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Irrwege

Teil 7 - ... und das L-Wort

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Ich wünschte, es wäre wie im Film, wenn die Musik ganz romantisch wird und die Frau, sobald sie den Mann erblickt, in Zeitlupe wie auf Wolken zu ihm läuft, ihn umarmt, voller Freude in seine Augen sieht, ihn wieder umarmt, ihn küsst und dann, von einer leiser werdenden Melodie begleitet, der Abspann eingeblendet wird.

Aber so ist es leider nicht. Am liebsten würde ich ihn wieder vor die Tür schieben und sie ihm vor der Nase zuknallen, doch mein Wunsch, wieder sein Freund zu sein, ist stärker. Und dann ist da noch sein Gesichtsausdruck: Anstelle des sonst üblichen spitzbübischen Grinsens ist er von einem Mix aus Schmerz, Wut und Enttäuschung geprägt – alles Gefühle, die ich selbst gut nachempfinden kann.

Keine Ahnung, wie viel Zeit vergeht, in der wir uns einfach nur ansehen; Zeit, die ich brauche, um zu kapieren, dass er wirklich vor mir steht und sich nicht wieder, wie früher, Fantasie und Realität vermischen.

"Komm rein", flüstere ich endlich und deute auf mein Zimmer. Seine rot unterlaufenen Augen blinzeln, er murmelt etwas, das ein Danke sein könnte, und betritt den Raum. Bevor ich hinter uns die Tür schließe, nehme ich aus den Augenwinkeln Bastians aufmunterndes Nicken wahr, für das ich mich später bedanken sollte. Lucas behalte ich die ganze Zeit im Blick. Er bleibt neben der Tür stehen, lässt seine Taschen links und rechts zu seinen Füßen fallen und entdeckt für sich, wie faszinierend ein Teppichboden sein kann.

Und ich ... ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wie ich mich ihm gegenüber verhalten, nicht einmal, was ich empfinden soll. Ist unser kalter Krieg jetzt vorbei, einfach so? Ich bin nicht vorbereitet, hatte keine Gelegenheit, mich mit jemandem über mein Vorgehen zu unterhalten. Gott, Lucas, du hattest doch sonst nie so ein schlechtes Timing!

Also setze ich mich auf den Schreibtisch – und warte darauf, dass von irgendwoher ein Lichtlein kommt.

"Damals, am Strand ...", beginnt er und löst damit das Problem des ersten Schrittes. Die Worte kommen langgezogen heraus, als wäre er sich unsicher, als müsste er ihre Bedeutung erst einmal selbst erfassen. "Ich bin, hast du gesagt. Du meintest nicht schwul, stimmt's?" Er hebt den Kopf und sieht zu mir rüber.

Nein, wozu hätte ich ihm das sagen sollen? Es war nie ein Thema zwischen uns. Wir waren wir; wir waren beste Freunde, die viel Zeit miteinander verbrachten – und wenn in der Schule mal wieder das Gerücht aufkam, wir wären ein Paar, hatten wir kein Problem damit – manchmal taten wir sogar so als ob. Wieso hätte ich mich bei Lucas also outen sollen?

Ich nicke, schweige aber, da ich mir ziemlich sicher bin, dass dies nicht der geeignete Zeitpunkt ist, um den Satz zu vervollständigen.

"Dann kann sie ja doch die Wahrheit sagen, wenn es ihr in den Kram passt", zischt er zwischen zusammengepressten Zähnen.

"Wieso hast du's mir nicht gesagt?", schnieft er und wischt sich die aufkommenden Tränen mit dem Ärmel seiner Jacke weg. "Sag … sag irgendwas, Markus! Schrei mich an, lass deine Wut an mir aus, den ganzen Hass der letzten Monate!" Unfähig, etwas zu erwidern, sehe ich weg, wünsche mich weg, an einen anderen Ort, wo zwischen uns alles in Ordnung ist. Am liebsten würde ich ihn jetzt umarmen, trösten, ihm sagen, dass alles wieder gut wird. Wenn man einen einfachen Schnitt machen könnte, die Vergangenheit hinter sich lassen, dann wäre dies genau der richtige Moment dafür. "Die schlimmsten Monate meines Lebens." Seine Stimme ist so leise wie ein Windhauch. Ich will zu ihm gehen, doch meine Füße versagen mir den Dienst, mein ganzer Körper weigert sich zu reagieren, nur meine Augen, sie suchen ihn, finden ihn, bitten um Vergebung.

