst nicht auf die Couch. Wir verschieben das, Colin, versprochen.“

Es musste am Bier liegen, oder ich war einfach nur bescheuert, doch Kevin schien fast ein wenig traurig. Den kommenden Satz würde ich sicher noch bereuen. „Nimm ihn halt mit, vielleicht bringt es mich ja auf andere Gedanken.“ Ja, ich wollte heute um jeden Preis bei meinem Freund sein.


Die Wohnungstür fiel hinter uns ins Schloss. Die beiden waren so gnädig und verhielten sich auf der Fahrt anständig. Die Angst vor Übergriffen in unserem Transportsystem hatte also auch positive Nebeneffekte.

Natürlich änderte sich das jetzt, nachdem wir das kleine und wirklich überraschend saubere Reich von Kevin betreten hatten. Mein bester Freund hielt mich in seinem Arm umklammert und so wurde ich fast zwischen Colin und ihm eingequetscht. Ich mochte die tiefen Zungenküsse zwar, aber hier handelte es sich um eine widerliche Mandelpolitur.

Auf dem Weg zum Bett verloren die Zwei bereits die wenigen Klamotten. Um mich kümmerte Kevin sich persönlich und er entkleidete mich langsam, beinahe zärtlich unter vielen Küssen. Fast hätte ich es sogar schön gefunden, wenn Colin sich nicht hinter ihn gestellt hätte und mich nun ebenfalls betatschte. Die Wirkung des Biers ließ langsam nach und die Fluchtgedanken nahmen zu. Das hier war so falsch.

Kurze Zeit später lag ich beinahe unbeteiligt neben ihnen im Bett und wieder war es Kevin, der den Kontakt zu mir suchte. War ihm der andere nicht genug?

Leider gewannen beide den Eindruck, es würde mir Spaß machen, denn egal was in meinem Kopf vorging, mein Körper sah nur zwei extrem geile Typen und wurde zum Verräter. Mit geschlossenen Augen lauschte ich dem Treiben, welches irgendwann kurz unterbrochen wurde. Das Öffnen einer Kondompackung war zu hören und ich erblickte Kevin, der sich in Colin versenkte.

„Bitte küss mich, Mats“, flüsterte er. Mein Körper gehorchte automatisch.

Ich wusste nicht, wie ich mich gerade fühlen sollte. Traurige Gedanken und ein willenloser Körper, das passte doch nicht zusammen. Wir unterbrachen den Kuss auch nicht, als Colin nun an meiner Latte rumfingerte, sich in Position brachte und an mir lutschte. Mein Kopf entschied sich nun zu einer Abschaltung, es wurde zuviel.

Kevins Keuchen in meinen Mund wurde rasselnder, sein Körper stand aufgrund unserer Position unter starker Anspannung, die Muskeln traten scharf und hart hervor.

Colin ließ meinen Harten aus dem Mund frei. „Fuck, Kevin, lass deinen Kleinen mal ran, der rammt mir sonst noch ein Loch in den Hinterkopf.“ Meine Stöße waren mittlerweile wirklich deutlich aggressiver.

Mein Kumpel hielt überrascht inne. „Mats, willst du überhaupt?“

„Her mit dem Gummi!“, bellte ich ihn heiser an. „Der Schlampe wird Hören und Sehen vergehen.“

„Oh... okay.“ Kev war offensichtlich geschockt. Meine Traurigkeit hatte sich in wütende Gier verwandelt. Colin hatte mir den Abend versaut, das sollte er nun zu spüren bekommen.

„Hmm, du machst mich neugierig, Kleiner. Mal sehen ob du das Versprechen auch halten kannst.“

„Red nur, solange du kannst“, zischte ich zurück. „Du wirst gleich nur noch nach deiner Mama schreien!“

„Mats, komm wieder runter, was ist mit dir los?“ Die blauen Augen meines Freundes sahen mich unsicher an.

„Halt dich da raus!“ Das Tütchen riss ich ihm aus der Hand und dann rollte ich mir die Latexmütze über.

„Ich hoffe, du bist bereit!“ Ich hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als ich Colin mein Teil reinrammte. Das überraschte Keuchen quittierte ich mit einem fiesen Grinsen. Er bekam keine Zeit zu verschnaufen, ich nahm ihn mit voller Härte, erbarmungslos bis mir die Lenden wehtaten. Beinahe zwanzig Minuten hielt ich dieses Tempo aus, Colin war schon längst gekommen, als ich mich schreiend entlud.

„Wow, die Aggronummer hätte ich dir nicht zugetraut. Hammer.“ Das kleine Bückstück rang noch nach Luft.

„Schön. Und jetzt verzieh dich. Hast ja was du wolltest.“

„Ach komm, sei wieder lieb, wir hatten doch nur unseren Spaß.“

„Mats hat Recht, Colin. Ich glaub es wäre besser, wenn du gehst.“

„Dein erster vernünftiger Satz, seit wir hier sind“, pflichtete ich Kevin bei.

Unser Gast lachte. „Du magst mich nicht besonders.“

„Du bist ja sooo schlau.“

„Na gut, ich will ja nicht so sein. Kevin, treffen wir uns mal allein?“

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Denke nicht. Komm gut heim.“

Schweigend warteten wir die wenigen Minuten ab, bis sich die Tür endlich ein weiteres Mal schloss. Kevin sah mir in die Augen und versuchte die Situation einzuordnen.

„Ich hab Scheiße gebaut, oder?“

„Schön, du denkst wieder mit dem Gehirn. Apropos, du bist nicht zum Abschuss gekommen, wollen wir das noch schnell fertig machen?“ Meine Wut war nicht mehr so groß, aber es reichte noch aus, um ihn ein wenig leiden zu lassen. Mit sichtbarem Erfolg, denn sein Schwanz war nicht nur schlaff, er schien sogar kleiner werden zu wollen.

„Nein, ich möchte nur noch mit dir kuscheln, wenn du magst“, antwortete er beinahe schon unterwürfig.

Ich sammelte unsere beiden Kondome auf und warf sie in den Müll. „Lass mich eben duschen, ich will diesen Kerl von meiner Haut waschen.“

Unter dem warmen Wasser schmolz nun auch der Rest des Ärgers, Kevin tat mir sogar wieder etwas Leid. Zu gern hätte ich gewusst, was in seinem Kopf vorging. Manchmal glaubte ich, er würde mich lieben, aber dann versetzte er mich wieder für einen Stecher. Das mit Colin setzte der ganzen Sache die Krone auf. Er wusste doch, dass ich allein mit ihm sein wollte.

Im Schlafzimmer wartete mein Freund bereits angespannt im Bett, er hatte sogar eine Short angezogen, was absolut untypisch war, wenn wir zusammen schliefen.

„Runter mit dem Fetzen“, befahl ich deshalb.

„Mats, bitte, ich kann das jetzt nicht.“ Täuschte ich mich, oder klang seine Stimme weinerlich?

„Hey, du weißt doch, dass ich beim Kuscheln deine Haut spüren will“, antwortete ich sanft. Wenn er traurig war, dann konnte ich ihn nicht hassen.

Kurz darauf schmiegte er seine maskuline Brust an meinen Rücken und hielt mich mit den warmen Armen umklammert. Sein Herz schlug noch ungewöhnlich schnell. „Ich hab dich unglaublich lieb“, seufzte er. „Ist wieder alles gut?“

War es das? Ganz sicher konnte ich das noch nicht sagen. „Vielleicht, Kev.“

Am nächsten Morgen merkte ich, wie wenig gut es wirklich war. Die schöne, kuschelige Nacht konnte nicht über den emotionalen und körperlichen Kater hinwegtäuschen. Für die Sache mit Colin schämte ich mich und auch für den ganzen Verlauf des Abends.

Kevin hätte den Typen trotzdem wegschicken können.

Entgegen meiner Gewohnheiten quälte ich mich sehr früh aus dem Bett, schlängelte mich vorsichtig aus der engen Umarmung. Im Schlaf sah er so friedlich aus und nicht wie der Idiot, der er im Moment war. Auf eine weitere Dusche verzichtete ich und stahl mich lautlos aus seiner Wohnung, wahrscheinlich so, wie er es bei anderen Typen machte, wenn sie es in deren Behausung trieben.

In den kommenden Tagen versuchte Kevin mehrfach mich zu erreichen, doch ich drückte die Gespräche alle weg. Ich war beinahe froh, dass meine Prepaid Karte leer war, so kam ich nicht auf den dummen Gedanken, ihn zurückzurufen. Einige Male kam er auch vorbei und ich ignorierte es.

Es dauerte nicht lang und das Amt hatte seine Drohung wahr gemacht, die nächste Zahlung blieb aus. Trotz der strengen Rationierung meiner Lebensmittel und Zigaretten stand ich vor dem großen Loch.

Mir blieb nichts anderes übrig, ich fing wieder mit etwas an, was mich ins Gefängnis bringen konnte. Es gab genügend Leute, die ihre Geldbeutel bemitleidenswert dämlich im Kinderwagen liegen ließen oder in offenen Handtaschen, die locker um die Schulter hingen. Meist lohnte es sich kaum, oft fand ich nur sehr kleine Beträge. Es reichte, um nicht verhungern zu müssen, aber leider nicht, um mich ständig mit Alkohol wegzuballern.

Ein paar weitere Tage später, nach einer mittelmäßigen Beutetour, überraschte mich Kevin im Treppenhaus meiner Wohnung.

„Hau ab“, rief ich ihm zu, doch er folgte mir in meine Bruchbude. Mir fehlte auch die Kraft mich zu wehren.

„Mats, lass uns bitte reden.“

„Ich hab keine Zeit, muss gleich wieder los.“ Demonstrativ legte ich zwei erbeutete Brieftaschen auf den Tisch.

„Du tust es wieder? Man, die buchten dich ein!“ Er versuchte seine Arme um mich zu legen, doch ich stieß ihn unwirsch zur Seite.

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“

„Die beschissene Nacht hat wohl alles kaputt gemacht.“ Er seufzte tief. „Okay, ich seh, dass du mich nicht an dich ranlassen willst. Ist in Ordnung, ich hab es verdient. Aber wenn du Geld brauchst, dann lass mich dir helfen. Alles ist besser als klauen. Du hättest... gute Chancen als Escort.“

„Sollte ich je auf diese irre Idee kommen, dann melde ich mich bei dir.“

„Empfindest du eigentlich gar nichts mehr für mich?“ Der traurige Hundeblick verfehlte im Moment völlig seine Wirkung.

„Die Frage stell ich mir bei dir auch öfter. Bleib einfach weiter auf Abstand, okay?“

„Wie du willst. Melde dich, wenn wir wieder normal reden können. Bitte...“

„Bis dann.“ Kaum war er zur Tür raus, fehlte er mir auch wieder ein wenig. So eine lange Zeit waren wir noch nie voneinander ‚getrennt’.

Am folgenden Donnerstag verließ mich das Glück. Mittlerweile wurden Warnmeldungen herausgegeben, dass Taschendiebe in der Gegend ihr Unwesen treiben würden. Die Leute bewachten ihre Habseligkeiten immer besser. Mehr als frustriert schlenderte ich durch die Straßen, bis mein geübtes Auge eine Gelegenheit erkannte. Ein Geldbeutel lächelte mich aus einer ausgeleierten Gesäßtasche an. Ein leichtes, diesen mit einer kleinen Ablenkung zu entwenden.

Leise näherte ich mich meinem Opfer und schluckte einen Moment mit klopfendem Herzen. Der Typ war heiß. Konzentriert wuchtete er ein paar Obstkisten herum und lächelte dabei. Bis auf die Tasche war die Jeans eng, spannte sich über einen knackigen Hintern. Das knappe Shirt ließ über den muskulösen Körper keine Fragen offen. Widerwillig riss ich mich zusammen und schlich hinter ihn.

„Habt ihr auch Äpfel?“

Tag 1788

Es war der 24. Juni 2013, die letzte Juniwoche war angebrochen. Ein letztes Mal zog ich die Matratze meiner Pritsche glatt, der Bettbezug lag bereits im vorgesehenen Wäschebeutel, als es klopfte. Ein Schlüssel rappelte in der Tür, die kurz darauf nach außen schwang.

Vor mir stand Oberwachtmeister im Justizvollzugsdienst Meppe und sah mich mit bedeutungsschwerer Miene an.

„Thomas Ingenberg, folgen Sie mir.“

Unser Weg führte uns durch diverse Schleusen immer weiter zum Ausgang. An der Effektenkammer machten wir halt und ein weiterer Wachtmeister erschien. Kommentarlos legte mir dieser ein Blatt vor, eine Auflistung all meiner persönlichen Gegenstände und dazu eine Plastikbox, die eben diese Gegenstände enthielt. Da alles vollständig war, zeichnete ich ab und folgte Meppe zur nächsten Tür. Die Freiheit war nun nahe.

„Ingenberg, normalerweise wünsche ich allen, die uns durch diese Tür verlassen, dass wir uns niemals wiedersehen.“

In mein Gesicht schlich sich ein leichtes Grinsen.

Meppe umarmte mich und grinste nun auch. „Mach meiner Frau keinen Ärger, Tommy, bis heute Abend.“

„Danke, Rainer, ich werde mich benehmen.“

Drei Jahre sollte ich für die Entführung von Jakob Raller (Almost nothing – Fast nichts) einsitzen, hatte aber nach dem Grundsatz ‚ehrlich sitzt am Längsten’ – einer Redensart in der JVA Tegel - eine vollständige ‚Beichte’ all meiner Taten abgelegt. Für manche mochte das wenig nachvollziehbar sein, aber ich wollte einen richtigen Neuanfang. Die Quittung kam in Form eines zusätzlichen Urteils, sechs Jahre Gesamtstrafe.

Doch nach vier Jahren wurde bereits Bewährung für die Reststrafe in Aussicht gestellt, ich hatte gute Prognosen der psychologischen Betreuer. Für mich begann eine stressige Zeit: Bewerbungen schreiben, Wohnungssuche und mich um die finanzielle Absicherung kümmern. Alles andere als einfach. Trotz meiner zusätzlichen Lehre zum Holzmechaniker, die ich im Knast abgeschlossen hatte, wollte kein Arbeitgeber etwas mit einem Knacki zu tun haben. Ohne Job keine Wohnung, ohne Wohnung keine Stütze. Es war zum Verrücktwerden, mir drohte beinahe schon eine Entlassung auf die Straße.

Mit Rainer hatte ich mich von Anfang an gut verstanden und er half mir, wo er konnte. Seine Frau stimmte schließlich zu, dass ich in der kleinen Einliegerwohnung seines Hauses wohnen konnte. Mit einem Mietvertrag bewaffnet, bekam ich dann auch bei einem der letzten Freigänge die Grundsicherung durch die ARGE bewilligt.

Und so wurde ich nun in die Freiheit entlassen, nach insgesamt vier Jahren, elf Monaten und vierundzwanzig Tagen.

Draußen nahm ich eine Nase voll Freiheit und rümpfte sie gleich, der Juli war nah und eine schwüle Dunstglocke lag über der Hauptstadt, von den Abgasen der nahen Hauptstraße durchzogen.

Evelyn Meppe, die Besitzerin einer kleinen Galerie für freie Künstler, wartete bereits vor ihrem schwarzen Flitzer.

„Hallo, Thomas, herzlichen Glückwunsch zur Freiheit.“ Evelyn lächelte leicht, aber insgeheim spürte ich noch einen Rest Unsicherheit bei ihr. Bis heute hatten wir uns auf meinen Freigängen nur dreimal relativ kurz gesehen, ihre Einwilligung hatte ich erstmal nur Rainers Zuspruch zu verdanken. Aber ich wollte ihr zeigen, dass man sich auf mich verlassen konnte.

Kurz musterte ich mich in der verzerrten Spiegelung der Autoscheibe, in den fast 5 Jahren hatte ich mich kaum verändert, lediglich der Muskelumfang hatte etwas zugenommen. Im Gefängnis hatte ich, insbesondere nach der Lehre, mehr Zeit und die verbrachte ich, neben der Arbeit, gerne im Fitnessraum, ein Privileg für Gefangene, die sich anständig verhielten und allgemein positiv auffielen.

„Danke, ich bin euch echt was schuldig.“

Sie winkte ab und stieg auf der anderen Seite in den Wagen ein. Sie auf meine Seite zu bekommen schien noch einiges an Arbeit zu erfordern, zumal ich Angst hatte, die Beziehung der beiden zu belasten, wenn ich zwischen ihnen stünde.

„Mach dir bitte keine Sorgen, dass ich euch Ärger machen werde, wirklich. Das hier wird ein Neustart, es gibt keine offenen Angelegenheiten mehr. Für alles was ich angestellt habe, habe ich mich aus dem Gefängnis heraus selber angezeigt. Ich brauche nur eine Chance.“

Evelyn sah weiterhin konzentriert nach vorne. „Das möchte ich gerne glauben, aber ich kenne auch die Statistik über Rückfälle. Alles was du tust, fällt auf uns zurück.“

Also ging es ihr um ihren Ruf, mehr oder weniger. Dem hatte ich im Moment wenig entgegen zu setzen, außer meinen künftigen Taten. Auf solche Situationen wurde ich in den vielen Entlassungsgesprächen durch meinen Bewährungshelfer vorbereitet. Viele Menschen würden mich durch die Vorgeschichte ablehnen und es galt sich nicht entmutigen zu lassen. ‚Die Freiheit wird deine größte Prüfung’, hatte er gesagt.

Mit Worten war hier kein Blumentopf zu gewinnen und so verbrachten wir die Fahrt schweigend. Die Klimaanlage ihres Autos kühlte den Innenraum auf eine angenehme Temperatur, während wir uns in den kriechenden Blechlawinen auf den flimmernden Straßen vorwärts bewegten.

Das Haus meiner neuen Vermieter, in der Nähe des Steglitzer Stadtparks, lag zwar nur knappe 20 Kilometer vom Gefängnis entfernt, aber im morgendlichen Berufsverkehr benötigten wir dennoch eine gute Stunde, die durch diese schweigsame Stille noch viel länger wirkte. Ich fasste den Entschluss, mir bald eine neue Wohnung zu suchen.

„Ich werde euch nicht lange zur Last fallen. Sobald ich etwas finde, ziehe ich wieder aus.“ Wir fuhren gerade auf die kurze Hofeinfahrt, als ich die Stille durchbrach. „Es ist nur für den Übergang.“

Evelyn seufzte leise. „Danke. Es ist nichts Persönliches gegen dich, nur...“

„Schon okay, ich bin ein Knacki, ein Verbrecher und schade eurem Ruf. Nun, aller Anfang ist schwer und ein Neuanfang erst recht. Besser ich gewöhne mich schnell daran.“

Meine Gastgeberin schwieg betreten und deutete mir auszusteigen. Ich bekam den Schlüssel für mein Heim auf Zeit in die Hand gedrückt und sie wies auf die etwas abseitige Nebentür.

„Ich komme gleich zu dir, falls du noch etwas brauchst. Richte dich erstmal ein. Mein Mann vertraut dir sicher nicht grundlos, irgendwie werden wir uns schon arrangieren.“

Evelyn ließ mich stehen und öffnete die große Doppelgarage. Aus dem Augenwinkel erblickte ich ein paar ramponierte Holzmöbel, Stühle, einen Tisch und Werkzeuge. Dann schloss ich die Tür zu meinem Reich auf, eine kleine Zweizimmerwohnung, eine Kochnische im Wohnzimmer und ein kleines Schlafzimmer, gerade groß genug für ein schmales Bett und einen mittleren Schrank. Dazu ein kleines Bad mit WC und Dusche. Alles sauber und gut gepflegt, für mich war es ein kleines Paradies. Alles in allem bestimmt drei bis viermal so groß wie meine alte Zelle.

Meine Tasche verblieb im Schlafzimmer und ich inspizierte den Kühlschrank unter der Arbeitsplatte neben dem Herd. Rainer hatte bereits ein wenig vorgesorgt und ihn mit ein paar Lebensmitteln, Wasser, ein paar Flaschen Bier und Sekt gefüllt, der wohl zum späteren Anstoßen gedacht war. Ich schnappte mir eine Flasche Wasser und einen Apfel aus der Obstschale auf dem Wohnzimmertisch.

Das kleine Frühstück genießend, setzte ich mich auf die Couch und lehnte mich entspannt zurück, als es leise an der Tür klopfte.

„Komm rein“, rief ich und Evelyn steckte den Kopf zur Tür rein.

„Hier ist die Zeitung von Samstag mit dem Stellenmarkt, vielleicht ist ja was dabei.“

Dankbar nahm ich sie entgegen und legte den Anzeiger auf den Tisch.

„Brauchst du sonst noch etwas?“

Ich überlegte kurz. „Vielleicht könnt ihr mir noch mit Handtüchern und Duschgel aushelfen. Mit den paar Kröten aus dem Knast bekomme ich höchstens noch Lebensmittel, bis die ARGE zahlt.“

Das stimmte allerdings nicht so ganz, denn noch erwartete ich mein Überbrückungsgeld auf dem relativ frisch angelegten Konto. Ich konnte nur hoffen, dass es noch vor Juli gezahlt wurde, sonst würde ich von der ARGE erst im Folgemonat Geld bekommen. Mein Bewährungshelfer hatte mich umfassend aufgeklärt und ich konnte nur den Kopf schütteln.

Evelyn nickte. „Kein Problem. Sonst noch was?“

„Nicht direkt. Ich würde mich gerne bei euch nützlich machen“, versuchte ich ein Friedensangebot.

„Es gibt nichts für dich zu tun.“

„Ihr habt da ein paar ziemlich ramponierte Möbel in der Garage, vielleicht kann ich sie für euch reparieren?“

„Wir wollen sie wegwerfen, es macht keinen Sinn daran noch Zeit zu verschwenden.“

Ein leises Seufzen entwich mir. Diese Ablehnung setzte mir mehr zu, als ich mir eingestehen wollte.

„Okay, ein Vorschlag: Ich rede mit Rainer, aber meinetwegen kannst du die Möbel haben und damit machen was du willst. Repariere und behalte sie, oder verkaufe den Kram.“

Es war nicht ganz das, was ich erhofft hatte, aber der Vorschlag war gut, Geld würde ich in nächster Zeit sicher brauchen können. Kurz darauf brachte Evelyn die gewünschten Sachen und verabschiedete sich, da sie noch in der Galerie zu tun hatte, und ich kümmerte mich um meine Tasche. Zwischen den Klamotten befand sich mein Notizbuch, welches mich an den Termin im Steglitzer Jobcenter erinnerte. Noch hatte ich gute zwei Stunden Zeit und für den knappen Kilometer würde ich nicht lange brauchen.

Mein nächster Gang führte mich in die Dusche. Warmes Wasser, für mich ganz allein, floss mir über den Körper. „Freiheitswasser“, kicherte ich leise. Dieses Gefühl, ganz unbeobachtet zu sein, ohne lüsterne Blicke, weckte ein ganz besonderes Bedürfnis und somit auch meinen kleinen Freund. Es dauerte nicht lang und ich stützte mich keuchend gegen die gekachelte Rückwand. Das Wasser beseitigte sofort alle Spuren.

Noch immer die Freiheit genießend, stolzierte ich nach dem Abtrocknen nackt in das Schlafzimmer und schlüpfte in meine besten Klamotten, in dem Fall eine fast nicht zerrissene hellblaue Jeans, ein beinahe nicht ausgeleiertes dunkelblaues T-Shirt und schmutzige weiße Turnschuhe, welche zumindest unbeschädigt waren. Auch hier war dringend Ersatz von Nöten.

Mit dem Notizbuch bewaffnet setzte ich mich wieder auf die Couch und stellte einen kleinen Wirtschaftsplan auf, bis es Zeit war zu gehen. Auf dem Weg kam ich an meiner Bank vorbei und zog den verlangten Kontoauszug, noch prangte dort eine schmucklose Null. Sogar einen Secondhand Shop für Bekleidung fand ich, in unmittelbarer Nähe des Jobcenters, an dessen Eingang mich ein grimmiger Securitytyp abschätzend taxierte. Ich sah ihm kurz in die Augen, lächelte freundlich und ging unbehelligt an ihm vorbei.

Nach dem Ziehen einer Nummer setzte ich mich in den Wartebereich und beobachtete, wie ein junger Typ wütend und schreiend aus einem der Büros rannte. Offenbar hatte man ihm das Geld gestrichen.

Dreißig Minuten später wurde dann endlich meine Nummer aufgerufen und ich nahm gegenüber einer jungen Sachbearbeiterin, sie sich mir als Frau Meschner vorstellte, Platz.

„Also, Herr Ingenberg, es gibt keine Probleme mit dem Antrag, sie bekommen dann in Kürze das Geld überwiesen.“

„Kann ich denn einen Vorschuss haben? Ich brauche dringend neue Klamotten, mehr als das hier habe ich nicht und würde lieber heute als morgen auf Jobsuche gehen.“

Natürlich ging das nicht mehr, Frau Meschner verlor sich in einem Schwall aus Worten über Zahlungsläufe und anderen Dingen, die mich herzlich wenig interessierten. Allerdings bekam ich einen Zuschuss bewilligt, den ich dann auch nach kurzer Wartezeit an der Kasse als Barauszahlung bekam.

Im Shop erstand ich im Anschluss ein paar sehr gut erhaltene Hosen, Hemden und Shirts, sogar zwei leichte Sommerjacken. Und es blieb noch einiges an Geld übrig.

Dann lief ich auf direktem Weg nach Hause und wollte die Stellenanzeigen bearbeiten, stellte dann aber fest, dass ich weder ein Telefon, noch genügend Ortskenntnis besaß, um die Inserenten zu kontaktieren.

Rainer überließ mir am Abend, nach dem feierlichen Anstoßen, ein mobiles Telefon, mit dem ich dann vorerst über seinen Anschluss telefonieren konnte.

Und so vergingen dann auch die nächsten Tage. Ein nicht geringer Teil meiner Einkünfte ging für Busfahrten zu verschiedenen Firmen drauf, denn auf schriftliche Bewerbungen konnte ich mich, bei meinem Lebenslauf, nicht verlassen. Leider ohne Erfolg.

Bald war es Zeit für meinen ersten Termin bei meinem Bewährungshelfer, der natürlich über den Stand der Dinge informiert werden wollte.

„Hallo, Richard“, begrüßte ich ihn. Bei einem Kaffee schilderte ich meine fruchtlosen Bemühungen.

„Na das hab ich dir ja vorher gesagt, es wird nicht leicht. Kommst du denn über die Runden?“

„Ja, aber mich nervt das mit der Stütze. Rainers Frau macht mir auch Probleme, sie hat Angst um ihren Ruf. Ich suche also nach einer neuen Wohnung.“

„Verstehe, tut mir leid für dich. Du hast eine Chance echt verdient, ich hab selten so ein gutes Gefühl gehabt wie bei dir. Und wie vertreibst du dir die Zeit?“

„Meistens bin ich unterwegs und versuche einen Job zu bekommen. Aber ich restauriere auch ein paar Möbelstücke aus Rainers Garage, um in Übung zu bleiben. Damit bekommt man ein Wochenende ganz gut rum.“

„Gefällt mir. Aber du solltest auch mal wieder unter Leute gehen, am normalen Leben teilnehmen. Freunde finden. All das wird dir helfen. Du warst fünf Jahre von der Gesellschaft isoliert. Und wegen einer Wohnung halte ich mal die Ohren offen, versprechen kann ich aber nichts.“

„Danke, vielleicht bringt es ja was.“

„Na gerne doch. Vielleicht hab ich ja noch eine gute Nachricht für dich. Ich weiß zufällig, wo dringend eine Aushilfe benötigt wird, hier ganz in der Nähe. Es ist nur was Kleines, zehn Stunden die Woche für 450 Euro.“

„Ich nehm alles, wirklich. Hauptsache ein wenig eigenes Geld.“

Richard gab mir die Adresse von einem kleinen Laden um die Ecke. „Nichts anderes hab ich von dir erwartet. Die Bankows sind Rentner und können nicht mehr so, wie sie gerne würden. Eigentlich brauchen sie nur etwas von deinen Muckis - Lagerarbeiten, Zeugs schleppen. Leider nicht ganz das, was du suchst.“

„Das ist egal, wirklich. Danke, ich schulde dir was.“

„Natürlich“, lachte er. „Nämlich das du sauber bleibst. Ich will mich nicht umsonst für dich krumm gemacht haben müssen.“

Keine Stunde später hatte ich den Job in der Tasche. Das alte Ehepaar war wirklich nett und sehr dankbar. Am nächsten Tag durfte ich schon anfangen. Meine Vorgeschichte interessierte die beiden kaum.

„Morgen ist wichtig, wer du heute bist und nicht, wer du gestern warst“, hatte mir die alte Frau mit auf den Weg gegeben.

Nachdem ich meine Arbeitsstelle dem Amt gemeldet hatte, stürzte ich mich voller Elan auf die Möbel. Rainer besaß zwar einige Werkzeuge, doch ich vermisste die Profimaschinen aus der Gefängniswerkstatt. Der Traum, irgendwann wieder mit solchen Geräten arbeiten zu können, lag noch in weiter Ferne.

„Hätte nicht gedacht, dass du die Teile so gut hinbekommst.“

„Hey, Rainer, dass ist doch noch gar nichts. Die alte Kommode wird wahrscheinlich bald fertig, aber mit den Stühlen dauert es noch eine Weile. Hier guck mal, das Holz ist an einigen Stellen total morsch, ich werde noch ein paar Euro in neues Material investieren müssen, damit ich es in Form bringen kann. Dann sehen die Stühle wie neu aus. Passenden Lack hab ich hier auch schon gesehen, wäre cool, wenn ich den benutzen darf.“

„Da hat aber jemand gute Laune“, lachte er. „Logisch, nimm was du findest, ich brauch das Zeug nicht mehr.“

„Super, danke. Ja, meine Laune ist auch gut, ich hab einen Job gefunden, für den Anfang.“

„Dann dusch dich mal und komm in den Garten. Wir haben ein paar Kollegen zum Grillen eingeladen, die Meisten kennst du bestimmt noch. Dann kannst du gerne mehr erzählen, okay?“

„Oh ja, ein Garten voller Schließer, genau das, worauf ich den ganzen Tag gewartet hab.“

„Eben, also benimm dich.“

Eine halbe Stunde später stellte ich mich den Herren und natürlich Evelyn, die nicht so begeistert zu sein schien. Aber das ignorierte ich geflissentlich.

„Na Ingenberg, noch keine Sehnsucht nach deiner Zelle?“ Diese Frage konnte nur von Ricardo Zulke kommen, dem der Fitnessraum unterstellt war.

„Wieso, vermisst du es etwa schon, mir beim Schwitzen zuschauen zu können?“

„Blödmann“, bölkte er zurück. Die Lacher lagen auf meiner Seite.

„Hört mal, Thomas hat Arbeit gefunden, lasst uns auf ihn anstoßen.“

Einige Bierflaschen erhoben sich auf mein Wohl und ich bedankte mich für die Glückwünsche.

„Es ist nichts Großes“, erklärte ich. „Ich helfe ein wenig im alten Krämerladen aus. Lager und so was.“

„Lageraushilfe...“ Evelyn spuckte es fast verächtlich aus.

„Schatz, bitte! Es ist nicht leicht für ihn.“ Erst jetzt fiel mir die Anspannung zwischen den Eheleuten auf. Ihr Problem mit mir schien wirklich sehr tief zu sitzen.

„Ist okay, Rainer. Evelyn, ich weiß nicht, was ich dir getan habe, aber ich sehe das ich unerwünscht bin.“ Mein Hunger war eh zum Teufel. „Lasst euch nicht von mir stören, feiert noch schön. War nett, euch mal hier draußen zu sehen.“

Betretenes Schweigen begleitete meinen Abgang, lediglich der peinlich berührte Gatte der feinen Dame folgte mir.

„Thomas, sie meint es nicht so.“

„Doch, tut sie. Ich sehe auch, dass es euch belastet. Richard hält die Ohren offen, vielleicht seid ihr mich ja bald los. Ich brauch nur noch ein wenig mehr Geld für einen Umzug. Ich bin dir nicht böse, Rainer. Im Gegenteil, ohne deine Hilfe säße ich vielleicht tief in der Scheiße, ohne Wohnung. Vielleicht würde ich sogar noch einsitzen, bis sich irgendein Vermieter erbarmt hätte. Deine Frau... sie hat Vorurteile, wie viele andere auch und sie will mich erst gar nicht richtig kennenlernen. Das ist okay.“

„Es tut mir wirklich leid. Wenn du noch mehr Augen brauchst, dann sehe ich mich auch mal um.“

„Ich kann gar nicht genug Augen haben. Los, geh zu deinen Kollegen zurück, ich krieg die Zeit schon in der Garage rum.“

Schlimmer noch als die Ablehnung, traf mich die Einsamkeit. Ich stürzte mich in die Arbeit und die Tage vergingen schnell. Doch die Abende, bis zum Schlafen, zogen sich ständig weiter in die Länge. Oft dachte ich an Jakob zurück und meine Sehnsucht, nach einem Mann an meiner Seite, wuchs allmählich ins Unendliche.

Einerseits hatte Richard Recht, ich müsste unter Leute gehen, aber er kannte die Angst nicht, die Angst jemanden zu treffen, der einen dann wieder verlässt, wenn meine Vergangenheit ans Licht kommen würde. Nur wenige waren wie die Bankows. Das Leben in Berlin war schnell und die Stadt zu groß. Die Leute ließen sich nicht viel Zeit, um ein Urteil zu bilden.

Fast einen Monat nach meiner Entlassung begann eine Veränderung in meinem Leben. Wie so oft arbeitete ich vor dem Laden und füllte die Obstkisten auf. Hinter mir nahm ich eine Bewegung wahr.

„Habt ihr auch Äpfel?“

Ich spürte eine leichte Berührung an meinem Hintern und drehte mich um. Der Typ kam mir bekannt vor. Dunkelblonde Haare, blaue Augen, recht niedlich und er wirkte irgendwie ziemlich ausgezehrt, vielleicht ein Junkie?

„Direkt vor deiner Nase, sie beißen dich gleich“, gab ich zurück. Doch er hatte es sich offenbar anders überlegt und winkte ab.

„Ach ne, doch kein Hunger.“

In dem Moment dämmerte es mir, er war der Schreihals aus dem Jobcenter. Und aus einem Reflex heraus ergriff ich ihn gerade noch am Handgelenk, bevor er verschwinden konnte.

„Hey, lass mich los oder ich ruf die Bullen“, brüllte er mich gleich an.

„Das ist ne gute Idee, mach nur. Aber ich glaube du wirst Probleme haben denen zu erklären, warum du meinen Geldbeutel in der Tasche hast.“ Sein Griff war schnell, aber nur fast perfekt.

Nun grinste er mich unverschämt an.

„Beweis das mal.“

„Mein Perso ist drin. Und noch ein Passfoto. Sieht schlecht aus.“

„Ach Scheiße... hey komm, alles cool, ruf nicht die Bullen. Vielleicht können wir uns irgendwie einigen?“

„Und wie stellst du dir das vor?“

„Wenn du willst, dann kannst du alles haben, was du vor dir siehst.“

„Sorry Kleiner, ich denke du bist mir etwas jung. Hau einfach ab.“

Er seufzte kurz, warf nun doch noch einen kurzen Blick auf die Äpfel, drehte sich um und wollte verschwinden. Doch wieder hielt ich ihn fest.

„Hast du nicht was vergessen?“

Er zuckte verlegen mit der Schulter. „Es war den Versuch wert.“ Dann griff er in seine Tasche und gab mir mein Geld zurück.

Gerade als er weiter wollte, rief ich ihn nochmals zurück. „Hey Kleiner! Der geht auf mich.“

Er drehte sich um und fing den Apfel, den ich ihm zugeworfen hatte. „Danke, bist cool. Und ich heiße Mats, nicht Kleiner.“

Ein wenig erinnerte er mich an die Zeit vor dem Gefängnis. Kein Geld, die ersten Diebstähle und Einbrüche, bis ich keine Chance mehr sah und mich an dieser hirnrissigen Entführung beteiligt hatte. Fünf Jahre meines Lebens hatte mich das gekostet und eine unerfüllte Liebe zu meinem Opfer.

„Mats, wenn du Hunger hast, dann komm in einer Stunde vorbei. Ich hab dann Schluss, falls du ‘nen Burger und Fritten willst.“

Er blieb tatsächlich stehen und drehte sich um.

„Kein Scheiß?“

„Ehrenwort. Siehst aus, als ob du was vertragen könntest.“

Noch blieb er unschlüssig stehen und ich machte einen Schritt mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. „Hi, ich bin Thomas. Und die Sache von eben ist vergessen.“

Mats nahm meine Hand und schüttelte sie, nur um sich dann gleich zu verabschieden, da er sich noch ein wenig frisch machen wollte, bevor wir essen gingen. Ein wenig war ich über mich erstaunt, denn eigentlich wollte ich mich von solchen Typen fernhalten. Er roch nach Ärger und den konnte ich, gerade wegen meiner Bewährung, nicht gebrauchen. Aber eine Art von Verantwortungsgefühl überwog die Vernunft.

Gegen Feierabend fegte ich noch das Lager und schlüpfte in ein frisches Shirt. Eigentlich hätte ich mich noch gerne gewaschen, denn die Hitze hatte die Stadt weiterhin im Griff. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass die Essenseinladung kein Date war.

Vor dem Laden wartete auch schon Mats, offenbar frisch geduscht und in sauberen Klamotten, aber mit düsterer Miene.

Mats

Noch immer hielt ich die Hand fest, die Thomas geschüttelt hatte. Wegen des missglückten Diebstahls fühlte ich mich mies. Also nicht, weil er missglückt war, sondern weil Tom so nett zu mir war. In seiner Nähe hatte ich mich irgendwie wohl gefühlt, er sah ziemlich geil aus und sein Geruch machte mich ganz kirre. Zum Glück hatte er nicht bemerkt, dass ich allein vom Händeschütteln einen Ständer bekommen hatte. Ich litt offensichtlich unter sexuellem Notstand.

Daheim suchte ich mir schnell frische Sachen und sprang unter die Dusche. Das kalte Wasser brachte nicht die erhoffte Abkühlung, also half ich mit der Hand nach.

Seine Einladung kam wie gerufen, richtig gegessen hatte ich schon seit ein paar Tagen nicht mehr.

Die Klingel riss mich aus der Entspannungsphase und tropfnass begab ich mich zur Tür. Der Spion gab den Blick auf meinen Hausmeister frei und ich zurrte das Handtuch fest um die Hüfte.

„Hallo, Herr Jorgensen“, begrüßte er mich mit einem fiesen Grinsen. Der Mann hasste mich einfach und die fröhliche Visage konnte nichts Gutes bedeuten. „Ist Ihnen noch nichts aufgefallen?“

Angesäuert rümpfte ich die Nase. „Sie wissen seit einer Woche nicht mehr, wo die Dusche ist?“ Eigentlich wollte ich ihm damit das Grinsen aus der Fresse zaubern – gelogen war es aber nicht, er stank - doch seine Lippen zogen sich noch weiter in die Breite.

„Machen Sie sich mal keine Sorgen um meine Hygiene, ich habe hier was für Sie.“ Am liebsten hätte ich ihm die entblößten, tiefgelben, fast schon braunen Zähne ausgeschlagen, doch ein Blick auf den Zettel, den er mir in die Hand drückte, ließ erstmal alle Farbe aus meinem Gesicht weichen.

In schmucklosen Buchstaben stach mir das Wort ‚Sperrauftrag’ förmlich in die Augen. Darunter eine Aufstellung der ausstehenden Stromabschläge.

„Schönen Tag noch, Herr Jorgensen. Sie sehen schlecht aus, trinken Sie mal was Kaltes.“ Lachend ließ er mich zurück. Mit wenig Hoffnung öffnete ich den Kühlschrank und starrte auf die Pfütze am Boden, die stetig von Tropfen aus dem Eisfach genährt wurde. Eine lauwarme Flasche Bier stand noch im Seitenfach. „Scheiße!“

Das letzte Tiefkühlgericht nahm ich aus dem Fach, der Karton war von Wasser durchzogen, und wollte es kurz in der Mikrowelle garen. Allein für den dämlichen Gedanken lachte ich mich aus.

Kevin hatte mich, wie versprochen, nicht mehr mit diesen Jobangeboten behelligt und eigentlich hätte ich es auch nicht tun können. Der Gedanke, mich an irgendein Arschloch zu verkaufen, war mir unerträglich. Ich brauchte Gefühle dafür, wie mir dieser beschissene Dreier bewiesen hatte. Colin zu ficken war kein Spaß, es war Aggressionsabbau wie Holz hacken, nur mit Orgasmus. Aber keiner, der nur ansatzweise befriedigend war. Und das nur, weil mein Kumpel sich nicht zwischen Sex und einem Abend mit mir entscheiden konnte. Scheiß Stolz, ein teurer Luxus.

„Okay, Kevin“, sprach ich zu mir selbst. „Heute Abend muss ich wohl zu dir.“ Stolz konnte ich mir ab jetzt nicht mehr leisten.

Trotzdem machte ich mich zeitig auf den Weg, mein Magen knurrte.

Thomas

Mats war bei weitem nicht mehr so gesprächig, irgendwas ging in ihm vor. Schweigend folgte er mir in Richtung Forum, zur Burgerbude, wo ich ihm gleich zwei Menüs besorgte. Ich hatte nicht mal meine eigenen Pommes auf, da war er schon komplett mit allem fertig.

Mit hochgezogener Augenbraue beobachtete ich, wie er angestrengt die letzten Tropfen seiner Cola durch den Strohhalm zog.

„Ich hab nicht so viel Hunger, willst du meinen Burger?“

Mats schüttelte den Kopf. „Nein, danke.“ Doch er schielte verstohlen auf das angebotene Fleischbrötchen. Also schob ich es ein wenig in seine Richtung. Es wirkte: Hungrig nahm er es und verschlang es wie die Vorherigen.

Auf die Frage, ob er ein Problem hätte, schüttelte er verneinend den Kopf, betrachtete mich aber nachdenklich.

„Sag mal, Thomas... ich würde mich echt gerne revanchieren. Wollen wir nicht noch zu dir?“ Der Stimmungswechsel kam plötzlich und das anzügliche Grinsen ließ keinen Zweifel daran, wie er das anstellen wollte.

„Wie kommst du eigentlich darauf, dass ich schwul sein könnte?“

Er lachte. „Weil du mir das vorhin gesagt hast!“

„Na, das wüsste ich aber“, antwortete ich stirnrunzelnd. Angestrengt versuchte ich mich an das Gespräch zu erinnern, doch seine Antwort ließ nicht auf sich warten.

„Ich hab dir vorhin angeboten, dass du mich poppen kannst, wenn du die Polizei aus dem Spiel lässt.“ Wieder das Grinsen. „Du hast, gesagt ich wäre zu jung. Ne Hete hätte gesagt, dass er nicht auf Typen steht.“

Für einen Moment blieb mir die Sprache weg, Mats hatte natürlich Recht. Mein Schweigen trieb ein siegessicheres, stummes Lachen in sein Gesicht.

„Okay, Punkt für dich. Aber deshalb muss ich trotzdem nicht Bock auf diese Form der Revanche haben. Das du mir zu jung bist, war mein Ernst. Du bist doch höchstens 17“, riet ich drauf los. Eigentlich war er schwer einzuschätzen, sein aktueller Zustand war nicht der beste. Oberflächlich betrachtet attraktiv, aber es war etwas in seinen Augen, dass nicht zu der aufgesetzten Fröhlichkeit passte. Mein Instinkt sagte etwas sehr deutliches: Mats steckte knietief in der Scheiße.

„Ich bin 19“, grummelte er amüsiert zurück. „Seh ich aus wie so ein Baby?“

Nun, in dem Alter war eine kleine Fehlerquote erlaubt. Mein anderer Eindruck blieb aber aufrecht.

„Damit bin ich trotzdem noch 14 Jahre älter als du.“ Ungläubig sah er mich an.

Mein Herz klopfte, denn die Erinnerung an Jakob kam zurück. Damals war auch er 19. Der Unterschied zwischen den beiden konnte kaum größer sein, denn im Gegensatz zu dem jungen Studenten war Mats unreif und leichtfertig. Aber war der Vergleich gerecht? Er stammte sicher nicht aus einem reichen Elternhaus, hatte nicht dieselben Chancen. Doch konnte das den fehlenden Ehrgeiz entschuldigen? Ich war sicher nicht der Erste, den er bestehlen wollte, oder dem er sich so an den Hals warf.

„Machst du das eigentlich öfter? Ich meine klauen und... na du weißt schon.“

Seine Mimik machte deutlich, dass er diese Art von Fragen nicht leiden konnte.

„Das geht dich nichts an“, lautete dementsprechend auch seine Antwort. „Ich bin kein Stricher, oder so ein Scheiß.“

„Hey, ich habe nichts von Stricher gesagt. Mir kommt es trotzdem komisch vor, dass du mit mir in die Kiste willst, weil ich nicht die Polizei gerufen habe.“

Mats stand einfach auf. „Danke für das Essen, man sieht sich.“

Möglicherweise täuschte ich mich, aber er schien mit seiner Fassung zu kämpfen. Zwar versteckt, aber ich kannte solche Reaktionen nur zu gut.

