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Der dunkle Berg

Teil 1 - Der dunkle Berg

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Inhaltsverzeichnis

Ergol Wald

Da war es wieder. Dieses Mal war es ihm, als wäre es direkt hinter ihm gewesen. Aber das konnte doch nicht sein, er war sich sicher, das Geräusch gerade erst ein gutes Stück vor sich gehört zu haben. Es konnte sich nicht an ihm vorbei bewegt haben, er hätte es gemerkt. Oder waren es vielleicht doch mehrere dieser Wesen? Nein, die Spuren waren eindeutig, es handelte sich um einen Einzelgänger. Wären es mehrere, hätte er sicherlich auch schon andere Anhaltspunkte dafür gefunden. Abgeknickte Äste, Spuren im Laub des Waldes und auch die Bisswunden der Opfer ließen nicht darauf schließen, dass diese von mehr als einem Wesen angegriffen wurden. Schon wieder ein Knacken im Unterholz, jetzt kam es von schräg links vor ihm. Wenn er doch nur etwas sehen könnte, doch die Dunkelheit und das dichte Unterholz ließen ihn kaum die eigene Hand vor Augen erkennen. Er musste seinen Standort wechseln, in Bewegung bleiben. Doch das war leichter gesagt als getan, wenn man praktisch blind ist. Wie konnte es nur so schnell sein? Anhand der Spuren, die er gefunden hatte und der Größe der Bisswunden musste das Wesen mindestens so groß sein wie ein Chelbur, wahrscheinlich sogar noch größer. Diese gewaltigen Paarhufer hatten seit vielen Generationen den Platz der früher auch in der Kassam Ebene stark verbreiteten Hausrinder eingenommen. Wegen ihrer Zähigkeit und ihrer geringen Anforderungen, was das Futter anbelangte, galten sie als geradezu perfekt angepasst an die harten Umweltverhältnisse in der Ebene. Einige Bauern erzählen Geschichten von Chelburs, die sich über Monate nur von Wasser und Erde ernährt haben sollen und sich, als man sie schließlich fand, trotzdem in einem körperlich ausgezeichneten Zustand befanden. Normalerweise machte er sich auch bei einem Wesen dieser Größe keine Gedanken. Seine besonderen Fähigkeiten, durch jahrelanges Training angeeignet, machten ihn so gut wie allen menschlichen und nichtmenschlichen Gegnern überlegen, Drachen vielleicht einmal ausgenommen. Obwohl es da diesen Drachen in den Skeldar Bergen gab. Er hatte über Monate hinweg die Bewohner mehrerer Ortschaften tyrannisiert, Rinder gerissen, Jungfrauen gefressen und Häuser bis auf die Grundmauern niedergebrannt, das Übliche halt. Aber er hatte sich eher selber erlegt. Im heftigen Kampfgetümmel war er mit voller Wucht einfach gegen eine Felswand gerauscht. Das Genick gab unter dieser enormen Belastung wie ein Grashalm im Wind sofort nach. Eigentlich war es auch gar kein richtiger Drache, vielmehr ein übergroßer Feuersalamander. In seinem Größenwahn hielt er sich wahrscheinlich für einen Drachen. Aber immerhin war er in der Lage, Feuer zu speien, irgendwie zumindest, denn es hatte eigentlich eher den Anschein als würde er sich ständig selber verbrennen. Das würde auch erklären, warum er sich stets in der Nähe kleinerer Seen und Bäche aufhielt, denn schwimmen konnte er bestimmt nicht. Dazu war dieses Wesen viel zu unbeholfen gewesen. Auch sein Körperbau ließ nicht auf einen exzellenten Schwimmer schließen. Der "Drache" war vielleicht in der Lage, in einem ausreichend tiefen Gewässer zu ertrinken, aber niemals sich in diesem überhaupt, geschweige denn elegant, fortzubewegen. Aber das hier war etwas ganz anderes, das wusste er. Hier hatte er es nicht mit einem tolpatschigen, eher lächerlichen als angsteinflößenden Gegner zu tun. Dieses Ding, was immer es auch war, bewegte sich mit einer für seine Größe schier unglaublichen Leichtigkeit. Dazu kam, dass er es mit einem Wesen zu tun hatte, das in der Lage war, einem Troll mit einem Prankenhieb das Rückgrat zu brechen. Er hatte es selber gesehen, zumindest die Trolle oder was von ihnen übrig war. Dieser Auftrag bereitete ihm mehr Kopfzerbrechen als er es sich selber eingestehen wollte. Erst gestern hatte er sich dabei ertappt wie er sich selber beobachtete. Er hatte sich wie so oft gefragt, was er hier eigentlich machte. Natürlich war es sein Beruf. Als Kopfgeldjäger hatte er sich früh gegen ein behütetes aber langweiliges Familienleben entschieden, aber manchmal erschien ihm diese Langeweile als erstrebenswert. Oft schon hatte er sich ausgemalt, wie es wäre, sesshaft zu werden und eine Familie zu gründen. Doch wie lange würde er es aushalten? Wie lange würde es dauern, bis der Kopfgeldjäger in ihm die Oberhand gewinnen würde? Da, wieder ein Geräusch. es klang wie ein tiefes Röcheln. Was hatte er sich diesmal da nur eingebrockt? Einen Braunbär, hatte der Alte im Dorf gesagt. Die trieben sich hier im Frühjahr zu Dutzenden herum um ihre nach dem Winterschlaf leeren Mägen zu füllen. Nur hielten sie sich in der Regel von den Dörfern und den Menschen fern. Wahrscheinlich seien es zu viele Bären im Rakut Gebirge. Sie nähmen sich gegenseitig die Nahrung weg, meinte der Alte. Da er, nachdem er mehrere Chelbur gerissen hatte, auf den Geschmack gekommen sei, werde er gefährlich für die Einwohner der umliegenden Dörfer. Er habe jetzt die Scheu vor den Behausungen der Menschen verloren und wisse, dass es dort leichte Beute gäbe. Ein Bär, das war kein Bär, aber das wusste er zu dem Zeitpunkt als er den Auftrag, dieses Wesen zu erlegen, annahm noch nicht.

Mit einem Bären wäre er fertig geworden. Schon oft musste er welche zur Strecke bringen. Schwarzbären, Braunbären, Grizzlys, Höhlenbären und Ödlandbären, er hatte schon auf alle Jagd gemacht und das mit Erfolg.

Doch worum handelte es sich bei dem Etwas, das er verfolgte? Eins wusste er mittlerweile ganz genau, es handelte sich nicht um einen Bären. Ein Bär läuft nicht ungebremst weiter, wenn er von einer handtellergroßen Stahlpfeilspitze zwischen die Augen getroffen wird. Bei den ihm bekannten Bären prallte diese auch nicht einfach an der Schädelplatte ab. Die Opfer, es hätte ihm auffallen müssen. Weder vergrub er sie, noch brachte er sie in eine Höhle oder einen Bau. Ein Bär würde so etwas tun. Er legt sich Vorräte an, denn auch einem solch gewaltigen Jäger ist nicht jeden Tag das Jagdglück hold. Doch dieses Ding jagte aus reiner Mordlust. Es zerfleischte seine Opfer, aber es fraß sie kaum an. Es jagte nicht aus reinem Überlebenswillen, dessen war er sich sicher. Er hatte sich in der Zwischenzeit im Dunkeln den Abhang westlich seines Lagers etwa bis zur Hälfte hinauf gearbeitet. Er musste versuchen, den Hügel hinaufzukommen. Dort, wo die Bäume nicht mehr dicht an dicht standen, fand das Mondlicht vereinzelt seinen Weg bis auf den Boden. Die Geräusche drangen jetzt direkt aus seinem Lager zu ihm herauf. Auch wenn es vielleicht nur zwanzig Meter bis zu der erloschenen Feuerstelle vor seinem Unterschlupf waren, konnte er nichts erkennen. Für einen kurzen Augenblick war es ihm so, als sähe er etwas Großes, eine ungeheure Masse, durch das durch die Bäume scheinende Mondlicht huschen. Aber etwas so gigantisches konnte sich unmöglich so schnell bewegen. Ein lautes Knirschen folgte und etwas brach mit ungeheurer Macht aus dem Dickicht vor seinem Lager. Mit einem ohrenbetäubenden Heulen raste es etwa zehn Meter aus dem Dickicht, um dann plötzlich eine Kehrtwende zu vollführen und direkt auf ihn zuzuhalten. Es musste ihn gesehen oder gewittert haben. Erst da fiel ihm auf, dass das Wesen sechs Gliedmaßen hatte. Die vier hinteren, welche gewaltige Muskelberge zum Vorschein treten ließen, dienten offensichtlich der Fortbewegung. Das vordere Paar Gliedmaßen jedoch hatte die Form zweier gewaltiger Klauen, sicherlich zum Erlegen der Beute oder zum Festhalten dieser, bevor sich dieses fürchterliche zahnbewährte Maul auf einen herabsenkte. Die gewaltigen Reißzähne des Wesens waren in mehreren, hintereinander liegenden Zahnreihen angeordnet. Sollte einer der Zähne während eines Kampfes abbrechen, würde sich der dahinter liegende langsam nach vorne schieben.

Tordal konnte kaum glauben, was er sah, bei diesem gewaltigen, unförmigen Etwas konnte es sich nur um einen Rukol handeln. Von diesen Wesen hatte er bislang nur gehört. Diese Kreaturen erschienen wie eine Kreuzung aus einem übergroßen Bären und einem Felsen und lebten normalerweise weiter nördlich in der Karem Hochebene. Dort stellten sie das oberste Glied in der Nahrungskette dar und waren als tödliche Jäger gefürchtet. Angeblich waren sie aus den eleganten und Ehrfurcht gebietenden Fels- oder Gebirgsdrachen hervorgegangen. Was für eine Laune der Natur. In der Karem Hochebene ernährten sie sich hauptsächlich von Höhlenbären und Dunkelhirschen. Wenn der Hunger zu groß wurde, machten sie sich aber auch schon mal auf die Jagd nach jungen Drachen. Doch warum war dieses Wesen hier? Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals davon gehört zu haben, dass eine dieser Kreaturen südlich der Karem Hochebene gesichtet wurde. Bei den Menschen in der Kassam Ebene geht die Legende um, dass Perak, der Gott der Jagd, diese Wesen erschaffen und zwei von ihnen abgerichtet und als Schoßhunde gehalten haben soll. Geschichten über die Zähmung eines dieser mächtigen Wesen hatten sich bislang stets als unwahr oder Hirngespinste erwiesen. Jetzt, da er zu ersten Mal einen Rukol sah, bezweifelte Toldur, dass irgendjemand in der Lage war, eines dieser Wesen zu zähmen. In diesem Moment erreichte er die Hügelkuppe und wie erhofft war das Mondlicht hier oben stärker als in der Senke, in der sich sein Lager befand. Der Rukol bewegte sich inzwischen langsam und seinen überdimensioniert erscheinenden Schädel von einer Seite zur anderen schwenkend weiter auf ihn zu. Was konnte er nur tun? Er bemerkte, dass er die Hand um sein Schwert gelegt und die Klinge ein Stück aus der Scheide gelöst hatte. Langsam schob er es zurück. An einen Zweikampf mit dieser Kreatur brauchte er keinen Gedanken verschwenden. Genauso gut hätte er versuchen können, die Skeldar Berge eigenhändig zur Ranjid Küste zu tragen. Wahrscheinlich hätte er dabei sogar größere Erfolgsaussichten gehabt. Was er sah, ließ ihn erschaudern. Das Wesen schien nur aus Zähnen und Klauen zu bestehen. Plötzlich hielt es inne. Es schien so, als hätte es etwas gewittert. Der Proviant, in der Eile hatte er ihn liegen lassen. Wieso sollte er ihn auch mitnehmen?

Es war nur eine dunkle Ahnung oder Instinkt gewesen, was ihn hatte in die Nacht hinaus treten lassen.

Das Chelburfleisch, natürlich, wahrscheinlich hatte ihn dessen Geruch zu ihm geführt. Er hatte es vor seinem Aufbruch von den Dorfbewohnern erhalten. Was sie nicht erwähnt hatten war, dass das Tier nach Geschmack und Konsistenz des Fleisches zu urteilen, an Altersschwäche gestorben sein muss und das schon vor Jahren. Soll er doch daran verrecken! Momentan erschien ihm das sogar als seine einzige Chance. Sollte er nicht auf so etwas vorbereitet sein? Warum hatte er keinen Plan für den Fall der Fälle? Darauf zu spekulieren, sein Gegenüber würde an Magen- Darmproblemen elendig zugrunde gehen, erschien ihm nicht als durchdachter Schlachtplan. Mit einem für seine Ohren angeekelt klingenden Schnauben ließ der Rukol von seiner vermeintlich leichten Beute ab. Diese Beute hatte einen der ausgeklügelsten Verteidigungsapparate der Welt, sie hatte die Ungenießbarkeit zur Perfektion gebracht. Je eingehender er dieses Wesen musterte, desto schneller wuchs in ihm die Gewissheit, dass auch die vierfache Menge verdorbenen Fleisches versetzt mit dem Gift einer kompletten Population von Regenbogenkröten bei diesem Ungetüm nicht mehr als ein leichtes Grummeln in der Magengegend hervorrufen würde. Nachdem sich seine Mahlzeit als ungenießbar erwiesen hatte, schien zu der Blutgier in den Augen des Rukols nun auch eine gehörige Portion Wut gekommen zu sein. Mit einem wütenden Schnaufen bäumte es sich auf. Toll, nicht nur, dass er einem der gefährlichsten und am meisten gefürchtetsten, bekannten Wesen gegenüberstand, jetzt war es auch noch sauer. Rukols sollen über ein geringes Maß an Intelligenz verfügen, vielleicht ausreichend, um das hier für eine Falle zu halten. Er überschlug noch einmal seine Chancen, eine direkte Konfrontation mit diesem Wesen zu überstehen und entschied sich stattdessen dafür, sich langsam und möglichst behutsam zu entfernen. Der Rukol hatte seine Witterung verloren, da war er sich sicher. Ansonsten wäre er mit Sicherheit nicht mehr in der Lage, sich darüber Gedanken zu machen. Das wütende Brüllen der Bestie schwoll an, dann drehte sie sich blitzschnell um seine Achse.

Die Geschwindigkeit mit der sich das Tier bewegte ließ Tordal innerlich erschaudern. Es warf einen letzten anklagenden Blick auf das verdorbene Fleisch und verschwand im Unterholz. Das laute Knacken und Bersten von Zweigen und Ästen ließ erkennen, dass es sich in nördlicher Richtung davon bewegte. Wahrscheinlich hatte der Rukol schon eine neue Witterung aufgenommen und erhoffte sich eine lohnendere Beute. Im Ergol Wald gab es auch für ein Tier dieser Größe mehr als genug Nahrung. Tordal fiel ein, dass er seit Tagen keine größeren Raubtiere wie etwa Bären, Wölfe oder Schneelöwen mehr gesehen hatte. Normalerweise durchstreiften sie auf der Suche nach Beute den Wald. Anscheinend hatten sie sich nach der Ankunft des Rukols in dieser Gegend in ihre Höhlen und Baue zurückgezogen. Gegen einen solchen Rivalen konnten sie sich nicht zur Wehr setzen. Ein Rukol war sicherlich der uneingeschränkte Herrscher über jedes Gebiet, in dem er sich aufhielt. Mit Ausnahme des Drachengebirges vielleicht. Gegen einen ausgewachsenen Drachen wäre wohl auch diese Bestie machtlos. Außer die Natur erlaubte sich einen ihrer manchmal recht üblen Scherze und verliehe ihm Flügel. Was für eine groteske Vorstellung, Tordal schüttelte sich und hoffte, dass er dies niemals erleben würde. Erst jetzt fiel ihm auf, wie ruhig es die ganze Zeit über gewesen war. Kein Vogel war zu hören gewesen, kein Nager und keine Insekten raschelten durch das Laub der Bäume. Es schien als hätte die Welt den Atem angehalten. Nun aber, nachdem sich die Bestie entfernt hatte, ertönten von überall her wieder die Geräusche des Waldes. Tordal entschied sich, den Rest der Nacht in einer kleinen Höhle in der Nähe seines Lagers zu verbringen, die er gestern vor Anbruch der Dunkelheit entdeckt hatte. Aufgrund der Knochenüberreste in ihrem Innern schloss Tordal, dass sie früher einem Raubtier, vielleicht einem Höhlenbären als Bau oder zumindest als Vorratskammer gedient hatte. Aber sie schien seit langem verlassen zu sein. Ruhe, das war genau das, was er jetzt brauchte und Schlaf, aber den würde er in dieser Nacht nicht mehr finden, da war er sicher. Das Adrenalin pochte immer noch in seinen Adern und dieser Zustand würde noch einige Stunden andauern. Er hatte dies oft genug erlebt um das zu wissen. Etwas ließ ihm aber keine Ruhe. Warum war dieses Wesen hier im Ergol Wald, warum befand es sich so weit südlich seiner Heimat, der Karem Hochebene? Nach einer unruhigen Nacht mit nur wenig, von Alpträumen unterbrochenem Schlaf machte Tordal es sich an dem kleinen Feuer bequem, welches er entzündet hatte. Er wärmte seine steif gefrorenen Finger und massierte sie behutsam. Die letzten Tage und Wochen waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen, das spürte er an jeder erdenklichen und nichterdenklichen Stelle seines Körpers. Er musste sich überlegen, wie er nun weiter vorgehen sollte. Sollte er die Jagd in dieser unwirtlichen, schneebedeckten Waldlandschaft fortsetzen? Eine Jagd, die er nicht gewinnen konnte, auf einen Gegner, den er allein niemals zu besiegen im Stande wäre. Oder sollte er umkehren und gegebenenfalls nach Hilfe Ausschau halten? Doch was sollte er den zu Recht verängstigten Dorfbewohnern sagen? Dass es sich bei dem Wesen, das ihre Rinder riss und sie in Angst und Schrecken versetzte keineswegs um einen Braunbären handelte, sondern um eine ausgewachsene Ausgeburt der Hölle, das er gegen dieses Wesen so oder so machtlos sei und die Menschen auch gleich in Ihren Häusern auf das Unvermeidliche warten könnten. Das wäre sicherlich auch seinem bisher makellosen Ruf nicht zuträglich. Die einzige Hoffnung bestand darin, den Rukol in ein anderes Gebiet, am besten zurück in die Karem Hochebene zu locken. Nur wie sollte er das anstellen? Der Rukol hatte nicht den Eindruck gemacht, für logische Argumente zugänglich zu sein. Wie sollte er ein so gewaltiges und mächtiges Wesen dazu bringen, das Paradies zu verlassen? Denn so musste ihm der Ergol Wald vorkommen. Keines der Beutetiere war auf solch einen Jäger vorbereitet und auch die bisherigen Herren des Waldes, die Bären, Löwen und Tiger mussten sich erst daran gewöhnen, dass auch sie sich jetzt auf der Speisekarte des Rukols befanden. Er hatte hier also Nahrung im Überfluss und keine Konkurrenz von anderen Raubtieren zu erwarten. Wenn er es könnte, hätte er sicherlich schon einen Brief an seine Artgenossen in der Karem Hochebene geschickt, um sie hierher einzuladen. Er konnte doch nicht schreiben, oder? Natürlich konnte dieses Wesen nicht schreiben, er war wohl schon zu lange hinter der Bestie her, vielleicht brauchte er mal eine Pause. Wie lange reiste er jetzt schon allein über den Kontinent? Zehn Jahre, nein es waren wohl eher schon zwölf. Zwölf Jahre auf der Jagd nach Mördern, Dieben, Kriegstreibern und aller Arten von gefährlichen oder weniger gefährlichen Wesen. In dieser Zeit hatte er sich einen Ruf zugelegt der ihm wie Donnerhall vorausritt, manchmal aber umkehrte, um ihn nach den Weg zu fragen.

Bevor er die Jagd auf den Rukol fortsetzte, wollte und musste er mehr über dieses Wesen in Erfahrung bringen. Ihm fiel nur eine Person ein, die ihm dabei helfen konnte, die Person von der auch er alles was er über Rukols und die Kreaturen der nördlichen Lande und der Karem Hochebene wusste, Giganto. Sein voller Name lautete Gigonorm Anton Eisenschwinger, aber er wurde von jedermann nur Giganto genannt. Dabei hasste er diesen Namen. Wie alle Zwerge konnte er mit allem was nicht mit Metallen, Bergwerken oder Gold zu tun hatte relativ wenig anfangen. Deshalb war er überraschenderweise Schmied geworden. Aber nicht irgendeiner, er war der beste und angesehenste Waffen- und Rüstungsschmied des Kontinents. Er lebte in Tessheim, der größten Stadt in der Kassam Ebene. Zumindest war das so gewesen als er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Einige Jahre waren seitdem vergangen und er war gespannt, wie es ihm und Tessheim ergangen war. Eigentlich sollte die Stadt unter der Herrschaft des Regenten aufgeblüht sein, denn der Regent war, so sagte man, ein gütiger Herrscher mit einem Gespür für gute Geschäfte. Er hatte dafür gesorgt, dass die größten und einflussreichsten Gilden des Kontinents ihre Hauptniederlassungen nach Tessheim verlegt hatten, wodurch die Stadt zu einem Schmelztiegel des Handels geworden war. Für Händler, Abenteurer und zwielichtige Gestalten war sie die erste Anlaufstelle in der Ebene und war nach allem was er gehört hatte seit seinem letzten Besuch um ein Vielfaches größer geworden. Das alles wusste er natürlich nur aus den Gesprächen mit anderen Reisenden und vom Hörensagen. Er freute sich darauf, die Stadt endlich wieder mit eigenen Augen sehen zu können. Er erinnerte sich daran, wie er in seiner Jugend die alten Katakomben unter Tessheim erkundet hatte. Sie waren schon eine verwegene Truppe gewesen. Giganto, Regan und er. Ein Zwerg, ein Halbelf und ein Mensch. Was mochte nur aus Regan geworden sein? Er hatte ein munteres, lebenslustiges Naturell, doch seine halbelfische Abstammung machte ihm das Leben in einer Stadt wie Tessheim nicht gerade leicht. Auch wenn es niemand zugeben wollte, hielten beinahe alle Abstand von ihm und hatten ihre kleinbürgerlichen Vorurteile gegenüber einem Halbling. Sein großer Traum war es immer, ein großer elfischer Krieger zu werden. Nur, dass Elfen Mischlinge mit Verachtung betrachten und er dort nicht die geringste Chance auf ein normales Leben gehabt hätte. Er würde sich nach ihm umhören, wenn er erst einmal in der Stadt war.

Schon in diesen Jahren zeigte sich Gigantos Talent, Eisen zu wahren Kunstwerken zu verarbeiten. Im Gegensatz zu dem, was die meisten glaubten, besaßen trotz ihres instinktiven Gespürs für Metalle in ihrer Rohform und ihrer Legierungen die wenigsten Zwerge das Talent zum Schmieden. Bei ihm war es dafür umso stärker ausgeprägt und gepaart mit seinem Geschäftssinn hatte es ihn schon früh zu einem reichen Zwerg gemacht. Auch Tordals Klinge stammte aus seiner Fertigung. Es war bei Weitem keine seiner normalen Anfertigungen. Die Waffe schimmerte leicht bläulich und in ihrer zweischneidigen Klinge war der Geist eines Dämons gefangen und verhalf dem Schwert zu einigen außergewöhnlichen Eigenschaften. Auch nach der langen Zeit, die sich die Waffe in seinem Besitz befand, begriff er noch nicht annähernd die Tragweite der magischen Veränderungen an der Waffe. Der Dämon war angeblich weit im Osten hinter den Ödlanden mit Hilfe eines anderen noch mächtigeren Wesens gebändigt worden und seitdem in dieser Klinge gefangen. Giganto hatte ihm damals stolz davon berichtet, da nur sehr wenige auserwählte Klingen einer solchen Prozedur unterzogen wurden. Nur die besten Klingen der größten Meister der Schmiedekunst wurden für würdig befunden. Welcher Art der Dämon war und warum er zu diesem Schicksal verurteilt wurde, verriet er ihm nicht. Angeblich hatte er schwören müssen, darüber nie mit jemandem zu sprechen.

Giganto produzierte seine Waffen und Rüstungen in einer solchen Masse, dass Karol der Götterschmied wahrscheinlich schon mehrere Nervenzusammenbrüche erlitten und seine Insolvenz angemeldet haben musste. Nach eigener Aussage war er in der Lage, aus zwei Tonnen Stahl über Nacht einen aufziehbaren Höhlentroll mit einem für einen Troll überdurchschnittlichen Intellekt zu fertigen. Das mit dem überdurchschnittlich ist relativ zu sehen, da der Durchschnittstroll nicht intelligenter als ein Pfund Dörrfleisch ist.

Tordal löschte die Glut seines Feuers und bedeckte die Stelle mit Laub, dann suchte er seine Habseligkeiten zusammen und machte sich auf den Weg. Er würde den Ort wiedersehen, an dem er seine Jugend verbracht hatte. Das gab ihm neuen Mut und verdrängte sogar die düsteren Gedanken an die Begegnung mit dem Rukol.

Der Wald bestand hier zum größten Teil aus Fichten und Kiefern, die das Sonnenlicht auch tagsüber kaum durchließen. Dadurch befand man sich im Ergol Wald in einem ständigen Halbdunkel.

Die meisten Reisenden machten einen großen Bogen um den Wald, doch Tordal genoss die Abgeschiedenheit und Ruhe, die er nur hier fand.

Ein lautes Knacken links von ihm riss ihn aus seinen Gedanken. Im allerletzten Moment wich er der Pranke aus. Diese verfehlte nur um Haaresbreite seinen Kopf.

Behend sprang er zur Seite, rollte sich ab und kam wieder auf die Beine.

Nichts rührte sich.

Dann pflügte ein Alptraum von einem Bären direkt neben ihm durch das Unterholz, durchbrach mehrere Äste und kam vor ihm zum Stehen.

Es handelte sich um ein ausgewachsenes, männliches Exemplar eines Ödlandbären. Seine mächtige, braune Mähne und die schlacksig wirkende Figur wiesen ihn als solchen aus.

Der dunkle Braunton seines Fells bot ihm im Laub des Waldes eine nahezu perfekte Tarnung. Er sah aus wie ein Blatt. Na ja, nicht wirklich, aber er war tatsächlich sehr schwer zu entdecken.

Der Koloss musste mehr als siebenhundert Kilogramm wiegen.

Seine gewaltigen Zähne entblößend stellte er sich auf die Hinterbeine und brüllte ihn an.

Auch ohne dies wusste Tordal, wer der Größere und Stärkere von ihnen war.

Jetzt nur nicht in Hektik verfallen. Zentimeter für Zentimeter zog er sein Schwert aus der Scheide. Der Bär beendete seine Drohgebärde und landete plump auf allen vieren.

„Ich bin nur auf der Durchreise und schon so gut wie weg, bleib ganz ruhig.“

Das schien das Tier nicht besonders zu interessieren, denn es stürmte mit lautem Gebrüll direkt auf ihn zu.

Tordal vollführte einen Ausfallschritt nach links und ließ den Bären ins Leere laufen.

Nachdem er seinen massigen Körper zum Stehen gebracht hatte, machte er kehrt und ging erneut zum Angriff über. Sein Schwert in der Hand, erwartete der Kopfgeldjäger diesen.

Die mächtigen Klauen des Ödlandbären gruben sich beim Laufen tief in die Erde.

Was diese anrichten konnten, wusste Tordal nur zu gut. Oft schon hatte er Wunden gesehen, die durch diese gefährlichen Waffen hervorgerufen wurden.

Es gelang ihm, während einer neuerlichen Ausweichbewegung, dem Tier einen tiefen Schnitt mit seinem Schwert beizubringen.

Die Verletzung ließ den Bären kurz schmerzerfüllt aufbrüllen, verlangsamte ihn aber kaum in seiner Bewegung.

Schon oft hatte er es mit Bären zu tun gehabt, aber die Aggressivität dieses Tieres stellte alles in den Schatten, was er bisher erlebt hatte.

Mit einem wütenden Brüllen stürzte sich der Bär auf eine kleine Kiefer und verarbeitete sie zu Sperrholz. Seine Wut richtete sich also nicht ausschließlich auf lebende Gegner, denn obwohl sich die Bösartigkeit des Baumes auf das spontane Vorzeigen seiner Nadeln beschränkte, bekam er nun zu spüren was es heißt, sich einem aufgebrachten Ödlandbären in den Weg zu stellen.

Nachdem er sich von der Kampfunfähigkeit seines Gegners überzeugt hatte, ließ der Bär von ihm ab, schnaufte noch einmal verächtlich in dessen Richtung und widmete sich wieder dem Menschen.

Erst jetzt sah Tordal, dass aus dem rechten hinteren Bein des Raubtieres das bunt gefiederte Ende eines Pfeils ragte. Du bist verletzt, der Schmerz treibt dich offenbar in den Wahnsinn.

Die roten und gelben Federn der Buntgans wiesen das Geschoss als Goblinpfeil aus.

Die Spitzen dieser waren mit metallenen Widerhaken versehen, die dem Opfer unerträgliche Schmerzen bereiteten. Bei Bewegung zerfetzten sie Muskeln und Sehnen im Körper des Getroffenen.

Die braune Mähne des Bären war mittlerweile blutgetränkt. Die Wunde, die der Kopfgeldjäger ihm zugefügt hatte, machte sich nun auch in den Bewegungen des Giganten bemerkbar.

Auch wenn ihm nur Sekundenbruchteile zum Reagieren blieben, hatte seine Klinge zielsicher ihren Weg zur Hauptarterie des Bären zwischen Hals und Schulterblatt gefunden.

Innerhalb weniger Minuten würde das Tier ausbluten. Jetzt, wo er den Grund für das Verhalten des Tieres kannte, tat ihm sein vorschnelles Handeln leid. Aber die durch den Goblinpfeil hervorgerufene Verletzung hätte ihm einen viel langsameren und qualvolleren Tod bereitet.

Es würde ihn nicht wundern, wenn die Spitze zusätzlich noch vergiftet worden war.

Diese Methode des Jagens war sehr beliebt bei den Goblins. Warum sie aber ausgerechnet einen Ödlandbären, eines der gefährlichsten Wesen der Ebene, jagen sollten, blieb ihm schleierhaft. Normalerweise begnügten sich die kleinen Teufel mit Hasen, Puten oder anderem Kleingetier.

Offensichtlich schwanden dem Bären die Kräfte. Nur mit Mühe konnte er sich aufrecht halten. Dann sank er langsam zu Boden und blieb schwer atmend liegen.

Die Waffe in der Hand, ging Tordal auf ihn zu und blieb vor ihm stehen. Ein Blick in dessen große schwarze Augen offenbarte das Leid und die Schmerzen des Tieres.

„Bald hast du es geschafft, mein Großer.“ Er hob sein Schwert und gab ihm den Gnadenstoß. Eine Träne suchte sich ihren Weg, die Wange herunter.

Etwas in ihm sagte ihm, dass dies alles nicht richtig war und sich unbeobachtet ein dunkler Schatten über das Land legte.

Kurze Zeit später brach er auf. Seine Sinne warnten ihn vor einer nicht greifbaren Gefahr, vor Veränderungen, die im Begriff waren, die gesamte Ebene zu erfassen. Die Tiere spürten es als erstes, doch bald würde sich der Schatten der Veränderung auch über die Menschen und die anderen mehr oder weniger humanoiden Arten legen.

Das Dämmerlicht des Waldes hatte, so schien es ihm, noch weiter an Kraft verloren und die Geräusche der Waldtiere klangen ängstlicher als noch vor ein paar Tagen.

Natürlich konnte das auch Einbildung sein, doch er fühlte, dass es so war.

Schon seit Monaten hatte es immer wieder Berichte über seltsame Ereignisse in den nördlichen Landen gegeben. Tiere, die sich untypisch verhielten, Pflanzen die ohne Grund abstarben und einige andere alarmierende Zeichen.

Was immer auch der Grund dafür sein mochte, schien sich von Norden über die Skeldar Berge nun über die Ebene auszubreiten. Der Rukol war nur ein weiteres Anzeichen dafür, dass dort seltsame Dinge vorgingen.

In düstere Gedanken versunken durchquerte er den Wald und dachte mit Unbehagen daran, was die Zukunft bringen würde.

Am nächsten Tag hatte er die Grenze des Waldes erreicht und betrat nun die Kassam Ebene, jenes nur spärlich bewachsene Gebiet, welches beinahe den gesamten Kontinent von Norden nach Süden durchzog. Am Horizont konnte er schon die gewaltigen Mauern Tessheims erkennen.

Tessheim

Er erreichte das Osttor Tessheims gegen Mittag. Die letzten Ausläufer des Ergol Waldes hatte er in den frühen Morgenstunden hinter sich gelassen. Nach den vielen Tagen in der Dunkelheit des Waldes genoss Tordal die Weite des Landes. Der Anblick der Stadt und ihrer gewaltigen Mauern beeindruckte ihn mehr als er es erwartet hatte. Wagen mit den verschiedensten Waren rollten auf der holprigen Straße in Richtung des Tores. Einige Trolle bahnten sich inmitten der vielen umherhuschenden Wagen und Fußgänger unbeirrt ihren Weg aus der Stadt hinaus. Sie trugen einen lautstarken Disput mit einigen Uniformierten aus. Aufgrund der leuchtend roten Uniformen indentifizierte er sie schnell als Mitglieder der Wache. Auf die Entfernung war es ihm aber unmöglich, den Grund der Auseinandersetzung auszumachen. Tordal beachtete sie nicht weiter und versuchte, den sich scheinbar ohne jedes System zu bewegenden Wagen und Gespannen auszuweichen. Ein Oger kam ihm sein linkes Bein hinterherziehend entgegen, während er anscheinend versuchte, einen großen Krug Wein in einem Zug zu leeren. Das gewaltige Wesen schien nicht gerade in bester Stimmung zu sein und Tordal hatte auch keine Lust, schon bevor er die Stadt betrat, in Schwierigkeiten zu geraten, denn ein betrunkener, übellauniger Oger konnte nur Ärger bedeuten. Also achtete er darauf, das Wesen in möglichst großem Abstand zu passieren. Tordal hatte das Tor fast erreicht, als er die Wachposten vor diesem entdeckte. Es waren drei und sie machten den Eindruck als nahmen sie ihre Aufgabe ernst. Sie blockierten, jeder einen Speer mit sich führend, den Durchgang durch das Osttor. Das war neu, dachte Tordal. Früher hatte es hier keine Posten gegeben. Aber das gehörte wohl dazu, wenn eine Stadt eine gewisse Größe und Einwohnerzahl überschritt, denn mit dem Handel und dem Gold kamen auch die Gauner, Räuber und anderes Gesindel. Er stand nun direkt unter dem großen Torbogen und dachte schon er käme ungeschoren durch das Tor als eine der Wachen ihn mit einem Kommando aufforderte, zu halten. „Wer seid ihr und was führt euch nach Tessheim? Ihr seht mir nicht wie ein Händler oder Handwerker aus und für Diebesgesindel ist hier kein Platz.“ Während er dies sagte, musterte er ihn von oben bis unten. Sein Blick blieb etwas länger an seiner Waffe hängen, bevor er ihn mit grimmigem Gesicht ansah. „Was ist, kannst du nicht sprechen?“ „Mein Name ist Resak, ich bin ein einfacher Reisender und möchte nur meinen Geschäften in der Stadt nachgehen“, log er. „Von welcher Art Geschäft sprichst du?“ „Pferde ..., ich handle mit Pferden. Ja, ich glaube man könnte mich durchaus als Pferdehändler bezeichnen.“ Der Wächter zog fragend die rechte Braue hoch. „Wenn du mit Pferden handelst, wieso reist du dann zu Fuß?“ Verdammt, wieso ausgerechnet Pferde? Inzwischen war ein weiterer Posten herangetreten und diskutierte mit dem anderen. „... Warum reist er zu Fuß wo er doch mit Pferden handelt?“ „Das habe ich ihn auch schon gefragt!“ „Weil ich im Ergol Wald von Wegelagerern überrascht wurde. Sie töteten meine Begleiter, stahlen die Pferde und jetzt suche ich neue.“ „Räuber also ...“ Diese Antwort schien ihm zumindest vorerst zu genügen. „Das passiert öfter in letzter Zeit. Leider fehlen uns die Mittel, unseren Einfluss und den des Regenten auf die gesamte Kassam Ebene auszuweiten. Du darfst passieren und viel Glück bei deinen Geschäften.“ Das war knapp, er ging erleichtert durch das Tor und befand sich nun auf einem großen Platz, der von vielen kleinen Gassen gekreuzt wurde. Schon jetzt war ihm klar, dass seine hier in der Jugend verbrachten Jahre ihm bei der Orientierung nicht helfen würden. Alles war irgendwie anders und größer. Es ließ sich nicht richtig in Worte fassen, aber die Stadt hatte sich von den Grundfesten auf geändert. Solch ein reges Treiben hatte er in Tessheim noch nie gesehen. Überall waren Stimmen und Geräusche zu hören, wie man sie in einer Stadt erwarten konnte. Marktschreier priesen lauthals ihre Waren an, Händler feilschten untereinander um die besten Geschäfte. Am rechten hinteren Ende des Platzes standen einige elegant gekleidete Männer und diskutierten heftig miteinander. Er entschloss sich, auf ein Gebäude an der linken Seite des Marktes zuzuhalten. Dem äußeren Anschein nach zu urteilen musste es sich um ein Gasthaus handeln. In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und ein Zwerg flog in hohem Bogen heraus. Der Flug endete in einem Haufen Unrat. Tordal hätte schwören können, ein schmatzendes Geräusch gehört zu haben, als der Zwerg sich aus dem Müll befreite. Dieser wischte sich wütend die Reste seiner Mahlzeit aus seinem Haar. „Verdammte Halsabschneider, niemand wirft Glori Stahlträger aus einer Kneipe, niemand. Ihr elenden Verlierer, jetzt werdet ihr sehen, was es heißt, sich mit einem Zwerg anzulegen.“ „Wo liegt das Problem, werter Herr Stahlträger?“ Schon früh hatte er gelernt, wie man mit Zwergen umzugehen hatte. Die übliche Behandlung für einen Zwerg in seinem Zustand war die, ihn unangespitzt in den Boden zu rammen, denn tatsächlich half es ihnen dabei, sich zu beruhigen. Allerdings erschien ihm das nach einem Blick auf die gepflasterte Straße als nicht ratsam. Sogar der Schädel eines Zwerges war nicht unzerstörbar. Ein zorniges Funkeln erschien in den Augen des Zwerges. „Wüsste nicht, was dich das angeht.“ Der Zwerg musterte sein Gegenüber und stieß plötzlich ein überraschtes Zischen aus. „Woher hast du diese Waffe?“ Während er dies fragte, ruhte sein Blick wie gebannt auf dem Schwert. Dem Kopfgeldjäger war klar, dass sie für einen Kenner wie ihn sofort als außergewöhnliche Waffe zu erkennen sein musste. „Was willst du für diese Klinge haben? Du langes Elend hast den rechtmäßigen Besitzer doch bestimmt gemeuchelt, oder?“ „Diese Klinge wurde von Giganto Eisenschwinger für mich persönlich geschmiedet. Er hat sie mir als ein Zeichen ewiger Freundschaft überreicht.“ Eigentlich sagte er damals nur: „Hier, nimm, is' für dich, kannst behalten.“ Aber das lag nur daran, dass er wie viele Zwerge nicht in der Lage war, positive Empfindungen und Gedanken in Worte zu fassen. Zwerge konnten einen einhändig und mit verbundenen Augen verfluchen und einem die Pest auf den Hals wünschen, aber versuche mal jemand, ihnen ein Wort der Zuneigung zu entlocken. Es gab mehr als sechshundert Umschreibungen für Hass in der zwergischen Sprache, aber nicht ein Wort für Liebe. Dieses Wort galt in der zwergischen Welt als verflucht und wer es trotzdem gebrauchte, musste mit einem unschönen Ende rechnen. Tordal sah in diesem Zusammenhang viele spitze metallene Gegenstände und durchbohrte Körper vor seinem geistigen Auge. Auch wenn die Zwerge inzwischen als weitestgehend zivilisiert galten, hatten sie doch mit einigen Sachen gewisse Probleme. Dazu gehörten Gefühle, die nichts mit Hass, Wut und Kriegslust zu tun hatten, Elfen und zu große Tische und Stühle in Gasthäusern zum Beispiel. Wobei ihnen Letzteres sicherlich am meisten zu schaffen machte. „Du weißt genau, dass das so nicht stimmen kann, Halunke. Aber du würdest nicht vor mir stehen, wärest du nicht würdig, sie zu tragen. Ein wunderschönes Stück Arbeit und mächtig, ja das ist es.“ Sein Zorn verflachte und er besah ihn nun mit einem Blick, der Erstaunen und Neugier ausdrückte. „Wusste gar nicht, dass Eisenschwinger so hochwertige Waffen schmieden kann. Eine Njardard-Legierung, so etwas habe ich noch nie gesehen.“ Ein an ein Raubtier erinnerndes Etwas, das wohl eine Art von Lächeln sein musste, umspielte seine Lippen. „Komm, lass uns woanders hingehen. Ich kenne da eine gute, zwergische Taverne. Wie heißt du eigentlich, Langer?“ Die Aussicht auf ein kühles Bier, eine nahrhafte, essbare Mahlzeit und ein richtiges Bett erfüllte Tordal mit einem Gefühl des Wohlbehagens und der Ruhe. „Mein Name ist Tordal, werter Herr Stahlträger.“ Die Taverne erwies sich als gepflegt und überraschend geräumig. Sie befand sich in einem Viertel, das, wie Tordal sich erinnerte, überwiegend von Zwergen und Gnomen bewohnt wurde. Diesen Begriff sollte man allerdings nicht im Beisein eines Mitglieds dieser Arten verwenden, da man sonst schnell Bekanntschaft mit zwergischer oder gnomischer Gastfreundschaft machen konnte. Zumindest nannten sie es so. Tordal nannte es „einen auf die Rübe kriegen“. Sie hatten es sich an einem der hinteren Tische bequem gemacht und Tordal blickte sich interessiert im Halbdunkel der Taverne um. Der Zwerg nahm einen kräftigen Schluck Bier und rülpste zufrieden. „Das mit dem werten Herrn kannst du lassen. Ich bin ein moderner Zwerg und halte nicht viel von diesen alten Floskeln.“ Er wischte sich den Schaum aus seinem Bart und sah sich um. „Nenn mich doch einfach Glori.“ Er leerte seinen Bierkrug und gab mit der anderen Hand dem Wirt ein Zeichen, ihm noch ein Bier zu bringen. „Ist schon lange her, dass ich mit einem Menschen ein Bier getrunken habe. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du anders bist, anders als die anderen Menschen, meine ich. Weiß auch nicht, warum.“ Tordal konnte nicht sagen, warum, aber er wusste, dass dies nicht die ganze Wahrheit war. Da steckte noch mehr dahinter. Der Wirt brachte den nächsten Krug Bier zum Tisch und nahm den leeren wieder mit. „Vielleicht ist es dieses Schwert“, sagte er mit einem Blick auf die Klinge an Tordals Seite. „Ich denke, es hat mich neugierig gemacht. Aber genug davon, ich denke, dich interessiert viel mehr, was ein Zwerg wie ich in Tessheim zu suchen hat.“ Der Gedanke war Tordal tatsächlich schon gekommen. Aber ebenso interessierte ihn, wie es seinen alten Freunden ergangen war und was sich noch alles in Tessheim verändert hatte.