"Jesse war … toll." Mein Herz setzt für einen Moment aus, es will nicht hören, was Lucas zu sagen hat. Zu eifersüchtig ist es, selbst jetzt noch. "Sie hatte Verständnis für meine Launen nach deinem Weggehen, war liebevoll, zärtlich … Sie hat nur vergessen zu erwähnen, dass sie für meine Misere verantwortlich ist."

Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor. Dann hat Bella also die ganze Zeit über Recht gehabt?

"Was willst du damit sagen?"

Lucas setzt sich zu mir und einen Augenblick lang, als unsere Finger sich kurz berühren, kann ich wieder die Vertrautheit spüren, die ich früher als selbstverständlich erachtet und seit Monaten vermisst habe.

"Du hast deine Zunge also doch nicht verschluckt", lacht Lucas das schönste Lachen, das ich jemals gehört habe. Doch dann verdunkelt sich seine Miene wieder. "Als ich den Nachmittag heimkam und fragte, wie es dir ginge, wo du seist, sagte sie mir, dass du mich satt hättest und mal Zeit für dich bräuchtest, um das Leben als Student kennen zu lernen, dich auszutoben ... und mich eine Weile nicht sehen wolltest. Zuerst habe ich ihr nicht geglaubt, dazu kenne ich dich zu gut, du bist nicht der Typ, der mal eben neue Freundschaften schließt. Und unsere so leichtfertig wegwirft. Deshalb habe ich dich angerufen, dich gesucht, wollte mit dir reden, aber du warst wie vom Erdboden verschluckt. Am nächsten Morgen habe ich dich im Hörsaal gesehen und dein Blick hat ihre verlogenen Worte bestätigt."

So ein Miststück! Und doch bin ich froh darüber, denn das bedeutet, dass unsere Freundschaft noch zu retten ist. Aber reicht eigentlich nicht schon Lucas' Anwesenheit, um das zu wissen?

"Ich habe dich nicht gehasst, Lucas", versichere ich ihm. "Nicht, dass ich es nicht wollte – eine Zeit lang war ich davon überzeugt, ich würde es wirklich tun, aber es war ein kläglicher Versuch damit klarzukommen, dass ..."

"... du ihr geglaubt hast. Wie konntest du?" Die gleiche Frage könnte ich ihm auch stellen. "Habe ich dir jemals einen Grund gegeben, an unserer Freundschaft zu zweifeln, daran, dass du der wichtigste Mensch in meinem Leben bist?"

Nein, noch nie. Und genau darin liegt das Problem: Unsere Freundschaft war perfekt – zu perfekt; da können einem schon Zweifel an ihrer Echtheit kommen, oder?

"Sie hat deinen wunden Punkt getroffen, habe ich Recht?", fragt er und trifft damit den Nagel auf den Kopf.

"Ein paar Dinge, die sie gesagt hat, haben durchaus Sinn ergeben", gestehe ich.

"Zum Beispiel?"

"Dass wir nur deswegen befreundet waren ..."

"Waren?"

"Sind?", frage ich zurück.

"Du warst, bist und wirst immer der wichtigste Mensch in meinem Leben sein. Wir sind immer noch Freunde – es sei denn, du siehst das anders."

Zum ersten Mal an diesem Abend wage ich zu lächeln, diese Entscheidung fällt mir leicht. "Sind."

