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Kim & Louis
Teil 2
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Informationen
- Story: Kim & Louis
- Autor: Gucci_Writer
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Lovestory
“Shit, ich bin eingepennt.” Langsam öffne ich eines meiner Augen und blinzle in das grelle Licht, welches durch das große Fenster ins Zimmer fällt. „Och nee, nicht schon wieder.“
Langsam drehe ich mich um und versuche, mich zu orientieren. Nach und nach kommen meine Erinnerungen wieder. In der Wunderbar hatte ich gestern diesen netten Typen kennengelernt, zu Besuch in der Stadt. Wir hatte einiges getrunken und dann beschlossen, zu ihm ins Emipre zu gehen, welches nicht weit entfernt war. Ich weiß, ich weiß, Hotels um die Reeperbahn haben keinen sonderlich guten Ruf, aber es gibt auch Ausnahmen, stelle ich erfreut fest. Allerdings ändert das nichts an der Tatsache, dass ich gestern nach dem Sex nicht gleich die Kurve bekommen habe. Grinsend schüttle ich den Kopf. Das scheint wohl ein neuer Standard zu werden. Zuerst Louis und jetzt der hier … oh Mann …
Scheiße, Louis … kommt es mir wieder in den Sinn … NEIN, STOPP. Das ist Wochen her und war ein Bruch meiner Prinzipien – kommt nicht mehr vor. Also zurück zum Thema: Wie komme ich hier raus?
Kurz umgeschaut und meine Klamotten geortet. Kein Problem, liegt alles in der Nähe auf ’nem Stuhl.
Also leise raus aus dem Bett, rein in die Klamotten und ab durch die Tür. Keine fünf Minuten später sitze ich in meinem Auto. Nicht mal der Rezeptionist hat mir einen komischen Blick zugeworfen. Entweder ist der das hier schon gewohnt oder es ist ihm reichlich egal, dass einer der Gäste so früh verschwindet.
Wieder daheim koche ich mir einen Kaffee und trinke ihn gemütlich im Bett. Nebenbei meinen Laptop auf dem Schoss und ein wenig im Internet stöbern. An schlafen ist nicht mehr zu denken, hab ich ja auch schon ein paar Stunden, von daher kann ich mich ruhig noch ein wenig mit dem Vorschlag von Steffen beschäftigen, welchen er mir mit seinem Freund Arthur unterbreitet hat. Drei Wochen auf die Philippinen in den Semesterferien. Karsten, ein guter Freund, sowie Stefanie und Michael, welche seit drei Jahren ein Paar sind, kommen auch mit. Karsten ist übrigens Hetero und hat kein Problem, sich mit mir ein Bett zu teilen. Das haben wir schon ein paar Mal gemacht, gerade wenn die eine oder andere Feier etwas länger gedauert hat.
Aber zurück zu Steffen. Er hat uns eine Route zusammengestellt, welche sehr vielversprechend klingt. Wir haben in den ländlichen Gegenden ein Bed & Breakfast gemietet, die sind am flexibelsten für unsere Zwecke. Nur in Manila und Cebu haben wir ein Hotel gebucht, in den großen Städten, so Steffen, sei das am geschicktesten. Red Planet, so der Name von dem Hotel. Habe ich noch nie gehört … entsprechend Google ich mal danach.
Ich bin total überrascht, dass es sich scheinbar um eine ähnliche Kette wie Ibis oder Etap handelt, nur viel netter. Das Hotel auf den Bildern sieht neu und gut ausgestattet aus, und das bei dem Preis für die Übernachtung? Na ja gut, da merkt man eben wieder, dass die Philippinen nicht Deutschland sind.
Ich öffne nochmals Steffens E-Mail und schaue mir den Verlauf unserer bevorstehenden Reise an.
Tag 1: Abflug Hamburg nach Istanbul
Tag 2: Weiterflug von Istanbul nach Manila
Übernachtung im Red Planet Hotel, Makati, Manila
Tag 3+4: Stadtbesichtigung Manila
Tag 5: Flug von Manila nach Cebu City
Übernachtung im Red Planet Hotel, Cebu City
Tag 6+7: Stadtbesichtigung Cebu City
Tag 8: Überlandfahrt mit dem Bus nach Oslob, Cebu
Unterkunft Germaroze Guesthouse
Tag 9: Whale-Shark-Watching in Oslob
Tag 10: Strandtag in AJ’s Place Beach Resort
Tag 11: Ausflug zu den Tumalog Wasserfällen und Wandertour in den Bergen
Tag 12: Überfahrt mit dem Boot von Oslob zu der Insel Bohol
Unterkunft Momovillage, Panglao, Bohol (bis zum 18. Tag)
Tag 13: Strandtag in Alona-Beach
Tag 14: Besuch der Virgin-Island und Delphine-Watching
Tag 15: Inselrundfahrt (Schmetterlingsfarm, Chocolate-Hills, die Suche nach dem kleinsten Affen der Welt (Tarsier), Essen auf dem Loboc River Cruise und Fahrt mit der Zip-Line über dem Loboc River sowie die Überschreitung einer hängenden Bambusbrücke)
Tag 16: Strandtag in Alona-Beach
Tag 17: Stadt und Marktbesichtigung in Tagbilaran
Tag 18: Rückflug von Tagbilaran nach Manila
Wieder Übernachtung im Red Planet Hotel, Makati, Manila
Tag 19: Shopping in Manila
Tag 20: Rückflug von Manila nach Istanbul
Tag 21: Weiterflug von Istanbul nach Hamburg
Wow, das ist ein Programm. Da hat Steffen ganze Arbeit geleistet. Ganz billig ist der Spaß nicht, aber was soll’s, so eine Gelegenheit bekommt man nicht oft und mit unserer Gruppe wird das bestimmt der Hammer.
Gut gelaunt klappe ich meinen Laptop zu und bewege mich in die Küche, um mir ein kleines Frühstück zu machen. Ich beschließe, später zum Sport zu gehen, ein wenig an meiner Strandfigur arbeiten kann ja nicht schaden. Immerhin gibt es ja auch auf den Philippinen den ein oder anderen hübschen Jungen, dem man den Kopf verdrehen könnte.
Nicht, dass ich übertrieben eitel oder sportlich wäre. Mit meinem Körper bin ich soweit sehr zufrieden. Athletisch trifft es nicht ganz, eher leicht trainiert. Meiner Gene sei Dank, denn viel Sport brauche ich hierfür nicht. Wahrscheinlich wäre noch mehr drin, wenn ich denn regelmäßig was tun würde, aber wozu, ich fühle mich auch so wohl.