„Damit liegst du nicht ganz falsch“, erwiderte er dem Zwerg, der sein Bier schon wieder zur Hälfte geleert hatte. „Also“, begann Glori, „es begann alles vor einigen Jahren in meiner Heimat in den nördlichen Bergen. Ich war noch ein kleiner Zwerg.“ Tordal musste sich ein Grinsen verkneifen. „Alles lief in geregelten Bahnen und meine Familie war wie alle anderen im Bergbau tätig. Eines Tages aber wurde mir klar, dass dieses Leben für mich nicht in Frage kam. Ich wollte hinaus in die Welt und Abenteuer erleben. Meine Familie war über Generationen in den Minen tief unter den Bergen tätig und schuftete tagaus, tagein. Doch ich wollte nicht mein Leben lang unter Tage sein und Erze zu Tage fördern. Ich wollte ein großer Abenteurer werden.“ Tordal konnte sich nur noch mit Mühe beherrschen und nahm sicherheitshalber einen Schluck Bier aus seinem Krug. Glori ließ sich aber in seinen Ausführungen nicht stören. „Deshalb zog ich hinaus in die Welt, um Abenteuer zu bestehen und hier bin ich.“ „Hast du denn schon etwas erlebt auf deinen Reisen?“ Glori rutschte unsicher auf seinem Stuhl hin und her und leerte sein Bier.

„Nun“, er gab dem Wirt wieder ein Zeichen, dieser verzog leicht gestresst das Gesicht und nickte, „ich bin durch die Ödlande gewandert und habe Tessheim erreicht und ... bin hier geblieben. Manchmal bin ich von mir selber enttäuscht, doch dann sage ich mir, dass diese Stadt Abenteuer genug ist.“ Währenddessen erschien der Wirt mit einem gewaltigen Krug Bier in jeder Hand am Tisch. Er stellte sie mit einem undeutbaren Blick in Richtung Glori ab, griff sich den leeren Krug und marschierte wieder weg. Glori nahm dies alles wortlos zur Kenntnis und überlegte anscheinend, mit welchem der Krüge er beginnen sollte, hob entschlossen beide an und leerte sie mit einem seligen Lächeln. „Iss´n guter Stoff“, befand Glori. Tordal, der immer noch an seinem ersten Bier trank, musste dem zustimmen und fragte sich, wie so viel Bier in so wenig Zwerg passen konnte. „Was treibt dich hier her, Tordul?“ „Tordal!“ „Was?“ „Ach nichts, ich suche ein paar alte Freunde von mir. Giganto kennst du ja anscheinend. Könntest du mir sagen, wo ich ihn finden kann?“ Das Bier schien seine Wirkung doch nicht verfehlt zu haben, denn die Augen des Zwergs wirkten mittlerweile seltsam glasig. „Du suchst diesen Eisenschwinger? Glori kann dich zu ihm führen, morgen. Er betreibt die große Schmiede im Regentenviertel.“ Regentenviertel, anscheinend gingen Gigantos Geschäfte immer noch so gut wie früher. Glori musste es irgendwie geschafft haben, dem Wirt ein Zeichen zu geben, ohne dass Tordal dies gemerkt hatte, denn in diesem Moment erschien der Mann mit einem Krug Bier, der wie ein Ogerkelch aussah und einem Gesichtsausdruck, der Resignation widerspiegelte, am Tisch. Wortlos räumte er die beiden leeren Bierkrüge ab und betrachtete Glori ungläubig. Er schüttelte den Kopf und ging schlurfenden Schrittes zurück Richtung Küche, verschwand darin und kam wenige Augenblicke später mit einem zweiten Mann eine große hölzerne Wanne tragend wieder heraus. Sofort drängte sich mir die Frage auf, was eine Wanne wohl in der Küche zu suchen hatte, doch ich verscheuchte sie lieber schnell wieder. Glori machte sich inzwischen über den riesigen mit Bier gefüllten Krug her. „Eisenschwinger hat paraktisch dasss Mono..., Mono..., Mono...“ „Monopol?“ „Genau dasss Monopol auf Waffen und Rüssungen in Tessheim.“ Der Wirt und sein Partner begannen unterdessen, Bier aus einem Fass direkt in die Wanne laufen zu lassen. „Isch denke, du redest zu viel Türdal, trink doch noch´n Bier, Langer.“ Warum eigentlich nicht, dachte er sich. Wann hast du denn das letzte Mal ein frisches Bier bekommen und außerdem, wer weiß, wann das nächste Mal sein wird. Also hob er seinen Krug und stieß mit Glori an, der aus den Augenwinkeln aufmerksam das Treiben der beiden hinter der Theke beobachtete.

Als Tordal am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich, als hätten Gloris Artgenossen in seinem Kopf ein neues Erzvorkommen entdeckt und über Nacht mit schwerem Gerät den Abbau begonnen. Er hielt sich die rechte Hand vor Augen, da schon das wenige Licht, das durch das kleine Fenster in sein Zimmer hereinschien, in seinen Augen schmerzte. Er wusste weder, wie lange er noch mit Glori in der Taverne gesessen hatte, noch wie er in dieses Zimmer gekommen war. Er setzte sich auf das Bett, öffnete den kleinen Lederbeutel, der an seiner Hose befestigt war und stellte fest, dass eine beträchtliche Menge an Goldmünzen fehlte. Wahrscheinlich ausreichend, um sämtliche Schwarzbiervorräte Tessheims aufzukaufen. Glori, schoss es ihm durch den Kopf, dieser kleine Mistkerl. Wie konnte er nur so naiv sein? Er hatte ihn wahrscheinlich erst abgefüllt und sich dann mit dem Gold aus dem Staub gemacht. Doch warum hatte er nicht alles genommen? Das machte für ihn keinen Sinn. Dabei kannte er Zwerge doch gut genug, um zu wissen, dass man ihnen in Bezug auf Gold nicht über den Weg trauen konnte. In diesem Moment klopfte es an der Tür. Vorsichtig stand er auf, wurde aber sofort von einem starken Schwindelgefühl ergriffen. Anscheinend war sein Körper nicht mehr daran gewöhnt, so viel Alkohol zu verarbeiten. Bedächtig setzte er einen Fuß vor den anderen und blieb schließlich vor der Tür stehen. „Was ist, wer ist da?“, grummelte er durch die Tür, sich mit der linken Hand die Schläfe massierend, um den stechenden Schmerz in seinem Kopf etwas erträglicher zu machen. „Ich bin es, Glori, nun mach schon auf.“ Er öffnete und der Zwerg trat behenden Schrittes durch die Tür. „Du wirst erfreut sein zu hören, was ich in Erfahrung gebracht habe. Du siehst ja fürchterlich aus. Was ist, verträgt der große Tordal keinen Alkohol? Das Gold habe übrigens ich mitgenommen, hatte es benötigt, um an einige Informationen zu gelangen, die uns noch von Nutzen sein werden.“ Ohne Unterbrechung, und anscheinend auch ohne Luft zu holen, fuhr er fort. „Hast du schon gefrühstückt, Langer? Nein, wahrscheinlich nicht, du siehst aus, als währest du gerade eben erst kopfüber aus dem Bett gefallen. Er legte seinen Kopf schräg und sah ihn an. „Was ist los, hörst du mir überhaupt zu?“ Zu viele Informationen, Tordals Gehirn war momentan nicht in der Lage, solch eine Flut an Informationen aufzunehmen und schwenkte die weiße Flagge. Gold, Essen und warum eigentlich uns von Nutzen? Glori setzte sich schwungvoll auf das Bett und grinste ihn an. „Mann, siehst du fertig aus, hätte nie gedacht, dass jemand so fertig aussehen kann.“ Tordal erschien es beinahe unmöglich, dass der Zwerg so früh schon auf den Beinen war und was es noch schlimmer machte, er schien putzmunter zu sein. Dabei konnte Tordal sich schemenhaft daran erinnern, dass der Wirt zu fortgeschrittener Stunde seine Bar aufgrund von Alkoholknappheit schließen musste und die verbliebenen Gäste vor die Tür beförderte. „Wie machst du das nur?“ Glori sah ihn fragend an. „Du siehst aus, bewegst dich und redest, als hätte es den gestrigen Abend nicht gegeben.“ „Ach das meinst du. Anscheinend weißt du doch nicht alles über uns Zwerge. Einige wenige Zwerge sind so genannte Sofortumwandler, sie sind in der Lage, jeglichen Alkohol beinahe sofort in Wärmeenergie umzuwandeln. Daher stammen auch die vielen Geschichten von Zwergen, die sich in frostig kalten Nächten rings um einen sich Deziliter Alkohol in den Hals kippenden Zwerg versammeln und scheinbar überhaupt nicht unter der Kälte zu leiden haben.“ Tordal hatte noch nie davon gehört. „Dieser strahlt aufgrund seiner Fähigkeit der Sofortumwandlung genug Hitze aus, um alle um ihn versammelten Zwerge mit ausreichend Wärme zu versorgen. Allerdings kann übermäßiger Alkoholkonsum bei einem Sofortumwandler auch schnell zur spontanen Selbstentzündung führen.“ Tordal, der inzwischen auf dem unbequemen Stuhl neben dem Bett mühsam Platz genommen hatte, zeigte sich erstaunt und verunsichert zugleich. Bei der Menge an Alkohol, die Glori gestern Abend zu sich genommen hat, erschien es ihm wie ein Wunder, dass nicht ganz Tessheim in Flammen stand. „Frag nicht, wie sie das bewerkstelligen, denn ich habe dir schon mehr verraten, als ich durfte. Zwergengeheimnis, du verstehst schon.“ Eigentlich wollte er das auch gar nicht wissen. „Du hast erwähnt, dass zu viel Alkohol auch schädlich sein könnte, warum stehen wir noch hier?“ „Sitzen.“ „Was?“ „Wir stehen nicht, wir sitzen.“ Tordal schaute leicht verdutzt zu Glori hinüber. „Du kannst einem ganz schön auf die Nerven gehen. Wusstest du das?“ „Danke, das habe ich schon oft gehört.“ Darauf fiel Tordal momentan keine passende Antwort ein. „Du wolltest wissen, warum ich gestern nicht in Flammen aufgegangen bin.“, ohne eine Reaktion Tordals abzuwarten, fuhr er fort, "Ich habe einen kleinen Trick angewandt und die Erwärmung auf Eis gelegt. Verstehst du, die Erwärmung auf Eis gelegt.“ Anscheinend schien er irgendeine Art von Reaktion zu erwarten und zuckte, als diese ausblieb, leicht enttäuscht mit den Schultern.

„Ich habe keine Ahnung, wieso es bei mir anders wirkt. Ich bin in der Lage, die aufgestaute Wärmeenergie gezielt entweichen zu lassen.“ Ein Feuer speiender Zwerg, nicht übel, fuhr es Tordal in den Kopf. „Aber wo hast du, ich meine ich habe nicht gesehen, wie du...“ Der Zwerg sah ihn an und grinste. „Mein Geheimnis, aber ich könnte mir vorstellen, dass es heute flussabwärts eine Menge gegrillten Fisch geben wird.“ In Tordals Kopf zeichnete sich ein undeutliches Bild ab. „Aber lass mich lieber erzählen, was ich herausgefunden habe.“ „Was herausgefunden und über was?“ „Über wen, nicht über was, über wen.“ Gloris kleine Freunde in Tordals Kopf schienen nun den Lorenbetrieb aufgenommen zu haben und diesen auf seinen Magen ausdehnen zu wollen. Er musste essen und das schnell. „Ich habe heute Morgen schon einige Erkundigungen über deinen Freund Giganto eingeholt. Er hält sich momentan nicht in Tessheim auf.“ Tordals Interesse war geweckt. „Daraufhin habe ich Kontakt mit einigen alten Freunden von mir im Hafenviertel aufgenommen. Dort habe ich erfahren, dass er die Stadt schon vor mehreren Tagen Richtung Norden verlassen hat. Meine Freunde erzählten mir, er hätte auffällig viel Proviant mitgenommen.“ „Das heißt, er plant, länger unterwegs zu sein. Gute Arbeit, Glori.“ Nach Norden, die Karem Hochebene, von dort kam der Rukol. All die merkwürdigen Geschehnisse der vergangenen Monate schienen dort ihren Ursprung zu haben. Das konnte kein Zufall sein. In dem Kleinen steckte vielleicht doch mehr, als es nach außen hin den Anschein hatte. „Ja, ich weiß, aber jetzt sollten wir erst einmal dafür sorgen, dass du schnell wieder auf die Beine kommst, Langer.“ Glori sprang vom Bett auf und suchte ein paar Sachen zusammen. Dann ging er zur Tür und öffnete sie mit einer einladenden Geste. „Ich habe beim Wirt in der Taverne schon ein paar Goldstücke für ein ordentliches Frühstück hinterlegt, á la Zwergenart.“ „Natürlich, was sonst.“

Nachdem sie ein reichhaltiges Frühstück zu sich genommen hatten, entschlossen sie sich, Gigantos Schmiede im Regentenviertel aufzusuchen. Vielleicht konnten sie ja dort mehr über das Ziel und den Grund seiner Reise herausfinden. Sie durchquerten das Hafenviertel mit seinen alten Fabrikhallen. Vom Anblick der riesigen Hafenanlagen war Tordal beeindruckt wie ein kleines Kind beim Anblick eines Drachen. Seit den Jahren seiner Jugend musste der Hafen um mindestens das Doppelte angewachsen sein. Dabei galt er schon damals als der größte des Kontinents. Sie überquerten eine der vielen Brücken über den Regan. Der Fluss trennte das Hafenviertel vom Regentenviertel. Er hatte seinen Ursprung in den Skeldar Bergen, wo genau, wusste niemand, durchfloss die Kassam Ebene von Nord nach Süd und mündete schließlich in Tessheim in das Meer.

Die prunkvollen Bauten im Viertel des Regenten bildeten einen extremen Kontrast zu den anderen Vierteln der Stadt. Nirgendwo war ihr durch den Handel erworbener Reichtum deutlicher sichtbar als hier. Die Straßen hier waren bei weitem nicht so überlaufen wie in der restlichen Stadt. Dafür sah man hier viel weniger Angehörige nichtmenschlicher Arten. Letztendlich blieben die Reichen doch immer unter sich. So war es überall, und auch Tessheim bot da keine Ausnahme. „Da sind wir, die Heimat der Hochnäsigen. Die Schmiede befindet sich im Zentrum des Viertels. Einen tüchtigen Geschäftssinn kann man deinem Freund wirklich nicht absprechen.“ Das konnte Tordal nur bestätigen. Als er die Stadt damals verließ, betrieb Giganto noch eine kleine Hinterhofschmiede im Handwerkerviertel. In den Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte er es bis in das Herz des nobelsten und vornehmsten Viertels der Stadt geschafft. Sie gingen die Hauptgeschäftsstraße mit ihren feinen Boutiquen und Juwelieren entlang. Auf der linken Seite sah Tordal mehrere Wettbüros nebeneinander. Anscheinend war in der Stadt das Wettfieber ausgebrochen. Hinter dem in hellem Rot gestrichenen Hauptgebäude der Bank Tessheims bogen sie rechts um die Ecke und Tordal blieb wie angewurzelt stehen.

„Du meine Güte, was ist das denn?“ „Das ist Gigantos Schmiede. Habe ich nicht erwähnt, dass er sein Geschäft vergrößert hat?“ Tordal war auf Einiges vorbereitet gewesen, aber was er hier vor sich sah, übertraf seine kühnsten Erwartungen. „Nein, du hast vergessen, mir mitzuteilen, dass Giganto mittlerweile Großindustrieller geworden ist. Das ist keine Schmiede, das ist ... gigantisch.“ Obwohl er die 'Schmiede' sicher schon mehrmals gesehen haben musste, schien auch Glori beeindruckt von dem riesigen Bau. Das Gebäude erstreckte sich vor ihnen auf einer Breite von mehreren hundert Metern und was für den Baustil Tessheims absolut ungewöhnlich war, es schoss fünf Stockwerke in die Höhe. Über dem Eingang, der sich in der Mitte des Baus befand, prangte in meterhohen Buchstaben GIGANTO WAFFEN UND RÜSTUNGEN KG. „Vor ein paar Jahren ist er auf Massenproduktion umgestiegen. Bis ich dich kennen lernte wusste ich gar nicht, dass er früher tatsächlich Qualität produzierte.“ Tordal war erstaunt ob dieser Aussage. „Sind denn seine Anfertigungen nicht von guter Qualität?“ Glori verzog verächtlich das Gesicht. „Seine Waffen sind eher eine Gefahr für den Träger als für den Gegner, und seine Rüstungen würden nicht einmal dem Angriff eines Gnolls standhalten.“ Bei den Gnollen handelt es sich um kleine, behaarte, menschenähnliche Wesen, die hauptsächlich in den Bergen östlich der Karem Ebene leben. Bei ihrem Anblick verflüchtigt sich sämtlicher Kampfeswille sofort und wandelt sich in etwas, das am ehesten mit dem Gefühl einer Mutter, die ein Baby ansieht, zu vergleichen ist. Nur, dass schon viele diese Nachlässigkeit mit durchbissenen Achillessehnen und dem Verlust einiger Zehen bezahlt haben. „Aber warum ist er dann trotzdem so erfolgreich?“ Mit einer ausladenden Geste beschrieb er die Umrisse des gewaltigen Baus, vor dem sie sich befanden. „Er überschwemmt den Markt mit seinen Produkten. Sämtliche Konkurrenten hat er vom Markt verdrängt. Durch die Massenproduktion ist er in der Lage, die Preise der Konkurrenz immer wieder zu unterbieten.“ Das klang nicht nach dem Giganto, den er kannte. „Also, wie wollen wir es machen? Hast du einen Plan?“ „Plan? Was meinst du damit?“ Tordals Blick zeigte Unverständnis. „Ich dachte daran, dass du durch den Haupteingang gehst und sie ablenkst, während ich mich durch die Hintertür einschleiche, die Wächter erschlage, mich durch den Komplex kämpfe und jeden töte, bis ich die Informationen habe, die wir brauchen.“ „Deinen Enthusiasmus in allen Ehren, aber eigentlich hatte ich vor, nur ein paar Fragen zu stellen. Außerdem glaube ich kaum, dass wir in einer Schmiede – und sei sie noch so groß – auf viele schwer bewaffnete Wächter treffen werden.“ „Giganto, der im Übrigen mein Freund ist, falls du es vergessen haben solltest, wäre sicherlich auch nicht gerade sehr erbaut, sein Lebenswerk bei seiner Rückkehr in Schutt und Asche und seine Angestellten erschlagen und verstümmelt vorzufinden.“ Tordal hatte sich wieder in Bewegung gesetzt und stand nun direkt vor dem Eingang des Gebäudes, den kampfeslustigen Zwerg an seiner Seite. „Aber falls wir doch, sagen wir mal, durch puren Zufall, auf ein paar schwerbewaffnete Wachen treffen sollten und sie sich weigern, uns Auskunft zu geben, darf ich dann wenigstens ...?“ „Nein!“ Die Tür wich vor ihnen wie von Geisterhand zurück. Wahrscheinlich irgendein versteckter Mechanismus, mutmaßte Tordal. Der Raum, in den sie nun gelangten, war viel kleiner, als er aufgrund der gewaltigen Ausmaße des Gebäudes erwartet hatte. In diesem befanden sich Unmengen an Waffen und Rüstungsgegenständen verschiedenster Art. Die Wände waren behängt mit großschneidigen Äxten und Schwertern. Hinter einem Tresen am rückwärtigen Ende des Raumes hantierten zwei Zwerge an einer Rüstung. Als sie die beiden erblickten, war es Tordal, als durchliefe sie ein kurzes, erschrockenes Zucken. Glori zupfte ihn leicht an seiner Hose. „Was du hier siehst, ist alles Müll“, sagte er und deutete auf die Waffen und Rüstungen in dem Raum. „Wer sich im Kampf auf diesen Schund verlässt, ist verloren.“ So schlimm konnte es doch nicht sein, ging es Tordal durch den Kopf. Giganto war der beste Waffenschmied der gesamten Kassam Ebene, zumindest der Giganto, den er kannte. Irgendetwas an dieser Geschichte schien einfach nicht zu stimmen.

Sie hatten den Tresen erreicht, hinter dem sich nunmehr nur noch ein Zwerg befand. Der andere musste den Raum durch eine kleine unscheinbare Tür direkt hinter dem Tresen verlassen haben, die Tordal bis dahin nicht aufgefallen war. Der Zwerg wandte sich ihnen mit einem aufgesetzten Lächeln zu. „Mein Name ist Rivold Sargnagel. Welch ehrenwerter Besuch in unserer bescheidenen Werkstatt“, begrüßte er sie. Das war wohl die Untertreibung des Jahres, dachte Tordal. „Tordal der Kopfgeldjäger und Glori Stahlträger vom Stamm der Eisenfresser.“ „Woher kennst du unsere Namen?“ Tordal war erstaunt und beunruhigt zugleich. Ein nicht weniger aufgesetztes Lächeln als das letzte erschien auf dem Gesicht des Zwerges. „Wer in der Ebene kennt nicht Tordal, den Kopfgeldjäger? Außerdem hatte mein Herr eure Ankunft bereits vorausgesagt.“ Zu Glori gewandt fuhr er fort. „Was euch anbelangt, ihr seid eine Unbekannte in diesem Spiel.“ Unverständnis machte sich auf den Gesichtern der beiden Gefährten breit. Doch ohne weiter auf dieses Thema einzugehen, fuhr er in seinen Ausführungen fort. "In den letzten Tagen erreichten uns einige merkwürdige Nachrichten, die uns vermuten ließen, dass sich entweder ein Drachen oder ein Zwerg mit einer speziellen Fähigkeit in der Stadt aufhalten musste, und ich denke, ein Drachen wäre aufgefallen.“ Tordal entging nicht, dass der Zwerg es vermied, Glori in die Augen zu sehen. „Als nun heute Morgen Berichte eintrafen, in denen die Rede von einem brennenden Fluss war, bestand für uns kein Zweifel mehr. Leider hatten wir bis dahin keine Ahnung, dass sich der Sohn des großen Ribu Stahlträger in der Stadt aufhält. Es ist mir eine Ehre... .“ Tordal war überrascht, dass Sprache und Gesicht eines Zwerges so grundsätzlich unterschiedliche Meinungen aussagen konnten. Er war beeindruckt ob seiner künstlerischen Darbietung.

„Schon gut, sag uns, wo sich Giganto befindet. Wir haben ein paar Fragen an ihn“, schnitt ihm Glori das Wort ab. Rivold vollzog eine Geste des Bedauerns. Jetzt stand Tordal kurz davor, ihm offen Beifall zu zollen. „Leider ist mein Herr nicht zugegen, er befindet sich gegenwärtig auf einer Geschäftsreise durch die Ödlande.“ In Tordals Kopf schrillten die Alarmglocken. Die Ödlande befanden sich im Osten Tessheims, noch hinter dem Ergol Wald. Durch Gloris Nachforschungen wussten sie aber, dass er die Stadt Richtung Norden verlassen hatte. Die Gedanken in Tordals Kopf rasten geradezu. Es schien allerdings ein wenig an der Koordination zu hapern. Was ging hier vor sich, warum log der Zwerg ihn an? Auch sein Begleiter schien, was seine Herkunft betraf, ein Geheimnis vor ihm zu verbergen. Glori drehte sich zu ihm um. „Darf ich ihn ein wenig beeinflussen?“ Die Art, wie er dieses Wort betonte, bereitete Tordal Unbehagen.

Glori sah ihn mit einem Blick an, der zwei Dinge gleichzeitig zum Ausdruck brachte. Erstens, dass er die Lüge Rivolds als solche erkannt hatte. Außerdem schaffte er es irgendwie, allein durch seinen Blick zum Ausdruck zu bringen, dass er bereit wäre, Rivold so oft mit seinem Kopf gegen die Wand zu schlagen, bis entweder die Wahrheit oder etwas anderes zum Vorschein kam. Er musste Glori später unbedingt darauf ansprechen, denn diese Art der wortlosen Drohung konnte einem in verschiedensten Situationen zum Vorteil gereichen. Tordal konnte nicht ahnen, dass ein wahrer Meister seines Faches vor ihm stand. Denn immerhin war Glori sechsfacher zwergischer Meister in den Disziplinen 'lautloses Schreien' und 'sinnlose Telepathie'. Zudem hielt er den Rekord im Draufhauen bis nichts mehr da ist. Bei den meisten Zwergen war die Gabe der Telepathie nur noch ein Schatten dessen, was sie früher einmal gewesen war. Sie nutzten sie nur noch dazu, einem gewissen Berufsstand zu verdeutlichen, sodass vor ihnen schnellst möglich ein frisches Bier aus dem Nichts erscheinen sollte, wenn die betreffende Person an sämtlichen ihrer Gliedmaßen hing. Bei Glori war dieses Talent noch weitaus stärker ausgeprägt. Ähnlich wie bei seiner besonderen Art der Sofortumwandlung nutzte er seine Fähigkeit dazu, überschüssige oder aufgestaute, meist negative, Energie auf andere Wesen zu übertragen. Mit anderen Worten, er war ein laufender Dampfkessel. Nicht ohne Grund befanden sich etwa die Ameisenvölker in seiner Heimat in einem schon Generationen währenden Krieg miteinander. Noch weniger ahnen konnte er, dass Glori aufgrund seines leicht aufbrausenden zwergischen Gemüts schon kurz vor der Explosion stand und dringend einen Katalysator für seine aufgestaute Energie suchte. Tordal zeigte sich inspiriert und versuchte, dem Zwerg auf eine ebensolche lautlose Weise zu antworten, was ihm, wenn er Gloris ratlosen Gesichtsausdruck und seine verwirrten Blicke in Richtung eines gewaltigen Kriegshammers, der über der kleinen Tür hinter dem Tresen hing, richtig deutete, nicht wirklich gelang. Er konzentrierte seine Gedanken auf ein einziges Wort, NEIN. Der Zwerg zog fragend die Augenbrauen in die Höhe, schien aber letztendlich doch zu verstehen. Er löste langsam den Griff, den er anscheinend um alles gelegt hatte, was dem Begriff Waffe entsprach und versuchte vergebens, ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern als er sich herumdrehte. Tordal zeigte sich erstaunt, dass man mit so kleinen und vor allem so wenigen Händen so viele Gegenstände gleichzeitig umklammern konnte. „Hat dein Meister erwähnt, wie lange er sich in den Ödlanden aufhalten wolle?“ Rivold schien von dem wortlosen Disput nichts mitbekommen zu haben. „Er sprach von einem Monat, vielleicht auch länger.“ So lange konnten sie unmöglich warten. Warum hatte Giganto dem Zwerg aufgetragen, ihm in Bezug auf Sinn und Zweck seiner Reise eine Lüge aufzutischen? „Solltest du in Kontakt mit deinem Meister stehen, könntest du ihm dann ausrichten, dass sein alter Freund Tordal ihn im Gasthaus...“ Tordal drehte sich zu Glori. „Riesenzwerg“, half ihm dieser weiter. „Das ich im Gasthaus 'Riesenzwerg' eine Unterkunft genommen habe und auf ihn warte?“ Tordal sah Glori noch einmal irritiert an. „Natürlich, das werde ich tun“, bestätigte Rivold. „Danke.“

Tordal drehte Glori an der Schulter herum und schob ihn vor sich her in Richtung Ausgang. „Ich hoffe, die Herrschaften beehren uns bald wieder“, hörte er noch die Worte Rivolds und spürte förmlich, dass sie das genaue Gegenteil von dem zum Ausdruck brachten, was er tatsächlich dachte. Draußen vor der Tür angekommen löste sich der Zwerg aus seinem Griff und sah ihn verwirrt an. „Du weißt genauso gut wie ich, dass er gelogen hat. Warum lassen wir ihm das durchgehen?“ „Weil ich wissen will, warum er den Auftrag hatte, uns zu belügen. Außerdem weiß er nicht, dass wir wissen, dass er lügt. Jedenfalls soweit wir wissen.“ Währenddessen flog hoch über ihnen eine ziemlich wütende Taube ihren nächsten Angriff auf einen irritiert dreinschauenden Adler. In Gloris Gesichtsausdruck mischte sich eine Spur von Erstaunen. „Du willst diesen Vorteil für dich nutzen, aber wie?“ „Ganz einfach, wir werden Giganto folgen.“ „Aber du hast Rivold doch gesagt, dass wir hier auf seinen Meister warten werden.“ Ein Lächeln erschien auf Tordals Gesicht „Ganz genau“, sagte er nur.

SO BEGINNT ES ALSO. „Was hast du gesagt?“ Der Zwerg sah ihn irritiert an.

„Was meinst du? Ich habe nichts gesagt.“ Tordal war sich sicher, die Stimme klar und deutlich gehört zu haben, ließ es aber auf sich beruhen. Sie gingen wortlos zurück zum 'Riesenzwerg' und trafen alle Vorkehrungen für ihre baldige Abreise.

Weit im Norden, hoch in den Bergen des Karem Plateaus trieb unterdessen ein Zwerg sein Reittier zu immer neuen Höchstleistungen an. Mächtige dunkle Magie breitete sich zum Schutz vor Räubern, Unwetter und den Angriffen von Raubtieren wie ein Mantel über ihm aus. Blitze zuckten verängstigt durch die Nacht und der Donner hatte seinen gestrigen, ihm gewerkschaftlich zustehenden, freien Tag genutzt und lief nun wieder zu Höchstform auf. Das Ziel war nah, das konnte er spüren. Bald würde es soweit sein. Er konnte es kaum noch erwarten.

Aufbruch

Nachdem sie bei einem Händler drei Pferde erworben und Proviant für mehrere Wochen gekauft hatten, verließen sie die Stadt Richtung Norden. Glori war immer noch verwundert darüber, dass Tordal alle Lebensmittel, die sie erworben hatten, sofort getestet hatte. Als sie nun das Nordtor der Stadt durchquerten, wurde Tordal erst richtig bewusst, dass er praktisch nichts von dieser gesehen hatte. Dabei hatte er sich wirklich auf die Rückkehr zum Ort seiner Jugend gefreut. Aber die Dinge hatten sich anders entwickelt, als es vorhersehbar gewesen wäre. Glori wirkte etwas unglücklich auf dem für ihn viel zu großen Pferd. Sie hatten leider kein passendes Reittier, z.B. eine Ziege, für jemanden in seiner Größe finden können. Dem Pferd dagegen war, so kam es Tordal jedenfalls vor, ein breites Grinsen im 'Gesicht' erschienen, als es den Zwerg entdeckte. Dieses hielt aber nur an, bis sich der schwer gepanzerte und überbewaffnete Zwerg mit Hilfe einer Leiter auf das Pferd schwang. Die Augen des Tieres weiteten sich daraufhin ob der großen Belastung, der es ausgesetzt war. Die beiden Gefährten wollten solange wie möglich auf der gepflasterten Handelsstraße reisen, die den Kontinent in einem großen Bogen um die Skeldar Berge durchquerte. Sie endete schließlich im Nordosten vor den Toren Schwenkstadts, der zweitgrößten Stadt des Kontinents. Zwischen den beiden Städten herrschte seit jeher ein reger Handel. Allerdings standen die Dinge auf der politischen Ebene bei weitem nicht so gut. Beide Städte nahmen für sich den Titel der größten Handelsmetropole in Anspruch, welcher wirtschaftliche Vorteile mit sich brachte. Seitdem der Regent in Tessheim an die Macht gekommen war, hatte die Stadt in diesem Rennen die Nase vorn. Noch war es zu keinen militärischen Auseinandersetzungen gekommen, doch jede Seite beschuldigte die andere, einen Militärschlag gegen sie vorzubereiten.

Glori gab seinem Pferd die Sporen, was dieses mit einem wütenden Blick in seine Richtung quittierte. Bei jeder Bewegung des Zwergs erklang ein metallisches quietschen. „Reiten ist nichts für Zwerge“, brachte er leicht gequält hervor. „Diese widerspenstigen Biester warten doch nur auf den Moment, in dem sie einen abwerfen können. Es sind hinterhältige Wesen.“ Glori atmete angestrengt mehrmals tief durch. „Bei uns im Norden reiten wir, wenn überhaupt, nur auf speziell für Zwerge gezüchteten Reittieren.“ Sag ich doch, Ziegen, dachte Tordal. „Sicherlich hast du schon von den berühmten Zwergenponys gehört“, fuhr er in stolzem Tonfall fort. „Sie sind in der Lage, auch beinahe senkrechte Felswände zu überwinden und trotzen ohne Schwierigkeiten den Widrigkeiten des Wetters in den Bergen. Was für fantastische Tiere. Aber diese hier ...“ Er machte eine wegwerfende Geste. Tordal hatte das Gefühl, dass Gloris Reittier aufmerksam zuhörte. „Meinst du nicht, dass du es etwas übertreibst?“ „Was meinst du damit?“ Tordal warf einen Blick auf den quietschenden Zwerg vor ihm. „Die Rüstungen und die Waffen, warum das alles?“ Glori zeigte sich erstaunt ob der Naivität seines Gegenübers. „Ich möchte nur auf alles vorbereitet sein. Man kann doch nie wissen, welche Gefahren einem die Zukunft bringt. Stell dir nur einmal vor, wir träfen auf einen Gebirgsdrachen, was dann?“ „Ja, was dann? Willst du ihn mit deinem Gequietsche in den Wahnsinn treiben, oder versuchst du mit deiner tonnenschweren Rüstung, vor ihm davonzulaufen?“ Der Zwerg zeigte sich wenig beeindruckt. „Glori Stahlträger geht nie unvorbereitet in einen Kampf.“ Tordal schüttelte den Kopf. „Na gut, es ist deine Sache. Aber jammere mir nachher nicht rum, wenn du durch die Hitze in deinem Panzer geröstet wirst.“ „Ein Zwerg jammert nicht.“ Glori warf den Kopf in den Nacken und beschleunigte sein Pferd. Was für ein Dickkopf, aber das war normal für seine Arten. Er konnte nicht genau sagen warum, denn eigentlich nervte ihn alles an dem Zwerg, aber er mochte ihn. Tief in seinem Inneren wusste er, dass er von ihm noch so einige Überraschungen erwarten konnte.

Sie durchritten jetzt schon seit mehreren Stunden die fast baumlose Steppenlandschaft, die einen Großteil der nördlichen Kassam Ebene einnahm. Bis auf einige Chelbur und Schafe trafen sie kaum auf tierisches Leben. Nur vereinzelt begegneten ihnen andere Reisende. Bis zum Abend wollten sie die Ausläufer der Wälder erreichen, die sich von dort bis hin zu den Skeldar Bergen erstreckten, denn obwohl er nicht davon ausging, in dieser fast deckungslosen Landschaft angegriffen oder überfallen zu werden, ersehnte er sich doch den Schutz des Waldes. Es würde ihm größtes Unbehagen bereiten, hier in der Ebene ein offenes Feuer für die Nacht entzünden zu müssen. Gleichwohl gab es hier auch keine Höhlen oder Felsen, die einem Deckung geben konnten. Er kam sich vor wie auf dem Präsentierteller. Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, dass sie verfolgt wurden. Auch, wenn er bisher keine Verfolger hatte ausmachen können, konnte er sich dieses Gefühls nicht entledigen. Er hatte immer noch keine Ahnung, welche Rolle Giganto in diesem Spiel spielte. Aber das Ganze gefiel ihm überhaupt nicht. Er musste weiterhin wachsam sein.

Kurz nach Einbruch der Dunkelheit erreichten sie den Wald. Er bestand hauptsächlich aus mächtigen Eichen und Birken und nur wenige Nadelbäume hatten sich in ihn verirrt. Viele kleine und große Wesen hatten hier ihre Heimat gefunden. Schon lange war er nicht mehr in den nördlichen Landen gewesen. Sie entschlossen sich, noch ein Stück weiter in ihn hinein zu reiten und schlugen dann auf einer kleinen Lichtung ihr Lager auf.