Er grinst zurück: "Dann hätten wir das ja schon mal geklärt. Und jetzt zu deinen Zweifeln, Markus – ein letztes Mal, hoffentlich." Er steht auf, stellt sich vor mich und nimmt meinen Kopf in seine Hände. Unsere Blicke treffen sich zum ersten Mal seit langem wieder im Guten. "Was damals im Wald passiert ist, mit meinem Vater, das mag der Grund dafür sein, dass wir uns kennen gelernt haben, vielleicht auch dafür, dass wir Freunde geworden sind. Aber ganz sicher ist es nicht deswegen, dass unsere Freundschaft von Bestand war. Ich bin nicht dein Freund, weil ich der Meinung bin, dir etwas zu schulden, etwas wiedergutmachen zu müssen, sondern weil du für mich da bist, wenn ich dich brauche, weil ich mich auf dich verlassen kann, dir vertrauen kann; weil ich mit dir lachen und mich bei dir ausheulen kann; weil du so bist, wie du bist."

Bei so viel Kitsch kann man ja nur weich werden ... Bevor ich die Gelegenheit nutze, um irgendwas Unüberlegtes von mir zu geben, lässt Lucas meinen Kopf los und umarmt mich so fest, dass es mir nicht nur sprichwörtlich den Atem raubt.

"Noch Fragen?", erkundigt er sich, während ich nach Luft schnappe.

Soll ich oder soll ich nicht? "Die Dinge ...", zögere ich, "... die sie über uns wusste."

"Was für Dinge?"

"Der Playboy, ... Peter Pan ... und die Höhle."

"Unmöglich, davon habe ich ihr nie erzählt", beteuert Lucas.

"Bis ins kleinste Detail."

"Nicht witzig, Markus." Fand ich damals auch nicht. Er lässt nun ganz von mir ab und setzt sich auf das Bett, fährt sich durch seine orangenen Haare und sieht mich entgeistert an. "Das sind unsere privatesten Erlebnisse, die würde ich nicht einmal mit meinen Enkelkindern teilen!"

"Weiß ich, aber ..." Die Frage bleibt: Woher wusste sie, was sie wusste?

"Kein Wunder, dass du ihr geglaubt hast!", meint er. "Ich versteh das nicht, sie kann nichts davon gewusst haben. Ich hab nie auch nur ein Sterbenswörtchen darüber fallen lassen – das musst du mir glauben, Markus!"

Ich setze mich neben ihn. "Das tu ich, ich glaube dir."

"Danke", sagt er und legt seinen Kopf auf meine Schulter, wie früher, wenn ihm etwas Kummer bereitet hat.

"Ich danke dir." Ich erspare ihm Oles unglaubliche Geschichte und komme gleich auf den Punkt: "Morgen früh wollte ich vor dem Hörsaal auf dich warten, aber du bist mir zuvorgekommen."

"Jesse sei Dank", kichert er. Sie haben sich gestritten, wie so oft in den letzten Wochen, in denen Lucas immer mürrischer, immer unausstehlicher wurde, und sie hat ihm alles gestanden. Nicht im Detail, aber genug um Lucas eines klar werden zu lassen: "Sie ist nicht mehr der Mensch, in den ich mich verliebt habe, Markus. Wozu dann noch bei ihr bleiben?" Fröhlicher fügt er hinzu: "Also, wenn du jemanden kennst, der für ein paar Tage einen Zimmerpartner sucht, sag mir Bescheid."

Meine Damen und Herren, der Autor des ungeschriebenen Buches Humor für alle Lebenslagen. Da muss man doch gleich mitmachen: "Und ich dachte, die Taschen sind voll mit Nikolausgeschenken für morgen!"

Was ist Lucas' Dank dafür? "Wir müssen unbedingt noch an deinem Humor feilen", feixt er.

Wir stehen auf und wieder drückt er mich, diesmal allerdings sanfter, so dass auch ich die Arme um ihn legen kann. "Ich hab dich vermisst, Markus", flüstert er mir ins Ohr. "So sehr vermisst."

"Ich dich auch," murmle ich in seine feuchte Jacke hinein. "Willkommen ... in deinem neuen Zuhause."