Wenig später erscheine ich im Meridian Spa, welches sich in einem schönen historischen Gebäude befindet. Ich mag diese Kombination aus modern und alt, von daher ist dieses Studio immer mein erster Anlaufpunkt. Gut, davon abgesehen, dass es neben dem gut ausgestatteten Fitnessbereich auch unterschiedliche Kurse sowie einen Schwimm- und Wellnessbereich gibt.
Spontan entscheide ich mich für „Bodypump“ mit Victoria, genau das Richtige für mich heute. Mal wieder richtig auspowern. Da der Kurs allerdings erst in ’ner Stunde startet, mache ich mich auf in den Fitnessbereich. Nach dem Umziehen starte ich ein kurzes Warmup und starte mein kleines Workout.
Ich lasse auch meinen Blick wie üblich durch die Gegend schweifen, mal sehen, wer sonst noch so hier ist. Aber auf den ersten Blick ist wenig Interessantes dabei. In der hinteren Ecke bei den Hanteln finde ich einen dieser selbstverliebten Typen, welcher sich ständig im Spiegel beobachtet, während er mit seiner Hantel trainiert. Gut, einen schönen Bizeps hat er schon, aber diese Selbstverliebtheit … na ja … In der anderen Ecke bei den Geräten sehe ich einen eher schmächtigen Typen, welcher viel zu schwere Gewichte zu stemmen versucht. Das sieht schon beim Zuschauen ungesund aus. Wenig später steht auch schon einer der Fitnesstrainer neben ihm, der sich dieses traurige Schauspiel wohl auch nicht ansehen konnte. Auf den Laufbändern und bei den Steppern sind die üblichen Frauenkolonnen zu erkennen. Einige hören Musik, andere laufen gemütlich schnackend nebeneinander her …
Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich ’nen Typen aus der Umkleide kommen, der meine Aufmerksamkeit erweckt. Leider sehe ich nur die Rückansicht, aber stramme Waden, knackiger Po, zumindest was ich unter der weiten Sporthose erkennen kann. Oh ja, definitiv, da er sich jetzt gerade bückt und seinen Schuh neu bindet. Schwarzes, enganliegendes Shirt, durch welches man gut seinen wohlgeformten Oberkörper erkennen kann. Dazu mittellange braune Haare. Ein nettes Gesamtkunstwerk. Vielleicht trainiert er ja lange genug und wir begegnen uns nachher beim Duschen nochmal. Bei dem Gedanken grinse ich still in mich hinein und schüttle den Kopf. Mann, Kim, du bist aber auch mal wieder triebgesteuert …
Als ich wieder meinen Kopf hebe, ist der Typ verschwunden. Schade eigentlich, aber mein Kurs fängt eh gleich an. Ich mache mich noch kurz auf zur Bar und hole mir ein Wasser. Ab geht’s in den Bodypump-Kurs.
Als ich den Raum betrete, ist dieser schon gut gefüllt. Ich bin überrascht, so für den Sonntagnachmittag. Victoria scheint auch schon da zu sein, sie hantiert bereits an der Musikanlage und trifft die letzten Vorbereitungen. Also suche ich mir einen Platz, an dem auch schon die Langhantel für das Training bereitliegt.
Der Kurs dauert ’ne Stunde und ich fühle mich danach richtig gut. Das war genau das Richtige für den heutigen Nachmittag. Jetzt nur kurz in die Sauna zum Entspannen und dann kann ich den Abend in Ruhe ausklingen lassen. Also ab in die Umkleide und raus aus den verschwitzten Klamotten, das Handtuch um die Hüfte und schon bin ich auf dem Weg in den Saunabereich.
Ich bin immer wieder überrascht, wie weitläufig dieser Bereich doch ist. Bunt mischt sich Männlein und Weiblein. Vor der finnischen Sauna mache ich halt und sehe, dass es gleich einen Aufguss geben wird. Nee, gleich zu Beginn ist das ein wenig heftig. Erst mal in die Dampfsauna und ein wenig warm werden.
Dort angekommen öffne ich die Tür und sehe schon, wie gemächlich der Dampf umherzieht. So mag ich das. Das Handtuch vor der Sauna an die Wand hängend, betrete ich den Raum. Schnell habe ich einen Platz gefunden, lehne mich entspannt zurück und schließe die Augen.
Gefühlte zehn Minuten bleibe ich so liegen und genieße das feuchte Gefühl auf meiner Haut. Allmählich setzt das Schwitzen ein und ich merke, wie die Wassertropfen an mir herablaufen.
Die Tür öffnet sich und es kommt Bewegung in die Dampfmassen vor mir. Ich öffne die Augen und stelle erfreut fest, dass mir der interessante junge Mann von vorhin seinen überaus appetitlichen Hintern präsentiert. Und ich hatte absolut recht – knackig, stelle ich erfreut fest. Die mittellangen, braunen – nun fast schwarzen – Haare sind auch nicht zu übersehen.
Mir gegenüber ist ein Platz frei, auf welchen sich der Unbekannte setzt. Leider ist der Dampf noch immer so dicht, dass ich sein Gesicht nicht genau erkennen kann. Aber was ich erahnen kann, gefällt mir und hierbei spreche ich nicht nur vom oberen Ende seines Körpers.
Ich spüre, dass sich in meiner Körpermitte etwas zu regen beginnt und wende meinen Blick schnell wieder ab, um auf andere Gedanken zu kommen. Hier in der Sauna wäre es etwas unangebracht, mit meiner gesamten Männlichkeit zu glänzen.
Kurze Zeit später ist wieder alles entspannt und ich kann meinen Blick zurück auf den schönen Fremden richten. Links von mir erhebt sich ein älterer Herr und bewegt sich auf den Ausgang zu. Als er die Tür öffnet und ein kühler Windzug durch die Sauna geht, lichtet sich der Nebel und plötzlich kann ich das Gesicht meines Gegenübers erkennen. Mir bleibt in dem Moment fast das Herz stehen. Mit großen Augen blicke ich in das Gesicht von Louis, welcher mich nicht weniger überrascht anschaut.
Unfähig, meinen Blick von ihm abzuwenden, starre ich ihn weiterhin an. Ihm scheint das ein wenig unangenehm zu sein, denn er schaut plötzlich auf den Boden und ich habe den Eindruck, dass seine Gesichtszüge von Überraschung auf Beklommenheit umgeschlagen sind. Glücklicherweise wird der Dampf nun wieder dichter und nimmt mir somit die klare Sicht auf ihn. Damit einhergehend werde ich wieder Herr meiner Sinne und stehe kurzentschlossen auf und verlasse die Sauna.
