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Verwirrungen
Teil 5 - Mike & Thomas
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Informationen
- Story: Verwirrungen
- Autor: Gerry
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out
Vorwort:
Hallo, das ist nun der letzte Teil meiner Story. Ich hoffe das Lesen hat euch Spaß gemacht. Gerry
Als wir am späten Nachmittag zu Hause ankamen, die Koffer ausgepackt waren und ich in meinem Zimmer auf meinem Bett lag, bekam ich doch ein bisschen Bammel: ‚Was würde Mike denken? Was dachte er von mir?’ Ich machte mir Sorgen, da ich ja seine Party fluchtartig verlassen hatte. Ich wusste nicht, was dort noch vorgefallen war, wie die Anderen diesen Vorfall aufgenommen hatten, ob ich die Party nicht gar gesprengt hatte. Als die Zweifel und Ängste in mir immer größer wurden, wunderte ich mich, dass ich jemals angenommen hatte, mit Mike zu reden werde einfach. Ja, ihm zu beichten, ich sei schwul, erschien mir jetzt noch das Leichteste (zumal er es ja schon wusste). Aber ich hatte mich auf seiner Party nicht wie ein Freund verhalten. Sich ansaufen, mit einem Jungen schmusen, tätlich werden und dann flüchten: so benimmt sich ein Freund auf deiner Party nicht.
Ich zermarterte mir mein Hirn, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Ich scheute mich immer mehr davor, ihn anzurufen bis ich schließlich soviel Schiss hatte, dass ich die Flucht nach vorne antrat und direkt zu ihm ging.
Seine Mutter öffnete mir.
„Ja Hallo Phillip! Wie war der Urlaub? Gut siehst du aus, du bist ja total braun geworden!“
Wir tratschten kurz über meinen Urlaub, während sie mich hereinließ.
„Hast du schon was gegessen? Wir sind gerade beim Abendessen, da kannst du uns gleich alles erzählen.“
Dies musste ich mehr als Befehl denn als Bitte auffassen, und so folgte ich ihr in die Küche, wo Mike und Mikes Vater schon beim Abendessen saßen. Schnell wurde für mich noch ein Gedeck aufgelegt und schon war ich in einem Kreuzverhör von Mikes Eltern. Während ich die Fragen beantwortete, blickte ich immer mal wieder zu Mike. Je länger ich bei Tisch saß, desto verunsicherter wurde ich, denn Mike redete kein Wort mit mir und mein unsicheres Lächeln in seine Richtung wurde nicht beantwortet. Er aß ruhig sein Abendbrot und mir schwante Übles.
Irgendwann war das Essen vorbei und Mikes Eltern mit meinen Ausführungen über unseren Urlaub zufrieden und sie entließen uns. Ich folgte Mike stumm in sein Zimmer. Ich schloss die Türe hinter mir und blieb, mit gesenkten Kopf stehen.
„Es tut mir leid“, murmelte ich leise mehr zu mir selbst als zu ihm.
„Was? Du musst lauter reden, ich verstehe dich sonst nicht.“
Er lehnet an seinem Schreibtisch und schaute mich direkt an, kühl, ohne Emotionen zu zeigen.
„Mike, es tut mir leid.“
„Was tut dir leid?“, fragte er mit einem schon etwas wärmeren Ton.
„Ich meine... dass ich... Mike... ich habe Mist gebaut... Ich... ich wollte nicht... ich... “
Mein Gebrabbel wurde immer unverständlicher. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und daher natürlich auch nicht wie. Ich wollte einfach, dass er mir verzieh und mir unsere Freundschaft versicherte.
Er hatte Mitleid mit mir und erlöste mich.
„Ist schon OK.“
Ich blickte erleichtert auf und strahlte ihn an. Mike lächelte mich mit einem breiten Grinsen an.
„Dir macht das nichts aus? Ich meine, was ich bin und wie ich mich auf deiner Party benommen habe?“.
Mein Strahlen konkurrierte mit einer 200W Birne.
„Wie du dich auf der Party verhalten hast, war... na ja nicht unbedingt so wie ich es mir erwartet habe, aber immerhin hast du für das Highlight auf der Party gesorgt. So schnell vergisst die Party keiner mehr.“
Dabei schmunzelte er mich an. Ich dagegen wurde ziemlich verlegen und wohl auch knallrot im Gesicht.