Nachdem ich ihnen Lucas' Situation beschrieben habe, sind Bastian, Jonna, Leah und Kristin ohne zu zögern damit einverstanden, dass er ein paar Tage bei uns bleibt. Mit seiner offenen Art gewinnt mein bester Freund mühelos ihre Sympathie, klinkt sich, ohne aufdringlich zu wirken, in die Gespräche ein, reißt Witze und erzählt beim gemeinsamen Abendessen kleine Peinlichkeiten aus unserer Kindheit. Die Neuigkeit über Oles Entlassung steigert die ausgelassene Stimmung noch mehr und wir beschließen spontan, morgen eine Party zu schmeißen, um Ole und Lucas zu feiern. Jonna und Leah sind schon voll in der Planungsphase, als Kristin uns daran erinnert, dass Ole Bettruhe braucht, woraufhin die beiden saure Gesichter ziehen und die Partypläne widerwillig ad acta legen.

Während Lucas unter der Dusche verschwindet und die Mädels den Tisch abräumen, zieht Bastian mich beiseite und erkundigt sich nach dem Verlauf unserer Versöhnung.

"Alles klar", beruhige ich ihn, "es war nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe. Wir haben uns ausgesprochen und es ist fast alles wie früher – wir sind wieder beste Freunde, mehr will ich gar nicht."

"Nicht?", argwöhnt Bastian und ich frage mich, wie er mich in so kurzer Zeit, im Grunde in dieser einen Woche seit der Sache mit Ole, so gut kennen lernen konnte. "Was ist mit der anderen Seite der Medaille, Markus?"

"Die andere ...? Du meinst ... Ich glaube, er weiß es. Es ist irgendwie ... komisch."

"Du glaubst. Manches muss laut ausgesprochen werden, sonst wird dieses komische Gefühl immer zwischen euch stehen", warnt er mich.

"Und wie soll ich es ihm sagen? Was soll ich ihm sagen? Ach übrigens, ich liebe dich. Nur so am Rande, keine große Sache. Wir können nicht zusammen sein, was soll das bringen?"

"Gewissheit – Vertrauen – Erlösung", wispert er. "Deine Gefühle für ihn werden, je länger du sie ihm verschweigst, zu einer immer schwereren Last und eines Tages wird sie dich erdrücken. Außerdem, war nicht gerade fehlende Kommunikation der Hauptgrund für den Bruch zwischen euch beiden?"

Wo er Recht hat ...

"Na Jungs, was tuschelt ihr hier in der Ecke?" Jonna stört! "Streitet ihr euch darüber, wer Anspruch auf den knackigen Hintern hat?"

Hat sie denn nicht zugehört? "Lucas steht auf Frauen, Jonna", erinnert Bastian sie, was sie zu einem verschmitzten Lächeln veranlasst und zu der Bemerkung: "Ja, tut er, nicht?" Ihr lustvoller Blick verrät ihre Gedanken, die ich als überaus unpassend empfinde, so dass ich es vorziehe, das Gespräch nicht weiter zu vertiefen und mich für den Abend verabschiede.

"Vergiss nicht, das Luftbett abzuholen", höre ich Bastian mir noch hinterher rufen, als ich meine Zimmertür schließe.


Lucas liebt das Wasser. Ob zum Trinken, zum Schwimmen oder Duschen – Wasser ist sein Element. Als wir noch bei unseren Eltern wohnten, badete er, da er bei sich nur eine Dusche hatte, mindestens zweimal die Woche bei uns und blockierte damit unser Badezimmer für mindestens eine Stunde – natürlich abends, wenn wir alle zu Hause waren, was nicht selten zum Streit mit Anna und Emma führte, die sich stets darüber beschwerten, dass sie die Gästetoilette benutzen mussten. Ein Streit, den ich für ihn austragen musste, während der Herr es sich in der Wanne gut gehen ließ und die Welt um sich herum vergaß.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass ich ihn nicht im Zimmer vorfinde, was mir wiederum Gelegenheit gibt, mir die Worte für mein Geständnis zurecht zu legen.