Draußen suche ich den Ruheraum auf und lasse mich mit einem leichten Seufzen in eine der bequemen, kuschligen und weichen Liegen sinken. Wieder schließe ich die Augen und versuche den Schock des spontanen Wiedersehens zu verarbeiten. Warum ist mir nicht schon vorher aufgefallen, dass es sich bei dem Mann um Louis handelt? Und warum habe ich ihn gerade so lange angestarrt, dass er den Blick abwenden musste? Obendrein, was will er denn hier? Das Meridian Spa ist in der anderen Ecke der Stadt!?! Ich spüre, dass ich mit den Gedanken im Kopf keine Ruhe bekommen kann. Dabei fällt mir siedend heiß ein, dass hier im Ruheraum wahrscheinlich Louis gleich nochmal vor mir stehen wird. Kaum gedacht, springe ich sofort auf, verlasse, nach einer kurzen Dusche, das Fitness Center und fahre auf direktem Weg nach Hause.
Dort angekommen hänge ich kurz meine nassen Sachen zum Trocknen auf und lege mich aufs Sofa. Noch immer hängt mir die spontane Begegnung mit Louis nach. Warum hat die mich so heftig reagieren lassen? Seit unserer zweiten Nacht haben wir nichts mehr voneinander gehört, geschweige denn uns gesehen.
Das Vibrieren meines Handys holt mich aus meinen Gedanken. Ich drücke auf den WhatsApp-Button und starre den Namen auf dem Display an. Louis. Es überrascht mich wenig, dass er sich meine Nummer gespeichert hatte, allerdings etwas mehr, dass er sogar seine Nummer in meinem Handy gespeichert hatte. Dies hatte ich bislang nicht registriert.
Mit einem flauen Gefühl öffne ich seine Nachricht.
„Hallo Kim, wie geht es dir? Sorry, ich war vorhin einfach zu überrascht, um was zu sagen. Du bist auch gleich darauf aus der Sauna gegangen. Ich habe dich dann nicht mehr gesehen, so dass ich es nun auf diesem Weg versuche. Würde mich freuen, mal wieder was von dir zu hören. Lieben Gruß Louis.“
Kurz überlege ich, ob ich antworten soll, doch entscheide mich dann dagegen und lege das Handy auf meinen Wohnzimmertisch. Stumm beobachte ich das Gerät und frage mich weiter, was das mit Louis auf sich hat. Vor meinem inneren Auge zieht wieder das Bild seines verschwommenen Körpers in der Sauna auf. Es folgt die gleiche körperliche Reaktion wie schon in der Sauna, nur dass ich sie dieses Mal nicht verstecken brauche. Anmachen tut er mich definitiv, das kann ich wohl unschwer leugnen. Langsam lasse ich meine Hand in meine Hose gleiten und gebe mich dem erregenden Gefühl hin. Immer wieder kehren dabei meine Gedanken zu dem Bild in der Sauna zurück und ich komme schließlich hart. Ziemlich außer Atem bleibe ich noch einen kurzen Moment liegen und mache mich dann auf in die Dusche, um mich wieder sauber zu machen. Nach der Dusche geht es bald ins Bett und ich penne die ganze Nacht ohne Unterbrechung und weitere Gedanken an ihn durch.
„Du wirst doch nicht plötzlich deinen Prinzipien untreu?“, lacht mich Karsten aus.
War ja klar, dass er mich damit aufziehen würde. Aber irgendwem musste ich mal von Louis und meinen Gedanken zu ihm erzählen. Und warum Karsten? Na weil er einer meiner engsten Freunde ist und, wenn auch Hetero, mir immer wieder neue Gedanken aufzeigt, die ich in den Situationen nicht sehe.
„Ja, ja, mach dich lustig über mich“, gebe ich an ihn zurück und knuffe ihm dabei unsanft in die Rippen. „Ich kann es ja selbst kaum glauben, dass ich das gemacht habe. Als ich bei ihm mein Handy abgeholt habe, war ich dermaßen auf 180, ich hätte ihm am liebsten eine reingehauen. Die Aktion mit meiner Mutter ging überhaupt nicht! Aber was kommt dann? Plötzlich tut es mir leid, dass ich ihm so ’ne Packung verpasst habe und ehe ich mich versehe, gehen bei mir die Lichter aus und ich wache nochmal in seinem Bett auf.“
„Hey, jetzt komm mal wieder runter. Andere würden sich freuen, wenn sie ’ne Wiederholung von gutem Sex bekommen würden. Und du sitzt hier neben mir und zickst wie ’n kleines Mädchen, dem man den Lutscher geklaut hat.“
„Ey, was soll´n jetzt der Vergleich? Hä?“ So langsam überspannt er aber den Bogen und ich werde wütend. Aber schon fängt Karsten an zu lachen und irgendwann muss ich einfach mitlachen. Irgendwie hat er ja auch Recht, auch wenn ich mir das selbst nicht eingestehen will.
Als wir uns wieder beruhigen, fragt er weiter: „Aber sag mal, warum bleibst du nicht mal länger bei einem Typen? Warum immer nur für eine Nacht und nicht mehr?“
„Oh Mann, Karsten, wie oft denn noch? Das ist eben einfach nicht meins. Punkt.“
„Ja, das sagst du immer, aber irgendwo muss das doch herkommen …“ Verständnislos schaut er mich an und ich glaube, dass ich ihm irgendwann mal die Story erzählen sollte. Aber muss das denn heute sein? Ach Mann …
„Kim?“
„Hm …“
„Kiihimm…“
Es folgt ein leichter Schubs und ich stöhne resigniert auf.
„Was?“, sage ich viel zu aggressiv.
Überrascht schaut er mich an. Er hatte wohl nicht mit einer solch aggressiven Reaktion gerechnet, immerhin waren wir gerade noch dabei, uns zu keppeln.
„Sorry, ich wollte dir nicht zu nahe treten“, kam direkt auch kleinlaut von ihm.
„Ahhhhh… nein, das ist es nicht. Ach Scheiß, ich …“, breche ich den Satz wieder ab. Ich hole tief Luft und gestehe dann kaum hörbar: „Ich habe einfach Angst.“
„Angst? Wovor denn?“, fragt Karsten etwas verblüfft.