„Mats, warte, bleib hier! Ich will dir nicht ans Bein pissen, nur helfen, wirklich.“

Mit dem Rücken zu mir blieb er stehen. Auch wenn er noch nichts sagte, oder sich umdrehte, war das schon mal ein kleiner Anfang. Er hatte ja auch ein wenig Recht, Misstrauen kann sehr gesund sein, wenn ein Fremder helfen will.

Wer Vertrauen will, muss Vertrauen geben, so lautete ein kleines Sprichwort, welches nicht nur im Knast wichtig war. „Vielleicht kann ich dir helfen zu vermeiden, was mich ein paar Jahre meines Lebens gekostet hat.“

Der Köder war ausgeworfen und Mats biss an. „Was meinst du?“

„Knast“, lautete die knappe Antwort. Mehr brauchte es nicht, denn er setzte sich wieder zu mir. „Ich werde dir ein wenig darüber erzählen, aber sicher nicht hier. Ist kein Thema für eine Gaststätte. Du wolltest doch mit zu mir?“

Nur wenige Minuten später lief er neben mir her. „Wie lange?“

„Beinahe fünf Jahre. Eigentlich sechs, aber ich bin auf Bewährung. Ein Grund, warum es für mich nicht gut ist mit dir rumzuhängen. Denn du kannst sagen, was du willst, so kaltschnäuzig wie du vorhin warst, war das nicht dein erster Diebstahl.“

„Stimmt“, seufzte er. „Ich bin auch auf Bewährung... 10 Monate, Bewährungszeit drei Jahre.“

Weit war es nicht mehr bis zur Wohnung und ich machte ihm klar, dass ihn bald ein Donnerwetter erwarten würde. Und das kam, kaum das die Tür hinter uns ins Schloss fiel.

„Bist du eigentlich wahnsinnig? Wenn du jetzt erwischt wirst, dann ist das mit der Bewährung vorbei! Wegen dem Mist kannst du sogar ein paar Jahre bekommen. Und das schwöre ich dir, du wirst im Knast nicht glücklich. Du bist jung, ganz hübsch und nicht stark genug, um dich wehren zu können.“ Es war nicht nötig, noch deutlicher zu werden, die Anspielung kam an. Doch eins musste ich dennoch nachsetzen.

„Schau mich an, ich bin nicht schwach, aber selbst ich hatte kaum eine Chance.“

Mats sah nun wirklich geschockt aus und ich bot ihm erstmal ein Bier an.

„Du hast dich nicht gewehrt?“

„Doch“, lachte ich bitter. „Hab einen von denen grün und blau geschlagen, als er mir unter der Dusche zu nah kam. Das hat auch super funktioniert. Am nächsten Tag kamen gleich vier von ihnen. Einen habe ich umgehauen, danach lag ich drei Wochen auf der Krankenstation.“

„Ha-haben sie dich...“ Er stotterte ein wenig, aber seine Aussichten waren wirklich nicht rosig.

„Sie haben mir den Arsch aufgerissen, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber nicht nur deswegen war ich auf der Station. Danach haben sie mich weichgeprügelt. Leider bin ich erst dabei bewusstlos geworden. Mats, Knast ist kein Spaß.“

„Aber... es hat nicht aufgehört?“ Mittlerweile hatte er nach meiner Hand gegriffen. Auch wenn es tröstend wirken sollte, hielt ich eher ihn als er mich.

„Nicht so wie du denkst. Klar es wurde besser. Aber die wichtigste Lektion war, dass ich mich nicht zu sehr wehren durfte. Mein Zellengenosse hat irgendwann auf mich aufgepasst, ihn ließ man in Ruhe. Dafür musste ich ihm dann ab und an einen Gefallen tun. Das war ganz okay, er hatte kein Interesse, mir weh zu tun.“

Die selbstsichere Fassade bei meinem Gegenüber lag in Trümmern zu seinen Füßen, Mats hatte jetzt richtig Schiss. Es war Zeit zum Vorstoß.

„Also, was ist mit dir?“

Mats fing an zu erzählen, anfangs noch mit zittriger Stimme. Vieles von dem hatte ich vermutet. Das meiste war seine Schuld, insgesamt eine Mischung aus Faulheit und Pech. Er war richtig pleite und derzeit bestand kaum eine Chance auf Unterstützung von Vater Staat. Das hatte er richtig versaut.

„Und was hast du jetzt vor?“, fragte ich ihn, als er mir das gröbste Leid gebeichtet hatte.

„Anschaffen?“ Die Antwort war nur noch halbherzig, offenbar hatte er wirklich darüber nachgedacht.

„Bist du dafür nicht ein wenig zu alt? Dann werde lieber Knastschlampe, da wird wenigstens nicht wegen Gummis gefeilscht, keiner ist scharf auf HIV.“ Die harten Worte fielen mir nicht leicht, denn langsam bekam ich wirklich großes Mitleid, doch das sollte er noch nicht spüren.

„Aber was soll ich denn tun? Ich hab kaum noch was fürs Essen übrig, keine Ahnung wie lange die noch Miete zahlen. Ich bin am Arsch, Thomas! Die letzten Euros hab ich ein paar Passanten abgezockt, aber kaum einer hat noch richtig Asche dabei.“

„Die Arschbacken zusammenkneifen und dir ernsthaft einen Job suchen, das kannst du tun. Es klingt ja fast so, als ob die anderen Schuld hätten, weil die nicht genug Geld haben, wenn du sie beklaust.“

„So meine ich das doch nicht. Und Jobs? Was denn, es gibt doch nix für mich.“

„Glaubst du, es ist mein Traumjob für 450 Euro im Monat in dem kleinen Krämerladen zu arbeiten? Ich bin vorbestraft, wenn jemand jammern darf, dass er keinen Job findet, dann bin ich das. Aber ich jammere nicht, sondern mache, was möglich ist, bis mir irgendjemand ‘ne Chance gibt und ich diese verdammte Stütze loswerde.“

Volltreffer. Mats fiel dazu nichts mehr ein, er blickte lediglich resignierend zu Boden. „Hätte ich das gewusst, dann hätte ich es bei dir nicht versucht oder mich zum Essen einladen lassen. Es tut mir leid, wenn ich dir zur Last falle.“

„Tust du nicht. Ich komme ganz gut klar im Moment und außerdem wollte ich dir ja helfen. Doch eins noch: die anderen, die du beklaut hast, was ist denn, wenn du denen das gesamte Geld für den restlichen Monat genommen hast? Mal daran gedacht? Denkst du, du bist die einzige arme Sau, die da draußen rumrennt? Würdest du dich jetzt auch nur einen feuchten Dreck um mich scheren, wenn ich dich nicht bemerkt hätte?“

Verzweifelt sah er mich an und schien den Tränen nahe. Es war offensichtlich, dass er sich darüber bisher nie Gedanken gemacht hatte.

„Du bist nicht dumm, das steht fest. So wie du mich heute reingelegt hast, um zu erfahren, ob ich schwul bin. Aber du bist ansonsten ein gedankenloser Egoist.“

Es war nicht mein Ziel, ihn zum Weinen zu bringen, aber ich hatte es getan. Er mochte 19 Jahre alt sein, aber innerlich war er fast noch ein Kind. Die Vermutung lag nahe, dass er schon eine Weile auf sich gestellt war und niemanden hatte, der ihn auf den richtigen Weg brachte. Etwas hilflos versuchte ich ihn in den Arm zu nehmen, doch er stieß mich wütend zur Seite und rannte aus meiner Wohnung.

Mats

Panik und Wut, mehr fühlte ich nicht in diesem Moment, bis er seinen Arm um mich legen wollte. Ich fing an mich für den ganzen Scheiß zu schämen, den ich verzapft hatte, für meine dämliche Naivität. Natürlich war ich zu alt für einen ‚erfolgreichen’ Stricher und meine Diebstähle kamen mir jetzt richtig falsch vor. Seine Worte glitten durch mich durch wie ein Messer durch warme Butter. Ich bemerkte nicht mal mehr, dass ich kurz vor dem Haus stehen blieb und mir die verfluchte Seele aus dem Körper heulte. Was machte er nur so anders? Gegen Beleidigungen und Spott war ich immun, aber das?

Den Schatten vor mir bemerkte ich erst, als sich zwei Arme um mich schlossen. Thomas war mir gefolgt und ich versuchte mich zu befreien, doch mein Körper reagierte nicht. „Lass mich los, ich hasse dich!“ Eigentlich wollte ich es ihm entgegen schreien, doch es kam nur ein ersticktes Krächzen.

„Wenn du das musst, dann tu es, hasse mich. Aber es wird dir nicht helfen.“ Im Gegensatz zu vorhin war nun keine Härte mehr in der Stimme. „Komm rein und trink noch was mit mir. Ich hab keinen Grund dich weiter zu bedrängen, du hast verstanden, was ich dir sagen wollte.“

Wortlos ließ ich mich zurück in die Wohnung schieben. Thomas bugsierte mich auf die Couch und brachte noch zwei kalte Bierflaschen mit.

„Was hast du für die sechs Jahre angestellt?“

Thomas wirkte unschlüssig, ob er mir davon erzählen sollte.

„Anfangs waren es drei Jahre. Freiheitsberaubung und räuberische Erpressung, allerdings mit mildernden Umständen. Im Gefängnis habe ich mich für diverse Diebstähle und Einbrüche angezeigt. Ich wollte reinen Tisch machen, mit allem abschließen. Dafür gab es dann drei weitere Jahre. Ebenfalls ein sehr mildes Urteil.“

„Du hast jemanden entführt?“ Das hätte ich ihm nicht zugetraut.

„Nicht allein“, wich er mir erst aus. Sein Gesicht war voller Emotionen. „Er war in deinem Alter, Jakob. Mein Partner und ich hatten ihn aus seinem Haus geschleppt, seinen Freund dabei niedergeschlagen. Doch ich hatte mich in Jakob verliebt.“

Stumm dachte ich nach, vor einigen Jahren kam etwas über das spektakuläre Ende einer Entführung in den Nachrichten.

„Ich hab alles getan, damit er es so gut wie möglich hatte, doch gegen meinen damaligen Partner war ich machtlos. Alles eskalierte und am Ende sollte ich Jakob erschießen, doch ich weigerte mich. Mac, mein Partner ging auf uns los und ich schoss. Doch er war nicht tot. Als ich Jacky befreien wollte, stach Mac mich nieder. Fast hätte ich das nicht überlebt. Jakob erschoss Mac. Damals hab ich mir oft gewünscht, dass das Messer seine Arbeit vollendet hätte.“

Nun hatte auch Thomas mit Tränen zu kämpfen. Ich konnte kaum glauben, dass er das alles ausgerechnet mir erzählt hatte. Es war der Fall aus den Nachrichten, durch seine Erzählung kam die Erinnerung wieder und auch die Kommentare meiner Eltern, sie hätten das viel besser und überhaupt richtig gemacht.

„Guck nicht so, ich hab‘s ganz gut überstanden. Ich hoffe, dass er wieder mit seinem Freddy zusammen ist.“ Dann lachte er leise. „Als Verbrecher bin ich ein ziemlicher Versager, findest du nicht auch?“

„Vielleicht, aber nicht als Mensch.“ Und das meinte ich wirklich ehrlich. Niemals zuvor fühlte ich mich so verstanden. Er redete nicht einfach nur daher, er hatte Recht und wusste das auch.

„Ich war damals in einer ähnlichen Situation. Hatte nichts und ließ mich viel zu leicht locken. Aber niemand hat was zu verschenken. Und die bösen Jungs verlangen bald viel für ihre Dienste. Mich hielt aber niemand auf. Den Fehler musst du nicht wiederholen.“

„Aber wie soll es denn weitergehen? Ich kann mir ja nicht mal ‘ne Zeitung für Stellenanzeigen leisten.“

Thomas kam zum Sofa und griff in ein Regal über mir. „Hier, ich bin damit durch. Versuchs einfach. Und rede mit der ARGE, ich kann dir was für Bewerbungen leihen, du nimmst die Quittungen, lässt dir das Geld dafür geben und gibst es mir dann zurück.“

„Danke. Darf ich morgen wieder zu dir kommen?“ Es konnte nicht schaden, noch weiter mit ihm zu reden. Vielleicht hatte ich mich sogar ein wenig in ihn verknallt. Und die 14 Jahre mehr sah man ihm echt nicht an.

„Klar, aber jetzt mach dich erstmal frisch, dann gehen wir noch eine Kleinigkeit für dich einkaufen.“

Die Freude darüber wich schnell der Ernüchterung und ich schüttelte den Kopf. „Danke fürs Angebot, aber es macht keinen Sinn. Hab seit heute keinen Strom mehr.“

„Heute kommt‘s für dich aber echt ganz dicke“, seufzte er. „Da kümmern wir uns morgen drum. Du bleibst heute hier, kannst die Couch haben.“

Ein halbherziges Widerwort von mir, es war nur der Form halber, akzeptierte er nicht. Und ich konnte mir wirklich schlimmeres vorstellen, als bei diesem Kerl zu übernachten, wenn auch nur auf der Couch. Hier fühlte ich mich irgendwie sicher.

Mit der Aufforderung, „Komm, du kannst dich mal ein wenig nützlich machen“, bescherte er mir noch einen arbeitsreichen Nachmittag. Tom führte mich zur Garage, wo er dann eine ganze Weile an ein paar gammeligen Möbeln arbeitete. Ich durfte ab und an ein paar Sachen anhalten und Werkzeuge reichen. Nach und nach zerlegte er einen Stuhl, schliff das Holz ab und baute anderes wieder zusammen. Mit ihm machte es sogar ein wenig Spaß, trotz der fleißigen Schweigsamkeit. Er hatte es drauf. Und seine Nähe wurde für mich immer anstrengender, je mehr er bei der Arbeit schwitzte, sein Geruch machte mich irre scharf.

Im Laufe des Tages erzählte er mir, dass er das im Knast gelernt hatte, im Rahmen einer Ausbildung. Meine eigene, zum KFZ-Mechaniker, hatte ich nach einem Jahr geschmissen.

Der Abend kam schneller als gedacht und nach einem schnellen Abendessen, sowie einer lauwarmen Dusche – ohne extreme Temperaturschwankungen - zogen wir uns auf unsere Schlafgelegenheiten zurück. Es fiel mir schwer, ihm nicht ins Bett zu folgen, doch viel Zeit zum Bedauern blieb mir nicht, der anstrengende Tag brachte schnell den Schlaf.

Thomas

Noch lange lag ich wach im Bett und dachte darüber nach, was ich mir mit Mats eingebrockt hatte. Aber es half alles nichts, ich war einen Schritt zu weit gegangen und jetzt konnte ich es nicht mehr rückgängig machen, beziehungsweise wollte es nicht. Meine größte Sorge war, dass ich mich mit dem Hilfsangebot übernehmen könnte. Es musste eine möglichst einfache Lösung her.

Eine ganze Zeit später stand ich noch einmal auf und ging ins Bad, um im Anschluss einen vorsichtigen Blick ins Wohnzimmer zu riskieren. Der Anblick ließ mich schmunzeln, Mats hatte mir den blanken Hintern zugewandt und die dünne Decke hielt er mit Armen und Beinen umklammert.

Hübsch war er wirklich und ein gnadenloser Langschläfer, wie ich am nächsten Morgen feststellen durfte. Mittlerweile war es 8 Uhr durch und ich rumorte schon frisch geduscht durch die Küchenecke. Mein Übernachtungsgast blieb völlig unbeeindruckt weiter liegen und schnarchte leise vor sich hin. Auch das Klingeln an der Tür, eine weitere Stunde später, änderte nichts. Der Paketbote übergab mir meine Bestellung, ein gebrauchtes und sehr günstiges Buch über Holzbearbeitung und ich entschloss mich Mats zu wecken, immerhin hatten wir noch etwas zu erledigen.

Eine Tasse mit besonders starkem Kaffee stellte ich auf dem Wohnzimmertisch ab und beugte mich über ihn. Mit diesem entspannten Gesichtsausdruck wirkte er noch viel jünger, als mit der durchtriebenen Maske, die er gestern noch trug. Vorsichtig rüttelte ich an seiner Schulter.

„Hey, aufwachen, du Schlafmütze!“

Langsam – und ich meine wirklich sehr langsam - wachte er auf. Für einen Moment wirkte er irritiert und lächelte mich dann an. „Morgen, Tom.“

„Nix da, es ist bald Mittag. Komm in die Gänge und trink deinen Kaffee.“ Etwas zu schnell entfernte ich mich von der Couch, bevor mein Wunsch, mich dazu zu kuscheln, noch größer wurde. Immerhin war es eine Weile her, dass ich so eine intime Situation ohne Zwang erlebt hatte. Im Endeffekt war ich halt auch nur ein Mann und Mats mochte ich irgendwie, was es mir nicht einfacher machte.

Ihm schien es nicht anders zu gehen, denn er wirkte etwas enttäuscht. „Keine Sorge, wenn das mit dem Strom klappt, dann bist du mich ja schnell wieder los.“

„Ich will dich doch gar nicht loswerden“, seufzte ich. „Ich will im Moment nur nicht darüber reden. Trink jetzt bitte deinen Kaffee und lass uns losgehen! Wir unterhalten uns später darüber.“

Mats schüttete sich den Kaffee regelrecht in den Hals und marschierte extra langsam nackt und mit prachtvoller Morgenlatte an mir vorbei ins Bad, als wolle er deutlich zeigen, was ich seit gestern ständig ablehnte. Wenn ich behaupten würde, dass mir nicht das Wasser im Mund zusammenlief, dann hätte ich gelogen. Gleichzeitig hatte ich aber auch Angst, dass der junge Kerl sich in mich verknallen könnte, denn irgendwas musste ihn an mir ja reizen, das er es immer wieder darauf anlegte.

Der Besuch bei den Versorgerbetrieben war ein Reinfall. Ohne eine Zahlung von mehr als 200 Euro wollten die nicht mal daran denken, den Strom wieder einzuschalten. Ich bot der Sachbearbeiterin sofort die Hälfte aus eigener Tasche und den Rest im Folgemonat an, doch hier war es Mats, der sich weigerte.

„So dicke hast du es bestimmt auch nicht und ich kann dir das garantiert nicht sofort zurückzahlen.“

„Dann machst du es später.“

„Nein. Dann bleib ich lieber im Dunklen.“ Er blieb stur und die Dame von den Stadtwerken zuckte mit den Schultern. Sie wäre auf meinen Deal sonst eingegangen.

Auf dem Rückweg zu mir, beschlich mich ein mulmiges Gefühl und ich drehte mich mehrmals um, konnte aber nichts Auffälliges entdecken.

„Es tut mir Leid, Tom, aber ich will das wirklich nicht. Am Ende setz ich es in den Sand und du wartest vergeblich auf das Geld. Bei jedem anderen wäre mir das wahrscheinlich scheißegal. Sorry, aber ich geh besser heim.“

Wortlos hielt ich ihn am Arm fest und sah ihn einfach nur an. „Es ist kein Problem, wenn du ein paar Tage bei mir bleibst, vielleicht findet sich ja eine Lösung.“

„Für dich ist es vielleicht keins“, antwortete er leise. „Mach dir keine Umstände! Ich kann vielleicht bei einem Freund unterkommen. Trotzdem danke.“

Ich konnte ihn ja kaum zwingen und ließ ihn ziehen, mit einem schlechten Gefühl in der Magengegend. „Mach keine Dummheiten und wenn was ist, dann komm zu mir, versprochen?“

Er nickte und trottete über die Straße. Ich sah im nach, bis er um die nächste Straßenecke verschwand.

Pünktlich zur 12-Uhr-Lieferung kam ich am Laden der Eheleute Bankow an und kümmerte mich um das Ausladen der Getränkekisten. Bei der Hitze konnte es nie genug Nachschub geben. Natürlich erkundigte ich mich, ob sie noch eine Aushilfe gebrauchen konnten, doch die Antwort war leider ein ‚Nein’. Rajko, mein kroatischer Kollege, und ich reichten den Rentnern aus. ‚Wenn ich nur endlich richtige Arbeit finden würde’, dachte ich nach, ‚dann wäre hier vielleicht was für Mats frei’.

Nach der Schicht machte ich mich auf den Weg zu meinem Stammlokal, das ‚Pub-Lissy-T.’ (gesprochen Publicity), im Herzen von Steglitz.

Dieser Laden war wirklich etwas Besonderes. Die Besitzerin, Elisabeth Teuber, oder einfach nur Lissy, gehörte vor einigen Jahrzehnten zu den bekanntesten Prostituierten West-Berlins. Gerne erzählte sie alte Geschichten, teilweise nicht ganz jugendfrei. Bei den Amerikanern war sie besonders beliebt, von denen bekam sie dann auch ihren Spitznamen ‚Lissy T.’

Auf alten Fotos konnte man sehen, wie hübsch sie damals war. Heute war sie eine herzliche und leicht mollige alte Frau.

Ihr Laden bot bodenständiges Essen für wenig Geld und hatte auch sonst ein paar Besonderheiten. Jeder Wochentag stand unter einem Motto, nach einem Zeitungsteil benannt. Der Montag war zum Beispiel „Das Feuilleton“. Nachwuchskünstler führten auf der kleinen Bühne eigene Theaterstücke vor, oder es gab handgemachte Musik. Das Speise- und Getränkeangebot richtete sich immer ein wenig nach dem Motto. An Freitagen, wie heute, gab es „Der Stellenmarkt“, eine richtige kleine Jobbörse.

Das Essen schmeckte, wie immer, aber die Arbeitssuche blieb erfolglos. Die Stellenangebote waren derart mies, dass es keinen Sinn gemacht hätte, den Job bei den Bankows aufzugeben.

Am frühen Nachmittag werkelte ich bereits wieder in der Garage und musste feststellen, dass mir die Gesellschaft meines Sorgenkinds ein wenig fehlte.

Mats

Kaum war Tom außer Sicht, rannte ich los bis die Lungen brannten. Merkte er nicht, dass ich in ihn verschossen war, oder wollte er es nicht merken? Ich kannte so was nicht, dass mir jemand so großzügig helfen wollte, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Dabei hatte er doch selber kaum was.

Schweren Herzens machte ich mich auf den Weg zu Kevin. Was war eigentlich mein Problem mit ihm. Eifersucht? Wenn wir ein Paar wären, dann könnte ich es ja verstehen. Aber wir waren es nicht, nur Freunde, kein ewiges Treuversprechen. Doch warum tat es dann so weh, wenn er mit anderen vögelte?

Es dauerte ewig, bis mein Kumpel zur Tür kam, total verpennt.

„Man, Mats, was soll die Hektik so früh am Morgen?“ Sein Tonfall ähnelte dem vom Ende unseres letzten Treffens.

„Es ist Mittag. Darf ich reinkommen?“ Ohne auf die Antwort zu warten, drängte ich mich an ihm vorbei und warf auch einen Blick durch die offene Schlafzimmertür. Das Bett war leer.

„Sorry, ich hatte noch ... so was wie Besuch, der ging erst heute Morgen wieder.“ Eilig räumte Kev ein paar Hunderter vom Schuhschrank.

„Besuch, verstehe.“ Da war es wieder, dieses kleine Stechen.

„Ich habe einfach nicht damit gerechnet, dass du so schnell wieder auftauchst.“ Erst jetzt sah er mich richtig an. „Man, du siehst scheiße aus. Hast du geheult?“

Bevor ich antworten konnte, zerrte er mich in seine Kochnische und setzte Kaffee auf.

„Ist ‘ne lange Geschichte, grad läuft alles irgendwie drunter und drüber. Willst du schnell duschen? Dann können wir reden, okay?“

Kevin erfrischte sich in neuer Rekordzeit und kam kurz darauf etwas mehr bekleidet zurück. Ich erzählte ihm alles über den gestrigen Tag und auch über heute.

„Aber du bist nicht zu alt“, war das Erste, was ihm dazu einfiel. „Ein paar Escort-Jobs kann ich dir garantiert vermitteln.“

„Sag mal, ist das alles was dir dazu einfällt?“, brüllte ich ihn an. „Lies mal zwischen den Zeilen, ich hab mich wahrscheinlich in Tom verknallt! Und du schlägst mir vor, mich von ein paar Typen gegen Kohle ficken zu lassen. Tolle Wurst. Nein, toller Freund!“ Ich war wieder den Tränen nah, etwas mehr Sensibilität hatte ich von meinem besten Freund irgendwie erwartet.

„Tut mir leid, ich bin ein Idiot.“ Kev kam zu mir und nahm mich in den Arm. Genau das, was ich jetzt brauchte. Auch wenn er mir langsam fremd wurde, sein Geruch war noch vertraut.

„Kann ich ein paar Tage hier bleiben?“

Er sah mich traurig an. „Heute Nacht ist kein Problem. Aber morgen... ich hab Kundschaft. Vielleicht kann ich da noch absagen...“

„Ne, lass. Ist okay. Ich such mir morgen was anderes.“

„Mats?“, fragte er leise.

„Ja?“

„Irgendwas ist komplett anders zwischen uns. Seit Wochen weichst du mir aus, schreist mich an und beschimpfst mich. Ich weiß nicht, ob es dir auch so geht, aber ich vermisse dich. Du fehlst mir so unglaublich.“

‚Ja verdammt, du bist zum Edelstricher geworden’, dachte ich frustriert. „Und was vermisst du? Unsere Gespräche?“

„Auch.“ Seine Stimme wurde zu einem Raunen. Wortlos zog er mich an der Hand vom Stuhl und schob mich zum Schlafzimmer. Seine Hand griff in meinen Schritt. „Den hab ich auch vermisst.“ Er legte sich auf den Rücken und zog mich auf sich. „Und das“, presste er zwischen einer Vielzahl an kleinen Küssen hervor.

Ich ließ es zu, dass er mich auszog und ich half ihm ebenfalls aus seinen Klamotten. Für einen Moment war es wie früher, wir hielten uns in den Armen und streichelten uns gegenseitig. Er zog mich auf die Matratze und dann lagen wir beide in seinem Bett, inmitten von seinem und dem Schweiß des ‚Kunden’. In dieser Sekunde änderte sich wieder alles, die Abscheu kroch in meinen Verstand und vergiftete das zärtliche Gefühl von eben. Kevin bemerkte es nicht.

Er bettete seinen Kopf in meinen Schoß und schloss seine Lippen um meine Erektion. Mein Freund lutschte mich gnadenlos hart und rollte mir das Kondom über. Meine Wut verwandelte sich, kochte in mir hoch, so wie bei Colin. Wie ein Besessener stieß ich in ihn hinein und fickte mir den Frust aus der Seele. Es dauerte auch nur ein paar Minuten, bis ich schreiend in ihm kam. Nach kurzer Zeit bekam ich ein schlechtes Gewissen. Er hatte zwar abgespritzt, sah mich aber komisch an. Der glühende Zorn verflog und ich schämte mich wieder etwas.

„Sorry, ich weiß nicht was über mich gekommen ist“, entschuldigte ich mich deshalb.

„Naja, nicht ganz die erhoffte Kuschelnummer, aber das war auch okay, glaube ich.“

„Später“, nuschelte ich und kuschelte mich an seinen Rücken. Ich hatte ihn auch ziemlich vermisst, wie mir jetzt bewusst wurde. Kurz darauf schlief ich ein. Am Nachmittag lagen wir noch immer in seinem Bett, Kevin hatte sich auch noch nicht wieder angezogen.

„Bist du sauer?“, fragte ich ihn, da er sehr nachdenklich wirkend durch meine Haare streichelte.

Er schüttelte den Kopf. „Aber du bist seit der Nacht mit Colin so anders. Jetzt weiß ich, wie er sich gefühlt haben musste, als du ihn rangenommen hast. Es war überwältigend, fast schon ein wenig brutal. Aber so was kann mir jeder geben. Bei dir war es bisher immer so anders, liebevoller. Vorhin hatte ich nicht das Gefühl, dass du mich sonderlich magst. Dafür hast du ja jetzt deinen Tom, oder?“ Die Art und Weise, wie er die Frage aussprach, hatte einen seltsamen Unterton.

Kevin hatte Recht. Ich hatte ihn wie den Stricher genommen, den er mir mittlerweile so oft zeigte.

„Ich weiß nicht, was mit Thomas ist. Dass er mich auch so mag, ist ziemlich unwahrscheinlich. Aber er ist nicht unser Problem. Eine Weile gab es immer nur uns und ich fand es schön so. Doch was ist jetzt? Das mit Colin war nur noch der letzte Tropfen. Ich hab es nicht eine Sekunde genossen, ihn zu ficken.“

„Das hab ich sehen können, Mats. Dein Gesicht dabei hat mich erschreckt.“ Er machte eine kurze Pause, um sich wieder zu sammeln. „Dir gefällt nicht was ich tue, dass sehe ich ein. Aber ich bin immer noch derselbe. Dein Kevin, dein bester Freund seit scheißvielen Jahren. Und ich weiß grad nicht, was sich schlimmer anfühlt, dein Rückzug von mir, oder das du jetzt auch mich zum Abreagieren benutzt hast.“

Mein bester Freund fing nun auch an zu heulen und mein Herz schmerzte. In Tom war ich verknallt, aber auch mit Kevin verband mich mehr als Freundschaft. Er war meine Familie solange ich denken konnte. „Es tut mir leid, Kev.“ Natürlich mochte ich ihn. Nur dieser verdammte ‚Job’ zerstörte etwas zwischen uns.

„Lass uns die Nummer heute Mittag einfach vergessen, okay? Du hattest bestimmt deine Gründe“, schlug er nun vor und kuschelte sich dichter heran. Er verzieh mir den Ausraster, einfach so? „Ich möchte nicht den einzigen Menschen verlieren, der es ehrlich mit mir meint. Wenigstens einer, für den ich nicht nur Fleisch bin.“

Die kurze Zeit mit Thomas schien bereits auf mich abzufärben, was Kevin sofort zu spüren bekam. „Du machst dich selber zu dem Stück Fleisch. Weißt du noch... am Anfang hast du halt ein paar Knacker um etwas Kohle erleichtert, ihr habt ein wenig gefummelt und gut war‘s. Mittlerweile störe ich dich doch fast nur noch nach oder vor deiner Kundschaft. Und dann ficken wir in einem Bett, dass nach einem Fremden stinkt.“

„Aber ich brauch das Geld. Sonst reicht es hinten und vorne nicht.“

„Und wenn dich irgendwann keiner mehr kaufen will?“ Wie Thomas, benutzte auch ich absichtlich harte Worte.

„Keine Ahnung... Was soll ich denn machen?“

„Wir müssen es einfach wieder versuchen, ‘nen richtigen Job halt. Man, Kev, du bist viel zu wertvoll für die Typen.“ Mit dem letzten Satz brachte ich sein Lächeln zurück in sein Gesicht.

„Ich denk drüber nach. Und tut mir leid, dass ich dir im Moment ein schlechter Freund bin. Für das Wochenende bringt es dir vielleicht nicht viel, aber Montag zahl ich deine Schulden, dann kannst du wieder in deine Bude. Ich schenk es dir, als Entschuldigung dafür, dass ich dich überreden wollte.“

„Lass es. Thomas wollte das heute auch schon. Das läuft nicht.“

Kevin seufzte, denn er wusste, dass mein Dickkopf nicht mehr umzustimmen war. Unsere Laune war wieder im Keller und wir verbrachten den restlichen Abend einfach bei ihm daheim im Bett, in dem - außer Kuscheln - nichts mehr lief.

Thomas

Die Sonne stand mittlerweile ziemlich tief und lange Schatten fielen in das erhitzte Innere der Garage. Der Geruch von Holzspänen vermengte sich mit einer Spur von Benzindämpfen und meinem Schweiß. Das klatschnasse Shirt lag irgendwo in der Ecke und mein verschwitzter Oberkörper war über und über mit feinem Staub bedeckt.

Zögerliche Schritte auf harten Sohlen kündigten einen Besucher an. Rainer kam gerade vom Dienst und hatte offensichtlich etwas zu besprechen.

„Thomas, können wir kurz reden?“ Sein entschuldigender Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.

„Schieß los.“

„Eve meint, du hattest letzte Nacht Besuch.“ Daher wehte also der Wind. Ich nickte leicht. „Sie denkt... also, ich soll mit dir reden, weil...“

„Man, Rainer, hör bitte auf rumzustottern. Ja, ich hatte Besuch. Ein junger Kerl, der übrigens über 18 ist. Er ist kein Date, sondern nur ein Typ mit einigen Problemen. Es ist nicht verboten, jemandem für ein Weile ein Dach überm Kopf zu geben.“

Damit waren alle eventuellen Fragen seiner Frau beantwortet. Nicht, dass es sie was anginge, denn noch zahlte ich Miete und damit war es meine Wohnung. Rainer wirkte nicht besonders glücklich im Moment.

„Schlimm genug, dass ich ein Knacki bin, aber womit will sie denn noch alles Probleme haben? Ich bin halt schwul, na und?“

„Thomas, du weißt ich mag dich, aber sie ist meine Frau und ich will nicht noch mehr mit ihr streiten müssen, ich halte es einfach nicht mehr aus.“

„Ich suche ja schon längst, wie du weißt“, antwortete ich kühl. „Aber wenn Mats, der Typ von letzter Nacht, bei mir pennen muss, dann werde ich ihn nicht euch zum Gefallen wegschicken. Klar?“

„Okay, es ist ja deine Wohnung. Und danke. Such bitte in Ruhe, ich weiß ja, dass es schwer ist, hier was Vernünftiges zu finden in deiner Preisklasse. Ich bedauere es wirklich sehr, dass Evelyn damit nicht fertig wird.“

Und ich bedauerte, dass Rainer keine Eier hatte. Im Gefängnis war er eben ganz anders drauf. Nachdem ich nicht mehr geantwortet hatte, verschwand mein ‚Vermieter’ wie ein geprügelter Hund im Haus. Mit dem Arm verrieb ich den Holzstaub auf meiner Stirn und griff nach einer sehr alten Polaroidkamera, um ein weiteres Bild für meine ‚Vorher-Nachher’ Wand zu schießen. Ich hatte die Hoffnung, dass mir dieses irgendwann Chancen bei einem Betrieb verschaffen würde. Schätzungsweise eine Woche würde ich noch benötigen, um die Gartenmöbel in einen Wie-Neu-Zustand zu versetzen, da ich hier ja fast nur mit der Hand arbeiten konnte.

Für heute war ich mit der Arbeit fertig und machte mich auf den Weg in meine Dusche. Es war eine Wohltat, als der feine Dreck von mir floss. Ich setzte mich auf meinen Sessel, direkt am Wohnzimmerfenster, und genoss die etwas kühlere Luft aus dem Garten, während ich in meinem neuen Buch las.

Die Nacht verbrachte ich mit ein paar unruhigen Träumen, welche mich aufweckten und kaum in Erinnerung blieben. Es blieb nur das Gefühl, verfolgt zu werden. Diese Gedanken hielten mir auch am Morgen die Treue, ich schob es auf eine Art von Knastparanoia, vor der mich auch mein Bewährungshelfer gewarnt hatte. Zugegeben, die Freiheit konnte nach den fünf Jahren manchmal etwas erschrecken.

Rainer und Evelyn waren unterwegs auf Shoppingtour, die samstags schon sehr ausgedehnt ausfallen konnte und nach einem mittelprächtigen Frühstück begab ich mich wieder in die Garage. Sonst gab es ja nichts für mich zu tun.

Sorgfältig kontrollierte ich die frisch verleimten Rahmen zweier Stühle, bis jemand von unten gegen das Garagentor klopfte.

Ich drehte mich um und schloss nur mit sehr viel Mühe wieder meinen Mund, der sich selbstständig spontan geöffnet hatte. Ein ziemlich großer Mittzwanziger stand vor mir und bereitete mir leichtes Herzklopfen. Ein bildhübscher und – dank der Sommerbekleidung gut erkennbar - athletischer Kerl mit einem traumhaften Lächeln.

„Ja, kann ich was für dich tun?“, fragte ich deshalb ein wenig nervös.

„Nur wenn du dieser T. Ingenberg bist“, lächelte er freundlich zurück.

„Dann bist du richtig.“

Er reichte mir die Hand. „Ich bin René. René Wobrecht. Du hast eine rustikale Kommode zum Verkauf angeboten.“ In der linken Hand erkannte ich den Kleinanzeiger. Endlich Kundschaft.

„Thomas. Ja, die steht draußen ums Eck, wegen des Staubs hier. Willst du sie mal sehen?“

„Deswegen bin ich hier“, lachte er. Hoffentlich sah er mir meine Nervosität nicht so deutlich an.

Die Kommode betrachtete er eingehend von allen Seiten, zog an den Schubladen und öffnete die kleinen Türchen. Alles hatte ich in mühevoller Kleinarbeit bearbeitet und abschließend lackiert. Dieser René schien zufrieden zu sein. Merkwürdigerweise kam mir sein Name irgendwie bekannt vor.

„Sieht gut aus, meine Tante sucht genau so was. Aber was anderes, sind das Gartenstühle in der Garage?“

„Ja“, antwortete ich. „Aber ich bin noch nicht fertig. Die waren in einem schlimmeren Zustand als die Kommode. Ich hab ein paar Bilder, wenn du schauen willst.“

Er ließ sich nicht lange bitten und folgte mir an die Fotowand. „Das sind die Teile hier? Wow, super gearbeitet.“

Ich wurde das Gefühl nicht los, dass René ein wenig mehr Ahnung hatte. Umso mehr wunderte es mich, dass er ausgerechnet zu einem Garagenverkauf ging.

„Mein Onkel könnte einen wie dich ganz gut gebrauchen, du suchst nicht zufällig nach ‘nem neuen Job, oder?“

Nun hatte er mich endgültig aus der Fassung gebracht. „Doch, eigentlich schon. Ehrlich gesagt, sogar wirklich dringend.“

„Cool! Meinem Onkel gehört die Gustav Wobrecht GmbH und er sucht schon seit Monaten nach einem Mitarbeiter.“

Und damit fiel mein Traumkartenhaus auch wieder in sich zusammen. Natürlich hatte ich von der Firma schon gehört, schlimmer noch, auf meine Bewerbung kam relativ schnell eine Absage. Auch deswegen kam mir Renés Name gleich so vertraut vor.

„Sorry, aber dann wird das nichts. Ich hab mich vor ein paar Wochen dort beworben. Angeblich hatten sie schon jemanden eingestellt.“

René sah mich erstaunt an. „Nein, also nicht das ich wüsste. Das Inserat hat er Anfang der Woche wieder in die Zeitung setzen lassen.“

„Schon gut, ich glaub ihm passte der letzte Punkt im Lebenslauf nicht. Vergiss es einfach. Ex-Knackis will niemand, der was auf sich hält.“

„Oh“, kam es dann wenig einfallsreich von ihm. „Lass mich das machen, du hast es drauf und das zählt. Folgendes, ich kaufe die Kommode und du gibst mir das Bild mit. Wenn er das sieht MUSS er dir einfach eine Chance geben.“

„Dich scheint das mit dem Knast nicht zu stören.“

„Sollte es denn? Du bist draußen, also ist die Strafe, wofür auch immer, abgesessen. Ich bin ja nicht päpstlicher als der Papst. Außerdem, für einen Mörder, der entlassen wurde, bist du zu jung.“ Dass er den letzten Teil nicht ernst meinte, zeigte er durch ein kurzes, aber amüsiertes Zwinkern.

„Und du meinst das funktioniert?“ Überzeugt war ich nicht. Aber es wäre zu schön, Wobrecht hatte ein fantastisches Renommee.

„Vertrau mir. Also, was willst du haben?“

„50 Euro“, fragte ich mehr, als das ich es sagte.

René schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaub da ist noch ein wenig Platz zum Handeln.“

„Dann mach einen Vorschlag“, seufzte ich enttäuscht. Doch er grinste nur freudig.

„Also, 50 Euro für den einen Stuhl, ist auch eine gute Arbeitsprobe. Bitte mit Bild. Ich will aber eine Reservierung für den Rest, die Stühle passen super auf die Terrasse. Für die Kommode bekommst du 200 Euro. Ist eigentlich noch zu wenig, wenn man die Zeit bedenkt, die du hier mit dem Werkzeug gearbeitet haben musst. Mit der richtigen Ausstattung würde das schneller gehen. Also, was meinst du?“

Er lachte über den bescheuerten Gesichtsausdruck, den ich in dem Moment gemacht haben musste.

„Sorry, du kannst gut mit dem Kram hier umgehen, aber als Geschäftsmann bist du ne Niete. Also, haben wir einen Deal?“

Mehr als nicken konnte ich erstmal nicht. Zu meiner Sprachlosigkeit kam nun auch noch heftiges Herzklopfen, René war mehr als nur mein Typ. Leider sprach er über nichts anderes mehr als das Geschäft und wie sehr es seinen Onkel begeistern würde. Gemeinsam schleppten wir meine zwei Werke zur Straße, wo er passenderweise einen Transporter geparkt hatte. Nach dem Verladen bekam ich die versprochenen 250 Euro.

„Könntest du eventuell nächste Woche zum Probearbeiten kommen? Darauf wird er wahrscheinlich bestehen.“

„Vielleicht. Ich helfe in einem kleinen Laden aus, zwei Stunden am Tag. Vielleicht kann ich das tauschen. Aber ich habe kein Auto.“

„Kein Problem, wenn mein Onkel ja sagt, dann hole ich dich gerne persönlich ab. Vielleicht ist es dir ja auch lieber, wenn ein bekanntes Gesicht dabei ist. Onkel Karl wirkt zuweilen etwas mürrisch.“ Renés Art überforderte mich emotional in dem Moment total. Als er mir gegenüber stand und meine Hand zum Abschied schüttelte, stieg mir sein angenehmer Geruch in die Nase.

Mit einem „Bis nächste Woche, ich melde mich!“ überspielte er meine plötzliche Mundfaulheit und fuhr los.

„Super, Thomas!“, schalt ich mich, „Da kommt eine extrem sympathische Schnitte und du machst dich zum Affen. Ganz toll.“

Meinen Blick lenkte ich zurück auf das feste Papier in meiner Hand. Das war mehr Geld als ich zu träumen gehofft hatte. Und noch fünf weitere Stühle warteten auf ihn, vielleicht sogar der Tisch. Damit war ich einer möglichen Kaution für eine neue Wohnung ein Stück näher. Oder eigenen Möbeln. Mit dem Job wäre ich sogar richtig abgesichert. Doch mein Sinn für die Realität ließ mich erstmal abwarten.

Am späten Abend zog ein recht starker Sommerregen über die Stadt und ich begab mich zurück in die Wohnung. Rainer und seine Frau waren mittlerweile wieder da, doch es blieb gespenstisch still im gesamten Haus, lediglich der Regen trommelte leise gegen die Fenster. Ich starrte hinaus und beobachtete das entfernte Leuchten einiger Blitze, gefolgt vom leisen Grollen des Donners. Die bedrückende Atmosphäre entlud sich in einem starken Gewitter. Beinahe hätte ich das zögerliche Klopfen an meiner Tür überhört.

Mats

Der späte Samstagmorgen begann mit Schmerzen in der Schulter und einem starken Taubheitsgefühl im linken Arm. Kevins muskulöser Körper lag halb auf mir und er sabberte mir leise schnarchend auf die Brust. Für einen Moment war es wie früher, unsere Vertrautheit kehrte für einen Augenblick zurück. Sein friedliches Gesicht erinnerte mich an die vielen Gespräche über unsere Zukunftspläne, die wir vor einiger Zeit noch geführt hatten. Kindliche und naive Pläne waren es, aber es waren unsere.

Vielleicht liebten wir einander sogar, bevor wir mehr und mehr so was wie Fuck-Buddies wurden. Ja, früher war mir alles egal, wenn wir zusammen waren; ich brauchte nur ihn. Dass er es irgendwann anders sah, hatte geschmerzt. Kev wusste nicht, dass er mein erster und beinahe einziger Lover war. Dass er mir die vielen kleinen, zusätzlich erfundenen Abenteuer geglaubt hatte – ich wollte ja bei seinen Eroberungen mithalten - wunderte mich manchmal ein wenig. Es zeigte, wie oberflächlich unsere Beziehung geworden war, meistens jedenfalls.

Der geile Stecher Mats war eben lange Zeit einfach nur eine kleine, romantische Schwuchtel mit einem großen Maul, die für einen harten Kerl gehalten werden wollte. Und dann kam Thomas. Bei ihm fiel es mir leicht, ihn anzugraben und meinen Sprüchen Taten folgen zu lassen, wenn er mich gelassen hätte.

Aber was machte ich mir da vor, verglichen mit Tom war ich fast schon Dreck. Er war stark und keiner konnte ihm mehr was, er wusste was zu tun war. Und ich?

Ich lag hier im Bett und hing traurig den letzten Jahren nach, ohne Plan und meinen besten Freund betrachtend. Gedankenverloren streichelte ich durch sein wuscheliges Haar.

„Hey, guten Morgen“, hörte ich seine verschlafene Stimme. Seine Stoppeln kratzten beim Sprechen über meine Haut, bis er sich aufrichtete. „Sorry, hoffe dir tut nichts weh. Mats? Warum weinst du?“

Es war mir nicht aufgefallen, aber jetzt, nachdem er das sagte, spürte ich die einzelnen Tränen übers Gesicht laufen. Sofort zog er mich in seine Arme, die Lippen versuchten das Salzwasser wegzuküssen. „Hey, ich bin da, alles ist gut.“

Ein weiteres Mal stieß ich ihn von mir weg.