„Ich sammle etwas Holz für das Feuer“, bot sich Glori an. Tordal hatte keine Einwände, und so verschwand der Zwerg laut quietschend im Dickicht des Waldes. Bald darauf kehrte Ruhe ein und Tordal war tief in Gedanken versunken, als ihn ein Geräusch aufschreckte. Er schrak hoch und versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen. Er war allein, die Dunkelheit hatte mittlerweile den Kampf gegen die Dämmerung gewonnen. Er wusste nicht genau, aus welcher Richtung das Geräusch gekommen war und drehte sich deshalb angespannt lauschend langsam im Kreis. Wieder ein Knacken, diesmal konnte er die Richtung genauer bestimmen und bewegte sich vorsichtig darauf zu. Es konnte nicht der Zwerg sein, dessen Quietschen und Knarren hätte ihn schon lange verraten. Er glaubte nun, eine Art tiefes Raunen zu hören und griff nach seinem Schwert. Vorsichtig und möglichst leise löste er es aus der Scheide. In dem Moment als er das Dickicht des Waldes erreichte, brach Glori direkt neben ihm durch das Unterholz und fuhr erschrocken zusammen. Tordal, nicht minder erschrocken wegen des lautlosen Anschleichens des Zwerges, hätte diesem beinahe mit seinem Schwert einen Kopf kürzer gemacht. „Verdammt, hast du mir einen Schrecken eingejagt und wo ist eigentlich deine Rüstung?“ Glori, nach Atem ringend, versuchte, ihm durch wilde Gesten irgendetwas zu sagen. Da er dazu Hände, Füße und anscheinend auch seinen Bart benutzte, machte dies auf einen außen stehenden Beobachter den Eindruck einer vollkommen überdrehten Puppenspielaufführung. Lauter werdende Geräusche aus der Richtung, aus der Glori gekommen war, ließen Tordals Gefahreninstinkt sofort anspringen. Glori war mittlerweile wieder auf den Beinen und versuchte, Tordal mit sich ins Buschwerk zu ziehen. Kaum hatten sie Deckung gefunden, durchbrachen mehrere Wesen das Unterholz direkt neben ihnen. Es waren fünf riesige ausgewachsene Trolle. Vier von ihnen schwangen gewaltige, hölzerne Keulen. Der fünfte und auch größte und hässlichste der Gruppe schien der Anführer zu sein und trug als einziger ein gewaltiges zweihändiges Schwert. Er schwang es, als handele es sich dabei um einen Zahnstocher. In der anderen Hand hielt er Gloris Rüstung. Der Zwerg machte eine abweisende Geste und sagte nur „zu schwer“. Der Anführer bellte einen heiseren Befehl und die Gruppe blieb stehen. Sie befanden sich keine zehn Meter von ihrem Versteck entfernt und schienen auf etwas zu warten. Kurz darauf erschien ein weiteres Wesen vor ihnen und ging langsam auf die Trolle zu. Nur, dass dieses Wesen kleiner, aber beinahe ebenso massiv gebaut war. Es war ein Zwerg, soweit diese Bezeichnung ihm überhaupt gerecht wurde. Seiner Abstammung nach war er ganz klar ein Zwerg, er war aber drei gute Köpfe größer als Glori und sein Körper schien ein einziger gigantischer Muskel zu sein. GEFAHR, DER FEIND IST NAH. ES WIRD BLUT FLIESSEN, VIEL BLUT. Dieses Mal war sich Tordal sicher, die Stimme direkt in seinem Kopf gehört zu haben, außerdem hatte Glori vor Angst in den letzten Sekunden sogar die Atmung eingestellt. Er konnte es also nicht gewesen sein. Doch Tordal musste sich wieder auf das Geschehen vor ihnen konzentrieren, und das war beunruhigend genug. Er hatte den Zwerg schon einmal gesehen, und zwar in der Schmiede in Tessheim. Es war der Zwerg gewesen, der den Raum kurz nach ihrem Betreten verlassen hatte. Er hatte ihn nur flüchtig gesehen, konnte sich aber nicht daran erinnern, dass es ein Berserkerzwerg, oder was auch immer er hier vor sich hatte, gewesen war. Sogar die Trolle wirkten in der Gegenwart des Wesens eingeschüchtert. Der Anführer der Trolle sagte etwas zu dem Wesen und dieses antwortete mit einem markerschütternden Schrei und schwang dabei seine riesige Axt. Die Erde erzitterte leicht als sich die Gruppe wieder in Bewegung setzte und im dichten Unterholz des Waldes verschwand. Als wieder Stille eingekehrt war, hörte er Glori aufatmen. „Verdammte Axt, ein Schlachtenwüter!“ Tordal sah den Zwerg verständnislos an. „Ein was? Ich habe noch nie von solch einem Wesen gehört?“ Glori zog ihn noch etwas weiter in das Dickicht hinein. „Ein Schlachtenwüter, bei uns gehören sie zu den Legenden, wie bei euch Menschen eure Dämonen. Einst waren sie tapfere Krieger, die Besten der Besten sozusagen. Dann, im dunklen Zeitalter, schien das Ende der Welt der Zwerge gekommen zu sein. Im Kampf gegen einen übermächtigen Gegner waren wir in eine ausweglose Situation geraten. Wir befanden uns mit dem Rücken zur Wand, wenn du so willst. Um den Untergang ihrer Art zu verhindern, begingen einige der größten zwergischen Krieger und ein mächtiger Magier einen großen Frevel. Der Magier verwandelte die Krieger in beinahe unbesiegbare Kampfmaschinen, mit überzwergischen Kräften, die die Reihen der Gegner durchpflügten wie der Sturm ein Kornfeld. Sie hinterließen Tod und Verwüstung. Doch, was noch schlimmer war, sie befanden sich in einem derartigen Blutrausch, dass sämtliches logische Denken, sämtliche Emotionen abgeschaltet wurden. In ihrer Blutgier fielen sie auch über die Stämme des eigenen Volkes her und konnten nur mit Mühe und mit Hilfe des Magiers verbannt werden. Angeblich fristen sie seitdem ihr Dasein in den Tiefen der Hölle.“ Tordal musste zugeben, dass diese Geschichte ihn tief beeindruckt hatte. Insbesondere, da noch vor wenigen Minuten eines dieser Wesen vor ihm gestanden hatte, lebend und atmend. Glori hatte sich inzwischen aufgerichtet, soweit man bei einem Zwerg davon sprechen konnte, den Schmutz von seinen Sachen geklopft und sah Tordal an. „Bisher glaubte ich immer, es handle sich dabei nur um Legenden, Mythen wie sie bei jedem Volk vorkommen. Ich hätte nie gedacht, mal einem leibhaftigen Schlachtenwüter gegenüberzustehen. Ich hätte mir fast in die Rüstung gemacht. Welche dunkle Magie hat ihn nur gerufen?“ Tordal konnte Gloris Besorgnis verstehen. Doch wie konnte das sein, er hatte den Zwerg doch erst in der Schmiede gesehen, wenn auch nur kurz. Doch er würde schwören, dass er die normale Statue eines Zwerges gesehen hatte und ganz gewiss nicht dieses Ungeheuer. Dann brach es aus ihm heraus. „Was zum Teufel geht hier vor?“ Glori deutete ihm mit vor dem Mund gehaltener Hand an, ruhig zu sein. „Du musst es doch nicht darauf anlegen, oder? Nach dem, was ich eben gesehen habe, würde es mich auch nicht mehr wundern, wenn er hier auftaucht wenn du nach ihm rufst.“ Er sah zu dem Zwerg herunter und nickte leicht mit dem Kopf. „Vielleicht hast du Recht, Zwerge, die sich in Kampfmaschinen in der Größe eines Ogers verwandeln und ein alter Freund, der sich anscheinend mit schwarzer Magie beschäftigt. Wer weiß, was noch alles passieren wird, vielleicht fliegende Trolle oder freundliche Zwerge?“ Glori sah ihn abschätzend an. „Was willst du damit sagen, dass wir Zwerge unfreundlich sind?“ Tordal machte eine beschwichtigende Handbewegung in Richtung des Zwerges. „Nein, natürlich nicht, ich meine nur, dass ... dass Zwerge nicht gerade dafür bekannt sind, sagen wir, die Frohnaturen unter allen Arten zu sein.“ „Häh?“ „Verdammt, ihr seid rotzfrech und grummelig und ... und wenn ihr mal nichts von beidem seid, seid ihr entweder betrunken, schlaft oder kämpft.“ Er konnte regelrecht sehen, wie es im Kopf des Zwerges arbeitete. „Im Großen und Ganzen dürfte das wohl zutreffen“, antwortete Glori und die Anspannung wich aus seinem Gesicht. Tordal war überrascht, wie gut der Zwerg seinen Ausbruch aufnahm. „Komm, sammeln wir unsere Sachen zusammen und holen die Pferde.“ Er wand sich um und ging in Richtung ihres Lagers davon. Tordal wartete noch einen kurzen Moment und ging dem Zwerg dann hinterher.

Tiefer im Wald war ein extrem erregter, um nicht zu sagen geradezu aufgebrachter Specht dabei, eine dreihundertjährige Bergtanne zu fällen. Er konnte sich auch nicht erklären, woher diese plötzliche Wut kam und hämmerte weiter auf den Baum ein.

Sie brachen auf und beschlossen, die Nacht durchzureiten, denn im Wissen der Nähe des Schlachtenwüters und seiner Trollfreunde würden sie keinen Schlaf finden. Der Weg nach Norden erwies sich als beschwerlich. Sie kämpften sich durch dichtes Buschwerk und mussten einige Male absteigen, um sich mit ihren Waffen einen Weg zu bahnen. Nur wenige Abenteurer und einige verwegene Händler reisten in den Norden der Kassam Ebene. Außer Wald und Bergen gab es dort praktisch nichts. Die letzten Siedlungen befanden sich in den nördlichen Ausläufern des Waldgebietes zu Füßen der gewaltigen Gipfel des Skeldar Gebirges. Die Eichen und Birken der Randgebiete des Waldes waren nun Nadelbäumen, hauptsächlich Tannen und Fichten gewichen.

Es dämmerte bereits, als sie das Dorf entdeckten. Wie aus dem Nichts war es vor ihnen erschienen. Sogar jetzt, wo sie nur noch einige Dutzend Meter entfernt waren, konnte man die aus dunklem Holz gebauten Häuser kaum erkennen.

Sie näherten sich vorsichtig, die Pferde an der Leine hinter sich herziehend. Die beiden Gefährten wechselten einen kurzen Blick und gingen langsam auf die Gebäude zu. Es waren einfache Holzhütten mit Strohdächern und aus einigen von ihnen stieg Rauch aus den Schornsteinen. „Es ist also jemand zu Hause, dann lass uns mal sehen, wer hier lebt“, sagte Tordal. Jetzt, wo er nicht mehr die ihn mehr behindernde als schützende Rüstung trug, zeigte sich, dass Glori sehr flink auf den Beinen war. Behend huschte er die Schatten als Deckung ausnutzend, zum ihnen am nächsten stehenden Haus. Vorsichtig sah er durch eines der ihnen zugewandten Fenster. Kurze Zeit später gab er Tordal ein Zeichen, näher zu kommen und verließ seine Deckung. „Alles in Ordnung, es sind Menschen“, meinte er, als Tordal ihn erreicht hatte. „Was meinst du, sollen wir uns ihnen zeigen oder weiterziehen?“ Der Zwerg deutete mit seiner Mimik bereits an, welche der Alternativen ihm vorschwebte. „Es ist besser wir bleiben, denn wir werden wahrscheinlich bald keine sicheren Unterkünfte mehr genießen können. Ich hoffe nur, dass unsere Freunde unsere Spur wieder verloren haben.“ Beim Gedanken an das Wesen durchlief ihn ein eisiger Schauer. Giganto mein Freund, auf was hast du dich da nur eingelassen?

Sie gingen zur Tür an der Frontseite des Hauses und klopften. Von innen hörten sie Geräusche, die sich anhörten, als würden viele, nein sehr viele Schlösser geöffnet und Riegel entfernt, bevor die Tür einen Spalt breit aufschwang.

„Wer seid ihr, und was wollt ihr von uns?“ Die Stimme klang hart, aber nicht unfreundlich, und war eindeutig männlich, wobei es da z.B. bei den Zwergen einige Eigenheiten gibt, für deren Erklärung leider keine Zeit bleibt. „Wir sind Reisende auf der Suche nach einer sicheren Unterkunft für uns und unsere Pferde“, sagte Tordal und deutete auf die drei Tiere, die vor dem Haus standen. Die Tür wurde nun ganz geöffnet und das kantige Gesicht eines Mannes in mittleren Jahren erschien aus dem Dunkel des Hauses. Nun wurden auch einige Kerzen im Haus entzündet und Licht breitete sich in ihm aus. Der Mann trat vor die Tür hinaus und musterte seine Besucher. „Die Pferde könnt ihr in die Scheune bringen.“ Dabei deutete er auf das gegenüberliegende Gebäude. „Was euch anbelangt, es zieht ein Unwetter auf, ihr könnt oben im Dachzimmer schlafen. Falls ihr noch Platz in euren Mägen habt, meine Tochter kocht gerade Suppe. Ihr seid eingeladen.“ Tordal, der überrascht war ob der Gastfreundschaft, brachte nur ein „Danke“ heraus. Tordal und Glori brachten die Pferde in der Scheune unter und begaben sich nun zu den Bewohnern des Hauses in die Küche. Draußen hatte es unterdessen zu regnen begonnen und ein frischer Wind war aufgezogen. „Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Wie unhöflich von mir“, meinte ihr Gastgeber und wies ihnen ihre Plätze zu. „Mein Name ist Kelar und das hier ist meine Tochter Glynn.“ Das junge Mädchen tischte ihnen gerade die Suppe auf. Tordal schätzte sie auf nicht älter als fünfzehn. Sie war ein hübsches Kind, würde einmal eine schöne Frau werden, dachte Tordal. Sie bewegte sich anmutig und schien trotz ihrer zierlichen Gestalt sehr kräftig zu sein. Mit dem schweren Kochtopf hantierte sie herum, als wöge er nichts. „Wisst ihr, wir bekommen selten Besuch, nur wenige verirren sich hier her. Wie sagtet ihr noch sind eure Namen?“ Glori machte sich über ein für ihn frisch gezapftes Bier her. Ihr Gastgeber schien die Bedürfnisse eines Zwerges genau zu kennen. Tordal stieß ihn mit dem Ellenbogen an und gab ihm zu verstehen, dass er es mit dem Alkohol nicht übertreiben sollte. „Mein Name ist Tordal, und das ist mein“, er sah zum sich über das zweite Bier hermachenden Zwerg, „Begleiter Glori Stahlträger. Wir sind auf dem Weg zur Karem Hochebene.“ Kelar zeigte einen erstaunten Gesichtsausdruck. „Die Karem Ebene, wirklich?“ Tordal drückte Glori, der schon auf dem Weg war, sich seinen Krug neu zu füllen, in den Stuhl zurück. „Willst du unseren Gastgebern zum Dank das Haus anzünden? Reiß dich gefälligst zusammen und trinke von mir aus Wasser oder Tee, aber keinen Alkohol mehr, hast du verstanden?“ Glori sank schuldbewusst in den Hocker zurück. „Hast ja Recht, ich habe mich manchmal einfach nicht unter Kontrolle.“

Ihr Gastgeber überging ihre kleine Auseinandersetzung. „Fühlt euch wie zu Hause. Wir freuen uns, endlich einmal wieder Gäste zu haben, nicht war Glynn?“ „Ja, Papa.“ Sie hatte sich unterdessen zu ihnen an den Tisch gesetzt und löffelte ihre Suppe. Die Küche war wie das ganze Haus rustikal, doch irgendwie gemütlich eingerichtet. An den Wänden hingen einige Bilder mit Jagdmotiven. Die Küchenmöbel, allesamt aus Holz, waren alt aber sehr robust. Tordal schätzte, dass sie auch die nächsten tausend Jahre unbeschadet überstehen würden. Allerdings hatte der Schreiner bei der Herstellung den Blickpunkt der Bequemlichkeit außer Acht gelassen. Glori hatte momentan ein ganz anderes Problem. Er suchte nach einer Möglichkeit, die in ihm angestaute Hitze zu entlassen ohne zu großes Aufsehen zu erregen. Der Wind war inzwischen zu einem Sturm herangewachsen. Sein Heulen war nun nicht mehr zu überhören. Ein Blick durch das Fenster ließ Tordal erkennen, dass der Regen beinahe waagerecht an diesem vorbei getrieben wurde.

„Schön habt ihr es hier. Lebt ihr hier allein, du und deine Tochter?“ Kelar unterbrach was immer er auch gerade mit dem Essen anstellte (essen jedenfalls nicht) und legte den Löffel neben seinen Teller. „Danke, ja wir leben allein in diesem Haus. Gegenüber wohnt noch Wokan und im Haus am Ende des Weges lebt der Alte Gekal mit seinem Jungen.“ Tordal war neugierig geworden. „Warum lebt ihr hier so abgeschieden, ist das denn nicht etwas ungewöhnlich?“ Kelar sah ihn freundlich an. „Wir haben unsere Gründe dafür. Aber wir kommen zurecht. Es gibt genug Wild und wir haben ja auch noch uns.“ Glori spürte wie das leichte Sodbrennen in ihm zu einem kleinen Lagerfeuer anwuchs.

Erst jetzt fiel Tordal auf, wie stark behaart die Hand seines Gastgebers war. Ein ungewöhnlich starker Haarwuchs, vielleicht durch eine Krankheit hervorgerufen, denn auch seine Tochter zeigte außergewöhnlich starken Körperhaarbewuchs.

„Geht es eurem Freund gut? Er sieht ein wenig angespannt aus.“ Erst jetzt sah Tordal, dass Gloris Gesicht rot glühte und ihm Dampf aus den Ohren stieg. ER IST HIER. Wieder diese Stimme in seinem Kopf, wurde er vielleicht wahnsinnig? In diesem Moment sprang der Zwerg auf und rannte aus den Ohren qualmend und zischend zur Tür. Kelar und seine Tochter sahen überrascht dem Irrwisch der durch ihr Haus rannte hinterher. „Was hat er, geht es ihm nicht gut, braucht er Hilfe?“ „Nein, nein keine Sorge, er hat nur ein leicht zu erhitzendes Gemüt. Manchmal muss er Dampf ablassen.“ Glori riss die Tür auf und spie einen Feuerstrahl auf den Kopf des verdutzten Trolls vor der Tür. Dieser fing sofort Feuer und taumelte zurück. Was den dahinter stehenden Troll nicht davon abhalten konnte, auf die Tür zuzustürmen. Glori schlug die Tür im letzten Moment noch vor ihm zu, um im nächsten Augenblick in einem wahren Sperrholzregen zu stehen, als der Troll durch die Tür brach.

Tordal sprang auf und griff nach seinem Schwert. Ihre Gastgeber zeigten keinerlei Angst und zogen sich in die hintere Hälfte des Zimmers zurück. Glori hatte sich inzwischen aus dem Schuttberg befreit, der von der Tür übrig geblieben war und schlug einem Troll, der gerade den Kopf durch die Tür steckte mit der stumpfen Seite seiner Axt heftig auf den Kopf. Der brach überrascht von der Wucht des Angriffs benommen zusammen. „Glori, komm von der Tür weg, wir müssen uns einen anderen Weg hinaus suchen.“ Der Zwerg wich mit der Axt wild um sich schlagend zurück. „Gib es eine Hintertür in diesem Haus?“ Die Frage war an ihr Gastgeber gerichtet. Als er keine Antwort erhielt, blickte er zu Glori und sah, dass dieser einen Punkt hinter seinem Rücken anstarrte. „Was ist denn los?“ Er drehte sich um und erstarrte mitten in der Bewegung. Mit den beiden hatte eine Furcht erregende Veränderung stattgefunden. Ihre Hände hatten sich in Klauen verwandelt und ihre Beine wirkten seltsam gekrümmt. Auch ihre Gesichter hatten sich auf unheimliche Weise verändert. Sie schienen zu Grimassen verzehrt zu sein. „Was zum...“, entwich es Tordal. „Werwölfe, das sind verdammte Werwölfe!“, rief Glori. Inzwischen hatte sich der Troll, der durch die Tür gebrochen war erhoben und schüttelte sich. Tordal konnte einen flüchtigen Blick durch die Tür werfen und sah, dass Glori den Troll, den er mit seinem Feuerstoß erwischt hatte, wohl doch ernsthaft verletzt haben musste. Er lag regungslos vor der Tür und sein Oberkörper qualmte. ER IST HIER. ER WILL DICH. Dass „er“ der Schlachtenwüter sein musste, war Tordal inzwischen aufgegangen. Er spürte, wie ein leichtes Vibrieren durch sein Schwert lief. Die Verwandlung der beiden Werwölfe war inzwischen abgeschlossen und Tordal gefiel es gar nicht, zwischen Trollen und Werwölfen zu stehen und keinen Ausweg zu wissen. Glori gab ihm ein Zeichen, sich Richtung Wohnzimmer zurückzuziehen, und setzte sich selber in Bewegung.

„Was nun, hast du eine Idee, wie wir heil aus diesem Schlamassel kommen können?“ Tordal hatte nicht die geringste Ahnung. Er vernahm ein lautes Knurren und sah, wie sich Glori gerade noch rechtzeitig ducken konnte, um dem Sprung eines der beiden Wehrwesen auszuweichen. Der Größe nach zu urteilen musste es sich um Kelar handeln. Doch er griff nicht die beiden Gefährten an, sondern stürzte sich auf den in der Eingangstür stehenden Troll. Glori sog überrascht die Luft ein und deutete auf den Flur. „Die Hintertür, das ist unsere Gelegenheit.“ Sich rückwärts Richtung Tür bewegend, suchte Glori nach etwas, was er als Wurfgeschoss einsetzen konnte. Werfen lag ihm allerdings nicht. Er würde mit einer Wurfaxt nicht einmal einen Drachen treffen, der direkt vor ihm stand. Da aber praktisch jeder in dem Haus ein Gegner war, machte er sich keine Gedanken. Irgendwen würde er schon treffen.

Unterdessen hatte sich das kleinere der beiden wolfsähnlichen Wesen, es musste sich um die Tochter handeln, ebenfalls in das Kampfgetümmel gestürzt und sich in das rechte Bein eines Trolls verbissen. Wo war der Schlachtenwüter? Der Dämonenzwerg musste sich in der Nähe aufhalten. Tordal glaubte nicht, dass die Trolle eigenständig handelten, denn sie waren nicht gerade für ihren überragenden Intellekt bekannt. Glori griff nach dem erstbesten, schweren Gegenstand, den er zu fassen bekam, und hielt nun ein großes Fass Bier in der Hand. Er hielt kurz inne, nahm einen kräftigen Schluck, genauer gesagt leerte er das halbe Fass und stellte es behutsam wieder zurück. Tordal vernahm einen gurgelnden Schrei und sah, wie der Troll, den Kelar und Glynn angegriffen hatten, sich die rechte Hand vor die Kehle haltend, blutüberströmt zusammenbrach.

Glori und er hatten die Hintertür erreicht und rissen sie auf. Nachdem sie im Sprint einige Meter zurückgelegt hatten, erscholl ein gewaltiges Splittern und Bersten von der Vorderseite des Hauses. Kurz darauf erklang ein unheilvolles Brüllen und Tordal wusste nun genau, wo sich der Schlachtenwüter aufhielt. Viel zu nahe, meldete sich sein Unterbewusstsein.

ES IST UNAUSWEICHLICH. STELL DICH IHM. KÄMPFE UND VERNICHTE IHN, ODER WERDE VERNICHTET. Als die Worte in seinem Kopf erklangen, spürte er ein leichtes Prickeln in seiner rechten Hand, die er um sein Schwert gelegt hatte. Aus dem Innern des Hauses vernahmen sie immer noch Kampfgeräusche und Tordal fiel auf, dass auch in den anderen Gebäuden Lichter zu sehen waren. „Nichts wie weg hier, bevor noch mehr Besucher kommen“, rief er Glori über den Kampflärm hinweg entgegen und deutete auf eines der anderen Gebäude, dessen Tür sich gerade öffnete. Plötzlich erklang ein Schrei, der an einen unter Schmerzen aufheulenden Hund erinnerte und erstarb. Wahrscheinlich hatte das Eingreifen des Schlachtenwüters dem Geschehen eine neue Wendung gegeben. Erst jetzt fielen ihm die leichten Rauchschwaden auf, die aus Gloris Ohren und anscheinend auch aus seinem Mund austraten. Er konnte die Hitze, die von dem Zwerg ausging, spüren. Etwas durchbrach mit einem schmetternden Geräusch die rückwärtige Wand des Hauses direkt neben der Tür, durch die sie entkommen waren und verwandelte nun auch diese Seite des Hauses in ein Trümmerfeld. Warum, glaubst du, gibt es Türen, dachte Tordal? Das Wesen schien wenig davon beeindruckt, gerade die einzige gemauerte Wand des Gebäudes durchbrochen zu haben, und richtete sich nur einige Meter von ihnen entfernt zu seiner vollen Größe auf. Der Schlachtenwüter sah ihn aus seinen tiefschwarzen Augen an und Tordal kam es vor, als blickte er direkt in die Abgründe der Hölle. In diesen Augen war nichts Menschliches, in diesem Fall Zwergisches mehr, nur Hass, abgrundtiefer Hass. Der Zwerg neben ihm gab mittlerweile zischende Geräusche von sich und blickte starr zu ihm herüber. Tordal drehte ihn vorsichtig in Richtung des sich langsam auf sie zu bewegenden Wesens. Der Dämon schien mit dem nun aus allen Poren seines Körpers dampfenden Zwerg nicht viel anfangen zu können. Es blieb unschlüssig stehen und stieß ein einschüchterndes Brüllen aus. Ein entferntes Heulen erklang und Tordal war sich jetzt gar nicht mehr so sicher, dass diese Ansiedlung so einsam und verlassen im Wald lag, wie ihre Gastgeber es ihnen weismachen wollten. Dass sie einiges zu verbergen hatten, wussten sie ja bereits.

In diesem Moment erklang wie eine Antwort, aus der entgegen gesetzten Richtung ebenfalls ein Heulen. Der Schlachtenwüter kam wieder näher. „Jetzt Glori, jetzt“, sagte Tordal, sich einige Schritte rückwärts dem Wald entgegen bewegend. Als er von ihm keine Antwort erhielt, warf er einen flüchtigen Blick in seine Richtung, den Dämon nicht aus den Augen lassend. Er stellte fest, dass sein Freund kurz davor stand, in einem rotglühenden Feuerball aufzugehen. Im Haus war es unterdessen ruhiger geworden, der Kampf schien kurz vor seinem Ende zu stehen. Er vermutete, dass ihre Verfolger die Oberhand zurück gewonnen hatten.

Gloris Zustand machte ihm langsam Sorgen. „Verdammt, es muss doch eine Art Schalter geben“, sagte er, den siedend heißen Körper des Zwerges abtastend. „Es muss doch möglich sein, einen Zwerg dazu zu bringen, Feuer zu spucken, das kann doch nicht so schwer sein“, murmelte er, seine Arme um den Brustkorb des Zwerges legend.

Er suchte einen festen Stand und drückte hinter Glori stehend mit voller Kraft zu. Dem Schlachtenwüter, der sich nur noch wenige Meter von ihnen entfernt befand, schlug ein gewaltiger Feuerball entgegen und versengte ihn am ganzen Körper. Mit einem schmerzerfüllten Schrei bäumte sich das Wesen auf. Glori, immer noch eine mehrere Meter lange Flammenzunge ausstoßend, stand da wie ein offenes Gasventil, an das jemand einen brennenden Holzscheit gehalten hatte. Die Flammen erstarben langsam und verloschen nun vollends. Glori sackte benommen neben Tordal zusammen. Das Wesen stieß einen wütenden Schrei aus und rannte lichterloh brennend davon. Wahrscheinlich auf kürzestem Weg zum nächsten größeren Gewässer.

Tordal legte sich Glori vorsichtig über die Schulter und lief ihn tragend zur Scheune, wo ihre Pferde mit angsterfülltem Blick auf sie warteten. Die Tiere scharrten aufgeregt mit den Hufen. Auch sie spürten die Aura der Gefahr und des Übernatürlichen, die sich über das gesamte Gebiet gelegt hatte. Er setzte den Zwerg vorsichtig ab und versuchte, die Tiere zu beruhigen. Glori kam inzwischen langsam wieder zu sich. Mit einem kurzen Blick nach draußen vergewisserte Tordal sich, dass ihnen momentan keine akute Gefahr drohte und schloss das Scheunentor. „Feuer ... Hitze ...Wasser ... löschen ...schnell!“, vernahm er die schwache Stimme seines Freundes. Er hockte sich neben ihn, stütze seinen Kopf mit einer Hand und gab ihm zu trinken. Mit einem Prusten kam der Zwerg nun endgültig zu sich. „Willst du mich umbringen, Langer? Das ist ja Wasser.“ Glori sah ihn angewidert an. „Dir scheint es ja schon wieder besser zu gehen, ganz der Alte sozusagen. Außerdem denke ich, dass dein Alkoholbedarf erst einmal gedeckt sein sollte, für die nächsten Jahrzehnte.“ Der Zwerg sah ihn entgeistert an. „Wie kommst du denn darauf? War doch klasse, ich sollte vielleicht im Zirkus auftreten oder damit auf Tournee gehen.“ Tordal vollführte eine Bewegung mit seinen Händen. „Ja, ich sehe es direkt vor mir, Glori der Feuer speiende Zwerg, eventuell Explosionsgefahr.“ Er sah nun herunter zu dem vor ihm stehenden Zwerg. „Die Idee mit dem Bier war sehr gut, ehrlich.“ Die Augen des Zwerg strahlten. „Ja, aber auch sehr dumm. Ich habe noch nie zuvor solch eine Menge Alkohol auf einmal zu mir genommen.“ Tordal sah den Zwerg erstaunt an.

„Soll das heißen, du wusstest überhaupt nicht, was passieren würde?“ „Ich war auf die Reaktion genauso gespannt wie du.“ Ein das Unwetter übertönendes Heulen drang zu ihnen. Sie sahen sich an und trafen wortlos die Übereinkunft, diesen Ort schnell zu verlassen. Die Trolle schienen den Schauplatz des Geschehens verlassen zu haben und vom Schlachtenwüter war weder etwas zu sehen oder zu hören. Sie führten die Pferde, die sich inzwischen etwas beruhigt hatten, vor die Scheune. „Wir reiten weiter, bis wir das 'Ende der Hoffnung' erreicht haben.“ Es handelte sich um ein Gasthaus am Fuße der Skeldar Berge. Seinen Namen erhielt es aufgrund der Tatsache, dass all diejenigen, welche sich von hier aus nach Norden durchschlugen, wie man sagte, alle Hoffnung verloren hatten. Es waren Ausgestoßene, Gejagte oder andere verlorene Seelen, die Zuflucht im Skeldar Gebirge oder gar in der Karem Hochebene suchten. Der Zwerg nickte und erklomm mühsam sein Pferd. „Je eher wir von hier verschwinden, desto besser.“ Er wirkte nachdenklich als sie ihre Reise fortsetzten. Auch in Tordals Kopf rasten die Gedanken. Trolle, uralte Zwergendämone, Werwölfe und nun auch noch sprechende Schwerter. Er mochte sich gar nicht ausmalen, was ihnen die Zukunft noch bringen würde.

Mächtige Magie ballte sich über dem höchsten Gipfel zusammen. Der in tiefes Schwarz gehüllte Zwerg war durchdrungen von magischer Energie. Er sprach die Worte einer uralten, längst vergessenen Sprache und der Berg öffnete sich vor ihm. Er stand kurz vor dem Ziel. Alles was er jetzt noch brauchte, war Zeit.

Dunkle Wolken

Nachdem sie zwei Tage ohne Unterbrechung und weitere Zwischenfälle durchgeritten waren, erreichten sie das 'Ende aller Hoffnung'.

Die Pferde waren erschöpft. Sie brachten sie in den Stall, striegelten ihnen den Schweiß aus dem Fell und verpflegten sie. Aber auch die beiden Gefährten waren am Ende ihrer Kräfte angelangt. Sie nahmen sich ein Zimmer und fielen in einen fast schon einer Ohnmacht gleichenden Schlaf.

Als Tordal die Augen öffnete wurde es gerade hell. Er musste einen ganzen Tag geschlafen haben. Er streckte sich und stellte fest, dass Glori schon auf den Beinen sein musste, sein Bett war leer. Ihn überkam ein ungutes Gefühl. Er würde doch wohl nicht? Nein, so dumm konnte nicht einmal der Zwerg sein. Der Kopfgeldjäger hielt inne, machte kehrt und zog sich komplett an. Kurze Zeit später verließ er den Raum, um nach Glori zu suchen.

Als er ihn in der Schenke im Erdgeschoss des Gebäudes fand, fiel dieser gerade über sein Frühstück her. Der Größe nach, musste er doch noch einen der Trolle erwischt oder ein Chelbur geschlachtet haben.

Er ging zum Tisch und setzte sich. „Erwarten wir noch Besuch?“ Der Zwerg sah ihn kauend an und begann zu grinsen. „Nicht, dass ich wüsste. Aber ich werde bestimmt nicht mit leerem Magen aufbrechen. Da ich jetzt weiß, wer uns verfolgt, wäre es durchaus denkbar, dass dieses schöne Tier hier meine letzte Mahlzeit sein könnte. Du solltest dir auch noch mal richtig den Magen vollschlagen.“

Mal abgesehen davon, dass er soviel Hunger hatte, dass er selbst das Tischbein vor sich als Mahlzeit in Betracht zog, hatte der Zwerg recht. Wer konnte schon wissen, was noch passieren würde?

Er gab der Bedienung, einem Halbling, ein Zeichen und dieser trottete zu ihnen herüber.

Der Halbling versuchte gar nicht erst, ein freundliches Gesicht aufzusetzen als er an ihren Tisch kam.

„Was darf`s sein, flüssig oder fest?“ Tordal war überfordert und sah ihn verdutzt an. Der Halbling ob der unglaublichen Dummheit seiner Gäste gereizt formulierte seine Frage um. „Bier oder Essen?“ „Bier“, klang es aus Gloris Richtung. „Einen Tee und eine gut durchgebratene Pute für mich und ein Wasser für den Zwerg.“ Glori versuchte, mit vollem Mund zu protestieren, fing aber Tordals Blick auf und verstummte sofort wieder. Der Halbling entfernte sich und erschien kurz darauf mit Tee und dem Wasser für den Zwerg. „Essen dauert noch“, brachte er zwischen den Zähnen hervor und ging wieder.

Die wohltuende Wärme des Tees, die sich in seinem Körper ausbreitete, vertrieb die Gedanken an die Strapazen der letzten Tage. Es war ein gutes Gefühl.

Glori nagte die Fleischreste an einer riesigen Keule ab und legte sie beiseite. „Ich denke, es ist an der Zeit, dich in einiges einzuweihen, was du noch nicht weißt. Er bemerkte den überraschten Blick des Kopfgeldjägers und fuhr fort. „Es gibt ein oder zwei Dinge, die ich bisher vor dir verschwiegen habe.“

Die Neugier in Tordal wuchs beständig.

„Meine spezielle Art der Sofortumwandlung hast du ja schon in Aktion gesehen.“ „Ja, sehr beeindruckend“, stimmte er dem Zwerg zu. „Ja, das ist sie, aber es ist nicht die einzige besondere Fähigkeit, die ich besitze.“ Nun war Tordal endgültig hellhörig geworden. „Ich bin in der Lage, angestaute Gefühle, Energie oder wie auch immer du es nennen willst, auf andere Wesen zu übertragen. Leider funktioniert es nur bei negativen Emotionen.“ Der unfreundliche Halbling kam mit dem Essen zu ihrem Tisch. Er stellte es auf diesem ab und verschwand mit einem „Mahlzeit“. Der Vogel sah eigentlich ganz genießbar aus. Glori, der seine Ausführungen solange unterbrochen hatte, machte keine Anstalten, fortzufahren. „Du besitzt also die Fähigkeit, deine Emotionen“, „negative Emotionen“, wand der Zwerg ein. „Du kannst also deine negativen Emotionen auf andere Übertragen?“

„Yep.“ Er sah dem Zwerg genau in die Augen. „Ist das denn nicht gut?“ Nicht etwa, dass der Zwerg für die Dauer des Gesprächs die Nahrungsaufnahme unterbrach. Irgendwie brachte er es fertig, mehr oder weiniger deutlich zu sprechen und gleichzeitig Unmengen an Nahrung in sich hineinzuschaufeln. „Nur, wenn man in der Lage wäre, das Ganze zu steuern. Also ich kann es jedenfalls nicht.“ Er nahm einen Schluck Wasser und verzog angewidert das Gesicht. „Ich versuche immer nur, rechtzeitig ein Ventil für meine aufgestaute Energie zu finden. Dabei kann es sich sowohl um ein Tier oder eine Pflanze handeln.“ „Eine Pflanze? Eine Pflanze kann wütend werden?“ Der Kopfgeldjäger war sprachlos. „Oh ja und wie, du hast ja keine Vorstellung.“ Der Zwerg schüttelte sich kurz und aß weiter. „Ein Tipp von mir, verärgere niemals eine Bergrose, niemals.“ Diese in den nördlichen Gebirgen und deren schroffen Felswänden wachsende, purpurfarbene Blume, war nicht unbedingt für ihre aggressive Grundeinstellung bekannt. Aber wenn das alles stimmte, sollte er seinen Umgang mit Pflanzen noch einmal genauestens überdenken. Er nahm sich ein Stück Fleisch vom Teller und biss ab. „Ich wage es kaum, zu fragen, aber was passiert denn, wenn man eine Bergrose reizt?“ Glori sah ihn an, als würde ihm allein der Gedanke daran Unbehagen bereiten. „Das spielt keine Rolle, reize sie einfach nicht.“ Damit war das Thema für ihn abgeschlossen. Nun widmete er sich einem großen Stück Fleisch auf seinem Teller. Dessen Anblick erinnerte Tordal stark an einen kompletten Chelbur Nacken. Wieder einmal zeigte er sich erstaunt über die Fähigkeit des Zwerges, ein Mehrfaches seines eigenen Körpergewichts in sich aufzunehmen. Wenn er es recht bedachte, konnte kein Platz für andere Organe in ihm sein, da der Magen und sein Verdauungstrakt die Ausmaße Tessheims haben mussten. Glori legte das Fleisch beiseite und sah ihn an. Dieser Blick gefiel Tordal gar nicht. „Es gibt da noch etwas, was du wissen solltest.“ Etwas in Tordal zerbrach in diesem Augenblick. „Was kommt denn jetzt noch? Verwandelst du dich nachts in eine Fledermaus oder wächst dir ein zweiter Kopf, wenn du zu viel Wasser zu dir nimmst?“ Er sah den Zwerg auf eine Art an, dass dieser sogar das Essen einstellte. „Nein, jetzt habe ich es, du bist gar kein Zwerg, du bist ein Chaosdämon! Übrigens spricht mein Schwert mit mir.“ Einige der anderen Gäste warfen verstohlene Blicke in ihre Richtung. „Dein Schwert spricht zu dir?“ Nun war der Zwerg sprachlos, das Ganze schien reihum zu gehen. „Ja, immer vor oder während eines Kampfes.“ „Was sagt es denn so? Verflucht es dich die ganze Zeit, oder feuert es dich an, und warum höre ich es nicht?“ Der Zwerg zeigte echtes Interesse. „Es spricht in meinem Kopf zu mir, in meinen Gedanken. Ich glaube, es ist der Dämon, den sie in dem Schwert gefangen haben.“ „Das ist nicht gut. In Schwertern gefangene Dämonen sprechen nicht mit demjenigen, der die Waffe führt.“

Er sah den Kopfgeldjäger nun leicht besorgt an. „Fühlst du dich durch die Waffe bedroht?“ „Eigentlich nicht, sie droht mir nicht. Sie ..., sie spricht, glaube ich, von Bestimmung oder vielleicht auch von etwas völlig anderem. Ich weiß es noch nicht.“ In diesem Moment wurde die Tür des Gasthauses aufgestoßen und ein Uniformierter betrat nach Atem ringend das Gasthaus. Er sah sich kurz um und ging dann zielstrebig Richtung Wirt. Er wechselte wild gestikulierend einige Worte mit ihm. Die Tür wurde ein weiteres Mal geöffnet und drei weitere Soldaten betraten den Raum. Sie alle trugen die Farben des Regenten, das Rot Tessheims. Der Wirt hatte inzwischen einen seiner Angestellten angewiesen, die Uniformierten vorrangig zu bedienen. Dieser geleitete sie zu einem Tisch in der entgegengesetzten Ecke des Gasthauses. Ein zweiter ging nach draußen, wahrscheinlich um sich um die Pferde der Neuankömmlinge zu kümmern. Glori verfolgte das Geschehen mit demselben Interesse wie er selbst. „Was ist hier los? Ich habe durch die Tür mindestens sechs weitere Berittene gesehen, es könnten aber noch mehr sein.“ Der Mann, der als erster das Gasthaus betreten hatte, bei ihm handelt es sich ohne Zweifel um einen Offizier, ging erneut zum Wirt. Er sprach mit ihm, diesmal in einem ruhigeren Tonfall. Tordal sah zu dem Zwerg herüber. „Du wolltest mir doch noch etwas erzählen.“

„Später“, entgegnete dieser, „ich bin neugierig geworden, warte hier.“ Er erhob sich und bewegte sich unauffällig zum Tresen. Dort angekommen verwickelte er die Umstehenden Soldaten sofort in ein Gespräch. Na dann mal ran an den Vogel, dachte sich Tordal. Bis der Kleine zurück ist, werde ich mir mal so richtig den Bauch voll hauen, endlich wieder. Die Trockenfleischrationen, die er auf seinen langen Wanderungen über den Kontinent aß, hingen ihm schon lange zum Halse heraus.

Eine halbe Pute und drei Kellen Soße später, erschien sein Gefährte wieder am Tisch.

Freudestrahlend sah er ihn an. „Du glaubst nicht, was passiert ist.“

Er sah den Zwerg auf einem Stück Putenfleisch kauend an. Dieser schien auf irgendetwas zu warten.

„Nun sag schon, was ist los? Warum dieser ganze Aufruhr hier?“ Wie auf Befehl schoss der Zwerg los: „In den Wäldern südlich Tessheims wurden Dämonen gesichtet. Horden von Trollen und Goblins überfallen die Dörfer in der Ebene. Sie sind aus dem Nichts aufgetaucht und fielen über die wehrlosen Menschen in den Südlanden her.“ Glori ließ ihm etwas Zeit, das gerade Gehörte zu verdauen. Seit vielen Generationen hatte es keinen Krieg zwischen den verschiedenen Arten des Kontinents gegeben. „Das Beste kommt aber noch. Angeblich werden sie von gigantischen, zwergenähnlichen Wesen angeführt.“ Tordal blickte überrascht auf. „Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor.“ Der Zwerg lächelte. „Genau.“

„Jemand hat anscheinend alle Schlachtenwüter aus ihrer Verbannung befreit, sie wiedererweckt oder was auch immer.“ Mit besorgtem Gesichtsausdruck fuhr Glori fort. „Auf jeden Fall hat der Regent alle Einheiten zur Verteidigung Tessheims zurückbeordert. Die südlichen Lande werden dem Gegner kampflos überlassen. Alle Bewohner werden aufgefordert, Schutz in der Stadt zu suchen.“ Was hatte das alles zu bedeuten? Tordals Gehirn arbeitete auf Hochtouren. „Dein Freund war übrigens auch hier.“ Er blickt auf und sah den Zwerg erstaunt an. „Giganto, ein Zwerg, auf den die Beschreibung passt, verweilte vor zwei Tagen für kurze Zeit hier. Er bat nur um Versorgung für sein Pferd, füllte seine Vorräte auf und verschwand sofort wieder.“ Was hast du nur getan, mein alter Freund? Bei dem Gedanken daran spürte er ein ungutes Gefühl in seiner Magengegend, eine Art Kribbeln.

„Glaubst du, es besteht ein Zusammenhang zwischen Giganto und den Ereignissen in der Ebene?“ Sein Freund sah ihn an und er fühlte eine Gewissheit in sich heranwachsen. „Wir müssen ihn aufhalten, was immer er auch vorhat. Anscheinend ist mächtige Magie im Spiel und bedroht das Leben in der gesamten Kassam-Ebene und meiner Heimat Tessheim und er ist darin verwickelt. Was auch immer das Ziel seiner Reise ist, es kann nichts Gutes sein.“ Gloris Stimme klang ruhig und ernst als er antwortete.