„Na vor Spinnen, du Depp“, fange ich schon wieder an zu witzeln. „Nein ernsthaft, ich habe einfach schiss vor ’ner ernsten Beziehung. Ich hab da mal schlechte Erfahrungen gemacht und hab da keinen Bock mehr drauf.“
„Und war das jetzt so schwer? Haben wir das nicht alle schon mal gemacht? Was ist denn passiert, dass dir so das Herz gebrochen hat, dass du dich nicht mehr an ’ne Beziehung traust?“
Ich seufze. Soll ich jetzt die ganze Geschichte mit Matze wieder aufrollen? Das ist doch schon Jahre her … aber sofort merke ich, dass die Wunden noch immer nicht verheilt sind. Dennoch gebe ich mir einen Ruck und erzähle ihm von meiner ersten großen Liebe:
„Weißt du“, begann ich, „ich habe Matze das erste Mal auf dem Vortreffen zu einer Jugendfreizeit gesehen. Er ist mir sofort ins Auge gefallen mit seiner bleichen Haut, den wenigen Sommersprossen im Gesicht, den leuchtenden braunen Augen und schwarzen Haaren. Total schlank und die Klamotten ein bisschen groß für seine Körpergröße. Offenbar kannte er dort schon ein paar Leute, denn er unterhielt sich mit ein paar anderen und sprang dabei aufgeregt durch die Gegend. Ich habe ihn so gesehen und dachte bei mir: Boah, ich bin verliebt. Was für ein tolles Mädchen!“ Ich muss Lachen, auch als ich den verwirrten Blick von Karsten sehe. Schnell füge ich als Erklärung hinzu, dass ich Matze im ersten Moment als Mädchen wahrgenommen hatte.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich mit meinen 15 Jahren war, endlich ein Mädchen gefunden zu haben, in das ich spontan verliebt war. Schon früh hatte ich gemerkt, dass ich eher Jungs hinterherschaue und da kam die Erkenntnis, dass ich offenbar doch normal bin, einer Befreiung gleich. Wenig später saßen wir dann alle im Vorstellungskreis. Die Eltern waren zwischenzeitlich gegangen und wir Jugendlichen waren mit den zukünftigen Betreuern endlich allein. Matze saß mir schräg gegenüber, so dass ich ihm immer wieder einen vorsichtigen Blick zuwerfen konnte. Ich wollte ja nicht zu auffällig sein, wir hatten ja noch kein Wort miteinander gewechselt!“
Ich stelle fest, dass ich mit meiner Erzählung immer schneller werde, und bremse mich wieder ein wenig, damit Karsten mir besser folgen kann.
„Also, die Vorstellungsrunde begann mit einem Spiel, bei dem man immer ein Adjektiv mit dem Anfangsbuchstaben des Vornamens voranstellen sollte und dann erst den Vornamen sagen sollte. Die Reihe begann links von mir, so dass ich vor Matze an der Reihe war. Ich stellte mich als der ‚königliche Kim‘ vor und hatte sogar einige Lacher auf meiner Seite. Die Reihe ging weiter und meine Anspannung und Nervosität wuchsen von Teilnehmer zu Teilnehmer. Gleich war es soweit und ich würde endlich ihren Namen erfahren. Dann war sie an der Reihe und … schwieg. Langsam bekam ihr Gesicht eine immer intensivere Rotfärbung. Offenbar fiel ihr kein passendes Adjektiv zu ihrem Vornamen ein. Erschwerend kam ja auch hinzu, dass wir die Adjektive der anderen nicht wiederholen sollten. Endlich öffnete sie ihren wunderschönen Mund und es platzte ‚müder Matthias‘ heraus.“
Ich hole kurz Luft, denn meine Gefühle kommen plötzlich so unvorbereitet wieder hoch, dass es mich selbst überrascht. In der entstehenden Pause schaut mich Karsten nur an, schweigt aber weiterhin.
„Ich war so geschockt, dass ich vergaß zu atmen und ganz bleich wurde. Glücklicherweise nahm davon keiner eine Notiz, denn das Spiel war noch voll im Gange und die Aufmerksamkeit auf die anderen Teilnehmer gerichtet. Langsam sickerte in mein Hirn, dass es sich bei meiner vermeintlichen Liebschaft um einen Jungen handelte. Dieser Gedanke drehte sich in meinem Kopf wie ein Brummkreisel und ich konnte, nein, wollte das einfach nicht begreifen. Das konnte doch nicht sein, ich wollte doch auch so sehr normal sein. Dieses Gefühl der Verzweiflung und Hilflosigkeit war dabei, mich zu übermannen. Von der restlichen Vorstellungsrunde bekam ich nicht mehr viel mit. Die ganze Zeit hing ich meinen Gedanken und Gefühlen nach.“
Wieder hole ich tief Luft. Karsten scheint zu spüren, wie mich das soeben Gesagte anstrengt, und legt mir eine Hand auf die Schulter.
„Viel mehr hatte ich auch den restlichen Tag nicht mehr mitbekommen. Ich hatte Matze immer wieder heimlich beobachtet und spürte deutlich die Schmetterlinge in meinem Bauch. Gerade dann, wenn ich ihn so herzergreifend lachen sah. Irgendwie … ich weiß auch nicht … es war einfach ein Anblick, bei dem mein Herz höher schlug. Und wie gesagt, viel hatte ich ja von dem Kennenlerntag auch nicht mehr mitbekommen. Zu sehr verstörten mich meine Gefühlswelt und meine Gedanken über Matze. Innerlich setzte ich mich mit dem Gedanken auseinander, dass dieser Urlaub, so schön er auch werden sollte, wohl die Hölle werden würde. So nahe an ihm dran und doch unerreichbar weit weg! Die Tatsache, dass er doch ein Junge ist, hatte ich so nach und nach akzeptiert, zumindest bis zum Ende des Tages.“
Ich rücke mich wieder in eine bequemere Position und nehme einen großen Schluck von meiner Apfelschorle, die vor mir steht.
„Auf der Rückfahrt war ich sehr verschwiegen, was auch meinen Eltern aufgefallen ist. Nach einigen wenigen Fragen ließen sie mich in Ruhe. Sie kannten mich eben; wenn ich nicht reden wollte, dann eben nicht. Irgendwann würde ich schon was sagen. Bis zur Freizeit waren es noch vier Wochen, so dass ich erst mal wieder in meinen Alltag eintauchte und versuchte, das Erlebte zu vergessen. Bisweilen gelang es mir ganz gut, aber mit jedem Tag der verging … ich wurde immer nervöser. Ich überlegte sogar abzusagen, aber das ließen meine Eltern nicht zu. Immerhin hatten sie schon eine Segeljacke und wasserfeste Hosen für mich gekauft.“
Überrascht sieht Karsten mich an. „Ich dachte, du bist damals in ein Ferienhaus gefahren?“
„Ja und nein. Die Freizeit war zweigeteilt. Eine Woche im Ferienhaus und eine Woche auf dem Schiff. So konnten zwei Gruppen gleichzeitig fahren. Die beiden Gruppen haben sich jeweils abgewechselt“, füge ich erklärend hinzu.