„Und dass du schwul bist, macht mir auch nichts aus“, meinte er weiter, wobei ich beim Wort ‚schwul’ leicht zusammenzuckte. „Aber dass ich es so erfahren musste und du es mir nicht persönlich gesagt hast, das hat mir schon was ausgemacht. Ich war ehrlich gesagt wütend und verletzt. Aber du hast dich ja entschuldigt.“
„Es tut mir leid. Ehrlich, Mike. Ich habe dir nicht gesagt, dass ich schwul bin, weil das mit dem... mit meinem Schwulsein, das hatte ich auf der Party noch gar nicht realisiert gehabt. Ich konnte es dir also damals noch gar nicht sagen.“
Ich war froh, dass er mir nicht böse war und die Erleichterung, die ich empfand, wurde nur getoppt durch die Gefühle, die in mir hochstiegen, als er auf mich zukam, mich umarmte und fest an sich drückte.
„He Flip, wir sind Freunde. Ich liebe dich, schon vergessen?“
Schon wieder. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
„Wie meinst du das?“, fragte ich. „Ich weiß jetzt, dass ich schwul bin und wenn ein Junge so was zu mir sagt, dann hat das für mich jetzt eine ganz andere Bedeutung. Mike, ich habe dich wahnsinnig gerne und du bist mein bester Freund... ich meine du bist lieb, du bist nett und du bist sogar hübsch“, ich schaute ihn verlegen an, „aber ich.. ich bin in Thomas verliebt... glaube ich halt“, fügte ich noch hinzu.
„He Flip. Ich meine es auf jeden Fall ehrlich.“
Er ließ mich los und setzte sich auf sein Bett.
„Dass du Thomas liebst, habe ich auch schon gemerkt und es macht mir auch nichts. Flip, ich liebe dich aber ich liebe auch Silke. Ich weiß nicht, wie ich dich liebe, ich weiß nur, dass ich froh bin, wenn du da bist, dass es mir Spaß macht, mit dir zusammen zu sein. Ich kann mit dir reden und ich glaube ich kann dir vertrauen. Ich weiß nicht...“
Er blickte mich verunsichert an. Seine Coolness, die er gerade noch zu Schau gestellt hatte, war verflogen.
„Vielleicht hätte ich es nicht sagen sollen. Vergiss es einfach!“
Ich setzte mich neben ihn.
„Ich soll vergessen, wenn mein bester Freund mir sagt, dass er mich liebt?“
Ich nahm seine Hand. Er zog sie kurz zurück, ich ließ aber nicht los.
„Nein, Mike, dafür habe ich dich viel zu gern.“
Wir saßen schweigend einige Minuten nebeneinander. Ich war verwirrt, durcheinander. Ich liebte Thomas, das wusste ich. Aber irgendwie liebte ich auch Mike. So neben ihm sitzen, seine Hand in meiner spüren, seine Nähe: das war alles unbeschreiblich schön. Konnte man zwei Menschen zugleich lieben? Irgendwie ging alles so schnell und so durcheinander: Mikes Freundschaft, ich verliebe mich in Thomas, ich verbocke es mit ihm, ich bin am Boden zerstört, mein Outing, dann Mike, der mir sagt, dass er mich liebt, aber auch nicht sicher ist, Thomas bei dem ich nicht weiß, wie es weiter gehen wird...
„Mike, ich liebe dich auch, aber ich liebe auch Thomas und ich weiß nicht, was ich machen soll.“
Ich drehte mich zu ihm und sah in sein braunen Augen. Er war wunderschön. Seine glatte, leicht gebräunte Haut, sein unsicherer Blick, seine Hand in meiner. Ich lehnte mich zu ihm und berührte seine Lippen mit meinen.
Er reagierte zuerst nicht, doch als ich mit meiner Zunge über seine verführerisch roten Lippen fuhr, öffnete er sie und ließ mir Einlass. Er erwidert den Zungenkuss und schloss die Augen. Es war umwerfend: Mikes Zunge auf meiner, die Wärme, seine feuchten Lippen schmecken, ihn riechen, ganz nah. Er sah entspannt und glücklich aus. Ich war mir nun sicher, wir taten das Richtige und schloss auch die Augen. Ich spürte seine Hand auf meinen Rücken. Sie streichelte auf und ab und zugleich drückte er mich gegen sich. Ein Wonneschauer rieselte über meine Haut. Ich wollte immer mehr von ihm schmecken. So delikat - mein Mike, mein Freund, mein Beschützer. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände und öffnete wieder die Augen. Er hatte seine noch geschlossen. Es sah so göttlich aus, ihn zu beobachten, wie er sich dem Kuss hingab, wie sich seine Wangen - zart, gebräunt, leicht gerötet, heiß – bewegten, während seine Zunge in meinem Mund arbeitete. Ich atmete schwer aus, legte mich halb auf ihn und drückte ein Bein zwischen seine. Wir waren beide erregt. Er begann sich an meinem Oberschenkel zu reiben und leise zu stöhnen. Mikes Stimme, als er stöhnte, das würde ich wohl nie vergessen. Ich tat es ihm gleich: fing auch an, mich an ihm zu reiben, stöhnte meine Lust hinaus. Dabei hörten wir nicht auf, uns zu küssen. Unsere Bewegungen wurden langsam heftiger und ich fuhr mit meiner Hand unter sein T-Shirt.