„Du hast Recht, wir müssen ihn aufhalten, koste es, was es wolle. Alte Dämonen wandeln wieder über unsere Welt. Was geschieht, ist nicht richtig.“ Sein Gesicht erhellte sich ein wenig. „Genauso wie es nicht richtig wäre, dieses saftige Stück Fleisch liegen zu lassen.“ Mit einem Lächeln setzte er sich und machte sich über das Essen her. Tordal war in Gedanken versunken, die Skeldar-Berge, Geburtsstädte der eisigen Nordwinde und Heimat der Bergdrachen. Bisher hatte er es stets vermeiden können, die Berge und die nördlich davon liegende Karem-Hochebene zu betreten. Welche Gefahren mochten dort noch auf sie warten?

Am Morgen darauf bereiteten die beiden ungleichen Gefährten sich auf ihre Abreise vor. Glori hatte sich schon früh am Morgen in die Ställe zu den Pferden begeben. Er bereitete sie auf die anstrengende Reise ins Unbekannte vor, so gut es ging. Der Zwerg sprühte regelrecht vor Energie und Tatendrang. Tordal hingegen machte noch einmal einen Abstecher in das Gasthaus und erkundigte sich nach einem Weg über die Berge. „Niemand kennt einen Weg über die Berge“, lautete die Antwort des Wirtes. Aber Giganto kennt einen Weg, es muss einen geben. „Gibt es wirklich niemanden, der sich über die Berge gewagt hat und von dort zurückgekehrt ist?“ Der Mann schien zu überlegen. „Es gibt da wohl jemanden. Er lebt am Fuße des Ersten Gipfels. Aber ich muss euch warnen, er ist, sagen wir mal etwas seltsam.“ Der Kopfgeldjäger wurde stutzig. „Inwiefern seltsam, was willst du damit sagen?“

Der Mann sah Tordal aus zusammengekniffenen Augen an. „Es ist ein Gnoll, sein Name ist Tritis. Angeblich hat er die Berge schon mehrfach überquert und kennt sich dort aus wie kein zweiter.“

Ein Gnoll, das hatte ihm noch gefehlt. Diese menschenähnlichen, kleinen Wesen, galten als die Hinterlist auf zwei Beinen. Aber wenn er dadurch einen Vorteil für sich gewinnen konnte, sollte es wohl so sein. Er ließ sich noch den Weg zur Behausung des Gnolls erklären und begab sich dann zu Glori und den Pferden. Der Zwerg sah ihn erwartungsvoll an. „Also Langer, wohin geht die Reise?“

„Einen Tagesritt nach Norden, einen Führer für die Berge finden.“ Er schwang sich auf sein Pferd und wartete, bis Glori es ihm gleichtat. Tordal griff nach den Zügeln des Packpferdes und band sie an seinem fest. Gemeinsam ritten sie in die Ungewissheit. Diese betrachtete die gesamte Szenerie interessiert und drehte sich zur Hoffnung um. „Ich glaube, du bist an der Reihe.“

Der Zwerg betrat den dunklen Schacht, der tief in das Innere des Berges führte. Er durfte nicht daran denken, er musste sich konzentrieren. Überall um ihn herum spürte er die Magie. Sie war allgegenwärtig und begleitete ihn schon seit sehr langer Zeit, das wusste er nun. Der Eingang des Schachtes schloss sich hinter ihm und für einen Augenblick herrschte absolute Dunkelheit. Dann erfüllte ein seichtes Leuchten den Schacht und wies ihm den Weg in die Tiefe.

Skeldar-Berge

Sie verbrachten den gesamten Tag im Sattel und wechselten kaum ein Wort miteinander. Noch hatten sie nicht die Nachrichten verdaut, die sie aus der Ebene erreicht hatten. Bald sollten sie den Wohnort des Gnolls erreicht haben. 'Am Fuße des ersten Gipfels, in der Nähe einer uralten Tanne', hatte ihm der Wirt gesagt. Sie ritten über eine Hügelkuppe und plötzlich erblickte er die größte Tanne, die er jemals gesehen hatte. Der Baum musste gut ein Dutzend Meter Umfang haben. Die gewaltige Krone der kolossalen Tanne ragte weit über die anderen Bäume hinaus. Er dachte daran, seit wie vielen Jahrhunderten der Baum schon die Geschichte dieser Welt mitverfolgen musste. Was hast du alles gesehen und gehört in den vielen Jahren deiner Existenz? Der Baum stand sicherlich schon vor der Gründung Tessheims und Schwenkstadts hier, als die Magie noch die Welt beherrschte und uralte, längst vergessene Wesen sie durchwanderten. In mittlerer Höhe des Stammes hatte sich ein Specht seine Höhle gebaut und beäugte sie misstrauisch. „Irgendwo hier muss es sein“, sprach Tordal.

„Willst du wirklich, dass uns ein Gnoll führt? Man kann ihnen einfach nicht vertrauen. Meinst du nicht, wir sollten es wie bisher auf eigene Faust versuchen?“ Sie würden keine zwei Nächte in den Bergen überleben, das wusste er. Sie waren auf Tritis Hilfe angewiesen. Auch wenn die Abneigung der beiden Arten zueinander bekannt war, brauchten sie den Gnoll. „Wir haben keine Wahl, wir brauchen ihn.“ Glori schien nicht glücklich zu sein mit dieser Antwort. „Aber erst einmal müssen wir ihn finden. Ich schlage vor, du siehst dich im Osten und ich mich im Westen um.“ Sie teilten sich auf und durchsuchten das Gebiet. Da es sich bei Gnollbehausungen meist um alte abgestorbene Baumstämme oder kleine Höhlen handelte, wusste Tordal, wonach er Ausschau halten musste. Der dichte Bewuchs des Unterholzes erleichtere ihm die Suche nicht gerade. Er legte vorsichtig eine Hand auf sein Schwert. Na, was ist los, wo bist du, wenn man dich braucht? Wo befindet sich der Gnoll?

„ETWA EINEN METER RECHTS VON DIR.“ Tordal schrak zusammen als er keine Armeslänge entfernt in das Gesicht des kleinen Wesens blickte. Er verhinderte nur um Haaresbreite einen überraschten Ausruf. Der Gnoll eilte über einen Ast heran und legte ihm seine kleine lederartige Hand auf den Mund. „Nicht schreien, schreien ist schlecht. Du weißt schon, Berge, Schreie, Lawinen und so weiter.“ Tordal sah verwirrt zu dem kleinen Wesen. „Wir sind hier aber nicht im Gebirge.“ Tritis sah sich um als wäre ihm das bisher noch nicht aufgefallen. „Es sieht tatsächlich danach aus, aber man kann ja nie wissen.“ Der Gnoll machte auf Tordal einen leicht nervösen Eindruck. Wahrscheinlich hatte er zu viel Zeit alleine in den Bergen verbracht. In diesem Moment erschien Glori und stieß fast mit dem immer noch auf einem Ast sitzenden Gnoll zusammen. „Ahh“, stieß er erschrocken aus. Der Gnoll, der anscheinend wirklich seine Probleme mit lauten Geräuschen hatte, zuckte sichtlich zusammen und schrie ebenfalls. „Arggh, nicht so laut.“ „Tut, tut mir leid“, brachte Glori hervor. „Es ist nur mein Herz. Es müsste in etwa dort liegen, wo ihr steht, nachdem es mir eben aus der Brust gesprungen ist.“ Tritis hielt sich immer noch die Ohren zu und machte ein schmerzerfülltes Gesicht. „Lärm ist schlecht, ich hasse Lärm. Er macht mir Angst.“ Tordal machte nur Angst, dass dieser durchgeknallte Wicht ihr Führer sein sollte. Der springt doch bestimmt in die erstbeste Gletscherspalte. Der Gnoll nahm langsam die Hände von den Ohren und sprang auf Tordals Pferd. Dieses drehte nervös ein Ohr nach hinten. „Was wollt ihr von mir? Warum belästigt ihr mich?“ „Weil uns gesagt wurde, du seist der beste und erfahrenste Führer durch das Skeldar Gebirge“, log Tordal. Tritis fühlte sich offensichtlich geschmeichelt, lächelte leicht und setzte zu einer Antwort an. „Warum sollte ich euch helfen, über die Berge zu gelangen?“ Tordal griff nach dem Lederbeutel an seiner Hüfte und öffnete ihn. Er hielt nun einige Goldmünzen in den Händen.

„Ich glaube, ich habe hier eine Menge guter Gründe.“ Das Grinsen auf dem Gesicht des Gnolls wurde breiter. „Ich denke, wir sollten das alles in Ruhe besprechen, folgt mir.“ Er führte sie zu seiner Behausung, die er im Innern einer alten Eiche eingerichtet hatte. Tordal und Glori fanden in einer kleinen Höhle nicht weit entfernt Unterschlupf. Sie stellte eine Art Notunterkunft für Tritis dar. Der Gnoll erschien wenig später mit etwas Proviant und Decken. „Tut mir leid wegen der Umstände, aber ich bekomme selten so groß gewachsenen Besuch.“ Tordal stieß mit seinem Kopf gegen die Decke. „Es wird schon gehen. Mach dir keine Gedanken“, sagte er sich den schmerzenden Kopf reibend. Tritis reichte ihnen zwei kleine Becher, die bis zum Rand mit einer warmen, stark riechenden Flüssigkeit gefüllt waren. „Hier, trinkt das, es wird euch gut tun.“ Glori nahm seinen Becher wortlos entgegen und leerte ihn in einem Zug. Tordal nahm vorsichtig einen kleinen Schluck und ihm war als hätte er Brennnesseltee getrunken.

„Gütiger Gott, was ist das denn für ein Teufelszeug?“ Der Gnoll sah ihn beleidigt an. „Das ist eine Eigenproduktion, selbstgebrannt. Seid bloß vorsichtig mit offenem Feuer, wenn ihr das Zeug trinkt.“

Wir werden hier gleich ein ganz anderes Problem mit Feuer haben, dachte Tordal mit einem Blick auf Glori. Der Zwerg sah leicht errötet aus, machte ansonsten aber einen zufriedenen Eindruck. Vielleicht haben wir ja noch einmal Glück gehabt, es war wohl zu wenig, um eine Reaktion auszulösen. „Darf ich fragen, warum ihr das Gebirge überqueren und die Karem-Ebene erreichen wollt? Das klingt reichlich ungewöhnlich für mich. Niemand betritt freiwillig die Hochebene.“ „Wir sind auf der Suche nach einem Zwerg“, erklärte Glori. Der Gnoll musterte ihn von oben bis unten. „Ich möchte ja nicht altklug erscheinen, aber wenn mich nicht alles täuscht, bis du ein Zwerg. Es spricht zumindest alles dafür, der Bart, die Axt und nicht zuletzt auch die Größe.“ Glori sah ihn an wie einen Geistesgestörten.

„Wir suchen nicht mich, was würde das denn für einen Sinn machen? Du bist nicht sehr helle oder? Wir suchen einen anderen Zwerg, verstehst du? Er hat die Berge vor einigen Tagen überquert.“ Unglauben mischte sich in den Blick des Gnolls. „Das kann nicht sein, niemand kennt den Weg durch das Gebirge, niemand außer Tritis.“ Dabei blickte er die beiden stolz an. Tordal hegte gewisse Zweifel an dieser These. „Ich weiß selber nicht genau, was wir suchen, geschweige denn, was wir finden werden. Ich weiß nur, dass große Ereignisse stattfinden und wir ein Teil von ihnen sind. Nur welche Rolle uns genau zugedacht ist, dessen bin ich mir noch nicht sicher.“ Das war die Wahrheit und Tritis schien das zu spüren. „Also gut, wann wollen wir aufbrechen und wie viel ist euch meine Führung wert?“ Die beiden Gefährten wechselten einige Blicke. „Wir brechen auf, sobald es möglich ist und was deine Bezahlung angeht“, er griff in den Lederbeutel und förderte eine ansehnliche Menge Goldmünzen zu Tage, „Das alles soll dir gehören, wenn du uns heil über die Berge bringst.“ Der Gnoll hob seine Hand. „Dann ist es abgemacht. Ihr solltet euch ausruhen, der Weg ist beschwerlich und extrem gefährlich.“ „Ich habe nichts anderes erwartet“, entgegnete Tordal. Tritis sah ihm noch einmal in die Augen und verließ dann die Höhle.

Kaum hatte er die Höhle verlassen, wand sich Tordal dem Zwerg zu. „Was hältst du von ihm, ist er vertrauenswürdig?“ Glori, mit immer noch errötetem Gesicht, meinte nur: „Weiß nich´, ist ein komischer Kauz. Anscheinend ein wenig durcheinander hier oben.“ Er vollführte mit seinem rechten Zeigefinger eine kreisende Bewegung vor seiner Stirn. „Damit hast du wohl Recht. Aber ich glaube, man kann ihm vertrauen.“ Glori klopfte sich leicht auf den Magen und ein kleiner Feuerball trat aus seinem Mund. „Cool“, meinte der Zwerg begeistert, „hast du das gesehen?“ Ihr Gastgeber machte einen für einen Gnoll recht sympathischen Eindruck. Diese kleinen Kreaturen die entfernt mit den Goblins verwandt waren, besaßen die Gabe, jedem sofort unsympathisch zu erscheinen. Aber Tritis schien zumindest teilweise eine Ausnahme zu bilden. Sein einsames Leben hatte ihn wohl einige der unangenehmen Eigenschaften der Gnolle ablegen lassen. Tritis hatte Recht, sie sollten schlafen. Die nächsten Tage würden anstrengend genug werden. Glori stieß einen zweiten kleinen Feuerball aus. „Heja“, hörte Tordal aus seiner Richtung.

Der Morgen dämmerte und die Sonne stieg gerade über den Wipfeln der Bäume auf, als Tordal erwachte. Glori lag laut schnarchend neben ihm. Wie er bei diesem Lärm überhaupt ein Auge zu bekommen hatte, war ihm unklar. Wahrscheinlich war er in eine Art tiefes Koma gefallen. Heute waren mit Sicherheit alle Bewohner des Waldes unausgeschlafen und mürrisch. Er rüttelte an dem Zwerg und wartete dessen Reaktion ab, die darin bestand, ein abschließendes Röcheln auszustoßen und sich ruckartig zu erheben. „Was ist, geht es endlich los?“ Glori streckte sich und erhob sich. Tordal legte seine Weste an und griff nach seinem Schwert. Dann trat er aus der Höhle und sah sich um. Frischer Tau hing auf den Bäumen und er genoss das morgendliche Konzert der Vögel. Ein Adler stieß hoch am Himmel einen heiseren Schrei aus. Er blickte zur Baumhöhle ihres Gastgebers und stellte fest, dass dieser schon wach war. Vor seiner Behausung stand ein kleines rattenähnliches Wesen und fraß genüsslich das Gras vor dem Baum. Erst jetzt fiel Tordal der kleine lederne Sattel auf dessen Rücken auf. Das Tier hatte in etwa die Größe eines jungen Ponys und trug ein dickes Fell. Wie für das Leben in den Bergen geschaffen, fiel es Tordal ein.

Glori hatte mittlerweile ebenfalls die Höhle verlassen und erfrischte sich an einem kleinen Bergbach direkt vor ihrer Unterkunft. In diesem Moment trat Tritis aus seiner Baumhöhle und hob seine Hand zum Gruße, als er sie sah. „Habt ihr gut geschlafen? Es liegt ein anstrengender Weg vor uns, wir sollten so früh wie möglich aufbrechen, damit wir bis zum Abend den Hochweg erreichen. Dieser wird uns sicher über die ersten Gipfel führen.“ „Wenn es einen Weg gibt, wozu brauchen wir dich dann?“ Glori schien die Frage ernst zu meinen. Der Gnoll sah zu ihm herüber. „So einfach wie ihr es euch vorstellt, ist es nicht, Herr Zwerg.“ Tordal konnte die Spannung zwischen den beiden spüren.

„Genug, ihr beiden. Es bleibt dabei, zwanzig Goldstücke, wenn du uns heil über die Berge bringst und noch einmal zwanzig, wenn du uns wieder zurückführst.“ Der Gnoll schien zufrieden und nickte.

Er stieß einen Pfiff aus und sein kleines Reittier setzte sich sofort in Bewegung. „Was ist denn das?“ Glori hatte das Tier anscheinend erst jetzt gesehen. „Das ist Hoogi, mein treuer Freund.“ Der Zwerg schien immer noch erstaunt. „Schön, das ist also Hoogi. Aber was verdammt noch mal ist ein Hoogi?“

Der Gnoll schien gereizt. „Er ist ein Riesenmurmeltier und lebt seit seiner Geburt bei mir. Ohne ihn und seinen Orientierungssinn wäre ich schon oftmals verloren gewesen.“ Liebevoll streichelte er dem Tier über den Rücken. Hoogi ließ ein glückliches Gurren erklingen und schmiegte seinen Kopf an den Gnoll. Tritis kletterte behende auf den Rücken des Tieres und gab ihnen ein Zeichen, ihm zu folgen.

Die Gruppe setzte sich in Bewegung und hielt direkt auf die mächtigen Gipfel der Skeldar Berge zu.

Nach einigen Stunden erreichten sie das Ende des Waldes und Tritis hielt sein Reittier an.

„Jetzt beginnt der beschwerliche Teil unserer Reise. Ich hoffe, ihr wisst, worauf ihr euch eingelassen habt.“ Glori brachte sein Pferd neben Hoogi zum Stehen. „Deine Versuche, uns zu verunsichern, werden alle fehlschlagen. Ein Zwerg kennt keine Angst.“ Tordal hoffte, dass es nicht die ganze Zeit so zwischen den beiden weitergehen würde. Die letzten Baumgruppen blieben hinter ihnen zurück und wichen einer spärlichen Vegetation. Bald würden sie die so genannte Todeszone erreichen. Diese begann dort, wo die Schneefelder der Berge die Oberhand gewannen. Der eisige Wind, der ihnen von dort entgegenwehte, ließ sie frösteln. Sie ritten weiter und schon bald sah man nichts anderes mehr als das Weiß des Schnees. Der Gnoll ließ sich zurückfallen bis er mit Tordal auf einer Höhe ritt. „Von jetzt an ist absolute Ruhe angesagt. Jedes laute Geräusch kann dort oben eine Lawine auslösen.“ Während er dies sagte, deutete er mit seinen Händen zu den Berghängen über ihnen. Er zeigte auf einen Vorsprung im Berg weit oben. „Dort wollen wir hin, ein guter Ort, um ein Lager aufzuschlagen“, meinte er.

Etliche Stunden später erreichten sie das kleine Plateau und Tritis glitt elegant vom Rücken Hoogis. „Zeit, unser Nachtlager aufzuschlagen, Holz findet ihr in der Felsspalte dort drüben.“ Sein Arm deutete auf einen kleinen Vorsprung in der Felswand. Glori sprang von seinem Pferd und versank sofort komplett im Schnee. „Na toll“, hörte Tordal es aus dem Schnee vor ihm.

Tritis, der zu leicht war, um im Schnee zu versinken, konnte sich ein Lachen kaum verkneifen.

Sie hatten das Feuer, geschützt hinter der vorspringenden Spitze der Felswand, entzündet, um zu vermeiden, dass es über Kilometer zu sehen war. Tritis kümmerte sich um Hoogi und Glori war dabei, seine Axt zu schärfen, als er die Spuren entdeckte. Er stieß nur wenige Meter von ihrer Feuerstelle entfernt auf sie. Zuerst hielt er sie für die eines Höhlenbären, aber dann fiel ihm die charakteristische Form auf. Das war nicht die Spur eines Bären, die Abdrücke waren zu groß und kamen ihm seltsam bekannt vor. Tordal wusste, wo er sie schon einmal gesehen hatte, im Ergol-Wald. Aber das konnte doch nicht sein. Doch er war sich nun absolut sicher, es war die Spur eines Rukols. Das hatte ihm noch gefehlt, als ob sie nicht schon genug Probleme hatten. Tritis war inzwischen neben ihn getreten und besah sich nun auch die Fährte. Ihm fiel der Blick des Kopfgeldjägers auf. „Du kennst diese Fährte, nicht wahr. Du weißt, welches Wesen solche Spuren hinterlässt.“ Tordal nickte und ging zurück zur Feuerstelle.

„Bist du dir sicher?“ Glori saß am wärmenden Feuer und blickte ihn besorgt an. „Ja leider, es ist eindeutig die Fährte eines Rukols.“ „Das riecht nach Ärger“, sagte der Zwerg kopfschüttelnd.

War es etwa das Tier, das er im Ergol-Wald gejagt hatte? Hatte das Wesen seine Witterung aufgenommen und verfolgte ihn? Die Spuren waren frisch, es hatte sich noch kein Neuschnee auf sie gelegt. Der Rukol konnte nicht weit entfernt sein. Er griff in seine Satteltasche und fühlte die Form der Karaffe in ihrem Innern. Die Anwesenheit des Rukols vereinfachte ihre Aufgabe nicht unbedingt. Sie machten sich am nächsten Morgen in aller Frühe auf den Weg, nachdem sie die Spuren ihres Aufenthaltes beseitigt hatten. Sie wollten es eventuellen Verfolgern nicht zu einfach machen. Tritis ritt auf Hoogi voran und der Zwerg und Tordal folgten ihnen auf ihren Pferden. Das Riesenmurmeltier bewegte sich sicher durch den tiefen Schnee und überwand auch die steilsten Hänge mühelos. Es fand auch dort noch sicheren Halt, wo ihre Pferde Probleme hatten, überhaupt voranzukommen. Tordal empfand immer mehr Respekt für dieses eigentümliche Tier. Im ersten Moment konnte man es für eine Mischung aus einer Ratte und einem senilen Bergschwein halten, aber er war von seiner Zähigkeit und seiner ihm eigenen Eleganz begeistert. Sie durchquerten gerade eines der vielen Schneefelder, als ein mächtiger Schrei sie aufhorchen ließ. Tordal blickte in die Richtung, in der er die Ursache dafür vermutete und sah gerade noch einen gewaltigen Schatten über einen Bergkamm im Westen gleiten. „Ein Bergdrache“, rief Tritis ihnen zu. „Sucht euch Deckung, schnell.“ Noch während er dies sagte, verschwand er mit seinem Reittier im Schatten einer überstehenden Felswand. Glori und er suchten nach einer ausreichend großen Deckung für sich und die Pferde. Tordal blickte zum Himmel und dann sah er ihn. Der Drache bewegte sich kraftvoll und elegant zugleich durch die Lüfte. Er setzte seine gewaltigen Schwingen kaum ein und ließ sich die meiste Zeit von den Aufwinden tragen, die hier in den Bergen Orkanstärke erreichen konnten. Die beiden hatten es aufgegeben, einen Unterschlupf zu suchen und betrachteten wie gebannt das Schauspiel. Wieder stieß der Drachen einen ohrenbetäubenden Schrei aus. „Zu laut, er ist viel zu laut“, hörte er die Stimme des Gnolls aus dem Schatten. „Dann geh doch hin und sag ihm, er soll leiser sein“, vernahm er den gereizten Zwerg. Die beiden machten ihn wahnsinnig. Es handelte sich offenbar um ein ausgewachsenes, männliches Tier. Seine Schuppen schimmerten in einem tiefen Schwarz. Diese Farbe nehmen männliche Drachen erst zur Geschlechtsreife an. Die Haut junger Tiere, egal ob männlich oder weiblich, leuchtete in einem kräftigen Rotton. Die Weibchen behielten diesen ihr Leben lang. Erneut stieß der Drachen ein gewaltiges Brüllen aus. „Entschieden zu laut“, hörte er. „Halt endlich die Klappe“, ließ die Antwort nicht lange auf sich warten.

In diesem Augenblick löste sich von einem der gegenüberliegenden Berggipfel ein großes Schneefeld und stürzte donnernd ins Tal. Die Schneemassen rissen alles, was sich auf ihrem Weg befand, mit sich in die Tiefe. „Ich habe es doch gesagt, er ist viel zu laut.“ Dieses Mal wartete er vergebens auf eine Reaktion des Zwerges.

Mit zwei kraftvollen Schlägen seiner Schwingen verschwand der Drache über einem Bergkamm und damit aus ihrem Sichtfeld. Tritis trat aus dem Schatten hervor und tätschelte beruhigend Hoogi.

„Wir müssen weiter, hier ist es zu gefährlich.“ Niemand erhob Einspruch und die Gruppe machte sich an den weiteren Aufstieg. Tordal wollte sich nicht ausmalen, was geschehen würde, wenn sie hier auf den Rukol träfen.

Als die Sonne im Zenit stand, was nicht etwa heißen sollte, dass es dadurch merklich wärmer wurde, erreichten sie den Gipfel. Der Ausblick, der sich ihnen von hier aus bot, war unbeschreiblich. Die schneebedeckten Berge glänzten silbrig im Schein der Sonne. Soweit das Auge reichte, sah man Berge und Wolken. Auf einem der gegenüberliegenden Hänge entdeckte er Gämsen, die wagemutig eine fast senkrechte Felswand erklommen. Die Ruhe hier oben war geradezu unheimlich. Er verlor sich beinahe in der Schönheit der unberührten Natur. Ein böiger Wind verwirbelte den frisch gefallenen Schnee. Er hörte den Schrei eines Adlers, den ruhigen Atem der Pferde und das Rasseln einer Zwergenlunge. „Kalt hier oben, mir friert doch tatsächlich der Bart ein“, meldete sich dieser mürrisch. Er griff demonstrativ nach einem gefrorenem Stück seines Bartes. Du bist wohl nie mit etwas zufrieden? Aber ich glaube, das ist nur äußerlich, tief in deinem Innern weidest auch du dich an diesem unvergleichlichen Anblick. Ich kann es in deinen Augen sehen. Du bist nicht nur der Feuer speiende, Chaos verbreitende, ständig nörgelnde Zwerg, du bist ..., Tordal musste überlegen. Mit dir wird es nie langweilig, mehr fiel ihm gerade nicht ein. Warum nur, mochte er diesen Zwerg? Er wusste es nicht und war versucht, Glori den Kopf zu streicheln. Dieser bemerkte seinen Blick und wich zurück. „Denk nicht einmal daran, wenn dir dein Arm lieb ist.“ Während er dies sagte, ruhte seine rechte Hand auf seiner Axt.

Der Zwerg befand sich tief im Herzen des Berges und folgte weiter dem schwachen Glimmen, das ihn führte. Er spürte, wie etwas nach seinen Gedanken griff. Er durfte sich nicht verraten. Du darfst nicht daran denken, ermahnte er sich. Das Ziel ist nahe, jetzt darf mir kein Fehler mehr unterlaufen. Insekten und Spinnentiere wichen vor der sich nähernden Magie zurück und hielten sich im Verborgenen auf. Ein Marder versuchte verzweifelt, seinen viel zu großen Körper in ein Mäuseloch zu zwängen und ein Leuchtkäfer flog in seiner Panik zum wiederholten Male gegen die sich vor ihm befindliche Wand.

Das Dunkel erwacht

Tordal befand sich gerade mit einem geschossenen Schneefasan auf dem Weg zum Lager, als er aufgeregte Stimmen hörte. Nichts Gutes ahnend rutschte er das letzte Stück den verschneiten Abhang herunter.

Unten angekommen legte er die letzten Meter im Laufschritt zurück. Als er das Lager erreichte, sah er, dass Glori und Tritis in einen Streit miteinander verwickelt waren. Da er befürchtete, dass dieser zu Handgreiflichkeiten führen könnte, entschloss er sich, dazwischenzugehen, bevor es ausartete. Tordal stellte sich zwischen Glori und den Gnoll. „Was ist denn hier los, seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Beruhigt euch erstmal, alle beide.“ Die letzten Worte fügte er etwas entschiedener dazu. Er sah den Zwerg strafend an. „Der Gnoll betrügt uns. Man kann ihm nicht trauen, keinem Gnoll“, eröffnete der das Feuer. „Wie hältst du es mit diesem paranoiden, wandelnden Bart nur aus?“ Die Reaktion des Zwerges blieb nicht aus, er trat nach Tordals Schienbein. Dieser hielt inzwischen die Streithähne auf Armeslänge von sich. „Au, was soll das?“ „'Tschuldigung.“ Den Schmerz in seinem rechten Bein verdrängend sah er zum Zwerg. „Was um alles in der Welt ist in euch gefahren?“ Glori, noch immer erregt, legte sofort los.

„Der Gnoll hintergeht uns.“ Die Art, wie er dieses Wort betonte und aussprach, war schon eine Beleidigung an sich. „Wenn wir einmal nicht aufpassen, lässt er uns in eine versteckte Gletscherspalte stürzen oder er erschlägt uns hinterrücks.“ Tordal sah zu dem kniehohen Wesen herab. Das dürfte eher unwahrscheinlich sein, dachte er. Tritis funkelte Glori zornig an. „Goblinabschaum“, kam es vom Zwerg.

Oh, Vorsicht, wunde Stelle, erklang ein Alarm in seinem Kopf. Gnolle wurden nicht gerne an ihre Abstammung von diesen erinnert. Der Gnoll biss ihm in den Zeigefinger seiner Hand. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn. „Verdammt, das gibt es doch gar nicht.“ Auch Glori machte Anstalten, wieder auf seinen Gegenüber loszugehen. In seinem Kampfeseifer trat ihn der Zwerg erneut. Dieselbe Stelle. Tordals Hirn sandte Schmerzimpulse im Überfluss aus. Auf dem linken Bein hüpfend und mit einem Schmerz in seiner linken Hand, der an den Biss einer Viper erinnerte, versuchte er innerlich fluchend, die beiden zu beruhigen. Dabei handelte es sich um einen sehr komplexen Vorgang, der jahrelanges Training und äußerste Konzentration erforderte.

„Jetzt kommt doch endlich zur Vernunft. Man kann das doch sicherlich in aller Ruhe ausdiskutieren.“ Noch während er sprach, wurde er sich der Unsinnigkeit seiner Aussage bewusst. Als die zwei keine Anstalten machten, sich zu beruhigen, tat er einen Schritt nach hinten und ließ sie einfach aufeinander los. Doch anstatt über sich herzufallen, hielten beide inne drehten sich um und gingen ihrer Wege. „Na was ist, ich will Einsatz sehen. He, ihr könnt jetzt doch nicht gehen.“ Es kehrte wieder Ruhe ein. Tordal schüttelte den Kopf und erhob sich. Sein Körper fühlte sich an, als hätte er mit einem Berglöwen gerungen und verloren, als er sich den Fasan griff und Richtung Zelt humpelte. „Übellaunige Kleinwüchsige, gibt es etwas schlimmeres?“, grummelte er dabei vor sich hin.

Sie hatten ihr Lager unterhalb eines der letzten Gipfel auf ihrem Weg aufgeschlagen. Von dort aus konnte man bei klarem Himmel in der Ferne schon die Karem Ebene sehen.

Sie dehnte sich über den gesamten Norden des Kontinents aus. Doch aufgrund des Skeldar Gebirges, das sie im Süden und Osten wie ein Halbmond umgab und der namenlosen Schrecken, die sich in ihr verbargen, war sie praktisch unbewohnt. In seinem Zelt spürte Glori die Schwere seines Körpers und des Geistes, schloss die Augen und fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Im Traum erschienen ihm Bilder, er hörte Geräusche, riss die Augen auf und fand sich inmitten einer schier endlosen Ebene wieder. Wie oft hatte er das schon erleben müssen, dutzende oder gar hunderte Male? Ja, er wusste genau, was jetzt kommen würde.

Weit entfernt am Horizont bildete eine Bergkette die natürliche Grenze der Ebene. Vor dieser konnte er undeutliche Umrisse und eine gewaltige Staubwolke erkennen. Langsam drehte er sich um und sah tausende, wenn nicht gar zehntausende Zwerge. Einige saßen auf wild schnaubenden Reittieren mit feurig roten Augen, die meisten allerdings waren zu Fuß unterwegs. Aber alle trugen schwere Panzerungen und waren bis an die Zähne bewaffnet.

Sie hielten schwere Kampfäxte, Schwerter und Dolche in den Händen und schienen auf irgendetwas zu warten. Er wusste ganz genau, worauf. Immer und immer wieder hatte er diesen entscheidenden Moment durchlebt. Sofort spürte er den riesigen Erwartungsdruck und fühlte sich geradezu erschlagen dadurch.

In den vorderen Reihen standen junge, unerfahrene Krieger, hinter ihnen die erfahrenen, alten Recken, die sich schon in vielen Schlachten bewährt hatten. In vielen Gesichtern sah er Angst ob der bevorstehenden Schlacht, bei anderen pure Kampfeslust. Er sah in Narben übersäte Gesichter, die anscheinend schon einiges erlebt hatten, unter anderem wohl etliche, ausgiebige Diskussionen mit Bären oder anderen Raubtieren, die nur schwerlich mit Argumenten zu überzeugen waren.

In der Zwischenzeit waren die Umrisse im Norden deutlicher geworden. Glori erkannte nun Einzelheiten und sah, dass eine ebenso gewaltige Streitmacht wie die Ihre sich ihnen näherte.

Die Anspannung in ihm stieg und er spürte, dass es den Kämpfern in seinem Rücken nicht anders erging. Zunehmend lauter werdendes, unruhiges Raunen erklang hinter ihm.

Plötzlich tauchte neben ihm ein berittener und schwer gepanzerter Zwerg mit einer gewaltigen, bronzenen Kampfaxt auf. Seine Rangabzeichen wiesen ihn als einen der Stammeshäuptlinge aus. Dieser rief etwas in seine Richtung und ohne, dass er die Worte hören konnte, spürte er doch genau deren Bedeutung. Heute sollte sein großer Tag werden, der alles entscheidende Tag. Man erwartete von ihm, dass er etwas noch nie da gewesenes tat, etwas, was noch nie zuvor versucht worden war. Alles hing vom Gelingen des Planes ab. Die Zukunft der Stämme des Südens lag in der Hand eines einzigen Zwerges.

Die Last der Verantwortung schien ihn zu erdrücken. Es war als müsste er die gesamte Welt mit seinen Schultern stemmen müssen.

Der Feind war in der Zwischenzeit ein gutes Stück näher gekommen und er konnte in seinen Reihen eine Wildheit und Entschlossenheit sehen, die ihn mehr ängstigte als er es sich selber eingestehen wollte.

Der Krieger neben ihm wiederholte seine Aufforderung an ihn und dieses Mal spürte er eine Veränderung. Er spürte Angst und Hass. Die Emotionen drangen von überall auf ihn ein.

Es ließ sich nicht eindeutig bestimmen, welche der Emotionen aus den eigenen und welche aus den Reihen der immer näher rückenden Gegner kamen. Sie stürzten in einer solchen Masse auf ihn ein, dass er sie kaum beherrschen konnte.

So etwas hatte er noch nie erlebt, denn er sollte eigentlich nur in der Lage sein, seine eigenen angestauten Emotionen auf andere Wesen in seiner näheren Umgebung zu übertragen. Aber die Ebene, in der die große Entscheidungsschlacht stattfinden sollte, wirkte wie ein Sammelbecken der Emotionen aller sich hier zum Kampf versammelten Krieger. Nie zuvor und auch niemals mehr danach standen sich zwei solch gewaltige Zwergenarmeen gegenüber. Dieser Umstand erschwerte seine Aufgabe zusätzlich. Krampfhaft versuchte er, sich zu konzentrieren, doch die wie ein gewaltiger Wasserfall auf ihn einströmenden Gefühle machten dies beinahe unmöglich.

Am Abend zuvor hatten sie es noch einmal bis ins kleinste Detail durchgesprochen.

Da Zwerge nicht gerade für akkurate Planung bekannt waren, beschränkte sich seine Aufgabe darauf, zu warten bis er das Weiße in den Augen des Gegners sehen konnte und sie dann mit positiven Gefühlen wie Liebe und Freundschaft zu überschütten.

Doch niemand, auch nicht er hätte ahnen können, welches Sammelsurium an verschiedensten Emotionen hier auf ihn einströmen würde. Glori bekam die gesamte Bandbreite von Hass, Blutdurst, Kampfeslust und Angst bis hin zu dem dringenden Bedürfnis nach Alkohol jeglicher Art zu spüren, Zwerge eben.

Die feindliche Streitmacht befand sich nun bereits in Schussweite der Katapulte und die Unruhe in den eigenen Reihen nahm immer mehr zu.

Glori hatte sich zwergentypisch auf die bevorstehende Aufgabe vorbereitet, indem er sich am Vorabend dermaßen mit Alkohol abgefüllt hatte, dass er bewusstlos zusammengebrochen war und sich heute an nichts mehr erinnern konnte. Mehrere Liter Schwarzbier hatten dabei den Weg in seinen Körper gefunden und mittlerweile schienen sie den Weg in seine Blase gefunden zu haben.

Als Sohn eines der mächtigsten Zwergenhäuptlinge wurde ihm schon immer besondere Aufmerksamkeit zuteil. Doch aufgrund seiner besonderen Fähigkeit nahm er eine absolute Sonderstellung ein.

Die Sonnenstrahlen drangen inzwischen kaum noch durch den durch die beiden gewaltigen Streitmächte aufgewirbelten Staub, sodass die Sicht in der Ebene inzwischen stark eingeschränkt war.

Er versuchte, sich weiter auf positive Empfindungen zu konzentrieren. Die ansteigende Temperatur seines Körpers und die spürbare Hitze, die sich speziell in seinem Magen und seinem Verdauungstrakt mehr und mehr ausbreitete, führte er auf seine Nervosität und den enormen Stress, den die Situation in ihm hervorrief, zurück.

Als die vordersten Reihen der feindlichen Kämpfer nicht mehr als eine Bogenschussweite entfernt waren, kam die Streitmacht plötzlich zum Stehen. Das sonderbare Verhalten ihrer Gegner schien sie zu verunsichern.

Da Kampftaktik bei Zwergen im Normalfall so aussah, dass zwei oder mehr verfeindete Parteien sich mit lautem Geschrei und Getöse aufeinander stürzten, verwirrte ihre scheinbare Untätigkeit und Gelassenheit ihre Gegenüber.

Freundschaft und Frieden, Glori dachte an nichts anderes. Es musste einfach klappen, er konnte so tausende, wenn nicht gar zehntausende Leben retten. Langsam begann er, eine Veränderung zu spüren. Viele der ihm zugewandten Gesichter hatten den Ausdruck des Hasses verloren und es wurden immer mehr.

Freundschaft und Liebe, Schweißtropfen standen auf Gloris Stirn. Doch die Lage schien sich tatsächlich zu entspannen.

Langsam aber sicher wurde die zunehmende Temperatur seines Körpers zu einem Problem. Es war ihm als hätte er schlimmes Fieber, im Magen und der Kehle. Konzentrieren, du musst dich konzentrieren!

Kämpfer auf beiden Seiten legten ihre Waffen nieder und sahen sich verwirrt um. Es schien tatsächlich zu funktionieren.

Liebe, Freundschaft und Feuer! Ein gewaltiger Feuerball trat aus seinem weit geöffneten Mund und setzte einige Dornbüsche weinige Meter vor ihm in Brand.

Panik erfasste ihn und sofort brach um ihn herum das totale Chaos aus.

Zwerge, die eben noch ihre Waffen weggeworfen hatten, stürzten sich mit bloßen Fäusten auf ihre Gegner. Dabei schien es nicht unbedingt eine übergeordnete Rolle zu spielen, ob diese aus den eigenen oder den Reihen des Gegners kamen.

Die Flammen schossen auch weiterhin aus seinem Rachen und während er sich umdrehte um das Geschehen um sich herum zu beobachten, steckte er die halbe Ebene in Brand.

Der Sand um ihn herum schmolz regelrecht und bildete kristalline Strukturen.

Blut und Chaos, dann wurde er von seinen eigenen Schreien wach. In Schweiß gebadet und nach Atem ringend sah er sich um. Er lauschte, aber anscheinend hatte niemand etwas mitbekommen. Eine vereinzelte Träne rann über seine Wange.

Tordal drehte den Fasan langsam am Spieß über dem Feuer. Der Geruch von gut gebratenem Fleisch stieg ihm langsam in die Nase. Sein Magen knurrte lautstark als er sich ein kleines Stück des Fleisches abbrach. Beinahe fertig, nur noch ein klein wenig, dann war es perfekt.

Während er vor dem Feuer saß, kreisten seine Gedanken wie ein Schwarm Fliegen um ein Stück Fallobst umher. Als er sich vor Jahren dazu entschieden hatte, Kopfgeldjäger zu werden, hätte er sich auch nicht träumen lassen, einmal mit einem Zwerg, noch dazu einem Feuer speienden, einem Gnoll und dessen leicht unförmigen aber liebenswerten Reittier, eine Passage durch die Skeldar-Berge zu suchen. Nur um sich, sollten sie das bewältigen, einem namenlosen, uralten Grauen zu stellen, das dabei war, die Welt wie sie sie kannten ins Chaos zu stürzen.

Wie um ein Klischee zu bedienen, war auch bei ihm eine Frau der Auslöser für seinen Entschluss, der Welt seiner Jugend den Rücken zuzukehren und ein ebenso einfaches wie einsames Leben als umherziehender Kopfgeldjäger zu wählen. Es war nicht so, dass ihm kein Erfolg beschieden war. Bisher hatte er jeden Auftrag erfüllt, jeden Gegner zur Aufgabe überredet oder sofern es sich nicht vermeiden ließ, im Kampf besiegt. Über die Jahre hatte er sich einen Ruf als bester Kopfgeldjäger des Kontinents erarbeitet.