„Ja, jetzt bist du es. Und heute Abend? Ich kann das nicht mehr.“

„Mats, was ist los? Was kannst du nicht?“ Er sah mich an, als ob ich ihm gerade zwischen die Beine getreten hätte.

„Das hier, mit dir. Lass uns einfach Freunde sein.“

„Aber wir sind doch Freunde!“ Kevin schien nicht begreifen zu wollen.

„Nur noch Freunde. Ohne Sex und das Drumherum. Es geht nicht mehr. Entweder du akzeptierst es oder wir können uns nicht mehr sehen.“

„Mats, bitte nicht, wir können es auch so weiter hinbekommen. Hast du vergessen, was ich gestern gesagt habe?“ Beinahe schon panisch legte er seine Arme um mich und presste sich gegen meinen Körper.

Natürlich hatte ich das nicht, aber entweder war er dumm, ignorant oder beides. „Wenn du geliebt werden willst, dann entscheide dich für jemanden. Ich glaub kaum, dass dein Fickjob in einer Beziehung gut ankommen wird, egal bei wem. Und wenn du wirklich mein Freund bist, dann akzeptierst du das besser und lässt mich jetzt los. Ich komm damit nicht klar, okay?“

Kevin nickte und ich konnte sehen, wie er sich hinter einer Maske verkroch. „Du hast Recht. Vielleicht sollten wir uns eine Weile nicht mehr sehen.“

„Warum können wir nicht ohne Sex befreundet sein, Kev? Warum muss es jetzt soweit kommen?“ Ich startete noch einen letzten Rettungsversuch.

„Weil ich... ach vergiss es. Du kannst es vielleicht, aber ich nicht. Dann geh, lass mich einfach allein.“

„Wie du willst.“ Ich kletterte aus seinem Bett und raffte meine Klamotten zusammen. Nach einer schnellen Dusche stand ich wieder angezogen im Flur und sah ihn noch einmal an. Er starrte mit unbewegter Miene zurück. „Bis dann, Kev, machs gut.“

Etwas ratlos lief ich durch die Stadt. Es fühlte sich an, als ob wir gerade Schluss gemacht hatten, was an sich bescheuert war, da wir nie ein Paar gewesen sind. Oder? Warum nur hielt er so sehr an dem Sex fest? War ich die Kuschelnummer, die er brauchte, um einen nicht ganz so netten Kunden zu vergessen? Er hätte ja damit aufhören können. Ohne die beschissenen Freier hätte ich kein Problem mit ihm zu schlafen. Aber dieser hübsche Körper, den er an die Typen verkaufte, ekelte mich im Moment einfach nur an. Das hätte er nach unserer letzten Nummer selber merken müssen.

In meiner Wohnung hielt ich es nicht lange aus, das einsame Fertiggericht hatte bereits Schimmel angesetzt und stank ekelerregend. Überhaupt roch es hier wie in einem Bahnhofsklo. Ich nahm mir vor, nächste Woche sauber zu machen. Mit einem Rucksack, in den ich die nötigsten Dinge packte, verließ ich mein Reich.

Alles zog mich nun zu Thomas, aber noch kämpfte ich dagegen an, versuchte meinen chaotischen Kopf zu sortieren. Was sollte er denn von mir halten, nachdem ich gestern so groß erzählt hatte, dass ich zu ‘nem Freund könne? Scheiß Leben, ohne Geld und mein bester Freund war es nicht mehr. Dass ich ein wenig verknallt war, half mir auch nicht, denn ihm ging es wahrscheinlich nicht so.

Mein Geldmangel zog mich erstmal zur Schloßstraße. Langsam schlenderte ich an den vielen Geschäften vorbei. Auf der Höhe vom Forum erinnerte ich mich wieder an Toms Einladung zum Essen. Es könnte alles so einfach sein, aber ihn wollte ich nicht ausnutzen. Irgendwann stand ich vor dem neusten Einkaufszentrum, im Boulevard war die Hölle los. Viele Geldbeutel, viel Gewühl und Gerempel, hier würde ich kaum auffallen.

Doch in den Massen tauchten immer wieder Uniformierte auf, die ihre Augen offenhielten. Etwas gefrustet setzte ich mich neben eine Bank, nah bei den Rolltreppen und starrte an den Emporen vorbei, auf eine günstige Gelegenheit wartend. Eine Viertelstunde später hatte ich ein Portemonnaie ‚erobert’ und ließ es gleich wieder unter der Bank verschwinden, Bargeld Fehlanzeige – und einen weiteren Versuch wagte ich nicht.

Ich presste ein leises, ironisches Lachen hervor. ‚Einen richtigen Job suchen’, wie sollte Kevin daran glauben, wenn selbst ich das nicht konnte. Mein Leben war versaut, wer sollte Typen wie uns denn noch eine Chance geben? Mein ehemals bester Freund hatte sich schon längst an die Kohle gewöhnt, die er durch sein Arschhinhalten bekam.

Und ich hatte doch eigentlich keinen Bock auf Arbeit, jeden Tag stundenlang irgendwo eingesperrt sein, mich vor irgendeinem Arsch zum Affen zu machen. Okay, die Sache mit Tom hatte Spaß gemacht, zu sehen, wie er mit seinen Händen aus Holzschrott etwas schuf. Er konnte das und bekam trotzdem keinen Job, wegen dem Knast. Mein Führungszeugnis sah auch nicht toll aus, niemand stellt gerne Diebe ein.

Als ich das nächste Mal durch die großen Türen nach draußen sah, war es unnatürlich dunkel. Ich stand auf und hatte eine Entscheidung getroffen, Thomas würde mich vielleicht trotz meines Auftrittes gestern aufnehmen. Kaum hatte ich das Zentrum verlassen, schlug das Wetter endgültig um. Ein schweres Sommergewitter lag über Berlin. Mit schweren Schritten lief ich los, der neue Mut brach schnell wieder in sich zusammen.

Thomas

Mats stand in meinem Flur, nass bis auf die Haut und zitternd, die Arme fest um mich gelegt. Der orkanartige Wind brachte eine kurzfristige Abkühlung. Zu unseren Füßen bildete das Regenwasser bereits eine große Pfütze.

„Du musst aus den Klamotten raus, sonst holst du dir was weg.“

„Kann ich heute bei dir bleiben? Ich weiß nicht mehr wohin...“ Er ließ mich los und mit schwerfälligen Bewegungen zog er sich das Shirt über den Kopf.

„Was ist denn mit deinem Freund?“

Deutlich hoben sich nun seine Tränen von den anderen Wassertropfen ab. „Kevin und ich... wir sind nicht mehr...“

Etwas unbeholfen legte ich meinen Arm um den weinenden Jungen. Kein Wunder, dass Evelyn so ausgerastet war, Mats wirkte in dem Zustand eher wie 15 und nicht wie beinahe 20.

„Ist okay, bleib solange wie du musst. Wir kriegen das wieder hin. Du gehst jetzt erstmal heiß duschen und dann reden wir weiter, versprochen?“

Da er im Moment nur langsam reagierte, schob ich ihn ins Bad und half ihm sich zu entkleiden. Erst jetzt betrachtete ich ihn ausgiebig und bemerkte, wie abgemagert er wirklich war.

„Ich bin so ein Versager, Tom... du kannst mir nicht helfen.“

„Erst duschen, dann reden. Du musst dich aufwärmen.“

Mats nickte und ich gab ihm ein Handtuch, bevor ich Teewasser aufsetzte. Stumm sah ich den kleinen Wasserkocher an und lauschte der rauschenden Dusche. Etwas war anders an dem Kleinen, sein lockeres Auftreten, diese Fassade, war völlig hinüber. Er war voller Resignation und Mutlosigkeit und ich tippte dabei auf seinen Freund Kevin, mit ihm hatte das bestimmt was zu tun.

Das Wasser war heiß und ich bereitete eine Tasse für meinen Gast vor, stellte sie auf dem Couchtisch ab und legte mich auf das Sofa, nachdem ich mein Shirt abgestreift hatte. Es hatte eine Menge Regen bei seiner Umarmung aufgesogen.

Von mir unbemerkt betrat er das kleine Wohnzimmer, bis auf das Handtuch nackt, und setzte sich vorsichtig auf die vordere Kante meiner Couch.

„Ist der für mich?“, fragte er, auf die Tasse deutend.

„Ja, aber Vorsicht, er ist noch zu heiß.“

Schweigend sah ich ihm zu, er kauerte sich mehr und mehr zusammen, noch leicht zitternd und ich vermutete stark, dass ihm nicht nur kalt war.

„Mats, was ist los mit dir? Und was ist zwischen deinem Freund und dir passiert?“

„Nichts ist los“, antwortete er mit einem aggressiven Unterton. „Seine beschissenen Freier sind ihm wichtiger als ich.“

Wieder mischte sich das leise Schluchzen unter die Worte und ich forderte ihn auf, sich neben mich zu legen. Widerstandslos ließ er sich in den Arm nehmen und gegen meinen Willen empfand ich es als angenehm, ihn so zu spüren. Aber die offensichtliche Intimität der Situation schien ihn zu beruhigen.

„Dein Freund geht auf den Strich?“

„Nein, er hat da irgendwo ein Escort-Profil. Und jetzt hat er ständig irgendwen daheim. Letzte Nacht durfte ich gnädigerweise bleiben.“

Nach und nach erzählte er mir alles und ich war doch etwas überrascht. Es hörte sich nicht so an, als ob sie nur Freunde waren. Unterbewusst fing ich an, den Kleinen am Bauch zu streicheln und Mats wurde immer ruhiger, bis er irgendwann verstummte und leise atmete. Das Zittern hatte mittlerweile ganz aufgehört und ich drückte den warmen, irgendwie süßlich duftenden Körper an mich.

Ich genoss das lang vermisste Gefühl, einem Mann so nah zu sein und nickte irgendwann ebenfalls ein. Doch ein eigenartiges Gefühl weckte mich, mitten in der Nacht. Nur langsam realisierte ich, dass sich ein Paar Lippen an meine eigenen schmiegten, einen nackten Körper, der sich an meinem rieb. Mats Erregung drückte gegen meine Hüfte und seine Hand, die er in meine Schlafshort geschoben hatte, sorgte dafür, dass auch der kleine Thomas sich kräftig streckte.

Diese Feststellungen dauerten nur einen kleinen Augenblick und ich riss die Augen auf.

„Mats, hör auf damit, bitte!“ Ich schob ihn etwas von mir weg, allerdings sehr widerwillig, denn seine Berührungen fühlten sich gut an.

„Gefällt es dir denn nicht? Man, Tom, ich wünsche mir das schon seit deiner Einladung zum Essen.“

„Doch, es fühlt sich gut an. Aber Sex löst keine Probleme.“ Es fiel mir schwer, dass weinende Bündel von vorhin zu vergessen. Und leider spukte mir das Gesicht von René durch den Kopf, dabei kannten wir uns nicht und es war unwahrscheinlich, dass ich mit dem hünenhaften Blondschopf irgendwann im Bett landen würde.

„Vermisst du es denn nicht? Ich will es nicht aus Dankbarkeit mit dir tun, falls du das denkst. Du gefällst mir wirklich, deine Nähe tut mir gut. Aber wenn du sagst, dass du dich hierbei“, er griff wieder in meine Hose und streichelte zärtlich über mein hartes Fleisch, „nicht wohl fühlst, dann akzeptiere ich das und lass dich in Ruhe.“

„Mats, ich... doch ich vermisse es. Aber...“ Er stoppte meinen Satz durch einen Kuss. Seine Hand streichelte über meinen Rücken und mein Widerstand, der mehr als nur halbherzig war, schmolz weiter dahin.

„Magst du mich denn ein kleines bisschen?“, fragte er nach einigen Minuten beinahe zärtlicher Küsse.

„Du wärst nicht hier, wenn nicht“, antwortete ich deshalb. „Auch wenn du Ärger für mich bedeutest.“

Mats seufzte. „Darüber lass uns lieber morgen reden. Den schönen Moment sollten wir nicht zerstören. Schlaf mit mir, bitte.“

Allein der Gedanke daran, ließ es in meiner Hose erwartungsfroh pochen. Meinem Gast war das nicht entgangen und er grinste frech, was ihn wieder etwas älter und auch noch hübscher wirken ließ. Es war Zeit, auch diesen Teil des Lebens wieder zu genießen.

„Was bekomme ich denn, wenn ich jetzt ja sagen würde?“

Als Antwort drehte er mich auf den Rücken und legte sich auf mich. Sein Gewicht war kaum spürbar. Mit den Lippen erforschte er meinen Hals und rieb seinen Körper wieder an mir. All die Gedanken, die mir bis eben noch durch den Kopf schossen, verblassten zusehends. Mats wusste, was er tat und wie er seine Wirkung verstärken konnte. Die 14 Jahre Unterschied waren im Moment das Unwichtigste auf der Welt.

Natürlich wollte ich mich revanchieren und fing an, ihn ebenfalls zu streicheln.

„Genieß es einfach, Tom. Bleib ruhig liegen und tu nichts, okay? Du darfst dich schon früh genug anstrengen“, lachte er. Etwas unwillig stimmte ich zu und der Kleine legte richtig los. Meine Brustwarzen bekamen seine Zähne zu spüren, als er sanft an ihnen knabberte. Mit geschlossenen Augen verfolgte ich seinen weiteren Weg, die Zunge an meinem Nabel und den leicht borstigen Flaum an seinem Kinn, der dabei meinen Bauch kitzelte und mir ein leises Lachen entlockte.

Zwei Hände tasteten sich zu meiner Short vor und zogen langsam, aber bestimmt, den Bund nach unten. „Der sieht lecker aus.“ Seine gnadenlos saugenden Lippen schlossen sich um mein bestes Stück. Dieses Gefühl durfte ich im Knast nur sehr selten genießen und es war bei weitem nicht so lustvoll wie das, was Mats nun mit mir anstellte. Wenn ich noch Zweifel daran gehabt hätte, dass er es wirklich wollte, spätestens jetzt wären sie verschwunden gewesen.

Mein hektisches Stöhnen warnte ihn rechtzeitig aufzuhören, damit es nicht zu einem vorschnellen Ende gekommen wäre.

„Du bist ganz schön lecker, Tom.“ Er angelte sich noch einen letzten Tropfen von meiner Spitze und sog ihn in sich auf. „Jetzt geh auf die Knie und beug dich zurück, ich bin sofort wieder da“, wies er mich an. Willenlos gehorchte ich ihm und wartete auf seine Rückkehr. Im Flur hörte ich den Reißverschluss seiner Tasche und Mats kam zurück. Seine Hand schmierte meinen Stab mit flutschigem Gel ein und er hockte sich breitbeinig über mich. Er sah mir tief in die Augen und senkte sein Becken ab. Für einen Moment verzerrte sich sein Gesicht durch den kleinen Schmerz beim Eindringen. Doch dann lehnte er seine Brust an meine und ritt mich leidenschaftlich. Lang hielt ich diese Behandlung nicht aus, spürte die aufsteigende Wärme in der Leistengegend. Mats feuerte mich an, bevor er mich küsste. Der Orgasmus riss mich fast um. Schwer atmend verharrte ich einen Moment regungslos, bevor ich mir nun auch seinen Schwanz griff. Noch war ich in ihm und er presste sich hart gegen mich. Nur wenige Handstriche benötigte er noch, bis er sich unter lautem Stöhnen gegen meine Brust entlud.

„Wow“, flüsterte er. „Am liebsten würde ich ewig so sitzen, mit dir in mir.“

„Dann bleib doch noch so, es fühlt sich gut an.“

Trotz der intensiven Massage seiner Darmmuskeln, hielt mein kleiner Freund seine Härte nicht ewig und zog sich von allein zurück. Etwas erschrocken zuckte ich zusammen.

„Du hast kein Kondom benutzt?“

„Ja, tut mir leid, ich hatte keins mehr. Aber mach dir keine Sorgen, es war mein erstes Mal ohne. Und du hast doch auch gesagt, dass es im Knast nicht ohne lief?“

Beruhigt atmete ich auf. „Gut. Aber das war nicht okay, im Schlafzimmer hätte ich welche gehabt.“ Ich strich seine Haare aus der Stirn und gab ihm einen Kuss auf sein Kinn, da ich diesen schuldbewussten Ausdruck in seinem Gesicht nicht sehen wollte. Schließlich hatte auch ich nicht aufgepasst und es bestand ja kein Risiko mehr.

„Bist du wirklich nicht böse?“

„Nein, es hat sich ja auch richtig schön angefühlt. Der beste Sex seit vielen Jahren.“

Nun lächelte der Kleine stolz und gähnte im Anschluss herzhaft. „Muss ich jetzt wieder auf der Couch schlafen, oder darf ich zu dir ins Bett?“

„Komm mit. Die Couch sollte ja das hier eigentlich verhindern, damit wäre das jetzt überflüssig.“

Mats nickte und stand auf. Mit dem Handtuch, welches schon seit meinem Aufwachen auf dem Boden lag, wischte er sich meinen Saft weg, der bereits aus ihm heraus floss. Ohne Umwege gingen wir ins Schlafzimmer und kuschelten uns dicht in mein enges Bett. Der eine Meter Breite war nicht viel, aber dass stellte jetzt erstmal kein Problem dar.

In meinen Armen schlief Mats schnell ein. ‚Hoffentlich hat das keine weiteren Konsequenzen’, dachte ich noch und folgte ihm ins Reich der Träume. Doch dass meine Wünsche sich selten erfüllten, erlebte ich schneller als mir lieb war.

Mats

Etwas verwirrt öffnete ich meine Augen und spürte einen nackten Körper an mir. Schemenhaft kehrten die Ereignisse der vergangenen Nacht in meine Erinnerung zurück. Thomas hatte es erlaubt! Der Gedanke an seine geilen Küsse und das harte Fleisch in mir ließ mich grinsen. Dass er ausgehungert war, konnte er nicht verbergen. Gierig und doch irgendwie liebevoll stieß er in mich hinein, so konnte ich es mir in Zukunft öfter vorstellen.

Vorsichtig drehte ich mich in seinen Armen um und betrachtete ihn. Tom hatte ein sehr markantes Gesicht, hart und weich in einem, einen leichten Dreitagebart und ganz winzige Fältchen um die Augen. Nur daran erkannte ich, dass er ein wenig älter war. Sein Body war einfach nur heiß, sehnig und muskulös - Kevin konnte da nicht mithalten.

Ich seufzte, mein alter Freund schob sich mir, mit einem bitteren Beigeschmack, ins Gedächtnis. Beide waren einfach bildhübsch und sexy. Nur fehlte Kevin die Reife von Thomas, diese nachdenkliche Ausstrahlung. Und nun genoss ich dieses Gefühl der Geborgenheit in den Armen des viel erfahreneren Mannes. Wie es wohl wäre, mit ihm den Rest meines Lebens zu verbringen?

Um mich ein wenig abzulenken, legte ich meine Hand auf die kratzig weiche Wange meines Gegenübers und streichelte den leichten Bartansatz. Mein Daumen glitt an der Schläfe auf und ab und Thomas schlafende Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Ich fragte mich, wovon er gerade wohl träumte.

Der Versuchung, diese Lippen zu küssen, konnte ich nicht widerstehen. Hauchzart leckte ich über seinen Mundwinkel und spürte meine stärker werdende Geilheit. Mit meinem Becken rutschte ich näher an ihn heran und brachte unsere Schwänze auf eine Höhe, auch seine Morgenlatte war beachtlich. Meine Hand schloss sich um die beiden und ich rieb sie langsam. Thomas ruckelte ein wenig herum und stöhnte seufzend. Mein Daumen strich über seine feuchter werdende Kuppe.

Dass er langsam wach wurde, bemerkte ich, als er anfing meine Küsse zu erwidern. Erst zaghaft und dann mit steigender Lust. Verschlafene Augen sahen mich an.

„Morgen, Mats“, nuschelte er mit einem leichten Grinsen. „Schöner Weckdienst.“ Thomas rollte sich halb über mich und bedachte nun mich mit seinen Küssen. Die letzte Nacht hatte all seine Vorbehalte verschwinden lassen, er genoss es jetzt einfach.

„Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte mal Lust darauf hatte“, meinte er nach einer Weile.

„Worauf denn?“

Thomas grinste und rutschte an mir herunter. „Darauf.“ Seine Zunge leckte über meinen Oberschenkel und näherte sich meinem Sack.

Der Daumen drückte sacht gegen meinen Damm und löste eine wahre Flut an Schauern in mir aus. Thomas küsste meine Leiste und sog daran, ich keuchte auf. So was hatte ich bisher nicht mal mit Kevin erlebt. Das Gefühl der saugenden Lippen und leicht knabbernder Zähne war unbeschreiblich.

Nur langsam wanderte seine Zunge weiter, den Schaft entlang und er leckte genüsslich über die vielen Vortropfen, die in großen Mengen aus mir flossen.

„Du schmeckst auch ziemlich lecker, Kleiner“, grinste er zu mir hoch.

„Ich heiße nicht Klei...“ Die - nicht ganz so ernst gemeinte - Beschwerde blieb mir im Hals stecken, als mein Schwanz plötzlich tief in seinem Rachen verschwand. Seine Hände pressten mein Becken unnachgiebig auf die Matratze, so dass ich keine Chance hatte, aus eigener Kraft zu stoßen. Thomas war hier der Chef im Ring und ich ließ es mir gerne gefallen. So passiv er sich gestern noch verwöhnen ließ, so dominant war er nun, zeigte mir wo es lang ging. Wieder eine neue Erfahrung für mich und bei weitem nicht die schlechteste. Hauchzart glitten seine Zähne über den gewölbten Kranz meiner Eichel.

„Tom, bitte hör auf, ich komme!“ Verzweifelt versuchte ich ihn abzuschütteln, es war noch nicht an der Zeit.

Sofort ließ er meinen Schwanz frei und grinste wieder. „Ganz wie du willst, dann ändere ich mal die Taktik.“ Die Frage, was er damit meinte, erübrigte sich sofort und ich war froh, dass ich mich am Abend unter der Dusche zumindest etwas gespült hatte. Thomas legte meine Beine über seine Schultern und vergrub sein Gesicht in meiner Furche. Zischend atmete ich ein, als seine Zunge meine Pforte durchbrach. Bei der Behandlung flossen wahre Ströme meines Vorsaftes auf meinen Bauch.

„Fuck ist das geil“, keuchte ich. Tom fühlte sich bestätigt und widmete sich meinem Loch noch intensiver, die Zungenspitze strich um den mittlerweile weichen Ring. Mit beiden Händen zog ich seinen Kopf fester an mich, was Tom ebenfalls ein erregtes Stöhnen entlockte. Seine Lippen sandten Stromstöße durch meinen Körper und ich sah kleine Sterne vor meinen Augen aufblitzen.

„Bitte, bitte fick mich!“, rief ich aus, mein Darm gierte nach seinem Kolben. Ich wollte ihn hart und heftig in mir, dass er sich richtig in mir austobte. Noch nie hatte ich diesen Wunsch so intensiv gespürt.

„Das sind ja ganz neue Töne, Kleiner. Wie hättest du es denn gerne?“ Mann, was konnte der sexy lächeln, ich war völlig willenlos.

„Mach wie du willst, besorg‘s mir“, bettelte ich. Es gab kein Halten mehr.

„Unter einer Bedingung!“ Sein Daumen kreiste um den weichen Muskelring und nahm mir die Fähigkeit zu denken.

„Egal was, bitte fang nur endlich an!“ Er folterte mich absichtlich.

„Ich darf weiter ‚Kleiner’ sagen und du hörst auf, dich darüber zu beschweren.“

Er hätte mich auch kleines Dreckstück nennen dürfen, wenn er gewollt hätte, also nickte ich mit heftiger Zustimmung.

„Okay, dann bekommst du jetzt ein kleines Dankeschön für gestern.“ Thomas robbte auf mich rauf und presste meinen Körper mit seinem ganzen Gewicht auf das Laken. Lediglich meine Beine hingen noch hoch auf seinen starken Schultern und glitten langsam hinunter um seine Taille. Einen Arm schob er unter meinen Nacken und er küsste mich.

Und dann schrie ich lustvoll auf, schneller als erwartet glitt er in mich hinein und ich war froh, nicht noch weiter betteln zu müssen. Meine Arme schlossen sich hart um seinen Rücken und mit absoluter Zielsicherheit fand er den zentralen Punkt meiner Lust, die Stelle, die mich mit jedem seiner Treffer Blitze sehen ließ. Mein Körper war zum Zerreißen gespannt und der Schweiß lief in Strömen. Ich wusste nicht, mehr wo ich aufhörte und wo er anfing, für einen Moment löschte Thomas mich völlig aus.

Das Ende näherte sich nicht weniger gewaltig als der ganze Akt davor. Er nahm mich wie von Sinnen, sein hartes Fleisch pumpte er immer schneller in mich hinein und ich entlud mich unter völlig ungekannten, schmerzfreien Krämpfen. Dieser Gewalt konnte sich auch Tom nicht entziehen, meine umnebelten Sinne spürten eine wahre Sintflut, mit der er mich überflutete.

Schwer atmend blieb er auf und in mir liegen. Mein Verstand arbeitete noch nicht richtig und mein Mund war etwas schneller als gewollt. „Ich hab mich in dich verliebt, Thomas.“

Vielleicht hatte er das nicht gehört, denn noch lag er auf mir, schweigend den Kopf an meinen Hals gepresst, sanfte Küsse verteilend. Dann rollte er plötzlich von mir herunter und legte sich auf die Seite. Seine Hand lag langsam streichelnd auf meiner Brust.

„Tom? Sag bitte was!“, flehte ich ihn an.

Einen weiteren Moment schaute er mir in die Augen und gab mir einen leichten Kuss auf die Nasenspitze.

„Nein, Kleiner, das hast du nicht.“ Das war es? Kein ‚ich hab mich auch in dich verliebt’?

„Ich werde doch wohl wissen, was ich fühle“, antwortete ich sauer. Mit einem Mal fröstelte es mich, doch Thomas kraulte unbeirrt weiter meine Brust. Das sanfte Lächeln verwirrte mich.

„Du bist verliebt, ganz sicher, vielleicht sogar mehr als das, aber nicht in mich. Du magst mich, so wie ich dich auch mag, und wir vertrauen uns. Ich kenne dein dunkles Geheimnis und du kennst meines.“ Er machte eine nachdenkliche Pause und mir fehlten die Worte.

„Ich habe über gestern nachgedacht, über das, was du mir über Kevin erzählt hast. Mats, du liebst ihn mehr als alles andere. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.“

Zum Kloß in meinem Hals gesellten sich ein paar Tränen. Konnte es sein? „Aber... wie soll das möglich sein? Wir kennen uns ewig!“

„Wahrscheinlich bemerkt man es dann nur noch schwer. Aber überleg doch mal... ihr schlaft miteinander, habt euch bis vor Kurzem restlos alles erzählt und jetzt erträgst du es nicht mehr, dass er mit anderen schläft, wenn auch nur gegen Geld. Warum deine Eifersucht, wenn ihr nur Freunde seid?“

Toms Worte ergaben Sinn, mehr als ich wahrhaben wollte, und trotzdem kuschelte ich mich fest an ihn heran, denn von Kevin fühlte ich mich verraten, mehr noch als vorher. „Aber was ist das mit uns? Warum hast du trotzdem mit mir geschlafen?“

Er lächelte leicht verlegen. „Weil ich dich mag, weil du süß bist und... du hast mich verführt. Und ich glaube, dass wir es beide gebraucht haben.“ Erneut bekam ich einen zärtlichen Kuss von ihm. „Mats, es ändert nichts an meinem Versprechen. Du kannst erstmal hier bleiben, aber daran knüpfe ich zwei kleine Bedingungen.“

„Kein Sex mehr und was noch?“ Ich musste wohl komisch geguckt haben, denn Thomas lachte laut.

„An Sex dachte ich gerade nicht. Das kann, aber es muss nicht passieren. Kommt darauf an, ob wir beide es wollen oder auch nicht. Nein, diese beiden Dinge sind mir wichtig: Du schreibst Bewerbungen, wie du es mir versprochen hast, und, dass ist noch wichtiger, keine Diebstähle mehr! Halte dich fern von jedem Ärger. Wenn du noch einmal klaust und ich bekomme es mit, dann werfe ich dich achtkantig aus meiner Bude, unwiderruflich. Akzeptierst du das?“

„Ja... aber ich hab kein Geld, du kannst doch nicht alles bezahlen?“ Mir war ja bewusst, dass er selber kaum was zur Verfügung hatte.

„Alles nicht, aber für Lebensmittel für uns wird’s reichen. Ich brauch nicht viel, im Knast wird man genügsam. Du versuchst einfach nur dein Leben in den Griff zu bekommen. Außerdem bringst du mir bitte sämtliche Unterlagen von der ARGE her. Da erfahren wir bestimmt, wie du wieder Geld von denen bekommst. Steht alles in deiner Eingliederungsvereinbarung. Also, haben wir einen Deal?“

„Deal!“ Es war unglaublich, dass ich diesen Kerl erst vor zwei Tagen kennengelernt hatte und wie selbstverständlich wir miteinander umgingen. Und das trotz der Umstände. ‚Freund durch missglückten Diebstahl gewonnen’, so lautete meine persönliche Schlagzeile.

„Soll ich gleich mit den Bewerbungen anfangen, oder darf ich mich noch eine Weile an dich kuscheln?“

Mit einem Lächeln auf den Lippen zog er mich zu sich heran und ich dämmerte bald darauf noch mal für eine Weile weg.

Thomas

Um kurz vor Mittag verließ ich ein wenig widerwillig mein Bett und lächelte in das herrliche Sonntagswetter. Unser Nümmerchen - okay, ein wenig mehr war es dann doch - hatte Mats ziemlich erschöpft und ich ließ ihn schlafen. Zum Glück hatte ich mich auf sein kleines und nur all zu vorhersehbares Liebesgeständnis vorbereitet und mir die Worte schon in der Nacht zurechtgelegt. Und jedes einzelne Wort hatte ich ernst gemeint.

Ich war mir ziemlich sicher, dass Kevin ähnliche Gefühle für Mats hatte und dass dieser wirklich verzweifelt war, als der freche Dieb ihn verließ. So wie ich ‚meinen Kleinen’ einschätzte, ging ich davon aus, dass er Kevin seine Gefühle nicht zeigen konnte. Sie waren eben beide noch zu jung und blind dafür. Aber mehr als Mats aufzumuntern, kam für mich nicht in Frage. Wenn der Möchtegern-Callboy wirklich verliebt war, dann sollte er den nächsten Schritt unternehmen und dafür eine schwerwiegende Entscheidung treffen.

Für Mats hätte ich mir das wirklich sehr gewünscht. Doch erstmal würde ich die Dinge ihren Lauf nehmen lassen und vielleicht noch das ein oder andere Mal den Sex mit dem Kleinen genießen, es harmonierte einfach wunderbar. Wenn ein weiterer Nebeneffekt wäre, dass Kevin eifersüchtig würde, dann könnte auch das nicht schaden.

Vor einer entspannenden Dusche setzte ich noch schnell Kaffee auf, um mich kurz danach mit einer Tasse in die Garage zu begeben. Der ruhige Sonntag bot sich für die leisen Lackierarbeiten geradezu an. Doch die Ruhe hielt nicht lange.

„Thomas, wir müssen reden!“ Evelyn kam in die Garage gestürmt, rote Hektikflecken im Gesicht.

„Dir auch einen guten Morgen.“

Sie ignorierte meinen Gruß völlig. „Dieser Junge ist wieder bei dir. Und ihr hattet Sex, es war nicht zu überhören!“

Genervt verdrehte ich meine Augen. „Erstens: Der ‚Junge’ ist kein Kind mehr, sondern mehr als volljährig. Und ob wir miteinander schlafen oder nicht, geht dich absolut gar nichts an. Das ist seine und meine Privatangelegenheit!“

„Nein, Thomas, das ist mein Haus, es geht mich sehr wohl etwas an. Und mir ist egal wie alt er ist, er sieht wie ein Kind aus! Was sollen die Leute denken, wenn das rauskommt?“

„Dein Haus, meine Wohnung. Als Mieter habe ich Hausrecht. Willst du seine Ausweiskopie, damit du sie irgendwelchen Lauschern zeigen kannst?“ Allmählich wurde auch ich lauter, diese Frau brachte mich zum Kochen. Rainer versteckte sich lieber im Haus, allerdings öffnete sich nun meine Tür und Mats blickte etwas verstört in unsere Richtung.

„Ich will dir keinen Ärger machen, Tommy. Irgendwo komme ich vielleicht unter.“ Dass meine Vermieterin ihn so verunsicherte, machte mich wütend.

Demonstrativ ging ich zu ihm und umarmte den Kleinen. „Kommt nicht in Frage, ich habe es dir versprochen und du bleibst. Sie hat dabei nichts zu melden.“

Mats umarmte mich dankbar. „Ich hab dich echt lieb, Tom.“

Er ging beruhigt zurück in die Wohnung und auch Evelyn stampfte wütend zurück ins Haus, die Tür schloss sich hinter ihr mit einem Knall. Ja, vielleicht war ich ein Ex-Häftling, aber ich war auch ein Mensch mit Rechten und sie hatte keinerlei Macht über mich. Wenn sich doch nur die Wohnungssuche erfolgreicher gestalten würde. Ich hätte kein Problem, mir mit Evelyn einen kleinen Krieg zu liefern, aber Rainer tat mir leid, er war wirklich in Ordnung und ansonsten lief es zwischen den beiden wirklich gut.

Konzentriert pinselte ich die Holzteile ein, beinahe vergeblich bemüht das Wutzittern in meiner Hand zu unterdrücken. So bemerkte ich auch nicht die leisen Schritte hinter meinem Rücken.

„Machst du eigentlich nie Pause?“

Ich fuhr erschrocken herum und funkelte den Störenfried böse an, bis ich das grinsende Gesicht erkannte.

„René? Was machst du denn hier?“ Da stand er vor mir, der blonde Hüne und wieder bekam ich starkes Herzklopfen. Diese Wirkung hatte bisher noch kein Mann bei mir gehabt.

„Ich komme wohl ungelegen? Eigentlich wollte ich heute nicht mit einem Pinsel erstochen werden.“

Mein Blick fiel auf die Hand, die mein Werkzeug beinahe wie ein Messer hielt.

„Ähm, nein, sorry. Ich hab heute irgendwie nen schlechten Tag. Stress mit der Vermieterin.“ Der Pinsel landete auf dem ausgebreiteten Zeitungspapier. „Mit dir hab ich heute nur nicht gerechnet. Hat sich deine Tante über die Kommode gefreut?“

René kratzte sich hinter dem Ohr. „Naja, gefallen hat sie ihr schon, aber... ach, lassen wir das. Hast du öfter Streit mit ihr?“

„Frag mich lieber, wann wir keinen haben. Da ginge am ehesten noch die Fahrt hierher durch, nach meiner Entlassung. Ein Knacki ist schlecht für ihren Ruf.“ Die Sache mit Mats ließ ich ganz unter den Tisch fallen. „So ähnlich sehen das auch die meisten Eigentümer. Und dazu noch die Stütze... nicht so wichtig, es sind nicht deine Probleme. Mit einem richtigen Job würden meine Chancen sicherlich steigen.“

„Ah, sehr subtil“, lächelte er mich an. „Deswegen bin ich hier. Können wir kurz rein, ich hab was mit dir zu bereden.“

Ich hoffte inständig, dass Mats unsere Spuren ein wenig beseitigt hatte, auch wenn ich ihn nicht gerade für einen Ordnungsfanatiker hielt. Sicherheitshalber warnte ich René vor, dass sich kurzfristig ein Gast bei mir eingefunden hatte.

Ängstlich blickte ich durch die Schlafzimmertür und fand ein ordentlich gemachtes Bett vor. Durch das offene Fenster waren die Ausdünstungen unserer morgendlichen Aktivität verschwunden. Ich schickte ein kurzes Dankgebet zum Himmel. Mats hatte sich die Zeitung vom Vortag gegriffen und lümmelte sich konzentriert auf der Couch.

„René, darf ich dir Mats vorstellen und Mats, René verschafft mir vielleicht ein Probearbeiten bei seinem Onkel.“

Die beiden begrüßten sich kurz und mir entging nicht, dass Mats meinen anderen Gast misstrauisch musterte.

„Ja... das Probearbeiten. Darüber wollte ich mit dir sprechen.“

Mein Herz sackte mir in die Hose.

„Vergiss das ‚Vielleicht’. Onkel Karl möchte aber deine Bewerbungsunterlagen. Hast du eine Kopie für mich?“ René grinste mich frech an, während ich verzweifelt versuchte, meine entgleisten Gesichtszüge zu sortieren.

„Ernsthaft? Wow, warte kurz.“ Ich griff nach der Bewerbungsmappe im Regal über dem Sofa und fing kurz Mats anerkennenden Blick auf. Er wusste ja, wie sehr ich mir richtige Arbeit wünschte.

Vor lauter Nervosität glitt mir die Mappe aus den Händen und die Papiere breiteten sich vor Renés Füßen aus. Gleichzeitig bückten wir uns danach und stießen mit den Köpfen zusammen. Ich beeilte mich aus seinem Dunstkreis zu kommen, bevor mir sein Geruch ein Zelt in der Hose bescheren konnte.

„In irgendeinem Land, bei irgendeinem Stamm, bringt das bestimmt Glück“, stöhnte der Blonde und rieb sich über den Kopf. Mats kicherte leise.

„Sorry, ich.. ähm... diese Chance ist riesig, ich bin nur etwas nervös.“ Schnell raffte ich die Unterlagen zusammen und reichte René die gewünschte Kopie.

„Kein Thema, ist noch alles dran. Karl verzichtet übrigens auf dein Führungszeugnis, an deine Bewerbung konnte er sich noch erinnern. Vielleicht hättest du mit der Arbeitsprobe von Anfang an bessere Chancen gehabt.“

Dass es weder die Bilder, noch ein fertiges Möbelstück zum damaligen Zeitpunkt gab, verstand mein persönlicher Retter natürlich.

„Versprechen kann ich dir nichts und noch weiter helfen auch nicht. Es liegt ganz allein an dir, denn mit der Firma hab ich sonst wenig am Hut.“ Er zwinkerte mir zu. „Aber da mach ich mir eigentlich keine Sorgen, anhand der Bilder hat sich mein Onkel schon eine ziemlich positive Meinung gebildet. Den Rest sagt er dir morgen. Kann ich dich um 7:30 Uhr abholen?“

Aus einem Impuls heraus umarmte ich ihn kurz und René klopfte mir auf den Rücken, bevor er sich, mit meiner Zusage, wieder aus dem Staub machte. Zurück im Wohnzimmer fing Mats an zu lachen.

„Ich glaube, er gefällt euch“, kicherte er.

„Uns?“

Der Kleine grinste weiter und zeigte auf meine Hose. „Also, ihm gefällt er ganz offensichtlich.“

„Scheiße“, murmelte ich. „Ich hoffe, er hängt da nicht zu oft rum, sonst wird’s echt hart.“

Und wieder lachte Mats, mir wurde die Doppeldeutigkeit meines Satzes bewusst. Aber ich war froh, dass er es so locker nahm. Die kleine Ansprache im Bett schien wirklich angekommen zu sein.

„Ach, Tommy, vielleicht wird’s ja nicht so schlimm. Scharf sieht er ja aus und nett ist er auch noch. Ich würde dir einen Freund wie ihn gönnen, auch wenn das hier dann aufhören müsste.“

„Was müsste aufhören?“ Mein Zustand erschwerte mir das Denken.

Mein Hausgast stand von der Couch auf und ging vor mir auf die Knie. „Genau das hier“, sagte er noch und schwieg dann. Getreu dem Motto: ‚mit vollem Mund spricht man nicht’.

Natürlich ging auch Mats nicht leer aus, dafür machte es mir mit ihm einfach zuviel Spaß und der Besuch von René tat sein Übriges. Vergessen war der Stress mit Evelyn.

Recht bald danach rollte ich von ihm runter, unser kurzes Intermezzo hatte wieder im Schlafzimmer geendet. Sein Blick sagte mir, dass er reden wollte und nicht wusste, wie er anfangen sollte.

„Na los, du hast was auf dem Herzen.“

Erleichtert atmete er auf. „Na ja, wie würde es denn weitergehen? Wenn er und du...“

„Warum machst du dir jetzt darüber Gedanken? Ja, ich steh auf René und das war es auch schon. Er hat für seinen Onkel jemanden gesucht und gefunden, mehr nicht. Bei der Umarmung war er ziemlich steif, kein gutes Zeichen.“

„Du aber auch!“ Mats kicherte lauthals und ich knuffte ihm in die Seite.

„Anders steif“, lachte ich nun ebenfalls. „Aber rein hypothetisch, ich bleibe bei meinem Wort. Du müsstest dann vielleicht wieder mit der Couch vorlieb nehmen.“

„Okay, verstehe ich. Dann sollte ich mal dafür sorgen, dass ich wieder in meine Bruchbude komme.“

„Und es stört dich wirklich nicht, Kleiner?“

„Wirklich nicht. Du hattest ja mit allem recht.“

Mats kämpfte sich unter meinem Arm hervor und raffte seine Klamotten zusammen. „Ich geh schnell duschen und hol meine Unterlagen, okay?“

„Hey, gute Idee. Beeil dich, ich koche uns was zu essen. Hast du Lust auf was Bestimmtes?“

Er grinste frech und ich hob mahnend die Augenbraue. „Ach, du meinst das Essen! Nein, was immer du möchtest, ich werde es mögen. Lass dir Zeit, ich hab zwei Kilometer vor mir, gib mir 90 Minuten.“

Als Mats in der Dusche verschwand, legte ich mich grinsend zurück. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass Sex so viel Spaß machen könnte, auch wenn man nicht Hals über Kopf verknallt ist. Das Gefängnis blendete ich bei diesen Gedanken völlig aus und erinnerte mich an das eine Mal mit Jakob. Durch die Angst vor Mac, war unser zärtlicher Akt die pure Hölle.

Mit einem fröhlichen „Bis später!“ verschwand mein Gast und ich begab mich ebenfalls unter die Dusche. Meine Freiheit gefiel mir von Tag zu Tag besser und besonders der Gedanke an Morgen verursachte Herzklopfen, die Aussicht auf richtige Arbeit und ein Wiedersehen mit René. Für seinen Wunschoptimismus bewunderte ich Mats, aber ich war zu sehr Realist, mein neuer Schwarm hatte eindeutig ein wenig Distanz aufgebaut, als ich mich ihm um den Hals warf. Vielleicht verstand er meine impulsive Reaktion ja trotzdem.

In der Küche legte ich zielstrebig die Zutaten für später bereit, meine Kochkünste beschränkten sich auf Nudeln mit Hackfleischsoße. Die Fleischbeilage würde am Fenster schnell auftauen.

Dann griff ich nach dem Telefon und meldete mich bei den Bankows für den nächsten Tag ab. Sie drückten mir natürlich die Daumen, auch wenn sie meinen Weggang bedauern würden.

Mittlerweile war eine Stunde vergangen und ich machte mich ans Werk, das Essen würde rechtzeitig fertig werden.

Nach 90 Minuten nahm ich die Nudeln vom Herd, wartend. Mein Magen knurrte bereits heftig. Ich starrte auf die Uhr und beobachtete die Zeiger. Zwei Stunden und keine Spur von Mats, was machte er nur so lang?

Die Zeit verging quälend langsam und ich wurde allmählich sauer. Warum meldete er sich nicht? Mir fiel es wie Schuppen von den Augen, wir hatten ja unsere Nummern nicht getauscht. Nach drei Stunden packte mich die Sorge, irgendwas stimmte hier nicht. Nervös tigerte ich durch die Wohnung, lief immer mal wieder bis zur Straße und hielt nach ihm Ausschau. Wenn ich seine Adresse gekannt hätte, dann wäre ich losgelaufen, so aber musste ich einfach nur warten. Hatte er sich vielleicht mit Kevin versöhnt?

Verzweifelt saß ich auf der Couch, mein Hunger war restlos verflogen, als es leise an meiner Tür klopfte.

Mats stand nach fast vier Stunden vor mir und wirkte verstört.

„Himmel, was ist los, Kleiner?“ Er warf sich nur in meine Arme und ich spürte sein Zittern. „Ist was mit Kevin?“

„Nein. Lass uns nicht reden, bitte. Halt mich einfach nur fest.“ Seine Stimme klang etwas brüchig.

„Aber...“

„NEIN!“ Er riss sich los und rannte ins Wohnzimmer. Ich folgte ihm und fand ihn zusammengekauert auf der Couch.

„Mats, wir können über alles reden, dass weißt du, oder?“

In seinem Blick lag pure Verzweiflung, aber er schüttelte den Kopf. „Bitte glaub mir, ich kann nicht. Sei einfach nur hier, bei mir. BITTE!“

Ich setzte mich neben ihn und griff um sein zitterndes Handgelenk, meine Finger lagen über dem Puls und der raste in einer besorgniserregenden Geschwindigkeit. Sofort vergrub er sein Gesicht an meiner Schulter und schluchzte. In mir machte sich absolute Hilflosigkeit breit, sein Anblick versetzte mir einen Stich.