Plötzlich hörte Mike auf sich zu bewegen und rief: „Nein!“
Er schubste mich von sich und sprang auf.
Ich war geschockt. Hatte ich was falsch gemacht? War ich zu weit gegangen? Es war doch so schön!
„Mike!“
Ich hatte Angst, ich hätte eben mit meinem Verhalten wieder einen Freund verloren.
„Flip, es tut mir leid, aber ich kann es nicht. Es ist nicht richtig.“ Dabei blickte er mich unsicher und flehend an.
Immerhin, er redete mit mir und er war mir nicht böse.
„Was ist nicht richtig?“, fragte ich ungläubig.
„Das!“
„Was? Weil wir zwei Jungs sind?“
„Nein! Weil ich mit Silke zusammen bin und du in Thomas verliebt bist!“
„Wir lieben uns, ja, aber nicht so“, fuhr er fort.
„Hat es dir nicht gefallen?“
„Doch, es war schön, wunderschön sogar, aber...“, er blickte mich hilfesuchend an, „Flip, wie soll das werden? Zwei mal eine Dreierbeziehung, das ist zuviel!“
Er dachte wohl weiter als ich. Mir war nur der Moment wichtig gewesen. Mit ihm zusammen, kein Vorher, kein Nachher. Vielleicht war es nur Geilheit gewesen? Das glaubte ich zwar selber nicht, aber ich wurde unsicher und irgendwie hatte er auch recht. Zwei mal drei, das war ausnahmsweise nicht sechs (oder Sex) sondern vier. Und auch das war noch zuviel. Und dann sagte er noch etwas, was mich dahinschmelzen ließ, und mir versicherte, dass er richtig gehandelt hatte.
„Außerdem will ich dich nicht verlieren! Aber bei so vielen verkorksten Gefühlen und Verbindungen wäre die Gefahr glaube ich recht groß, dass unsere Freundschaft irgendwie auf der Strecke bleibt.“ Dabei schaute er mich verunsichert und traurig an.
Ich stand auf und umarmte ihn.
„Du hast recht. Was immer du willst, ich bin für dich da.“
Er küsste mich auf die Wange.
„Mmh.“ Ich rieb mich kurz an ihm. Ganz war meine Erregung noch nicht verflogen.
Lachend flüsterte ich ihm ins Ohr: „Außerdem bist du verdammt sexy! Also: WANN immer du mich willst, ich bin für dich da.“
Das war zwar nicht ganz ernst gemeint, aber ein bisschen wollte ich es ihm heimzahlen, dass er mit meinen Gefühlen Achterbahn fuhr.
„Hör auf Flip, du machst mich schwach.“
Er löste unsere Umarmung, hielt mich aber mit ausgestreckten Armen an beiden Schultern fest und blickte mir in die Augen.
„Du bist auch sexy, niedlich und total süß, aber nein, nein, nein. Wir müssen brav bleiben.“
Wieso konnte er mir so was sagen, mich verlegen machen und trotzdem konnten wir uns nicht aufs Bett werfen und uns lieben? Es war schwer, aber ich akzeptierte es, auch weil ich wusste, dass da im Hinterkopf Thomas herumgeisterte.
„Kann ich dann jetzt nie wieder bei dir übernachten?“
„Scheiße. Ob ich eine Nacht neben dir durchstehe?“, er überlegte kurz: „Vielleicht sollten wir ein paar Tage warten, bevor du mal wieder bei mir schläfst!“
„OK, wenn du meinst!“.
Ich spielte den Beleidigten und zog eine Schnute. Er schubste mich, ich schubste ihn und so entstand eine Balgerei, die wir beide wohl nicht beenden wollten, denn sie dauerte eine kleine Ewigkeit. Wir suchten beide, ob bewusst oder unbewusst, den Körperkontakt, und ich müsste lügen, wenn ich sagte, ich wäre nicht wieder ein bisschen erregt gewesen (und Mike auch). Aber wir blieben wie es Mike wünschte brav, und lagen irgendwann nebeneinander am Boden und starrten an die Decke.
„Weißt du eigentlich was von Thomas?“, fragte ich.
Mike antwortete nicht oder hatte mich nicht gehört.
„Mike?“
„Ne, ich habe ihn das letzte Mal auf der Party gesehen. Ich habe ein paar Mal versucht, ihn anzurufen. Die ersten Male war er nicht da oder hat sich verleugnen lassen, und als ich ihn dann endlich am Hörer hatte, war er ziemlich einsilbig und hat mir mehr oder weniger verklickert, dass er in Ruhe gelassen werden will.“
Mein Stimmung war sofort im Keller.