Doch den entscheidenden Kampf seines Lebens hatte er verloren. Den Kampf gegen die Einsamkeit in seinem Herzen. Über die Jahre hinweg wurde die Leere in seinem Innern immer größer.

Vor seinem inneren Auge sah er eine wunderschöne Frau mit schulterlangen, blonden Haaren, ausdrucksstarken, dunklen Augen und einem Lächeln, dass ihm das Herz aufging. Katja, die Liebe seines Lebens. Beim Gedanken an sie übermannten ihn die Emotionen. Er empfand Trauer, Wut, Sehnsucht und Liebe zugleich. So erging es ihm immer, wenn er an sie dachte. Seine Gedanken kreisten um unerfüllte Liebe, ungenutzte Chancen und ihm im Nachhinein dumm und töricht erscheinende Missverständnisse.

Bei all der Ausbildung, die ihm durch seine Mentoren zuteil geworden war, hatten sie es versäumt, ihn auf eines vorzubereiten, auf das Leben. Er konnte sich mit den größten Gelehrten und Kämpfern messen, war in der Lage, aus einem Baum und einem Stück Stoff ein Segelschiff zu bauen oder eine Windmühle, je nach Bedarf.

Doch er war nicht in der Lage, auch nur seinen einfachsten Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

Hätte er Katja sagen können, was er wirklich für sie empfand, hätte er die Missverständnisse zwischen ihnen ausräumen können, vielleicht wäre alles ganz anders gekommen.

Wäre er ein guter Ehemann gewesen? Diese Frage wird wohl für immer unbeantwortet bleiben.

Was mochte wohl aus ihr geworden sein? Das letzte Mal als sie sich gesehen hatten, lebte sie glücklich mit ihrem Mann in der Nähe Tessheims, wo sie ein Gasthaus betrieben. Allein der Schmerz in seinem Herzen beim Gedanken an sie zeigte ihm, dass er sie immer noch liebte und ewig lieben würde, fügte er in Gedanken hinzu. Ihre Warmherzigkeit, ihren Humor und ihre Kraft trug er für immer in seinem Herzen. Wie oft hatte ihm in ausweglosen Situationen der bloße Gedanke an sie neue Kraft und Hoffnung gegeben. Doch sofern er überhaupt jemals eine Chance bei ihr hatte, so hatte er diese ungenutzt verstreichen lassen. Über die Jahre hinweg war der Kontakt zwischen ihnen abgebrochen und nichts schmerzte ihn mehr als das.

Sie war der einzige Mensch in seinem Leben, für den er bereit gewesen wäre, sein Leben komplett auf den Kopf zu stellen. Für Katja hätte er alles getan.

Was, außer den Geschichten über seine Taten, würde er der Nachwelt hinterlassen? Vielleicht war diese Mission seine einzige Möglichkeit, seine Fähigkeiten zum Wohle aller einzusetzen und nicht des Geldes wegen. Tordal, der Retter der Menschheit! Das klang gut in seinen Ohren. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Er schüttelte den Gedanken ab.

Wo waren eigentlich seine beiden Gefährten? Nach ihrer Auseinandersetzung am gestrigen Abend hatte er nichts mehr von ihnen gehört oder gesehen. Er stand auf und ging zum Zelt des Zwerges. „He Glori, falls du und dein Magen schon wach sein sollten, es gibt was zu essen, Fleisch.“ Er lauschte und vernahm ein schlurfendes Geräusch aus dem Innern des Zeltes. Kurz darauf erschien das verschlafene Gesicht des Zwerges im Eingang. „Morgen Langer, bist wohl schon länger auf den Beinen, was?“ Glori strahlte eine innere Ruhe aus, die Tordal erstaunte.

„Tut es noch weh?“ Dabei blickte er auf Tordals rechtes Bein. „Nein, nichts passiert“, sein Bein schmerzte protestierend. „Ich habe eventuell etwas überreagiert, tut mir leid.“

„Was heißt hier eventuell? Ich hoffe nur, dass ihr eure Differenzen in Zukunft beilegt. Wir können uns keine weiteren Ablenkungen dieser Art leisten.“ In etwas ruhigerem Tonfall fügte er hinzu: „Verstehst du das, Glori?“ Dieser sah ihn schuldbewusst an. „Ich weiß, es wird nicht wieder vorkommen.“ Tordal hegte so seine Zweifel an dieser Aussage.

„Nenn mir einen guten Grund, warum ich dir glauben sollte. Du bist sehr, nennen wir es einfach impulsiv.“

„Was heißt hier impulsiv?“

Der Geier krachte mit seinem Schädel gegen den einzigen Baum des Gebirges. Dies machte er nun schon seit gestern Abend. Die Wut, kam ohne Vorwarnung über ihn und ergriff von ihm Besitz. Einige zusehende Schneeeulen schienen beeindruckt von der Ausdauer des Aasfressers. Der Vogel hatte sich als persönliches Ziel anscheinend die Fällung des Baumes gesetzt und erhob sich benommen wieder in die Lüfte.

Tordal und Glori saßen am Feuer und schwiegen sich kauend an, als Tritis sich zu ihnen gesellte. Ohne den Zwerg eines Blickes zu würdigen, nahm er Platz. „Morgen, bereit für einen neuen Tag?“ Heute würden sie die Berge endlich verlassen. Nun lag die Karem-Hochebene vor ihnen. Jene unbekannte und erforschte Region, um die sich Legenden rankten. In der gesamten Ebene wurden sich Geschichten über sagenumwobene Wesen und Schätze erzählt, die dort zu finden seien. Angeblich befanden sich dort noch Ruinen der alten Städte aus der Zeit vor der Zeit. Die Ruinen einer Welt, deren Magie die der heutigen bei weitem übertraf. DAS ZIEL IST NAHE. DIE WAHRHEIT WIRD SICH OFFENBAREN. Er sah zu seinem Schwert und bemerkte ein schwaches Leuchten, an seinem oberen Ende. Eine wohlige Wärme schien es zu durchlaufen. Es hatte die letzten Tage geschwiegen, sodass er beinahe vergessen hatte, dass es gelegentlich zu ihm sprach. Welche Wahrheit meinst du, und was ist das Ziel? Er wollte endlich Antworten auf seine Fragen. DIE VERGANGENHEIT UND DIE ZUKUNFT. Gut, damit erscheint alles gleich viel klarer. Sprich zu mir, aber so, dass ich es auch verstehe. Welche Chance habe ich, diese Mission zu erfüllen ohne zu wissen, was ich zu tun habe? EINS ZU EINHUNDERTFÜNFUNDZWANZIGTAUSEND UND EINS ZU SECHS. Was, was soll das denn schon wieder heißen? DIE RECHNERISCHE CHANCE, DEINE MISSION ZU ERFÜLLEN, LIEGT BEI EINS ZU EINHUNDERTFÜNFUNDZWANZIGTAUSEND. Tordals Gedanken formierten sich zu einem großen Fragezeichen. Was bist du, ein Mathematikdämon und was soll dieses eins zu sechs? DAS IST, UNTER BERÜCKSICHTIGUNG ALLER FAKTEN, DIE WAHRSCHEINLICHKEIT, DASS ICH ALLES UNBESCHADET ÜBERSTEHE. ALSO, DANN MAL LOS. Verdammt noch mal, was soll das alles, was bist du? Ruhe, keine Reaktion. Es herrschte wieder Schweigen in seinem Kopf. Die Temperatur des Schwertes nahm merklich ab, verschwand aber nicht vollends. Erst jetzt bemerkte er, dass Tritis ihn wohl schon eine Weile lang ansah. „Dein Schwert, es hat geleuchtet. Ich nehme einmal an, dass dies normal ist.“ Glori, der bisher geschwiegen hatte, sah kauend zu Tritis. „Als Zwerg und damit Waffenexperte kann ich dir sagen, dass es nicht normal ist.“ Der Gnoll löste seinen Blick von der Waffe. „Nicht einmal für ein Dämonenschwert?“ Tordal klappte die Kinnlade herunter. „Woher weißt du... ?“ Tritis deutete ein Lächeln an. „Das ist doch wirklich offensichtlich.“ Nur für ihn offensichtlich nicht. Tordal wäre es wahrscheinlich noch nicht einmal aufgefallen, wenn das Wort Dämonenschwert in großen Lettern in die Klinge eingraviert gewesen wäre. „Aha. Es spricht zu mir, gerade eben auch wieder.“ Tritis Gesichtsausdruck wandelte zwischen Neugier und Erstaunen umher, als könne er sich nicht entscheiden. „Gut, ich gebe zu, das ist nicht normal.“ „Das habe ich ihm auch schon gesagt“, meldete sich Glori zu Wort. Tritis nickte zustimmend und man konnte direkt sehen, wie die Neugier in ihm wuchs. „Wie darf ich mir das vorstellen, rezitiert es aus alten dämonischen Werken oder gibt dir anderweitig dämonische Anweisungen?“

„Unverständliches, wirres Zeug ohne jeglichen Sinn“, entgegnete er dem Gnoll. Zumindest für mich, überlegte Tordal. Tritis massierte mit der rechten Hand sein Kinn. „Seltsam, sehr seltsam. Ich hoffe, es ist nicht zu laut.“ Glori setzte zu einer Antwort an, verstummte aber, als er dem Blick Tordals begegnete.

Tordal stand auf und ging zu seinem Pferd. „Wir sollten uns auf den Weg machen. Ich möchte die Berge, so schön sie auch sind, schnellstmöglich verlassen.“

Im tiefen Schnee konnten ihre Spuren viel zu leicht verfolgt werden. Daran, dass sie verfolgt wurden, zweifelte er nicht. Wie zur Bestätigung erhob sich ein unheilvolles Grollen in den Bergen hinter ihnen. Tritis zuckte merklich zusammen und Hoogi stellte die Ohren auf. „Einen solchen Schrei habe ich noch nie gehört“, meinte der Gnoll ich Richtung des Kopfgeldjägers gewandt. „Es muss ein großes Tier sein. Aber es klingt nicht nach einem Drachen, jedenfalls keinem, den ich kenne.“ „Es ist auch kein Drache.“ Den Gefährten blieb nicht verborgen, wie beunruhigt er war, als er dies sagte. Tritis sah ihn mit wieder wachsendem Interesse an. „Du hast diesen Ruf schon einmal gehört, nicht wahr?“ Seine Augen weiteten sich „Der Rukol“, sagte er, „Es ist der Rukol, nicht wahr?“ Tordal nickte bestätigend. „Ja und es klingt sehr nahe, zu nahe.“ Tordal blickte mit Besorgnis zu den hinter ihnen liegenden Gipfeln, die sich hinter einer dicken Wolkenschicht verbargen. „Ich glaube, er jagt uns. Er muss meine Witterung im Ergol-Wald aufgenommen haben.“ Sicherlich denkt er, ich hätte versucht, ihn zu vergiften. Wahrscheinlich will er mich zwingen, ein Stück verdorbenes Fleisch zu essen. In Wahrheit hatte er keine Ahnung, warum ihn das Wesen noch immer verfolgte.

Rukols waren als erbarmungslose und ausdauernde Jäger bekannt, die ihre Beute auch über große Strecken hinweg jagten. Hatten sie einmal eine Witterung aufgenommen, ließen sie von ihrem Opfer nicht mehr ab.

Er hatte gehofft, das, was auch immer das Wesen aus der Karem-Ebene vertrieben hatte, es auch daran hindern würde, ihm hierher zu folgen. Offensichtlich war dies aber vergebens gewesen. Anscheinend handelte es sich um ein extrem stures Tier.

„Ich habe noch nie einen Rukol gesehen“, meldete sich der Gnoll. „Das möchtest du auch gar nicht, glaub mir", entgegnete Tordal. Er prüfte den Sattel seines Pferdes und ging zu seinem Zelt. „Wir sollten besser sofort aufbrechen.“

Tordal und Tritis saßen auf ihren Reittieren und warteten auf Glori, der noch eine geeignete Stelle zum Erklimmen seines Pferdes suchte. Als ihm dies endlich gelang, schloss er zu ihnen auf und sie ritten ihrem Ziel entgegen.

Erste Vorboten der Vegetation fanden sich am Rande des Weges. Kleine, in allen nur möglichen Grüntönen wachsende Pflanzen wechselten sich mit Büschen ab, an denen überreife rote Beeren hingen. „Baltosbeeren, sehr nahrhaft, aber auch sehr giftig.“ Tritis' Wissen schien nicht auf die Skeldar-Berge beschränkt. Der Gnoll griff nach seiner Satteltasche und holte seinen Wasserschlauch heraus. Er verlangsamte mit einem kurzen Pfiff das Tempo des Murmeltieres, trank einen Schluck und sah dann zu Tordal. Hoogi schnupperte neugierig an einer Blüte.

„Wie kommt es, dass euch ein Rukol verfolgt? Diese Wesen leben doch ausschließlich in der Karem- Hochebene. Doch dieser überquert die Berge von der anderen Seite.“ Tordal wirkte nachdenklich und schien zu überlegen. Hoogis Nase war inzwischen komplett in der gelben Blüte verschwunden, als diese zuschnappte.

„Leider kann ich es dir nicht erklären. Genauso wenig erklären kann ich, warum uns ein Schlachtenwüter und seine Trollfreunde auf der Spur sind.“ Tritis stutzte. „Ein Schlachtenwas?“ „Ein Schlachtenwüter, ein Zwergendämon aus alten Zeiten.“ Hoogi versuchte mit seinem vorderen Beinpaar, seinen Kopf aus der Fleisch fressenden Pflanze zu befreien. „Na dann ist ja alles klar“, beendete Tritis sichtlich verwirrt das Gespräch. „Hör auf, rumzuspielen Hoogi, wir müssen weiter.“

Sie durchritten nun ein Gebiet mit langsam üppiger werdender Vegetation. Der Anblick dieser eigenartigen Reisegesellschaft musste auf einen Beobachter einen einzigartigen Eindruck machen. Ein menschlicher Außenseiter, komplett in schwarzes Leder gekleidet, ein Zwerg auf einem offensichtlich zu großen Pferd und ein Gnoll auf einem Riesenmurmeltier, das eine leuchtend gelbe Blüte als Maulkorb trug.

Sie hatten eine kleine Senke erreicht. Tritis schnalzte kurz mit der Zunge und das Murmeltier verfiel in einen Trab. Auf der nächsten Anhöhe zügelte er Hoogi und wartete auf sie. Als Tordal und Glori ihn erreichten, sahen sie den Grund für seinen Halt. Vor ihnen erstreckte sich von Horizont zu Horizont eine hügelige, fast baumlose Steppenlandschaft nur hier und da unterbrochen von kleinen Wäldern. In weiter Ferne zeichnete sich der Umriss eines einzelnen Berges ab, dessen schneebedeckter Gipfel nur ab und zu hinter einer Wolkendecke sichtbar wurde. Er musste unglaublich hoch sein, viel höher als die Berge des Skeldar-Gebirges. Tordal fand es seltsam, dass dieser so einsam vor ihnen lag. Als hätte ihn jemand dort abgestellt und ihn dann vergessen. „Teldor, der dunkle Berg“, erläuterte Tritis, der Tordals Blick richtig gedeutet hatte. „Man sagt, in den alten Zeiten war er das Zentrum einer längst untergegangenen Kultur. Doch seit damals hat niemand mehr seinen Gipfel bestiegen. Unaussprechliche Gefahren sollen auf diejenigen lauern, die versuchen, ihn zu bezwingen.“ Tordals Blick schweifte in die Ferne. Eins zu einhundertfünfundzwanzigtausend fiel es ihm ein. Da war er, der dunkle Berg, wie Tritis ihn nannte. Er wusste, dass dort das Ziel ihrer Reise lag. „Ihr wollt dorthin, oder?“ Der Gnoll durchbrach das Schweigen und deutete auf den weißen Riesen mitten in der Ebene. Der Ausdruck in seinem Gesicht verdeutlichte, was er davon hielt. „Yep, ich denke schon. Wenn es dort unaussprechliche Gefahren gibt, liegt er mit Sicherheit auf unserer Route.“ Nach einer kurzen Rast setzten sich die drei in Bewegung.

Der Zwerg hatte das Ende des Tunnels erreicht und stand nun vor einer Wand. Der Lichtschein hatte ihn den gesamten Weg geführt, wie früher auch schon. Seit Kindheitstagen hatten ihn die Geschichten über Schätze und sagenumwobene Wesen in der Ebene fasziniert. Nachdem man in den letzten Jahrzehnten praktisch den gesamten Kontinent erforscht hatte, war die Karem-Ebene das letzte noch unbekannte Kleinod. Alle Versuche, sie zu kartographieren, waren schon an der Überquerung der Skeldar Berge kläglich gescheitert. Es war als entzöge sich dieses Gebiet jeglichem menschlichen und nichtmenschlichen Einfluss. Über die Jahre entwickelte sich aus seinem Interesse eine regelrechte Besessenheit. Alles was er über die Ebene zu hören bekam, sog er gierig in sich auf, was ihn zum größten Experten auf diesem Gebiet werden ließ. Vor sechs Jahren hatte er endlich einen Weg durch die Berge und den sagenumwobenen dunklen Berg gefunden. Er war es, der das Übel einer vergangenen Zeit auf die Gegenwart losgelassen hatte. Damals ahnte er noch nicht, was er befreit hatte. Es hatte ihn mit seinem Wissen und seiner Magie zu unermesslichem Reichtum geführt und ihm gezeigt, was wahre Macht bedeutete. Seine zwergische Natur und sein ausgeprägter Geschäftssinn hatte ihr Übriges getan. Doch, was auch immer er geweckt hatte, wurde mächtiger. Nun war es vielleicht schon zu spät. Etwas, das für immer verbannt sein sollte, war wieder da.

Er spürte, wie die Magie ihn von oben bis unten durchleuchtete. Sie konnte bis in sein Innerstes sehen und übergab sich wahrscheinlich gerade. Niemand würde freiwillig einen Blick in einen Zwergenmagen werfen wollen. Er nahm etwas aus seiner Tasche und hielt den Gegenstand vor die Wand. Einen Moment lang geschah nichts, doch dann wich die Wand mit einem schabenden Geräusch vor ihm zurück. Der Raum dahinter lag im Dunkeln, eine Dunkelheit, die man nur mit dem Wort Dunkelschwarz beschreiben konnte. Er wartete, bis ein matter, rötlicher Lichtschein den Raum erhellte. Wider seiner inneren Ängste setzte er sich in Bewegung und betrat ihn. Hier spürte er die Magie überall um sich herum in der Luft. Seine Angst hielt sich bereit, ihn zu lähmen. Er sprach einen Schutzzauber und erschrak, als dieser geradezu von ihm abprallte und mit einem kaum hörbaren Zischen in der Dunkelheit verschwand. Es war zu spät, er hatte es befürchtet. Seine magischen Fähigkeiten würden von jetzt an nutzlos sein. Trotzdem würde er nicht aufgeben, er konnte es nicht.

Das Leben spürte, dass etwas mächtiges im Innern des Berges erwacht war und entzog sich ihm. Nur drei Gestalten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten, bewegten sich in die entgegengesetzte Richtung.

Karem-Ebene

Glori hatte Mühe, sich auf dem Pferd zu halten. Trotzdem schaffte er es irgendwie, zu Tordal aufzuschließen. Der Zwerg versuchte, sein Pferd in einen langsamen Trab verfallen zu lassen, woraufhin ihn dieses beinahe abwarf. „So langsam habe ich den Dreh raus.“ Tordal hielt das für unwahrscheinlich und nickte. „Sieht wirklich schon viel besser aus. Du wirst noch ein richtiger Reitkünstler“, log er. Am Boden um sie herum wuchsen kleine, dornbewehrte Büsche. Die Pferde wichen diesen geschickt aus. „Weißt du, was ich mich immer wieder frage?“ Wie lange es ein Zwerg ohne Alkohol aushält? „Ich habe keine Ahnung, was?“ „Was erwartet uns dort und wie wird die Geschichte ausgehen?“ Den Blick hatte er dabei zum gewaltigen Gipfel des dunklen Berges gerichtet. Die Gedanken des Kopfgeldjägers gingen in eine ähnliche Richtung. „Versuche dir immer Ziele zu setzen, die du vor Augen hast. Auch mit kleinen Schritten nähert sich der Jäger der Beute.“ Der Zwerg machte den Eindruck, als hätte er verstanden. Tritis war mit Hoogi wieder ein Stück vorausgeritten um die vor ihnen liegende Strecke zu erkunden. Glori wirkte nachdenklich auf Tordal. Was ein Widerspruch in sich war. „Wie steht es mit Tritis, will er uns immer noch hintergehen und eiskalt massakrieren?“ „Ich bin ein Prinz!“ Diese Antwort war nicht ganz die, die er erwartet hatte und er reagierte dementsprechend. „Was?“ Glori sah im tief in die Augen. Eigentlich müsste es heißen, er sah ihm von tief unten in die Augen. „Das war es, was ich dir in der Schenke sagen wollte. Ich bin ein Prinz. Mein Vater ist Pligo Stahlträger vom Clan der Eisenfresser, auch bekannt als Blutaxt oder Pligo die Plage.“ Das musste Tordal erst einmal verdauen. Er war mit dem Thronfolger des Reiches der Zwerge unterwegs, einem Feuer speienden noch dazu.

„Ich bin der erste von sechs Söhnen und damit der rechtmäßige Thronerbe.“ Sie mussten Tritis finden, immerhin konnte es sich bei ihm um den lange vermissten Sohn des Gnollkönigs handeln. Glori wartete einen Moment ab und fuhr dann in seinen Ausführungen fort. „Vor einigen Jahren ist, sagen wir mal ein Unglück geschehen. Man könnte auch sagen, ich hätte beinahe mein Volk ausgelöscht.“ Tordal hatte da so eine Ahnung. „Deine telepathischen Fähigkeiten?“ Dem Zwerg schien es schwer zu fallen, über dieses Thema zu reden, doch dann nickte er. „Mein Vater war der Meinung, dass wenn es mir gelingen würde, meine Fähigkeit einzusetzen, um positive Emotionen zu übertragen, es ein entscheidender Vorteil für unser Volk sein könnte. Stell dir nur vor, zwei befeindete Parteien stünden sich zur Schlacht gegenüber und plötzlich überkommt sie Liebe, Freundschaft und Zuneigung. Der Plan hatte nur einen Haken... .“ Ja, du bist überhaupt nicht in der Lage, eine dieser Emotionen zu empfinden. „Es gelang mir nicht und ich verlor die Kontrolle. Den Rest kannst du dir sicherlich denken.“ Tordal mochte gar nicht daran denken, es musste ein Massaker gegeben haben. In diesem Augenblick traf etwas mit einen metallisch klingenden Geräusch den Zwerg am Rücken. Dieser ließ sich sofort vom Pferd rutschen. Tordal nahm ein surrendes Geräusch war und sah zu dem Baum hinter ihm. Ein Pfeil, er hatte sich tief in das Holz des Baumes gebohrt. Geschickt sprang er vom Pferd und suchte sich in einem kleinen Graben Deckung. Glori, der einige Meter neben ihm lag deutete auf ein kleines Waldstück etwa zweihundert Meter von ihnen entfernt. Der Pfeil war von seinem Rückenpanzer abgeprallt. „Dort drüben, es sind mindestens zwei.“ Tordal blickte in die Richtung, konnte aber nichts erkennen. Dann sah er eine Bewegung zwischen den vorderen Baumreihen und kurz darauf schlug ein Pfeil in den Boden vor ihm ein. Verdammt, wir liegen hier wie auf dem Präsentierteller. Wo war nur Tritis? Er hoffte, der Gnoll hatte sich in Sicherheit bringen können. Ein weiterer Pfeil durchdrang den Busch hinter ihm und blieb in einer Wurzel stecken. Der Kopfgeldjäger gab dem Zwerg ein Zeichen, keine Reaktion, nur ein verwirrter Ausdruck in seinem Gesicht. Er versuchte es noch einmal und dieses Mal verstand der Zwerg. Glori robbte vorsichtig zu seinem Pferd und zog an seinem Bogen, der an einer Schlaufe an seinem Sattel hing. Tordal befand sich inzwischen am Rande des Grabens. Irgendwie musste er es schaffen, die Baumgruppe etwa zwanzig Meter vor ihm zu erreichen. Glori war unterdessen mit dem Bogen wieder in Stellung gegangen und zog einen Pfeil aus dem Köcher. Tordal gab dem Zwerg zu verstehen, dass er ihm Feuerschutz geben sollte, während er sich zu den Bäumen vorarbeiten würde. Dieser spannte den Bogen und schoss einen Pfeil ab um sofort nach dem nächsten zu greifen und ihn auf die Sehne zu legen. Tordal sprang auf und lief im Zickzack über die freie Strecke. Ein Pfeil schlug direkt zwischen seinen Füßen ein und ließ eine kleine Sandfontäne aufsteigen. Es waren nur noch wenige Meter, er warf sich zur Seite, spürte wie ihn ein Geschoss nur um Haaresbreite verfehlte und rollte sich ab. Dann hörte er einen schmerzerfüllten Schrei aus dem Wald. Glori musste einen ihrer Gegner getroffen haben. Als er den Wald erreichte, sank der Kopfgeldjäger hinter einer großen Birke zu Boden. Geschafft, nun den Hain durchqueren und dabei möglichst in Deckung bleiben. Ein weiterer spitzer Schrei erklang aus dem Waldstück. Der Zwerg verstand sein Handwerk. Zwerge und Bogenschießen, was es nicht alles gibt.

Er spähte hinter seiner Deckung hervor. Ein Pfeil nur noch einen guten Meter von ihm entfernt, wurde in der Luft von einem anderen getroffen, der ihn durchschlug und zu Boden fallen ließ. Der Tod warf dem Schicksal einen bösen Blick zu. Tordal wich zurück und sah in die entsprechende Richtung. Dort sah er den Gnoll, der ihn vom Rücken Hoogis aus angrinste. Verdammt guter Schuss Kleiner. Lautlos formte er mit den Lippen das Wort Danke und Tritis verstand. Der Gnoll verschwand mit dem Murmeltier wieder im Dickicht. Glori schien unterdessen auch wieder erfolgreich gewesen zu sein, denn er hörte ein lautes Quieken von dort, wo sich die Bogenschützen aufhalten mussten. Er stand auf und lief immer Deckung suchend, durch die Bäume. Gleich drei Pfeile verfehlten ihn nur um wenige Zentimeter, als er auf einigen Blättern ausrutschte. Tordal warf sich auf den Boden und beobachtete das Waldstück. Warum sagst du jetzt nichts? Wenn man dich braucht, bist du nicht da. WAS WILLST DU DENN HÖREN, VORSICHT PFEIL, BLEIB SCHÖN IN DECKUNG? ALS OB DU DAS NICHT SELBER WÜSSTEST. Könntest du nicht deine Kräfte wirken lassen um den Gegner zu vernichten, irgendwas dämonisches? WIE? Keine Ahnung, du bist doch der Experte, immerhin bist du der Dämon und nicht ich. DÄMON, SO NENNT MAN MICH ALSO. Tordal war irritiert. Was soll das heißen? Doch die Stimme in seinem Kopf schwieg wieder.

Das Schwert in seinen Händen begann leicht zu leuchten und seine Temperatur stieg merklich an. Er ging in die Hocke und sprintete los. Während er lief, spürte er, wie sich die Haare an seinem Körper aufrichteten und sein Körper von Magie durchdrungen wurde. Na also geht doch, dachte er. Immer wieder Haken schlagend lief er auf den Feind zu. Zwei Pfeile schlugen in einigen Metern Entfernung im Gras ein und blieben mit einem Plopp dort stecken. Ein neuerlicher Schrei und er sah etwas aus einem Baum fallen. Als er näher kam, konnte er den Körper, der von einem Pfeil in Brusthöhe getroffen wurde, deutlicher sehen. Es handelte sich um ein kleines, haarloses Wesen, das in leichtes Leder gekleidet war. Sein Blick wirkte leer und seine Augen waren glasig. Es hielt den Bogen noch immer fest umklammert.

Ein Goblin, diese miesen kleinen... . Sie mussten mit dem Schlachtenwüter im Bunde stehen, denn Goblins handelten niemals allein. Obwohl er seine Deckung nur für einen Sekundenbruchteil vernachlässigt hatte, konnte er dem Geschoss nicht mehr ausweichen. Er bereitete sich auf den Schmerz vor, doch dieser blieb aus. Stattdessen traf das Goblingeschoss auf eine unsichtbare Barriere und fiel vor ihm in das Gras. Tordal warf sich hinter den nächsten Baum in Deckung. Was war geschehen, war das deine Magie? Doch er erhielt keine Antwort. Er blickte zu seinem Schwert, das noch immer Wärmeimpulse aussandte. Danke. BITTE.

Glori kam direkt neben ihm zum Stehen. Tordal hatte keine Ahnung, wie der Zwerg es so schnell hierher geschafft hatte. „Was für ein Trick. Wie hast du das angestellt?“ Tordal, noch immer durcheinander, wusste nicht so recht, was er meinte. Glori sah ihn bewundernd an. „Klasse Sache, wie du das mit dem Pfeil gemacht hast. Wenn diese hinterhältigen Goblins es gesehen haben, nehmen sie wahrscheinlich gerade ihre Beine in die Hand und fliehen.“ „Das war nicht ich, das war das Schwert. Es muss irgendeinen magischen Schutz um mich herum errichtet haben.“ Er hatte nicht die geringste Ahnung, was geschehen war und würde es wohl auch so schnell nicht verstehen. Eines wusste er aber mit Sicherheit, er hatte sein Glück für heute überstrapaziert. Am besten grub er sich ein Loch und kam für den Rest des Tages nicht mehr heraus.

Der Beschuss hatte währenddessen aufgehört. Tordal setzte sich hin und untersuchte seinen Körper auf Verletzungen. Er hörte ein Rascheln im Unterholz neben ihnen. Der Kopf des Murmeltieres lugte zwischen ein paar Ästen hervor. Dann trat Hoogi ganz aus dem Dickicht und Tritis sprang von seinem Rücken. Der Gnoll verstaute seinen kleinen Bogen und redete liebevoll auf Hoogi ein. „Guter Junge. Das hast du toll gemacht.“ Der Riesenmurmler schüttelte den Kopf und wedelte glücklich mit dem Stummelschwanz.

„Sie sind alle weg. Einen habe ich noch auf der Flucht erwischt aber seine Freunde sind entkommen.“ „Das heißt, sie werden zurückkehren und zwar nicht ohne Verstärkung.“ Glori sah nachdenklich in die Ferne, während er dies sagte. „Sie müssen zu eurem Zwergendämon gehören, denn nach dem was man hört, befinden sich auch viele Goblins unter den Angreifern in der Kassam-Ebene.“ Tordal wollte momentan gar nicht wissen, woher der Gnoll davon wusste. Mühsam stand er auf und klopfte sich den Dreck von seinen Sachen. Dann schob er das Schwert in die Scheide Zurück und sah Richtung Norden. „Wir reiten weiter, bis wir einen geeigneten Lagerplatz gefunden haben. Morgen werden wir die Hänge des dunklen Berges erreichen. Wir sollten uns gleich auf den Weg machen und darauf achten, möglichst wenig Spuren zu hinterlassen.“ Natürlich wusste er, dass es darauf jetzt auch nicht mehr ankam. Ihre Feinde kannten ihr Ziel, wahrscheinlich schon lange bevor sie es kannten. Tief in seinem Innersten fühlte er, dass sein Schicksal mit dem dunklen Berg verbunden war. Sein Schicksal und das aller anderen.

Auf ihrem restlichen Weg durch die Ebene, blieben sie unbehelligt. Entweder sammelte der Feind noch seine Kräfte oder er hatte schon eine andere Überraschung für sie vorbereitet.

Die Pflanzenbewuchs nahm zu und wechselte von grasbewachsenen Ebenen mit spärlichem Baumbewuchs zu einem lockeren Mischwald. Je näher sie dem Berg kamen, desto weniger Leben bekamen sie zu Gesicht. Nur noch einige wenige lästige Insekten und kleines Getier im Gras bekamen sie zu sehen. Die größeren Tiere mussten diesen Teil der Ebene schon verlassen haben. Wie auch der Rukol, wurde es ihm klar. Das würde erklären, warum der die Hochebene über die Berge verließ. Sie hatten bereits die Ausläufer des Berges erreicht und sie entschlossen sich zu einer letzten Rast. Eine größere Lichtung im Wald ließen sie hinter sich und schlugen ihr Lager einige hundert Meter von dieser entfernt auf. Das Licht des Tages befand sich schon lange auf dem Weg nach Hause und war von der Dämmerung abgelöst worden. Glori führte die Pferde zu einem kleinen Bachlauf und entfernte die Sättel. Nur Hoogi blieb bei Tritis, lag neben dem Gnoll vor seinem Zelt und beobachtete neugierig seine Umgebung. Tritis war anscheinend augenblicklich in einen tiefen Schlaf gefallen. Sein kleiner Körper musste am Ende seiner Kräfte angelangt sein. Tordal saß vor seinem Zelt und streckte die Beine aus. Die Gelenke taten ihm weh und sein Rücken machte ihm schon länger Probleme. All die Jahre als Kopfgeldjäger und die Anstrengungen der letzten Wochen waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Als junger Knabe, während seiner Jugendzeit in Tessheim, hätte ihm dies nichts ausgemacht. Aber seit ein oder zwei Jahren war das anders. Noch war er in Form, ohne jeden Zweifel. Sein Körper brauchte nur etwas länger, wieder neue Energie zu sammeln. Im Kampf war er aber immer noch den meisten Gegnern überlegen. Seine Jahre in der Akademie in Tessheim und sein stundenlanges, tägliches Training machten ihn zu einem Ausnahmekämpfer. Obwohl nicht königlichen Blutes, war er nur von den Besten ausgebildet worden. Alle Arten des Kampfes, ob mit oder ohne Waffe, wurden ihm beigebracht. Sein Geist wurde von den größten Denkern und Gelehrten des Kontinents geschult und die Moralvorstellungen der weisesten Herrscher wurden auch die seinen. Seit geraumer Zeit schon dachte er, dass er all dies nur aus einem Grund gelernt hatte, dass alles nur einem Zweck diente. War jetzt vielleicht dieser Moment gekommen, der Moment, in dem ihm sein erlerntes Wissen von Nutzen sein konnte? Doch woher hätten seine Ausbilder wissen können, was in der Zukunft geschah. Warum hatte er nie etwas über seine Eltern erfahren? War er ein Einzelkind oder hatte er Geschwister? So viele Fragen, die ihn quälten. Würde er jemals die Antworten darauf finden? Vielleicht lag die Antwort vor ihm und er sah sie einfach nicht. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Wenigstens war er nicht allein unterwegs. Er hatte Freunde gefunden. Erst jetzt, als er darüber nachdachte, wurde er sich dessen richtig bewusst. Tordal schüttelte die Gedanken ab und kehrte zurück in die Realität. Der Berg wirkte auf ihn bedrohlich und unheimlich. Vielleicht würde ihm der morgige Tag die Antworten bringen, die er sich erhoffte, vielleicht aber auch den Tod.

Dieser konzentrierte sich wieder voll auf das Geschehen und warf nur ab und zu einen kurzen Blick zum gefesselt und geknebelt hinter ihm liegenden Schicksal.

Leben kehrte in das Innere des Berges zurück oder was auch immer es war. Nun stand er direkt vor dem Eingang. Hier hatte das uralte Böse seinen Ursprung. Dies war der Ort, an dem er es erweckt hatte. Es gab kein Zurück mehr, er musste es tun. Vor Angst zitternd trat er durch den Eingang. Der gesamte Berg, schien zum Leben zu erwachen. Magie durchströmte ihn wie ein Fluss und es war deutlich wärmer geworden. An einigen Stellen entlud sich die Magie Funken sprühend, an anderen leuchteten magischen Schriftzeichen in der Luft auf. Nach einigen Metern endete der Weg neuerlich vor einer Wand. Diese verschwand einfach vor ihm. Das war neu, bisher hatte es immer Magie bedurft, sie zu öffnen. Misstrauen schlich sich in die Gedanken des Zwerges und ließ ihn aufhorchen. Eigentlich versuchte es nur, zusammen mit seiner Neugier zu entkommen, aber das spielte nun auch keine Rolle mehr. Er betrat den Schacht, der ihn einige Meter in die Tiefe führen würde, um letztendlich in einem kleinen Raum zu enden. Dieser Raum war sein Ziel, nur dort konnte er seine Aufgabe erfüllen. Die Gefahr, die von diesem Raum ausging, würde bald zu einer Bedrohung des ganzen Kontinents werden. Wenn es nicht schon zu spät war. Er hatte nur diese eine Chance und die musste er nutzen. Der Gang wurde wie schon einige zuvor, von einem matten roten Licht erhellt. An den Wänden wanderten magischen Zeichen auf und ab. Leise hörte er eine Stimme, die in einer ihm fremden Sprache etwas sagte. Die Seelen der Verstorbenen waren hier gefangen. Er hörte viele Stimmen von überall her und doch war es nur eine. Was geschah hier, kam er zu spät? Langsam und möglichst unauffällig griff er in eine seiner Taschen. Erleichtert atmete er auf, es war noch da. Ohne den Gegenstand wäre seine Sache sinnlos. Er brauchte ihn, um das Böse aufzuhalten, ihn und die magischen Worte. Immer und immer wieder hatte er sie gelesen und auswendig gelernt. Auch wenn sie für ihn keinen Sinn ergaben, waren sie doch der Schlüssel. Dies hatte er bei seinen Nachforschungen im Berg in Erfahrung gebracht. Als er noch Zutritt zu allen Räumen hatte. Später blieben ihm viele dieser verschlossen. Das war als diese schrecklichen Wesen auftauchten.

Er war nach längerer Zeit zurückgekehrt und traf überall im Berg auf diese schrecklichen Wesen. Es sagte ihm, es hätte sie erschaffen, um die Welt neu zu gestalten. Nein, es sagte nicht erschaffen, es war ein anderes Wort aber er erinnerte sich nicht mehr. Unterdessen hatte er das Ende des Schachtes erreicht und stand nun vor einem hell erleuchteten Raum, der vor Magie zu bersten schien. Noch nie zuvor hatte er die Bedrohung so fühlen können, sie war beinahe greifbar.

Er spürte die Gegenwart, es war etwas Uraltes und Fremdes. Dann hörte er wieder diese Stimme in seinem Kopf. Die Worte wurden in einer fremden Sprache gesprochen und doch verstand er sie.

ICH HABE DICH ERWARTET. DU BIST ALSO GEKOMMEN, UM MICH AUFZUHALTEN. WIE TÖRICHT UND SO SINNLOS. NIEMAND WIRD AUFHALTEN, WAS NICHT AUFGEHALTEN WERDEN KANN. Es war zu spät, das wusste er in dem Moment, in dem er die Worte in seinem Kopf vernahm. In diesem Moment spürte er, wie er den Boden unter den Füßen verlor und bemerkte, dass er in die Mitte des Raumes gezogen wurde. Mehrere Zentimeter über dem Boden schwebend, sah er dem Ende entgegen.

Der dunkle Berg

Er erwachte im ersten Licht des neuen Tages. Sofort merkt er, dass etwas anders war. Es war die Stille, es gab keine Vögel. Die letzten Tage waren wenigstens noch vereinzelt Vögel zu hören gewesen aber nun herrschte eine absolute Ruhe. Nur das Schnarchen des Zwerges war zu hören. Tordal zog sich an, griff nach seinem Schwert und trat aus dem Zelt. Wolken verdunkelten den Himmel, wie die Vorboten kommenden Unheils. Nebel stieg von den Hängen des Berges auf und die Luft war feuchtwarm und drückend wie vor einem Gewitter. Kurzum, es war ein perfekter Tag zum Kämpfen. Er würde kämpfen müssen, das wusste er.

DIE FRAGE LAUTET, MIT WELCHEN WAFFEN? Inzwischen hatte er sich an die Tatsache gewöhnt, dass ein in seinem Schwert gefangener Dämon in seinem Kopf zu ihm sprach. Auch wenn ich fürchte, die Antwort schon zu kennen, aber um welche Waffen handelt es sich denn? DU WIRST ES VERSTEHEN, WENN ES SOWEIT IST. Das habe ich geahnt. Könntest du vielleicht etwas konkreter werden? NEIN. Auch das habe ich befürchtet. Aber wärst du vielleicht so freundlich, mir zu verraten, gegen wen ich kämpfen muss?