„Alles ist gut, ich bin hier.“ Meine Hand streichelte vorsichtig über sein Haar und nur langsam beruhigte er sich etwas. Doch in seinen Augen blieb eine Veränderung zurück, ein gehetzter und leerer Ausdruck. Wo war ‚mein’ Mats geblieben?

Mit Müh und Not überredete ich ihn noch etwas zu essen, die erste Ladung Nudeln verschwand im Müll und ich kochte neue. Mats stocherte abwesend in seiner Portion und schwieg weiterhin verbissen. Daran änderte sich auch nichts, als wir ins Bett gingen. Der Kleine presste seinen Rücken eng an meine Brust und wickelte meine Arme wie eine Decke um sich.

„Schläfst du schon, Tom?“, fragte er nach einer Weile im Flüsterton.

„Nein, noch nicht. Willst du reden?“

Er schüttelte nur den Kopf. „Versprich mir nur, dass du mich nicht hassen wirst.“

„Warum sollte ich das tun? Mats, bitte, was ist los?“

„Versprich es mir bitte. Ich bin nicht schlecht...“ Diesem verwirrenden Satz folgte ein leises Schniefen.

„Natürlich bist du das nicht. Ich verspreche es dir, egal was ist, wir schaffen das. Okay?“

Auf die Antwort wartete ich vergeblich, mein neuer bester Freund war eingeschlafen. Noch eine Weile versuchte ich mir einen Reim auf dieses merkwürdige Verhalten zu machen, ohne Erfolg. Das war einfach nicht zu erklären, solange Mats nicht redete.

Für einen Moment schloss ich die Augen und erschrak beinahe, als mein Wecker 6 Uhr anzeigte. Wirklich erholt war ich nicht. Mein Kleiner und ich hatten unsere Position nicht verändert, noch immer lag er in meinen Armen. Vorsichtig löste ich mich von ihm.

„Guten Morgen, Tommy“, flüsterte er leise.

„Hey Kleiner. Schlaf noch ein wenig, ich muss leider raus. Oder soll ich absagen? Möchtest du das ich hierbleibe?“

„Nein, du musst das unbedingt machen. Geh duschen, ich koche uns Kaffee.“

Mit einem besorgten Blick musterte ich ihn, seine Stimme gefiel mir nicht, sie war monoton und traurig. Und wie er aussah... Evelyn würde ihn sicher nicht für ein Kind halten. „Okay, das ist lieb von dir.“

„Tom?“

„Ja, Kleiner?“

Er sah mich mit feuchten Augen an. „Egal was passiert, ich hab dich wirklich sehr lieb. Vergiss das bitte nie.“

Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun, denn ich kannte diesen Blick, den Klang der Stimme. Er war wie Jakob, damals im Keller des alten Industriekomplexes, gebrochen von der Angst. Aber was hatte ihm so zugesetzt? Mir traten Tränen in die Augen. „Ich hab dich auch lieb.“

„Geh duschen, René kommt bald!“ Er krabbelte aus dem Bett und schlurfte mit hängenden Schultern in Richtung Kochecke. Ob ich ihn wirklich alleine lassen konnte? Natürlich war mir der Job wichtig, aber... Frustriert schlug ich meine Faust gegen die nasse Fliesenwand und stellte das Wasser ab.

„Vergiss es, ich lass dich nicht alleine!“

Mats musterte mich ausdruckslos. „Geh! Tu mir nur einen Gefallen und schließ die Tür hinter dir ab. Bitte.“ Ich wollte einlenken, doch er schnitt mir das Wort ab. „Frag nicht, mach es bitte.“

„Du machst mir Angst. Ich versteh nicht, was mit dir passiert ist...“

„Es ist alles okay“, log er und setzte ein bemühtes Lächeln auf. „Ich warte hier auf dich. Du solltest dir aber noch was anziehen.“ Und nach einer kurzen Umarmung ergänzte er, „vorher abtrocknen kann auch nicht schaden, Kaffee ist gleich fertig.“

Vergeblich wartete ich auf ein kleines Zwinkern oder ein freches Grinsen. Aber er hatte recht, die Dusche hatte ich etwas überstürzt verlassen.

Als René klingelte, folgte ich Mats Wunsch mit einem unguten Gefühl. Ihn in der Wohnung einzusperren war mehr als seltsam. Gut, notfalls konnte er durch ein Fenster raus. Kaum hatte ich das gedacht, schlossen sich nach und nach ringsum die Außenrollos.

„Was ist los? Du siehst schlecht aus.“ René entging mein missmutiger Gesichtsausdruck natürlich nicht.

„Keine Ahnung. Irgendwas stimmt mit Mats nicht. Seit gestern... lass uns nicht darüber reden, okay? Ich muss mit ihm selber klären, was los ist.“

„Natürlich. Wollen wir deinen Probetag verschieben? Das wäre in Ordnung.“

„Nein, er will das auch nicht. Denke ich. Eigentlich weiß ich gerade überhaupt nicht, was er will.“

Irgendwas schien meinen Fahrer zu beschäftigen. „Seid ihr eigentlich verwandt?“

„Nein, wie kommst du denn da drauf?“

„Nur so. Ihr wirkt so vertraut. Dachte, er könnte vielleicht ein jüngerer Cousin sein, oder so.“

Die Art, wie er ‚jüngerer’ Aussprach, gefiel mir nicht.

„Wir haben uns angefreundet und so jung ist er mit 19 auch nicht mehr.“ Was bloß immer alle mit dem Alter hatten?

„Sorry, ich wollte dir nicht zu Nahe treten. Du hast natürlich recht, mit 19 ist er nicht zu jung.“

Angriffslustig sah ich zu René rüber. „Zu jung für was?“

„Ähm...“, ahnte er etwas? Zumindest wurde er rot. „Na für alles nicht. Nichts Spezielles.“

„Ich kümmere mich lediglich um ihn, er hat im Moment Probleme. Offensichtlich größere, so wie es gerade aussieht.“ Meine Stimme hatte einen aggressiven Tonfall angenommen. Auch wenn ich René heiß fand, er ging mit seinen Worten zu weit, es ging ihn nichts an. Es war ja beinahe schon ein kleines Verhör.

„Hey, kein Grund sauer zu sein, ich war doch nur ein wenig neugierig. Tut mir leid.“

„Unser Verhältnis geht dich nichts an, also wäre ich tatsächlich dankbar, wenn du es nicht mehr ansprichst.“ Sein Versöhnungsversuch verpuffte wirkungslos.

„Verstanden, du hast ja recht.“

Wir fuhren ein wenig außerhalb von Berlin über die Landstraße, der Verkehr war recht ruhig und wir kamen gut voran. Keiner von uns sagte mehr was. Nach insgesamt 40 Minuten fuhren wir auf das Gelände der Schreinerei. Es war beeindruckend. Rechter Hand lagen die Werkhallen und auf der linken Seite befanden sich einige Wohnhäuser, kleine Einfamilienresidenzen, vor einem schmalen Waldstreifen und um ein kleines Grundstück herum. Sogar einen Basketballplatz entdeckte ich, unweit der Arbeitshallen. Aber noch etwas anderes fiel mir auf – weit und breit hatte ich auf dem Weg keine Haltestelle gesehen.

„Sag mal, mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommt man hier nicht weit, oder?“

„Ja, das stimmt. Aber darüber würde ich mir keinen Kopf machen, falls du den Job bekommst. Einen Führerschein hast du doch, oder?“

„Ja, hab ich. Bin nur ewig nicht mehr gefahren. Mehr als fünf Jahre nicht.“

„Das wirst du bestimmt hinbekommen. Mein Onkel hat ein paar Firmenwagen, einen davon könntest du haben, ist schon geklärt. Also, wenn du hier anfängst.“

René war mittlerweile sehr reserviert, nahezu abweisend, nachdem ich ihn so angeschnauzt hatte. „Es tut mir leid, dass ich vorhin lauter geworden bin. Meine Nerven liegen etwas blank. Das Probearbeiten, jetzt das seltsame Verhalten von Mats und der unbedingte Wunsch es hier und heute nicht zu versauen.“

Ich streckte meine Hand aus und hielt sie ihm entgegen. Der Blondschopf musterte mich einen Moment etwas bockig, schlug dann aber mit einem versöhnlichen Lächeln ein. „Ist okay, ich war anmaßend.“ Dass ein so junger Typ solche Worte benutzte, überraschte mich etwas.

„Ein wenig“, lächelte ich zurück.

„Okay, hier kommt ein Friedensangebot von mir: Schau doch nach Feierabend bei mir vorbei, auf ein Bier. Danach fahr ich dich heim. Na?“

„Ja, klar, gerne. Aber wo wohnst du?“

René deutete auf das erste Haus, das mit dem Basketballplatz vorne an. „Wir wohnen alle hier. Und das ist mein eigenes kleines Reich.“

Und damit gebührte ihm sicherlich der Preis für die Untertreibung des Jahres. Dieses Haus als kleines Reich zu bezeichnen grenzte schon fast an Größenwahn.

Als ob er meine Gedanken erraten hatte, korrigierte er sich auch sofort. „Naja, mein Reich halt.“ Die Worte begleitete er mit einem kleinen Zwinkern, welches mich beinahe schwach werden ließ. Er war einfach sexy und nun musste ich auch noch die Hoffnung begraben, dass er sich hier nicht all zu oft herumtrieb. „Na komm, Onkel Karl wartet bestimmt schon. Die Firma hat gut zu tun, ein großer Auftrag.“

Zusammen verließen wir den Wagen und ich folgte René zu einem flacheren Gebäude, offensichtlich der Bürobereich. Hinter der Tür empfing mich ein Geruch, den ich schon im Gefängnis zu schätzen wusste, der würzige Duft von Holz, der sich durch den feinen Staub entfaltete. Und zugleich ein rauchiges Aroma von Brettern, die durch die Schleifmaschinen erhitzt wurden. Wer den Holzgeruch nur aus dem Baumarkt kannte, der würde meine Begeisterung nicht verstehen, denn hier war es das reine Material und nicht die mit Leim und Chemie versetzten Imitationen, aus Spänen gepresst, wo die Säge stinkende Wunden in die Struktur riss und giftige Dämpfe freisetzte. Sofort fühlte ich mich wohl und entspannte ein wenig. Durch eine Seitentür, die direkt in die Werkshalle führte, erhaschte ich einen Blick auf die großen Maschinen.

Karl Wobrecht telefonierte bereits mit einem Kunden und wies uns an zu warten.

„So, Sie sind also Herr Ingenberg?“, begrüßte er mich, nachdem der Hörer wieder in der Station lag.

Ich nickte und schüttelte die schwielige Hand.

„Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich gewisse Vorbehalte hatte. Aber mein Neffe hatte überzeugende Argumente dabei. Das waren gute Arbeiten. An wenigen Stellen etwas unsauber gearbeitet, aber René hat mir erzählt, dass sie nur wenig Werkzeug zur Verfügung hatten.“

„Das stimmt, ich wollte eigentlich nur in Übung bleiben. Aber wie das so ist, manchmal braucht man Geld und ich hab mich zu einem Verkauf entschlossen. Vielleicht eine wirklich gute Idee, hoffe ich.“

„Das werden wir sehen. Sie arbeiten heute mit einem der Meister und gehen ihm ein wenig zur Hand. Er wird testen, in wieweit wir Sie hier einsetzen können.“

Karl Wobrecht zählte ein paar der Maschinen auf, an denen ich eventuell arbeiten müsste und mir fiel ein kleiner Stein vom Herzen, denn mit fast allen hatte ich im Gefängnis Erfahrungen gesammelt. Dass diese etwas kleiner waren, als die Modelle hier, machte dabei keinen großen Unterschied.

René verabschiedete sich mit einer ‚Daumen-hoch-Geste’ und ließ mich mit seinem Onkel alleine. Ich erfuhr einiges über die Geschichte der Firma und über einige Referenzprojekte. Insgesamt tummelten sich knapp 30 Mitarbeiter auf dem Gelände. Die Schreinerei war keine ‚Fastfood-Bude’, wie mir der Chef erzählte, wer hier etwas in Auftrag gab, der benötigte Geduld und Geld.

Martin Klein, der Meister der mir zugeteilt wurde, war mit der Sanierung eines Jagdhauses beschäftigt, von einem reichen Geschäftsmann in Auftrag gegeben. Bei den Bildern des Anwesens, anders konnte man das ‚Haus’ nicht nennen, blieb mir die Luft weg. Es war, von der Größe her, mit zwei Wohnhäusern der Familie vergleichbar.

Herr Klein, den ich beim Vornamen ansprechen sollte, erklärte mir, dass allein für dieses Projekt sechs Monate geplant waren, mit insgesamt zehn Mitarbeitern. Nahezu die komplette Holzkonstruktion, größtenteils tragende Teile, musste ausgetauscht werden. Der Bau hatte bereits mehr als 200 Jahre auf dem Buckel. Allein das Material kostete Unsummen. Die Fertigung aller Elemente fand, selbstredend, in den Hallen auf diesem Gelände statt. Langeweile kannte man hier nicht.

Der Tag verlief beim Zuschneiden von Balken und den ersten Handgriffen an der großen Fräse wie im Fluge. Wie einfach es hier gewesen wäre, die Stühle und die Kommode zu restaurieren, für jede Arbeit das passende Werkzeug. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind im Spielwarenladen, sogar die Sorgen um Mats traten ein wenig in den Hintergrund.

„So, Feierabend, Thomas. Du kannst dir dahinten den Staub wegduschen, ich muss erstmal mit dem Chef reden.“

Ich sah auf die Uhr und erschrak, die 9 Stunden waren nahezu verflogen. „Hab ich Chancen, Martin?“

„Kann ich dir nicht sagen, das muss Karl entscheiden.“

Meine Zuversicht bröckelte etwas, als der Meister im Büro verschwand, er ließ sich wirklich nichts anmerken. Ich lief in Richtung der Duschen und begrüßte die Anwesenden, ließ mir die Verunsicherung nicht anmerken, denn überfüllte Sammelduschen weckten negative Erinnerungen. Ein wenig abseits zog ich meine Klamotten aus und klopfte, über einem Waschbecken, die hartnäckige Schicht Holzstaub aus den Fasern. An Wechselkleidung hatte ich natürlich nicht gedacht.

„Hi, ich bin Sven“, begrüßte mich einer der Mitarbeiter, dem ich heute des Öfteren über den Weg gelaufen war. Etwas bemüht versuchte ich, ihn nicht zu genau zu mustern. Die Jungs hier waren alle ziemlich fit. „Wir haben uns gerade gefragt, ob du jetzt der Neue bist.“

„Thomas. Wenn ich das nur wüsste, Martin ist gerade beim Chef. Bald weiß ich mehr.“

„Da musst du dir eigentlich keine Sorgen machen, der ‚kleine Meister’ sah ganz zufrieden aus.“

„Abwarten, der Kuchen muss erst gebacken werden, bevor man ihn essen kann“, entgegnete ich noch vorsichtig. Thomas Ingenberg und Glück, das passte meist nicht zusammen.

Nach einer kurzen Dusche war ich wieder frisch. Natürlich gab es keine Übergriffe, aber das angespannte Gefühl würde noch eine Weile bleiben. Grund zur Angst gab es jedenfalls nicht, die Jungs balgten sich wie die Kinder, hier herrschte ein verdammt gutes Klima.

20 Minuten später schmorte ich noch in Unwissenheit, bis Martin mich hereinrief. Unsicher betrat ich den Raum.

„So, ich habe einen ausführlichen Bericht bekommen. Was denken Sie denn über Ihre Leistung heute?“

„Ganz okay, Herr Wobrecht. Das hier hat mit dem Gefängnis wenig zu tun, aber ich könnte noch besser werden.“

„Ganz okay. Hmm-hmm... könnten Sie also.“ Ich erwartete fast schon einen Rauswurf und spielte nervös mit meinen Fingern. Meine Antwort war ein absolutes No-Go, schlechter konnte man sich selbst nicht verkaufen.

„Also, ich befürchte, dass Sie hier vielleicht nicht allzu viel dazulernen können, Martin war beeindruckt. Und bitte, nenn mich Karl, wie alle Mitarbeiter hier. Herzlich Willkommen in unserer Firma, Thomas. Du scheinst ein Glücksgriff zu sein und eine lehrreiche Erfahrung für mich. Ich habe damals vorschnell entschieden.“

Fassungslos griff ich nach der dargebotenen Hand und schlug ein. Wir besprachen nur noch ein paar Details. Geldprobleme würde ich künftig kaum noch befürchten müssen, die Entlohnung war ein Traum.

In zwei Tagen würde ich anfangen können, damit ich meine Amtsgänge erledigen konnte.

Freudestrahlend machte ich mich auf den Weg zu René, das angebotene Bier konnte ich gut gebrauchen. Kurz darauf stand ich vor der Tür und klingelte.

„Ich bin im Garten, komm ums Haus“, rief er mir entgegen.

Der schmale Weg führte an ein paar gepflegten Beeten vorbei, bis ich direkt auf einer größeren Rasenfläche stand. Der Garten war eine Wucht, die hintere Mauer grenzte an das Waldstück. Weiter hinten in der Ecke plätscherte ein Teich vor sich hin. Hier ließ es sich aushalten. Auf der Natursteinterrasse fand ich dann René und schluckte heftig. Seelenruhig lag er auf einer Sonnenliege, eine dunkle Brille auf der Nase und präsentierte sich mir in voller Pracht, seine Figur war beneidenswert geil. Definierte Muskeln, beinahe wie gemeißelt und doch unter der glatten Haut weich wirkend. Die knappe Badehose konnte ich getrost als ‚fast nicht vorhanden’ bezeichnen.

Er stand auf und schob die Brille in seine Haare hoch, entblößte fragende Augen. „Wie war’s?“

„Wir sehen uns wahrscheinlich öfter“, grinste ich leicht gequält. Der Anblick war fast zuviel für mich.

„Wow, herzlichen Glückwunsch!“ Nun drehte sich die Szene vom Vortag um, René umarmte mich herzlich und ich stand stocksteif da, in mehrfacher Hinsicht. „Sorry“, lachte er, „ich schwitz wie ein Schwein und stink wahrscheinlich auch so.“

Ich räusperte mich. „Keine Ahnung, hab nichts gerochen.“ Das war gelogen, und wie ich ihn gerochen hatte.

„Komm, setzen wir uns da rüber.“ Er deutete auf eine gemütliche Hollywood-Schaukel. Daneben stand eine Kühlbox und er zauberte zwei Flaschen hervor, alkoholfreies Bier für sich und den richtigen Stoff für mich. Die Hoffnung, dass er sich was überziehen wollte, konnte ich sofort danach begraben. Etwas verkrampft setzte ich mich daneben, sehr bemüht, mein stocksteifes Problem vor ihm zu verbergen.

„Ich freu mich echt für dich, ist ne super Chance. Und gefällt es dir da auch?“

„Gefallen? Ich liebe es! Die Kollegen scheinen nett, tolle Stimmung und viel zu tun, das Geld stimmt und hier kann ich mich richtig austoben. Es ist ein kleines Paradies. Danke, wirklich René, du hast was gut bei mir.“

„So, was denn?“ Er grinste mich an.

„Alles“, schoss ich raus und ruderte panisch zurück. „Alles was machbar ist.“

Er fing an zu lachen. „Wir können ja mal was trinken gehen, du zahlst. Hast du zufällig grad Lust auf ‘ne Runde Basketball?“

Ich sollte ihm beim Rumhüpfen zusehen? Das wäre zuviel für meine Hormone gewesen. „Sorry, trinken gehen ist gebongt, aber für das andere bin ich echt zu fertig.“

Nach dem zweiten Bier ließ ich mir die Toilette zeigen und im geräumigen Flur dieses traumhaft modern eingerichteten Hauses stutzte ich. „Wolltest du die“, ich zeigte auf die Kommode, „nicht deiner Tante geben?“

„Naja, schon, aber die gefällt mir einfach. Sie muss selber suchen, ich finde, die passt hier super rein. Ein kleiner Kontrast zu den anderen Möbeln.“

Kurz darauf saßen wir wieder draußen und ich erlaubte mir ein paar unauffällige Blicke. René wollte mir gerade ein drittes Bier reichen, da fiel mein Blick auf die Uhr.

„Bringst du mich bitte schnell heim? Mats ist jetzt schon über 12 Stunden allein, ich hab ihn total vergessen. Gott und das in seinem Zustand.“ Das Hochgefühl war weg, ich fühlte mich scheiße.

„Klar, kein Thema. Ich hab auch nicht mehr daran gedacht.“

Dieser Traum von einem Mann verschwand im Haus und kehrte bald zurück, endlich ein wenig besser verhüllt. „Na komm, wir können los. Ich fand es war trotzdem ein schöner Abend.“

„Fand ich auch. Wenn es dem Kleinen besser geht, dann können wir das gerne wiederholen.“

Am Anfang der Fahrt schwieg ich nachdenklich, überlegte mir, wie man über René mehr erfahren könnte, ohne dabei zu aufdringlich zu sein.

„Sag mal, machst du eigentlich noch was anderes, außer Basketball?“

„Ja, warum fragst du?“

„Nur so, ich dachte mir schon, dass die Figur nicht allein davon kommt.“ Hoffentlich war ich damit nicht wieder einen Schritt zu weit vorgeprescht, er ließ sich jedoch nichts anmerken.

„Nein, sicher nicht“, lachte er. „Ich mach seit siebzehn Jahren Karate und probier immer mal was Neues aus. Seit einigen Monaten probiere ich es mit Capoeira, bin aber grottenschlecht. Ich übe zwar wie ein Weltmeister, leg mich aber ständig hin dabei. Bist du neidisch?“ Und da war es wieder, dieses Grinsen, welches beinahe schon anzüglich wirkte. Noch wurde ich aus diesem Kerl nicht schlau.

„Vielleicht ein wenig, ja. Seit siebzehn Jahren? Hast wohl ziemlich früh angefangen.“ Zur Abwechselung horchte ich ihn mal ein wenig aus, so unverfänglich wie möglich. Sein Alter interessierte mich, er war schlecht zu schätzen.

„Nein, eigentlich nicht, sogar ziemlich spät. Es ging mit ungefähr acht Jahren los, die Meisten waren schon ne Weile dabei. Und Thomas, wenn du wissen willst, wie alt ich bin, dann frag doch einfach, ich bin 25.“ Ich fühlte mich ertappt und wurde leicht rot, René kicherte vergnügt. „Sorry, du bist nicht gerade ein geschickter Frager. Aber Neid hast du doch nicht nötig, bist selber gut in Form, oder nicht?“

„Geht so. Ich mach so nicht viel, hab im Knast oft im Kraftraum gesessen, aber seit der Entlassung nichts mehr gemacht, Studio kostet Geld.“

„Geld ist jetzt nicht mehr das Problem, aber sparen könntest du es dir, hab im Keller ein paar Geräte. Zeig doch mal.“

„Was?“, fragte ich dümmlich zurück.

„Na deinen Body, was denn sonst?“

Mein Herz klopfte heftig, was sollte das jetzt? „Hier?“

„Wo denn sonst? Ist doch kein Problem, oder? Du hast nix was ich nicht auch kenne.“

Nervös langte ich in den Saum meines Shirts und lüftete es ein wenig nach oben.

„Nicht so schüchtern“, grinste er, „Man, zieh es doch kurz aus, so sehe ich ja nix.“

Seufzend folgte ich der Bitte und spürte die steigende Erregung in mir. In meinen Gedanken fühlte ich seine Hand auf mir, tastend und forschend.

Doch er schenkte mir lediglich einen kurzen Seitenblick. „Ich weiß nicht was du hast, die Mädels fallen bestimmt um, wenn sie das sehen. Kenn ich ja von mir. Ständig wollen sie mal anfassen, ist echt schwer die sich vom Leib zu halten. Ich hasse das, wenn die so aufdringlich sind.“

„Ja, natürlich, reihenweise“, seufzte ich und zog mein Shirt wieder an. Deutlicher hätte er nicht mehr werden können. „Läuft bei dir sonst bestimmt gut mit den Mädels, oder?

„Ein Gentleman genießt und schweigt, weißt du doch.“ Er zwinkerte frech. „Aber du sei ruhig ein wenig selbstbewusster, du kannst es dir erlauben, siehst wirklich gut aus.“

Der Typ verwirrte mich zutiefst.

„Gebe ich gern zurück, aber mehr Selbstbewusstsein brauchst du bestimmt nicht.“

René sah mich einen Moment nachdenklich an und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum, bis er sich vernehmlich räusperte.

„Danke, aber weißt du, es war nicht immer so. Mit dem Sport hab ich nicht nur aus Spaß angefangen. Das, was ich dir jetzt erzähle, bleibt unter uns, sonst muss ich dich töten, okay?“

„Versprochen“, antwortete ich verwirrt.

„Also, ich litt damals an einer Stoffwechselstörung und war... naja, fett. Die Störung ging weg, aber ich bin dabei geblieben, irgendwann hat es mir dann doch Spaß gemacht. Deswegen höre ich so was auch heute noch gerne. Selbstsicherheit ist halt auch nicht immer echt.“

Ich schluckte schwer. „Okay, kann ich mir bei dir eigentlich nicht vorstellen. Aber warum erzählst du mir das?“

„Ganz ehrlich? Keine Ahnung!“ Sein Lachen klang nicht ganz echt. „Ich hatte noch nie einen Kumpel, der im Knast war und... ach, vergiss das einfach wieder.“

„Kumpel? Beende den Satz bitte.“

„Nur wenn du willst... wir verstehen uns doch ganz gut, oder? Und...“, er seufzte. „Ich will jetzt nicht dämlich klingen, aber du scheinst ja Probleme zu haben, wegen der ganzen Vorurteile. Also ich hab keine, wirklich, aber vielleicht hilft es ja wenn du weißt, dass nicht immer alles so ist wie es scheint.“

Die Erklärung war toll und hilfreich, denn jetzt verstand ich eigentlich überhaupt nichts mehr.

„Ich rede gerade ‘nen ziemlichen Scheiß zusammen, oder?“ Wieder folgte ein unsicheres Lachen.

„Ja, ich glaub schon.“ Ich boxte ihm leicht gegen den Arm. „Aber das Wichtige ist angekommen, denke ich. Von mir aus können wir gerne Freunde werden, schauen wir einfach mal. Und du hast recht, es fällt mir manchmal schwer mit der ganzen Ablehnung umzugehen. Gerade bei meiner Vermieterin ist es schlimm, ich bin mit ihrem Mann befreundet, er arbeitet in der JVA und hat mir die Wohnung verschafft, gegen den Widerstand seiner Frau. Die Ehe der beiden leidet unter meiner Anwesenheit. Aber bald kann ich mir etwas Neues suchen, mit dem Geld aus der Schreinerei.“

„Das tut mir leid, ist bestimmt nicht einfach. Aber was ist denn ihr Problem? Du scheinst mir doch ganz anständig zu sein, eigentlich kaum vorstellbar, dass du gesessen hast.“

„Es geht scheinbar nur um ihren Ruf, das Ansehen. Ich verstehe es ein wenig. Und danke, aber ich saß zu Recht. Eigentlich hätte ich mehr verdient, für alles was ich getan habe.“

René sah mich betroffen an. „Was war es denn, wenn ich fragen darf?“

„Vielleicht irgendwann, ja? Es ist schwer für mich darüber zu reden, denn beinahe hätte ich das Leben eines wirklich großartigen Jungen zerstört.“ Bei dem Gedanken an Jakob, kamen mir wieder die Tränen. Nach dem Gesetz war meine Schuld abgegolten, aber nicht für mich.

Er legte seine Hand auf meinen Unterarm, doch ich zog weg, Berührungen konnte ich in diesem Moment nicht ertragen, besonders nicht von ihm. Mein Körper verlangte nach ihm und mein Herz... es wollte ihn auch immer mehr. Ausgerechnet ihn, von dem die Frauen nicht die Finger lassen konnten.

„Mach dich nicht so fertig deswegen, du bist ein anderer als damals, hast dich geändert. Jetzt geht es für dich wieder aufwärts.“

Er hatte leicht reden, aber für die Worte war ich dankbar. Dass unser Gespräch länger gedauert hatte, merkte ich, als wir in meine Straße einbogen.

„Danke fürs Heimfahren. Komm gut zurück.“ Ich hielt ihm die Hand hin.

„Gute Nacht, Thomas.

Ich stieg aus und ging zur Tür. René sprang aus dem Auto und kam hinterher.

„Moment noch, wann fängst du eigentlich an? Ich hol dich dann wieder ab.“

„Donnerstag, ich hab zwei Tage für die Behördengänge bekommen.“

„Okay, ich bin dann hier, so wie heute. Schlaf gut.“

Plötzlich nahm er mich in den Arm und drückte mich leicht. „Alles wird gut, Tom, du wirst sehen, okay?“

Etwas hastig ließ er mich los und verschwand in seinem Wagen, ich blieb mit klopfendem Herzen zurück.

„Oh scheiße, Mats!“ Ihn hatte ich wieder komplett vergessen.

Mats

Jedes Geräusch ließ mich zusammenzucken, seit Tom die Wohnung verlassen hatte. Ich hätte ihn bitten sollen zu bleiben, er war gerade mein Schutzwall und auch der Grund meiner Probleme. Zumindest zum Teil. Hätte ich nicht geklaut, dann säße ich jetzt nicht in der Falle.

Der Gedanke, an den gestrigen Abend, löste wahre Zitteranfälle in mir aus, nackte Angst. Dabei fing der Tag unglaublich gut an. Tom hatte mit mir geschlafen, mich bombastisch gefickt und es war der beste Sex seit langem - pure Lust und Leidenschaft, mit einer Zuneigung, die der Liebe in kaum etwas nachstand. Seine Freundschaft war mir enorm wichtig und er war es, der mir sagte, wen ich wirklich liebte. Und nun waren alle in Gefahr: Tom und Kevin.

Ich hatte mich erpressbar gemacht, war unvorsichtig geworden und enttäuschte nun alle.

Mit geschlossenen Augen versuchte ich mich an den verhängnisvollen Abend zu erinnern.

Etwas lustlos krabbele ich aus dem kuscheligen und schmalen Bett, in dem wir es gerade wie die Karnickel getrieben haben. Ich bin so herrlich erschöpft und befriedigt. Toms Bedingungen sind mehr als fair und so beschließe ich, gleich meine Unterlagen aus der Wohnung zu holen, während er uns etwas zum Essen kocht.

Doch kurz nach betreten meiner Wohnung, nimmt alles eine neue Wendung.

Der Gestank in meiner Wohnung kann mein Hochgefühl nicht trüben. Toms Anblick, der durch die Umarmung von René total spitz wurde, war einfach zu geil. Sofort war der Ärger über die Vermietertussi vergessen.

Ich bin doch echt kein Kind mehr“, sage ich, leicht kichernd, zu mir selbst. „Tom hat mich so was von zum Mann gemacht!“ Ja, ich bin total albern und gelöst.

Im Wohnschlafzimmer gehe ich zielstrebig auf das Bett zu, stecke meinen Kopf unter das Gestell und suche nach der zerfledderten Mappe. Der Staub kitzelt mir in der Nase und ich muss niesen. Plötzlich klopft es an der Tür. Kevin? Würde mich wundern. Wahrscheinlich wieder der Hausmeister, oder? “Nein“, sage ich zu mir selbst, der dürfte wie immer besoffen in einer Kneipe rumliegen. Das Gepolter bei seiner Heimkehr hätte ich gehört.

Es klopft wieder, diesmal energischer.

Verdammte Scheiße! Moment, ich komm ja schon.“

Trotzdem klopft es wieder. Ich öffne die Tür einen Spalt und werde zurückgeworfen, die Klinke knallt an die Wand. Putz rieselt herunter.

Ein fetter Typ mit Schnauzer läuft einfach an mir vorbei und rümpft die Nase, beschwert sich über den Gestank. Angesäuert stehe ich auf und übersehe die zwei Schlägervisagen, die an der Tür lauern. Ich reibe mir den schmerzenden Hintern und kassiere einen Tritt, der mich wieder zu Boden wirft.

Bringt ihn zu mir“, befiehlt die Qualle, wie ich den Schnauzertyp nun nenne, und ich werde im Nacken gepackt. Der Schläger hebt mich mühelos hoch und befördert mich ins Wohnzimmer. Ich bin nicht mehr sauer, sondern mache mir fast in die Hose.

Nicht ganz, was ich von meinen künftigen Mitarbeitern erwarte, aber zweckmäßig“, sagt die Qualle.

Hat der Typ einen Knall? „Mitarbeiter? Du hast wohl den Schuss nicht gehört!“

Die Antwort kommt nicht von Schnauzi, sondern vom zweiten Bodyguard und besteht aus einem Schlag mit der flachen Hand gegen meinen Hinterkopf. Ich sehe Sterne und schwitze vor Angst. Ein Tropfen läuft mir von der Stirn ins Auge und es brennt ein wenig.

Du nur sprechen, wenn Boss erlaubt“, belehrt mich einer der Schläger mit russischem Akzent. Ein unnötiger Satz, durch den Angriff habe ich das schon verstanden.

Mitarbeiter, genau. Und nein, ich bin völlig in Ordnung. Aber wer hier gleich den Schuss nicht mehr hört....“ Die Qualle lässt den Satz offen und dreht sich zu mir um. Der polierte Knauf seiner Knarre, der unter dieser kotzlilafarbenen Jacke hervorblitzt, ist wahrscheinlich Antwort genug.

Wir verstehen uns“, stellt er überlegen fest und greift in seine Jackentasche. Vor meinen Füßen landet ein kleiner Stapel Papier. Ich bin nicht sonderlich fotogen, stelle ich fest, besonders nicht, wenn meine Hand in einer fremden Tasche steckt. Auf der Bilderserie verlässt meine Hand die besagte Tasche. Sie zeigen meinen letzten Diebstahl im Boulevard, den leeren Geldbeutel.

Ich habe ein paar Erkundigungen über dich eingeholt, Mats Ole Jorgensen. Bewährung, hmm? Die schlechten Angewohnheiten wird man einfach nicht los. Und, bist du nun mein Mitarbeiter?“ Dieses überlegene Grinsen ist ekelhaft, ich möchte es ihm aus der Fresse schlagen, aber vor Angst kann ich nicht mal einen Finger heben.

Ich starre weiterhin auf die Bilder, warum ich? Was ist hier falsch gelaufen? Mein Schweigen bringt mir einen neuen Schlag ein. „Antworte!“ Meine Panik wird riesig, der Gedanke an Gefängnis ist unerträglich, Tom hat mir dafür die Augen geöffnet, ich will nicht täglich vergewaltigt werden.

Was willst du von mir?“

Wir haben einen gemeinsamen Bekannten, er ist mir noch was schuldig. Und da ich schon länger ein Auge auf ihn habe, bist du mir natürlich auch sofort aufgefallen. Sieht so aus, als ob er dich mag. Das macht dich perfekt für meinen Plan.“ Der Kerl lacht dreckig. „Ich suche noch einen Geschäftspartner, der ab und an schöne Dinge für mich verkauft, Sachen die viel Freude bringen. Du kannst natürlich nein sagen, aber dann gehen die Bilder zur Polizei. Ich hab auch noch ein hübsches Foto von dir, mit Tin zusammen. Hat er dich etwa angestiftet?“ Das Lachen wird noch eine Spur finsterer.

Tin?“ Den Namen habe ich noch nie gehört.

Ach ja, unser Tomboy nutzt seinen alten Künstlernamen nicht mehr.“

Ich werde blass. „Dann muss er doch zurück in den Knast?“ Tom ist das Beste, was mir im Moment passieren konnte, ein Ausweg aus dem Übel. Der Typ hat mich in der Hand, ich kann Thomas nicht ans Messer liefern. „Ich kann mich auch stellen.“

Was hat Tom noch gesagt? Ich bedeute Ärger für ihn. Und, verdammte Scheiße, er hat recht. Dann ertrage ich lieber den Knast und hoffe, dass es mich nicht zerstört.

Das eiskalte Funkeln in den Gangsteraugen lässt mich zusammenzucken. „Mach weiter so, dann kommst du nur noch in die Gerichtsmedizin, in einer Plastiktüte. Also hör auf nachzudenken, dass bekommt dir nicht.“

Ich gebe auf. „Was soll ich machen?“

Du gehst erstmal wieder zu deinem Thomas und wartest, bis ich dich kontaktieren lasse. Und kein Wort zu ihm. Sollte ich rauskriegen, dass du geplaudert hast, dann wird das für euch nicht gut ausgehen.“

Und wenn ich das mache, dann lässt du Tommy in Ruhe?“

Die Qualle lacht nur. „Nein, natürlich nicht. Mit ihm werde ich mich viel später selber beschäftigen. Ach, und für den Fall das du ihn warnst und ihr verschwindet: Sagt dir der Name Schmidt etwas?“

Kevin!“ Was will das Schwein denn noch alles auffahren?

Genau. Ihn brauche ich eigentlich nicht, auf den kann ich getrost verzichten.“ Er tätschelt den Knauf seiner Knarre.

Ich zittere und mir wird schlecht. Hände packen mich grob an den Schultern, leichte Schläge treffen auf mein Gesicht. Und ich höre eine Stimme.

Mats!“

Zitternd öffnete ich die Augen, starke Hände schüttelten mich weiter. Thomas atmete auf und umarmte mich fest, seine geflüsterten Worte konnten mein weinerliches Schluchzen nicht übertönen, zu mächtig war diese Erinnerung.

„Es ist alles gut“, hörte ich mich sagen und streichelte seinen Rücken. Tommy war völlig aufgelöst.

„Spinnst du? Was ist hier gerade in Ordnung? Mats, ich mache mir Sorgen, habe Angst um dich, was ist mit dir los?“

Ich küsste ihn einfach nur, seine Hilfe hatte ich nicht verdient, denn ich würde ihn unglücklich machen, wenn die Qualle Wort hielt. Kevin... ein wertloser Mensch? Jemand, den man einfach beseitigen könnte, nur um mir weh zu tun? Das war einfach zuviel, mehr als ich verkraften konnte. „Tommy, guck nicht so traurig, du bist hübscher wenn du lächelst. Hast du den Job bekommen?“

Er konnte nicht antworten. „Nicht weinen, Tommy. Es wird alles gut.“ Eine Option hatte ich schließlich noch.

Mein Freund hatte eingesehen, dass es im Moment nichts zu bereden gab und so zog er mich ins Schlafzimmer. Es war lieb von ihm, wie er sich schützend an mich klammerte, es tat gut. Ich würde es vermissen. Die Nacht über machte ich kein Auge zu, aber er war eingeschlafen. Ich kuschelte mich an ihn, genoss seinen Duft und überlegte mir, wie ich das Problem am besten lösen könnte. Der Plan nahm langsam Gestalt an. Er würde es mir bestimmt verzeihen.

Um Punkt sieben Uhr klingelte der Wecker und mein Freund wurde langsam wach. Wieder küsste ich ihn, weil es schön war. Er lächelte mich für einen Moment an und ich lächelte zurück. Doch dann schien er sich an gestern zu erinnern. Den traurigen Ausdruck in seinen Augen wollte ich nicht sehen und streichelte seine Wange, es half aber nicht viel.

„Guten Morgen, Kleiner. Geht es dir besser?“

„Vielleicht. Ich bin sicher, dass heute wieder alles in Ordnung kommt.“

„Sagst du mir dann, was los war? Du hast doch nicht vergessen, dass ich dich lieb habe, oder? Kleiner Dieb.“ Jetzt lächelte er doch, aber sein letztes Wort brachte den Schmerz zurück. Genau das war ich wohl, ein Dieb.

„Du wirst alles erfahren, versprochen.“ Wenn auch nicht mehr von mir, dachte ich traurig. Aber es würde ihm Zeit verschaffen. Vielleicht sogar ausreichend Zeit, wenn er merkt, dass hier etwas nicht stimmt. Ich würde ihm alles sagen, ohne etwas zu sagen. Das hatte er verdient. „Hab dich auch lieb, Tommy. Und Kevin. Er muss auch wissen, dass ich ihn liebe.“

„Du redest seltsam, Mats.“

„Meinst du? Naja, ich bin noch ein wenig durcheinander, aber das kommt wieder in Ordnung. Ich weiß jetzt, was zu tun ist. Möchtest du Kaffee? Ich koch welchen, dann kannst du schnell duschen.“

„Mach mal langsam, Kleiner, ich muss heute nur zum Amt, mich abmelden. Ich wollte es dir ja gestern sagen, aber ich konnte nicht. Ab Donnerstag fange ich bei Wobrecht an. Dann wird alles besser, wir kommen hier raus, weg von Evelyn und es geht in eine neue Wohnung.“

„Wir?“ Ich bekam einen Kloß im Hals.

„Natürlich“, lächelte er. „Solange du bei mir bist und meine Hilfe brauchst, kommst du natürlich mit. Ich suche was mit einem Gästezimmer, da kannst du jederzeit vorbei kommen. Von mir aus auch mit Kevin, wenn es was mit euch wird. Er kann eigentlich nicht so dumm sein nicht zu bemerken, was er an dir hat. Du kennst ja meine Meinung, ich denke auch weiterhin, dass er dich ebenfalls liebt.“

„Das wäre schön, stimmt.“ Warum machte er es mir nur so schwer?

Wir blieben noch eine Weile angekuschelt liegen, bis wir dann nacheinander duschen gingen. Ich betrachtete ihn beim Frühstück, bis es Zeit zum Aufbruch war.

„Warte, ich komm mit, hab in der Stadt was zu erledigen.“

Thomas atmete erleichtert auf. „Schön, ich hatte schon Angst, ich müsste dich wieder einsperren.“

„Nein, das Thema ist erledigt, musst du nie wieder.“

„Das wollte ich hören. Komm, wir gehen. Wir packen das alles.“

In der Nähe der Schloßstraße trennten wir uns, Thomas lief weiter geradeaus und ich bog nach rechts ab. Langsam näherte ich mich den Einkaufszentren und mein Ziel ragte in sichtbarer Nähe vor mir auf. Durch eine Stahltür gelangte ich in das Innere eines Treppenhauses und ich folgte den Stufen ein paar Stockwerke nach oben. Die Treppe endete direkt vor dem letzten Deck des Parkhauses. Die Tür schwang mit einem leisen Quietschen nach außen auf und die Sonne blendete mich. Es war schon sehr warm für die frühe Stunde, nicht ganz neun Uhr und der weite Betonboden lag leer vor mir. Unter den Sommerduft mischten sich die Dünste von Benzin und Abgasen, typisch für diese Stadt.

Es war merkwürdig, wie deutlich mir diese Kleinigkeiten heute auffielen. Ein paar Schritte fehlten noch bis zum Randbereich und ich schaute in die Tiefe. Subjektiv betrachtet war es nicht mal so unglaublich hoch. Aber es würde reichen.

Langsam kletterte ich über die erhöhte Brüstung, meine Beine schwangen auf die andere Seite und ich sah nachdenklich in die Tiefe. Ein Schritt nur und den beiden wäre geholfen. Kevin wäre sicher, ohne mich hätten sie keinen Grund mehr ihm etwas zu tun. Gerne hätte ich mich noch mit ihm versöhnt, aber dazu blieb keine Zeit mehr. Thomas... Tommy, nutze die Zeit und hau ab. Das hier würde dir keinen großen Vorsprung geben.

Seine letzten Worte gingen mir durch den Kopf, dass Kevin es noch merken muss. Ich rückte noch ein Stück vor, die Einkaufsstraße war noch verlassen, nur ein paar Straßenkehrer schoben ihre Besen vor sich her. Wenn Thomas recht hatte... mein ältester Freund würde das nur schwer überstehen. Ob Tommy sich um ihn kümmern würde? Die Tränen liefen mir übers Gesicht. Beide würden sehr traurig sein. Aber wir konnten es nicht schaffen, oder? Die Qualle würde uns doch bekommen, der Mann war das pure Böse. Wir würden sterben.

„Du bist so ein Idiot, Mats“, lachte ich mich aus. Wenn ich jetzt spränge , dann wäre ich auch tot. Dann gäbe es wirklich nicht den Hauch einer Chance. Sollte ich nicht einfach mitspielen und auf eine Gelegenheit hoffen, auf ein Wunder? Den Ritter in strahlender Rüstung? Plötzlich hatte ich eine beschissene Angst vor der Höhe und kletterte langsam zurück. Ich musste es schaffen, damit Thomas weiter lachen konnte und damit Kevin wieder vernünftig würde.

Auf dem Weg vom Geländer herunter hörte ich in meinem Rücken erneut das Quietschen der rostigen Türscharniere. Einer der Schläger von vorgestern näherte sich mir, der, der noch kein Wort gesprochen hatte. Er applaudierte spöttisch.

„Schade, schade, schade. Dem Boss hätte das echt gefallen. Er liebt Drama, solange es ihn nicht selber betrifft. Aber gut, du bist halt feige.“

„Dein Boss kann sich in den fetten Arsch ficken. Er soll mir diese verfickten Jobs geben und mich ansonsten in Ruhe lassen. Ihr Penner seid es nicht wert, dass ich mich wegen euch umbringe.“ Die Angst war weg, ich fühlte nur noch den Hass auf diese Schweine.