Ich bin ... Nein, lieber nicht, dann sind wir wieder am Strand und ... Lieber direkt: Ich liebe dich, aber ... ich weiß, dass du mich nicht auf die gleiche Art liebst und das ist auch völlig okay, ich dachte nur, du solltest es wissen. Und jetzt Schwamm drüber, wir lassen uns unsere Freundschaft nicht von so einer Lappalie zunichte machen, nicht wahr? Und er zuckt gleichgültig mit der Schulter, gibt ein Okay, hab's gehört von sich und geht zum nächsten Thema über, so was wie ...

"Hey!" Ich schrecke hoch. Lucas steht vor mir in meinem Bademantel und rubbelt sich die Haare trocken. "Du warst weit weg, was?"

"Ja", krächze ich. "Hör mal, wir sollten ..."

"Genau, es gibt da noch eine Sache, über die wir ..." Oh, was für eine Sache will er denn besprechen? Bedingungen knüpfen an unsere Freundschaft?

"Okay, du zuerst", biete ich ihm an und bete, dass er nichts Unmögliches von mir verlangt.

"Ich bin ...", sagt er und ich warte auf den Rest. "Was war es? Wie wäre der Satz weiter gegangen, wenn ich dich nicht unterbrochen hätte?"

Ein tiefer Atemzug – der Moment der Wahrheit ist gekommen. "... indichverliebt", überschlagen sich beim Ausatmen die Worte.

Er hört auf zu rubbeln, wirft das Handtuch auf den Stuhl und sieht mich an. "Ist das immer noch der Fall?" Ich presse die Lippen zusammen und nicke – bereite mich aufs Schlimmste vor.

"Gut", lächelt er und kommt auf mich zu, öffnet dabei den Bademantel, lässt ihn zu Boden fallen. Ich schließe die Augen und öffne sie wieder – jetzt steht Lucas vor mir, unsere Zehen keine zwanzig Zentimeter voneinander entfernt, einzig in sein Adamskostüm gekleidet. Endlich, denke ich, und zugleich: Bitte nicht!

Er legt seine Hand auf meinen Hinterkopf, kommt näher, spitzt die Lippen, schließt die Augen, eine andere Hand schießt vor. Déjà-vu. Doch dieses Mal gehört die Hand mir.

"Wow! Das nenne ich ne Retourkutsche", lacht er und zieht den Bademantel wieder an. "Meine Frage ist ja jetzt beantwortet, auch wenn deine Reaktion zugegebenermaßen ziemlich irritierend ist und weitere Fragen aufwirft. Aber fairerweise: Was wolltest du denn besprechen?"

Dass ich einen Fehler gemacht habe. Komm, zieh den blöden Bademantel wieder aus, ich ziehe mich auch aus und dann ... kneife ich wieder, weil es sich falsch anfühlt, weil es falsch ist!

Mein Zimmer kommt mir mit einem Mal so klein vor, ich brauche eine Ecke, eine dunkle Ecke, in die ich mich verkriechen kann. Es ist frustrierend, dass ich in seinem Beisein immer gefühlsduselig werde – noch mehr als sonst, meine ich.

Nicht so Lucas, der bleibt ganz locker, setzt sich und wartet. Und wartet. Und wartet. Seine Geduld macht mich noch wahnsinnig!

"Ich liebe dich", gestehe ich ihm schließlich.

"Das erklärt natürlich deine Reaktion", meint er sarkastisch, bevor er aufsteht und mit ernster Miene das sagt, wonach ich mich in letzter Zeit gesehnt habe: "Und ich liebe dich."

Ich weiß instinktiv, dass es stimmt. Er liebt mich, hat es immer schon getan, so wie ich ihn immer geliebt habe. Nur anders.

"Manchmal reicht das nicht, Lucas." Woher diese Worte kommen, ist mir ein Rätsel – aber sie fühlen sich richtig an.

Stirnrunzelnd sieht er mich an. "Wie meinst du das?"

Auf einmal sprudeln die Wörter aus mir heraus. "Ich liebe dich", wiederhole ich, "aber, auch wenn du eben noch bereit warst, meinen häufigsten Traum des letzten Jahres wahr werden zu lassen, eines ist sicher: Du stehst auf Frauen, Lucas, und ich lasse nicht zu, dass du für mich deinen Traum aufgibst." Ich gehe zu ihm, streiche mit dem Daumen über seine Wange. "Ich will, dass du glücklich bist. Ich will zusehen, wie du mit siebzig oder achtzig vor dem Kamin sitzt und einer Schar von Enkelkindern Geschichten erzählst."