„Und Reiner? Weiß der was von Thomas?“
„Musst ihn selber fragen. Der war die letzte Woche mit seinen Eltern auf Urlaub. Auf und nach der Party war er jedenfalls stinksauer auf dich. Petra übrigens auch. Ich weiß nicht, ob du das mitbekommen hast, aber als du und Thomas in flagranti erwischt worden seid, ist sie heulend auf mein Zimmer. Silke hat über eine Stunde versucht, sie zu beruhigen. Sie war total fertig. Außerdem hat sie sich total geniert, weil ihr Freund mit einem Jungen herumgemacht hat.“
„Ich habe wohl ziemlich was verbockt?“
„Jip. Bei Reiner und Petra wirst du einiges zu erklären haben, damit das einigermaßen wieder auf die Reihe kommt.“
„Shit. Und die Anderen?“
„Die? Die haben das eher amüsant gefunden. Markus und sein Kumpels haben behauptet, sie hätten es ja schon immer gewusst. Einige Mädchen waren aber auch wütend auf dich, weil du Petra so mies behandelt hast.“
„Wie komme ich da jemals wieder raus?“
„Ich weiß nicht. Hängt davon ab, was du willst.“
„Ich möchte, dass Thomas nicht traurig ist wegen mir. Aber vielleicht bin ich ihm ja eh egal.“
„Das glaube ich nicht. So wie er reagiert hat und wie er am Telephon geklungen hat, ist er, glaube ich, ziemlich down. Reiner hat dich deswegen auch verflucht. Ich glaube, Thomas geht es wirklich dreckig, und der Grund dafür dürftest du sein.“
Irgendwie fühlte ich mich beschissen, allerdings hegte ich auch Hoffnung: ‚War Thomas wirklich so fertig und war wirklich ich der Grund? Das würde ja dann heißen, dass ich ihm sehr viel bedeute oder bedeutet habe.’
Und genau dieses ‚...bedeutet habe’ ließ mich verzweifeln.
‚Würde er je wieder was mit mir zu tun haben wollen? Würde er mir je verzeihen können?’
Mike riss mich aus meinen Gedanken: „Du musst auf jeden Fall mit ihm reden. Nur so findest du was heraus oder kannst was erreichen.“
„Ich habe Angst!“
„He Flip, dir kann doch eh keiner böse sein! Und außerdem: was hast du zu verlieren?“
„Nichts außer meiner große Liebe“, antwortete ich resignierend.
„Na ja, die verlierst du auch, wenn du nicht mit ihm redest.“
„Du hast recht, Mike. Ich muss mit ihm reden. Aber erst morgen. Heute kann ich nicht mehr.“
„Stimmt, heute hast du schon deine zweite große Liebe gerettet.“
Dabei drehte er sich zu mir und grinste mich an.
„Ach Mike“, ich kuschelte mich an seine Schulter. „Mike“, seufzte ich, und drückte ihn fest an mich. Mike war mir wirklich wichtig und das sollte er auch wissen.
„Kann ich nicht doch heute bei dir schlafen?“, bettelte ich. Ich wollte heut nicht mehr alleine sein.
„Ich weiß nicht.“ Er klang etwas unsicher.
„Bitte. Nur zum kuscheln. Ich tu auch sicher nichts!“
„Und wer sagt, dass ich mich zurückhalten kann? Ich möchte die Situation nicht ausnützen. Ich meine du bist anlehnungsbedürftig, traurig, willst getröstet werden: das ist doch klassisch.“
„Mike, was ich zulasse, lasse ich zu. Und anders als vorhin will ich wirklich nur, dass ich mich an dich kuscheln darf. Ich vertraue dir. Und wenn du meinst, das stehst du nicht durch, dann akzeptiere ich das und bin dir auch nicht böse.“
„Hm. OK. Ich bin glücklich, wenn ich dir helfen kann. Außerdem: wie könnte ich dir etwas abschlagen.“
Und tatsächlich passierte in dieser Nacht nichts. An Mike gekuschelt, mein Gesicht an seiner Schulter, meinen Arm auf seiner Brust, schlief ich ein.