„Du bist ja doch nicht ganz so feige, aber dämlich. Das kann dich das Leben kosten.“

„Weißt du was, du Wichser? Dann mach mich doch kalt. Ist mir egal, aber den Spaß, dass ich es selber tue, gönn ich euch nicht.“ Er machte einen drohenden Schritt auf mich zu. „Ja komm, schlag mich oder fick mich! Mach was du willst! Wenn es dich aufgeilt einem Schwächeren weh zu tun, dann kann ich nichts dagegen machen. Aber ich krieche nicht vor euch!“

„Nicht schlecht, Kleiner. Ich hab nichts für kleine Knabenärsche übrig. Hier nimm.“ Der Typ blieb erstaunlich ruhig und drückte mir einen Zettel in die Hand. „Komm heute Abend zu der Adresse. Du holst dort ein Päckchen und bekommst neue Informationen, wo du es hinbringen sollst. Und wenn du sterben willst, dann verschwindest du mit dem Paket oder dem Geld, das du dafür bekommst. Und glaub mir, keiner von uns würde zögern dir den Kopf wegzuballern.“

„Verstanden.“ Ich drückte mich an dem Kerl vorbei und ging auf die Tür zu. Und fand mich plötzlich mit dem Rücken an der Wand, ein Arm auf die Kehle gepresst. „Wenn du mich noch einmal Wichser nennst, dann schneide ich dir den Schwanz ab und stopf ihn dir in dein freches Maul, klar?“

Okay, ich hatte doch noch Angst und nickte einfach nur.

„Gut und jetzt darfst du verschwinden.“

Langsam verließ das Adrenalin mein Blut und ich bekam weiche Knie. In Zukunft würde ich mich etwas zurückhalten, denn den eigenen Schwanz wollte ich sicher nicht auf diese Weise lutschen.

Bis zum Abend trieb ich mich in der Stadt rum und ging nicht mehr zu Thomas, ihm wollte ich vorerst nicht mehr in die Augen sehen müssen. Hoffentlich konnte er mir das Kommende verzeihen.

Thomas

Der Besuch bei der ARGE verlief zufriedenstellend. Nach einiger Wartezeit kam ich zu meiner Sachbearbeiterin und gab ihr die Kontaktdaten meines neuen Arbeitgebers. Sie nickte anerkennend, auch sie hielt Wobrecht für einen unglaublichen Glücksgriff. Dann ging ich einkaufen, ein kleines Festessen für Mats und mich. Schwer bepackt machte ich mich auf den Heimweg und räumte alles in die Schränke. Die Stunden vergingen und ich wurde ständig nervöser. Nach dem merkwürdigen Morgen war die Sorge berechtigt und ich fing trotzdem an zu kochen. Vielleicht würde sich ja bald alles aufklären.

Um kurz vor sieben Uhr klingelte es endlich an der Tür, doch es wartete eine andere Überraschung auf mich.

„René, das ist ja ‘ne Überraschung. Was treibt dich her?“

Der Blondschopf kam herein und schüttelte mir wieder nur die Hand. „Karl hält es für eine gute Idee, wenn du dich hiermit befasst.“ Er drückte mir ein dickes Buch und einen Ringordner in die Hand. Informationen über verschiedene DIN Normen, Holzklassifizierungen und dergleichen. Ich stöhnte auf, Theorie lag mir nicht besonders.

„Das packst du schon“, lachte er. „Hier riecht es aber gut.“

„Ja, ich hab gekocht, um mit Mats den Job zu feiern. Aber er ist verschwunden. Er wollte nur was erledigen, aber das war heute Morgen. Und da war er auch noch so eigenartig. Langsam hab ich echt Angst um ihn.“

René sah mich wieder so merkwürdig an, wie schon gestern. „Könnte er in seiner Wohnung sein?“

„Vielleicht, aber ich weiß nicht wo er wohnt.“

Mein Gegenüber zog eine Augenbraue hoch. „Okay, wir können ja mal im Telefonbuch schauen. Wie heißt er denn weiter?“

Jetzt wurde es peinlich. „Ich weiß es nicht...“

„Bitte? Du hast doch gesagt, ihr wärt Freunde!“

„Ja schon, aber wir kennen uns erst seit Freitag.“ Noch peinlicher konnte es nicht werden.

„Du lässt ihn bei dir wohnen und weißt nichts über ihn?“ Irgendwas veränderte sich in René, es schien mir, als ob er auch noch etwas anderes in sich hatte. Ich konnte es nicht einordnen. „Was sagt dir denn, dass er nicht doch minderjährig ist, ein Ausreißer oder Schlimmeres?“

„Jetzt mach mal halblang, wir haben uns lange unterhalten und ich glaube ihm.“

Sein hübsches Gesicht bekam strenge Züge. „Hat er Freunde?“

„Kevin heißt einer, er hat mir von ihm erzählt.“

„Kevin und weiter?“

„Was weiß ich denn? Was soll die Fragerei überhaupt? Du klingst ja wie ein Bulle.“

René hielt die Luft an und sah zu Boden. „Sorry, natürlich nicht, ich will doch nur helfen. Hast du denn gar nichts von ihm?“

Ich durchsuchte den Garderobenschrank und fand dort seinen Schlüssel. „Das war’s.“ Stumm dachte ich nach. „Nein, so ein Quatsch! Warte kurz.“

Ich stürmte ins Wohnzimmer und sah hinter die Couch, da hatten wir doch seine Mappe deponiert. Mit dem Fundstück stolzierte ich zurück in den Flur.

„Da sieh her, seine Unterlagen von der ARGE.“

„Die hat er dir gegeben?“

„Ich sag doch, dass wir uns vertrauen. Ich will ihm helfen wieder auf die Beine zu kommen.“ In der Mappe fand ich schnell die gesuchten Informationen. „Da, Mats Ole Jorgensen, er wird tatsächlich bald 20. Die Adresse ist nicht so weit von hier.“

„Komm, ich fahr dich hin.“ Irgendwas an Renés Art gefiel mir gerade gar nicht.

„Und was dann? Er wird wohl nicht dort sein, ohne den Schlüssel.“

„Aber wir finden möglicherweise was über diesen Kevin heraus, vielleicht weiß der mehr.“

„Sorry, sag was du willst, aber du klingst wie ein Bulle. Ich hatte schon mit einigen zu tun.“

„Tom, das ist Blödsinn, ich denke nur nach und bin nicht so kopflos wie du gerade.“

„Ich bin NICHT kopflos!“ Meine Stimme wurde lauter, aber nicht weil ich sauer war, sondern weil er recht hatte.

„Dann geh du alleine da rein, ich warte im Auto.“ Schon hatte ich Mats Schlüssel geschnappt und wartete draußen.

„Warum alleine?“

„Ich bin vorbestraft. Wenn wir da reingehen, ist das Hausfriedensbruch, wenn nicht sogar Einbruch. Es geht hier um meine Bewährung.“

„Nur wenn er dich anzeigt. Mann, Tom, das ist vielleicht eine Notsituation, da ist der Ermessensspielraum größer.“

„Wenn du kein Bulle bist, dann musst du wohl Anwalt sein.“

„Ich bin kein Anwalt. Ich interessiere mich nur ein wenig dafür.“

Langsam, aber sicher ging er mir ein wenig auf die Nerven. Ich mochte offene Menschen, doch er baute ein Geflecht aus Ausflüchten um sich auf. Ganz anders als noch gestern auf der Heimfahrt.

„Wenn du ihm helfen willst, dann lass ihn uns suchen gehen. Oder hast du eine bessere Idee?“ Er schlug wieder einen versöhnlicheren Tonfall an. „Es tut mir leid, ich habe überreagiert. Das, was du gesagt hast, kommt etwas seltsam rüber.“

„Schon gut, unser Kennenlernen war auch seltsam.“ Sollte ich es ihm sagen?

„Warum seltsam?“ Die Frage klang nicht mehr fordernd, sondern nur noch interessiert.

„Mats hat mich beklaut und ich hab ihn dabei erwischt, okay? Er hat Geldprobleme, weil er Mist gebaut hat. Keine Ahnung, ich mag ihn, er erinnerte mich an mich selbst am Anfang, bevor es tief runter ging. Er muss nicht meinen Weg gehen, das steht er nicht durch.“

„Oh. Das ist...“

„Seltsam, ja. Aber ich habe ihn kennengelernt, wir waren sehr offen. Mats ist ein lieber Kerl. Ich möchte ihm helfen sich zu ändern, einen Job zu finden.“

Wieder veränderte sich Renés Blick, er wurde fast schon so was wie sanft. „Du bist wirklich ein prima Kerl. Na komm, lass uns deinen Freund suchen.“

Kaum fünfzehn Minuten später standen wir beide tatsächlich in Mats Flur. René rappelte vergeblich am Lichtschalter.

„Vergiss es, am Freitag wurde sein Strom abgestellt, deswegen wohnt er ja bei mir.“

„Moment, warte kurz hier.“

René raste die Treppen runter und kam mit einer Taschenlampe zurück. Zwischenzeitlich hatte ich die Fenster geöffnet, in der Wohnung stank es erbärmlich. Gemeinsam sahen wir erst ins Bad, suchten den Flur ab und schließlich den kleinen Schlaf- und Wohnraum. Nichts was uns irgendwie weiterhelfen konnte.

„Hier, ein Computer.“ René zeigte auf einen alten, grauen Kasten, der neben dem Bett auf dem Boden stand. Ohne zu zögern drückte er auf den Schalter und ich lachte los.

„Willst du den Stecker vielleicht in die Taschenlampe stecken? Vielleicht bekommen wir so genug Strom.“

„Shit, du hast Recht.“ Er lachte mit.

„Okay, überzeugt. Du bist kein Bulle, dem wäre das aufgefallen.“

„Ja ja, ist gut. Lass uns verschwinden, Fehlanzeige.“

Der Lichtstrahl huschte über den Boden und streifte kurz das Bett. Unter dem Rahmen blitzte etwas auf. „Hey, leuchte noch mal zum Bett!“

Der helle Punkt fand das Gesuchte und ich zog es hervor. „Scheiße!“

„Er ist in Schwierigkeiten, das Bild hat sicher kein Freund geschossen.“

Es war eindeutig Mats, der gerade jemandem die Brieftasche klaute. Der Datumsaufdruck zeigte den Samstag und ich seufzte.

„Das war kurz bevor er zu mir kam. Er wollte eigentlich bei Kevin bleiben, aber der...“ Ich hielt die Klappe, von der Escort-Geschichte wollte ich nicht auch noch anfangen. „Der Idiot, ich hatte ihn doch vor dem Knast gewarnt, gerade mal einen Tag davor. Die Bewährung kann er knicken, wenn das rauskommt.“

„Falls das rauskommt, meinst du wohl.“ Er steckte das Bild ein. „Ich glaube jemand erpresst ihn jetzt. Das würde doch sein Verhalten erklären?“

René hatte Recht, dass machte Sinn. „Was hast du mit dem Bild vor?“

„Lass mich nur machen, ich sorge dafür, dass es ihm nicht schaden kann. Auch wenn es wahrscheinlich mehrere davon geben wird. Und frag nicht nach, denn sonst bist du Mitwisser bei einer Straftat, okay?“

„Danke, vielen Dank. Ich schulde dir was.“

René legte seine Hand auf meine Schulter. „Das hatten wir gestern schon.“

„Warum tust du das? Warum hilfst du jetzt auch ihm?“

„Weil ich gerne dein Freund sein möchte und weil es dir was bedeutet. Ich vertraue dir und hoffe, dass du dich in Mats nicht täuschst.“

Und ich war wieder an dem Punkt, an dem ich ihn küssen wollte. Doch ich stand einfach auf und umarmte ihn. Seine Arme schlossen sich einen Moment lang fest um mich und auch wenn er es nur als Freund tat, ich fühlte mich wohl dabei. Vielleicht würde ich es verkraften, dass nicht mehr aus uns werden konnte. „Danke.“ Mehr musste ich jetzt nicht mehr sagen.

Auf dem Rückweg zu meiner Wohnung redeten wir nicht und er half mir das gute Essen zu vertilgen, denn trotz all des Kummers waren wir beide hungrig. Nach dem Abwasch verabschiedete er sich und ich ging ins Bett.

Der Mittwoch verlief ohne Neuigkeiten, lediglich meinem Bewährungshelfer teilte ich die guten Nachrichten wegen des Jobs mit. Mats blieb verschwunden und das miese Gefühl im Magen verstärkte sich weiter. Auch die kommende Nacht war unterirdisch schlecht, es fehlte mir, mich an ihn kuscheln zu können. Mehr als gerädert stieg ich dann Donnerstag früh zu René ins Auto.

„Du siehst wirklich mies aus. Hat er sich nicht gemeldet?“

„Nein, gar nichts. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.“

„Sei mir nicht böse, aber ich habe gestern ein paar Stunden vor seinem Haus gewartet. Leider hat das auch nichts gebracht.“

„Das hast du? Nein, danke, ich bin nicht böse. Ist lieb von dir.“ Das sich mein Satz ziemlich schwul anhörte, war mir egal. Von mir aus konnte René das ruhig wissen, doch er ging nicht darauf ein.

Die Arbeit lenkte ziemlich gut von meinen Sorgen ab und ich war konzentriert dabei. Ändern würde es für Mats nichts, wenn ich jetzt noch diese Chance verloren hätte. Am späten Nachmittag wechselte ich aus der Halle auf den Vorplatz, in den nächsten Tagen sollte ich mich mit den Dachbalken beschäftigen. Sie mussten gerade geschliffen, imprägniert und getrocknet werden. Wenig hilfreich war, dass ich von hier einen guten Blick auf Renés Haus hatte und, noch viel schlimmer, auf den Basketballplatz, wo er seit einigen Stunden in der sengenden Hitze Körbe warf. Sein nackter Oberkörper glänzte nicht, er strahlte regelrecht in der Sonne. Ich hatte noch nie so etwas Anmutiges und Schönes gesehen. Eine einfache Freundschaft wäre doch schwerer als gedacht.

Am Abend duschte ich schnell, diesmal fiel es mir leichter als noch am Montag und verabschiedete mich von den Kollegen. Den Schlüssel zu meinem Firmenwagen erhielt ich von Karls Frau, Martha, die mich für Sonntag zum Geburtstag von unserem Chef einlud. Traditionell waren alle Mitarbeiter willkommen.

„Tom, kommst du noch rüber?“

René sah beinahe schon bettelnd aus. Ich fühlte mich eigentlich zu schwach, um meine Kumpelfassade aufrecht zu halten. „Können wir das vielleicht verschieben? Ich fühl mich gerade nicht so besonders.“

„Na komm schon, ein Bier. Du siehst aus, als ob du etwas Gesellschaft brauchen könntest.“

„Okay“, seufzte ich. „Aber alkoholfrei.“ Er hatte sich glücklicherweise etwas übergezogen, meine Hormone hatten nun nur noch mit seinem Geruch zu kämpfen. Ich folgte ihm zur Terrasse, auf die Schaukel im Schatten. Das Sitzen entspannte ungemein, mein Körper war diese harte Arbeit noch nicht ganz gewohnt.

„Natürlich, du fährst ja. Cooles Gefühl, oder?“

„Ja, ich fühl mich beinahe wieder wie ein Mensch.“

Wir prosteten uns zu.

„Ich habe heute sämtliche Unfallkliniken und Notaufnahmen angerufen“, eröffnete er das Gespräch. „Mats ist nirgendwo. Ich denke es ist ein gutes Zeichen.“

Mein Herz klopfte vor Dankbarkeit, es tat gut zu wissen, dass René sich da meinetwegen voll reinhängte. Fast schon zuviel, für einen einfachen Freund. Aber vielleicht war er ja auch einfach so.

„Hab ich jetzt wieder was gut bei dir?“

Sein Grinsen ließ bei mir den Knoten platzen und ich lachte. „Mittlerweile reicht dein Guthaben schon ins nächste Leben.“

„Ach Quatsch, ich tu es gern. Du kannst ein wenig Hilfe und Aufmunterung gut brauchen.“

„Das stimmt. Mir fehlt manchmal nur eine Schulter zum Anlehnen. Du weißt schon was ich meine.“ Wieder ein Schritt zuviel, dachte ich.

„Wenn es dich nicht stört, meine zu nehmen, dann ist es für mich auch okay.“

„René, was wird das? Das meinte ich nicht... Ach, vergiss es. Sorry, aber ich muss ins Bett. Wir sehen uns morgen, okay?“

„Schade. Okay, bis morgen. Fahr vorsichtig. Und wenn was ist, dann melde dich. Ich komme vorbei, jederzeit.“

Welches seiner Signale stimmte nun eigentlich? Hätte ich das Angebot mit der Schulter angenommen, dann hätten wir es schnell herausgefunden. Ja, ich wollte mich anlehnen. Ihn streicheln, küssen und seinen Duft tief einatmen. Ich war verliebt und er? Er genoss und schwieg über seine Weibergeschichten. Wenigstens hatte er Anstand und prahlte nicht rum.

„Danke, es geht schon. Schlaf gut.“ Warum hatte ich nur das Gefühl, dass er enttäuscht aussah? Die Antwort lag auf der Hand: mein Wunschdenken.

Mit einer gehörigen Portion Herzschmerz fuhr ich in meine leere Wohnung. Mats hätte sicher einen Weg gefunden, mich ein wenig aufzumuntern, ein kleiner Sonnenstrahl in der Dunkelheit zu sein. Doch so wartete nur ein kaltes Bett in überhitzter Luft auf mich.


Am Folgetag kam ich viel zu früh in der Firma an, die Hallen lagen noch geschlossen vor mir. Gegen vier Uhr in der Früh war mein Schlaf schon vorbei und ich hielt es nicht mehr sehr lange in der Wohnung aus.

„Guten Morgen, Thomas, was machst du denn schon hier?“ Karl Wobrecht war aus dem Haus gekommen, noch im Morgenmantel. Offiziell hatte ich noch eine Stunde bis Arbeitsbeginn.

„Mir fiel die Decke auf den Kopf, da hab ich nicht auf die Uhr geachtet. Tut mir leid.“

Er lachte. „Nun, zu früh ist mir fast lieber als zu spät.“ Er schloss die Tür auf. „Aber lass es nicht zur Gewohnheit werden, ich möchte, dass meine Mitarbeiter ihre freie Zeit sinnvoll nutzen. Wir arbeiten schließlich auch, um zu leben und leben nicht nur, um zu arbeiten.“

„Danke, Chef. Aber hier arbeite ich wirklich gerne. Es ist fast schon ein Traum.“

„Du bist ein wahrer Glücksgriff. Ich hab mir gestern Abend dein Werk mal angesehen, nicht schlecht, wirklich. Engagiert und geschickt, so wirst du lange bei uns bleiben. Hast du eigentlich schon richtig gefrühstückt?“

„Danke und nein, nicht direkt.“

„Zieh dich schon mal um und geh dann in den Aufenthaltsraum.“

Karl marschierte zurück ins Haus und ich in die Umkleide. In aller Ruhe räumte ich ein paar Klamotten in meinen Spind und zog meinen Blaumann an. Es war nicht gelogen, hier fühlte ich mich daheim. Einen besseren Chef konnte ich mir, auch wenn er es erst seit Kurzem war, nicht vorstellen.

Im Aufenthaltsraum wartete eine kleine Überraschung auf mich, auf einem der Tische stand ein kleines Tablett mit Brötchen, Kaffee und Orangensaft.

„Lass es dir schmecken“, ertönte eine Stimme hinter mir.

„René? Was machst du denn schon hier?“

Er grinste. „Guten Morgen, Thomas. Ja, genau das haben wir uns auch gefragt. Ich war bei Karl und Martha zum Frühstück, als du auf den Hof gekommen bist. Mein Onkel hat mich gebeten, dir das zu bringen.“

Wieder mit Herzklopfen starrte ich ihn an. Er sah ein wenig aus wie frisch aus dem Bett gefallen. Ein leichter Bartschatten im Gesicht und die Haare total verwuschelt. René trug einen leichten Trainingsanzug, die Jacke war zu einem Drittel geöffnet und die braune Haut leuchtete mir entgegen. So hatte ich ihn bisher nicht gesehen. So sah jemand aus, neben dem man gerne aufwacht. Trotz seiner seltsamen ‚Anfälle’, verliebte ich mich jeden Tag mehr in diese Seite von ihm.

„Vielen Dank“, krächzte ich mit belegter Stimme und räusperte mich. Er war einfach der einzige Wermutstropfen hier.

„Bis später, ich geh dann mal joggen.“

Ein wenig zu schnell entzog er sich meiner Musterung und ging nach draußen. Diesmal konnte es ihm einfach nicht entgangen sein. Das Frühstück schlang ich im Anschluss schnell runter und machte mich an die Arbeit. Langsam kamen immer mehr Kollegen dazu und hektisches Leben breitete sich in der Firma aus. Trotz all dem Stress und dem Zeitdruck lag ständig Gelächter in der Luft, uns allen gefiel es hier.

Erschöpft legte ich den Hobel beiseite, nachdem ich mich den ganzen Nachmittag frustriert an einigen Holzbalken ausgetobt hatte. Die Verspannung in der Schulter schmerzte richtig.

Die Sache mit Mats belastete mich weiterhin sehr und schon am Vormittag rannte René wieder ewig mit dem Basketball über den Platz. Es war mir schleierhaft, wo er bei der Hitze die Energie hernahm, oder wie er es schaffte, seine mehr als 190 Zentimeter so elegant durch die Luft gleiten zu lassen. Doch bald schon genoss ich diesen Anblick nicht mehr heimlich, denn ich war sauer. Enttäuscht traf es vielleicht noch besser.

Am Mittag veränderte sich etwas und schlug eine eindeutige Richtung ein.

Aus der Entfernung beobachtete ich, wie ein Auto auf den Hof fuhr und eine junge Frau mit einem kleinen Mädchen ausstieg. Sofort ging sie auf René zu und umarmte ihn fest. Auch mit dem kleinen Kind spielte er ausgelassen. Das Mädchen verschwand irgendwann zu Martha ins Haus, René ging mit der Frau in sein Reich und blieb ein paar Stunden verschwunden. Damit war klar, er war verheiratet und hatte eine Tochter.

Und auch jetzt starrte ich ihn wütend an, wie er auf einer Liege entspannte. Seine ‚Besucherin’ befand sich mittlerweile ebenfalls im Haus der Tante.

Langsam packte ich meinen Kram zusammen und bereitete mich auf den Feierabend vor, fest entschlossen, daheim noch ein oder zwei Bier zu trinken und dann ins Bett zu fallen. Schnell kramte ich mein Duschzeug aus dem Spind und begab mich in Richtung Gemeinschaftsdusche, als seine warme Stimme mich ansprach.

„Hey, Thomas, kommst du gleich noch rüber? Ich hab zu viel Salat und du siehst hungrig aus.“

Das Lächeln in seinem weichen, schlanken Gesicht drückte sich wie eine Faust in meine Magengrube. Ausgerechnet heute, wo all meine Träumereien ein Ende fanden. Dementsprechend verzog sich mein Gesicht schmerzerfüllt.

„Ist irgendwas?“, fragte er besorgt nach.

„Nein, mir tut nur alles weh, Rücken, Schultern... such dir was aus und du liegst richtig. Ich will einfach nur ins Bett“, antwortete ich und es war nicht mal gelogen.

„Ein Bier zur Entspannung?“ René ließ nicht locker.

„Sorry, aber ich hab noch ein Stückchen zu fahren. Ein anderes Mal vielleicht.“

„Sicher, dass nicht noch was anderes ist? Ich mein, wir haben doch schon ein paar nette Abende gehabt?“

„Mach dir doch einfach einen netten Abend mit deiner Frau und deiner Tochter!“, setzte ich giftiger als beabsichtigt nach.

René sah mich verständnislos an. „Meine... meine was?“ Dann lachte er los.

„Was ist daran so witzig?“ Ich glaubte, er lachte mich aus und wurde sauer.

„Man, Thomas, was ist los mit dir? Das war meine Zwillingsschwester mit meiner Nichte, die beiden sind heute aus Bayern angereist. Onkel Karl hat doch übermorgen Geburtstag. Hast du das schon vergessen?“

Mit einem Mal fühlte ich mich irre dämlich und hatte zudem mehr von meinen Gefühlen preisgegeben, als ich je beabsichtigt hatte.

Er zwinkerte mir lächelnd zu. „Man könnte ja fast meinen, du bist eifersüchtig.“

„Ach, red doch keinen Scheiß, ich fühl mich einfach nicht wohl heute. Okay, ich nehme was vom Salat und ein Wasser, wenn du hast.“

„Klar, kein Thema. Dann bis gleich.“ Er schlug mir etwas übertrieben kumpelhaft auf die Schulter.

„Au verdammt!“ Der Schmerz war nicht gespielt, meine Schultern brannten wie Feuer. Jeder Muskel war verkrampft und das auch beinahe völlig grundlos, wie ich nun wusste.

„Tut mir leid, ich dachte... es wäre eine Ausrede gewesen“, entschuldigte er sich. „Komm mit rüber.“

„Ich geh nur schnell duschen, hab geschwitzt wie ein Tier, geh ruhig vor.“

René überlegte einen Moment. „Ich hab ne bessere Idee. Komm mit und du kannst ein wenig in der Wanne entspannen. Das ist besser als nur duschen.“

Dieser Gedanke war mehr als verlockend, in meiner Wohnung gab es ja keine Wanne.

„Wenn es dir keine Umstände macht?“, hakte ich vorsichtig nach.

„Tut es nicht. Sieh es als Entschuldigung an, weil ich dir das mit den Schmerzen nicht geglaubt habe.“

Kurz darauf folgte ich ihm zu seinem Haus. Wir gingen über die Terrasse ins Haus, vorbei an der gemütlichen Hollywoodschaukel, auf der wir schon die letzten Abende verbracht hatten und wo ich seine angenehme Nähe genießen durfte. Vielleicht sollte ich ihm bald sagen, was mit mir los war, damit er entscheiden konnte, wie er künftig damit umgehen wollte. Natürlich war der Gedanke an eine Frau etwas dämlich, denn sonst hätte er mir am Montag im Auto sicher davon erzählt, ich hatte ihn ja danach gefragt, mehr oder weniger. Und warum sollte ich mein Shirt ausziehen? War es wirklich nur sachliches Interesse? Wie sehr wünschte ich mir, dass mehr dahinter steckte.

René ließ mich im etwas kühleren Wohnzimmer auf der Couch Platz nehmen und brachte mir erstmal eine Flasche mit eiskaltem Wasser. „Bin gleich wieder da.“

Nach ungefähr zehn Minuten Grübelei betrat er auch wieder den Raum und ich schluckte heftig. Seine Haare lagen nass am Kopf an und mehr als eine wirklich knappe Short trug er nicht am Körper.

„Dein Wasser ist bald fertig, ich hab auch schnell geduscht“, rief er mir auf dem Weg in die Küche zu.

Kurz darauf kehrte er mit zwei Glastellern zurück, vollgepackt mit einem Mix aus verschiedenen grünen Salaten, Tomaten und Paprika. Er schmeckte ausgezeichnet und wir aßen ihn schweigend.

„Du bist heute wirklich ruhig“, sprach er mich etwas später an. „Ist nicht doch noch was anderes?“

Ich rollte mit den Augen. „Lass gut sein! Nichts wobei du mir helfen könntest.“ Nun, dass war gelogen.

„Okay“, seufzte René. „Ich guck mal nach dem Wasser.“

Keine fünf Minuten später lag ich in der Wanne, den duftenden Schaum hoch bis zur Nase und entspannte mich. Doch viel besser wurde der Schmerz auch nicht. Langsam wusch ich mich und kletterte nach einer halben Stunde aus dem Wasser. Da René auch nur leicht bekleidet war, verzichtete ich erstmal auf das Wechselshirt und begnügte mich mit einer bequemen Short.

„Und, geht es dir besser?“, fragte er gleich bei meiner Rückkehr ins Wohnzimmer.

„Geht so, etwas, aber richtig bewegen kann ich mich immer noch nicht. Ich such mir nächste Woche vielleicht nen Masseur, falls es nicht besser wird.“

„Also meinetwegen musst du nicht so lange darauf warten, ich bin zwar kein Profi, hab aber schon ein paar Kurse gemacht.“

Ich schluckte hart. René wollte mich anfassen? Ihm das zu erlauben wäre mein Untergang.

„Gerne“, kam es aus meinem Mund und es war das genaue Gegenteil von dem, was ich eigentlich sagen wollte.

„Super“, freute er sich und verschwand in der oberen Etage, nur um kurz darauf mit einer kleinen Flasche und einem großen Handtuch zurückzukommen. „Leg dich einfach auf die Couch.“ René breitete das Handtuch auf seinem wertvollen Polster aus und deutete noch einmal auffordernd darauf.

Langsam kam ich seinem Wunsch nach und spürte dabei seine Blicke auf mir. Mit dem Hinlegen beeilte ich mich jetzt doch, bevor mein Schwanz sich sichtbar erheben konnte.

René drückte vorsichtig auf meinem Rücken herum. „Entspann dich, Tom, kein Grund dich noch mehr zu verkrampfen.“

Er hatte leicht reden. Und ehe ich es realisierte, hatte er sich schon breitbeinig über meine Oberschenkel gehockt und seine Hände schlossen sich um meine Schultern. Die Haut seiner Beine an mir zu spüren machte mich schier wahnsinnig. René hantierte mit der Flasche und verteilte tropfenweise das handwarme Öl auf meinem Rücken, es duftete nach Granatapfel.

„Wenn es zu weh tut, dann sag mir Bescheid!“, forderte er mich auf.

„Okay, mach ich.“

Und was dann folgte, war unbeschreiblich. René bearbeitete jeden Quadratmillimeter vom Nacken, über die Schultern bis zum Rücken mit seinen starken Händen. Unermüdlich walkte er mich durch, jeden Knoten spürte er auf. Gegen meinen Willen stöhnte ich unaufhörlich leise vor mich hin. Der sanfte Schmerz war befreiend und mein Schwanz schien ein Loch in die Couch bohren zu wollen.

„Und du warst doch eifersüchtig“, raunte er mir plötzlich triumphierend ins Ohr. Sein warmer Atem war gefährlich nah und seine Brust berührte leicht meinen Rücken.

Völlig meiner Sinne beraubt kroch ein zustimmendes „mmm-mmm“ aus meiner Kehle.

Mit einem Mal wich die schläfrige Entspannung aus mir und ich wurde hellwach. „Geh von mir runter!“ Erfolglos versuchte ich ihn abzuschütteln, doch sein Körper drückte mich noch einen Moment auf das Sofa.

Dann, etwas zögerlich, kam René meinem Wunsch nach und sah mich irritiert an. Blitzschnell riss ich das Tuch von der Couch und hielt es schützend vor meinen Unterleib.

„Was ist denn los? Ich dachte... du würdest es mögen?“ In seinem Gesicht sah ich echte Bestürzung.

Stumm sortierte ich weiter meine Gedanken.

„Tom, ich hab das nicht böse gemeint, wirklich. Es ist nur...“

„Was?“, unterbrach ich ihn.

Nun wirkte er nervös, geradezu unsicher.

„Okay, also du hast mir beim ersten Mal an der Garage schon ziemlich gut gefallen, nicht nur deine Arbeit an den Gartenmöbeln. Und in letzter Zeit hab ich bemerkt, dass du mich öfter angesehen hast und irgendwas war zwischen uns.... Seit Tagen kämpfe ich schon dagegen an.“ René seufzte. „Das hätte ja noch Zufall sein können, bis heute. Ich dachte wirklich, du bist eifersüchtig und deswegen... Sorry, wenn ich mich getäuscht habe, dann lass uns das einfach vergessen, okay?“

„Du wolltest eben wirklich keinen Spaß auf meine Kosten machen?“

„Bist du irre?“, rief er entrüstet. „Sieht das für dich nach Spaß aus?“

René streckte seine Beine aus, die er bis eben noch angewinkelt an die Brust gezogen hatte. Das Zelt in der Hose log nicht, und der feuchte Fleck weiter oben, wo ich seine Eichel vermutete, erst recht nicht. Der traurige Gesichtsausdruck ließ ihn, gerade wegen des harten Bolzens, besonders verletzlich wirken.

Meine Wut wich einem starken Sehnsuchtsgefühl. Noch verarbeitete ich seine Worte und das Herzklopfen nahm zu. Waren meine Wünsche am Ende nicht vergebens? „Legst du dich bitte mal hin?“, fragte ich leise.

Mit einem Fragezeichen in den Augen kam er meiner Bitte nach und ich legte mich zögerlich mit dem Rücken zu ihm hin. „Dann zeige mir, dass du es ehrlich meinst und halte mich!“, forderte ich ihn mit zittriger Stimme auf.

Die Sofafläche bewegte sich leicht, als René sich mir zugewandt auf die Seite drehte. Sein unterer Arm schob sich sanft unter meinen Kopf, bis er seine Hand um meinen Hals herum auf die Schulter legte. Mit dem anderen Arm zog er mich mit dem Rücken fest an seine Brust. Seine Finger kraulten zaghaft meinen Bauch. Schweigend lagen wir eine Weile still.

„Was haben die mit dir im Knast bloß gemacht, dass du so misstrauisch bist?“, flüsterte er leise.

„Frag nicht. Es war nicht nur der Knast“, antwortete ich ebenso leise. „Sicher, beinahe sechs Jahre sind nicht wenig und man erlebt dort vieles, auf das man gerne verzichten würde, aber es liegt auch an dem, was mich dort rein gebracht hat.“ Für einen Augenblick lächelte ich. „Es hat mich gerettet. Er... hat mich gerettet und viel dafür bezahlt. Und ich dachte lange, dass ich so was Gutes nicht verdient habe.“

„Wer?“

„Das erzähle ich dir irgendwann, hab ich dir ja neulich schon versprochen.“

Renés Arme schlossen sich fester um mich und seine Lippen hauchten ein „Okay“ gegen meinen Nacken.

„Eben gerade, als du über mir warst und ich mich nicht rühren konnte... für einen Moment war das zuviel. Ich hasse es mich wehrlos zu fühlen, ausgeliefert. Besonders wenn es so überraschend kommt.“ Er streichelte mich ruhig weiter. „Niemand hat dort gefragt, ob ich es überhaupt wollte.“

„Darf ich dich küssen, Tom?“

Ich drehte mich auf den Rücken und lächelte ihn an. René zog seinen unteren Arm zurück, bis nur noch die Hand im Nacken lag und er richtete sich etwas auf. Kurz darauf schwebte sein strahlendes Gesicht über mir. Seine andere Hand lag nun an meiner Wange und zog meinen Kopf etwas in seine Richtung.

Mit geschlossenen Augen wartete ich ab und spürte einen hauchzarten Kuss auf meiner Wange. Der Nächste traf meinen Mundwinkel und jagte mir einen Stromstoß durch den Körper. Meine Zunge huschte über die Stelle, an der sich eben noch seine Lippen befanden, ertastete eine Spur seines Geschmacks. Es war so anders als mit Mats.

Weitere Küsse folgten, kleine zarte Berührungen, die mich wahnsinnig anmachten und nach mehr gieren ließen. Als ich es nicht mehr aushielt, griffen meine Hände nach seinem Kopf, zogen ihn dichter zu mir. Meine Zunge bettelte um Einlass und er öffnete die Lippen. Vorsichtig erkundeten wir abwechselnd den Mund des anderen, bis unsere Leidenschaft uns übermannte. Die Küsse wurden intensiver und wilder. Mit den Händen erkundeten wir unsere Körper, bis eine Atempause notwendig wurde.

„Ähm, Tom... bist du eigentlich aktiv oder passiv?“, keuchte René.

Einen Moment lang dachte ich über diese - sehr unromantische - Frage nach, aber irgendwie war das typisch für ihn. „Nach dem Knast hab ich mir eigentlich geschworen, nur noch aktiv zu sein.“

„Okay“, seufzte er. „Bitte sei vorsichtig, ich... hab noch nie.“

Erneut zog ich ihn zu einem Kuss heran und lächelte danach. „Ein anderes Mal. Es gibt noch eine Ausnahme. Wenn es jemand ist, in den ich mich wahnsinnig verliebt habe und dem ich vertraue. Möchtest du mit mir schlafen?“

Den Ernst meiner Frage hatte er verstanden, es war in seinem Gesicht zu lesen. Er musste nun die Entscheidung treffen, ob das mit uns etwas Ernstes sein sollte oder nur ein Abenteuer.

Dann lachte er.

„Was ist so witzig?“, fragte ich ein wenig angesäuert.

„Weil... meinen Arsch bekommt auch nur jemand, mit dem es mir ernst ist“, erklärte er feierlich.

Mehr Worte brauchten wir nicht. René stand kurz auf und streifte sich seine enge Retro vom Leib und befreite auch mich gleich von der letzten Hülle. Er beugte sich für einen Kuss zu mir herunter und legte sich vorsichtig auf mich. Unter vielen zaghaften Küssen streichelte er seitlich über meine Arme und presste seinen Körper fester an meinen.

„Das habe ich mir seit unserem ersten Treffen gewünscht.“ Seine heisere Stimme war schwer vor Verlangen.

Immer wieder nahm er mein Gesicht in seine Hände und küsste mich, um kurz danach seine Wange an meiner zu reiben. Dabei schnurrte er wie ein ausgehungerter Kater.

Die Gefühle waren schlichtweg überwältigend und sein harter Schwanz, dessen feuchte Spitze sich hart in meinen Bauch drückte, weckte mein Verlangen nach mehr.

Renés Lippen gingen auf Wanderschaft, verwöhnten meine Brust und glitten immer tiefer. Mit der Zunge massierte er meinen Schambereich ausgiebig, verteilte Küsse auf meinen Schenkeln, saugte sich fest und ich stöhnte heftig vor mich hin. Eine gefühlte Ewigkeit lang verwöhnte er alles, nur nicht den zuckenden und nach Aufmerksamkeit bettelnden Schwanz.

Kurz bevor ich mich beschweren wollte, leckte er über meinen Sack und knetete sanft mit den Lippen meine empfindlichen Eier. Meine Kehle entließ ein tiefes Brummen.

„Spreiz die Beine ein wenig mehr“, bat mich René mit rauer Stimme.

Mehr als willig kam ich seinem Wunsch nach und er träufelte sich eine Ladung des Öls auf die Finger seiner rechten Hand. Mit der Linken umklammerte er meinen steinharten Schaft, massierte ihn leicht, bevor er meine Eichel endlich mit den Lippen umschloss. Saugend zog er sie tiefer in sich hinein und ließ meine Spitze über den rauen Gaumen reiben.

„Stopp oder ich komme“, rief ich aus.

René grinste, verringerte allerdings sofort den Druck. Seine kreisende Zunge hielt mich weiterhin gekonnt dicht an der Klippe, ohne den winzigen Schritt zu weit zu gehen. Sowas hatte ich bis dahin noch nie erlebt und verfiel diesem Mann noch ein Stück mehr.

Die öligen Finger suchten meinen Ringmuskel und umkreisten ihn zaghaft. Dann glitten sie hinein. In der Sekunde, in der er meine Prostata berührte, ließ er meinen Schwanz frei und ich schrie auf. Mein Körper zitterte.

„Tut dir was weh?“, fragte er besorgt.

„Fuck, nein“, keuchte ich. „Das fühlte sich an wie ein Orgasmus, nur ohne Spritzen. Wag es nicht aufzuhören!“ Das Zittern bekam ich noch immer nicht unter Kontrolle, mein Körper stand unter Strom.

René lachte und robbte zu mir hoch. Eine Hand glitt in meinen Nacken und er drehte meinen Kopf auf die Seite. Seine Lippen saugten sich an meinem Hals fest.

„Fick mich, René, bitte“, hauchte ich heiser in sein Ohr.

Er sah mir verliebt in die Augen und brachte sich in Position. Seine glühende Eichel drängte sich an mein gierig wartendes Loch.

Und dann passierte es, er glitt wie von selbst in mich, mein Körper hieß ihn willkommen. Es tat nicht mal eine Sekunde weh, bis er mich ausgefüllt hatte. Meine Angst, dass die Bilder aus dem Knast hochkommen würden, war unbegründet. Nur sein Gesicht sah ich, die Liebe und das Verlangen in seinen Augen.

„Leg los“, forderte ich ihn auf. „Es fühlt sich schön an.“

René bewegte sich, tief und langsam. Jeder Stoß traf mich an der richtigen Stelle und machte mir weiteres Denken unmöglich. Ich war einfach nur noch Arsch, Schwanz und Lippen, während er mich wild küssend fickte und meine Eichel zwischen unseren harten Bäuchen gerieben wurde. Auch mein Lover verlor jede Selbstkontrolle und trieb sich immer härter in mich.

Dann fing es an, das scharfe Ziehen und Brodeln in meinen Eiern. Mein Unterleib zuckte und der aufgebohrte Ringmuskel zog sich eng um René. Er keuchte atemlos und umklammerte meinen Oberkörper so fest, mir blieb beinahe die Luft weg. Mein Samen pumpte hart heraus und in diesem Moment stieß mein blonder Traummann einen wahnsinnigen Schrei aus, bevor er pumpend auf mir zusammenbrach. Überdeutlich fühlte ich seine Entladung in meinem Innersten.

Einige Minuten bewegten wir uns nicht und ich genoss weiterhin das Gefühl seines erschlaffenden Schwanzes in mir. Plötzlich vibrierte sein Körper, begleitet von einem leisen Glucksen, welches sich zu einem ansteckenden Lachen weiterentwickelte. Wir beide lachten uns die Seele aus dem Leib und ich wusste nicht warum.

Nach einer Weile hatten wir uns wieder beruhigt. „Warum hast du eigentlich gelacht?“, wollte ich dann doch wissen.

„Vor lauter Glück. Ich lache wenn ich glücklich bin.“

Bei diesem Satz war mein Herz endgültig verloren, verzieh ihm sein zuweilen merkwürdiges Verhalten.

„Willst du jetzt vielleicht doch ein Bier? Du musst ja nicht fahren, bleib einfach hier bei mir.“ Seine Augen wurden wieder sehr ernst. „Es wäre seltsam, wenn du jetzt gehen würdest.“

„Ich bleibe wirklich gerne. Aber wenn wir jetzt noch Bier trinken, dann musst du mich morgen früh wecken.“

„Warum denn das?“

„Na warum wohl, ich muss arbeiten. Ich will keine Sonderbehandlung von deinem Onkel, nur weil wir zusammen sind.“

Er grinste mich an. „Also das ehrt dich ja, wirklich, aber ich denke nicht, dass Karl für dich samstags die Werkstatt aufschließt.“

„Na dann... wo bleibt das Bier?“ Trotz aller Mühe gelang es mir nicht, die Verlegenheit zu überspielen.

René hauchte mir noch einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. „Kommt sofort.“

Schweigend starrte ich ihm und seinem nackten Knackarsch nach und fühlte mich zum ersten Mal in meinem ganzen Leben wirklich vollkommen und vollständig.

Ein paar Schlucke später lagen wir wieder angekuschelt auf dem Sofa. „Was ist eigentlich mit deinem Onkel... wenn er das hier rausfindet, haben wir dann ein Problem?“

Zärtliche Finger streichelten über mein Gesicht. „Nein. Er dürfte froh sein, dass ich ihm jetzt nicht mehr die Ohren volljammere, wie die letzten Abende.“

„Bitte? Oh Gott.“

René lachte. „Keine Angst, er weiß, dass ich schwul bin und scheint dich zu mögen. Und ich war mir bei dir auch sicher, aber da war was anderes.“

„Du meinst Mats?“

Seine Finger verkrampften sich etwas an meiner Schulter, ich hatte wohl einen wunden Punkt getroffen. Ich musste ihm die Wahrheit sagen, bei passender Gelegenheit.

„Auch, ja. Ich dachte echt, es läuft was bei euch.“

„Soviel zu der passenden Gelegenheit“, murmelte ich.

„Was?“

„René... also ehrlich gesagt, da war was. Ich habe ein paar Mal mit ihm geschlafen. Aber wir sind wirklich nur Freunde.“

Der warme Körper löste sich ruckartig von mir und mein Freund, falls er es noch war, sprang von der Couch.

