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Hassliebe
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Informationen
- Story: Hassliebe
- Autor: Hobbyschreiber
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Fantasy und Mystery
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Hallo liebe Leserinnen und Leser!
Wie angedroht kommt hier nun meine zweite Idee, die ebenfalls in der Zeitlinie des online Spieles „World of Warcraft“ spielt.
Einige kennen sicherlich schon meine erste Geschichte „Isna'jin“. Da geht es ja um einen Troll und seinen Blutelfen. Jetzt führe ich euch auf die andere Seite.
Ich hoffe, es sagt euch genauso zu und freue mich, wieder von euren Mails überfallen zu werden!
Prolog
Zitternd und voller Schmerz sinkt die kleine Gestalt auf die Knie. Der Boden ist trocken und rau, kein einziger Grashalm ist zu spüren. Der Mond ist fast vollkommen leer, einzig die Sterne spenden ein trostloses Licht, aber dunkle Wolken ziehen sich über dem Wesen zusammen und das bedrohliche Grollen des Donners ist zu hören.
Hinter der Gestalt ist ein steiler Abhang und darunter eine kleine Sanddüne mit dem abschließenden, weiten Meer. Das Wasser rauscht ruhig und gleichmäßig gegen die Ufer. Eine frische Brise kommt die Klippe hoch und kühlt die ohnehin schon kalte Luft weiter ab. Der salzige Geruch nach Meer dringt der kleinen Gestalt in die Nase.
Die linke Hand fest auf eine grobe Wunde an der rechten Schulter gepresst, stöhnt das Wesen schmerzvoll auf und krümmt sich zusammen. Aus glasigen Augen starrt die Gestalt in die Flammen des Lagerfeuers, welches vor ihr entzündet wurde. Die Flammen vertreiben einen Teil der Dunkelheit und spenden dem Jungen einen schwachen Trost.
Aber der Himmel hat andere Pläne. Es blitzt und binnen Sekunden beginnt es zu regnen. Der Donner knurrt bedrohlich über dem Menschen und ängstlich kauert er sich zusammen, ohne den Blick von den Flammen abzuwenden. Das Feuer kämpft erbittert gegen den stetigen Regen und hält sich im Moment noch tapfer.
Im schwachen Schein der Flammen nimmt die verletzte Gestalt die anderen Anwesenden wahr. Die großen Wesen, deren Größe von zwei Metern aufwärts reicht. Das Aussehen eines Wolfes, nur aufrecht gehend und imposanter. Der Körper mit Fell bedeckt und bei den Kerlen der Oberkörper deutlich mit Muskeln versehen.
Worgen ... Vor ein paar Monaten kannte der Junge nur die aus Sturmwind. Dort leben sie zurückgezogen, unter sich und meist in ihrer menschlichen Gestalt. Zivilisiert und gesittet, aber doch eigen und teilweise arrogant. Jedoch hat sich sein Leben in den letzten Wochen auf den Kopf gestellt.
Hier kniet er nun. Inmitten dieser Meute aus wilden Worgen. Schmerzvoll stöhnt er wieder auf und blickt auf seine linke Hand. Dunkles Blut klebt an ihr und seine Schulter brennt höllisch. Er kann seinen rechten Arm nicht bewegen und wiegt sich ein wenig hin und her.
„Julia! Lass endlich gut sein! Martin trifft keine Schuld! Versorgt ihn und lasst ihn dann gehen!“ Der Mensch mit den kurzen, braunen Haaren blickt zu einem grauen Worgen auf, der von einem anderen eisern festgehalten wird. Die grau-blauen Augen leuchten besorgt zum Jungen, doch sein Gesicht und seine Stimme sind vor Wut zu einem bedrohlichen Fletschen verzerrt.
Eine Worgin mit schwarzem Fell tritt vor und blickt den Grauen ausdruckslos an. „Zügel dich, Oliver! Du hast unsere Regeln gebrochen. Alex ist tot wegen dir! Du kennst die Antwort auf dein Vergehen ... Jasper!“ Die Worgin hat sich zu dem Menschen umgedreht. Ein weiterer schwarzer Worgen, der die Anderen mehr als deutlich überragt tritt, mit einem bösen Grinsen im Gesicht, neben die Anführerin.