„Auf das Segeln freute ich mich schon wahnsinnig. Mit einem Dreimaster auf dem Ijsselmeer – wow, das war schon ’ne Aussicht. Meine Gruppe begann mit dem Schiff und ging dann zum Haus über. Aber warte, ich erzähle der Reihe nach, damit du den Überblick behältst.“
Karsten nickt.
„Okay, am Tag der Abfahrt war ich in der ersten Gruppe, die abgeholt wurde. Es gab einen Treffpunkt, zu dem mich meine Eltern brachten. Dort angekommen, stellte ich schnell fest, dass Matze nicht dabei war. Offensichtlich würde er dann am nächsten Treffpunkt mit den anderen zusteigen. Ich suchte mir ’nen Platz in der Mitte des Busses, am Gang, nicht am Fenster. Wobei der Fensterplatz neben mit frei blieb. Wir verteilten uns alle im Bus und diejenigen, die sich bereits kannten, gruppierten sich entsprechend. Somit saß ich alleine und fand das erst mal okay – immerhin kannte ich ja noch keinen. Am zweiten Treffpunkt ankommend schaute ich gleich aus dem Fenster und entdeckte wenig später Matze, der mit seinen Eltern und gepackten Taschen am Treffpunkt stand. Schon schlug mein Herz bis zum Hals und die Gefühle, welche ich über die vier Wochen so erfolgreich verdrängt hatte, waren mit einem Schlag wieder da. Ich rückte auf meinen Gangplatz und verkroch mich ein wenig in mir selbst. Nach und nach suchten sich die restlichen Teilnehmer ihre Plätze im Bus und ehe ich mich versah, vernahm ich schräg hinter mir eine wohlbekannte Stimme. Matze unterhielt sich mit dem Jungen in der Sitzreihe schräg hinter mir. Ein Blick über meine Schulter bestätigte meinen Eindruck. Er hatte sich schräg hinter mich zu dem anderen Jungen gesetzt.“
Ich muss schmunzeln, denn bei meiner nächsten Erinnerung entsteht eine leichte Gänsehaut auf meinen Armen.
„Mein Blick verweilte ein wenig länger auf Matze, denn mich faszinierte dieser Kontrast zwischen seiner sehr weißen Haut und seinen schwarzen Haaren. Da er den Blick zu seinem Nachbarn gewandt hatte, hatte ich einen freien Blick auf seinen Hals mit dem Übergang zur Wange und hinauf zu seinem Haaransatz. Auch damals bekam ich eine wohlige Gänsehaut. Ehe ich mich versah, wandte Matze seinen Blick um und schaute mir offen und mit dem süßesten Lächeln der Welt ins Gesicht. Augenblicklich schoss mir das Blut in den Kopf und, wie ich mit großem Schreck feststellte, auch in die Leistengegend. Dennoch schaffte ich es nicht, meinen Blick von ihm abzuwenden. Wie hypnotisiert schaute ich ihn an. Lustigerweise schaute auch er die ganze Zeit mich an und wurde dabei ein wenig rot. Erst als sein Sitznachbar ihn schubste und die an ihn gerichtete Frage wiederholte, löste sich unser Blick. Innerlich aufatmend setzte ich mich wieder gerade hin und versuchte, meine Gedanken zu sortieren. Da ich noch immer alleine saß, steckte ich mir erst mal die Stöpsel meines MP3-Players in die Ohren und hörte ein wenig Musik, um runterzukommen. Irgendwann wurde ich von hinten angestoßen und als ich mich umdrehte, sah ich eine Tüte mit Gummibärchen. Der Hand folgend blickte ich plötzlich in das Gesicht von Matze, der mit seinen Lippen irgendwelche Worte formte. Da ich noch immer die Musik auf den Ohren hatte, konnte ich ihn nicht hören. Entsprechend zog ich einen Stöpsel raus und er wiederholte sofort seine Frage.“
„Magst du welche?“
„Kar, gern. Danke“, gab ich ihm zur Antwort.
„Was hörst du?“, kam schon die nächste Frage.
„Helene Fischer“, sagte ich etwas verlegen, wohlwissend, dass dies nicht jedermanns Geschmack war.
„Kann ich mithören?“, überraschte mich die nächste Frage völlig.
„Ich konnte nur Nicken und schon stand er neben mir. Als er über mich auf den Fensterplatz kletterte, atmete ich seinen Duft ein. Gott, was für ein herrlicher Geruch. Schon stellten sich wieder alle Härchen auf meinen Armen auf und ich reichte im leicht zitternd den Stöpsel des Kopfhörers. Er nahm ihn ohne Umschweife und schon hörten wir gemeinsam Musik. Den Rest der Fahrt haben wir uns noch über dies und das unterhalten. Auch waren wir uns sehr schnell einig, dass wir auf dem Schiff eine Kabine teilen würden. Meine kühnsten Erwartungen wurden binnen kürzester Zeit übertroffen und ich konnte mein Glück kaum fassen. Auf dieser Busfahrt in die Niederlande entwickelte sich der Beginn einer unglaublichen Freundschaft.“
Mit einem schüchternen Lächeln schaue ich zu Karsten, welcher gebannt meiner Erzählung folgte.
„Ja und dann?“, fragt er ungeduldig. „Erzähl weiter.“
„Na ja, auf dem Schiff bekamen wir eine vierer Kabine mit zwei anderen. Sein Bekannter, neben dem er noch im Bus gesessen hatte und noch eine weitere Person, die wir drei noch nicht kannten. Aber Matze und ich waren seit der Begegnung im Bus schier unzertrennlich. Meine Scheu ihm gegenüber verschwand mit jedem Tag weiter und schon nach kürzester Zeit tauchten wir überall gemeinsam auf, lagen uns zur Begrüßung und Verabschiedung in den Armen und in den ruhigen Minuten, welche wir an Deck in der Sonne verbrachten, lagen wir Rücken an Rücken oder Seite an Seite beieinander. Natürlich bekamen die anderen dieses besondere Verhältnis zwischen uns beiden schnell mit, aber sprachen keinen von uns beiden darauf an. Nur mit Sebastian, so hieß der Freund von Matze aus dem Bus, hatte er zwischenzeitlich mal richtig Stress, da dieser sich vernachlässigt fühlte. Aber das konnte Matze recht schnell aus der Welt schaffen und das Verhältnis zwischen den beiden war wieder okay. Am letzten Abend auf dem Schiff, also die erste Freizeitwoche war fast vorüber, bat Matze mich, mit nach oben an Deck zu kommen, er wolle mal mit mir reden. Ich folgte ihm ahnungslos und umso mehr erschreckte mich die Fragen, welche er mir kurze Zeit später stellte.