„Ich glaub’s ja nicht! Nur Freunde und ein paar mal gleich? Wieso hast du das nicht vorher gesagt?“

„Weil es dich bisher eigentlich auch nichts anging! René, da ist wirklich nicht mehr, wir waren beide einsam und es war nur dreimal. Ich wusste ja nicht, dass es dir auch so ging wie mir. Ich dachte wirklich, du wärst hetero, oder zumindest nicht interessiert.“ Meine Augen füllten sich mit Tränen. „Warum muss Ehrlichkeit eigentlich immer bestraft werden? Ich wollte dich wegen Mats nicht belügen. Mit ihm konnte ich es zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder genießen.“

„Nur dreimal... Von Freitag bis Sonntag? Und dann nur Freunde? Das klingt ein wenig viel.“

„Nur Samstag und Sonntag, wenn du es genau wissen willst. Das letzte Mal am Sonntag war sogar deine Schuld, irgendwie.“

„Das ist ja wohl lächerlich!“

„Nein.“ Meine Stimme wurde sehr leise. „Du erinnerst dich an meine Umarmung, als du die guten Nachrichten gebracht hast? Dein Geruch hat mich halb um den Verstand gebracht. Und Mats wollte mir dann... helfen.“

„Mir hat danach keiner geholfen.“ Seufzend setzte er sich neben mich. „Und du liebst ihn nicht?“

„Nein. Ich mag ihn sehr gerne. Aber er ist nicht der, bei dem ich Herzklopfen bekomme. Du lässt meine Pumpe aber jedes Mal fast platzen. Heute Morgen... du hast keine Ahnung wie süß du ausgesehen hast. René, ich habe mich Hals über Kopf in dich verliebt. Und das obwohl du manchmal mehr als komisch bist. Oder deshalb? Keine Ahnung.“

Seine Hand suchte wieder vorsichtigen Kontakt mit meiner Haut. „Tut mir leid, ich hab mich... ich bin manchmal etwas eifersüchtig. Und... irgendwann erzähle ich dir auch noch etwas, aber das kann ich jetzt nicht. Und dann hoffe ich auch auf deine Nachsicht.“

Der Satz gefiel mir nicht. „Glaub nicht, dass ich dir irgendeinen Mist verzeihe, nur weil du jetzt ein Auge zudrückst.“

„Halt, so meine ich das nicht. Ich würde dich nicht betrügen, wenn du mit mir zusammen sein willst.“ Seine Stirn sank auf meine Schulter. „Ich steck gerade so tief in der Scheiße, dass kannst du dir nicht vorstellen. Bitte hab Geduld, ich werde es dir irgendwann erklären... dürfen.“

Ein flaues Gefühl blieb zurück, es gab offenbar ein großes Geheimnis, aber ich glaubte nicht, dass er mich hintergehen würde.

„Wenn du noch mal mit Mats schläfst...“

Ich unterbrach ihn. „Werde ich nicht.“

„Tom, lass mich ausreden! Wenn du noch mal mit Mats schläfst, dann sag es mir einfach nur sofort, bitte. Mehr nicht. Versprochen?“

„Und dann?“, fragte ich misstrauisch zurück.

„Nichts ‚und dann’. Es gefällt mir vielleicht nicht, aber ich kann damit umgehen. Bei jedem anderen drehe ich dir persönlich den Hals um.“ Er küsste mich.

„Versprochen. Aber ich glaube nicht, dass es wieder passieren wird. Erstmal müssen wir ihn finden und dann möchte ich versuchen, ihn mit seiner großen Liebe zusammen zu bringen.“

„Ich nehme an, dabei handelt es sich um diesen Kevin?“

„Ja, mein großer Pseudo-Bulle, es ist Kevin.“

René verzog wieder das Gesicht, sagte aber nichts und legte sich einfach nur wieder zu mir. Nach der Flasche Bier gingen wir gemeinsam hoch in sein Schlafzimmer. Es sah herrlich aus. Ein großes Bett stand beinahe schon frei im Raum, ein ganzes Stück von der Wand weg. Der helle Teppich fühlte sich kühl unter den Füßen an und die weiten Vorhänge wehten leicht im Wind, der schwach durch die Türen zum kleinen Balkon blies.

Noch in der Tür hielt ich ihn am Arm fest und schmiegte mich an seinen Rücken. Meine Finger erkundeten die festen Muskeln unter der weichen Haut seiner Brust. Sein Nacken schmeckte nach Sommer. „Kornblumen“, flüsterte ich.

„Hmm?“, brummte er.

„Dein Geruch. Kornblumen und frisch geschnittener Rasen. Würziges Brot, Sonne und...“ Mehr konnte ich nicht sagen, René hatte sich umgedreht und küsste mich zärtlich. Die Finger kraulten wieder meinen Nacken und ich bekam eine wohlige Gänsehaut.

„Wow. Sowas Schönes hat noch keiner zu mir gesagt.“

„Du riechst immer gut, auch neulich. Da hab ich dich angelogen, denn gerochen habe ich doch etwas. Du hast nicht wie ein Schwein gestunken. Eher wie köstlicher Schweinebraten, den man einfach probieren muss.“

„Du bist doof“, lachte er. „Ich kann das nicht so gut beschreiben, aber auch dein Duft benebelt mich, jedes Mal. Ich bin immer geflohen, aus Angst du könntest merken, wie sehr mich das anmacht.“

„Wir waren dann wohl beide doof“, musste ich zustimmen.

„Es ist nicht ganz so einfach... Tom, bring mich zum Schweigen, bitte.“ Er klang fast schon verzweifelt, aber den Gefallen tat ich ihm gerne. Er würde mir schon erzählen was los war, wenn er es konnte. Meine Zunge erforschte seinen Mund und zaghaft streichelte ich über seinen festen Hintern. Das Schaudern zeigte mir, wie sehr es ihm gefiel. Ich ging auf die Knie und küsste die Spitze seiner großen, fleischigen Rute. Meine Lippen massierten sie und ich genoss noch die Reste seines Geschmacks von vorhin. Mit dem Finger glitt ich die Kerbe zwischen den knackigen Backen entlang und hörte ihn lustvoll aufseufzen.

„Schlaf mit mir!“ Sein Wunsch kam mir sehr entgegen.

„Ich werde vorsichtig sein“, versprach ich ihm. Aber ich wollte mir noch etwas Zeit nehmen und mich für die wundervolle Massage bedanken.

René führte mich an der Hand zum Bett und legte sich hinein. In seinen Augen lag eine unausgesprochene Einladung, der ich gerne folgte. Breitbeinig hockte ich mich über seine Oberschenkel und beugte mich weit vor. Mein Mund suchte seine honigsüßen Lippen und küsste sie, bevor ich mich wieder aufrichtete. Mit den Händen strich ich über seine Brust und beobachtete, wie sich die kleinen und harten Nippel weiter zusammenzogen. Seine Haut war warm und glatt unter meinen Händen, seine Muskeln leicht angespannt.

Mein Finger zog eine Spur aus Gänsehaut von der Brust bis hin zum Bauchnabel, folgte den Konturen des stattlichen Sixpacks. Ich verließ meine Position und legte mich seitlich neben ihn, bettete meinen Kopf auf seiner starken Schulter und ließ meine Zunge über sie streifen. Mein Freund hielt die Augen geschlossen und seufzte wohlig, der kleine René und er genossen meine Behandlung, längst streckte sich ersterer wieder hoch in die Luft.

Meine Zunge suchte die nächstgelegene Brustwarze und umkreiste sie langsam. René reckte sich ihr entgegen, es gefiel ihm offensichtlich. Meine Hand unterstützte mich, indem sie durch das kurzgeschnittene Haar weit unter dem Nabel kraulte. Er schnurrte leise.

„Kleiner Genießer“, flüsterte ich leise und er lachte.

„Du weißt aber auch was du tust, am liebsten hätte ich, wenn es niemals enden würde.“

„Es muss nicht enden.“

Ich verschloss seinen Mund und rieb meine Erektion an seiner Hüfte. Unsere Zungen spielten miteinander. „Aber für heute kann ich nicht mehr lange warten. Dein erstes Mal wird dir gefallen“, versprach ich ihm. „Dreh dich um, knie dich hin und beug dich vor.“

Etwas zögerlich kam er meiner Bitte nach und streckte mir bald seinen knackigen Hintern entgegen. Ich verteilte sanfte, feuchte Küsse auf seinen haarlosen Backen, streichelte seinen Steiß und pustete auf die feuchten Stellen. Das rosige Loch starrte mich beinahe an und er stöhnte, als meine Zunge es streifte. „Fuck, was machst du da nur. Hammer!“

Unbeirrt machte ich weiter, umkreiste den leicht zuckenden Muskel und durchstieß ihn. René keuchte und ließ sich tief nach vorne fallen, erleichterte mir den Zugang. Meine Finger lösten die Zunge ab. Er wandte sich unter mir, schwer atmend. Ich befand ihn für bereit.

„Hast du Gel hier, Schatz?“ Dieses letzte Wort ließ ich mir auf der Zunge zergehen. Seine Hand wedelte hektisch in Richtung Nachtschrank. In der einzigen Schublade fand ich das Gesuchte. Zwar lagen dort Kondome, aber ich verzichtete, schließlich hatten wir das beim letzten Mal auch irgendwie vergessen.

Ich bat ihn sich umzudrehen und blickte in seine verklärten Augen. Das Gel war schnell verteilt und ich legte mich zwischen seine Beine. Instinktiv hob er sie an und schloss sie um meine Hüften. Die Zunge hatte den Widerstand gebrochen und ich glitt hinein. René zeigte keine Anzeichen von Schmerzen.

Meinen linken Arm legte ich unter seinen Nacken und stützte mich auf der rechten Seite nach oben. René drückte mir seinen Körper entgegen und wir küssten uns. Mit jedem Stoß wurde er verlangender und vor allem lauter. Er ließ sich völlig in meinen Rhythmus fallen und stöhnte mit steigender Lautstärke, schrie es beinahe heraus. Ich fand es wahnsinnig geil und hatte Mühe, den Höhepunkt zurückzuhalten. Seine unglaubliche Enge erschwerte es mir zusätzlich, also ließ ich es zu. „René, komm für mich“, flüsterte ich in sein Ohr. Er warf mir sein Becken entgegen und ich spürte, dass auch er soweit war.

Zuckend entluden wir uns, seine Kontraktionen entleerten mich völlig. Ein letzter Schrei von ihm und es folgte die atemlose Stille. Erschöpft blieb ich auf ihm liegen, seine Arme matt streichelnd auf meinem Rücken.

„Alles gut bei dir?“, fragte ich nach einer kleinen Weile.

Ein leises Lachen war seine Antwort. Mittlerweile war es draußen dunkel und der Tag forderte seinen Tribut. Die harte Arbeit und die zwei fantastischen Akte mit René ließen mich einschlafen.


Thomas

Das Sonnenlicht kitzelte meine Nase und ich öffnete langsam meine Lider. Sofort blickte ich in ein Paar strahlendblauer Augen.

„Guten Morgen, Tom. Hast du bequem gelegen?“ Sein Grinsen irritierte mich etwas.

„Morgen auch. Ja, wunderbar.“ Irgendwas war allerdings komisch, mein Kopf wachte heute nur langsam auf.

„Deine Matratze fand es auch sehr bequem, sie müsste aber langsam mal aufs Klo.“

Erschrocken rollte ich von ihm runter. „Sorry, das tut mir leid.“

„Hey, alles in Ordnung, ich hab so gut wie ewig nicht geschlafen. Dich halte ich aus.“

Wir lachten beide. „Könnte mich daran gewöhnen, so zu schlafen“, entgegnete ich.

„Gerne, aber jetzt zieh dich mal an und mach dich frisch. Wir sind zum Frühstück eingeladen.“

Mit einem Kuss verließ er mich in Richtung Bad und ich legte mich noch einen kurzen Moment zurück. Das Ganze war so unwirklich und schön. In meinem Leben war es noch nie so perfekt. Ein toller Job, ein Mann der mich liebte und das, obwohl er von meiner Vergangenheit wusste. Beinahe schon zu gut, um wahr zu sein. Nun, fast alles perfekt, mein Sorgenkind gab es ja auch noch. Aber solange er sich nicht helfen lassen wollte, war Mats auf sich allein gestellt. Ich konnte ihn nicht dazu zwingen.

„Wollen wir schnell zusammen duschen?“

Renés nackter Anblick sorgte für ein wohliges Kribbeln und ich beschloss vernünftig zu sein. „Besser nacheinander oder aus dem Frühstück wird Brunch.“

Er zwinkerte mir zu und nickte. Eine Viertelstunde später standen wir vor dem Haus seines Onkels. Sofort wurde die Tür geöffnet und ich blickte auf die vermeintliche Ehefrau von René. Aus der Nähe war die Ähnlichkeit zwischen Bruder und Schwester nicht zu leugnen.

„Hi, Schwesterchen, das ist Thomas. Tom, Selina, meine herzallerliebste Zwillingsschwester, mit der ich total unverheiratet bin.“ Beschämt senkte ich den Blick und Selina lachte. Offenbar hatte sie verstanden, was mein Freund ihr damit sagen wollte.

„Hallo, Tom“, begrüßte sie mich. „Ich habe schon unglaublich viel von dir gehört.“

Nun war es René, der ein wenig rot wurde. „Er hatte gestern kein anderes Thema.“

„Danke sehr“, beschwerte er sich deshalb.

„Aber ich denke, ich kann gratulieren, oder?“

Ich nickte einfach nur und sie umarmte mich herzlich. „Willkommen in der Familie. Na kommt rein Jungs! Martha, Karl und Celine warten schon.“

Mein Chef und seine Frau begrüßten uns und nur das kleine Mädchen, Celine, versteckte sich schüchtern hinter ihrer Mutter.

„Wer ist das, Mama?“

„Das ist Tom, er hat deinen Onkel lieb.“ Ich spürte die Hitze in die Wangen kriechen und alle anderen sahen mich wohlwollend an.

„Wirklich? Nicht wie Oma und Opa?“ Die Gesichter der Anwesenden zeigten nun Betroffenheit, offenbar ein ungeliebtes Thema.

„Hey, Celine, das gehört jetzt nicht hierher. Oma und Opa können nichts dafür, aber dich haben sie doch lieb und deine Mama auch.“ René kniete vor der Kleinen und redete ruhig auf sie ein. Langsam wurde auch mir klar, was hier eben passierte, warum er hier lebte und bisher nicht ein Wort über seine Eltern verloren hatte.

„Oma und Opa sind doof. Ich hab dich auch lieb.“ Sie schlang ihre kleinen Ärmchen um meinen Freund und ich schluchzte unwillkürlich auf. Sofort drehte sich René um und lächelte mich herzlich an. Celine betrachtete mich einen Moment und kam auf mich zu, ihre Arme nach oben gestreckt.

Ich hob sie hoch und wurde auch umarmt. „Hallo, Tom! Wenn du meinen Onkel lieb hast, dann hab ich dich auch lieb.“ Die Welt durch Kinderaugen konnte so einfach sein.

„Ja, ich hab ihn sehr lieb“, antwortete ich ihr mit zittriger Stimme.

„Komm, Kleine, wir fahren in die Stadt, lass die beiden mal mit Karl und Martha frühstücken.“

„Au ja, lass mich runter, Onkel Tom! Mama und ich gehen einkaufen.“

Wir verabschiedeten uns von den beiden Damen und saßen bald darauf am Küchentisch. René durchbrach das bedrückende Schweigen als Erster. „Mein kleiner Sonnenschein mag dich, sie hat dich adoptiert. Ich seh sie leider nicht sehr oft.“

„Du kommst ursprünglich aus Bayern?“

Mein Schatz nickte. „Ich wohne erst seit sieben Jahren hier. Meine Eltern haben mich noch zwei Jahre in ihrem Haus geduldet, nachdem sie mich mit meinem ersten Freund erwischt hatten. Mit Achtzehn wurde ich dann hierher geschickt.“

„Tut mir leid für dich, wirklich.“ Ich griff nach seiner Hand, was im Gegenzug mit einem freundlichen Lächeln vom Ehepaar Wobrecht beantwortet wurde.

„Muss es nicht, hier fühle ich mich wohl und hier hab ich dich gefunden. Besser geht es wohl nicht. Karl und Martha... sind gute Eltern, mehr als nur ein Ersatz.“

„Ein gutes Stichwort.“ Karl blickte mich ernst an. „Wir sind froh, dass es mit euch endlich geklappt hat. Diese Woche war eine kleine Ewigkeit für uns.“ Der gespielte Tadel in seinen Augen traf René. „Aber auch für dich wird es damit nicht einfach, Thomas. Du gehörst jetzt zu unserer Familie. Wenn du meinem Neffen weh tust, dann wird das eine schwierige Situation.“

„Ich verstehe, aber das liegt nicht in meiner Absicht.“ Karl hatte Recht, ein normaler Mitarbeiter war ich nicht mehr. Ein Ende der Beziehung würde das Arbeitsverhältnis schwer belasten. Doch an so was wollte ich im Moment nicht denken, es gab keinen Grund dazu.

„Gut, dann lasst uns essen.“

Das Frühstück verlief sehr ruhig. Besonders René schien etwas abwesend zu sein. Ganz so locker nahm er die Sache dann doch nicht. Im Prinzip ähnelten sich unsere Geschichten mit den Eltern. Bei mir war es nicht die Homosexualität, damit kamen meine klar. Es geschah nach der ersten Verhaftung, dass sie den Kontakt zu mir abbrachen. Dieser Grund war für mich deutlich nachvollziehbarer.

Ich legte meinen Arm um seine Schulter und er lehnte sich sofort gegen mich. In seinen Augen lag Dankbarkeit, wahrscheinlich weil ich das Thema nicht weiter vertiefte.

Pappsatt verließen wir das Haus am frühen Mittag und René holte mir eine zweite Liege aus dem Keller, damit wir zusammen die Hitze in seinem Garten genießen konnten. Noch immer wirkte er sehr nachdenklich, aber deutlich gelöster als am Anfang.

„Tom... darf ich dich noch was zu Mats fragen?“

Ich seufzte, aber wenigstens fragte er vorher. „Wenn es unbedingt sein muss.“

Er schenkte mir einen verlegenen Blick. „Warum habt ihr überhaupt miteinander geschlafen, wirklich nur aus Einsamkeit?“

„Ja und nein. Er hat mich verführt, weil er dachte, er sei in mich verliebt. Aber das ist geklärt. Wolltest du wissen, ob es mir Spaß gemacht hat?“

„Vielleicht, ja.“

„Hat es. Du musst dir keine Sorgen machen. Mit Mats war es wirklich schön, aber kein Vergleich zu dir. Wenn ich die Wahl hab, dann könnte ich mich nur für dich entscheiden.“

Sein strahlender Gesichtsausdruck zeigte nur zu deutlich, dass es wegen dieses Themas keine Schwierigkeiten mehr geben würde.

„Möchtest du auch was wissen? Also... abgesehen von der einen Sache, die ich nicht beantworten kann. Und vorzugsweise nichts über meine Eltern.“

Einen Moment dachte ich nach. „Hat deine Nichte keinen Vater?“

„Doch“, seufzte er. „Selina lässt sich gerade scheiden. Ihr Mann, Raphael, liegt leider mit meinen Eltern auf einer Wellenlänge. Er hat versucht sie zu überreden, den Kontakt mit mir abzubrechen. Abgesehen davon war er eigentlich ein guter Ehemann, meine Schwester liebt ihn noch immer, aber sie erträgt diesen Kampf nicht mehr. Blut ist dicker als Wasser, in unserem Fall ganz besonders.“

„Tut mir leid.“

„Hör jetzt endlich mal mit den Entschuldigungen auf“, lachte er leise. „Es hat auch was Gutes, Selina kommt hierher. Karl hat ihr eins der Häuser angeboten. Dann würden fast alle Menschen, die mir wichtig sind, hier wohnen.“ Er bedachte mich mit einem Blick, der mir eine wohlige Gänsehaut über den Körper jagte.

„Ist es nicht noch ein wenig früh, jetzt schon daran zu denken?“ Ich hasste es, den Spielverderber zu spielen, aber es war mir zu schnell.

„Doch, natürlich. Aber generell würde ich gerne mit dir hier wohnen. Du suchst doch eh was Neues, es müsste nicht eine andere Wohnung in der Stadt sein, dein Arbeitsweg wäre unschlagbar kurz und...“

„René“, unterbrach ich ihn. „Du musst mich von den Vorzügen nicht überzeugen, die sehe ich natürlich auch. Aber wenn überhaupt gäbe es nur einen Grund für mich und der bist du. Okay?“

„Das wird sich zeigen. Bald irgendwann.“ Mit einem Mal wirkte er wieder abgrundtief traurig.

„Was ist los, was wird sich zeigen?“

„Ob du das meinetwegen willst. Es ist... diese Sache.“ Die innere Zerrissenheit war in seinem Gesicht deutlich zu lesen. „Ich hab eigentlich wieder zuviel gesagt.“

„Kann ich nicht behaupten, Süßer. Du verwirrst mich immer mehr mit den Andeutungen.“ Und es war frustrierend.

„Hab Geduld, du wirst dann alles verstehen.“ René stand von der Liege auf und bugsierte mich zu der schattigen Schaukel. Eine willkommene Abwechselung nach dem ermüdenden Sonnenbad. Ich setzte mich an den Rand, so wie er es wollte und René legte sich hin, den Kopf auf meinen Schoß gebettet. Schweigend saßen wir so eine Weile und ich streichelte durch seine Haare. Die Geheimnisse nervten mich immer mehr, aber diese weiche Seite an ihm überstimmte die kritische Stimme in mir. Ich liebte seine Schmusigkeit einfach.

„Schatz, heute Nacht möchte ich bei mir bleiben, falls Mats sich meldet. Ich hab ein schlechtes Gefühl. Zum Geburtstag bin ich natürlich wieder hier.“

„Darf ich auch mit?“

„Warum fragst du mich eigentlich dauernd, ob du was darfst? Hat dich vorher doch auch nicht gestört.“

Er griff nach meiner Hand und legte sie auf seine Brust. „Wegen dem, was du gestern gesagt hast. Wegen ... ungefragt. Ich möchte nichts tun, wenn du es nicht willst.“

Mein Herz setzte einen Moment aus. „Sei nicht bescheuert. Das mit dir und die Zeit im Knast, es gibt doch keine Gemeinsamkeiten. Ich weiß, dass du mir nicht wehtust.“

René strahlte wieder. „Und darf ich jetzt?“

„Eifersüchtig?“, grinste ich ihn an.

„Ja, vielleicht ein bisschen. Und jetzt antworte mal und stell nicht immer Gegenfragen!“

„Magst du keine Fragen?“ Langsam, aber sicher braute sich ein Lachanfall in mir zusammen.

„Toooooom“, knurrte er langgezogen und der Anfall brach heraus.

„Glaubst du, dass du das verdient hast?“

„Na warte!“ Er sprang auf und riss mich um. Seine Hände waren überall und überschütteten mich mit einer wahnsinnigen Kitzelattacke. Japsend kämpfte ich um Luft, es war unmöglich mich zu befreien, dafür war er zu stark.

„Ich... gebe... auf“, lachte ich angestrengt. „Ja... du... darfst!“

„Warum nicht gleich so?“ Die unbarmherzige Attacke hörte auf und ich schnappte noch immer lachend nach Luft.

„Tom... vielleicht ist das jetzt auch ein wenig früh, aber ich glaube ich liebe dich.“

Ich küsste ihn einfach nur, seine Worte fühlten sich warm und gut an.

„Ist okay, wenn du noch etwas Zeit brauchst. Ich weiß, dass ich dir was bedeute.“ René war einfach toll.

Eine Weile blieben wir noch so liegen wie vor seinem kleinen Übergriff. Der Kopf in meinem Schoß war etwas, an das ich mich gewöhnen konnte. Seine Augen waren geschlossen und er sah unwahrscheinlich friedlich dabei aus. Und immer hatte er dabei das verträumte Lächeln auf den Lippen, welches meinen Herzschlag beschleunigte. Und noch ein letztes Mal verglich ich dieses Gefühl mit meiner Liebe zu Jakob: René gewann haushoch.

Ein kleiner sommerlicher Wolkenbruch ließ uns ins Haus fliehen, nachdem wir die Schaukel mit einer Plane abgedeckt hatten. Schnell suchten wir ein paar Dinge zusammen und machten uns auf den Weg zu mir.

Der Regen hatte mittlerweile nachgelassen und der Himmel klarte wieder auf. René holte noch die Tasche aus dem Auto und ich ging zu meinem Briefkasten, wo Rainer mich abfing.

„Hey, alles okay bei dir, Thomas? Du bist gestern nicht zurückgekommen.“

„Ja, alles bestens, ich hab bei meinem Freund übernachtet.“

„Du bist mit dem Jungen zusammen?“ Rainer seufzte. „Evelyn wird durchdrehen.“

„Rainer, bei aller Freundschaft, es geht sie nichts an. Und nein, es ist nicht Mats.“

In der Sekunde kam auch René auf den Hof. Einen Moment lang starrte Rainer ihn beinahe fassungslos an. „Du?“

„Ihr kennt euch?“ Nun war ich verwirrt.

„Flüchtig, Schatz. Geh schon mal vor, ich hab mit Rainer noch was zu klären.“

„Was ist hier los?“ René verschloss sich wieder, wie schon ein paar Mal in den letzten Tagen und ich wurde sauer.

„Tom, es ist alles in Ordnung, wir müssen nur was bereden. Vertrau mir bitte!“

„Ich hab ja kaum eine Wahl, oder?“

Die beiden gingen ins Haus und ich holte den Stapel Werbung aus dem Briefkasten. Beinahe war mir so, als hörte ich Rainer ein ‚Bist du des Wahnsinns?’ zischen. Die Wahl meiner Freunde stieß hier offensichtlich auf wenig Gegenliebe, oder war es in dem Fall eher Renés Entscheidung, die hier nicht gut ankam? Wütend stapfte ich in meine Wohnung und feuerte die Reklameblättchen auf den Tisch. Dabei rutschte ein seltsames Stück Papier aus dem Stapel heraus. In diesem Moment trat auch mein Freund ins Wohnzimmer. Den Zettel in meiner Hand ignorierte ich erstmal.

„Okay, ich akzeptiere, dass du ein Geheimnis hast, kein Thema Aber was zur Hölle war das eben?“

„Das... also... wir kennen uns. Er dachte wohl, ich wüsste nicht, wer du bist und... naja, ich hab ihm gesagt, dass du mir alles gesagt hast. Er macht sich wohl nur Sorgen.“ Er stotterte beinahe.

„Das klingt für mich ziemlich lahm. Rainer kennt mich auch und ich glaube kaum, dass er mich schädlich für dich hält. Das ist eine ganz schöne schlechte Erklärung.“

„Es ist die beste, die ich dir geben kann, okay? Es hatte auch mit Mats zu tun. Ich bin aber wieder raus, wollte mir den ganzen Scheiß nicht mehr anhören. Tom, ich hab dich gebeten, mir zu vertrauen, du hast gesagt du tust es. Bitte hör damit nicht auf.“ Er ließ die Schultern hängen und atmete geräuschvoll ein und aus. „Ich brauche dich einfach, mit dir fühle ich mich besser denn je. Aber ich brauche auch dein Vertrauen.“

„Du verlangst echt eine Menge von mir. Wie soll ich dir Vertrauen, wenn da dieses Etwas im Raum steht, dieses ungreifbare Ding?“ Aufgeregt fuchtelte ich mit der Hand vor seinem Gesicht herum, bis er meine Bewegung mit einem schnellen Griff stoppte.

„Tom, du solltest das lesen.“ Er starrte auf den Zettel.

‚Mir geht es gut, alles in Ordnung. Mach dir bitte keine Sorgen. Mats’

„Scheiße, er muss gestern oder heute hier gewesen sein. Verdammt!“

„Er wird wiederkommen, keine Angst. Es ist ihm wichtig, dass du weißt, dass er okay ist.“

„Wenigstens etwas. René, ich muss bescheuert sein, aber aus irgendeinem Grund vertraue ich dir genug, um dich nicht gleich aus dem Haus zu jagen. Deine Erklärung wird hoffentlich gut sein. Und wenn noch mal so was wie vorhin passiert, dann ist Schluss.“

„Verstehe. Das ist mehr als ich hoffen durfte. Tom... ich schwöre dir, meine Gefühle sind echt, ich spiele dir nichts vor.“

Ja, ich war vielleicht total verrückt, mich weiterhin auf diese Sache einzulassen, aber mein Herz ließ kaum eine andere Entscheidung zu.

Mats

Der erste Deal ging gut über die Bühne. Vielleicht war ich nicht der Schlauste, aber dass ich Drogen an Unterhändler vertickte, schnallte sogar ich. Die Qualle hatte damit etwas Schlimmeres in der Hand, als nur ein Foto von mir mit der Hand in der Keksdose.

Meine Optionen waren um einiges schlechter als befürchtet, aber wenigstens waren Kevin und, leider nur vorerst, Tom in Sicherheit. Eine Galgenfrist.

Schnauzis Leute besorgten mir eine kleine Unterkunft, meine eigene Bude schied vorerst aus, denn ich wollte nicht gefunden werden. Ich hätte es weder erklären können, noch wollen.

Die halbe Woche hielt ich mich versteckt und verließ nur spät abends den Unterschlupf, um die verlangten Geschäfte abzuwickeln. Die Kohle, die ich dabei verdiente, war gar nicht mal so schlecht, bereitete mir aber Magenschmerzen. Drogengeld war schmutzig, sogar für jemanden wie mich. Wer wusste schon, wie vielen Menschen das hier den Tod bringen würde.

Am Donnerstag musste ich dringend ein paar Besorgungen machen, mit der Kohle ging ich sehr sparsam um. Notfalls wollte ich damit eine mildere Strafe bekommen, wenn ich es der Polizei übergab. Das Rauchen hatte ich mir, wohl oder übel, abgewöhnt. Gegen 16 Uhr stieg ich in die Bahn in Richtung Einkaufsstraße und grübelte vor mich hin.

„Mats? Oh man, endlich!“ Ich zuckte etwas zusammen, als Kevin mir plötzlich gegenüber saß. „Ich hab mir Sorgen gemacht, wo warst du die ganze Zeit? Bei Tom?“

Ich betrachtete ihn genauer und mein Puls beschleunigte sich. Hatte die Qualle zugeschlagen? Sein linkes Auge war stark verfärbt.

„Was ist mit dir passiert?“ Ich versuchte so schroff wie möglich zu klingen, was mir offenbar gelang.

„Es... war ein Kunde. Ich wollte...“

Meine Sorge schien unnötig und so fuhr ich ihn gleich an. „Halt doch dein Maul! Echt, ich will nichts über deine verfickten Geschäfte wissen.“ Es tat mir in der Seele weh, im Nachhinein, aber ich musste ihn von mir fernhalten. Kevin war den Tränen nahe, doch ich setzte noch eins drauf. „Ich bin nicht mehr bei Tom, wir waren zwar ein paar Mal in der Kiste, aber im Moment hab ich keine Zeit für so was.“

„Ich erkenn dich nicht mehr wieder, Mats, was ist passiert?“

„Das geht dich einen Scheißdreck an!“ Ich sprang auf und wechselte in den Nebenwagen, bevor mir auch noch die Tränen kommen konnten. Mein Herz zerplatzte fast und dazu noch die Wut darüber, dass er immer weitermachte. Auch wenn Tom recht hatte, ich glaubte nicht an eine Chance für Kev und mich. Nach heute ganz besonders nicht mehr. Oder?

Die Bahn hielt und ich sprintete zurück. Mein Freund war bereits auf dem Weg nach draußen.

„Kevin, warte!“ Er drehte sich tatsächlich um und ich blickte in seine rot geheulten Augen. Es ging nicht mehr und ich fiel ihm um den Hals. „Es tut mir so wahnsinnig leid. Ich kann es dir nicht erklären, aber du musst wegbleiben von mir.“ Sehr zögerlich erwiderte er meine Umarmung, schob mich aber nach kurzer Zeit wortlos weg.

„Was ist mit deinem Auge passiert? Ich möchte es wirklich wissen.“

„Vielleicht geht es dich ja auch nichts an, Matti. Sag mir, was ich von dir halten soll.“

Ich fing an zu zittern, denn so hatte er mich schon lange nicht mehr genannt. „Ich hab Probleme, okay? Und ich kann nicht drüber reden.“ Vorsichtig sah ich mich um, Schnauzis Lakaien konnten ganz in der Nähe sein. Aber mit ihm zu reden wurde mir nicht verboten, nur das eine Thema war tabu. „Lass uns einen Kaffee trinken.“

Wir suchten ein gut gefülltes Café und setzten uns mitten in die Menge. Den bestellten Eiskaffee bekamen wir schnell gebracht und ich zahlte gleich.

Mit einem Schaudern bemerkte ich, dass das Parkhaus, welches ich ein paar Tage zuvor als Ausweg sah, direkt in meiner Blickrichtung lag. Eine eiskalte Gänsehaut überzog meinen Körper. Sollte Kevin etwas passieren, dann würde ich wieder dort stehen und nicht mehr zögern.

„Also, was ist mit deinem Auge passiert?“

„Erst will ich wissen, ob du mit Tom zusammen bist.“ Innerlich schmolz ich bei seinem trotzigen Blick.

„Nein. Die Kurzfassung ist, dass wir zwar im Bett waren, aber er liebt mich nicht und ich ihn nicht. Wir sind Freunde.“

„Du schläfst mit allen Freunden, was?“ Kurz blitzen seine Augen wütend auf.

„Das sagt der Richtige. Du lässt dich kaufen!“ Die Worte bereute ich sofort wieder, ich hatte ihn in der Bahn schon zu sehr verletzt. „Ich dachte, ich liebe ihn. Aber Tom hat mir einiges klar gemacht.“

Kevin umklammerte den Zuckerstreuer auf dem Tisch und dachte einen Moment über etwas nach. „Nein, ich lasse mich nicht mehr kaufen. Seit unserem Streit ist alles anders. Deshalb auch mein Auge... der Typ ist ausgerastet, als ich nicht mehr wollte.“

„Aber wieso denn so plötzlich?“ Ich war ehrlich überrascht.

„Das ist nicht mehr wichtig, Matti. Ich hab mich getäuscht.“

Konnte es wirklich sein, hatte Tom recht? Ich legte meine Hand an seine Wange und zwang ihn so, mich anzusehen. Mit dem Daumen strich ich über den unteren Rand der, noch leicht spürbaren, Schwellung und mein Freund zuckte kurz.

„Bitte, Kev, es ist wichtig!“

„Bist du dumm oder so? Ich habe deinetwegen aufgehört, weil ich dich nicht verlieren wollte. Hat ja viel gebracht.“ Entgegen meiner Erwartung schlug er die Hand nicht weg, sondern nahm sie langsam aus seinem Gesicht, nur um meine Finger mit seinen zu umschließen.

Wieder füllten sich seine Augen mit Tränen.

„Kevin... liebst du mich?“

„Und wenn schon, was ändert es denn noch?“

„Alles. Dann hätte ich einen Grund, das hier durchzustehen und nicht aufzugeben.“

„Dann... liebst du mich auch?“

Ich stand langsam auf und leerte das Glas in großen Schlucken. „Mehr als alles andere. Kevin, rede mit keinem über mich, wir haben uns nicht gesehen, okay? Das gilt besonders für die Bullen. Ich hoffe, das ist alles bald vorbei.“

„Ich halte es ohne dich nicht mehr aus, Matti.“ Noch einmal griff er nach meiner Hand und drückte sie fest. „All die Signale hast du total ignoriert, auch in der Nacht, bevor Colin zu uns kam. Ich dachte wirklich, du siehst nur den Freund in mir.“

In der Sekunde konnte ich einfach nicht mehr anders und beugte mich für einen kurzen, aber zärtlichen Kuss nach vorne. „Geht mir auch so. Und ja, ich war dumm und blind. Lass uns irgendwann darüber reden.“

Meinen überraschten Freund ließ ich nun sitzen und ging meine Besorgungen machen. Aber alles war wieder ein Stückchen heller. Er folgte mir auch nicht mehr und hatte verstanden, dass es, egal was es war, gefährlich werden konnte.

An meiner Bleibe erwartete mich auch gleich eine nette Überraschung.

„Was willst du, Johan?“ Mit diesem Namen verband ich mittlerweile pure Angst, die ich noch tapfer überspielte. Er erschien mir noch böser als die Qualle selber. Seine stechend kalten Augen musterten mich.

„Was hast du ihm erzählt? Wenn es Ärger gibt, dann ist er fällig!“ Er schenkte mir ein grausames Grinsen. In seiner Sprache war ‚fällig’ gleichbedeutend mit ‚tot’.

Mir war klar, dass unser Treffen nicht unbeobachtet gewesen sein konnte. „Ärger hätte es gegeben, wenn ich nicht mit ihm geredet hätte. Gefühlskram, kennst du nicht.“

„Pass auf was du sagst, sonst...“

„Jaja, du schneidest mir den Schwanz ab und steckst ihn mir ins Maul. Habs kapiert. Kevin ist mein Freund, okay? Ich bin nicht so bescheuert und sag ihm was, das ihn in Gefahr bringt. Er hat mit der Sache nichts zu schaffen. Dein Boss hat mir nicht verboten ihn zu sehen.“

„Glaub nicht, du kannst uns verarschen. Du bist ein Nichts, wenn es sein muss, dann pusten wir dich weg.“

Ich seufzte, denn mittlerweile waren mir ein paar Dinge klar geworden. „Für ein Nichts betreibt ihr ganz schön viel Aufwand. Wenn ihr mich umbringt, dann werdet ihr Thomas warnen, falls ich gefunden werde. Kann eigentlich nicht euer Ziel sein. Und wenn ich ihn nicht bald mal besuche und sage, dass es mir gut geht, dann wird er irgendwann misstrauisch. Bock zu sterben hab ich gerade auch nicht, also passe ich genau auf, was ich sage. Ist das ein Problem?“

„Die Adresse für heute.“ Johan steckte mir den Zettel zu und verschwand wieder. Für ihn war das Thema damit erledigt und ich hatte wahrscheinlich mein Leben etwas weiter verlängert.

Mit starkem Herzklopfen schloss ich die Tür hinter mir und lehnte mich mit dem Rücken gegen das Holz. Ich musste vorsichtiger werden und meine Frechheiten nicht weiter übertreiben. Noch war mir nicht bewusst, was meine Rolle wirklich war oder welche Pläne sie für Tom hatten, aber das würde sich bald zeigen.

Den ‚Job’ erledigte ich zügig und brachte die Kohle zum Boss. Dann hieß es abwarten, bis zum nächsten Abend. Ich überbrückte die Zeit und dachte an Kevin, an unsere letzte Nacht und wie sehr es mir fehlte, von ihm als Kissen missbraucht zu werden. Unsere Nächte vor Colin waren so anders, zärtlicher und ohne meine eifersüchtige Wut. Sein Gesicht berühren zu können war einfach schön, trotz der Schwellung.

So verletzbar und traurig hatte ich ihn wahrscheinlich noch nie erlebt und wenn, dann konnte ich mich daran nicht mehr erinnern.

Einen neuen Auftrag gab es am Abend nicht und ich machte mich auf den Weg zu Toms Wohnung. Es war bereits nach 20 Uhr und er war nicht daheim. Durch die Fenster konnte ich keine Bewegung ausmachen und so setzte ich mich auf die Mauer am Grundstück gegenüber. Geschlagene drei Stunden später hatte sich daran auch nichts geändert. Außer einer handvoll Passanten, die mich misstrauisch ansahen, geschah absolut nichts.

Damit der Abend nicht völlig umsonst war, kramte ich einen Zettel aus meiner Tasche und hinterließ Tom eine Nachricht.

Thomas

„Schlaft schön und kommt gut heim“, witzelte Karl am späten Abend.

Schweigend legten René und ich die dreihundert Meter zu seinem Haus zurück. Die Feier war unglaublich, Karl hatte eine Menge Freunde und dementsprechend heiter wurde sein fünfzigster Geburtstag zelebriert. Über ein Outing vor meinen Kollegen musste ich mir keine Gedanken mehr machen, René wollte sich nicht zurückhalten und ich war ganz froh darüber. Ein Problem hatte damit niemand. Mein Freund verhielt sich überhaupt sehr zuvorkommend und umsorgte mich mit der größtmöglichen Aufmerksamkeit. Kurz gesagt: Er versuchte erfolgreich, mich den erschreckend seltsamen Vorabend vergessen zu lassen.

Die kommende Woche verlief außergewöhnlich gut. René und ich schliefen abwechselnd bei ihm und bei mir, für den Fall, dass Mats noch ein weiteres Mal zu mir kam. Von der Eifersucht meines süßen Blonden spürte ich nichts mehr, dafür mehr seiner Leidenschaft.

Mittlerweile war es wieder Freitag und ich suchte René in seinem Haus. Sein übliches Ballspiel hatte er schon vor Stunden unterbrochen und war seither verschwunden. Im Arbeitszimmer wurde ich fündig und sah ihn mit erschöpfter Miene telefonieren.

„Ich mache mich auf den Weg. Bis dann.“ Mein Freund legte das Telefon auf die Station und sah mich traurig an.

„Tom, heute wird es leider nichts mit uns. Ich hab morgen einen Termin und muss heute noch los. Geht um einen Neukunden für Karl.“

Enttäuscht seufzte ich auf und René nahm mich in den Arm. „Wann kommst du wieder?“

„Vermutlich morgen Abend, spät. Ich mach so schnell ich kann.“ Er klammerte sich fest an mich und küsste meinen Hals. „Sei nicht sauer auf mich, ich wäre auch lieber hier.“

Meine Hände legten sich auf seinen Po. „Ich bin nicht sauer. Wann fährst du?“ Die Fingerspitzen glitten in den Bund seiner kurzen Hose.

„In zwanzig Minuten. Ich dusch nur noch schnell und pack meine Tasche. Soll ich dir ein Bad einlassen?“

Knurrend zog ich meine Hand zurück und nickte. Meine Hoffnung auf einen Quickie konnte ich damit auch begraben. „Wäre lieb von dir.“

René lachte auf, als er in mein Gesicht sah, und griff mir in den harten Schritt, das verlangende Fleisch massierend. „Um den kümmere ich mich morgen ganz besonders ausführlich, versprochen.“

Mein Schatz drängte sich an mir vorbei, doch ich hielt ihn an der Schulter fest und legte meinen Arm um ihn. Sein fragender Blick verwandelte sich in einen lustvoll verzerrten, als meine Hand in die Short glitt und seinen prallen Schwanz drückte. Er stöhnte heiser auf und presste seinen Hintern an mich. „Jetzt sind wir quitt, Schatz“, flüsterte ich und verabschiedete ihn mit einem Klaps auf den Po Richtung Dusche.

Dreißig Minuten später lag ich allein in der Wanne und wusch mir den Holzstaub vom Körper. Unser Abschied dauerte etwas länger, aber leider nicht lang genug. Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich zurück und beendete, was mein Freund angefangen hatte.

Im leeren Haus fühlte ich mich etwas verloren und zog mir frische Klamotten an. Das schmale Bett in der eigenen Bleibe schien mir passender. Unbemerkt lief ich zu meinem Dienstwagen und machte mich auf den Heimweg.

Die leisen Stimmen von Evelyn und ihrem Pantoffelhelden im Garten ignorierte ich, im Moment war ich nicht mal auf Rainer besonders gut zu sprechen. Die Sache mit René steckte noch im Kopf fest. Einmischungen von außen konnte ich einfach nicht leiden.

Auf dem Weg zu meiner Tür beschlich mich ein merkwürdiges Gefühl, die Haare in meinem Nacken stellten sich auf. Ich spähte in die leere Wohnung und trat einen Schritt hinein, erst da bemerkte ich einen unbeschrifteten Umschlag, der im Flur auf dem Boden lag. Vorsichtig schüttelte ich ihn und hörte nur das Rascheln von Papier. Kein Absender, überhaupt nichts. Neugierig riss ich den Klebestreifen auf und schüttete den Inhalt auf den Couchtisch. Und was ich dort zu sehen bekam, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

Vor mir lagen zwei Bilder, die nach einem zufälligen Schnappschuss aussahen, dem Datum nach gerade drei Tage alt. Auf ihnen sah ich zwei glücklich wirkende Kerle am Strand. Und ohne jeden Zweifel handelte es sich um Jakob Raller und seinen Freddy.

Angst machte mir nur der Kringel um Jakobs Kopf und die schwarze Aufschrift: ‚Wir wissen wo er ist, Tin’. Auch auf der Rückseite stand etwas geschrieben. ‚Morgen 19:00, P-L-T, komm in den Sportteil’.

In der aufkeimenden Panik fiel mir das Denken schwer und den kryptischen Hinweis begriff ich erst nach einigen Minuten. Ausgerechnet im Publicity, wollte sich der anonyme Schreiber mit mir treffen. Wenigstens war es ‚Der Sportteil’ am Samstag. Voll genug, damit es niemand riskieren konnte, mich über den Haufen zu schießen. Außerdem hatte ich eine böse Vorahnung, um wen es sich hier handeln konnte, denn dass er mich Tin nannte, sprach Bände.

Ausgerechnet jetzt, wo es bei Wobrecht so gut lief. Zum Glück hatte sich Mats von mir zurückgezogen, so wurde er zumindest nicht in die Sache mit reingezogen.

Am nächsten Tag machte ich mich etwas früher auf den Weg. Den Firmenwagen ließ ich stehen und ich lief die zwanzig Minuten. Dort angekommen, blieb mir noch eine halbe Stunde, der Laden war bereits ziemlich voll. Lediglich einen freien Tisch fand ich noch. Bei der Bedienung bestellte ich ein Wasser und wartete.

„Hey Tin, kennst du mich noch?“ Eine dunkle Stimme hinter mir sprach mich an. Und wie ich diese Stimme noch kannte, dieses fette Schwein konnte ich nicht vergessen.

Robert Carstens, der ältere Bruder des verstorbenen Mac, setzte sich mir gegenüber an den Tisch, begleitet von zwei wirklich hässlichen Kleiderschränken. Kurz dachte ich an Flucht, doch wie durch Zufall schwang das Jackett einer der Schränke auf und ich sah den Griff einer Knarre glänzen.