Als ich in der Früh die Augen aufmachte, schaute ich dem schlafenden Mike direkt ins Gesicht. Sein Mund war leicht geöffnet, sein Atem strich mir sanft über die Wangen und mir wurde ganz schwummrig als ich ihn so friedlich und entspannt neben mir liegen sah. Seine geschwungnen Lippen zwischen denen eine Reihe weißer Zähne zu sehen waren, wirkten so einladend und ich konnte nicht anders... ich näherte mich ihm langsam, ganz langsam und hauchte ihm einen Kuss auf seinen Mund. Es kostete mich alle Willenskraft, die ich hatte, ihn nicht in die Arme zu nehmen, meine Lippen fester auf seine zu pressen und meine Zunge auf Wanderschaft gehen zu lassen. Daher löste ich diesen Hauch eines Kusses, kroch vorsichtig aus dem Bett, hob meine Sachen auf und zog mich so leise wie möglich an. Ich hinterließ ihm eine Notiz, in der ich ihm mitteilte, dass ich mich bei ihm melden würde, strich noch einmal zart über sein Bein, das aus der Decke herauslugte, und verlies sein Zimmer.
Es war noch früh und daher konnte ich, ohne mich von jemanden verabschieden zu müssen, aus dem Haus schleichen. Ich hoffte an der frischen Luft meine Gedanken und Gefühle ordnen zu können.
Schon beim Einschlafen an Mikes Seite war mir klar geworden, dass mir eigentlich nichts klar war. Was fühlte ich für Mike, was fühlte ich für Thomas? Wie konnte ich in Thomas verliebt sein und zugleich Mikes Nähe so genießen? Wie konnte ich Thomas lieben, wenn zugleich ein Kuss von Mike mich so erregte, dass ich dabei Thomas vergaß? Wie konnte ich verzweifelt sein, da mir Thomas’ Liebe nicht sicher war und zugleich Mike begehren? Ich war mir so unsicher bezüglich meiner Liebe zu den Beiden, dass ich mir und meinen Gefühlen total misstraute.
War die vermeintliche Liebe zu Mike nur körperlich? Wollte ich einfach nur Sex mit ihm? War da sonst nichts? Aber wieso verursachte dann die bloße Vorstellung, ihn zu verlieren einen Stich in meinem Herzen? Wieso konnte ich mir nicht vorstellen, ohne Mikes Freundschaft zu leben? Wieso fühlte ich mich in seiner Nähe so geborgen? Wieso machte mich ein Lächeln von ihm, eine freundliche Geste, eine Berührung, so glücklich?
Ich spürte die Leere, die in meinem Herzen entstanden war, da ich dachte, Thomas liebe mich nicht mehr,... ich spürte, wie diese Leere sich langsam mit Mikes Wärme, Zuneigung, Freundschaft, Liebe, füllte.
Dies ließ mich natürlich an meinen Gefühlen zu Thomas zweifeln. War meine Liebe zu ihm nur ein kurzes Verliebtsein? Ein Strohfeuer? Nichts von Bedeutung? Woher dann aber diese Verzweiflung? Wozu dann die unzähligen Tränen, die ich seinetwegen vergossen hatte? Warum auch schmerzte es dann noch, wenn ich an die Ereignisse auf Mikes Party dachte?
All diese Fragen quälten mich am Weg nach Hause und auch noch dort. Aber ich fand keine Lösung. Auch als ich mich aufs Fahrrad schwang und hinaus ins Grüne fuhr, half mir das nicht, Klarheit zu finden, geschweige denn einen Weg raus aus dieser Klemme zwischen Mike und Thomas. Im Laufe des Tages wurde ich richtig ärgerlich auf meine Situation, auf mich, auf meine dämlichen Gefühle. Wie ich es auch wandte und drehte, ich sah keine Möglichkeit, da heil wieder herauszukommen und dabei auch noch Thomas’ und Mikes Freundschaft wieder zu erlangen bzw. zu behalten. Meine Wut stieg und ich trat in die Pedale, um mich abzureagieren. Ich fuhr und fuhr, und irgendwann stand ich mit meinen Fahrrad total erschöpft vor dem Haus in dem Thomas’ Familie wohnte.
Ich stand mindestens eine Viertelstunde davor und starrte nur auf die Eingangstür, als hinter mir eine Stimme sagte: „Das ist aber schön, dich wieder mal zu sehen. Du willst sicher Thomas besuchen!“
Es war seine Mutter, die zu mir sprach.
„Äh, nein! Ich kam nur zufällig vorbei und hab’ eigentlich auch keine Zeit“, log ich.
Nein, gerade jetzt wollte ich nicht zu Thomas, unvorbereitet wie ich war, im Unklaren über meine Gefühle.
„Ach komm, du warst schon solange nicht mehr bei Thomas und er ist in letzter Zeit so verschlossen, da kann er ein bisschen Aufmunterung durch einen guten Freund sicher gebrauchen.“
‚Ich glaube nicht, dass ich der Richtige bin’, dachte ich mir, gab mich aber geschlagen, zumal sie mir schon einen Arm um die Schultern gelegt hatte und mich sanft Richtung Haustür schob.