„Bist du schwul?“, fragte er mich völlig unvorbereitet und sehr ernst.
Ich war derart überfahren, dass mir erst mal alle Worte fehlten und ich mich setzen musste. Matze folgte jeder meiner Regungen genau.
„Natürlich nicht“, schoss es dann nach einiger Zeit aus mir raus und ich schaute ihn entrüstet an. „Warum? Du?“, warf ich entsprechend scharf hinterher.
„Nein“, sagte auch er schnell. Offenbar war ihm das Gespräch plötzlich genauso unangenehm wir mir. Nach einer kurzen Pause sagte er dann: „Mich haben nur ein paar der anderen angesprochen und ihnen ist aufgefallen, dass du immer in meiner Nähe bist. Wir sozusagen nur schwer ohne den anderen anzutreffen sind. Sie haben sich darüber ihre Gedanken gemacht und mir gegenüber vorhin den Verdacht geäußert, dass du vielleicht mehr von mir wollen könntest.“
„Ich hatte das Gefühl es zieht mir jemand den Boden unter den Füßen weg. Ich mochte ihn ja, wahrscheinlich liebte ich ihn auch, aber so direkt konnte ich ihm das doch nicht sagen. Und nach seiner beschissenen Eröffnungsfrage hatte mich eh gerade aller Mut verlassen. Ich war noch immer so perplex, dass ich seinen Vorschlag, uns ein wenig mehr Freiraum zu geben, kommentarlos akzeptierte. Auch einigten wir uns darauf, dass er zuerst wieder nach unten geht und ich ihm ein wenig später folgen sollte. Er wollte nicht, dass wir noch mehr Aufmerksamkeit auf uns zogen. Sobald er weg war, brach für mich eine Welt zusammen. Von meinen Gefühlen übermannt suchte ich mir einen Platz am vorderen Ende des Schiffes. Ich legte mich in das Netz, welches an der Spitze des Bootes befestigt war und über dem freien Wasser hing. Hier konnte ich meine Tränen nicht mehr halten und heulte, von den anderen unbemerkt, meinen ganzen Kummer und Schmerz aus mir raus. Erst nach einer Stunde kam ich wieder zurück auf unsere Kabine. Matze war schon in seiner Koje, beobachtete mich allerdings sehr aufmerksam als ich, ihm den Rücken zugedreht, meine Zahnputzsachen holte und gleich wieder aus der Kabine verschwand. Ich legte mich danach, ohne ein weiteres Wort an ihn zu richten, schlafen. Am nächsten Morgen beim Frühstück versuchte ich einen entsprechenden großen Abstand zu ihm zu halten, was uns prompt einen dummen Kommentar und Gelächter der anderen einbrachte. Nach dem Frühstück zog mich Matze wieder an Deck und stellte mich erneut zur Rede. Er machte mir klar, dass er den Kontakt mit mir nicht abbrechen, sondern nur etwas lockern wollte. Ich spürte, dass ihm diese komplette Distanz genauso weh tat wie mir, aber keiner von uns beiden hätte in diesem Moment in Worte fassen können, was wir insgeheim nicht mal für uns selbst klargestellt hatten. Sicherlich war mir bewusst, dass ich wohl schwul bin, aber ich war noch lange nicht so weit, dass ich das für mich hätte akzeptieren können.“
Schüchtern sieht mich Karsten an und ich füge als Erklärung hinzu: „Weißt du, ich hatte damals enorme Probleme mit mir und meiner aufkommenden Erkenntnis, dass ich schwul sein könnte. Ohne Leute um mich rum zum Reden fühlte ich mich ziemlich alleine und verloren. Bücher gab es zwar, aber mein Biologiebuch aus der Schule meinte zu dem Thema nur, dass es eine Phase sei, welche sich wieder legen würde. Im Internet war ich da schon erfolgreicher, aber was ich da zu sehen bekam, ängstigte mich teils eher.“ Ich schüttle den Kopf. Was für eine Zeit. So viele Fragen und keine Antworten …
„Matze und ich hatten dann wieder sehr schnell beschlossen, dass wir auch im Haus ein Zimmer teilen würden. Zu unserer großen Überraschung gab es leider nur einen großen Schlafsaal für uns Jungs. Dieser war durch unsere Gruppe nicht komplett belegt, so dass wir uns zwei Betten nebeneinander suchten und diese, nach einiger Zeit, sogar zusammenschoben. Auch unser Verhältnis wurde mit jedem Tag wieder enger. Wir machten gemeinsame Spaziergänge, Fahrrad- und Kanutouren. Da dies um das Haus problemlos möglich war, wurden wir von unseren Betreuern und Freunden entsprechend oft alleine gelassen. Ich denke, dass die anderen unsere besondere Freundschaft wohl auch mit der Zeit akzeptiert hatten, denn die Blicke ließen nach und auch das Getuschel. Matze und ich wurden unzertrennlich, tranken sogar öffentlich aus dem gleichen Glas und hatten uns oft im Arm. Ich genoss diese Nähe und fühlte mich damit unglaublich wohl. An einem der letzten Tage der Freizeit hatte ich Geburtstag. Ich bin kein großer Geburtstagsmensch und war sehr froh, dass es weiter keinem aufgefallen ist, dass ich Geburtstag hatte. Aber ohne es zu bemerken, wurde im Hintergrund eine kleine Überraschungsparty für mich vorbereitet. Matze lockte mich ohne Schwierigkeiten aus dem Haus, so dass die anderen in Ruhe aufbauen konnten. Umso überraschter war ich, als wir dann wieder zurückkamen und wir mir ein „Überraschung“ von der gesamten Gruppe entgegengebrüllt wurde. Matze nahm mich sofort in den Arm und drückte mich fest an sich. Am liebsten hätte ich ihn in dem Moment geküsst, was aber vor all den anderen unvorstellbar gewesen wäre. Unsere Umarmung dauerte natürlich etwas länger als nötig, aber die anderen warteten brav und kamen nach und nach auch an die Reihe mit gratulieren. Es war ein unglaublich schöner Abend, sogar für Musik war gesorgt, so dass wir alle wild durcheinander tanzten. Irgendwann tat ich dies sogar mit Matze, welcher mich einfach bei einem ruhigen Lied in den Arm nahm. Neben uns waren noch die ganzen anderen Pärchen auf der Tanzfläche, welche sich in dieser Freizeit gefunden hatten, aber auch die obligatorischen Mädchentanzpaare, welche sich zu uns auf die Tanzfläche gesellten. Einzig einige der Jungs standen drum rum und guckten, Tanzen war schließlich uncool in dem Alter, erst recht zwei Jungs miteinander, das ging ja gar nicht.“
Ich lache bei der Erinnerung an diesen schönen Abend. Wir hatten wirklich sehr viel Spaß. Dass ich bei Matze beim engen Tanzen sehr deutlich eine Beule in der Hose spüren konnte, habe ich Karsten gegenüber vorsorglich unterschlagen, aber ich denke, dass er das Ganze auch gut ohne dieses Detail verstanden hat.