„Was willst du von mir.“

„Na, ich will mir natürlich deine Dienste sichern. Ich glaube, du schuldest mir noch was.“

„Robert, ich mach das nicht mehr. Mein Leben bekomme ich langsam wieder in den Griff. Bitte lass mich in Ruhe.“

„Jetzt hör mir mal zu, du Arschloch“, flüsterte er drohend, „deinetwegen ist mein Bruder tot und du schuldest mir immer noch eine Menge Geld. Darauf kann ich nicht verzichten. Dein dämlicher Egotrip hat mich bereits zwei Jahre länger als nötig warten lassen. Dachtest du, du könntest dich im Knast vor mir verstecken?“ Mit einem fiesen Grinsen schob er nach: „Denk an die Fotos. Ich weiß, dass der kleine Mistkerl Mark abgeknallt hat. Wenn du dich weigerst, dann halte ich mich an ihn.“

„Nein, bitte nicht! Lass Jakob da raus. Er hat genug durchgemacht.“

Robert schien das für einen Witz zu halten, denn er lachte schallend. „Tu mir den Gefallen und hör auf zu denken. Das liegt dir nicht. Das letzte Mal hast du dein Spatzenhirn an deinen Schwanz abgegeben, du siehst ja was daraus geworden ist. Tin, es ist ganz einfach, du arbeitest für mich, oder das nächste Bild zeigt deinen Jakob mit einem Einschussloch im Schädel. Seinen Freund leg ich dann als kleinen Bonus noch dazu. Wäre dir das lieber? Dann sag ja und ich lass dich gehen, Fall erledigt.“

Ich kämpfte mit den Tränen. „Nein, das kannst du nicht. BITTE!“

„Du weißt, dass ich es kann. Ach, da hab ich doch glatt was vergessen.“ Robert legte ein weiteres Foto auf den Tisch. Es zeigte Mats. „Dein kleiner Freund hier arbeitet im Moment für mich. Deine Absage wird auch ihm nicht gerade zuträglich sein.“

„Du willst ihn auch töten?“ Der Schreck ging mir immer tiefer in die Knochen.

„Aber nein, wo denkst du hin. Aber er vertickt gerade Koks für mich und bessert seine Kasse ein wenig auf. Zugegeben, es sind Fake-Käufer. Bisher hat er nur mit meinen Leuten zu tun, den Spaß gönne ich mir einfach. Aber, oh mein Gott, stell dir mal vor, der gerät an einen verdeckten Ermittler. Im Knast freuen sich bestimmt ein paar Jungs über den Burschen.“

Robert kannte jede einzelne meiner Schwachstellen und schlug gnadenlos auf sie ein. Aber wie konnte Mats das nur tun, hatte ich ihn nicht eindringlich gewarnt, seine Bewährung nicht zu riskieren? War er denn wirklich so dermaßen dämlich? Ich kapitulierte. Lieber riskierte ich selber ein paar weitere Jahre, als dass die Jungs dran glauben mussten. Robert hatte meinen Willen gebrochen.

„Was soll ich tun?“

„Ah, jetzt kommen wir ins Geschäft. Die Details bekommst du noch früh genug. Ich hab mir ein paar hübsche Einbruchsziele ausgesucht. Meine Jungs sind da sicher qualifizierter, aber dich zu benutzen ist irgendwie witziger.“

Ich nickte. „Natürlich. Aber was passiert, wenn ich geschnappt werde? Lässt du sie alle in Ruhe?“

„Es wäre schöner, du wirst nicht geschnappt, aber ich denke, da können wir uns einig werden. Außerdem, nach ein paar Jahren kommst du ja wieder raus, ich warte auf dich. Lieber sehe ich dich in einer Zelle verrotten, als dich hier einen auf braven Bürger machen zu lassen.“

Die letzten Jahre meines Lebens, die verbissene Arbeit an meiner Zukunft, zerfielen in diesem Moment zu Staub. Einmal Verbrecher, immer Verbrecher.

„Ach, Tin, tust du mir noch einen ganz winzigen Gefallen?“ Bei dem selbstgefälligen Grinsen wollte ich nur noch kotzen. „Ich hab da ein Problem mit deinem Lover. Ich mag ihn nicht. trotz meiner Nachforschungen kommt kaum was dabei rum. Es ist, als gäbe es ihn nicht. Mach einfach Schluss. Dir steht soviel Glück einfach nicht zu, klar?“

„Hatte ich sowieso vor. Ich will sein Gesicht nicht sehen müssen, wenn die Bullen mich aus seinem Haus zerren, falls ich auffliege.“ Und das würden sie. Robert glaubte gewonnen zu haben, aber das Spiel würde schnell enden. Die JVA würde mich bald wieder begrüßen dürfen.

Es folgte noch eine Karte mit der Adresse eines Hostels in der Stadt. Meine vorläufig neue Anschrift, wie ich richtig vermutete.

„Braver Junge. So, wir sind durch. Geh mir aus den Augen. Hab einen schönen Abend, Tin.“

Auf dem Weg nach draußen sah ich mich nochmals um. Keiner der Gäste schien etwas mitbekommen zu haben, während sie lautstark und Bier saufend das Spiel auf der kleinen Leinwand verfolgten.

Daheim packte ich meine Sporttasche, nahm etwas Geld mit und schrieb meinem Freund eine kurze SMS. ‚Es ist aus, Thomas.’

Ein weiteres Mal ließ ich alles Wichtige hinter mir. Die Antwort von René ließ nicht lange auf sich warten, mein Telefon klingelte beinahe sofort und ich drückte ihn weg. Mit Tränen in den Augen schaltete ich das Handy aus und machte, dass ich fort kam, bevor er hier auftauchte. Lange würde er sicher nicht mehr brauchen.

Die Tram führte mich tief in die Eingeweide der Stadt, hinein in das kochende Nachtleben und wieder aus ihm heraus, bis ich mein Ziel erreicht hatte, allein in grenzenloser Anonymität. Wer nicht gefunden werden wollte, der blieb verschwunden. Im Hostel meldete ich mich mit dem Namen an, den Robert auf der Karte notiert hatte, für eine Weile würde ich wohl Alexander Roth heißen müssen.

„Willkommen, Herr Roth. Ich habe eine Nachricht für sie.“

Ich steckte den Umschlag zu dem anderen mit den Bildern und ließ mir den Schlüssel für das Zimmer geben. Meine Unterkunft war mehr als spartanisch eingerichtet. Ein fleckiger Teppich bedeckte den Boden und nur die furchtbare ‚Ostalgie-Tapete’, in düsteren Brauntönen, war noch schrecklicher. Das Bett war lieblos aus dünnen Sperrholzplatten zusammengeschraubt und die Matratze, falls man sie so nennen durfte, bestand aus einem dünnen Streifen Schaumstoff. Nicht zu vergleichen mit dem Bett bei René.

Seufzend setzte ich mich auf den wackeligen Holzstuhl, der neben einem klebrigen Tisch stand und kramte die Nachricht wieder aus der Tasche. Der Inhalt bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen.

Mats

„Verdammte Scheiße!“ Rasend vor Wut trat ich gegen die Tür meiner Behelfsunterkunft. Nicht nur, dass Schnauzi mir den zweiten Tag in Folge keinen Auftrag vermittelte, mein Schlüssel passte auch nicht mehr in die Tür. Das Arschloch hatte das Schloss tauschen lassen und ich war damit obdachlos, denn der Schlüssel zu meiner Wohnung war noch immer bei Tom. Doch das war im Moment nicht mal mein Hauptproblem, denn alles, was ich bei mir hatte, und das Geld aus den Deals ließ ich am Nachmittag hinter der verschlossenen Tür zurück. Die Qualle hatte mich benutzt und ausgetrickst.

Es half nichts, ich musste mein Glück bei Thomas versuchen. Die Tram schied aus, Geld für ein Ticket hatte ich nicht mehr und ausgerechnet heute schlichen zahllose Kontrolleure herum. Halb gehend und halb rennend brachte ich die Strecke hinter mich und erholte mich an der Mauer zum Grundstück von meinem Seitenstechen. Natürlich war die Wohnung dunkel. Vor lauter Frust fing ich an zu heulen, mir gingen die Optionen aus. Vielleicht Kevin? Allein der Gedanke verursachte Herzklopfen, aber noch waren wir in Gefahr. Oder hatte die Qualle nun den nächsten Schritt eingeleitet?

Ein Wagen bog viel zu schnell in die Straße ein und kam ruckartig vor mir zum Stehen. Den Fahrer, der hektisch aus dem Wagen sprang, erkannte ich sofort. René sah mich aus geröteten Augen an, hatte er auch geheult? Ich verstand immer weniger, es musste was passiert sein.

„Er ist nicht hier.“ Der Satz war eigentlich überflüssig, die dunklen Fenster sprachen für sich.

René setzte sich neben mich und holte tief Luft, bevor er mich mit brüchiger Stimme ansprach. „Weißt du, was los ist? Gestern war alles in Ordnung und er hat vor einer Stunde Schluss gemacht, ich erreiche ihn nicht mehr.“

Ich schüttelte den Kopf, denn ich konnte nur vermuten, wusste aber gar nichts. Der hübsche Kerl tat mir leid, jede Faser seines Körpers versprühte Verzweifelung. „Ich bin eben erst gekommen, wollte meinen Schlüssel holen.“ Vielleicht sollte ich ihm etwas sagen? Hier draußen war es aber zu gefährlich für uns.

„Hast du einen Schlüssel für die Wohnung? Wir müssen reden, aber nicht hier.“

„Moment.“ René stand auf und klingelte beim Vermieter. Aus dem Haus drangen laute Stimmen, offensichtlich ein Streit, aber ich konnte sie trotzdem nicht verstehen. Die Tür öffnete sich wieder. „Es war deine Aufgabe!“

„Schrei nicht so rum, Rainer. Das Meeting war wichtig, Fabian persönlich hat es einberufen. Ich konnte das doch nicht ahnen!“

„Er ist in Berlin? Dann kocht es wohl richtig.“

„Es brennt, Rainer.“ René erinnerte sich an mich und sah erschrocken zu mir rüber. „Ich regel das mit Fabian. Du musst dich nicht darum kümmern. Komm, Mats, lass uns reingehen.“

Die Szene ließ mich misstrauisch werden, etwas war hier seltsam. Aber der Aufforderung kam ich gerne nach, ich sehnte mich nach einer Sitzgelegenheit. Der Blonde holte zwei Bier aus dem Kühlschrank und folgte mir ins Wohnzimmer. „Worüber willst du reden, weißt du doch irgendwas?“

Es war zwar ein Risiko, aber es sollte nicht noch einer leiden. René war kein Teil der Verbote und ich erzählte ihm restlos alles, auch wenn ich den wirklichen Namen der Qualle nicht kannte. Erschöpft und kraftlos ließ er sich in den Sessel sinken. „Scheiße! Du kannst hier nicht bleiben. Du musst dich verstecken!“

„Und wo? Meine Wohnung kennen die Typen und Kevins auch. Ich kann nirgendwo hin!“

„Komm, ich hab ‘ne Idee.“ René sprang aus dem Sessel auf und zog mich von der Couch. Ehe ich wusste was los war, saßen wir schon in seinem Wagen und schossen los. „Gib mir bitte Kevins Adresse.“

Mit einem mulmigen Gefühl tat ich was er wollte und wir fuhren ein Stück weiter Richtung Westen, bis zu einem netten kleinen Hotel. René zerrte mich beinahe schon aus dem Auto und schickte mich vor zum Fahrstuhl, während er selbst leise mit der Rezeption diskutierte. Irgendwas stimmte mit dem Kerl doch nicht, er machte mich nervös.

„Was ziehst du hier ab?“, fragte ich deshalb, als wir auf den Fahrstuhl warteten.

„Vertrau mir bitte, ich will nur helfen. Und danke für das Gespräch vorhin, es ist dir sicher nicht leicht gefallen, aber jetzt kann alles gut werden.“

Auch wenn er sich merkwürdig verhielt, ich spürte dass er auf meiner Seite war, für den Anfang musste das genügen. Immerhin hatte ich jetzt erstmal eine Bleibe und konnte mir kaum vorstellen, dass uns bei dem Tempo jemand unauffällig hätte folgen können. René war im Zickzack-Kurs durch die Stadt gerast. Wo nahm er nur den kühlen Kopf her, immerhin war sein Freund verschwunden.

„Okay, ich vertraue dir.“

René lächelte mich an und blieb vor einer Tür stehen. „Hier, die Schlüsselkarte. Ich hole Kevin, bitte ruf ihn an! Ich muss wissen, ob er daheim ist und sag ihm, dass er bereit sein soll. Ich warte hier im Flur.“

Ich nickte und drehte mich zur Tür. Die Nummer meines Freundes kannte ich auswendig und tippte sie in den Ziffernblock ein. Das Telefon klingelte und nach einer halben Minute wollte ich schon aufgeben, bis mir unsicheres ‚Hallo?’ entgegen scholl.

„Kevin, ich bin‘s, Mats. Alles okay bei dir?“

„Matti! Ich...“

„Wir haben jetzt keine Zeit“, fiel ich meinem Freund ins Wort. „Lass uns später reden! Hör zu, es ist wichtig! Toms Freund René kommt gleich zu dir und holt dich ab. Pack was zusammen und warte. Gehe nur mit ihm und mit niemand anderem mit.“

„Wie erkenne ich ihn?“

Ich warf nochmals einen Blick auf den Wartenden. „Groß, dunkelblond. Eine Sünde auf zwei Beinen.“ René hörte meinen Beschreibungsversuch und lachte leise. „Blaue Jeans und ein weißes Shirt. Glaub mir, den kannst du nicht übersehen.“

„Alles klar. Sehe ich dich dann? Du fehlst mir!“

„Du fehlst mir auch, Kev. Wir sehen uns bald.“

Nachdem René verschwunden war, setzte ich mich aufs Bett und zappte mich nervös durch die Kanäle. Ich fühlte mich wie in einem schlechten Krimi. Eine Stunde verging im absoluten Kriechtempo, bis auf dem Flur zügige Schritte erklangen. Zeitgleich klopfte es an der Tür.

„Mats, mach auf, wir sind es!“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Für einen Moment betrachtete ich Kevin, der unsicher neben René stand. Die Schwellung war ein wenig zurückgegangen und Kevin war fast wieder der Alte. Wortlos zog ich ihn in meine Arme und hielt ihn einfach nur fest, Tränen flossen aus unser beider Augen.

„Geht bitte ins Zimmer und verriegelt die Tür. Ich hab was zu erledigen. Es bleibt dabei, macht zur Sicherheit niemandem auf, ich kündige mich über das Telefon kurz vorher an.“ Mit diesen Worten übergab er mir noch eine Karte, auf der seine Handynummer stand.

„Danke, René, für alles bis jetzt.“ Ich legte nun auch meine Arme um ihn und atmete tief ein. Tom und er würden hoffentlich bald wieder zusammen sein.

Kaum war er gegangen, zog ich Kevin zum Bett. Eng umschlungen und schweigend sahen wir uns eine ganze Weile nur an.

„Erzählst du mir jetzt endlich was los war? Ich hatte eine beschissene Angst um dich, Matti. Die ganze Zeit...“

Meine Lippen verschlossen seinen Mund, während ich seinen Nacken streichelte. Minutenlang lagen wir nur da und tauschten zärtliche Küsse aus. “Kev, ich liebe dich. So lange schon und hab es nicht gemerkt. Erst jetzt, als ich dachte dich zu verlieren... da wurde es mir endgültig klar. Tom hatte einfach nur Recht.“

„Ich liebe dich auch, Matti. Aber du hättest mich nicht verloren, ich hätte um dich gekämpft.“

Meine Hand glitt über seine Wange und mir kamen die Tränen. „Nicht, wenn sie dich getötet hätten“, schluchzte ich und erzählte auch ihm alles. Mit jedem Wort wurde mein Freund blasser und er klammerte sich an mich. Als meine Erzählung am Parkhaus ankam, da weinte auch er. Aber seine Nähe tat mir gut und meine Augen wurden immer schwerer. Es wurde unsere erste gemeinsame Nacht seit Ewigkeiten, in der wir vollständig angezogen und uns in den Armen liegend einschliefen.

Der nächste Morgen begann mit einem knurrenden Magen und Atemschwierigkeiten. Ich fand mich unter Kevins Körper fast vollständig begraben und lächelte ein wenig. Sein einnehmendes Wesen hatte mir wirklich gefehlt und ich genoss die Wärme, die er an mich weitergab. Meine Hand kraulte fast schon automatisch durch sein Haar, während ich überlegte, wie die ganze Sache wohl weitergehen würde. Eins war klar, ich wollte mit ihm zusammenbleiben, aber wir mussten alles versuchen, um endlich aus unserer beschissenen Lage herauszukommen. Dabei dachte ich nicht nur an die Gefahr durch die Qualle, sondern auch an unser soziales Loch.

So versunken, lenkte erst ein zarter Kuss meine Aufmerksamkeit auf die glücklich strahlenden Augen, die mich mit einem liebevollen Ausdruck beobachteten. „Guten Morgen, Matti.“

„Guten Morgen, Kev. Ich mag es, wenn du mich so nennst. Es ist so lange her.“

Wieder presste er seine Lippen sanft auf meinen Mund. In den letzten Wochen, vor der Misere, waren unsere Küsse meist nur wild und voller angestauter Geilheit, doch was er jetzt mit mir tat, ließ mein Herz schneller schlagen. Diese Zärtlichkeiten zeigten mir ganz deutlich, dass es wirklich Liebe war. Unendlich langsam strich seine Zunge über meine, ohne Druck, ohne das heftige Keuchen der früheren Nächte. Seine geschlossenen Augen verstärkten den Eindruck nur noch mehr.

Mein Freund rollte von mir herunter und blieb leise schnaufend neben mir liegen. Voller Sehnsucht nach seiner Haut, schob ich meine Hand unter sein Shirt und legte sie ruhig auf die nackte Brust. Unter den Muskeln pochte das Herz spürbar schneller und er sah mich wieder an.

„Du hast dich ganz schön verändert, bist irgendwie erwachsener geworden. Und strenger.“

„Schlimm?“, fragte ich.

„Nein, vielleicht genau das was ich brauche. Hilfst du mir, was zu ändern?“

Ich lachte. „Dich mit starker Hand führen, oder wie?“

„Ja, genau das meine ich“, antwortete er ohne das kleinste Zeichen von Humor. Er schien es ernst zu meinen. „Ich mochte es immer, wenn du die Initiative an dich gerissen hast. Matti, du bist cleverer als ich, warst du schon immer, aber du hast es nie ausgenutzt, bei dir fühle ich mich gut.“

Seine Worte gingen tief. Es stimmte schon, früher machten wir oft was ich wollte. Erst mit den Jahren ließ es ein wenig nach. Als er mit den Escort-Treffen anfing, hatte ich mich zurückgezogen und er musste sich was einfallen lassen, wie wir die Abende gestalteten. Was mir jetzt erst klar wurde: Nie hatte er von sich aus versucht mit mir zu schlafen, dabei war er bei anderen Kerlen immer aktiv.

„Wenn du das ernst meinst, okay. Aber eins muss ich dazu sagen, du bist nicht dumm. In der Schule warst du früher immer besser als ich.“

„Es ist mein Ernst. Schule war was anderes, ich habe aber ein paar sehr dämliche Entscheidungen getroffen.“

Ich nahm eine seiner Brustwarzen zwischen die Finger und kniff herzhaft hinein, was ihn aufstöhnen ließ.

„Und zu stehlen, mich erpressbar zu machen und dich in Gefahr zu bringen war nicht unglaublich dämlich?“

„Doch, schon.“ Kevin lachte nun ein wenig. „Aber du hast trotzdem immer das Beste daraus gemacht und warst viel stärker als ich. Früher hast du unser Geld eingeteilt, damit wir über die Runden kamen und alles geregelt. Matti, ich an deiner Stelle wäre gesprungen. Garantiert. Aber nicht du, du hast angefangen zu kämpfen.“

Durch das Shirt küsste ich den geschundenen Nippel sanft. „Wir waren beide dumme Kinder. Haben uns maßlos überschätzt. Aber wenn du willst, dann trete ich dir künftig kräftig in den Arsch, wenn du Scheiße baust.“

Nun grinste er anzüglich. „Beim Treten bleibt es hoffentlich nicht.“

„Du bist geil“, stellte ich sachlich fest.

„Total“, nickte Kevin.

So gern ich ihm da geholfen hätte, eine nicht weniger wichtige Angelegenheit hielt mich davon ab. Es galt nun, unsere simultan knurrenden Mägen zu beruhigen. Kevin schien das nicht zu gefallen, aber ich erfüllte ihm seinen Wunsch von vorher und blickte ihn streng an. Mein Freund nickte ergeben und das Zelt in seiner kurzen Hose nahm nochmals zu. Er stand wohl wirklich drauf.

Doch die Nahrungsbeschaffung stellte sich problematisch dar, das Zimmer sollten wir besser nicht verlassen und den Zimmerservice wollte ich gleich aus zwei Gründen nicht bemühen. Zum einen war da die Angst, dass Schnauzis Leute vielleicht doch wussten wo ich war und der Zimmerkellner eine Falle sein könnte – ja, ich war mittlerweile ein wenig paranoid - und zum anderen wollte ich René nicht stärker finanziell belasten als nötig, da er schon das Zimmer bezahlen musste. Und da war sie auch schon, die Lösung; ich griff nach dem Telefon. Toms Freund meldete sich auch sofort nach dem ersten Klingeln und seine Stimme klang erschöpft.

„Gute Idee, Mats. Ich bring euch gleich was vorbei. Wirklich gut mitgedacht.“

„Danke, dann bis gleich.“

Ich kuschelte mich wieder zu Kevin ins Bett und neckte mit einem Grinsen seine Beule. Mein Freund presste sein Becken immer wieder meinen streichelnden Fingern entgegen. Doch auch bei ihm nahm das Magenknurren langsam schmerzhafte Formen an und trotz der Behandlung schrumpfte sein schöner Schwanz immer weiter.

Es dauerte keine zwanzig Minuten, als René noch mal anrief und sich ankündigte. Sofort danach klopfte es und ich ließ ihn eintreten.

Die schwere Papiertüte nahm ich ihm gleich aus der Hand und Kevin schnappte sich die drei Pappbecher mit dem Coffee-To-Go. In der Tüte fand ich ein paar Flaschen Cola, belegte Brötchen und einen trockenen Kuchen, den wir wohl später essen würden.

Am Tisch schnappten wir uns jeweils einen der vier Stühle und aßen schweigend. Dabei betrachtete ich René etwas gründlicher. Es war kein Wunder, dass Tom gleich hin und weg war, der Kerl sah wirklich verdammt gut aus und war zudem noch unglaublich hilfsbereit. Doch eins gefiel mir überhaupt nicht, der Blonde sah aus wie erschlagen. Seine Augen glänzten matt und waren gerötet, die Ringe unter den Augen deutlich dunkler. Das unrasierte Gesicht wirkte kraftlos.

„René, du siehst echt scheisse aus. Nicht geschlafen?“

Er schüttelte abwesend den Kopf. „War die Nacht unterwegs und hab mich umgesehen. Ich muss auch gleich weiter.“

„Vergiss das sofort. Du legst dich hin und wenn es nur für ein oder zwei Stunden ist.“

„Lieb gemeint, Mats, aber ich kann nicht. Ich muss wissen was mit Tom ist.“

Ich stand auf und breitete mich vor ihm aus, was angesichts meiner Statur auf ihn eigentlich eher belustigend wirken musste. „Wenn du übermüdet in irgendein Haus rast, dann hilft das Tom keinen verdammten Meter weiter.“

René blickte mich erstaunt an und lächelte plötzlich ein wenig. „Da hast du allerdings Recht.“

Kevin grinste dabei nur stumm in sich hinein, ihm gefiel auch das ganz offensichtlich. Ein wenig Sorgen machte mir das schon, nicht das er künftig immer spitz wurde, wenn ich ernsthaft mit ihm schimpfen wollen würde.

„Du hast gewonnen, ich lege mich daheim etwas hin. Okay?"

„Keine Chance, du kannst mir ja viel erzählen.“ Ich deutete auf das Hotelbett. „Hier! Und vorher lasse ich dich nicht gehen.“

Der Blonde kapitulierte und stimmte mit einem Nicken zu. Sogar sein Handy stellte er demonstrativ auf lautlos um. „Wenn ich einschlafe, dann weck mich bitte in spätestens zwei Stunden, versprochen?“

„Okay, versprochen. Das ist besser als nichts.“

René stand auf, streifte seine Sneakers ab und krabbelte auf die Matratze, während Kevin und ich nun weiter unsere Mägen füllten. Allerdings schlief unser Besucher nicht, sondern wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere, die Bettdecke zusammengerollt in den Armen haltend.

Mit stummen Blicken forderte ich Kev auf, mir zu folgen, denn René schien ein wenig Zuwendung zu brauchen, wenn ich seinen traurigen Gesichtsausdruck richtig deutete.

„Rück mal ein Stück“, forderte ich ihn auf. Der blonde Hüne kam meinem Wunsch nach, blickte mich aber fragend an. „Ich weiß, dass wir dir Tom nicht ersetzen können. Aber wegen allem, was du für uns tust, wollen wir uns ein wenig erkenntlich zeigen.“

Kevin lächelte mir zu und nickte, woraufhin er auch gleich hinter René auf die Matratze kletterte und ich legte mich vor ihn. Toms Freund lag nun zwischen uns, noch ein wenig verwirrt, aber deutlich entspannter als vorher. Wir kuschelten uns an ihn heran und es dauerte nicht mehr lang, bis er tatsächlich einschlief.

Thomas

Dass mir keine Pause gegönnt war, erschien mir logisch. Robert wollte, dass ich unter Zeitdruck kam. Unvorbereitet stand ich mittlerweile in dem Haus, dessen Anschrift ich in dem Umschlag gefunden hatte. Es war fast so, als wollte Macs Bruder, dass ich geschnappt werde, denn ein guter Plan war das A und O.

Der Einbruch war ein Kinderspiel, das Regenrohr und dessen Halterungen trugen mein Gewicht problemlos und brachten mich zu einem Balkon der kleinen Villa, wo mich ein ungesichertes Fenster erwartete. Es war fast schon zu einfach.

Vorsichtig sah ich mich um und schritt langsam durch die dunklen Räume. Nur eine kleine Taschenlampe beleuchtete schwach den Weg. Auch wenn das Haus leer schien, schlich ich so leise wie möglich umher. Teure Geräte interessierten mich nicht, die hätte ich auch nicht transportieren können. Robert hatte in der Nachricht durchblicken lassen, dass es hier wertvollen Schmuck und nicht gerade wenig Bargeld gab.

Nach einiger Zeit wurde ich fündig, im Arbeitszimmer des Hausherren entdeckte ich ein altes Safemodell hinter einer Tür im Aktenschrank. Mit meiner Ausrüstung, die Robert für mich hinterlegt hatte, öffnete ich die Tür ohne große Anstrengung. Der Inhalt war wirklich nicht übel, ich überflog die Geldbündel kurz und kam auf knapp 50.000 Euro, dazu zwei Etuis mit Halsketten, offenbar Gold mit reichlich Diamanten besetzt.

Schnell verstaute ich das Zeug in meiner schwarzen Tasche und zog meinen Handschuh aus. Aus der Jacke holte ich das Bild von Freddy und Jakob hervor und ließ es auf das Regal unter dem Safe fallen. Als ich die Tür schloss, hinterließen meine nackten Finger verschwitzte Abdrücke auf dem blanken Stahl. Noch einfacher konnte ich es der Polizei nicht machen.

Das Haus verließ ich wieder durch das Fenster im ersten Stock, den letzten Meter sprang ich hinunter und rollte mich auf dem Rasen ab. Ich hatte kein Herzrasen so wie früher, als mich die Angst vor dem Erwischt werden forttrieb, denn diesmal wollte ich es ja. Noch blieb die Frage, wie mich die Polizei aufspüren sollte, denn in dem Hostel war ich kaum auffindbar. Außer... Die Idee kam plötzlich. Jemand musste mich erkennen, wenn mein Fahndungsfoto rausgegeben wurde. Aber nachts um 4 Uhr war das nicht unbedingt so einfach, um die Zeit traf man meist nur Betrunkene und die würden sich kaum an mein Gesicht erinnern.

Auf der Rückseite des Hauses legte ich meine Jacke gegen eins der gesicherten Fenster und schlug mehrmals vorsichtig mit einem Stein auf das Glas unter dem Stoff, bis ein feiner Riss entstanden war. Der stumme Alarm tat nun sein Werk und ich verschwand in Richtung meiner Unterkunft. Bald heulten die Sirenen der Polizei durch die Stadt und ich schlug mich erstmal durch die Seitengassen.

Kurz vor dem Hostel traf ich auf jemanden, der eiligen Schrittes auf die Bäckerei auf der anderen Seite zulief. Wenige Schritte vor ihm wartete ich kurz ab und rempelte ihn dann an.

„Kannst du Idiot nicht aufpassen?“, brüllte ich den Bäcker an.

„Wieso ich? Du hast mich doch...“

Mit einem Ruck riss ich ihn herum und presste ihn an die Hauswand. Sekundenlang zwang ich ihn so, mich anzusehen. „Noch ein Wort und ich hau dir aufs Maul“, zischte ich und stieß ihn noch mal an.

Seine Augen verfolgten meinen Weg bis zum Hostel, bevor er sich kopfschüttelnd auf den Weg in seinen Laden machte.

Sicher, ich hatte maßlos übertrieben. Beinahe wäre es einfacher gewesen, direkt zur Polizei zu gehen, aber eben nur beinahe. Robert hätte es sofort erfahren und sich gerächt. Meine Aktion verschaffte mir und den anderen Zeit. Und wenn es nur Minuten waren, jede zusätzliche Sekunde war kostbar. Und ich konnte nur hoffen, dass die Staatsgewalt das Foto richtig deutete und sich umgehend um Jakobs Sicherheit kümmerte.

Auch für Mats hoffte ich das Beste, aber im Zweifelsfall konnte ich nicht alle retten. Der Junge war clever, ich betete, dass er für sich einen Ausweg fand.

Gut zwei Stunden lag ich auf dem unbequemen Bett und starrte an die schmutzige Decke, unfähig zu schlafen, bis es an die Tür klopfte. Betont langsam quälte ich mich von dem Schaumstofffetzen herunter und hörte erneutes Getrommel gegen das Holz.

Einer von Roberts Russen erwartete mich ungeduldig. „Na, kommt der Boss nicht selbst?“

„Du Idiot hast Alarm ausgelöst, die Bullen sind überall“, zischte dieser mich an.

„Hey, ich war ‘ne Weile nicht mehr im Geschäft, bei der Technik bin ich nicht mehr ganz informiert.“

„Hast du alles?“

Die Tasche mit der Beute schob ich mit dem Fuß zu dem Typen. „Alles was im Safe war.“

„Halte dich bereit! Heute Abend bekommst du den nächsten Auftrag.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich mein Gast und ich blieb allein in dem Loch zurück.

Bisher war alles nach Plan verlaufen, offenbar hatte Robert keinen Verdacht geschöpft, denn sonst wäre ich, Rache hin oder her, bereits tot. Zurück im Bett fand ich dann doch meinen Schlaf, der irgendwann durch lautes Klopfen an der Tür beendet wurde.

Die Uhr zeigte bereits 12 Uhr. „Aufmachen, Polizei!“

Den Beamten ergab ich mich widerstandslos und schwieg beharrlich. Erst musste ich wissen, ob meine Hinweise restlos alle verstanden worden waren. Das Gefühl, in Handschellen abgeführt und in den Einsatzwagen verfrachtet zu werden, hatte ich nicht vermisst. Bis zum Revier brauchten wir nicht lang und schon bald saß ich alleine im Verhörraum.

„Dass wir uns noch mal wiedersehen würden, hätte ich nicht gedacht, Herr Ingenberg.“

Das Gesicht des Polizisten, der eben den Raum betreten hatte, kam mir sehr bekannt vor. Die Jahre hatten ihn nicht ganz so gut behandelt, auch wenn er noch ungefähr in meinem Alter war. Die Haare waren nun deutlich weniger als bei unserer letzten Begegnung.

„Schön, Sie wiederzusehen, van Bergen.“ Ohne Zweifel, es war der Einsatzleiter der Truppe, die damals den Keller gestürmt hatte und Jakob und mich aus der Gefangenschaft befreite. Der Mann, der mich aus dem Krankenhaus persönlich ins Gefängnis überstellte.

„Die Freude ist nicht ganz auf meiner Seite. Aber gut, reden wir Klartext: Ich weiß, was Sie getan haben. Und auch warum.“ Das Bild, welches nun auf dem Tisch lag, hatte ich in der Villa zurückgelassen. „Die beiden sind in Sicherheit. Wir haben sie in Schutzhaft genommen.“

„Danke. Aber warum hat man Sie hergeholt, ist alles doch ein wenig weit weg von Ihrem Revier?“

„Wie man es nimmt. Ich habe mich ein wenig hoch gearbeitet.“ Van Bergen grinste. „Vor Ihnen sitzt der Leiter der Abteilung SO beim BKA. Schwere und organisierte Kriminalität“, ergänzte er bei meinem fragenden Blick.

Ich nickte. Es machte natürlich einen gewissen Sinn.

„Thomas, ich bin nicht hier, um sie zu verhaften“, fuhr er in einem vertraulichen Tonfall fort. „Wir wissen, wer hinter allem steckt. Robert Carstens konnte zwar bisher nicht überführt werden, doch jetzt hat er endlich Fehler gemacht. Und davon nicht wenige.“

„Er will Rache für seinen Bruder. Mich hat er mit dem Leben von Freddy und Jakob erpresst. Und er hat einen Freund von mir in der Hand.“

Van Bergen nickte bedächtig. „Mats Ole Jorgensen und Kevin Schmidt sind ebenfalls in guten Händen.“

„Woher wissen Sie das alles?“ Mein Gegenüber war unheimlich gut informiert.

„Seit wir wissen, dass Carstens in Berlin ist, stehen Sie unter Beobachtung. Und eigentlich hätte das hier alles nicht passieren dürfen. Es gab Komplikationen.“

„Nett gesagt. Wenn Sie so gut Bescheid wussten, warum haben sie nicht vorher eingegriffen? Warum mussten erst alle in Gefahr geraten? Nicht nur Mats war in Gefahr, auch mein Freund hätte zur Zielscheibe werden können! Wo war da ihr Beobachter? Ich kann ihm nicht mehr unter die Augen treten. Mein Job, alles ist zum Teufel. Wegen ein paar ‚Komplikationen’!“ Mittlerweile war ich in Rage und brüllte van Bergen an. Dass meine Augen feucht wurden, konnte ich auch nicht verhindern. Der Gedanke an René ließ mein Herz fast zerspringen.

„Es tut mir leid, wenn etwas mehr Zeit ist, dann werde ich es Ihnen erklären. Aber jetzt bringen wir Sie erstmal in Sicherheit.“

In dem Moment klingelte das Handy des Beamten und als er aufs Display sah, verdunkelte sich sein Gesicht.

„Wo steckst du, Sev? Verschlafen? Das wird Konsequenzen haben.... Nein, du kommst keinesfalls her, wir können nicht riskieren, dass dich jemand sieht!“ Er stand auf und verließ den Raum. Offenbar gab es in seiner Truppe ein paar Probleme mehr. Geschlagene zwanzig Minuten später kehrte ein bleicher Fabian van Bergen zu mir zurück.

„Wir müssen Sie sofort wegbringen, Herr Jorgensen ist verschwunden und sein Freund bewusstlos, aber soweit unverletzt.“

„Noch mehr Komplikationen?“ Die Polizei hatte absolut nichts im Griff. Natürlich kam die Angst um Mats zurück. „Wenn Robert ihn hat, dann ist Mats tot. Der Typ ist kein Idiot, er wird sich mittlerweile was zusammengereimt haben.“

Der Beamte sagte nichts und mehr musste ich auch nicht wissen, er teilte meine Einschätzung.

„Kommen Sie, ich bringe Sie zum Streifenwagen. Der fährt sie direkt zum BKA. Wir kümmern uns um ihre Freunde.“ Er machte eine Pause. „Wenn wir Carstens finden, dann vielleicht auchihren Freund. Noch ist nichts verloren, er braucht möglicherweise eine Geisel.“

Van Bergen konnte recht haben, aber wenn Mats noch lebte, dann wahrscheinlich in einem Zustand, der schlimmer war als der Tod. Macs Bruder war nicht weniger brutal, es lag in der Familie.

Mein Wagen stand schon bereit und ich setzte mich auf die Rückbank. Der Beifahrer ließ noch auf sich warten und van Bergen verschwand eiligen Schrittes wieder im Revier, er wollte die Fahndung schnell ausweiten und mehr Einheiten mobilisieren. Die Hoffnung für Mats war dennoch sehr gering.

Durch die Grübelei hatte ich nicht bemerkt, dass nun auch der zweite Polizist im Wagen saß und wir bereits losgefahren waren. Als ich aufblickte, sah ich in den Lauf einer Waffe.

„Eine kleine Planänderung, Tin. Robert ist ganz und gar unzufrieden mit deiner Leistung.“

Vor mir saß Johan, einer von Macs alten Freunden und der Mann fürs Grobe im Familienbetrieb. Und in seinem Metier war ‚grob’ gleichbedeutend mit Hinrichtungen. Er war der kompromissloseste Killer in Roberts Gefolge. Carstens hatte mich also zum Tode verurteilt und ich konnte nicht mal mehr Angst fühlen. Dachte ich zumindest, bis zum nächsten Satz.

„Du hast die besondere Ehre, dabei zuzusehen, wie dein kleiner Freund langsam aufgeschlitzt wird, Tin. Netter Junge, der Mats. Wollte sich erst umbringen, so richtig dramatisch. Morgens vom Parkhausdach springen. Allerdings ist er ziemlich frech, hätte ihm schon damals die Zunge herausschneiden sollen. Damit fange ich vielleicht an.“

Mein Herz setzte aus, plötzlich begriff ich, warum der Kleine sich an dem einen Morgen so seltsam verhielt, an dem Tag, an dem er verschwand. Ich würde ihn nie wieder einschließen müssen... Wie konnte ich das nur übersehen? Robert war es egal, wer für seine Rache draufgehen musste.

„Hat es dir die Sprache verschlagen? Du bist ja plötzlich so blass!“ Johan grinste mich an.

„Lasst ihn gehen, reicht es nicht, wenn ihr mich tötet? Mats hat euch nichts getan!“

„Robert sieht das anders. Du hast ihm ja die Aktion mit Jakob Raller versaut, den hätte er wirklich viel lieber töten lassen. Dein kleiner Freund ist ein unzureichender Ersatz, aber er wird seinen Zweck erfüllen. Er wird um seinen Tod betteln. Da kommst du übrigens ins Spiel.“ Das Lachen war abgrundtief böse.

„Was soll das heißen?“ Eine gewisse Vorahnung machte sich in mir breit und ich spürte, wie sich bittere Galle aus dem Magen nach oben kämpfte.

„So wenig Fantasie, findest du nicht auch, Harry?“ Der Killer sah den Polizisten an.

„Lass mich da raus, dein Boss bezahlt mich nur für die Fahrt, danach bin ich weg. Mit dem Scheiß will ich nichts zu tun haben.“

Johan lachte wieder. „Tin, kannst du es dir nicht denken? Du hast die Wahl. Sieh zu, wie er langsam stirbt oder bring es schnell zu einem Ende. Na, das ist doch ein toller Deal.“

Die Galle entlud sich im Fußraum und mein Magen krampfte.

„Dann machen wir dich kalt“, fuhr er ungerührt fort, „und verschwinden. Leider können wir nicht mehr zurück, Robert ist ein paar Schritte zu weit gegangen. So, genug geredet, wir sind gleich da.“

Es gab keine Hoffnung mehr, aber wenigstens war es bald vorbei.

Mats

Gegen Mittag schlug ich die Augen auf, der starke Druck um meinen Oberkörper wurde fast schon unangenehm. Kevin saß halb im Bett und seine blauen Augen funkelten mich belustigt an. René, der noch ruhig schlief, hielt mich viel zu fest umschlungen und atmete leise. Dass er stark war, konnte man sehen, aber diese Kraft war doch etwas unerwartet.

„Ähm... René? Aufwachen, bitte. Und loslassen.“ Die Reaktion bestand aus einem noch festeren Klammern. Beinahe hörte ich schon das Knacken meiner Rippen.

Kevin legte seine Hand auf die Schulter von Toms Freund und rüttelte leicht. Der ältere Blonde schoss regelrecht hoch und warf mich dabei fast aus dem Bett. Kurz vor der Kante endete der Beinahe-Flug. Irritiert sah er sich um und erinnerte sich wieder wo er war.

„Sorry, ich hab mich wohl erschrocken. Wie spät ist es?“

„Kein Problem, Großer. Es ist kurz nach 13 Uhr.“

Nun sprang er endgültig aus dem Bett. „Man, Jungs, ich sagte doch zwei Stunden, dann solltet ihr mich wecken! Scheiße.“

„Tut mir leid, wir sind selber eingeschlafen. Du warst vorhin so unglaublich kuschelig.“

Kurz sah er uns an, lächelte dann aber verzeihend. „Ist jetzt halt passiert. Okay Jungs, ich muss telefonieren.“

Mit den Worten zupfte er seine Klamotten zurecht und verschwand mit dem Handy vor der Zimmertür.

Kevin rückte nun selbst nah an mich ran und legte sich hin. Die streichelnden Finger auf meiner Wange brachten mich zum Schnurren. „Ihr habt sooo süß zusammen ausgesehen.“ Seine Lippen trafen mich für einen kurzen Kuss.

„Na danke, einen Kerl wie ihn überlebe ich aber sicher nicht lang, irgendwann bricht der mich versehentlich durch.“

„Gefällt er dir denn?“ Die Stimme meines Freundes enthielt einen kleinen Hauch Eifersucht.

„Ich will nur dich, Kev.“

„Das ist keine Antwort, Matti.“

Ich grinste ihn an. „Naja, er sieht schon geil aus und riecht auch ziemlich gut. Am Anfang hab ich echt ein Rohr bekommen.“ Kevin kniff die Augen zusammen. „Aber wenn das einer bearbeiten darf, dann du“, setzte ich nach.

In dem Moment flog die Zimmertür auf und René blickte etwas abgehetzt zu uns rüber. „Sorry Jungs, ich muss dringend los. Und danke, den Schlaf hab ich wirklich gebraucht.“

Einen Augenblick später waren wir wieder allein. Mein Freund kuschelte sich noch etwas dichter heran und schob seine Hand unter mein Shirt. Überall fing es an zu kribbeln und seine sanften Finger verursachten eine angenehme Gänsehaut. „Ich glaube, jetzt wird alles wieder gut, Matti. Wir schaffen das und diese Arschlöcher können uns bald gar nichts mehr.“

Ich öffnete meine Augen, die ich eben erst geschlossen hatte und sah ihn strafend an. „Entweder sagst du schöne Dinge, wenn du mich streichelst, oder du schweigst. Ich will nicht an die Qualle denken. Nicht jetzt.“

„Sorry“, nuschelte er leise und presste seinen Lippen leicht auf meinen Mund. Ich ließ mich in seinen Kuss fallen und streichelte den flauschigen Nacken. Seine blonden Haare waren mittlerweile deutlich länger als damals, bevor ich Tom traf. Es gefiel mir sehr. Langsam streifte ich ihm das Shirt über den Kopf und betrachtete seinen Oberkörper. Sexy war er immer schon, aber jetzt war er einfach nur noch schön. Es war erstaunlich, wie sehr die Liebe die Wahrnehmung veränderte. Meine Finger strichen zärtlich zwischen den Brustmuskeln über die Haut und ich wurde mit einem verliebten Blick belohnt.

Das energische Klopfen an der Zimmertür ließ mich zusammenzucken.

Auch Kevin fuhr hoch, entspannte nach einem Moment aber. „Guck mal auf den Tisch, René hat den Autoschlüssel liegenlassen. Ich mach das eben, bleib liegen Matti!“

Dankbar lächelte ich ihn an und legte mich zurück. Mein Süßer schnappte sich den Schlüssel und öffnete die Tür. Plötzlich erklang ein seltsames Geräusch, gefolgt von einem dumpfen Aufprall. Kevin lag reglos auf dem Boden. Sofort sprang ich in seine Richtung, prallte aber zurück, als mein Kopf auf zwei Beine traf. Ein schneller Schlag gegen den Kopf schickte mich in die Dunkelheit.


Dumpfe Stimmen drangen an mein Ohr und nur langsam klärte sich mein Blick. Um mich herum war alles verschwommen und in meinem Schädel pochte es schmerzhaft. Das Gefühl kehrte in den Körper zurück und ich spürte ein scharfes Brennen an meinen Handgelenken. Ein grobes Seil hielt meine Hände über dem Kopf und drückte sich ins Fleisch.

„Er wacht auf, Robert.“ Die Stimme des Mannes war mir unbekannt, aber nicht die des Angesprochenen.