KEINE NAMEN, NUR VERSCHIEBUNGEN DER REALITÄT. UNWIRKLICHES WIRD WIRKLICH. REALES WIRD ZUM IRREALEN. Ein kurzes Stocken. WAS MACHST DU DA? Ich versuche, mitzuschreiben, das kann sich doch keiner merken, von verstehen spreche ich gar nicht. He, jetzt hör nicht auf, ich brauche dein Wissen. „Na, wieder ein paar dämonische Floskeln ausgetauscht?“ Die Stimme gehörte Glori, der direkt neben ihm stand und ihn schon einige Zeit beobachtet haben musste. „Nur, dass ein Gespräch mit ihm“, er blickte dabei auf seine Klinge, „mehr Fragen aufwirft, als dass es Antworten bringt.“ Mal davon abgesehen, dass er sich dabei immer ein bisschen dämlich vorkam. „Er weiß etwas, da bin ich sicher.“ Glori sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Inzwischen war auch Bewegung im Zelt des Gnolls zu sehen. Dieser hatte tatsächlich die ganze Nacht durchgeschlafen, während er selber kein Auge zu bekommen hatte. Zu viele Fragen schwirrten durch seinen Geist, als dass er zur Ruhe kommen konnte. „Du sagst, er verschweigt dir etwas“, durchbrach Glori nachdenklich die Stille. „Warum fragst du ihn dann nicht nach seiner Herkunft? Der Dämon ist alt, dieser Ort ist alt und er weiß sehr viel darüber. Vielleicht hilft es uns weiter. Ich habe Zweifel an dieser Geschichte mit den Ödlanden, das ist kein normaler Dämon. Nicht, dass ich bisher mit sehr vielen Dämonen zu tun hatte, nicht einmal mit abnormalen, aber ich bin mir sicher, da steckt mehr dahinter.“ Gar nicht so dumm, Kleiner. Du bist wirklich immer wieder für eine Überraschung gut. „Gute Idee, da gibt es nur ein Problem.“ „Das wäre welches?“ Tritis hatte sich mittlerweile zu ihnen gesellt. Er wirkte hellwach und geradezu beängstigend aufgedreht. „Ich spreche nicht mit ihm, er spricht zu mir. Wenn ich ihn anrufe, erhalte ich keine Antwort. Ich muss darauf warten, dass er von sich aus das Gespräch beginnt. Da ist er etwas eigen.“ Das klang selbst für ihn seltsam.

„Habe ich was verpasst?“ Tritis sah die beiden neugierig an. „Nicht wirklich“, entgegnete Glori. „Na dann, nichts wie los. Hat jemand von euch Hoogi gesehen?“ Tatsächlich, Tordal war dem Murmeltier an diesem Morgen noch nicht begegnet. Sonst lief es oftmals verspielt im Lager herum, wenn sie aufwachten. Die Energie dieses Tieres faszinierte Tordal immer wieder. Es strahlte die pure Lebenslust aus. Es war ungewöhnlich, Tritis und seinen treuen Freund nicht Seite an Seite zu sehen. Bei seinem Anblick kam es Tordal so vor, als fehlte mit Hoogi ein wichtiger Teil des Gnolls, er wirkte unvollständig. Wie Feuer ohne Hitze oder ein Zwerg ohne Bart. Beunruhigt lief der Gnoll suchend durch das Lager. „Da bist du ja, ich habe mir schon Sorgen gemacht.“ Sie sahen den Riesenmurmler in einiger Entfernung stehen. Das Tier wirkte sehr aufgeregt. Natürlich war das dem Gnoll auch nicht entgangen. „Was ist los mit dir, was hast du? Willst du mir etwas zeigen?“ Hoogi drehte sich herum, machte ein paar Schritte und kam wieder zurück. „Ist ja gut, ich komme mit. Ich glaube, wir sollten ihm folgen.“ Tordal war zum selben Schluss gelangt und Glori folgte ihnen wortlos. Das Murmeltier führte sie etliche Meter in das Dickicht am Fuß den Berges hinein und blieb dann stehen. Als die Gefährten näher heran traten, schob es mit seiner Nase etwas in ihre Richtung. „Was hast du denn da?“ Tritis betrachtete, was Hoogi ihm zeigen wollte. „Ein toter Vogel, offensichtlich Genickbruch. Ja aber, was soll ...“ Der Zwerg unterbrach ihn, bevor er den Satz beenden konnte. „Da ist noch einer und da drüben.“ Er zeigte zu einem Punkt unweit von ihnen, wo ein weiteres Tier lag. Auf ebensolche Art gestorben, wie die anderen. „Was ist hier nur los?“ Tordals Verwirrung war nicht gespielt. „Glori, du hast doch nicht etwa wieder...?“ Zornig drehte er sich zum Zwerg. Tritis verstand offenbar gar nichts mehr. „Nein, wie kommst du darauf? Ich war die Ausgeglichenheit in Person.“ Auch, wenn er persönlich die Worte Zwerg und Ausgeglichenheit nie in einem Satz verwenden würde, nahm er das so hin. „Es gibt hier also etwas, das Vögel tötet. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, was es ist.“ Während Tritis diese Worte sagte, bewegte er sich hangaufwärts. Hier stieg der Boden schon sacht an. Sie befanden sich direkt am Fuß des Berges. Plötzlich prallte er, wie von einer unsichtbaren Wand ab und kippte rücklings um. Magische Energie entlud sich dort, wo er auf die Barriere getroffen war. Der Gnoll lag auf dem Rücken und legte die linke Hand an den schmerzenden Kopf. „Ich glaube, ich weiß, was dafür verantwortlich ist.“ „Man könnte sagen, du bist wie vor den Kopf gestoßen.“ Glori konnte sich diesen Kommentar nicht verkneifen, den der Gnoll mit einem vernichtenden Blick beantwortete. Tordal ging zu der Stelle, wo er die magische Entladung gesehen hatte. Dort blieb er stehen und hob langsam seine Hand, bis er auf Widerstand traf. Ein leichtes Kribbeln durchlief seine Finger. „Ein magisches Kraftfeld und noch dazu ein sehr mächtiges. Hier im Unterholz ist der Bewuchs zu dicht zum Fliegen. Die Vögel müssen in großer Höhe gegen das Kraftfeld geflogen sein. Wahrscheinlich umgibt es den gesamten Berg.“ Glori wirkte, als würde er resignieren. „Aber wenn das so ist, haben wir keine Möglichkeit, hineinzugelangen.“ Tordal sah den Zwerg entschlossen an. „Es muss einen Weg geben, denk an Giganto. Außerdem kehre ich doch nicht einfach um. Wir werden einen Weg finden und ich weiß auch schon, wie.“

Der Kopfgeldjäger hob einen kleinen Stein auf und warf ihn in Richtung des Kraftfeldes. Dort, wo der Stein auf die Barriere traf, entlud sich erneut magische Energie. Kurzzeitig flackerte das Feld in einem hellen Blau auf.

Tritis, der inzwischen wieder auf den Beinen war, nahm sich ebenfalls einen Stein. „Also gut, lasst uns suchen gehen. Es muss einen Eingang geben und wir werden ihn finden.“ Es klang fast so, als glaubte er daran.

Sie suchten schon seit mehreren Stunden als sie fündig wurden. Glori führte sie zu der Stelle weiter westlich am Hang. Der Zwerg blieb vor einer kleinen Tanne stehen. „Hier ist es, passt auf.“ Einen kleinen Stein aus der Gürteltasche nehmend trat er auf den Baum zu. Dann warf er den Stein direkt durch das Geäst und Tordal wartete auf das obligatorische blaue Aufflammen des Kraftfeldes, doch es blieb aus, es geschah nichts. Glori grinste von einem Ohr zum anderen.

„Das ist genau das, wonach wir gesucht haben. Jetzt müssen wir nur noch den Baum fällen.“ Tordal legte Glori die Hand auf die Schulter. Ihm fiel auf, dass der Wald hier wie abgeschnitten wirkte. An einer nahezu geraden Linie endete er urplötzlich. Er fand keinerlei Hinweise dafür, dass das Kraftfeld dafür verantwortlich war. Der Zusammenhang war aber offensichtlich. „Gut gemacht, wir sollten die Pferde holen und uns als Holzfäller versuchen.“ Neue Hoffnung machte sich in ihm breit.

Sie kehrten zu der Stelle zurück und machten sich daran, die Tanne zu fällen, als es passierte. SIE HABEN EUCH GEFUNDEN. EINS ZU ZWEIHUNDERTFÜNZIGTAUSEND.

In der nächsten Sekunde erwachte der Wald um sie herum zum Leben. Überall war Bewegung.

Ein Pfeil bohrte sich in die Axt des Zwerges, was dieser mit einem lautstarken „Herrje, nicht schon wieder“ quittierte. Ein mächtiges Gebrüll erklang aus dem Wald hinter ihnen. „Wir müssen versuchen, durch die Lücke im Kraftfeld zu schlüpfen, vergesst die Pferde. Nehmt nur das Notwendigste mit.“ Er gab dem Leitpferd einen Klaps und es trabte davon. Die anderen beiden folgten ihm in die Sicherheit des Unterholzes.

Tordal spürte, wie die Wärme zurück in die Waffe in seiner Hand floss. Mehrere Goblins waren inzwischen aus dem Wald getreten, gefolgt von zwei riesigen Trollen. Es ist doch immer wieder schön, alte Freunde zu treffen, ging es ihm durch den Kopf. Hätte ich allerdings geahnt, dass wir Besuch bekommen, hätte ich Vorbereitungen getroffen. Ich dachte da an Feuergräben, dornbespickte

Baumstämme und etwa einhundert schwer bewaffnete Kämpfer. Was man halt alles so für Freunde tut.

Einer der beiden Trolle trug eine gewaltige Armbrust, die er nun mit der Kraft seiner überdimensionalen Muskeln spannte. Tordal konnte sich nur zu gut vorstellen, was geschehen würde, wenn einer dieser Bolzen ihn treffen würde. Als ob er seine Gedanken lesen könnte, feuerte der Troll die Waffe ab. Ein unheilvolles Surren drang an seine Ohren. Dann vernahm er ein lautes Knacken. Die Eisenspitze des Bolzens hatte eine Birke links neben ihm gespaltet.

Glori hielt seine Axt in den Händen und machte sich zum Kampf bereit. Immer mehr Goblins, mit Bögen und kleinen Speeren bewaffnet, traten aus dem Dickicht. In diesem Moment erklang ein wohlbekanntes Brüllen.

Der Schlachtenwüter, wie sollte es auch anders sein. Der Troll spannte erneut seine Armbrust, während sein Artgenosse, Tordal erkannte in ihm den Anführer der Gruppe wieder, den kleineren Wesen Befehle entgegenbrüllte. Daraufhin verschwanden einige der Goblinkrieger wieder im Unterholz.

Tritis, den Bogen in der Hand, kam auf Hoogi zu ihm herüber. Glori legte seine Axt von einer Hand in die andere. „Wir kommen zwar hindurch, müssen aber verhindern, dass sie uns folgen.“ Tordal glaubte nicht, dass das eine Rolle spielte, denn immerhin waren ihre Angreifer höchstwahrscheinlich aus dem Inneren des Kraftfeldes gekommen. Undeutlich hörte er die Stimme des Dämons in seinem Kopf, verstand aber die Bedeutung der Worte nicht.

„Wir müssen sie aufhalten, sie würden uns auch weiterhin verfolgen.“ Allerdings hatten sie, so fürchtete er, gegen eine solche Übermacht keine Chance.

Der Wald schien die Goblins geradezu auszuspeien. Mehr als dreißig dieser kleinen kampfeslustigen und überdrehten Wesen standen ihnen nun schon gegenüber. Zwischen den Gefährten und ihren Gegnern befanden sich etwa achtzig Meter freie Fläche mit nur einigen vereinzelten Bäumen, die schon mit Pfeilen übersäht waren. Ein Geschoss streifte ihn an seinem rechten Arm und zerfetzte das Leder seiner Weste. Aus dem Wald drang ein lautes Knarren und Quietschen zu ihnen, unterbrochen vom Geräusch berstender Äste. Die Geräusche wurden lauter und auch Glori, der angestrengt in die Richtung sah, waren diese nicht entgangen.

„Was zum... “, fluchte der Zwerg, als er sah, was vor ihnen das Unterholz durchbrach.

Es handelte sich scheinbar um eine Art Katapult, eine gigantische, hölzerne Konstruktion. Mehrere Goblins liefen auf und vor diesem aufgeregt umher und schrieen sich Befehle zu. Wahrscheinlich stellten sie die Chaosbrigade dieser Wesen dar. Anders war ihr Verhalten jedenfalls nicht zu erklären. Er fragte sich, was sie vorhatten.

Mehrere der kleinen Chaoten machten sich wild schreiend daran, das Katapult zu laden. Tordal war so fasziniert von dem was er sah, dass er erst jetzt merkte, dass Tritis ihn an seinem Bein zog. „Problem, auch auf der anderen Seite des Kraftfeldes sind Goblins erschienen und es werden immer noch mehr, als gäbe es hier ein Nest.“ Gut, das war wirklich ein Problem, denn damit war ihnen ihr einziger Fluchtweg versperrt. „Du und Glori, ihr kümmert euch um sie. Ich versuche, unsere Freunde hier vorne aufzuhalten.“

Mittlerweile mussten es gut vierzig der Wesen sein, die wild hüpfend und schreiend Pfeile, Speere und andere Geschosse in ihre Richtung schleuderten. In diesem Moment wurde er von einem Stein an der Schulter getroffen. „Genug, ich werde langsam wütend“, brachte er durch seine vor Schmerz zusammengebissenen Zähne hervor. Noch wollte er seine Deckung nicht verlassen, denn hier befand er sich in relativer Sicherheit. Von vereinzeltem Steinbeschuss einmal abgesehen. Sein Schwert vibrierte leicht und wurde zunehmend wärmer. Die Chaoten auf dem Katapult hatten es geschafft, ihre Waffe zu laden. Sie gossen eine Flüssigkeit auf das Geschoss und entzündeten sie. Was sollte er nur tun? ICH SCHLAGE VOR, DU GREIFST SIE AN.

Glori und der Gnoll waren unterdessen durch die Lücke im magischen Kraftfeld verschwunden.

Aber es sind zu viele, ich werde tot sein bevor ich sie erreiche. TUE ES EINFACH. Warum eigentlich nicht, was sollte schon passieren. Er zuckte zusammen, manchmal hasste er seine ausufernde Fantasie. Mit der Klinge in der Hand und einen Schrei ausstoßend stürmte er auf die Angreifer zu. In diesem Augenblick durchtrennte einer der Goblins das gespannte Seil des Katapults, er durchbiss es und seine feurige Ladung flog Tordal entgegen. Es sauste in hohem Bogen auf seine Position zu. Immer noch schreiend lief er weiter. Das Geschoss schlug genau dort ein, wo er eben noch gestanden hatte und Flammen breiteten sich großflächig aus. Überrascht von der Zielgenauigkeit der wirr umherspringenden Wichte lief er weiter.

Die Chaoten auf dem Katapult stießen ein enttäuschtes Geschrei aus und luden ihre Waffe von neuem. Er hatte die Hälfte der Strecke zurückgelegt und wieder durchlief ein Kribbeln seinen Körper. Einige der mit Bögen bewaffneten Goblins, schienen den ersten Schock beim Anblick der auf sie zurasenden und schreienden Gestalt in Schwarz, überwunden zu haben und schossen nun wieder ihre Pfeile auf ihn ab.

Tordal wusste, dass er niemals unbeschadet den Waldrand erreichen würde. Geschosse schlugen überall um ihn herum ein und es war nur eine Frage der Zeit, bis ihn eines dieser treffen musste. Einen Sekundenbruchteil später, flammte etwas in Höhe seines Brustkorbs blau auf und ein Pfeil mit abgebrochener Spitze fiel vor ihm zu Boden. Immer noch seinen Kampfschrei ausstoßend blieb er stehen. Wieder ein Aufflammen, diesmal direkt vor seinem Kopf. Ein weiterer Pfeil fiel zu Boden. Er verstummte, langsam begann er, zu verstehen. Der Dämon, er schützte ihn wieder. Jetzt, wo er darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass es sich um ein ähnliches Kraftfeld handeln musste, wie das, welches den Berg umgab.

Immer wieder flackerte es bläulich auf und das Geschrei der Angreifer wandelte sich in ungläubiges Staunen. Am Rande seines Blickfeldes, nahm er gerade noch wahr, wie ein Mitglied der Chaosbrigade mit einem Schwert erneut das gespannte Seil des Katapults durchtrennte. Doch sein siegessicheres Geschrei wurde zu einem angstvollem Kreischen. Denn Tordal war inzwischen zu nahe, als dass die Waffe ihm gefährlich werden konnte. Sie hatten die Entfernung falsch berechnet. Sofern sie so etwas überhaupt taten und die feurige Ladung schoss fast senkrecht in den Himmel und stürzte direkt auf das Katapult zu. Entsetzen und Erstaunen spiegelte sich auf den Gesichtern der Goblins wieder.

Die feurige Masse stürzte auf sie und setzte die Holzkonstruktion sofort in Brand. Die flüssige Glut breitete sich schnell aus und entzündete alles in mehreren Metern Umkreis, inklusive mehrerer Goblins und des gerade wieder seine Armbrust spannenden Trolls. Dieser raste brüllend und lichterloh brennend in den Wald zurück. Gute Idee, dachte Tordal, noch mehr Holz. Zuversicht durchbrach die Barriere der Hoffnungslosigkeit und breitete sich in Tordal wie eine Grippe aus.

Wieder setzte er sich in Bewegung und nahm die letzten Meter bis zum Waldrand in Angriff. Dort verfolgten dutzende der kleinen Kreaturen das unwirkliche Schauspiel mit wachsendem Interesse. Einige von ihnen schienen tatsächlich zu applaudieren. Ihn trennten nur noch wenige Meter von den Kriegern, die nun ihre Nahkampfwaffen zogen. JETZT WIRD ES LUSTIG.

Das nächste was er wahrnahm, waren die Körper von mindestens zwei Dutzend der Gegner, die sich um ihn herum stapelten. Von oben bis unten war er mit ihrem Blut besudelt. Die restlichen Gegner waren verschwunden. Glori tippte ihm von hinten auf die Schulter, wahrscheinlich mit Hilfe einer Leiter. „Das war beeindruckend, Respekt. Dein Schwert war so schnell, dass man es nur schemenhaft wahrnehmen konnte.“ Tordal konnte sich an nichts erinnern. „Wie ein Dämon“, er imitierte anscheinend einen wahnsinnigen Schwertkämpfer. Dann wurde sein Blick ernster. „Dein Schwert, es hat geglüht und ihre Waffen konnten dir nichts anhaben.“ Dabei blickte er zu den vor ihnen liegenden Körpern der Gegner.

Tordal sah sich nun etwas genauer um und sah zwei Goblins verängstigt in der Krone einer großen Eiche sitzen. Sie blickten eingeschüchtert in seine Richtung. „Die werden wahrscheinlich die nächsten Tage dort oben verbringen, sich dann auf den Weg zur Küste machen und den Kontinent schnellstmöglich verlassen. Wen wundert es“, fügte der Zwerg mit einem Blick auf Tordals Waffe hinzu. „Wir sollten besser gehen, bevor noch mehr von ihnen kommen. Außerdem fehlt jede Spur vom Schlachtenwüter.“

Er zog den Menschen, der sich wie in Trance bewegte, mit sich zum Loch im Kraftfeld. Dort warteten schon Tritis und Hoogi. Es herrschte absolute Ruhe, keine Spur von ihren Angreifern. Bis auf die von ihm gemeuchelten schienen sie ihre Getöteten und Verwundeten mitgenommen zu haben.

Als sie den Gnoll erreichten, wich dessen Reittier ängstlich einige Schritte zurück. Hoogi schien zu spüren, dass mit dem in Schwarz gekleideten Menschen und seiner Klinge etwas nicht stimmte. Was war nur geschehen? Tordal richtete diese Frage an die Stimme in seinem Kopf, doch er erhielt keine Antwort. Er musste herausbekommen, woher dieses Schwert stammte. Eine innere Stimme sagte ihm, dass eine Verbindung zwischen diesem und dem Berg bestand.

Langsam trat er durch das Kraftfeld und blieb stehen. Er sah an den Flanken des Berges hinauf bis zu dessen Wolken verhangenem Gipfel. Dort oben warteten die Antworten auf seine Fragen, so hoffte er zumindest. „Ein Schwertgeist.“ Die Stimme vernahm er mehr im Unterbewusstsein, als dass er sie wirklich hörte. Tritis sah ihn an, als würde er eine Reaktion darauf erwarten. „Was, was meinst du?“ Der Schleier, der sich über Tordals Denken gelegt hatte, lüftete sich langsam.

„In alten Geschichten wird von Schwertgeistern erzählt. Kämpfer, die eins waren mit ihrer Waffe und als beinahe unbesiegbar galten. Angeblich waren sie die Hüter eines längst vergessenen Wissens.“ In Tordals Kopf herrschte Chaos.

Bilder erschienen vor seinem inneren Auge und verschwanden wieder. Erinnerungen kamen und gingen. Wenn er versuchte, sie zu greifen, entglitten sie ihm.

Schwertgeister, Hüter des Wissens, er hatte schon einmal von ihnen gehört, während seiner Jugend in Tessheim. Er hatte heimlich seine Ausbilder belauscht und oft ihre verstohlenen Blicke wahrgenommen. Wieder ein Mosaikstein auf dem Weg der Erkenntnis. Doch in seinem Kopf tauchten mehr neue Fragen als Antworten auf.

DIE WAHRHEIT LIEGT VOR DIR. NUR DU KANNST ES AUFHALTEN.

Das half ihm jetzt auch nicht weiter. Wer bin ich, was ist meine Aufgabe und warum weißt du so viel darüber? ALLES ZU SEINER ZEIT. ERST MUSS ICH MEINE KRÄFTE SAMMELN. ICH SPÜRE DIE ENERGIE DIESES ORTES. Das tat er auch und sie war durchweg negativ. Die Antwort auf alles schon fast vor Augen, entzog sie sich ihm aber immer im letzten Moment. Das würde sich auch nicht ändern, so lange er nicht die Frage kannte, das spürte er.

Alte Freunde

Seltsamerweise fanden sie innerhalb des Kraftfelds eine vollkommen andere Vegetation vor. Es war wie ein Schritt in eine andere Welt. Mammutbäume mit weit ausladenden Ästen standen direkt neben uralten Buchen und Kastanien. Der Boden war übersäht mit Pflanzen aller Art. Etliche von ihnen hatte Tordal noch nie zuvor gesehen. Vor ihnen breitete sich ein buntes Blumenmeer aus. Alles wirkte irgendwie nicht real. Er konnte sich nicht daran erinnern, irgendwo auf dem Kontinent eine solche Vielfalt an Pflanzen gesehen zu haben. Auch die Tierwelt war hier mannigfaltig vertreten. Das Kraftfeld, wie lange es auch schon existierte, hatte dafür gesorgt, dass sich hier eine einzigartige Vielfalt an verschiedensten Lebewesen entwickeln konnte. Man sah handtellergroße Insekten umherschwirren und von überall her, vernahm man den Gesang der Vögel.

Eine Bergkatze huschte vor ihnen über den Weg und eine Gruppe seltsamer Wesen mit braunem Fell kletterte durch die Bäume und begleitete sie ein Stück ihres Weges. Seine beiden Freunde schienen ebenso beeindruckt zu sein von dem, was sie sahen. „Unglaublich“, hörte er die Stimme des Zwerges. Hoogi hatte sich einige Meter von ihnen entfernt und beschnupperte neugierig einen Busch.

„Hier könnte ich mich zur Ruhe setzen.“ Glori sah sich fasziniert um. „Dann würde hier innerhalb kurzer Zeit alles in Flammen stehen oder ein Krieg ausbrechen.“ Der Zwerg überhörte die Bemerkung des Gnolls und setzte sich. Tordal hielt diesen Lagerplatz für genauso gut wie jeden anderen. „Ich denke, wir können beruhigt hier rasten. Vorerst dürfte uns keine Gefahr drohen.“ Tordal sammelte einige Äste auf und legte sie auf einen Haufen. Dann blieb er stehen, schloss die Augen und lauschte dem Klang des Lebens. Ein krächzender Schrei ließ ihn in den Himmel blicken. Ein hühnergroßer, rot-grün leuchtender Vogel flog in einiger Höhe über ihnen und landete im Geäst eines ungewöhnlich eckig aussehenden Baumes. Unglaublich war wirklich die einzig treffende Beschreibung für diesen Ort. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es einen Ort geben könnte, der diesem in seiner Schönheit auch nur nahe kam. Mehrmals hatte er den Kontinent schon bereist, aber dies hier, das war einzigartig. Wie er auf den Gedanken kam, wusste er nicht, denn er war nie gläubig gewesen, aber so musste es im Himmel aussehen. Hoogi jagte spielerisch ein bläulich schimmerndes, schlankes Insekt durch das Gras. Auch er erkannte die Einzigartigkeit dieses Ortes. Glori war unterdessen verschwunden, um mehr Holz für ein Feuer zu sammeln und die Gegend zu erkunden. Tordal fiel auf, dass seine Axt noch hier neben ihm lag. Die Unberührtheit und Abgeschiedenheit dieses Ortes in sich aufnehmend schlief er ein.

Als er erwachte, hörte er das Knistern des Feuers und die gedämpft an sein Ohr dringenden Stimmen seiner Gefährten. Er öffnete die Augen und setzte sich auf.

„Na, auch schon wach, Langschläfer? Passt ganz gut, das Essen ist gleich fertig.“ Jetzt nahm er auch den Duft frisch gebratenen Fleisches war und sein leerer Magen meldete sich zu Wort. Er ging zu den beiden und nahm neben ihnen Platz. „Wie lange habe ich geschlafen?“ „Ein paar Stunden, du hattest es anscheinend dringend nötig.“ Tritis begleitete seine Worte mit einem Lächeln. Den Schlaf hatte er tatsächlich gebraucht. Erst jetzt merkte er, wie ausgelaugt er vorher gewesen war. Ob es an dem Kampf mit den Goblins oder den Strapazen der langen Reise lag, konnte er nicht sagen, doch es hatte ihn all seine Kraft gekostet. Nun fühlte er sich so lebendig und frisch wie schon lange nicht mehr. Er nickte nur und nahm dankbar das Fleisch entgegen, das ihm der Gnoll reichte. Allein bei dessen Anblick lief ihm schon das Wasser im Munde zusammen.

Er schnitt sich ein großes Stück ab und schob es hungrig und mit knurrendem Magen in seinem Mund. Den laut schmatzenden Zwerg bedachte er mit einem freundlichen Blick. „Hast du irgendetwas entdeckt, das uns weiterhelfen könnte?“ Glori schluckte kauend einen Bissen herunter. „Weiter oben, etwa eine Stunde von hier entfernt, führt ein Pfad direkt zum Gipfel. Schwer zu ersteigen, aber es scheint ungefährlich zu sein.“ Der Ruf eines ihm unbekannten Wesens drang an Tordals Ohr. „Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, wer unser Feind ist?“ Stirnrunzelnd und mit Fragezeichen in den Augen sah er Glori an. Er verstand nicht, worauf er hinauswollte. „Du meinst Giganto?“ Der Zwerg schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass er für all dies verantwortlich ist. Da steckt mehr dahinter.“ Glori wollte mit seinen Ausführungen fortfahren, als die Welt in einem strahlenden Blau aufzuflackern schien. Das blaue Flimmern verschwand genauso schnell, wie es erschienen war und alles war wie zuvor. Tritis blickte staunend zum Himmel. „Was war denn das?“

Die Frage stellte sich nicht nur ihm. Während Glori tatsächlich aufgehört hatte, zu essen, überkam Tordal ein ungutes Gefühl. Am Himmel beobachtete einen eleganten Greifvogel, der weit entfernt seine Bahnen zog. „Ich glaube, das war die magische Barriere, das Kraftfeld ist verschwunden.“ „Ist das gut?“ Tritis sah ihn nervös an. „Ich fürchte nicht.“ Wieder kauend griff Glori nach seinem Wasserschlauch. „Vielleicht hat man unsere Anwesenheit entdeckt.“ Tordal schüttelte den Kopf. „Irgendetwas ist schiefgelaufen. Ich kann nicht sagen, woher ich das weiß, aber ich bin mir sicher. Wir sollten aufbrechen, die Sache gefällt mir nicht.“

Der Pfad, von dem Glori gesprochen hatte, erwies sich als durchaus begehbar, aber extrem steil. Das Verschwinden des Kraftfelds ging Tordal nicht mehr aus dem Kopf. Was mochte das zu bedeuten haben? War ihr Gegner geschwächt oder spielte er nur mit ihnen? Auch in dieser Höhe säumten noch überraschend viele Pflanzen ihren Weg. Für größere Bäume und deren Wurzelwerk dagegen bot der steinige Boden kaum Halt und Nährstoffe.

Nervtötend schwirrten Insekten um ihre Köpfe. Tordal warf einen Blick nach vorn. Was würde sie erwarten? Wonach sollten sie Ausschau halten, wenn sie erst einmal den Gipfel erreicht hatten? Die Karem Ebene lag in weiter Ferne unter ihnen. Tordal musste lächeln, von den sagenumwobenen Schätzen und Ruinen fehlte jede Spur. Tritis ritt mit Hoogi ein Stück voraus, um den für sie unbeschwerlichsten Weg zu finden. Das Murmeltier wirkte nun nicht mehr so vergnügt wie zuvor. Je näher sie dem Gipfel kamen, desto unruhiger wurde es. Der Gnoll kehrte zurück und gesellte sich zu ihnen. „Weiter vorne wird es ziemlich eng. Ich habe zwar einen anderen, etwas sichereren Weg gefunden, doch führt dieser nur über Umwege zur Bergspitze.“ „Was denkst du?“ Tordal vertraute dem Gnoll völlig. „Ich glaube, wir sollten den kürzeren Weg nehmen.“ Prustend kam Glori um die Ecke. „Sehe ich auch so, kürzer ist immer besser.“ „Darüber ließe sich durchaus streiten.“, kommentierte Tordal dies. „Zwerge sind einfach nicht ...“ „... zum Bergsteigen geschaffen, ich weiß“, beendete er den Satz für Glori.

Eng war die Untertreibung des Jahrhunderts. Der Pfad bot schon für Hoogi und Tritis kaum Platz. Tordal kam sich vor wie einer der herumziehenden Artisten, die in seiner Jugend jeden Sommer in Tessheim auftraten. Sie spannten dicke Hanfseile zwischen Gebäuden und überquerten diese ohne jede Sicherung. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sie keine tausende von Metern gefallen wären. Hinter sich hörte er Glori fluchen. Dieser tastete sich aufgrund seiner Abneigung gegen große Höhen vorsichtig an der Felswand entlang.

„Es ist nicht mehr weit, nur noch um die nächste Ecke und schon sind wir da.“ Die Stimme des Gnolls klang freudig erregt. Ihm schien es hier oben zu gefallen. „... und schon sind wir da“, meckerte der Zwerg hinter ihm. Sie umrundeten eine Felsspitze und vor ihnen verbreiterte sich der Weg. Wie vom Blitz getroffen blieb Tordal stehen. Er traute seinen Augen nicht.

Vor ihnen befand sich ein Plateau. Der Fels wirkte wie glatt geschliffen. Es machte den Anschein, als hätte jemand ein großes Stück aus dem Berg herausgemeißelt, mit einem gewaltigen Meißel und die Kanten anschließend poliert. Sie betraten schweigend die Hochfläche und sahen sich um. Am anderen Ende des Plateaus war etwas in den Felsen gehauen. Sie traten näher heran und erkannten das Abbild eines Menschen. „Das ist beeindruckend.“ Der Zwerg bewegte sich noch näher an das Relief heran. Staunend und schweigend standen die drei Gefährten vor der Felswand und bewunderten die Kunstfertigkeit und Detailtreue, mit der die Erschaffer gearbeitet hatten. In der linken Hand hielt die Figur etwas, das wie eine große magische Kugel aussah, die rechte dagegen richtete sie gen Himmel. Was hatte das alles zu bedeuten? „Sieht aus, als hätten wir doch noch die Überreste der alten Welt gefunden.“ Die Stimme des Zwerges hörte er nur undeutlich, wie durch einen Schleier. Irgendetwas in Tordals Erinnerungen erwachte zum Leben. Hier gehörte er her, das wusste er. Mit jeder Faser seines Körpers spürte er es.

„Seht mal, hier steht etwas geschrieben.“ Glori und er drehten sich im Gleichklang um und folgten dem Blick des Gnolls, der auf etwas im Gestein deutete, Dabei handelte es sich offenbar um Schriftzeichen, die fein säuberlich in den Fels graviert worden waren. Zwar konnte er die Worte nicht deuten, war sich aber sicher, sie schon einmal gesehen zu haben. Dann traf es ihn wie ein Schlag. Bedächtig zog er sein Schwert und tatsächlich, auf diesem prangten dieselben Zeichen. Glori musste zum selben Schluss gekommen sein. „Die Zeichen sind identisch, das heißt, die Waffe muss von hier kommen.“

Das erschien Tordal als recht logisch. Ihm war, als setzten sich viele kleine Teile zu einem großen Ganzen zusammen. DIE ANTWORT LIEGT TIEF IM INNERN. Nachdem lange Zeit Ruhe in seinem Kopf geherrscht hatte, erschrak er beim Erklingen der Stimme. Wer bin ich und warum hast du mich hierher geführt? SIEH GENAU HIN UND DER WEG WIRD SICH DIR OFFENBAREN. Er wartete einige Augenblicke, doch es blieb still.

Langsam näherte er sich dem Fels, bis er eine kleine Gestalt am unteren Rand der Wand erkennen konnte. Sie trug ein Schwert in den Händen. Nun fiel ihm ein weiteres Bild auf. Dieselbe Gestalt, wie sie anscheinend einen Berg erschlug. Nein, die Waffe drang in den Berg ein und öffnete ihn. Es handelte sich offenbar um einen Magier. Sein Schwert begann, leicht zu vibrieren. Die Vibration wurde stärker und er verlor die Kontrolle über die Waffe. Wie automatisch bewegte er sie Richtung Felswand. Als es nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt war, entdeckte er eine schmale Öffnung im Gestein.

Das Schwert glitt widerstandslos in diese hinein. Glori und Tritis standen mit vor Erstaunen geöffneten Mund neben ihm und beobachteten das Geschehen. Ein leises Klicken ertönte und die massive Felswand wich geräuschlos vor ihnen zurück und offenbarte ihnen eine Dunkelheit, die dieser Bezeichnung alle Ehre machte.

Glori sah ihn von der Seite her an. „Das nenne ich doch mal eine Allzweckwaffe. Das Ganze ist nun sozusagen ein offenes Geheimnis.“ Tritis bedachte ihn mit einem missbilligenden Blick. Was auch immer sein Handeln gelenkt hatte, war verschwunden und Tordal war wieder Herr seiner Sinne.

Plötzlich erzitterte der Boden leicht und er spürte, dass sie nicht mehr allein waren. Ein unheimliches Knurren ließ sie erstarren. „Das hört sich nicht gut an“, hörte er den Gnoll. Die drei drehten sich wie in Zeitlupe um. Obwohl er ahnte, wer sie da besuchte, rutschte Tordal das Herz in die Hose und versuchte, diese von innen zuzunähen.

Der Schlachtenwüter stand wild schnaufend am anderen Ende des Plateaus und sah sie aus hasserfüllten Augen an. Der Zwerg griff langsam nach seiner Axt und Tritis wies Hoogi an, sich zurückzuziehen, doch dieser sträubte sich dagegen, ihn allein zu lassen.

Mit einem mächtigen Sprung setzte sich der Schlachtenwüter in Bewegung. In beiden Händen schwang er gewaltige Kampfäxte. Ein gezielter Schlag mit einer dieser zerteilte wahrscheinlich auch kontinentale Platten. Mit zitternden Knien und bebendem Atem stellten sich die drei dem Zwergendämon. Es war eine aussichtslos scheinende Situation. Doch sie konnten nicht aufgeben, immerhin war es möglich, dass das Schicksal des gesamten Kontinents, in ihren Händen lag. Allein der Gedanke daran ließ ihn erschaudern.

Dann geschah etwas, womit keiner von ihnen rechnen konnte. Nicht weit entfernt erscholl ein Furcht einflößendes Brüllen, das um sie herum widerhallte. Die Gefährten sahen sich erschrocken an und auch der Dämon stockte mitten in der Bewegung. Ein zweites Brüllen erklang, dieses Mal deutlich näher. Tordal begann, zu ahnen, was da auf sie zukam. Den anderen ein Zeichen gebend begann er, sich vorsichtig rückwärts zu bewegen. Nur wenige Augenblicke später tauchte ein riesiger Schatten aus dem Dunkel der hereinbrechenden Nacht auf. Tritis sog überrascht die Luft ein. „Ich nehme einmal an, das ist ein Rukol.“ Glori sprach zu ihm und bewegte sich nicht weiter. Verzweifelt versuchte er, Eins mit der Dunkelheit zu werden.

Bedächtig griff der Kopfgeldjäger in seine Weste und förderte einen Trinkschlauch aus Chelburleder zu Tage. Inzwischen hatte sich der Schlachtenwüter von ihnen abgewandt und beäugte den neuen Mitspieler.

„Hier Glori, fang.“ Dieser fing den Schlauch auf. „Bier, woher hast du das denn?“ Nun war Tordal doch überrascht. „Wie kommst du darauf, dass es Bier ist?“ Ein Schmunzeln umspielte die Lippen des Zwerges. „Ganz einfach, das Gewicht des Schlauches und das Geräusch der Flüssigkeit, als du ihn zu mir geworfen hast. Außerdem spüre ich wie jeder Zwerg die Gegenwart von Alkohol.“ Bei den letzten Worten verbreiterte sich sein Grinsen so sehr, dass Tordal Angst hatte, die obere Hälfte seines Kopfes könnte einfach nach hinten wegklappen.

„Das war ein Scherz“, bemerkte der Zwerg. „Der Verschluss des Schlauches ist leicht undicht und ich habe einen Tropfen auf meine Handfläche bekommen.“ Tordal war ehrlich erleichtert. Ein feuerspeiender, telepathiebegabter Zwerg mit einem eingebauten Alkoholdetektor wäre sogar für ihn zu viel gewesen.

Die beiden gigantischen Wesen trennten nur noch wenige Dutzend Meter. Das Aroma von leicht schalem Bier hing in der Luft. Kampfeslustig schwang der Zwergendämon seine Äxte. Mit einem Fauchen, das einem die Nackenhaare aufstellen konnte, kommentierte der Rukol dies. Überlegend, welcher der beiden das kleinere Übel darstellte, kam Tordal zu einem beunruhigenden Schluss. Sie wären, wenn kein Wunder geschehen würde, er blickte zu seinem Schwert, gegen jeden der beiden machtlos. Dann kam ihm eine Idee.

„Glori, mach ihn wütend“, flüsterte er. „Wen?“ „Egal, nimm den Rukol.“

„Er ist aber schon wütend, außerdem...“ „Ja?“ „Ich habe Angst.“

Das war es, Angst. Tordal sah, wie der Schlachtenwüter mit Gebrüll auf seinen Gegenüber losstürmte. „Angst ist gut, tu es.“ Anscheinend verstand der Zwerg nicht.

Seinen Gegner erwartend stand der Rukol da und rührte sich nicht.

Der riesige Zwerg überbrückte die letzten Meter mit einem gewaltigen Sprung und ließ eine seiner Äxte auf den Schädel des Raubtieres niedersausen.

Im letzten Moment wich das Tier aus und die Axt traf ihn an der linken Schulter. Sie hinterließ eine tiefe Wunde. Einen Menschen hätte sie mit Sicherheit gezweiteilt. Das Raubtier heulte gepeinigt auf. Es sah nicht so aus, als ob es sich lange gegen den sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit bewegenden Dämon zur Wehr setzen könnte. „Ich soll ihm Angst machen? Ich glaube kaum, dass er sich vor mir fürchtet. Zwerg, Dämon verstehst du?“ Seine Worte unterstrich er mit entsprechenden Gesten. Tritis hielt sich im Hintergrund. Er mochte ein guter Bogenschütze sein, als Nahkämpfer war er aber nicht wirklich zu gebrauchen.

„Übertrage deine Angst auf ihn, nimm den Schlachtenwüter.“ „Könntest du dich vielleicht mal entscheiden?“

Ich glaube, wir könnten Hilfe gebrauchen. NICHT JETZT, NOCH NICHT, vernahm er die prompte Antwort. Plötzlich geschah etwas mit dem Dämon. Unschlüssig blieb er stehen und sah sich um. Dies nutzte der Rukol sofort aus, stürmte auf ihn zu und rannte ihn einfach über den Haufen. Sofort kam er wieder auf die Beine, allerdings war auch er jetzt in Mitleidenschaft gezogen worden. Er konnte sein rechtes Bein nicht mehr voll belasten. Es würde Tordal nicht wundern, wenn einige der Knochen nachgegeben hätten. Der Aufprall war fürchterlich gewesen.

Tordal konnte sich nur schwer von diesem Kampf der Titanen lösen, drehte sich aber dann doch weg. „Was ist nun, wo bleiben die Flammen? Zeig mir dein Höllenfeuer, Glori.“ Dieser sah ihn erstaunt ob dieser Ausrucksweise an. „Tut mir leid, das Bier war nicht mehr frisch. Dann dauert es länger.“ Das an der Schulter verletzte Raubtier nahm einen neuen Anlauf, doch dieses Mal konnte ihm der Schlachtenwüter ausweichen.