„Tja, und dann kam der letzte Abend. Wir waren allesamt wehmütig, dass diese wirklich tolle Freizeit nun bald zu Ende war. Man merkte bei allen die gedrückte Stimmung. Um der Situation ein wenig zu entfliehen, beschlossen Matze und ich, nochmals einen Spaziergang zu machen. Auch wir kamen nicht um die Tatsache herum, dass uns ab morgen wieder achtzig Kilometer trennen würden. Wir setzten uns schließlich an unseren See. Den hatten wir irgendwann in der Nähe des Hauses entdeckt, aber niemandem davon verraten. Er lag ein wenig versteckt, so dass wir diesen zu unserem kleinen Ort erklärt hatten. Dort saßen wir eng nebeneinander auf dem kleinen Bootssteg, die Beine über dem Wasser baumelnd. Wir wechselten kein Wort miteinander. Jeder hing seinen Gedanken nach, aber der andere wusste eh genau, welche das waren. Irgendwann drehte sich Matze zu mir um. Ich merkte nur die Bewegung, konnte aber nicht den Blick heben, so schwer war mir mein kleines Herz. Plötzlich spürte ich eine Hand unter meinem Kinn. Mit dieser leichten Berührung drehte er meinen Kopf in seine Richtung und wir blickten uns direkt in die Augen. Nie werde ich diesen Moment vergessen. Seine großen, braunen Augen schauen mich forschend und etwas ängstlich an. Langsam, dabei meinen Blick stets haltend, kam sein Gesicht dem meinen immer näher. Nach einer gefühlten Ewigkeit und mit einem klopfenden Herzen, welches mir schier aus der Brust springen wollte, fühlte ich seine Lippen auf den meinen. Ich schloss die Augen und genoss diese so unglaublich zärtliche und liebevolle Berührung. Gefühlt dauerte mein erster Kuss Stunden, wenn es auch viel kürzer war. Aber in dem Moment, wo er sich zurückziehen wollte, legte ich ihm meine Hand in den Nacken und zog ihn wieder an mich heran. Ab diesem Moment war es mit unserer Unsicherheit geschehen und nach der anfänglichen Schüchternheit wurden wir immer fordernder. Schließlich lagen wir auf dem Bootssteg, Matze über mir und ich unglaublich glücklich unter ihm. Sehr deutlich konnten wir unsere Erregung spüren, welche sich auch deutlich in unserer Körpermitte zeigte. Noch nie war ich einem Junge so nah gewesen. Alle Vorsicht über Bord werfend, oder eben einfach nur völlig kopflos verknallt, gingen unsere Hände schließlich auf Wanderschaft. Zuerst nur vorsichtig unter das T-Shirt des anderen, aber schließlich spürte ich seine Hand in meiner Hose. Es war unglaublich. Matze beobachtete mich dabei unentwegt, jederzeit bedacht zu stoppen, wenn ich es nicht wollen würde. Aber Himmel, wie ich wollte. Er war alles, was ich in diesem Moment wollte. Mit einem leichten Nicken gab ich ihm zu verstehen, dass es okay ist, und kurze Zeit später waren wir beide ohne unsere Hosen. Nicht nur, dass ich an diesem Tag meinen ersten Kuss von einem Jungen bekam, nein, es war auch das erste Mal, dass ich einen anderen Penis in den Händen hielt als den meinen. Ich war derart überwältigt von dieser berauschenden Situation, dass ich die gesamte Welt um mich herum vergaß. Matze und ich, das war alles, was es in diesem Moment gab. Wir kamen zusammen und so heftig, dass selbst die Enten auf dem See erschrocken aufflogen. Dies entspannte unsere Situation wieder und wir mussten herzhaft lachen. Nach und nach kamen wir wieder in der Realität an. Etwas ängstlich schauten wir uns dann um, ob uns nicht doch jemand gefunden oder beobachtet hatte, aber es war weit und breit keiner zu sehen. Wir zogen uns wieder an und kuschelten danach miteinander. Erst spät am Abend kamen wir ins Haus zurück und ertrugen die Standpauke, welche uns einer der Betreuer hielt, nur zu gern. Nach Hause schicken konnte er uns eh nicht mehr, es war schließlich der letzte Abend.“
Ich spüre plötzlich den verlegenen Blick Karstens auf mir. Schlagartig wird mir bewusst, wie viel und detailliert ich von mir gerade preisgegeben habe. Eine leichte Schamesröte macht sich in meinem Gesicht breit und ich schaue verlegen nach unten.
„Hey“, knufft mich Karsten ganz leicht. „Hey, das ist doch nicht schlimm. Du hast mich mit deiner Offenheit zwar gerade ein wenig überrascht, aber es ist doch toll, dass du so ein geniales Erlebnis hattest“. Ich hebe langsam wieder meinen Blick und lächle Karsten schüchtern an.
„Wie ging es weiter? Ich denke, dass die rosa Wolken bald auf eine harte Probe gestellt wurden, oder?“
Mein Blick verfinstert sich schlagartig bei der aufkommenden Erinnerung, denn ja, Karsten hat leider Recht.