„Ah, sehr schön. Johan hat sich auch gerade gemeldet, er hat den zweiten Gast dabei. Sag Alexej bescheid, er soll schon mal die Kanister aus dem Transporter holen, damit wir die Sauerei hier schnell beseitigen können.“ Die Qualle hieß also Robert und seine Worte bedeuteten nichts Gutes.

Mein Herz klopfte schmerzhaft vor Angst unter meiner Brust, denn ich glaubte nicht, dass er mich einfach nur töten wollte.

„Na, kleiner Mats, da hat der liebe Tin dir aber ganz schön was eingebrockt. Aber du wirst mir helfen das Stück für Stück abzuarbeiten.“ Beinahe gelangweilt legte Robert ein paar Werkzeuge bereit. Ich erkannte ein großes Jagdmesser, eine Säge und ein Skalpell. ‚Stück für Stück’... ich spürte wie meine Hose nass wurde. Blanke Panik breitete sich in mir aus und ich riss an den unnachgiebigen Seilen. Nichts rührte sich.

„Soll ich dir helfen? Die Fesseln sehen unbequem aus.“ Mit aufgerissenen Augen beobachte ich, wie die Qualle zur Säge griff.

Doch er lachte nur. „Keine Angst, noch nicht. Da hat Tommy ja nichts von.“ Grinsend zündete er sich eine Zigarette an.

Die Angst wuchs jede Sekunde mehr. Roberts irre Augen versprachen mir große Schmerzen. Und das Grinsen in seinem fetten Gesicht wurde noch breiter, als wir draußen das Knirschen von Reifen auf Schotter hörten.

Thomas

Johan stand mit gezückter Waffe neben dem Wagen und forderte mich auf auszusteigen. Der korrupte Bulle rollte sofort wieder davon. Wir befanden uns an einer abseits gelegenen Baustelle und diverse Büro- und Arbeitscontainer bestimmten das Bild. Natürlich arbeitete sonntags niemand hier und das Gelände lag verlassen.

Mit dem Lauf der Pistole zeigte Johan auf einen einsamen Container, der knapp 50 Meter vor mir stand. Mit schleppenden Schritten bewegte ich mich darauf zu, den Killer im Nacken. Ich fürchtete mich davor Mats zu treffen, ihn leiden zu sehen.

„Herzlich Willkommen in deiner letzten Ruhestätte, Tin“, wurde ich nach Durchschreiten der Tür von Robert begrüßt, der gerade eine Zigarette auf dem Boden austrat.

Dann sah ich Mats, der mit Seilen an einem Metallring festgebunden war und auf den ersten Blick noch unverletzt wirkte. Doch in seinen Tränen verhangenen Augen lag die nackte Angst. Sein Anblick erinnerte mich stark an Jakob, der Ausdruck war identisch.

„Es tut mir leid, Mats. Ich wollte das alles nicht.“ Ein dumpfer Schlag in den Rücken schleuderte mich ein Stück nach vorne.

„Robert hat mit dir gesprochen, antworte gefälligst.“

„Lass ihn gehen, es geht dir doch nur um mich! Mach mit mir, was du willst, aber lass ihn aus dem Spiel, er hatte nie was mit der Sache zu tun.“

Macs Bruder schnaubte verächtlich. „Ich hätte mich ja mit Jakob zufrieden gegeben, doch an ihn komme ich leider nicht mehr ran. Tin, ich will dein Gesicht sehen, wenn wir den Kleinen auseinandernehmen, in winzige Stücke schneiden. Du sollst ihn schreien hören. Dann weißt du, wie es ist, wenn man einen wichtigen Menschen verliert. Du hast meinen kleinen Bruder auf dem Gewissen!“

„Es war Notwehr. Und ich habe im Knast alles verloren, meine gesamte Vergangenheit und es war nicht das Schlechteste. Einen Neuanfang, mehr wollte ich nicht. Doch jetzt lass ihn nicht auch noch dafür leiden! Mats ist hier nur reingerutscht.“

„Johan, würdest du bitte?“ Der Angesprochene schob mich vorwärts zur Wand und kettete meinen linken Arm mit einer Handschelle an den Ring neben Mats. Robert nahm ein Messer vom Boden auf und wog es in der Handfläche. „Du kannst ihm hiermit“, er spielte weiter an der Klinge, „sofort das Leid ersparen. Ein Stich ins Herz, oder ein Schnitt durch die Kehle. Wie du willst.“

„Tom, bitte, lass es nicht zu!“, meldete sich erstmals mein Freund zu Wort, die Stimme war brüchig. „Ich habe Angst.“

„Es wird alles gut.“ Der Satz war lahm und absolut unglaubwürdig, Robert lachte schallend.

„Alexej, jetzt bring endlich die Kanister! Johan, ich denke wir sollten anfangen. Uns läuft die Zeit davon.“

Die Zeit zum Reden war um und hilflos beobachtete ich den Killer, wie er neben dem Kleinen in die Hocke ging und zielsicher nach dem Skalpell griff. Zeitgleich betrat ein anderer Mann den Container, jeweils einen roten Kanister in den Händen. Neben der Tür stellte er diese ab und schaute uns nun gespannt an.

„Also Mats, wir fangen mit etwas Leichtem an. Keine Angst, es tut nur weh, hinterlässt aber keine richtigen Schäden.“ Johan hielt ihm das scharfe Operationswerkzeug vor die Augen und bewegte es langsam zu seiner Wange. Ich schluckte hart und war machtlos.

Die Klinge hinterließ eine hauchzarte Spur aus Rot im Gesicht meines jungen Freundes. Mats versteifte und hielt zitternd den Atem an. Der ersten Linie folgte eine weitere, diesmal entgegengesetzt. Die oberflächlichen Schnitte bildeten ein Kreuz und Johan legte das Skalpell zur Seite, strich in perverser Zärtlichkeit über den Punkt, an dem sie sich trafen.

„Sind sie nicht wunderschön?“ Mit ruhiger Hand nahm er das nächste Werkzeug, ein langes Messer mit breiter Klinge. „Dieses Kreuz lädt dazu ein es zu durchstoßen, findest du nicht auch, Tom? Oder willst du es beenden?“

Mutlos schüttelte ich den Kopf und Johan grinste. „Na dann, Kleiner, dass wird jetzt richtig weh tun.“ Die Hand beschrieb einen ausladenden Bogen in der Luft, nur um dann in einer schnellen Bewegung vorzustoßen.

Doch irgendwas geschah, ein Lufthauch wirbelte Johans Haare auf, ich sah rötlichen Nebel. Ein ersticktes Gurgeln drang nun auch aus Roberts Kehle. Der massige Mann knickte ein und fiel zeitgleich mit dem Killer nach vorne. Der schwere Körper erwischte Mats am Arm, der mit einem Knacken nachgab, mein Freund schrie auf.

Ich riss meinen Kopf herum und blickte zur Tür. Meine Augen mussten mir einen Streich spielen! Dort stand René, die Beine zu einem festen Stand gespreizt und die Arme beide ausgestreckt. Seine Hände umklammerten eine schallgedämpfte Pistole. Ungläubig sah ich ihn an, als ich am Rande meines Blickfeldes eine Bewegung bemerkte. Alexej hatte nun seine Waffe gezogen und zielte auf meinen Blondschopf.

„René! Vorsicht!“ In dem Moment wirbelte mein Freund herum und zwei Schüsse knallten mit ohrenbetäubender Lautstärke und rissen unseren Retter von den Beinen.

„NEIN!“ Alles war aus, mein René war getroffen.

Die Waffe des Russen richtete sich nun auf uns. Doch statt eines weiteren Schusses, ertönten zwei stumpfe Plopp-Geräusche. Auch Alexej kippte rückwärts zu Boden und ich sah nur noch Renés Hand zu Boden fallen, die Waffe glitt über das Metall.

Verzweifelt rüttelte ich an der Handschelle, mein Freund lebte vielleicht noch und ich konnte nichts tun. Auch Mats reagierte nicht mehr, seine Augen waren geschlossen. Eine gnädige Bewusstlosigkeit hatte ihn vorerst erlöst.

Ohne viel Hoffnung schrie ich um Hilfe und hoffte, dass irgendjemand mich hören würde. Und dann brach draußen die Hölle los, Sirenen ertönten und die Baustelle füllte sich mit Fahrzeugen. Schwer gepanzerte Polizisten stürmten in unseren Container, gefolgt von... Fabian van Bergen.

„Kümmert euch um die beiden, die Rettungskräfte kommen jeden Moment. Und schafft ihn hier raus!“ Van Bergen deutete auf René.

Die psychische Anspannung in mir ließ nach und ich folgte Mats in die Bewusstlosigkeit.


Weiße Wände und massenhaft Türen umgaben mich, als meine Augen sich wieder öffneten. Lange konnte ich noch nicht im Krankenhaus sein, denn mein Bett stand noch auf dem Gang. Körperlich ging es mir gut, nicht so wie damals, als ich mehr tot als lebendig war.

Als ich mich aufsetzte, kamen sofort zwei Beamte auf mich zu.

„Was ist mit René, wie geht es Mats?“

„Herr Jorgensen ist noch in Behandlung, sein Arm wird gerichtet. Für alles andere warten sie bitte auf Herrn Direktor van Bergen.“

Warten wollte ich nicht und ich sprang auf. An der Rezeption würde man schon Bescheid wissen. Doch die Polizisten stellten sich mir in den Weg.

„Bin ich verhaftet, oder stehe unter Arrest?“

„Nein, nicht direkt.“

„Dann lassen sie mich durch.“ Ich ließ die beiden stehen und orientierte mich an den Schildern Richtung Ausgang. Nach einigen Minuten erreichte ich auch den Empfang. Wieder pochte mein Herz heftig, ich musste wissen was mit René war.

„Ich suche René Wobrecht, er ist wahrscheinlich mit mir hier hergebracht worden.“

„Tut mir leid, ich habe keinen René Wobrecht im Computer“, antwortete die Schwester.

„Haben Sie den Namen richtig geschrieben?“ Ich buchstabierte seinen Nachnamen.

Wieder schüttelte sie den Kopf. „Ich habe einen Severin Wobrecht, der heute eingeliefert wurde, keinen René.“

Severin? Den Namen hatte ich bisher noch nie gehört.

„Herr Ingenberg, alles ist in Ordnung, folgen Sie mir bitte.“ Van Bergen hatte mich eingeholt.

„Was ist hier los, warum ist René nicht hier, wer ist Severin?“

Der Beamte seufzte. „Das sollte er Ihnen besser selber erklären. Kommen Sie!“

„Er lebt? Der Russe hat auf ihn geschossen.“

„Ihm geht es gut, den Umständen entsprechend. Er ist nicht in Lebensgefahr.“

Irritiert folgte ich van Bergen. Ich hatte doch gesehen, wie mein Freund getroffen wurde. Nach fünf Minuten erreichten wir einen Durchgang, der von zwei weiteren Polizisten gesichert wurde. Mein Begleiter nickte ihnen kurz zu und wir wurden durch die Tür geschleust.

„Warten Sie bitte einen Augenblick hier! Ich bin gleich zurück.“

Van Bergen ging durch die nächste Tür und schloss sie hinter sich. Die Zeit kroch nur vor sich hin, bis endlich Bewegung in die Sache kam. Die Tür öffnete sich einen Spalt und die Stimme des Beamten drang gedämpft zu mir. „Viel Glück, Sev.“

So hatte er auf dem Revier doch den Kollegen am Telefon genannt. Und es konnte die Kurzform von Severin sein. Was wurde hier gespielt?

Ich wartete nicht auf die Aufforderung des Abteilungsleiters und schob mich in den Raum. Im Bett lag... René? Seine Augen sahen mich nervös an und ein fester Verband zog sich um seine Brust.

„Was läuft hier?“ Meine Wiedersehensfreude war gedämpft.

„Tom, ich muss dir was erklären...“

„Das sehe ich auch so. Und deine Erklärung ist besser richtig gut. Wer bist du? Wieso hast du eine Waffe?“ Er seufzte tief und verzog das Gesicht vor Schmerzen. „Bist du verletzt?“ Ein Teil meiner Sorge kehrte zurück.

„Rippenbrüche. Ohne die Schutzweste wäre ich tot, also bin ich eigentlich ganz gut davongekommen. Tom, ich werde dir jetzt alles erklären, hör mir bitte zu. Und eins vorweg: Egal, was du über mich denken wirst, das zwischen uns ist echt. Ich liebe dich. Mehr als jemals einen anderen zuvor. Glaub mir das bitte!“ Die Verzweifelung in seinem Gesicht konnte nicht gespielt sein.

„Ich versuche es...“, antwortete ich zögerlich.

„Ich heiße Severin, nicht René. Fabian van Bergen ist mein Vorgesetzter, ich arbeite auch für das BKA, bis heute zumindest als verdeckter Ermittler. Unser Treffen war kein Zufall. Ich wurde auf dich angesetzt, kurz nachdem wir Gerüchte über Robert Carstens Ankunft in Berlin gehört hatten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er Kontakt zu dir aufnehmen würde.“

Also war er der Beobachter und ich am Ende selber die Komplikation?

„Nach unserem ersten Treffen wollte ich dir näher kommen, irgendwie hatte es gleich gefunkt. Ich dachte es wäre auch eine gute Idee, ich hätte besser auf dich aufpassen können. Aber das war ein Irrtum, ich wurde unaufmerksam. Das mit dem Job bei Karl war ein Risiko für uns alle. Ich hätte jederzeit enttarnt werden können, besonders von meiner Nichte. Aber wir mussten dich im Glauben lassen, dass alles okay war, damit wir Robert auf die Spur kommen konnten.“

„Ich war euer Lockvogel...“

„Nein! Ja... für das BKA warst du es, für mich warst du Thomas, der Mann den ich liebe. Und ich hab die Risiken falsch eingeschätzt. Hab versucht mich gegen die Gefühle zu wehren. Bis zu dem Tag, an dem Selina mit Celine zu uns kam. Meiner Schwester habe ich alles erzählt, ich konnte nicht mehr einfach nur in deiner Nähe sein. Sie hat mir Mut gemacht. Weißt du... ich hab dir von meinem Freund mit 16 erzählt, bevor meine Eltern mich abgeschoben haben. Seit damals war ich nicht mehr verliebt. Als du die SMS geschickt hast, ist meine Welt zusammengebrochen, ich dachte nicht gleich daran, was dahinter stecken konnte. Bei dir hab ich dann Mats getroffen. Er hat mir alles erzählt: Robert hat auch ihn erpresst und ich habe ihn in Sicherheit gebracht und seinen Freund dazu geholt. Aber auch hier habe ich versagt. Als du verhaftet wurdest, wollte ich zu dir, hatte aber meine Schlüssel vergessen. Mats war weg, Kevin bewusstlos. Am Revier bist du gerade weggefahren worden und ich bin euch gefolgt, damit wir beim BKA miteinander reden konnten. Aber dann seid ihr in die falsche Richtung und ich bin euch mit Abstand gefolgt und hab Fabian verständigt. Robert hat ein paar Polizisten geschmiert, so fanden sie auch Mats. Den Rest der Geschichte kennst du.“

„Was war das mit Rainer, gehört er auch zu euch?“

„Nein, wir wussten aber, dass ihr euch angefreundet hattet. Und wir haben uns auch nicht eingemischt. Die Wohnung war wirklich seine Idee. Nur seine Frau hat er mit dem Argument, dass er ein Auge auf dich haben könnte, überzeugt. Evelyn hat es ein wenig zu ernst genommen und wirklich alles beobachtet und weitergegeben. Das tut mir aufrichtig leid. Es schien, als ob sie in allem ein Verbrechen wittern wollte, selbst in Mats. Dabei sollte Rainer nur aufpassen, ob sich Robert annähert.“ Severin seufzte. „Es ging alles drunter und drüber. Rainer wurde auch unaufmerksamer, als sich die Streitereien mit seiner Frau häuften. Er hat es nicht böse gemeint.“

Fassungslos starrte ich ihn an, die Geschichte musste ich erstmal verdauen. „Ich glaub das alles nicht. Warum hat mir keiner was gesagt? Habt ihr echt geglaubt, ich hätte die ganze Sache verdorben? Mehr als ihr geht ja wohl nicht mehr! Mats und ich wären heute beinahe draufgegangen. Der Junge wird noch eine Weile darunter leiden, weil ihr – und ganz besonders du - mir nicht vertraut habt.“

„Ja, es war ein Fehler. Mats wird Hilfe bekommen und wir... können ihm vielleicht helfen, dass er sein Leben auf die Reihe bekommt.“

„Wir? Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Ren... Severin.“

Severins Augen füllten sich mit Tränen. „Es tat mir weh, wenn du mich René genannt hast, dass ich es dir nicht vorher sagen konnte. Nicht René hat dich geliebt, sondern ich. Tom... verlass mich bitte nicht.“

Minutenlang betrachtete ich ihn, sah zu, wie seine Tränen liefen, bis ich aufstand und mich neben ihn ans Bett setzte. Mein Daumen wischte das Salzwasser vorsichtig von seiner Wange.

„Du denkst also, wir könnten einfach so weitermachen, als ob nichts geschehen sei?“

„Tom, bitte, ich habe dich fast nicht belogen. Okay, ja, ich bin ein Bulle. Und ich war auch nicht bei einem Neukunden für meinen Onkel. Es war ein Meeting mit Fabian und dem Team. Der Rest entsprach der Wahrheit. Ich habe mich im Bett noch nie jemandem hingegeben, weil ich den Menschen lieben muss. Bitte verzeih mir!“

Ich nahm seine Hand und sah ihm ernst in die Augen. Eine kleine Retourkutsche musste er sich jetzt noch gefallen lassen. „Das in meiner SMS nehme ich nicht zurück. René, es ist aus mit uns.“

Er bemerkte den kleinen Spaß nicht, denn er drehte den Kopf zur Seite und fing erbärmlich an zu schluchzen. Also griff ich nach seiner Wange und zog ihn ein Stück in meine Richtung. Meine Mimik verwirrte ihn, denn sie passte nicht zu den Worten von eben.

Der ungläubige Gesichtsausdruck verwandelte sich langsam in ein strahlendes Lächeln. An der Situation hatte ich zwar noch zu knabbern, aber das Herz sprach eine deutliche Sprache.

„Na, hast du es endlich begriffen? Ich habe mich in dich und nicht in deinen Namen verliebt. Ich muss aber zugeben, dass mir Severin besser gefällt. Danke. Am Ende hast du wenigstens nicht versagt. Ohne dich würde ich nicht mehr leben.“

Ich beugte mich vor und endlich küssten wir uns.

Ein leises Klopfen unterbrach unsere Wiedervereinigung und van Bergen steckte den Kopf zur Tür herein. Dass ich Severins Hand hielt, entlockte ihm ein zufriedenes Lächeln.

„Ich störe euch nur ungern, aber ich habe hier noch ein Telefonat für Herrn Ingenberg. Jemand möchte unbedingt mit Ihnen sprechen.“

„Kann ich nicht zurückrufen?“ Viel lieber wollte ich den Mann an meiner Seite wieder küssen.

„Glauben Sie mir, Sie wollen telefonieren“, antwortete er mir geheimnisvoll.

Ich seufzte ergeben und streckte die Hand nach dem Mobilteil aus. „Hallo?“

„Hallo, Thomas.“ Die Stimme erkannte ich sofort, auch wenn sie ein wenig älter klang und eine Gänsehaut überzog meinen ganzen Körper.

„Jakob, bist du es wirklich?“

„Du erkennst mich noch? Wow.“ Ich hörte sein Lächeln. „Freddy ist auch hier. Wir wollten uns bedanken. Diesmal hast du uns wirklich gerettet.“

„Dich kann man nicht vergessen. Du musst mir nicht danken, wieder war es meine Schuld. Ich hoffe es geht euch gut?“

„Vergiss das schnell, Tommy. Du hast das hier nicht verursacht. Ja, uns geht es gut, wir wurden eben aus der Schutzhaft entlassen. Die Killer wurden geschnappt, als sie in unser Haus eindringen wollten. War schon seltsam, wir sind erst gestern Morgen aus dem Urlaub gekommen und heute Nacht stand schon die Polizei vor dem Haus. War ein ziemlicher Schock.“

Erleichtert atmete ich aus. „Dann ist alles gut. Ihr seid jetzt in Sicherheit, mein Freund hat die Bande erledigt. Ständig muss mich jemand retten.“

Jakob lachte auf. „Da ist was dran. Fabian hat uns schon alles gesagt. Ich wünsch dir viel Glück mit deinem Freund... ich hoffe ihr vertragt euch noch.“

„Ja, tun wir, Severin hat mir gerade alles gebeichtet. Jacky, endlich hab ich einen von den guten Jungs und ich glaube, er bleibt bei mir.“ Severin nickte heftig.

„Herzlichen Glückwunsch. Tom, also wenn du willst, oder ihr, dann könnt ihr uns gerne besuchen kommen. Wäre schön, wenn wir uns wiedersehen könnten. Du weißt ja hoffentlich noch, wo ich wohne.“

„Ist das dein Ernst?“ Ich kämpfte mit der Sprachlosigkeit. Natürlich würde es mich freuen, jetzt, wo ich wusste, dass ich nicht mehr in mein ehemaliges Opfer verliebt war.

„Ja, Freddy hat sogar den Vorschlag gemacht. Also nur, wenn es dich nicht stört.“

„Tut es nicht, ich komme euch gerne besuchen und Severin vielleicht auch?“ Fragend sah ich meinen Freund an, der meine Hand fester drückte und zustimmend lächelte.

„Cool. Dann sag Fabian, er soll euch meine Nummer geben, wir telefonieren dann. Alles Gute, Tom, bis bald.“

„Bis bald, Jacky.“

Ich strahlte über das ganze Gesicht und gab dem Beamten sein Handy wieder. Es war wundervoll zu wissen, dass die beiden noch glücklich zusammen waren und mir verziehen hatten.

„Ich hoffe nur, dass Jakob weiß was er tut“, seufzte ich.

„Er weiß es, Schatz. Ganz sicher. Und was ist mit dir? Du hast ihn mal geliebt...“ Ein Hauch von Eifersucht schwang in seiner Stimme, den ich nur mit einem Kuss bekämpfen konnte.

„Du hast recht, ich habe ihn mal geliebt. Aber das war vor dir. Dich gebe ich nicht mehr her, jetzt, nach unserem Neuanfang. Versprochen.“

Mehr Worte waren nicht nötig. Noch an diesem Tag fassten wir einen Entschluss - ich würde sein Angebot annehmen und zu ihm ziehen. Es gab keinen Grund mehr damit zu warten.

Nach nur einer Woche erlöste ich Evelyn von meiner Anwesenheit. Für die wenigen Sachen, die in der Wohnung mir gehörten, reichten drei Kartons und der Transporter von Karl. Auch die restlichen Stühle nahm ich mit, um sie künftig, in meiner Freizeit, fertig zu machen.

Severin sah mir mit Leidensmiene untätig zu, er durfte absolut nicht mit anfassen. Das allgemeine Bewegungsverbot machte ihn wahnsinnig, er war es nicht gewohnt mal ruhig sitzen zu bleiben. Ich schloss die Türen des Fahrzeugs und gab meinem Freund einen zärtlichen Kuss, der durch ein aufdringliches Räuspern unterbrochen wurde.

„Mit dir hab ich nicht mehr gerechnet, Rainer.“ Meine Stimme blieb abweisend.

„Thomas... es tut mir leid, alles. Ich hoffe, wir können wieder Freunde werden.“

„Was sagt denn deine Frau dazu, hat sie es dir erlaubt?“ Mein ehemaliger Aufseher zuckte zusammen.

„Hat sie, ja. Sie traut sich selber nicht raus, aber sie hat begriffen, dass du ein besserer Mensch geworden ist. Sie hat sogar ein Geschenk für dich machen lassen.“

„Ich will es nicht. Danke.“

Nun mischte sich Severin ein. „Tommy, sieh es dir bitte an.“ Dem flehenden Blick hatte ich nichts entgegen zu setzen und ich nickte Rainer zu, der daraufhin zurück zur Mauer ging und etwas dahinter hervorholte. In der Tüte steckte etwas sehr Großes und Flaches, eindeutig ein Bild. Wortlos zog Rainer das Gemälde hervor und zeigte es uns.

„Wow!“ Mehr fiel mir dazu nicht ein und Sev kuschelte sich leicht von hinten an mich ran.

„Ich habe ein Bild von Onkel Karls Geburtstag an Rainer weitergegeben und ihn gebeten, ob Evelyn es für uns malen lässt.“

Das Bild zeigte uns im Garten, umgeben von einigen Gästen, ich saß auf Severins Schoß und wir lachten in die Kamera. Einer der schönsten Momente meines Lebens, durch Ölfarbe auf Leinwand gebannt. „Danke. Und auch an deine Frau. Es ist wundervoll.“ Ich umarmte den Beamten und gab ihm so mein stummes Versprechen, dass wir Freunde bleiben würden.

Die nächste Überraschung wartete dann in meinem neuen Heim, als Karl mit ernstem Gesicht auf mich zukam. Das Gespräch stand zwar noch aus, aber ich hätte es gerne noch verschoben, denn seit meinem Weggang war ich nicht mehr zur Arbeit erschienen.

„Tom, wir müssen reden. Ich habe eine schwere Entscheidung treffen müssen.“

„Hallo Karl. Es tut mir leid, wirklich. Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe und...“

„Jetzt sei endlich still. Ich will das alles nicht noch mal hören.“ Der Blick meines Chefs fiel dabei auf Severin. „Fakt ist, ich kann dich als Gesellen hier nicht mehr gebrauchen.“

„Verstehe.“ Immerhin hatte ich noch meinen Freund.

„Tust du? Ich denke nicht. Martin und ich haben uns unterhalten, wir denken, dass wir aus dir mehr machen könnten. Aus den Unterlagen der JVA weiß ich, dass du beinahe fünf Jahre voll hast. Wir können dich also auf die Meisterschule schicken. Das wird kein Zuckerschlecken, wir denken aber, dass du es packst.“

„Ernsthaft? Ganz wirklich ernsthaft?“ Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

„Ganz sicher. Wir denken, dass du die Chance verdienst und außerdem erleichtert es dir die Suche nach neuer Arbeit, falls es irgendwann mal nötig wird.“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, das ist...“ Ich umarmte meinen Chef stürmisch.

„Freu dich nicht zu früh. Möglicherweise bekommen wir bald zwei Lehrlinge, ich möchte, dass du dich dann, mit Martin zusammen, um einen von beiden kümmerst.“

Für die Chance hätte ich mich auch um 100 Azubis gekümmert, rund um die Uhr und ich stimmte freudig ein. Meine neue Perspektive feierten Sev und ich ganz alleine im Schlafzimmer und ganz ruhig. Scheiß Rippen.

Mats – 4 Wochen später

Die späte Septembersonne schien durch das Fenster in Kevins Wohnung. Es war zwar noch warm, aber längst nicht mehr so irre heiß, wie noch vor ein paar Wochen. Der Herbst zeigte nun immer deutlicher seine ungemütlichen Zähne.

Zu meiner Linken lag Kev und betrachtete mich schon den ganzen Morgen, während ich meinen Gedanken nachhing. Heute war der Tag, an dem alles anders werden würde. Erst gestern hatte ich einen Brief vom Gericht erhalten. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine weitere Anklage, lediglich meine Bewährung wurde verlängert. Das hatte ich sicherlich dem Einsatz von Severin und seinem Chef zu verdanken. Daran waren allerdings Forderungen geknüpft, die einen weiteren Rückfall vermeiden sollten. Doch den würde es nicht mehr geben. Auch gegen Tom wurden sämtliche Anklagepunkte fallen gelassen, die sich mit seinem Einbruch befassten. Für die Taten, die wir unter der besonders schweren Nötigung begangen hatten, musste sich niemand mehr verantworten.

„Wie fühlst du dich?“, fragte mein Freund leise.

„Weiß nicht. Nervös vielleicht. Wie lange noch?“

Kevin drehte sich kurz zur Uhr um. „Wir haben noch etwas mehr als zwei Stunden.“

Nachdenklich betrachte ich die Türme aus braunen Kartons um uns herum. Mein Psychologe, den ich seit meiner Entführung besuchte, begrüßte unsere Entscheidung. Weg aus dem asozialen Sumpf der Stadt, in die unmittelbare Nähe unserer neuen Freunde zu ziehen. Genau genommen in deren Haus. Severins kleiner Palast bot genug Platz für eine ganze Familie, wir würden uns nicht auf den Füßen stehen, wenn wir unter uns sein wollten.

„Sie ist fast weg, nur noch ein blasser weißer Strich.“ Kevin strich mit seiner Hand über die Wange, die noch von zwei feinen Narben verunziert wurde. „Ich bin echt total stolz auf dich, Matti. Wir schaffen das zusammen und das wird nie wieder passieren, die Schweine sind tot.“

Ich drehte meinen Kopf und sah ihm in die Augen. „Sag das meinen Träumen, ich weiß das, aber da oben ist die Nachricht noch nicht ganz angekommen. Vielleicht hilft es, wenn das da“, ich deutete auf den Gipsarm, „nächste Woche verschwindet.“

„Ganz sicher - es ist eine Erinnerung weniger. Und sieh doch das Positive, du machst Fortschritte, deine kleinen Unfälle lassen nach.“

Mein Gesicht glühte vor Scham, als mein Freund diese Peinlichkeit ansprach. Mehr als einmal hatte ich nachts das Bett geflutet, darüber hatte ich noch wenig Kontrolle.

„Hey, Süßer, es muss dir nicht peinlich sein, bei mir wäre das auch nicht anders. Bettwäsche kann man waschen.“ Er dachte einen Moment nach. „Soll ich dich ein wenig ablenken?“

Dieses hintergründige Grinsen ließ mein Herz pochen und verdrängte tatsächlich die düsteren Gedanken. Ohne auf meine Antwort zu warten, legten sich seine Lippen auf meinen Mund. Ich liebte seine Küsse, die, nachdem wir nun endlich unsere Gefühle füreinander kannten, noch zärtlicher und anregender waren als jemals zuvor. Die Wärme seines nackten Körpers an meiner Haut zog mich tief in seinen Bann. Seine gefühlvollen Finger kraulten meine Brust und ich streichelte mit dem linken Arm, auf dem er seinen Kopf in Schulternähe gebettet hatte, seinen Rücken. Ein wenig ärgerte ich mich über die stark eingeschränkte Bewegungsfähigkeit meiner rechten Seite.

Kevin bemerkte das sofort und seine Hand glitt an meine Wange. „Ist in Ordnung, lass dich einfach verwöhnen. Ich liebe dich, Matti.“ Es war schön, dass sein Gespür für meine Gedanken wieder zurück war.

Die Zeit für eine Antwort ließ er mir, bevor mir sein Kuss wieder die Sprache raubte. Langsam streichelte sich seine Hand tiefer und ich spürte bald, wie mein weiches Fleisch unter seinen geschickten Fingern an Härte gewann. Das zaghafte Kraulen meiner Hoden weckte die Lust in mir immer mehr. Er wusste einfach, wie er mich alles Schlechte vergessen lassen konnte.

„Entschuldige mich kurz, ich muss dem Kleinen mal ‚Hallo’ sagen, er kommt in letzter Zeit so selten zu Besuch“, grinste mein Freund, bevor er tatsächlich auf Tauchstation ging. Sein „Hallo kleiner Matti, ich hab dich vermisst“, brachte mich zum Lachen, bis meine Lungen schmerzten. Kevin zwinkerte mir fröhlich zu, bevor er seine warmen Lippen spitzte und einen gefühlvollen Kuss auf meiner feuchter werdenden Eichel platzierte.

„Kev? Ich möchte mit dir schlafen“, stöhnte ich unter seinem nun kräftigen Saugen. Er hatte recht, es kam viel zu selten vor. In den letzten vier Wochen hatten wir uns meistens nur geküsst und gestreichelt und ich hatte ihn mit der Hand befriedigt.

„Wirklich?“ Mit einem Schmatzen entließ er meinen Schwanz aus seinem Mund.

„Ganz wirklich. Ich bin so scharf auf dich, dass glaubst du nicht.“

Kevin lächelte so, als ob ich ihm gerade das schönste Kompliment der Welt gemacht hätte.

„Endlich“, grinste er. „Ich hatte schon Angst, wieder Jungfrau werden zu müssen, weil alles zuwächst.“

Und wieder musste ich lachen. „Du bist ein Spinner.“

„Stimmt doch gar nicht“, schmollte er. „Ich weiß auch nicht, warum ich nur bei dir so wild darauf bin. Bei uns hat es schon immer super gepasst. Wir waren echt bescheuert, dass wir nix gemerkt haben.“

Da musste ich ihm widersprechen. „Nicht wir, Kev. Ich war bescheuert, du hast alles richtig gemacht. Naja, bis auf die Sache mit den Freiern“, stichelte ich noch nach. Meine Zickigkeit konnte auch nicht ermutigend gewirkt haben.

Aber alles im Leben hatte seinen Sinn und Tom konnte mir, in der kurzen Zeit, viel beibringen. Vielleicht funktionierte das mit Kevin und mir auch nur deswegen, wir konnten uns ausprobieren, mit anderen, und wussten nun, was wir aneinander hatten. Das konnte uns jetzt keiner mehr nehmen.

„Nicht weinen, Matti. Ich lass dich niemals wieder im Stich.“ Sein Gesicht schwebte plötzlich über mir und er küsste mir eine einsame Träne von der Schläfe.

„Keine Angst, es war eine Glücksträne“, lächelte ich ihn an.

Kevin nahm mein Gesicht in beide Hände und küsste mich. Langsam drang seine Zunge tiefer vor und unsere Geschmacksmuskeln streichelten sich gegenseitig. Die Zeit zum Reden war erstmal vorbei und wir ließen unserer Lust freien Lauf. Mein Freund rieb sein Becken immer fordernder an meinem Schritt, während ich von seiner schützenden Wärme tief in die Matratze gepresst wurde.

„Scheiße“, stöhnte er gierig. „Ich muss mal schnell aufstehen, ich hab nicht mehr damit gerechnet.“

Unter meinem fragenden Blick verließ er das Bett und wühlte in ein paar Kartons, bis er mir triumphierend die Hand entgegenstreckte. Eine kleine blaue Flasche blitzte zwischen den Fingern hervor. „Jetzt geht’s los.“

Übermütig sprang er aufs Bett und seine harte Latte wippte heftig auf und ab. Mit vor Aufregung zitternden Fingern quetschte er einen dicken Geltropfen in die Hand und massierte diesen auf meinen Schwanz. Den Rest verteilte er zwischen seinen knackigen Backen. Breitbeinig kniete er sich über meinen Unterleib und beugte sich vor. Unter Küssen dirigierte er meinen Stab an seine Pforte und dann trieb er mich auf einen Schlag in sich hinein. Wir beide stöhnten laut auf. Ja, auch ich hatte es vermisst und wusste plötzlich nicht mehr, wie ich darauf so lange verzichten konnte.

Kevin bäumte sich auf und warf sich dabei weit zurück. Im Wechsel glitt sein Becken auf und ab, senkte sich tief auf mich und er schob es vor und zurück. Sein Stöhnen war triebhaft und laut. Mein Schwanz wusste nicht mehr, wie ihm geschah, die Gefühle waren überwältigend.

Mein Freund ließ sich nach vorne fallen und vergrub sein Gesicht an meinem Hals, noch immer wild herumrutschend. Unter das Keuchen mischten sich Worte, die ich erst nicht verstand. Doch die Erkenntnis trieb mich über die Klippe, in schneller Folge wiederholte er die schönsten Worte der Welt. Eine Flut von ‚ichliebedich ichliebedich ichliebedich’ drang in mein Ohr und ich kam gewaltig. Mein ganzer Körper krampfte und ich stieß einen lauten Schrei aus.

Kevin richtete sich auf und ritt weiter im ekstatischen Rhythmus, aber mit letzter Kraft bremste ich ihn. Sein verständnisloser Blick richtete sich auf mich, seine Augen fragten ‚Was?’.

„Rutsch höher, ich will dich schmecken“, keuchte ich angestrengt.

Mein Freund verstand sofort und näherte sich meinem Gesicht. Den erregenden Duft seiner Männlichkeit atmete ich tief ein und schenkte Kevin ein aufforderndes Zwinkern. Energisch langte er in meinen Nacken und hob den Kopf an. Schon drückte seine nasse Eichel an meine Lippen und ich ließ ihn ein. Den Geschmack konnte ich nur kurz intensiv genießen, denn mein Freund verlor die Kontrolle und stieß seinen Schwanz tief in meinen Rachen, so wild, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Dabei tropften wahre Ströme meines Samens aus seinem Loch und auf meine Brust, der Geruch von Sex war atemberaubend.

Es war geil, ich wollte es im Moment auch nicht mehr anders. Zu lange musste er auf so was verzichten und ich gab es ihm gerne. Mit der Hand stützte er sich an der Wand ab und rammte mir sein Fleisch immer ungezügelter in den Hals. Mit der linken Hand knetete ich seinen Po und trieb bald darauf zwei meiner Finger in die warme Höhle.

Kevin stieß ein erregtes Winseln aus. Seine Brustmuskeln zitterten und das Keuchen wurde intensiver und dann war es so weit- Ich schmeckte den Saft, der in mehreren starken Schüben in meine Kehle schoss. Salzig-süße Sahne verteilte sich auf meiner Zunge. Genüsslich saugte ich noch die letzten Reste aus dem kleinen Schlitz, bis sämtliche Kraft aus Kevin wich und er sich zitternd neben mir fallen ließ.

Er rang noch nach Luft, bis er ein leises ‚Sorry’ hervorpresste. Mein gesunder Arm zog ihn zu mir. „Psst, alles gut, es war geil.“

„Wirklich? War das nicht zu heftig?“

„Es war etwas überraschend, mehr auch nicht. Die Seite an dir kannte ich noch nicht.“ Ich streichelte durch seine schweißnassen Haare. „Vielleicht wäre es ja ganz schön, wenn du mich ab und an auch mal ordentlich durchnimmst“, grinste ich ihn an. „Ich mags ja eigentlich auch ganz gerne.“

Die angespannten Züge glätteten sich zu einem Lächeln. „Wenn, dann aber nur im Wechsel. Ich will nicht auf deinen Schwanz in mir verzichten.“

„Kriegen wir hin, Süßer, versprochen.“ Die Aussicht gefiel mir. Durch Tom wusste ich ja, wie schön es sein konnte.

„Wollen wir gleich?“

Ich warf einen Blick auf die Uhr, Zeit genug blieb noch.

„Willst du wirklich?“

„Ja, Matti. Ich tu alles was du willst. Hauptsache wir sind glücklich.“

„Hast du einen Kitschroman gefressen?“, lachte ich ihn an. Zur Strafe piekte er mir grinsend in die Seite. „Komm her, Süßer.“

Kevin rollte sich halb auf mich und ich zog seinen Kopf am Nacken tiefer zu mir. Seine Zunge glitt in mein Ohr und die Wirkung setzte gleich ein. Und trotzdem fühlte es sich anders an. Jede seiner Berührungen gab die Gefühle weiter, die er schon so lange für mich hatte, Gefühle, die er unterdrückt hatte, weil er nicht an eine Erwiderung glaubte.

Eine Weile genoss ich die Zärtlichkeiten, sein Streicheln und die Küsse. Er hatte es nicht eilig, mich zum ersten Mal zu nehmen.

„Bist du bereit, Matti?“ Kevin hatte mich vorsichtig auf die rechte Seite gedreht, ohne den kaputten Arm zu belasten. Seine Lippen ruhten an meinem Hals und der warme Atem liebkoste mich sanft, während seine Hand mit leichtem Druck auf meinem Bauch lag.

Wortlos führte ich seine Finger zu meinem harten Schaft und er massierte ihn zärtlich. Ein warmes Kribbeln breitete sich in mir aus. „Wann immer du willst, Kev.“

Mein Freund rutschte ein wenig herum und brachte sich in eine bessere Position. Schon spürte ich die pulsierende Spitze an meiner Pforte. Unendlich langsam schob er sich hinein und gab mir dabei kleine, saugende Küsse auf die Schulter. „Wow, du bist so unglaublich eng. Hammergeil!“

Ich lachte leise. „Schön, dass es dir gefällt. Fühlt sich aber auch hier echt gut an.“ Es bereitete mir nicht den leisesten Schmerz. Mir war nie aufgefallen, dass Kevin sogar noch besser gebaut war als Tom. Es machte das ausgefüllte Gefühl noch besser. „Komm schon, ich bin nicht aus Zucker.“

Das ließ sich Kevin nicht zweimal sagen und er erhöhte das Tempo seiner Vorwärtsbewegung. Er war noch nicht ganz drin, als die Spitze mein Lustzentrum berührte und mich heftig aufstöhnen ließ. Sofort zog er sich ein wenig zurück und ich keuchte erneut. Konzentriert hielt er seine Bewegungen um diesen Punkt, immer nur einen guten Zentimeter vor und zurück. Mein Körper belohnte ihn mit wilden Kontraktionen des Ringmuskels. Auf jede meiner Reaktionen ging Kevin ein, tat alles, um meine Lust zu steigern und ich löste mich auf, verschmolz mit ihm. Außer unserem Stöhnen war nichts zu hören, kein hemmungsloses Klatschen von Haut auf Haut, keine hämmernden Stöße.

Mein Freund nahm die Hand von meinem Schwanz und legte sie unter meine Wange. Ich spürte die Anspannung in seinem Körper, das stärker werdende Zittern. Noch zwei oder dreimal reizte er meine Lustdrüse und ich sah Sterne. Ein Schrei löste sich aus meiner Kehle und nun stieß Kevin tief in meinen Orgasmus hinein. Mit einem leisen Wimmern fing er an zu zucken und ich spürte seine Flut in mir.

Schweigend blieben wir in dieser Position liegen und versuchten unseren Atem unter Kontrolle zu bekommen.

„Alles okay bei dir, Matti? Hat es dir gefallen?“

Ich griff nach seiner Hand und hauchte einen Kuss auf sie. „Alles bestens. Ich glaub... das war der geilste Sex meines Lebens. Du hast geübt, stimmt’s?“ Ich kicherte leise.

Mit einem „Blödmann“ stieg er in mein Lachen ein. Meine Zuversicht, dass wir den Horror der letzten Wochen zusammen durchstehen würden, wuchs stetig. Mit Kev an meiner Seite konnte es nur noch besser werden.

Unser Zeitpolster war ziemlich zusammengeschrumpft, es reichte noch für ein schnelles Frühstück und eine Dusche, natürlich nacheinander. Kaum hatten wir die labbrigen Brötchen vom Vortag verdrückt, klingelte es auch schon an der Tür.

Tom begrüßte uns zuerst mit einer langen Umarmung für jeden von uns, bis auch Severin mit ein paar Tragegurten in der Wohnung erschien. Natürlich schloss er uns ebenso herzlich in seine Arme. Die Nacht im Hotel hatte uns einander näher gebracht und wir verziehen ihm das kleine Schauspiel gerne. Beim Schleppen würden wir allerdings weitestgehend auf ihn und mich verzichten müssen, die Rippen und mein Arm brauchten noch etwas Ruhe.

„Na ihr zwei, ist alles fertig?“ Tom goss sich noch einen Rest Kaffee ein, den er mit Severin teilte.

„Ja, alles verpackt. Der Schuttcontainer kommt morgen, dann können die alten Möbel endlich weg. Danke für die neue Einrichtung, dass können wir kaum wieder gut machen“, antwortete ich.

„Wenn ihr uns keine Schande macht und Onkel Karl zeigt, dass seine Entscheidung richtig war, dann ist das mehr als genug.“ Severin sah uns beide ernst an. Er hatte sich sehr dafür eingesetzt, dass wir nun eine Ausbildung machen konnten. Ich an Tommy’s Seite in der Werkstatt, und Kevin im Büro. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Wenn alles gut lief, dann gab es eine reelle Chance auf eine Übernahme. Und wir wollten uns anstrengen, niemals mehr würden wir so sehr abrutschen.

Tom nickte uns aufmunternd zu und zu viert marschierten wir ins Schlafzimmer, wo unsere Habseligkeiten lagerten. Er grinste, Kevin und ich wurden rot. Wir hatten vergessen zu lüften und die blaue Flasche lag neben dem Bett. „Sieht so aus, als ob ihr euren Spaß hattet.“

Ich nickte verlegen, doch Tom nahm mich in den Arm. „Ich freu mich für euch. Schön, dass ihr es wieder genießen könnt. Besonders für dich freut es mich. Du weißt ja, egal was ist, du kannst immer zu Sev und mir kommen. Kevin natürlich auch.“

Dankbar presste ich ihm einen Kuss auf die Lippen, was Severin mit einem Räuspern quittierte. „Keine Angst, ich nehm dir deinen Freund nicht weg“, grinste ich frech zu unserem Bullen. „Wenn, dann nehmen Kevin und ich euch beide.“

„Träum weiter“, grinste nun auch der Blondschopf und entriss mir seinen Tom.

Wir beendeten die Witzeleien und nach einer Stunde hatten wir alles im Transporter verstaut. Tom und ich fuhren im LKW vor, dicht gefolgt von Kevin und Severin im Sportwagen.

Unser neues Leben hatte begonnen.

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