„Thomas! Schau mal wen ich draußen getroffen habe!“, rief sie die Treppe hinauf.
Thomas kam aus der Küche, also war er nicht, wie seine Mutter vermutet hatte, oben in seinem Zimmer gewesen. Er hatte ein Brot in der Hand, sagte im Vorbeigehen nur gleichgültig: „Hallo“ und ging die Treppen hinauf in sein Zimmer.
‚Er hat mich nicht einmal richtig angeschaut.’
Das tat weh, schrecklich weh. Das grauenhafte Gefühl, sich nur mehr verkriechen zu wollen und nie wieder hervorzukommen, für immer und ewig seine Ruhe haben zu wollen, nichts mehr mit der Welt zu tun haben zu wollen, dieses Gefühl machte es mir sehr deutlich klar: ‚Wie habe ich nur jemals zweifeln können? Ich liebe dich noch immer.’ Die Tränen wären mir in dem Moment natürlich in die Augen geschossen, aber ich wollte mir vor Thomas’ Mutter nicht die Blöße geben und riss mich zusammen. Diese gab mir einen aufmunternden Klaps auf die Schulter und schickte mich damit nach oben zu ihrem Sohn.
Ich schlich mich hinauf. Jeder Schritt wurde mir schwer und schwerer. Als ich vor seiner Zimmertür stand, war mir bewusst, dass dahinter die Entscheidung fallen würde, ob ich mit Thomas jemals wieder glücklich werden könne. Das machte es mir nicht leichter. Ich hatte Schiss und ich war dem Heulen nahe. Aber ich durfte nicht weinen. Ich durfte nicht schon weinend zu ihm kommen, wenigstens solange wollte ich durchhalten.
Ich klopfte.
„Ja“, kam es aus dem Zimmer.
Ich trat ein. Thomas saß an seinem Schreibtisch, den Rücken zur Tür. Er schaute nicht zu mir. Das allein schon ließ meine Hoffnung, es könne hier noch was zu retten geben, schwinden. Ich schloss die Tür hinter mir und lehnte mich gegen sie. Ich braucht diese Stütze, denn meine Knie waren weich und ich konnte ein Schluchzen nur mehr schwer unterdrücken. Ich blickte zu Boden und schwieg. Ich schwieg, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich schwieg, weil ich Angst hatte, etwas Falsches zu sagen. Ich schwieg, weil ich sonst zu heulen angefangen hätte.
„Und?“, war alles was er von sich gab.
„Ich... ich... ich liebe dich, Thomas“, war alles was ich herausbekam. Dabei blickte ich bang zu ihm.
„Du meinst, du liebst mich? Du bist aber nicht schwul so wie ich, keine Schwuchtel so wie ich, kein Schwanzlutscher so wie ich. War’s nicht das, was du auf der Party gemeint hast?“
Diese Vorwürfe trafen mich wie Schläge, unter denen ich mich and der Tür zu Boden gleiten ließ, und anfing leise zu flennen.
„Thomas, das wollte ich nicht! Das habe ich nicht gemeint! Ich bin schwul und niemand kann mich mehr damit beleidigen. Ich liebe dich doch.“
Dies sagte ich alles unter schluchzen und heulen, in einem jammernden und flehenden Ton.
„Wie kann ich dir jemals vertrauen? Du lockst mir das Geständnis heraus, dass ich dich liebe, dann bist du vor Geilheit kaum zu bremsen und dann lässt du dich von so einem Arschloch wie Markus provozieren und verleugnest mich, spielst den Unschuldigen, so dass es aussieht als wäre ich über dich hergefallen. Philipp! Wieso sollte ich dir jetzt glauben?! Auch beim letzten Mal hast du so eine Show abgezogen. Also wieso soll ich dir jetzt glauben?“
Erst jetzt drehte er sich um. Ich blickte auf und sah in seine verweinten Augen.
„Thomas, ich... ich...“, weiter kam ich nicht. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Armen.
„Ich habe Angst. Ich habe noch nicht mal deine letzte Liebeserklärung und ihre Folgen überwunden. Philipp, ich habe Angst, dass du mir wieder weh tust.“
Diese Vorwürfe schmerzten. Mein Thomas litt, weil ich ein Arsch war. Ein mieses, kleines, feiges Arschloch. Zu seinen Vorwürfen kamen noch meine Selbstvorwürfe und ich sah überhaupt keine Chance mehr. Ja, wie hatte ich nur hoffen können, dass da noch eine Chance bestünde, irgendwas ins Lot zu bekommen.