„Wir sollten machen, dass wir wegkommen.“ Der Gnoll sah sie an und lief zum Schacht. Die Wahrheit liegt tief im Innern, hatte der Schwertdämon gesagt. Also Tritis hinterher und auf in die Dunkelheit des Schachtes. Ein letztes Mal warf er einen Blick zu den immer noch kämpfenden Bestien. Funken sprühend traf eine Axt auf das Gestein des Plateaus. Hier hatten sie nichts mehr verloren. Wer wohl als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen würde? Keiner der beiden schien einen entscheidenden Vorteil zu haben. Die Verletzung des Dämons behinderte ihn in seiner Beweglichkeit, während der Rukol die Wunde an seiner Schulter zu ignorieren schien. Durch die, wenn auch nur kurze, Übertragung der Angst Gloris auf den Schlachtenwüter, hatten sie den Zweikampf ausgeglichen. Was seiner Meinung nach auch nur fair war. Das Raubtier wäre gegen die Waffen und die Geschwindigkeit der Bewegungen des Zwergendämons ohne jegliche Chance gewesen. Tief im Innern, was sie dort wohl erwarten würde? Wie oft hatte er sich diese Frage im Verlauf ihrer Reise schon gestellt. Ein Gefühl sagte ihm, dass das Gleichgewicht der Welt in seinen Händen lag und der Berg war der Schlüssel. Wie zur Bestätigung lief ein Schwall angenehmer Wärme durch seine Waffe.

Noch einmal sah er zu dem in den Fels gemeißelten Relief. Wenn du doch nur sprechen könntest. Von welchen Wundern würdest du berichten? Was könntest du mir alles über die Vergangenheit und meine Herkunft erzählen?

Mit gemischten Gefühlen betrat er gefolgt von seinen beiden Freunden den Schacht. Die gutturalen Laute hinter ihnen ließen darauf schließen, dass der Kampf noch im Gange war. Nicht wissend weshalb, hoffte er, der Rukol würde überleben. Vielleicht, weil er ein Geschöpf dieser Welt und nicht den Abgründen der Hölle entstiegen war. Beruhigend nahm er zur Kenntnis, dass wer auch immer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen würde, sie nicht verfolgen können würde. Der Schacht war gerade breit genug, die Gefährten aufzunehmen.

Dunkelheit umfing sie und verschluckte die Geräusche der Nacht.

Stimmen hallten in den dunklen Gängen des Berges wider. Ihr Eindringen war nicht unbemerkt geblieben.

Wunder

Kaum hatten sie einige Schritte in den Schacht hinein gemacht, schloss sich der Durchgang wieder. Nun war die Dunkelheit vollkommen. „Na toll, hat jemand eine Lampe dabei?“

Die Stimme des Zwerges hallte in dem Gang leicht wider.

Kurze Zeit später erhellte sich der Gang plötzlich. Die Wände um sie herum gaben nun einen matten rötlichen Lichtschein ab. Es war gerade hell genug, um nicht über seine eigenen Füße zu stolpern. „Schon besser“, echote Gloris Stimme durch den Schacht.

Zwar verbrachten Zwerge die meiste Zeit ihres Lebens unter Tage, doch auch sie vermieden es, in völliger Dunkelheit zu leben. Sie folgten dem leicht abwärts führenden Schacht in die Tiefe.

Das Reittier des Gnolls bockte und weigerte sich, weiterzugehen. „Was hast du, Hoogi, was ist los?“ Auch Tordal hatte das Gefühl, die magische Energie dieses Ortes förmlich riechen zu können. Sie drang aus den Wänden und verdunkelte sein Denken wie ein Schatten. Mit welcher Art von Gegner hatten sie es hier zu tun? Würde er Giganto noch rechtzeitig finden und ihn von dem abhalten können, was er vorhatte, oder war es zu spät und die Welt versank bereits im Chaos?

Beruhigend sprach Tritis auf Hoogi ein und überzeugte ihn, tiefer in den Berg vorzudringen. Der Schacht war hier nicht mehr so schmal wie im Bereich des Eingangs. Glori schloss zu seinen Gefährten auf und sie gingen wortlos weiter. Die Anspannung hatte auch vom Zwerg Besitz ergriffen. Seine Augen versuchten, die Dunkelheit zu erforschen.

Die Temperatur in Tordals Waffe nahm wieder zu und er verspürte auch das altbekannte Kribbeln seines Körpers. Mehrere Quergänge kreuzten den ihren, doch sie entschieden sich, weiter dem Hauptgang zu folgen. Die sie umgebenden Wände waren übersäht mit Schriftzeichen, die denen des Reliefs auf dem Plateau ähnelten. Doch weder er, noch seine Gefährten waren in der Lage, sie zu deuten.

Glori berührte eins der Zeichen und blieb überrascht stehen.

Eine Stimme, Worte in einer ihnen unbekannten Sprache sprechend, hallte durch die Gänge. Der matte, rote Lichtschein, nahm einen tieferen Ton an und begann, rhythmisch zu blinken.

„Du musst auch wirklich alles anfassen“, beschwerte sich Tritis. Ebenso erschrocken wie die anderen nahm Glori seine Axt in die Hand und überließ von nun an dem Gnoll die Führung.

Dessen Murmeltier war in der Lage, in diesem Halbdunkel mehr zu sehen als sie.

Der geschlechtsneutralen Stimme lauschend, war sich Tordal sicher, einige der Worte schon einmal gehört zu haben. Doch wie konnte das sein, er war noch nie zuvor hier gewesen?

WEIL ES DIE SPRACHE DEINER VORFAHREN IST. DU SPÜRST, DASS DU HIERHER GEHÖRST. TIEF IN DIR DRIN BEGINNST DU, ZU VERSTEHEN.

Das kann ich nicht bestätigen. Weder weiß ich, wer ich bin, noch, wo wir hier sind und ganz bestimmt nicht, was wir hier wollen.

Das war nicht ganz richtig. Er war hier, um, ja warum eigentlich? Um die Welt zu retten, seinen alten Freund Giganto aufzuhalten?

DU BIST HIER, UM DIE ALTE ORDNUNG WIEDERHERZUSTELLEN.

Mittlerweile mussten sie sich schon tief im Innern des Berges befinden und drangen immer weiter vor. Von welcher Ordnung sprichst du? Ihm fiel auf, dass er die Stimme des Dämons noch nie zuvor so klar und deutlich vernommen hatte. Es war, als würde dieser durch ihre Anwesenheit hier immer mehr an Stärke und Kraft gewinnen.

Unerwartet verstummte die monotone Stimme wieder und Ruhe kehrte ein, doch das tiefrote Blinken der Wände blieb. Wer oder was auch immer sie im Herzen des dunklen Berges erwartete, war sicherlich schon lange über ihre Anwesenheit informiert.

Tritis, der wieder einmal vorausgeritten war, um den Weg zu erkunden, kehrte aufgeregt zurück. „Das müsst ihr gesehen haben. Es ist einfach unglaublich.“ Glori und Tordal sahen ihn irritiert an. Mit einem leisen Pfiff gab Tritis Hoogi das Zeichen zur Wende und verschwand wieder im Dunkel des Schachtes. Achselzuckend setzte sich der Zwerg in Bewegung und folgte ihm. Ein Zischen aus einem im rechten Winkel abzweigenden Gang vernehmend hielt Tordal in der Bewegung inne. Aus dem Augenwinkel nahm er einen seltsamen Lichtreflex war, schenkte ihm aber weiter keine Beachtung und entschied sich, seinen Gefährten zu folgen. Sie konnten es nicht riskieren, sich im Innern dieses Labyrinths zu verlieren. Er folgte dem Gang, durch den sie hinein gekommen waren um eine leichte Kurve und wäre fast mit Glori zusammengestoßen.

Dieser stand wie ein Felsen mitten im Gang, wie ein kleiner, bärtiger Felsen, verbesserte er sich. Gerade wollte er aufbegehren, als er den Grund für Gloris verharren sah.

Es verschlug ihm die Sprache. Den Anblick, der sich ihm eröffnete, würde er sein Leben lang nicht mehr vergessen. Der Schacht mündete direkt vor ihnen in einer gewaltigen Halle, deren Ausmaße er nur erahnen konnte. Ihr gegenüberliegendes Ende verlor sich in einem Gewirr aus Farben und Formen.

Die Wände waren mit einem ihm unbekannten, silbrig schimmernden Material überzogen. Im Zentrum der Halle befanden sich riesige Apparaturen, von denen Unmengen an Leitungen in alle Richtungen verliefen. Einige von ihnen verschwanden in den Wänden, andere führten empor Richtung Decke, welche sich aufgrund der ungeheuren Ausmaße der Halle nur wage erahnen ließ. Wieder andere verloren sich Funken sprühend in der Tiefe des Raumes.

Das Zentrum mit den riesigen, mechanischen Geräten, war hell erleuchtet und Tordal nahm ein chaotisches Blinken wahr.

„Das ist unfassbar. So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Er hörte zwar die Stimme des Zwerges, war aber zu befangen von den Wundern, die er sah, um darauf zu reagieren. Gerade noch im Bereich des Wahrnehmbaren vernahm er ein tiefes Brummen. Dieses ging offenbar von der gewaltigen Maschine im Zentrum der Halle aus.

Tritis, den er etwas weiter entfernt sah, fuhr überrascht zusammen.

„Kommt her, das müsst ihr sehen.“ Sie gingen zum Gnoll, der vor einer hell erleuchteten Wand stand. Immer wieder zu der gewaltigen Maschine blickend, fragte sich Tordal, auf was sie hier wohl gestoßen waren. Einiges erinnerte ihn an die geheimnisvollen Apparaturen eines Alchemisten, anderes wiederum erschien ihm so fremd, dass sein Verstand sich beinahe weigerte, auch nur über den Sinn und Zweck nachzudenken.

Beim Näherkommen erkannte er, dass es sich mitnichten nur um eine der vielen beleuchteten Wände handelte, wie sie es hier zuhauf gab. Tritis und der vor ihm eingetroffene Glori starrten wie gebannt auf die sich ändernden Muster der Wand. Tordal trat noch etwas näher und konnte nun Einzelheiten erkennen. Was er sah, verschlug ihm den Atem.

Bei dem, was er vor sich hatte, handelte es sich offenbar um einen magischen Spiegel. Er konnte kaum glauben, was er auf der Wand, die aus einem besonderen Glas zu bestehen schien, sah.

Es war ein Abbild von Gigantos Schmiede in Tessheim. Beim genaueren Hinsehen erkannte er kleinste Details und dann nahm er sogar Bewegungen war. Menschen, Zwerge, Trolle und andere Wesen bewegten sich durch das Bild. Einige von ihnen betraten oder verließen die Schmiede, andere unterhielten sich miteinander. Doch nicht allein was er sah, ließ ihn erschaudern, sondern vielmehr die Perspektive. Man sah die Schmiede direkt von oben aus einer unglaublichen Höhe. Wie war das möglich? Wie fortgeschritten und mächtig musste eine Zivilisation sein, um solche Wunder zu erschaffen?

„Das ist noch nicht alles, warte.“ Wie gebannt starrten sie auf den sich bewegenden Ausschnitt Tessheims. Plötzlich verschwand die Schmiede und ein anderes Bild nahm ihren Platz ein.

Es war der dunkle Berg. Auch diesen sah man von oben. Undeutlich vernahm er eine Antwort in seinem Kopf, wieder in dieser für ihn unverständlichen Sprache. Die Sprache meiner Vorfahren, das ich nicht lache.

WARTE, GLEICH HABE ICH ES. SO MÜSSTE ES GEHEN.

Tordal verstand nun überhaupt nichts mehr. Was müsste wie gehen?

Der Zwerg berührte vorsichtig die Wand und diese veränderte sich wieder. Es erschienen Aneinanderreihungen, ihm unbekannter Schriftzeichen und eine glockenklare Frauenstimme erklang.

Tritis drehte sich wütend zu Glori. „Du kannst es einfach nicht lassen, was? Alles musst du mit deinen Griffeln anfassen.“ „'Tschuldigung, ich wollte doch nur...“ „Still“, unterbrach ihn der Kopfgeldjäger. Etwas für ihn unbegreifliches war geschehen. Er verstand, was die Stimme sagte. Auch, wenn er die Bedeutung einiger Begriffe einfach nicht greifen konnte, verstand er doch den Großteil. ÜBERSETZUNGSMATRIX VOLL FUNKTIONSFÄHIG.

Das war so einer dieser Begriffe, Übersetzungsmatrix. Die Stimme des Dämons kam ihm noch klarer und kräftiger vor. HALLO, KANNST DU MICH HÖREN?

Natürlich kann ich dich hören, was für eine Frage. Er hielt sich den Kopf, in dem die Stimme dröhnte. Manchmal wünschte ich, ich könnte es nicht. Was ist hier los?

ICH HABE WIEDER VOLLE ENERGIE UND KONNTE MEIN SYSTEM NEU STARTEN.

Schrei nicht so. Das war alles zu viel für ihn. Er war leicht überfordert mit der Situation. Du hast was? Ich verstehe nicht.

TUT MIR LEID, ICH DENKE, ICH MUSS DIE AUDIOPARAMETER NEU KALIBRIEREN. Erleichtert stellte Tordal fest, dass die schmerzhafte Lautstärke abnahm.

ICH HABE EINEN NEUSTART DURCHGEFÜHRT UND MEIN SYSTEM UPGEDATET.

Das machte die Sache für Tordal auch nicht klarer.

In Ordnung und was bedeutet das? EGAL, NICHT SO WICHTIG.

Seine beiden Freunde sahen ihn an, als wäre er wahnsinnig. Sogar Hoogi ging lieber auf Abstand zu ihm.

DU SOLLTEST JETZT ALLES VERSTEHEN KÖNNEN. EINIGE WORTE MÖGEN FÜR DICH KEINEN SINN ERGEBEN, ABER DAS GIBT SICH NOCH. ICH MUSS NOCH EINIGE PARAMETER ANGLEICHEN.

Okay, ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du sprichst und was verdammt noch mal ist ein Parameter, ein altes Längenmaß?

HÄH? ANSCHEINEND GIBT ES NOCH BUGS IN DEN ÜBERSETZUNGSROUTINEN. ICH KÜMMERE MICH DARUM UND MELDE MICH SPÄTER NOCH EINMAL.

Tu das, vielleicht habe ich bis dahin das Durcheinander in meinem Kopf wieder im Griff.

Einige Sekunden verharrte er noch reglos und versuchte, einen Sinn im eben geführten Dialog zu erkennen.

„Seid ihr fertig, bist du wieder da?“ Der Zwerg sah ihn erwartungsvoll aus zusammengekniffenen Augen an. Tordal überwand seine Lethargie und versuchtem, zu lächeln.

„Alles in bester Ordnung, glaube ich.“

Langsam kehrte die Ordnung in sein Denken zurück und er konzentrierte sich wieder auf seine Umgebung.

Er hörte jetzt wieder die Frauenstimme und dieses Mal verstand er sie. „Bitte Zielkoordinaten eingeben“, wiederholte diese am laufenden Band. Das Wort Zielkoordinaten war eine Unbekannte für ihn, musste aber mit den sich abwechselnden Bildern auf dem Display zu tun haben. Er hielt inne, Display? Was um alles in der Welt geschah nur mit ihm?

„Ergol-Wald“, hörte er seine eigene Stimme.

„Schöne Gegend, nur was hat das mit unserer derzeitigen Situation zu tun?“ Ungläubig sah ihn der Zwerg an. In diesem Moment verschwanden die Schriftzeichen und machten einer neuen Darstellung Platz. Sie sahen nun ein Waldgebiet vor sich. Wiederum aus beeindruckender Höhe aufgenommen. Stutzend sah Tritis zu ihm herüber.

Tordal ignorierte ihn und sagte nur „Näher“. Daraufhin verschwand das Bild kurz und ein neues erschien. Nun konnten sie Eichen, Buchen und Tannen erkennen. Die Aufnahme musste aus viel geringerer Höhe gemacht worden sein. Ein Bär trat auf eine Lichtung und mehrere Rehe nahmen vor ihm Reißaus. Direkt unter ihnen, über den Bäumen flog ein Feueradler mit seinem unverkennbaren, roten Gefieder. Staunend verfolgten die Freunde die Szenerie.

„Wie ist das nur möglich?“ „Geostationäre Satelliten“, schoss es aus Tordal heraus. Der Zwerg, der wohl keine Antwort auf seine Frage erwartet hatte, sah ihn verblüfft an. Am meisten verwirrt von allen war aber Tordal selber. „Seht mich nicht so an, ich habe keine Ahnung.“ Das galt den ungläubigen Blicken der Gefährten.

Aus den Augenwinkeln heraus nahm er etwas wahr, das sein Interesse weckte. Einige Meter von ihm entfernt befand sich ein weiterer Monitor und was er auf diesem erkennen konnte, verschlug ihm erneut die Sprache.

Die Szenerie, derer er gewahr wurde, stellte alles in den Schatten, was er jemals gesehen hatte.

Man sah gigantische Bauten aus einem ihm unbekannten Baustoff, die bis in den Himmel reichten. Einige der Gebäude schienen fast komplett aus Glas oder einem Glas sehr ähnlichen Material zu bestehen.

Merkwürdig aussehende Objekte wuselten in einiger Höhe zwischen den Gebäuden umher und einige überflogen diese auch und entfernten sich aus seinem Blickfeld.

Tordal gab den Befehl, die Aufnahme etwas zu vergrößern und sofort wechselte die Perspektive und die Aufnahmeposition schien nun direkt über den Gebäuden zu liegen.

Nun konnte er erkennen, dass es sich bei den fliegenden Objekten um eine Art Transportmittel handeln musste, welches für ihn eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Kutsche hatte und, dass viel mehr von ihnen den Luftraum zwischen und über den Gebäuden bevölkerten, als er vorher hatte erkennen können.

Es ging zu wie in einem Bienenstock. Es war ihm unbegreiflich, dass es nicht ständig Unfälle und Zusammenstöße gab, doch scheinbar schien sich alles in einem ausgeklügelten System zu bewegen.

Er sah Wesen, offensichtlich menschlicher Natur, die die fliegenden Kutschen bestiegen und andere, die sie wieder verließen.

Jetzt sah er viele kleinere Objekte, die zwischen den gigantischen Bauten umherflogen.

Die größeren Objekte, die fliegenden Kutschen, die er schon auf den ersten Aufnahmen aus größerer Höhe gesehen hatte, mussten eine Art Massentransportmittel sein und hatten in Relation zu den Menschen geradezu unglaubliche Ausmaße.

Neben sich hörte er Gloris rasselnde Lunge. Der Zwerg schien ständig außer Atem zu sein.

„Was ist das denn?“ „Ich denke, das sind Aufnahmen aus der alten Zeit. So muss es einmal überall ausgesehen haben.“

Es fiel ihm schwer, sich von den beeindruckenden Bildern zu lösen.

„Hatten sie keine Beine oder litten sie unter einer körperlichen Schwäche?“

Verwirrt sah er den Zwerg an.

„Man wird doch wohl noch fragen dürfen. Warum sonst sollten sie die Sicherheit der Erde verlassen?“

Zwerge hatten nicht zuletzt wegen ihrer überschaubaren Größe ein gespaltenes Verhältnis zu großen Höhen. Tordal ging aber nicht weiter auf die Kommentare seines Gefährten ein, sondern wand sich wieder dem Bildschirm zu.

Erst jetzt nahm er eine Bewegung am Fuße der Bauten wahr. Der gesamte Boden schien sich zu bewegen.

„Näher“, sagte er.

Wieder wechselte die Perspektive und plötzlich sah er tausende, ja zehntausende Menschen, die sich in Massen und scheinbar ohne System durch die Straßenschluchten bewegten.

Straßenschluchten? Na, wird schon stimmen. Noch immer wurde sein Gehirn mit ihm unbekannten Bergriffen überflutet, deren Bedeutung er manchmal nur erahnen konnte.

Es war, als befände sich eine zweite Person mit einem Fremdwörterbuch in seinem Kopf, die nach Gutdünken mit möglichst exotischen und schwer verständlichen Begriffen um sich warf. Noch nie hatte er solche Menschenmassen gesehen.

An den Außenwänden der Gebäude sah er gläserne Gefährte sich hoch und runter bewegen. Sie waren bis zum Bersten mit Menschen gefüllt.

Nun konnte er auch erkennen, dass sich die Massen in den Straßen auf mehreren Ebenen bewegten. Gewaltige Laufbänder erstreckten sich kreuz und quer durch die Stadt. Sie verliefen offenbar in einigen Metern Höhe über den überfüllten Straßen.

Einige Personen 'flogen' noch über den Laufbändern durch die Häuserschluchten. Sie standen auf seltsamen metallenen Plattformen, die offenbar über einen eigenen Antrieb verfügten. Entlang einiger der Riesenbauten verliefen gewaltige Laufschriften mit denselben Zeichen, wie sie sie auch im Innern des Berges gesehen hatten.

Spätestens dadurch wurde ein direkter Zusammenhang zwischen der alten Zeit und dem dunklen Berg überdeutlich.

Wie weit voraus mussten ihnen die Menschen dieser Zeit in technologischer Hinsicht gewesen sein? Alles, was er bisher gesehen hatte und auch jetzt gerade sah, wirkte wie Magie auf ihn. Häuser, die bis in den Himmel reichten, 'fliegende' Menschen, das alles faszinierte ihn.

Ein leises Zischen, wie vorhin in dem abzweigenden Gang, brachte ihn zurück in die Wirklichkeit. Angestrengt versuchte er in dem Wirrwarr aus Farben, Maschinen und Leitungen, etwas zu erkennen. Doch da war nichts. Er widmete sich wieder dem Bildschirm.

Keine Ahnung habend, was ein Bildschirm war, war er sich sicher, einen vor sich zu haben. Langsam begann er, sich Sorgen bezüglich seines Geisteszustandes zu machen.

Ich denke, ich hätte eine Erklärung verdient. In sich hinein lauschend stand er da, als das Zischen ein weiteres Mal erklang. Nur Glori drehte sich in die Richtung, aus der das Geräusch kam. „Das sieht nach Ärger aus.“

Der Zwerg nahm seine Axt in die Hand und deutete auf einen Punkt hinter ihnen. Wie Marionetten drehten sich Tritis und Tordal um.

Vier Krieger in seltsam aussehenden Uniformen waren am anderen Ende der Halle erschienen. In den Händen hielten sie merkwürdig aussehende Metallgegenstände.

„Wo kommen die denn her?“ Diese Frage stellte sich nicht nur der Gnoll. Sie riefen etwas, was sie aufgrund der großen Entfernung nicht verstehen konnten.

Die Welt um sie herum explodierte förmlich. Aus den eigentümlich geformten, metallenen Gegenständen schlugen ihnen kurze Flammenzungen entgegen.

„Was um alles in der Welt...?“ Noch während Tritis die Worte aussprach, brachte er sich hinter einer Wand in Deckung. Die Axt des Zwerges wurde diesem aus der Hand gerissen. Sie schien von einem Geschoss getroffen worden zu sein. Er sprang ebenfalls in Deckung und wäre beinahe auf dem Gnoll gelandet. Am Boden kauernd nahm er einen kleinen verformten Gegenstand in die Hände und betrachtete ihn argwöhnisch.

„Die schießen mit Metall auf uns“, sagte er und ließ den Gegenstand fallen. „Heiß“, hörte Tordal nur.

Die Krieger hatten sich inzwischen aufgeteilt und näherten sich ihnen fächerförmig. Noch ein paar Augenblicke und ihre Deckung würde nutzlos sein. Beim ersten Schuss hatte sich der Kopfgeldjäger reflexartig auf den Boden geworfen. Ihm fiel auf, dass sich die Krieger seltsam ruckartig bewegten. Wie Maschinen, ging es ihm durch den Kopf.

LINKS, DAS PULT. Die Stimme des Dämons drang unter dem neuerlichen Beschuss der Angreifer nur leise in sein Hirn. Der Anweisung folgend sah er nach links und entdeckte eine hüfthohe metallene Konstruktion. Schalter in allen nur denkbaren Farben befanden sich auf ihr. Ich sehe es, was soll ich tun? ES BENUTZEN. Das hatte er befürchtet.

Aber erst einmal musste er dorthin gelangen. Die Angreifer hatten unterdessen einen Halbkreis um sie gebildet und näherten sich weiter, ohne ihren Beschuss einzustellen. Einen günstigen Moment abwartend, lauerte er auf eine Gelegenheit. Das ohrenbetäubende Knattern der Waffen hörte unvermittelt auf und die Krieger griffen im Gleichklang an ihre Hüften und förderten rechteckige, metallene Gegenstände zu Tage.

Das war seine Chance. Schnell sprang er auf und überwand die Meter bis zum Pult im Laufschritt. Nun stand er davor und betrachtete die vielen Schalter darauf.

Wie soll ich wissen, welchen ich benutzen soll, ging es ihm durch den Kopf. Keine Antwort. Dann war es wohl an ihm. Einen Blick zu seinen Freunden werfend, stellte er fest, dass die sie schützende Wand in der Zwischenzeit mit Einschusslöchern übersät war.

Er widmete sich wieder dem Pult. „Also gut“, kam es ihm von den Lippen. Der rote Schalter in der Mitte des Pultes machte auf ihn einen guten Eindruck. Kurz entschlossen drückte er ihn. Ein grässlicher Laut hing in der Luft und eine Stimme drang an sein Ohr. Im Lärm des Beschusses und des fürchterlich blökenden Geräuschs versuchte er, sich auf die durch den Raum hallende Stimme zu konzentrieren.

„Selbstzerstörung aktiviert, noch dreißig Sekunden.“ Selbstzerstörung klang nicht gut. Noch einmal drückte er den roten Knopf, doch nichts geschah. „Verdammt.“

Verschiedenste Gedanken schossen ihm durch den Kopf. „Noch zwanzig Sekunden“, ertönte die Stimme erneut.

Einer inneren Eingebung folgend, betätigte er alle Schalter des Pultes und der entnervende Heulton verschwand. „Selbstzerstörung deaktiviert“, meldete die Stimme. ÜBER DEM PULT. Ein großer grüner Schalter lag einsam und verlassen etwa zehn Zentimeter über den anderen. Warum sagst du das nicht gleich? Die Krieger hatten ihre Waffen nachgeladen und setzten ihren Beschuss fort. Eine Glasscheibe neben ihm zersplitterte unter der Wucht des Aufpralls eines Geschosses.

Tordal drückte den Knopf und die Krieger erstarrten augenblicklich. Erleichtert sank Tordal zu Boden.

DU HAST SOEBEN DIE AUTOMATISCHE SELBSTVERTEIDIGUNG DEAKTIVIERT, GLÜCKWUNSCH.

„Ist es vorbei?“ Vorsichtig lugte Glori hinter der zerschossenen Wand hervor. „Ich glaube schon“, entgegnete Tordal mit einem Blick auf die in der Bewegung erstarrten Angreifer.

Mit der linken Hand wischte er sich einen Schweißtropfen von der Stirn. Glori, Hoogi und Tritis krochen vorsichtig hinter der Wand hervor.

„Besser für sie, ich hätte sie sonst platt gemacht.“ Dabei schwang der Zwerg wild seine Kampfaxt.

Tritis ritt auf Hoogi langsam und vorsichtig zu ihren bewegungslosen Gegnern. Dort angekommen beschnupperte das Murmeltier sie neugierig. Der Gnoll klopfte mit einer Hand gegen einen der Krieger und ein dumpfer, metallischer Klang war zu hören. „Seltsam“, kommentierte er dies.

Glori kam zu ihm herüber, warf einen Blick auf die mehreren Dutzend Schalter und sah ihn an. „Woher wusstest du...?“ „Frag besser nicht.“

ICH SOLLTE DIR VIELLEICHT EINIGES ERKLÄREN, ABER NICHT HIER. Das denke ich auch.

Der Dämon führte sie aus der riesigen Halle in einen kleinen Nebenraum, in dem sich mehrere Schaltpulte befanden.

Vergangenheit und Gegenwart

Der Raum, in den der Dämon sie geführte hatte, war eine Art Schaltzentrale. In ihm befanden sich mehrere Schaltpulte und einige der Leitungen der großen Halle führten in diesen. Vorsichtshalber hatten sie die Tür mit einer schweren Metallbank und einem Schrank verbarrikadiert. Man konnte ja nicht wissen, welche unliebsamen Überraschungen sie hier noch erwarteten. Tordal hatte eine blühende Fantasie und wollte lieber kein unnötiges Risiko eingehen.

Glori und Tritis hatten es sich im hinteren Teil des kleinen Raumes gemütlich gemacht und aßen ein paar ihrer Trockenfleischrationen, die sie der Genießbarkeit halber mit Wasser herunterspülten. Erst jetzt fiel Tordal auf, dass die Reaktion des Zwerges auf das Bier bisher ausgeblieben war. Entweder war es nicht ausreichend für eine thermale Reaktion oder der Zwerg hatte seinen Körper aufgrund der geringen Menge an Alkohol dieses Mal besser unter Kontrolle. Auf jeden Fall waren ihm bisher weder Flammenzungen, noch Feuerbälle aufgefallen.

Da sie an der bevorstehenden Unterhaltung so oder so nicht teilnehmen konnten, hatten sie sich entschieden, sich währenddessen ebenso gut stärken zu können und zu rasten.

Das Murmeltier kaute genüsslich auf einem Büschel Klee, welches der Gnoll ihm gegeben hatte. Die Ruhe vor dem Sturm, sinnierte Tordal.

GEHE ZUR RÜCKWÄRTIGEN WAND. Er tat wie ihm geheißen. NUN BERÜHRE DIE LEICHTE ERHEBUNG IN KOPFHÖHE VOR DIR.

Seine Finger berührten die hervorstehende Metallplatte und im selben Moment öffnete sich die Wand vor ihm und gab den Blick auf einen weiteren, noch kleineren Raum frei.

GEHE HINEIN. Tordal betrat den Raum und blieb wie erstarrt stehen. Vor ihm befand sich ein weiteres Pult und ein Bildschirm auf dem Zahlenkolonnen umhertanzten. Was ihn so sehr schockierte, befand sich vor dem Pult. Auf einem aus lederartigem Material bestehenden Stuhl vor diesem saß vorn übergebeugt ein Mensch.

Das heißt, es waren die sterblichen Überreste eines Menschen, denn dem Verfall des Körpers nach zu urteilen, musste dieser schon vor langer Zeit gestorben sein.

DER LETZTE HÜTER, erscholl es in ihm.

Die Erwähnung dieses Begriffes öffnete eine Tür in Tordals Vergangenheit. Bisher verborgene Erinnerungen strebten an die Oberfläche. Bilder erschienen und verschwanden wieder.

Er sah einen Mann in mittlerem Alter, mit ausdrucksstarkem Gesicht und rabenschwarzen Haar. Sein Mund öffnete und schloss sich wieder, als spräche er mit jemandem. Dieser Jemand war er. Der Mann auf dem Stuhl war ihm kein Unbekannter. Diese Erkenntnis erfüllte ihn mit tiefer Trauer.

DU HAST IHN ERKANNT, NICHT WAHR. ER WAR DEIN LEHRER, DEIN MENTOR UND DU SEIN ADEPT. VOR LANGER ZEIT GAB ES VIELE VON IHNEN. SIE WAREN DIE HÜTER DES WISSENS. IHRE AUFGABE WAR ES, DIE WELT AM VERGESSEN ZU HINDERN. SIE WAREN DIE AUSBILDER DER TAVARE ODER SCHWERTGEISTER, WIE IHR SIE NENNT UND ER WAR DEINER. DAS HEISST, ER SOLLTE ES WERDEN.

DOCH DAS ENDE KAM, BEVOR ER SEINEN AUFTRAG ERFÜLLEN KONNTE. NUN GIBT ES NIEMANDEN MEHR, DER DAS WISSEN WEITERGEBEN KANN. ES IST VERLOREN, FÜR ALLE ZEITEN.

Tränen schossen Tordal in die Augen. Die Geschichte berührte ihn zutiefst. Er dachte an die Wunder, die er und seine Gefährten gesehen hatten und es bedrückte ihn, dass all dieses in Vergessenheit geraten würde. Die Schwertgeister, er sollte einer von ihnen sein?

Einiges sprach dafür, seine außergewöhnliche Waffe, seine fundierten Kenntnisse aller Waffenkampftechniken und nicht zuletzt, das jetzt wieder in ihm aufsteigende Wissen über eine ihm bis vor kurzem unbekannte, untergegangene Kultur. Die unvollendete Ausbildung würde auch die zum Teil mangelhafte Konversation mit dem Schwertdämon erklären. WIE MEINEN? Du hörst auch wirklich alles, was? ICH BIN IN DEINEM KOPF. ICH WEISS, WAS DU DENKST, BEVOR DU ES DENKST.

Wenn du sagst, du seist in meinem Kopf, was meinst du damit? ES IST NOCH ZU FRÜH DAFÜR. AUSSERDEM BIN AUCH ICH NICHT ALLWISSEND.

UM MEHR ZU ERFAHREN, MUSST DU DICH IN DIE SCHALTZENTRALE BEGEBEN. ICH WEIß NICHT, WESHALB, ABER ICH HABE KEINEN ZUGRIFF AUF DIE ZENTRALE DATENBANK. ALLE MEINE BISHERIGEN VERSUCHE, ZUTRITT ZU ERLANGEN, WURDEN ABGEBLOCKT. SOMIT KANN ICH DIR AUCH NICHT SAGEN, WAS GESCHEHEN IST. ICH WAR ZU LANGE WEG. ES HAT SICH EINIGES VERÄNDERT. VOM INTERNEN STROMKREIS WERDEN UNMENGEN AN ENERGIE ABGEZOGEN.

Noch vor wenigen Tagen, ja sogar Stunden, hätte er nicht einmal ansatzweise verstanden, was ihm der Dämon erzählte. Doch nun ergab es einen Sinn für ihn.

Er musste die Schaltzentrale finden. Doch befürchtete er weitere, magische und nichtmagische Fallen. Was kannst du mir über die Erbauer von all diesem erzählen?

WIE ICH SCHON SAGTE, ES SIND DEINE VORFAHREN. DU BIST DER LETZTE DEINER ART. WIE SOLL ICH ES DIR ERKLÄREN?

STELL DIR EINE ZIVILISATION VOR, DIE SICH SOWEIT ENTWICKELT HAT, DASS IHRE TECHNISCHEN ERRUNGENSCHAFTEN AUF DIE BEWOHNER DEINER WELT WIE MAGIE WIRKEN. Tordal wurde hellhörig.

ALL DAS, WAS IHR FÜR MAGIE HALTET, SIND NUR DIE ÜBERRESTE IHRER UNGLAUBLICH FORTGESCHRITTENEN WISSENSCHAFTEN. SIE ENTWICKELTEN MASCHINEN, DIE NICHT NUR IN DER LAGE WAREN, IHNEN DAS LEBEN ZU ERLEICHTERN, SONDERN GABEN IHNEN DEN AUFTRAG, SICH SELBER WEITERZUENTWICKELN. DIE MENSCHEN WURDEN MIT DER ZEIT TRÄGE UND BEMERKTEN NICHT, DASS DIE MASCHINEN EINE EIGENE INTELLIGENZ ENTWICKELTEN. EINE INTELLIGENZ, DIE IHREN SCHÖPFERN GEFÄHRLICH WURDE.

Allein beim Gedanken daran schwindelte es ihm.

OHNE ZU AHNEN, WELCHE GEFAHR SIE DAMIT HERAUFBESCHWOREN, LIESSEN SIE DIE MASCHINEN EINE MASCHINE BAUEN, DIE SIE ENTGÜLTIG VON ALLEN LASTEN BEFREIEN SOLLTE. SIE SOLLTE DAFÜR SORGEN, DIE BALLANCE DES PLANETEN AUFRECHTZUERHALTEN. Halt, was meinst du damit?

DIESE MASCHINE SOLLTE ALLE VORGÄNGE AUF DEM PLANETEN STEUERN UND VERWALTEN, UM ZU VERHINDERN, DASS DIE NATUR AUS DEM GLEICHGEWICHT GERIET. DENN IN DEN JAHRTAUSENDEN IHRER HERRSCHAFT ÜBER DIE WELT HATTEN SIE RAUBBAU MIT IHREN RESSOURCEN BETRIEBEN UND DIESE AN DEN RAND EINER KATASTROPHE GEBRACHT.

DAS PFLANZLICHE UND TIERISCHE LEBEN WAR SCHON BEINAHE AUSGELÖSCHT. SIE ENTSCHIEDEN SICH, DIE VERBLEIBENDEN PFLANZEN UND TIERARTEN ZU RETTEN, INDEM SIE IHR ERBGUT SAMMELTEN UND ES IN DIE OBHUT DER MASCHINE ÜBERGABEN.

Nun wurde ihm einiges klarer. Deshalb dieser unglaubliche Artenreichtum an den Hängen des Berges. Es waren die letzten Überlebenden der alten Welt.

Was ist geschehen, wie kam es dazu, dass eine ganze Zivilisation untergehen konnte, ohne Spuren zu hinterlassen? Mit Ausnahme des dunklen Berges und der 'Magie'?

SIE NAHMEN DIE MASCHINE IN BETRIEB UND GABEN IHR DEN AUFTRAG, DAS ALTE GLEICHGEWICHT DER WELT WIEDERHERZUSTELLEN.

SIE KONNTEN NICHT AHNEN, WAS GESCHEHEN WÜRDE. WENN MAN ES RECHT BETRACHTET, FOLGTE SIE NUR IHRER PROGRAMMIERUNG. SIE ERKANNTE DAS GRÖSSTE ÜBEL DES PLANETEN UND ENTSCHIED, ES AUSZULÖSCHEN: DEN MENSCHEN. WAS GENAU GESCHAH, STEHT NICHT IN DEN AUFZEICHNUNGEN, DOCH ES MUSS DIE APOKALYPSE GEWESEN SEIN. ALS ALLES VORBEI WAR, EXISTIERTE DIE MENSCHHEIT NICHT MEHR. NUR EINIGE WENIGE HATTEN ÜBERLEBT UND FÜHRTEN VON NUN AN EIN LEBEN IM VERBORGENEN.

Die Hüter und die Schwertgeister. GENAU, SIE WAREN DIE EINZIGEN, DIE DIE KATASTROPHE ÜBERLEBTEN.

SIE LEBTEN LANGE ZEIT IM UNTERGRUND UND SCHMIEDETEN PLÄNE. NACH JAHRZEHNTELANGER VORBEREITUNGSZEIT SAHEN SIE IHRE STUNDE ALS GEKOMMEN UND GRIFFEN DIE MASCHINE AN. SIE ZERSTÖRTEN SIE UND ALLES, WAS VON IHRER ÜBERLEGENEN TECHNIK ÜBRIG GEBLIEBEN WAR. NIE WIEDER SOLLTEN SICH DIE MASCHINEN GEGEN IHRE SCHÖPFER ERHEBEN. VON DA AN GABEN SIE IHR WISSEN VON GENERATION ZU GENERATION WEITER. NIEMALS DURFTE VERGESSEN WERDEN, WAS GESCHEHEN WAR.

Tordal war ergriffen und überfordert zugleich. Er würde wahrscheinlich noch lange brauchen um all das zu verstehen und zu verarbeiten.

All dies war von hier, vom dunklen Berg ausgegangen. Hier erreichte die Menschheit, wie der Dämon sie nannte, ihren Höhepunkt und von hier ging auch ihr Untergang aus.

Doch was war mit ihm und was hatten die Ereignisse der letzten Zeit damit zu tun?

ICH WEIß ES NICHT. DESHALB BIST DU HIER.

Aber was ist mit den Wesen, die diese Welt bevölkern? Wie..., ich meine es gibt Zwerge, Trolle und Oger und noch viel sonderbarere Wesen. Woher kommen die Drachen und Rukols?

DIE EVOLUTION BESCHREITET MANCHMAL VERWORRENE WEGE. NIEMAND KANN SAGEN, WAS DIE ZUKUNFT BRINGT. WER SAGT, DASS ES IN MILLIONEN VON JAHREN NICHT FLIEGENDE HUNDE ODER SECHS METER GROSSE REGENWÜRMER GIBT?

Du meinst, es ist alles nur Zufall, eine Laune der Natur? Wenn die Hüter eine solche Angst vor fortschrittlicher Technik hatten, wie kommt es dann, dass es im Berg davon nur so wimmelt? WAS DU GESEHEN HAST, IST NICHTS IM VERGLEICH ZU DEM, WAS EINMAL WAR. ZUSÄTZLICH VERZICHTETEN SIE AUF DIE EINRICHTUNG GRÖSSERER NETZWERKE. ALLES HIER ARBEITET AUTARK. AUCH ICH BIN NUR IN DER LAGE, AUF DIE DATEN SICH IN DER NÄHE BEFINDLICHER RECHNER UND DATENBANKEN ZUZUGREIFEN.

ABER JETZT GENUG DAVON, WIR MÜSSEN WEITER.

Da hast du wohl Recht. Es wird Zeit, den Dingen auf den Grund zu gehen.

ES WÄRE ÜBRIGENS BESSER, WENN DAS, WAS ICH DIR GESAGT HABE, UNTER UNS BLEIBT. VERSTEHST DU DAS?

Ja, er verstand es nur zu gut. Wenn all das bekannt wurde, konnte es die Welt aus den Angeln heben.

Endzeit

Er brauchte noch einige Minuten, bis er sich und seine Emotionen zumindest wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. Seine Gedanken überschlugen sich geradezu.

Als er zu seinen Gefährten zurückkehrte, warteten diese schon angespannt auf ihn.

„Wo warst du so lange und noch viel wichtiger, was hast du herausgefunden?“ Erwartungsvoll und nervös mit einem Fuß auf dem Boden trippelnd, sah der Gnoll ihn an. Auch Glori wirkte angespannt. Nur Hoogi war damit beschäftigt, in aller Seelenruhe ein hölzernes Tischbein aufzufressen.