„Wie gesagt, es war der letzte Abend und uns beiden war schmerzlich klar, dass es für uns nicht einfach werden würde. Auf der Fahrt zurück saßen wir, wie sollte es auch anders sein, zusammen. Bei uns beiden herrschte Einigkeit, dass wir unseren Eltern nichts über das Geschehene erzählen werden, nur dass wir einen sehr guten Freund gefunden haben. E-Mail schreiben, WhatsApp und telefonieren, das haben wir auch vereinbart sowie dass wir uns auf dem Nachtreffen wiedersehen. Aber dies waren auch noch vier Wochen bis dahin. Als wir schließlich an seinem Treffpunkt ankamen, konnte ich nur mit Mühe meine Tränen zurückhalten. Ihm ging es genauso. Wie gern hätten wir uns zum Abschied geküsst, aber dies war unter all den anderen Teilnehmern nicht möglich. Mit zitterndem Kinn verabschiedeten wir uns im Bus, da seine Eltern uns so nicht sehen sollten. Draußen wurde er dann von seinen freudestrahlenden Eltern in Empfang genommen, dies sah ich aus dem Fenster heraus. Ihm wollte diese Freude nicht so ganz gelingen, dies konnte ich deutlich in seinem Gesicht lesen. Da er einer der letzten war, der den Bus verlassen hatte, hatte sein Vater bereits sein Gepäck geholt. Zügig verließen sie daher den Treffpunkt und fuhren nach Hause. Als sich der Bus wieder in Bewegung setzte und zu meinem Treffpunkt unterwegs war, gab es kein Halten mehr. Ich heulte wie ein Schlosshund. Glücklicherweise war ich nicht der Einzige, auch um mich herum gab es zahlreiche Tränen, so dass ich nicht weiter auffiel. Dennoch, es brach mir das Herz, ohne ihn zu sein. Die restliche Fahrzeit schwamm irgendwie dahin, bis ich meinen Treffpunkt erreichte. Auch meine Eltern erwarteten mich freudestrahlend und nahmen mich sofort lachend in den Arm. Mir war nur nach Heulen zumute, versuchte mir aber nichts anmerken zu lassen. Meine Mutter plapperte gleich drauf los, dass meine Schwester in ihrer Freizeit einen Freund gefunden habe. Ach wie herrlich das doch sei, so eine junge Liebe, und natürlich fragte sie mich sofort, ob ich denn auch ein junges Mädel kennengelernt hätte. Ich schüttelte nur traurig den Kopf, mir fehlten einfach die Worte. Was hätte ich den sagen sollen? Ja klar, ich habe Matze kennengelernt. Ist zwar kein Mädel, aber egal. Ich stelle ihn euch gleich mal vor, wenn er ja nicht schon vorhin ausgestiegen wäre. Ich spürte meine Enttäuschung und Wut, schnappte mir nur mein Gepäck und machte mich auf den Weg zu unserem Auto. Meine Eltern waren leicht irritiert, schoben dies aber eher auf die Tatsache, dass ich offenbar kein Beziehungsglück gehabt hatte.“
Ich hole tief Luft, so viel Erinnerung und Emotion auf einmal machen mich gerade ganz fertig. Ich vermisse Matze noch immer, das stelle ich gerade sehr deutlich fest.
„Die Heimfahrt war entsprechend schweigsam, was meine Eltern so gar nicht von mir kannten. Meine Veränderung wurde von Tag zu Tag deutlicher und größer. Die Probleme mit meinen Eltern wuchsen. Auch der kleine Urlaub, den wir gemeinsam mit dem Kanu Club, in dem ich zu der Zeit war, in Frankreich machten, änderte hieran nicht. Im Gegenteil, es wurde sogar noch schlimmer. Ich zog mich immer mehr zurück, ging alleine spazieren und erschien meinen Eltern mehr und mehr als völlig fremde Person. Langsam wurden auch Töne laut, dass man mir in der Freizeit offenbar eine Gehirnwäsche unterzogen hätte. Aber wie hätte ich ihnen erklären sollen, dass ich einfach nur Matze vermisste? Meinen geliebten Matze. Dies wurde mir in Frankreich immer klarer, dass ich ihn wirklich liebte. Er war eben längst mehr als nur ein guter Freund für mich geworden.“
Wieder spüre ich die Hand von Karsten auf meiner Schulter, die mich leicht streichelt. Auch wird mir bewusst, dass mir eine einzelne Träne die Wange hinunterrinnt. Schnell wische ich sie weg, aber Karsten hat sie schon längst registriert und lächelt mich aufmunternd an.
„Nachdem wir aus Frankreich wieder zurück waren, lag schon die erste E-Mail in meinem Postfach. Ohne auszupacken fing ich gleich an zu lesen und verschlang den Inhalt, als wäre es mein Lebenselixier. Anfangs schrieben wir immer sofort zurück und ich habe mich total über jede Nachricht oder auch Telefonat wie ein kleines Kind gefreut. Das Nachtreffen kam und wir sahen uns endlich wieder. Da wir aber dort nicht alleine waren und uns auch dafür keine Gelegenheit geboten wurde, konnten wir nur sprechen und uns hin und wieder mal in den Arm nehmen. Glücklicherweise waren unsere Eltern nicht dabei, sonst wäre selbst das nicht möglich gewesen. Aber ein tiefgründiges Gespräch konnten wir dennoch nicht führen, geschweige denn uns küssen. Der Abschied wurde dann auch entsprechend schmerzlich. Dass dies so sein würde, war uns beiden von Anfang an klar. Nur dass es tatsächlich so schmerzhaft sein würde, darauf war keiner von uns beiden vorbereitet gewesen. In einer unserer späteren E-Mails erzählten wir uns von unserer Gefühlslage bei und nach diesem Treffen und wie unglücklich wir damit waren. Tja, und mit der Zeit wurden die E-Mails und Anrufe immer weniger und irgendwann hörten wir komplett damit auf. Die Entfernung war einfach zu groß und unsere Liebe konnte dem nicht standhalten. Seit ungefähr eineinhalb Jahren habe ich nun nichts mehr von ihm gehört.“
Es tritt ein Schweigen ein und nach ein paar Minuten schüttle ich kurz den Kopf und frage mich, warum es in mir nach all der Zeit noch so rumort und warum ich noch immer diese ganzen Gefühle für Matze in mir trage. Die Erinnerung an diese Zeit mit ihm ist heftig, aber ich bin froh, endlich mal mit jemanden darüber zu reden. Karsten ist der erste, dem ich die ganze Geschichte anvertraue.
Der nimmt mich jetzt ganz in den Arm und hält mich einfach nur fest. Das tut richtig gut. Ich bin gerade völlig fertig.
„Wow, das ist schon eine heftige Geschichte. Schade, dass du keinen Kontakt mehr zu Matze hast. Von dem, was du erzählt hast, scheint er sehr gut zu dir zu passen.“ Ich nicke nur stumm und kuschle mich ein wenig mehr in seine Umarmung.
„Was hältst du von der Idee, wenn wir mal nach Matze suchen?“, fragt mich Karsten unerwartet.
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