Ich weiß nicht, wie lange wir dort weinten. Wir wechselten kein Wort mehr. Thomas blickte die ganze Zeit nur stumm zu Boden und wischte sich ab und zu die Tränen aus dem Gesicht. Es tat so weh! Es tat so weh, ihn so zu sehen, aber was sollte ich machen? Ich war schuld und er hatte mir gesagt, was Sache war. Er hatte Angst vor mir, und ich konnte es ihm nicht verübeln. Trotzdem... es schmerzte.
Als ich mich einigermaßen wieder gefangen hatte, stand ich auf und verließ schweigend sein Zimmer. Ich ging die Treppe hinunter, aus dem Haus raus, setzte mich auf mein Fahrrad und fuhr los. Aber schon bei der ersten Ecke musste ich wieder absteigen und mich heulend auf den Randstein setzten.
‚Es ist aus. Ende. Nie wieder.’
Was ‚nie wieder’? Nie wieder Thomas? Nie wieder verlieben? Nie wieder glücklich? Ich wusste es nicht, aber dieses ‚nie wieder’ passte so gut zu meine Stimmung. Es hatte so was endgültiges an sich, so was unwiderrufliches.
Irgendwann war ich dann zu Hause. Ich warf mich auf mein Bett und starrte Löcher in die Wände. Ich war wieder leer. In mir war nichts mehr. Kein Thomas, kein Mike, keine Liebe, kein Lächeln... Nichts.
Als der Tag in den Abend überging, klopfte es an meiner Tür. Ich drehte mich zur Tür und murmelte ein gleichgültiges „Ja!“
Thomas öffnete die Tür und kam in mein Zimmer. Ich erstarrte. Starr beobachtete ich, wie er langsam auf mich zu ging. Er legte sich zu mir aufs Bett, lege einen Arm auf meine Brust, ein Bein leicht angewinkelt auf meine und kuschelte sein Gesicht an meinen Hals. Er sagte dabei kein Wort. Auch nach zehn Minuten gab er keinen Ton von sich, auch noch nach einer Stunde schwieg er. Ich wagte nicht, irgendetwas zu sagen. Ich wagte ja nicht einmal, mich zu bewegen. Ich lag nur auf dem Rücken und spürte ihn. Seinen Körper, seine Wärme, seinen Atem, der mit der Zeit langsamer und regelmäßig wurde. In dieser Stellung verbrachten wir die Nacht in, nein, auf meinem Bett. Wir zogen uns nicht um oder aus, sondern schliefen einfach mit dem, was wir anhatten, also mit T-Shirt und kurzer Hose, barfuss, ohne Zähneputzen, ohne Waschen.
In dieser Nacht wusste ich nicht was los war, wusste ich nicht wie mir geschah. Eines wusste ich jedoch: Ich war der glücklichste Mensch auf Erden.
Es ist Morgen.
Neben mir liegt Thomas und schläft. Er ist zu mir gekommen. Er hat nichts gesagt, nichts getan, sich nur neben mich gelegt und an mich gekuschelt. Meine große Liebe liegt neben mir und schläft, sucht meine Nähe. Ich spüre seine Wärme, seinen Körper, seinen Atem. Ich rieche seinen Duft. Ich spüre seinen nackten Fuß auf meinen Beinen, seinen Arm auf meiner Brust. Wenn ich meinen Kopf zu ihm drehe, kitzeln seine Haare mein Gesicht. Ich höre seinen Atem, der leise und regelmäßig geht.
Kann es sein, dass ich Träume, dass ich phantasiere, dass ich tot und im Himmel bin?
Nein, mein Glücksgefühl ist echt. Mein Nicht-fassen-können, meine Sprachlosigkeit sind real.
Thomas, hast du mir verziehen? Willst du es noch einmal versuchen? Gibst du mir noch eine Chance?
Thomas, ich möchte mit dir reden, aber ich wage es nicht. Ich wage es nicht, dich mit einem Kuss zu wecken, ich wage es nicht, mich so zu legen, dass ich in dein wunderschönes Gesicht blicken kann. Ich traue mich nicht einmal, meine Hand zu bewegen, um deinen Arm zu berühren, über deine nackte Haut zu streicheln. Ich habe Angst, dass du es dir dann anders überlegst, dass dieses brüchige Band, welches uns verbindet, wieder zerbricht.
Er bewegt sich!
Ein leises Seufzen.
Er rutscht hinauf und reibt seine Nase an meinem Hals.
„Ich liebe dich. Ich möchte bei dir sein.“
Er sagt es ganz leise. Ich spüre die Bewegung seiner Lippen an meinem Hals, während sie diese Worte formen. Er küsst mich dabei ganz zart zwischen Hals und Schulter.