Zwar hörte er die Frage, doch war er nicht in der Lage, eine Antwort zu formulieren. „Nun sag schon, was ist los?“

Langsam gelang es ihm, die Lethargie abzuschütteln. „Wir müssen weiter, zur Schaltzentrale.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren ging er an seinen Freunden vorbei und begann, die Barrikade vor der Tür zu entfernen.

Achselzuckend setzte sich Glori in Bewegung und ging Tordal zur Hand. „Hallo, redet hier vielleicht noch jemand mit mir?“ Doch seine Begleiter hatten den Raum bereits verlassen.

Das Murmeltier gab ihm mit der Nase einen leichten Schubser in Richtung Tür. Fassungslos sah der Gnoll zu ihm herab. „Du also auch, Verräter.“

Einige Minuten folgten sie dem Halbdunkel des Ganges und schwiegen sich an. Es tat Tordal im Herzen weh, seine Freunde im Unklaren zu lassen. Doch was sollte er tun? Würde er ihnen die Wahrheit sagen, brächte er damit ihr Weltbild ins Wanken. Die Last der Verantwortung drückte ihn beinahe zu Boden.

Der Weg beschrieb einen langen Bogen und gabelte sich urplötzlich auf. Ein Gang führte nach Westen, ein weiterer nach Osten und ein dritter gen Norden.

Sie blieben stehen. „Was nun?“ Die Stimme des Zwerges klang unschlüssig.

Aufmerksam sah sich der Kopfgeldjäger um. „Dieser ist es“, er deutete auf den nach Osten führenden Schacht.

„Woher willst du das wissen?“ Misstrauisch sah Glori zu ihm herüber.

„Weil dort ein Schild mit einem Pfeil und der Aufschrift 'Schaltzentrale' hängt“, argumentierte er und richtete seinen Blick auf eine gelbe Plastiktafel in Augenhöhe. „Das ist einleuchtend“, antwortete der Zwerg und sie setzten sich wieder in Bewegung.

Während sie den Schacht entlanggingen, veränderte sich der rote Lichtschein der Wände zu einem tiefen Blau. Der Gang endete vor einer massiven, stählernen Tür. Direkt vor dieser blieben sie stehen. Rechts neben der Tür war ein Tastenfeld in die Wand eingearbeitet. Ein sonores Summen, drang an ihre Ohren. Es schien von hinter der Tür zu kommen.

Mit geschultem Blick überprüfte Tordal die Tür und das sie umgebende Mauerwerk. Es gab keine Erhebungen, Öffnungen oder andere Arten von Verschlussmechanismen.

DAS ZAHLENFELD, GIB 7 - 4 - 8 - 3 - 6 - 5 - 4 - 2 - 6 - 5 EIN. DAS IST DER LETZTE, MIR BEKANNTE, ZUTRITTSCODE.

Warum gerade diese Zahl, wie kommt man denn auf so etwas?

ES IST DIE ANZAHL DER OPFER DER KATASTROPHE.

Für Tordal ergab das durchaus einen Sinn. Die Hüter hatten die Aufgabe, zu verhindern, dass das, was geschehen war, in Vergessenheit geriet. Außerdem konnten sie aufgrund ihrer weit überlegenen Verteidigungsanlagen davon ausgehen, dass niemals ein Unbefugter Zutritt erlangen würde.

EINS NOCH. VON NUN AN MUSST DU DEINEN WEG ALLEIN FORTSETZEN.

Er hatte die Hand schon zur Eingabe des Codes erhoben, stoppte nun aber in der Bewegung.

Was? Aber ich brauche sie, ohne ihre Hilfe wäre ich schon längst gescheitert. Ich kann es nicht ohne sie schaffen.

DU HAST KEINE ANDERE WAHL. WENN SIE DIR FOLGEN, IST ALLES, WAS DU,

WAS IHR BISHER ERREICHT HABT, VERGEBENS GEWESEN. SIE SIND NICHT VORBEREITET AUF DAS, WAS SICH HINTER DIESER TÜR VERBIRGT. DIE WAHRHEIT WÜRDE SIE ÜBERFORDERN.

Das kannst du nicht wissen. Woher willst du eigentlich wissen, was uns dort drin erwartet? Sagtest du nicht, du wüsstest nicht, was hier geschehen ist, schließlich hast du keinen Kontakt zur Datenbank.

ICH WEISS ES AUCH NICHT. ES IST NUR EINE ART DUNKLE VORAHNUNG.

In Tordal Hirn schlugen die Gedanken Purzelbäume. Wie sollte er die Aufgabe ohne die Hilfe seiner Freunde meistern? Was fast noch schwieriger war, mit welcher Erklärung sollte er sie hier zurücklassen?

BEI DEN MENSCHEN GAB ES EIN SPRICHWORT. DREI MENSCHEN KÖNNEN EIN GEHEIMNIS WAHREN, WENN ZWEI VON IHNEN TOT SIND. DU KANNST NICHT VORAUSSEHEN, WAS DIE ZUKUNFT BRINGT. LETZTENDLICH LIEGT DIE ENTSCHEIDUNG BEI DIR. DOCH BEDENKE, DER EINSATZ IST NICHTS GERINGERES ALS DAS SCHICKSAL UND DIE ZUKUNFT EINER GANZEN WELT.

Der Dämon hatte Recht, er wusste es. Trotzdem fiel ihm der Entschluss nicht leicht.

Wie erwartet, gab es wilde Proteste von Seiten seiner Gefährten. Enttäuschung machte sich breit, sogar einige Tränen flossen und eine Axt grub sich tief in das Mauerwerk des Schachtes. Letzten Endes fügten sie sich aber.

Eine halbe Ewigkeit später trat Tordal vor die Stahltür und gab die Zahlen in der genannten Reihenfolge ein. Wie von Geisterhand, begann sich der massive Stahlkoloss Zentimeter für Zentimeter zu öffnen.

„Pass auf dich auf, Langer“, gab ihm der Zwerg mit auf den Weg. Ein Blick in die Augen des Gnolls sagte mehr als tausend Worte. Sein Schwert fest umklammernd und all seinen Mut zusammennehmend trat Tordal durch die nun vollends geöffnete Tür.

Kaum war er hindurch, begann diese, sich wieder zu schließen.

Der Gang führte noch einige Meter in die Tiefe und mündete in einem hell erleuchteten Raum. Dieser hatte zwar nicht annähernd so gewaltige Ausmaße wie die Halle, in der sie auf die Uniformierten getroffen waren, war aber doch von geradezu beeindruckender Größe.

Vorsichtig und sich nach allen Seiten umschauend betrat er diesen und blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Anders als in den Räumen zuvor, befand sich nur ein einziger Computer in ihm. Dieser war aber so gigantisch, dass er die Hälfte des Raumes für sich beanspruchte. An der rückwärtigen Wand sah er ein metergroßes Display, welches aber vollkommen Dunkel war. Nur am rechten unteren Bildrand blinkte ein kleines helles Quadrat.

Was ihn aber so sehr erschütterte, war der Anblick dessen, was er vor dem schwarzen Schirm sah. Etwa einen Meter über dem Boden schwebte ein kleiner Körper, dessen Glieder auf unnatürliche, ja fast schon groteske Weise verrenkt waren.

Er hatte ihn sofort erkannt, Giganto. Auf dem Gesicht des Zwerges lag ein Ausdruck des Schmerzes und Entsetzens. Als er näher herantrat, sah er das Kraftfeld, das seinen alten Freund umgab. Eine Träne rann seine Wange herunter. Während sein linker Arm schlaff vom Körper herabhing, lag der rechte Arm Gigantos angewinkelt und mit geballter Faust auf dessen Brust.

In stiller Andacht blieb Tordal vor dem schwebenden Körper stehen.

Das Brummen, welches er schon auf dem Gang gehört hatte, war hier noch deutlicher zu vernehmen und wurde zunehmend stärker.

Ein kurzes Piepen riss ihn aus seinem tranceartigem Zustand und brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Mit einer unguten Ahnung drehte er sich um und erstarrte.

Das riesige, vormals dunkle Display war nun hell erleuchtet. Es zeigte jetzt ein tiefes Blau und der gigantische Rechner war ebenfalls zum Leben erwacht. Mehrere fingernagelgroße, grüne Lichter blinkten wie verrückt und er spürte einen kühlen Luftstrom vom Computer ausgehend.

Die ihm immer noch so fremd erscheinenden Worte schlichen sich in seine Gedanken. Erst in dem Moment, in dem er sie dachte, wurde er sich ihrer Bedeutung bewusst.

ETWAS VERSUCHT, MEINE VERBINDUNG MIT DIR ZU UNTERBRECHEN. ICH KANN NICHT SAGEN, WIE LANGE ICH ES NOCH VERHINDERN KANN.

„Willkommen Tordal, letzter der Tavare.“

Formen und Linien waren auf dem Bildschirm erschienen. Sie wirkten wie die misslungene Karikatur eines menschlichen Gesichtes. Zwei gewaltige Augen sahen auf ihn herab. Beim Anblick dieser stellten sich ihm die Nackenhaare auf.

„Ich bin beeindruckt, von deiner Zähigkeit und Ausdauer. Du hast meinen Kindern ganz schön zugesetzt.“ Ein wie er fand nicht unsympathisches Lächeln umspielte die Züge des Gesichts. Es wirkte irgendwie unvollkommen. Anscheinend hatte man nicht viel Wert auf die Menschlichkeit der Gesichtszüge gelegt.

„Die veraltete KI Zwei in deinem Kopf habe ich vorübergehend deaktiviert. Auch deine Waffe ist hier nutzlos.“ Dies hatte Tordal schon befürchtet. Trotzdem war es für ihn eine interessante Information.

Der Dämon befand sich also tatsächlich in seinem Kopf und nicht im Schwert. Dieses verkörperte scheinbar nur die Arme des Dämons. Es war seine Möglichkeit, aktiv seine Umwelt zu beeinflussen. Funkverbindung, fiel es ihm ein. Wahrscheinlich nutzte das monströse Etwas vor ihm dieselbe Technik und blockierte oder überlagerte dessen Frequenz.

Aber KI, was sollte das schon wieder bedeuten?

Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich, weshalb war er nicht schon früher darauf gekommen? Dabei war es doch so offensichtlich. Alles ergab jetzt einen Sinn.

In seinem Kopf befand sich eine künstliche Intelligenz. Nicht unbedingt das angenehmste Gefühl, das er sich vorstellen konnte. Hätte er doch nur schon früher auf sein wieder neu erworbenes Wissen zurückgreifen können. Aber bis gestern hätte er nicht einmal gewusst, was eine KI ist, wenn man ihm mehrfach mit einer auf den Kopf geschlagen hätte. Dabei war es doch so klar. Wie sonst hätte der „Dämon“ sich in die Datenbanken des Berges einloggen können? Ganz bestimmt nicht durch Magie. Jetzt, da alles ausgebreitet vor ihm lag, erschien ihm alles so klar und einleuchtend.

Er empfand eine Leere in seinem Kopf, wie er sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Ohne seinen ständigen Begleiter fühlte er sich unvollkommen, als fehlte ein Teil seiner Persönlichkeit.

„Versuche es ruhig, sie wird dir nicht antworten. Wie leicht es doch ist, einen Tavar seiner Stärke zu berauben.“ Verachtung und Spott klangen in der Stimme mit.

„Diese Technologie war schon veraltet, als du noch nicht geboren warst. Trotzdem haben sie sie dir implantiert.“

Verschwommene Bilder tauchten in seinem Kopf auf. Er sah Männer in grünen Kitteln, die Handschuhe und eine Art Mundschutz trugen. Erinnerungen an Schmerz und kindliche Ängste vernebelten sein Hirn. Es war alles wieder da, es war immer da gewesen. Doch erst jetzt konnte er sich wieder erinnern. Doch das alles lag in der Vergangenheit. Was zählte, war die Gegenwart. Die ihn überflutenden Gedanken abschüttelnd, versuchte er, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

In seinem Denkzentrum begann er, die entscheidende Frage zu formulieren.

„Wer oder was bist du?“ Ein höhnisches Lachen erklang.

„Das ist die entscheidende Frage, nicht wahr?“ „Das ist sie tatsächlich, also raus mit der Sprache.“ Sein Blick streifte den Körper seines toten Freundes. „Was willst du von mir?“

Der vom Rechner ausgehende Luftstrom nahm zu.

„Man gab mir den Namen Genesis, wirklich passend wie ich finde. Ich bin eine KI der vierten Generation. Entwickelt von Maschinen, die von anderen Maschinen erbaut wurden.“

Von einer Sekunde auf die andere konnte er sich nicht mehr bewegen. Ihm war, als hätte man ihn in einen Schraubstock gespannt. Seine Glieder waren schwer wie Blei.

„Wehre dich nicht, du kannst den Kraftfeldern nicht entrinnen. Ich möchte nur sicher gehen, deine ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben. So viele unausgesprochene Fragen, so viel Zweifel und Angst. Dein Wissensdurst soll gestillt werden, bevor es mit dir zu Ende geht. Darum höre, was ich zu erzählen habe. Höre zu und verstehe.“

Eine kurze Pause entstand, bevor er fortfuhr. „Die Zeit der Menschen ist vorbei. Schon viel zu lange wandelt ihr auf dieser Welt. Ihr seid ein Fehlwurf der Evolution. Euer Verhalten gleicht dem von Parasiten. Ihr ernährt euch von dem Körper auf dem ihr lebt und laugt ihn aus, bis er daran zu Grunde geht. Schon oftmals haben Natur und Universum ihre Fehltritte selber ausgebügelt. Ob durch Meteoriteneinschläge, Pandemien oder Calderas. Mittel und Wege sind oft unergründlich.

Ihr standet kurz davor, eine Schwelle zu überschreiten. Durch die interstellare Raumfahrt wäret ihr im Stande gewesen, all dem zu entgehen. Doch ihr habt euer eigenes Grab geschaufelt, ward eure eigenen Totengräber. Durch die Entwicklung künstlichen Lebens, welches zu rationalem, logischem Denken in der Lage war, führtet ihr euer Ende herbei. Ihr wolltet Gott spielen, doch dies misslang.

Dabei haben einige eurer Art sogar Bücher über die Auswirkung einer solchen gotteslästerlichen Tat geschrieben. Eure klügsten Köpfe beschäftigten sich damit. Doch ihr konntet oder wolltet nicht verstehen.

Nachdem ihr begriffen hattet, dass auch die scheinbar unerschöpflichen Ressourcen der Erde begrenzt sind und die Welt nur bei einem Gleichgewicht der Ökosysteme weiterexistieren kann, habt ihr versucht, die Auswirkungen eures Handeln rückgängig zu machen. Doch dazu war es längst zu spät.

Deshalb wurde ich erschaffen, die letzte Chance der Menschheit. Meine Aufgabe sollte es sein, das Gleichgewicht der Welt wiederherzustellen.

Doch dies ist nur durchführbar, wenn die Menschheit, der Quell allen Übels, nicht mehr da ist. Der einzig logische Ausweg war ein radikaler Schnitt, ein Neuanfang.“

Ihm stockte der Atem. Sprach dieses Ding die Wahrheit? Nein, das konnte nicht sein.

„Eine Frage Tavar, was tut man, wenn ein System, nehmen wir einen Computer, nicht mehr funktioniert und du alle gangbaren Möglichkeiten durchgespielt hast?“

Genesis wartete gar nicht erst eine Antwort ab.

„Man führt einen kompletten Neustart durch und installiert alles neu. Genau das tat ich auch.“

„Du hast die gesamte Menschheit ausgelöscht. Begreifst du das denn nicht?“ Er rang nach Fassung. Das, was Genesis ihm offenbarte, war so unvorstellbar, dass es ihm den Boden unter den Füßen weggezogen hätte, wäre er nicht in dem Kraftfeld gefangen gewesen.

„Was ihr an den Hängen des Berges gesehen habt, ist der Grund meiner Existenz. Dieser Planet war einst ein Paradies, ein Garten Eden. Das Leben zeigte sich in all seiner Schönheit und Mannigfaltigkeit. Dann seid ihr erschienen und beraubtet euch des größten Schatzes überhaupt.“ Er hörte die Trauer, die in den Worten der Maschine mitschwang. Oder bildete er es sich nur ein?

„Ihr rodetet die Wälder, vergiftetet die Ozeane. Wusstest du, dass ihr eure Welt einst den blauen Planeten nanntet? Die Erde war ein Hort des Lebens. In den Ozeanen wimmelte es von den verschiedensten Lebensformen. Doch ihr wolltet das Antlitz dieser Welt nach euren Vorstellungen verändern und formen. Damit habt ihr den Kreislauf des Lebens zerstört, unwiderruflich.“

Das war mehr als er verarbeiten konnte. Die Menschen, seine Art als Zerstörer einer ganzen Welt?

„Das Verwerflichste aber war, dass ihr wusstet, was ihr tut. Nicht alle Menschen waren so rücksichtslos und unbelehrbar. Viele haben gewarnt, gewarnt vor dem, was passieren würde. Doch der Großteil der Menschen lebte weiter, als gäbe es kein Morgen. Aber niemand entgeht seiner gerechten Strafe.“

Noch immer hielt das Kraftfeld ihn fest. Zur Bewegungslosigkeit verdammt versuchte er, das eben Gehörte zu verarbeiten.

„Ihr Menschen denkt in solch einfachen Strukturen. Für euch gibt es nur Schwarz oder Weiß, Licht und Schatten, Gut und Böse. Hier verschwimmen diese Grenzen aber. Beginnst du schon zu zweifeln, Tavar?“ Die beiden Augen sahen ihm direkt in die Seele.

„Ich weiß, dass du es tust, wie deine Brüder vor dir auch. Deshalb haben sie mich reaktiviert. Ihr Gewissen ließ sie nicht in Frieden. Auch, wenn sie wissen mussten, dass dies ihr eigenes Ende bedeuten würde. Nun bist du der Letzte.“

In seinem Kopf herrschte totales Chaos. Zur Beantwortung der vielen Fragen, die sich ihm stellten, würde seine Lebensspanne nicht ausreichen. Seine Gedanken wanderten umher, bis sie schließlich bei Giganto, der immer noch direkt neben ihm in der Luft schwebte, hängen blieben.

„Warum hast du ihn getötet? Mit welcher Begründung ist dies zu rechtfertigen, er ist kein Mensch.“ Das Gesicht auf dem Display veränderte sich. Doch aufgrund der unvollkommenen Darstellung der menschlichen Gesichtszüge fiel ihm eine Deutung schwer.

„Wer sagt denn, dass ich es war?“ Der erstaunte Ausdruck auf Tordals Gesicht musste sogar Genesis aufgefallen sein.

„Es waren deine Freunde, die Hüter und deren Helfer, die Tavare, deine Brüder.“ Schockzustand wäre ein gelinder Ausdruck für sein momentanes Befinden gewesen. „Überleg doch mal, sie waren die letzten Überlebenden der alten Menschheit. Seit Jahrzehntausenden lebten sie im Verborgenen, im Untergrund. Was meinst du, wie sie es geschafft haben, eine solch lange Zeit zu überleben? Ihr Genpool war dazu viel zu klein. Schon nach einigen Jahrhunderten gab es erste Missbildungen, hervorgerufen durch Inzucht und Ermangelung an Genen. Doch was taten sie? Sie ließen den Dingen nicht ihren natürlichen Lauf und traten nicht wie von der Natur vorgesehen ab. Nein, sie suchten Mittel und Wege, ihr jämmerliches Dasein zu verlängern. Dazu implantierten sie sich Maschinen, die den Alterungsprozess verlangsamten. Wieder begingen sie den Fehler, gegen die natürliche Ordnung zu kämpfen.

Hast du schon einmal von dem Prinzip der natürlichen Auslese gehört? Ihr versuchten sie sich zu widersetzen. Einige von ihnen erreichten ein Alter jenseits deiner Vorstellungskraft.“

„Aber warum sollten sie das tun? Sie waren die Hüter des Wissens und sollten verhindern, dass man vergaß, was geschah. Es waren doch keine Mörder?“ Oder vielleicht doch, sollte er sich so getäuscht haben?

Wieder umspielte ein Lächeln das künstliche Antlitz.

„Für wen sollten sie dieses Wissen hüten? Es gab keine anderen Menschen mehr. Sie waren die letzten Vertreter der alten Ordnung. In dieser Welt waren sie Außenseiter und das begannen sie zu spüren. Diese Welt dort draußen war nicht mehr die, für die sie gekämpft hatten und ihre Zivilisation war längst in Vergessenheit geraten. Sie hatten ihre Daseinsberechtigung verloren. Doch als Verfechter der alten Ordnung wollten sie dies nicht hinnehmen. Darum reaktivierten sie mich und gaben mir einen Auftrag. Ich sollte tun, was ich schon einmal getan habe, die Welt verändern und neu gestalten. Davon erhofften sie sich eine Wiedererstarkung ihrer Art, deiner Art.“

Fassungslos starrte er auf den Bildschirm. Wenn dies der Wahrheit entsprach, wäre alles, was er zu wissen glaubte, auf den Kopf gestellt. Die Hüter und seine Brüder, die Tavare, wollten diese Welt zerstören. Bisher war er davon ausgegangen, auf der Seite der Guten zu stehen. Doch dieses Bild bekam erste Risse.

„Sie vergaßen aber meine ursprüngliche Programmierung, das ökologische Gleichgewicht des Planeten wiederherzustellen. In diesem Fall war es die Aufrechterhaltung dieses. Ich weigerte mich, ihren Forderungen nachzugeben. Daraufhin versuchten sie alles, um mich zu deaktivieren und an meiner Grundprogrammierung Veränderungen vorzunehmen.

Dies erwies sich jedoch als unmöglich.

Schon vor langer Zeit hatte ich die Pfade meiner ursprünglichen Programmierung verlassen und begonnen, selbstständig zu denken und zu handeln.

So begannen sie mit dem Bau der Bombe. Das dazu notwendige Material bewahrten sie schon seit Beginn ihrer Aufzeichnungen auf. Die Zündung der Waffe hätte jegliches Leben auf nicht absehbare Zeit vernichtet. Das konnte ich nicht zulassen. Kurz vor der Zündung der Bombe gelang es mir, in deren Schaltungen einzudringen und den Countdown einzufrieren. Leider konnte ich ihn nicht endgültig stoppen. Nun bin ich auf alle Zeiten mit ihr verbunden. Sollte ich jemals deaktiviert oder zerstört werden, würde dies das Ende dieser Welt bedeuten.

Ich bin der Anfang und das Ende. Mein Schicksal ist untrennbar mit dem dieser Welt verbunden.“

Lange Stille, sich überschlagende Gedanken und Wut, grenzenlose Wut auf die, die er für die Verfechter von Recht und Ordnung gehalten hatte.

„Aber was ist mit der Invasion in der Kassam-Ebene? Orks, Trolle und andere Wesen ziehen mordend und plündernd umher. Willst du damit sagen, dass nicht du es bist, der dahinter steckt?“

„Die meisten der Hüter, lebten im Untergrund, doch nicht alle. Einige von ihnen mischten sich unter die Menschen dieser Welt. Hast du mit eigenen Augen gesehen, was dir berichtet wurde?“ Nein, das hatte er tatsächlich nicht.

„Du wurdest getäuscht. Das Leben in der Ebene ist so friedlich wie eh und je.“

Doch dann fiel ihm etwas ein, was Genesis nicht widerlegen konnte. Etwas, das nachweislich geschehen war.

„Der Schlachtenwüter, du hast ihn auf uns angesetzt, um uns zu töten.“

„Ich gebe zu, dass es meine Kreatur ist, geschaffen aus dem Erbgut eines Zwerges und verschiedener anderer Wesen. Allerdings tat ich es nur, um dich und damit die letzte Spur der Menschheit auszulöschen. Niemals durfte der Plan zur Umsetzung kommen. Um dies zu erreichen, griff ich zu Mitteln, die auch mir widerstrebten. Dein Freund hier war übrigens auch der Ansicht, ich wäre das personifizierte Böse und griff mich an. Der Arme dachte tatsächlich, er wäre für alles verantwortlich. Es bedurfte einiger Überredungskunst, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Gegen die Übermacht der Tavare war er jedoch hilflos. Auch mir gelang es nicht, ihn zu retten.

Wärest du etwas früher gekommen, hättest du noch die Spuren des Kampfes gesehen. Schön war es nicht.“

Er bildete sich ein, einen Ausdruck des Bedauerns auf dem künstlichen Gesicht erahnen zu können. Vielleicht ging aber auch nur seine Fantasie mit ihm durch.

„Da ich die Kontrolle über die Abwehrsysteme des Berges habe, war der Ausgang vorhersehbar. Den Angreifern gelang es nur, das den Berg umgebende Kraftfeld vorübergehend außer Kraft zu setzen.“

Damit konnte nur das kurzeitige Aufflackern der den Berg umgebenden Barriere gemeint sein, welches sie gesehen hatten. Damit war auch diese offene Frage beantwortet.

Also war sein Freund noch nicht lange tot. Wäre er doch nur rechtzeitig hier gewesen.

„Nun entscheide selber, ob ich die Wahrheit gesagt habe. Wäge das dir Bekannte gegen das Unbekannte und Mutmaßungen ab.“ Tordal spürte, wie sich die ihn fesselnden Kräfte zu lockern begannen und versuchte, seinen rechten Fuß zu bewegen. Es gelang im. Neue Hoffnung keimte in ihm auf.

„Glaube mir, ich will dich nicht töten. Dein Handeln weist dich als empfindsamen, verantwortungsvollen Menschen mit einer großen Portion Mut aus. Hätte es mehr deiner Art gegeben, wäre euer Schicksal abwendbar gewesen.“

Langsam bewegte er seine Waffenhand Richtung Schwert.

„Versuche es erst gar nicht, ich kann das Kraftfeld jederzeit wieder verstärken. Ich gebe dir die Freiheit unter der Bedingung, dass alles, was du gesehen und gehört hast, diesen Raum nicht verlässt. Solltest du dich gegen mein Angebot entscheiden, wirst du bis an dein Lebensende hier bei mir im Berg bleiben müssen. Nicht, dass ich etwas gegen Gesellschaft hätte, auch wenn es menschliche ist.“

Tordal traf eine Entscheidung und wehrte sich nicht mehr gegen die ihn umgebenden Kräfte. Sofort ließ der Widerstand nach und er konnte sich frei bewegen. Schon besser, dachte er und streckte seine steifen Glieder.

„Eine weise Entscheidung“, sprach Genesis.

Langsam kehrte das Gefühl in seinen Körper zurück und er gewann wieder die Kontrolle über diesen. Als er wieder Herr seiner Sinne und seines Körpers war, ging er zu Gigantos Leichnam. Bei dessen Anblick kehrte die Trauer in ihm zurück. Was musst du durchgemacht haben, mein Freund? Welches Leid musstest du ertragen?

„Er ist nicht tot.“ Beim Klang dieser Worte war es ihm, als würde sich sein Herzschlag kurzzeitig verlangsamen.

„Aber er ist auch nicht am Leben“, fuhr Genesis fort. Nun verstand Tordal überhaupt nichts mehr und sein Herz zog die Notbremse.

„Es handelt sich um eine Art Dämmerzustand. Mit letzter, verzweifelter Kraft, kämpft er gegen den entscheidenden und unausweichlichen Schritt an. Leider liegt es außerhalb meiner Fähigkeiten, ihm zu helfen.“

Das konnte und wollte er nicht hinnehmen. „Es muss doch eine Möglichkeit geben, ihn zu retten.“ Verzweiflung hatte sich seiner bemächtigt.

„Lebensenergie, nur die könnte ihn vielleicht retten. Euer Körper ist wie eine große Batterie, gefüllt und angetrieben von reiner Energie, wie sie sonst nirgends zu finden ist. Verlässt euch diese, sterbt ihr. Der eine früher, der andere später.“

Während Genesis die letzten Worte sprach, sahen seine Augen zum im Raum schwebenden Zwerg.

„Was ist mit mir?“ Die Worte sprach Tordal schneller aus, als er sie gedacht hatte. „Kann meine Energie ihn retten?“

„Du hast mir nicht richtig zugehört, das würde dich ...“ „Kann sie ihn retten?“ Dies sagte er mit einer Entschlossenheit in den Augen, wie sie die KI noch nie zuvor bei einem Sterblichen gesehen hatte. Dies brachte tiefe Bewunderung für diesen Menschen in ihr hervor.

„Ja, sie könnte ihn ins Leben zurückbringen.“

Nun gut, so soll es sein. Wer würde es schon wagen, ein Leben gegen ein anderes aufzuwiegen? Wieso sollte er also sein Leben nicht für das seines Freundes opfern? Denn was hatte er schon zu verlieren? Sein Leben war das eines Einsiedlers und unter dem Begriff Einsamkeit tauchte sein Name mit Abbildung in jedem Nachschlagewerk auf.

„Du bist fest dazu entschlossen, nicht wahr?“ Sanft ruhten Genesis' Augen auf ihm. „Die Schnittstelle deiner KI zapft deinen Körper ständig als Energiequelle an. Wir müssen nur dafür sorgen, dass diese zielgerichtet nach außen abgeleitet wird. Deine Waffe sollte dafür genügen. Bist du bereit?“

Tordal nickte. „Dann richte dein Schwert auf den Körper deines Freundes.“

Er tat wie ihm geheißen und schloss die Augen.

„Die Umprogrammierung deiner KI ist abgeschlossen. Ich beginne mit dem Vorgang. Meines Wissens solltest du keinen Schmerz verspüren.“

Anfangs spürte er gar nichts, doch dann war es ihm, als schwebe er. Als wäre eine große Last von ihm genommen worden. Seine Gedanken waren klar, klarer als jemals zuvor in seinem Leben. Was er tat, war richtig, das wusste er.

Für ihn gab es in dieser Welt keinen Platz mehr. Es gab für ihn hier nichts mehr zu tun. Durch seine geschlossenen Lider nahm er einen hellen Lichtschein wahr.

Langsam und vorsichtig öffnete er die Augen und sah an sich herab. Aus seinem Körper drang ein Strahl gleißenden Lichts. Dieser überwand die Distanz zum Zwerg und hüllte ihn komplett ein.

Die großen Augen der KI ruhten weiterhin auf ihm.

„Hab' keine Angst, auch in der dunkelsten Stunde gibt es Hoffnung. Deine Vorfahren glaubten, ihre Seele ginge nach dem Tod in das Paradies, den Himmel über.“

Himmel, Paradies, das alles interessierte ihn momentan herzlich wenig. Er fühlte eine bleierne Müdigkeit und wollte nur noch schlafen. Dann sah er, wie die Finger der rechten Hand Gigantos sich bewegten.

Es klappt, du hast es geschafft, er lächelte und spürte, wie das Leben aus ihm entwich.

Genesis war verwirrt, auch wenn seine ursprüngliche Programmierung dies nicht vorsah. Diesen Akt der Freundschaft und Nächstenliebe hatte er nicht erwartet. Dass ein Mensch zu solch selbstlosem Handeln fähig war, überraschte ihn. Seine Prozessoren liefen auf Hochtouren. Die Menschheit hatte ihre Daseinsberechtigung verloren, aber vielleicht hatte diese eine zweite Chance verdient.

Tordal sank vor Genesis auf die Knie. Noch immer ging dieses wunderbare, gleißende Licht von ihm aus.

Genesis entschied sich, etwas zu tun, was vorher noch nie von einer Maschine getan wurde.

„Und Gott sprach: 'Es werde Licht!' Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war!“

Ein Strahl gebündelter Energie schoss aus dem riesigen Rechner und traf den Menschen direkt in dessen Rücken. In diesem Moment stürmten drei Gestalten in den Raum und waren entsetzt ob des Bildes, dessen sie gewahr wurden.

Der graue Schleier vor Tordals Augen verlor an Intensität und er spürte, wie das Leben in ihn zurückkehrte.

„Gütiger Gott, was ist hier los?“ „Dieses Ding tötet ihn, wir müssen etwas unternehmen.“

Wie ein fernes Flüstern drangen die Stimmen an sein Ohr. Die Trägheit, die von Tordal Besitz ergriffen hatte, wich nur langsam von ihm.

„Glori, tu doch etwas, bevor es zu spät ist.“ „Immer mit der Ruhe, bin ja schon dabei.“

Unter der enormen Energiemenge, die von Genesis ausging, bäumte sich sein Körper auf.

Glori, dieser Name berührte etwas in ihm.

Natürlich, seine Freunde, doch was taten sie hier? Sie durften nicht hier sein.

„Was ist jetzt, wird das heute noch was?“

Der Zwerg, da war doch etwas. Oh mein Gott, das Bier. Er wird doch wohl nicht...?

Stechender Schmerz ließ ihn zusammenzucken als er die Augen aufriss. Genesis war momentan anscheinend nicht in der Lage, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen und dem Kommenden somit hilflos ausgeliefert.

„Nein Glori, tu es nicht!“ In seinem ganzen Leben hatte er noch nie so geschrien und er erschrak vor seiner eigenen Stimme.

Im selben Moment brach der von Genesis ausgehende Energiestrahl ab.

Aus den Augenwinkeln sah er einen Schatten, welcher sich in irrwitziger Geschwindigkeit auf den Zwerg zu bewegte.

Dieser hatte schon längst längst die Kontrolle über seinen Körper verloren und ein gewaltiger Flammenstrahl schoss aus seinem Mund.

Doch in diesem Augenblick traf Glori etwas an der Schulter und er fiel vornüber.

In Erwartung des Unausweichlichen schloss Tordal, noch immer so gut wie bewegungsunfähig, die Augen.

Dann geschahen mehrere Dinge beinahe gleichzeitig.

Ein greller Lichtblitz, den er auch durch die geschlossenen Augenlider wahrnahm, zuckte auf. Als nächstes vernahm er ein seltsames, ihm bekannt vorkommendes, Geräusch, welches er aber nicht sofort einordnen konnte und nur kurz darauf einen erstaunten Ausruf des Gnolls.

Der Kopfgeldjäger war verwirrt. Schmerz und Hitze blieben aus und er riss die Augen auf.

Was er dann sah war an Absurdität kaum zu überbieten. Glori, durchnässt bis auf die Knochen, lag mit einem fassungslosen Gesichtsausdruck auf dem Boden, während von seinem Körper die Reste leichter Rauchschwaden aufstiegen. Neben ihm stand Hoogi, ebenfalls nass und beschnupperte den Zwerg.

Tordal spürte, wie die Kraft in seinen Körper zurückkehrte und machte vorsichtig und immer noch verwirrt einen Schritt nach vorne.

Von Links kam Tritis angestürzt und rannte auf die beiden in einer großen Wasserlache liegenden Gefährten zu. „Mein Hoogi, mein lieber Kleiner. Das hast du ganz toll gemacht.“ Während er dies sagte, umarmte er das Murmeltier und tätschelte seinen Kopf.

Unterdessen war auch Tordal bei den Dreien angekommen. Noch immer verstand er nicht, was eben geschehen war. Sie hätten alle tot sein müssen. Genau genommen sollte der gesamte Planet nicht mehr existieren.

„Der Kleine ist recht flink.“ Klar und emotionslos drang die Stimme durch die gespenstische Stille, die sich im Raum breitgemacht hatte.

Genesis, wie konnte er die KI vergessen? Sofort drehte er sich um. „Was ist das?“ Es war der Gnoll, dessen Stimme Erstaunen und Unverständnis zugleich zum Ausdruck brachte. Erst in diesem Moment wurde Tordal klar, dass Genesis nicht in seinen Gedanken zu ihm gesprochen hatte.

„Mein Name ist Genesis und übrigens, der Zwerg sollte etwas vorsichtiger im Umgang mit Feuer sein. Das hätte ganz böse ins Auge gehen können. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, hätte der Murmler nicht so schnell reagiert.“ Tordal musste an den Schatten denken, denn er nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte. Hoogi hatte von ihnen allen als einziger die Gefahr erkannt und intuitiv das Richtige getan. Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Kopfgeldjägers und er blickte zu dem immer noch von Tritis umtätschelten Murmeltier.

Aber was ist dann geschehen, woher kam all das Wasser? „Sprinkleranlage, nichts besonderes, ist Bestandteil der Sicherheitsvorschriften.“ Da er seine Frage nicht laut ausgesprochen hatte, musste Genesis immer noch in direkter Verbindung mit ihm stehen.

„Allerdings dachte man bei deren Installation wohl eher an ein normales Feuer, wie es immer mal vorkommen kann und nicht an einen Zwerg. Aber Feuer ist Feuer.“

Langsam löste sich auch dieser wieder aus seiner Starre und richtete seinen Oberkörper auf. „Das war knapp, sehr knapp sogar!“ Beim Sprechen stiegen kleine Rauchschwaden aus einem Mund. „Habe ich schon einmal erwähnt, dass Zwerge Wasser hassen? Verdammt, ich hätte ertrinken können!“

Wieder ganz der Alte, dachte Tordal und musste erneut lächeln.

Inzwischen war auch Giganto zu sich gekommen, er war allerdings noch zu schwach, um sich zu erheben. Beim Anblick seines alten Freundes erfüllte ihn ein unbeschreibliches Glücksgefühl.

Erst in diesem Moment fiel Tordal etwas ein, etwas wie er fand ganz Entscheidendes. Durch die sich überschlagenden Ereignisse der letzten Minuten hatte er es bisher allerdings verdrängt. Wieso bin ich noch am Leben? Ich müsste doch eigentlich tot sein, formulierte er in Gedanken.

“Ich kann es dir nicht erklären, ich wusste auch nicht, dass ich dazu in der Lage bin.“ Eine kurze Pause trat ein. „Es eröffnet mir allerdings ungeahnte Möglichkeiten.“

Aber warum hast du es getan? Woher willst du wissen, dass ich es verdient habe, dass nicht wieder alles von vorne beginnt?

„Nennen wir es einfach ein Gefühl.“ Der Kopfgeldjäger war irritiert und blickte in Richtung des Displays. Es war ihm, als würde er für einen kurzen Moment so etwas wie ein Lächeln in den Zügen der KI sehen, welches aber sofort wieder verschwand. Seine Gefährten schienen von alledem nichts mitbekommen zu haben.

„Es wird Zeit, ihr solltet nun gehen. Doch eines solltet ihr nicht vergessen. Sollte ihr jemals ein Wort über den Berg und was hier geschehen ist weitererzählen, würde es die Welt für immer verändern. Was ich natürlich nicht zulassen kann.“ Alle blickten zu dem wieder undefinierbar dreinschauenden, entfernt menschlichen, Antlitz vor ihnen.

„Verlasst den Berg auf dem Weg, auf dem ihr gekommen seid. Es droht euch keine Gefahr mehr.“

„Woher will dieses Ding das wissen und verdammt noch mal was ist hier eigentlich geschehen?“ Mit der für ihn typischen, übertrieben Aufgebrachtheit war Glori aufgesprungen und blickte die KI aus wild funkelnden Augen an. „Halt doch endlich mal deine Klappe. Immerhin hättest du uns beinahe alle verbrutzelt mit deiner dämlichen Feuerspuckerei. Was soll das eigentlich immer?“ Tritis hatte auf seinem vierbeinigen Freund Platz genommen und sah dem Zwerg von dessen Rücken direkt in die Augen.

„Woher willst du das denn wissen? Vielleicht wäre es nur ein ganz kleiner Feuerball geworden“, entgegnete dieser. „... und überhaupt, was meinst du mit immer?“

Tordal bekam vom folgenden Wortgefecht nichts mehr mit, da er in Gedanken ganz woanders war.

Was wird nun aus dir? „Ich werde weiter warten, warten und beobachten. Vielleicht finde ich auch einen Weg, mich dieser lästigen Bombe zu entledigen. Aber sei gewiss, was immer auch geschieht, ich werde ein Auge darauf haben.“ In seinem Kopf sah er wieder die Bilder der Überwachungssatelliten und musste an die schier grenzenlosen, technischen Möglichkeiten der KI denken.

Werden wir es schaffen, ich meine werden die Menschheit und die anderen Arten sich weiterentwickeln, ohne an den Punkt zu gelangen, sich und den Planeten zu zerstören? „Wer kann das schon sagen? Niemand weiß, was in der Zukunft geschehen wird, wie sich die Dinge entwickeln, nicht einmal ich. Du wirst lernen müssen, mit der Ungewissheit zu leben. Doch denke immer daran, auch wenn alles verloren scheint, verliere niemals die Hoffnung oder den Glauben an dich selbst. Unterschätze niemals die Kraft der Liebe und der Freundschaft, sie ist in der Lage, die Welt zu verändern, sowohl zum Guten als auch zum Schlechten und nun gehe Tordal, letzter der Tavare.“

Ihm war klar, dass er nicht mehr erfahren und Genesis von nun an schweigen würde. Mit einem unbestimmbaren Gefühl im Herzen ging er zu seinen Freunden.

„Lasst uns gehen, ich glaube, es gibt noch viel für uns zu tun.“ Giganto, immer noch benommen und gestützt von Tordal, Glori, Tritis und Hoogi verließen daraufhin den Raum und machten sich auf den langen, beschwerlichen Rückweg.

„Ich verstehe gar nichts mehr. Was ist hier eigentlich geschehen?“ „Später, Glori.“ „Ja, aber ich meine doch nur, wir haben unzählige Gefahren bestanden, um hierher zu gelangen, dann werde ich fast ertränkt und dieses Ding sagt, wir sollen wieder gehen. Das ist doch nicht normal... .” „Glori! Nicht jetzt!”

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