"Geschichten über uns. Das ist mein Traum, Markus, aber was ist mit deinem? Was ist falsch daran, ihn wahr werden zu lassen?"

Versteht er denn nicht, dass das schon längst passiert ist? "Du hast meinen Traum wahrgemacht, Peter Pan. Du bist hier und immer noch mein bester Freund."

"Bist du sicher?"

"Klar bin ich das. Ich glaube nicht, dass ich schlafe oder halluziniere."

"Eigentlich meinte ich die Sache mit dem Nacktwerden."

Ach so, das muss einem doch erklärt werden. "Ja, ich bin mir ganz sicher, dass ich sicher bin."

"Wenn du dir das doch noch anders überlegen solltest, dann ..."

"Das wird nicht passieren", unterbreche ich ihn. "Irgendwann werde ich jemand anderen kennen lernen, der mich mag und den ich mag."

"Du hast auf dem Gebiet Fortschritte gemacht", bemerkt er stolz. "Vielleicht sollte ich wieder gehen, damit du ..."

"Denk nicht mal dran", warne ich ihn und ziehe ihn zur Sicherheit näher heran, woraufhin er einen Arm um meine Taille legt und wir einander versprechen, nie wieder jemanden zwischen uns kommen zu lassen.

"Ich darf mich aber weiterhin vor dir ausziehen, oder?", fragt er grinsend, als er von mir ablässt und sich mit einem anzüglichen Blinzeln erneut des Bademantels entledigt, diesmal aber um gleich in Boxershorts und T-Shirt zu schlüpfen.


Der Motor des aufblasbaren Gästebetts, das wir uns von Bastian ausgeliehen haben, brummt vor sich hin, während Lucas beginnt, über seine Zeit in der Hölle zu berichten: von den Stimmungsschwankungen, der Depression, der Lustlosigkeit und von den schlaflosen Nächten.

Davon, dass er vor drei Wochen, als wir unsere Testklausur in Statistik wiederbekommen haben, zum Prof zitiert wurde – weil er die Klausur in den Sand gesetzt hat. Ich meine, wie kann man bloß eine Open-Book-Klausur versemmeln?

"Vielleicht indem man die ganze Zeit damit zubringt, einen bestimmen Jemand anzustarren, der stur wegsieht?", vermutet Lucas ohne die Spur eines Vorwurfs. "Aber er hat versprochen, dass er das in Zukunft unterlässt", sagt er und sieht augenzwinkernd zu mir rüber.

Na, wenn er das versprochen hat … "Dann ist die Welt ja wieder in Ordnung."

Erst recht als er in eine der beiden Taschen greift und mit einem dunkelgrünen, mit goldener Schrift verzierten Buch winkt. "Peter ist zurück. Die Vorgeschichte, total an uns vorbeigegangen. Mittlerweile ist der dritte Band rausgekommen, aber ich dachte, wir fangen mit dem ersten an", sagt er und überreicht es mir.

Peter und die Sternenfänger lautet der Titel, und das Cover zeigt, in einiger Entfernung vom Deck eines Piratenschiffes, einen hell leuchtenden Mond und davor einen fliegenden Schatten – wen der wohl darstellen soll?

"Willst du anfangen oder soll ich?", fragt er und ich reiche ihm das Buch zurück, um die nächste Stunde oder so damit zu verbringen, seiner vertrauten Stimme zu lauschen und mich zu fühlen, als wäre ich im siebten Himmel. Mehr als einmal bin ich versucht, ihm vorzuschlagen, dass er zu mir hoch klettern soll, kann mich jedoch rechtzeitig bremsen. Und als er längst eingeschlafen ist, liege ich noch eine Weile im Dunkeln und höre seinem Murmeln zu, bevor ich schließlich selbst ins Land der Träume gleite, in der Gewissheit, ihn und Peter Pan dort wiederzusehen.

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