Mir schießen die Tränen in die Augen. Ich bin so glücklich, dass ich heulen könnte – ne, ich heule! Ich heule echt und es wird immer heftiger. Ich möchte nicht, aber ich kann nicht anders. Mein Körper beginnt unter unkontrollierten Bewegungen zu zucken. Er wird gebeutelt von meinen Schluchzern, die mich befreien von meiner Anspannung, von meinen Ängsten.
Ich drehe mich zu ihm, nehme sein Gesicht in beide Hände, blicke ihm in seine Augen. Er lächelt mich schüchtern an, seine Hand berührt ganz sanft mein Gesicht, streicht mir über die nasse Wange.
„Ich liebe dich. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich liebe. Ich... Du bist so schön... so lieb... so... verzeih mir bitte - für alles, was ich dir angetan habe. Ich werde dich nie wieder verletzten, ich werde... Thomas.“
Damit ziehe ich ihn an mich, vergrabe mein Gesicht an seinem Hals und heule weiter, zu nichts mehr fähig als ab und an seinen Namen zu sagen.
Er streichelt mir derweilen über den Rücken, tätschelt mein Schulter, drückt mich, fährt mir übers Haar, gibt mir manchmal einen Kuss aufs Ohr und flüstert tröstend, dass alles OK ist.
So liegen wir, mir scheint es ewig und doch zu kurz, auf meinem Bett.
Er rückt ein bisschen von mir ab und schaut mich an. Er lächelt, während seine Finger meine Tränen von den Wangen wischen. Ich lächle zurück, beantworte dieses bezaubernde Lächeln. Ich blicke in seine Augen, ich versinke in ihnen. Mit meinem Daumen streichle ich über eine seine schwarzen Augenbraue, streichle weiter, sanft über sein Schläfe, hinunter zu seiner Wange. Ich spüre die weiche Haut, den zarten Flaum, gleite mit meiner Hand seinen Hals entlang in seinen Nacken. Unser Blickkontakt bleibt aufrecht, bis er die Augen langsam schließt und den Mund leicht öffnet. Ich drücke seinen Kopf näher zu meinem, unser Nasenspitzen berühren sich. Ich fühle seinen Atem an meinen Lippen, ich höre sein leises Stöhnen. Bei der Berührung unserer Lippen schmiegt er seinen Körper an meinen. Ich küsse seine Oberlippe, während er sich noch dichter an mich drängt, nein presst. Er legt seinen Kopf zurück, ich küsse sein Unterlippe, lecke darüber. Nun beginne ich auch zu stöhnen. Meine und seine Hände beginnen gleichzeitig unsere Rücken zu streicheln. Er lehnt sich weiter zurück, so dass seine Körpermitte gegen meine gepresst wird, bietet mir seinen Hals zum küssen an. Unser Stöhnen wird lauter und heftiger. Seinen Körper presst er rhythmisch gegen meinen, reibt ihn an meinem. Die Bewegungen werden schneller, der Atem kürzer und schneller. Dann ein letztes Aufstöhnen von ihm, fast ein leiser Schrei. Nun umschlingt er mich mit beiden Armen, presst seinen Mund auf meinen. Ein leiser Grunzlaut von ihm und dann presse ich seine Hüften gegen meinen Körper und ein Schauer durchfährt meinen Körper. Ich zucke mehrmals, drücke mich gegen ihn, verschlinge seine Zunge und komme ebenfalls.
Völlig erschöpft bleiben wir aneinandergepresst liegen, Mund an Mund, der Eine den Atem des Anderen atmend.
Er öffnet sein Augen wieder, schaut mich an, lächelt schüchtern.
„Philipp, ich lieb dich.“
Ich erwidere seine Liebeserklärung mit einem Kuss auf seine Stirn, seine Nase, seinen Mund.
„Ich liebe dich auch. Das war das Schönste und Heftigste, was ich je erlebt habe.“
Er kichert.
„Dabei sind wir nicht einmal nackt.“, sagt er und fährt mit seiner Zunge über mein Lippen.
„Nicht! Ich kann nicht. Ich möchte dich jetzt nur spüren“, und mir kommen wieder Tränen.
„Warum weinst du?“
„Weil ich so glücklich bin, Thomas. Ich bin ’ne alte Heulsuse, ich weiß. Aber was soll ich machen... Ich liebe dich so und du hast mir so gefehlt.“
„Ich verlasse dich nicht. Du bist das Schönste, was mir passieren konnte.“ Dabei schaut er mir wieder in die Augen und streichelt mir über die Wange.
Wenn er meint, meine Tränen damit stoppen zu können, hat er sich geirrt. Ich umarme ihn wieder und drücke meine Wange an seine. Er erwidert meine Umarmung, und so liegen wir, erschöpft und glücklich, bis ich mich beruhigt habe und noch länger.
ENDE
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