Martin schluckt schwer und senkt den Kopf. Jasper ist der größte Worgen hier und ein wahres Muskelpaket. Keiner ist stärker als er. Die Worgin öffnet das Maul, doch da knurrt eine Stimme dazwischen: „Ich fordere mein Recht ein, um für Martin zu kämpfen!“
Erstauntes Gemurmel geht durch die Menge und die schwarze Worgin dreht sich zu Oliver um. „Was soll das Oliver? Wieso bist du so sehr dafür, dass der am Leben bleibt?“ „Weil ich ihn liebe!“
Hassliebe
Die Sonne scheint von einem wolkenlosen Himmel. Ein sanfter Wind weht vom Hafen aus in die Stadt hinein. In den Straßen herrscht geschäftiges Treiben und macht die ohnehin schon heiße Luft noch stickiger. Händler preisen ihre Waren an. Bewohner laufen leer oder vollbepackt herum.
Reisende oder Besucher der anderen Rassen versuchen sich einen Weg durch das Getümmel zu bahnen und die Stadtwache patrouilliert und achtet auf flinke Finger. Pech für sie, dass hier im Handelsdistrikt immer so viel los ist. Für so machen Gauner mag es riskant sein auf Goldsuche zu gehen, aber was wäre das Leben ohne Risiko.
So wie an den restlichen Tagen auch, wo er auf der Lauer liegt um etwas zum Überleben zu finden, so geht auch heute ein junger Mann durch die Straßen. Ziellos und sich genau umschauend, schlendert der Junge von gerade mal 19 Sommern herum und sucht nach einer sich ihm bietenden Gelegenheit für einen kleinen Raub.
Schwarze Wildlederhose, schwarze Wildlederstiefel und eine dunkelbraune Lederweste mit einem grauen, langärmeligen Hemd darunter. Zwei dunkelbraune Lederbänder über dem Hemd in Höhe der Handgelenke sind gebunden und kurze, fingerlose, graue Handschuhe zieren das Erscheinungsbild des Jungen. Das kastanienbraune Haar trägt er kurz geschoren und erstaunlicherweise gepflegt nach hinten gekämmt.
Seine Füße führen ihn zum Kanal, aber statt über die Brücke ins Magierviertel zu gehen, wendet er sich nach links den Geschäften zu. Vor ihm befindet sich das Geschäft vom Weingut Gallina und zwei weibliche Draenei in schönen, mit Gold verzierten Roben treten ein. Ein schelmisches Grinsen macht sich im Gesicht des Jungen breit und zielstrebig tritt er ebenso in das Geschäft ein.
Es herrscht wildes Treiben. Das Geschäft ist so gut wie voll und die zwei Schwestern haben alle Hände voll zu tun. In einer Ecke steht Boris, der Aufpasser und Bote dieser Familie. Freundlich, aber mit hartem Blick, mustert er die Besucher und gibt hier und da ein bisschen Auskunft. Seine ärmellose Weste scheint ihm zu groß zu sein, aber das stört ihn nicht.
Neugierig schaut sich der Junge um und tut so, als schaue er sich die Weinflaschen im Regal an. Aus dem Augenwinkel blickt er immer wieder zu den zwei Draenei und mustert sie ausgiebig. Sie scheinen erwachsen zu sein, aber das ist bei denen schwer einzuschätzen. Ihre Kleider sind weiß und aus der Nähe ergibt die goldige Verzierung eine Art Muster.
An ihren Gürteln hängen mehrere Beutel und sie sind in ein ausführliches Gespräch über eine Flasche Wein vertieft. Eine der Gallina-Schwestern nähert sich vorsichtig den Draenei und fragt sie hörbar genug: „Guten Tag und herzlich Willkommen! Kann ich Euch behilflich sein?“
„Archenon poros, Menschenfreundin. Meine Schwester und ich suchen nach einem leichten, fruchtigen Wein.“ „Da kann ich euch den Traubenwein empfehlen. Aus eigener Kreation, unser leichtester Weißwein. Hier!“ Die junge Frau mit den schulterlangen, blonden Haaren tritt zum Regal, wo der braunhaarige Junge steht.
Dieser zwinkert ihr zu und tritt beiseite, woraufhin er ein dankbares Lächeln erntet. Die Besitzerin nimmt eine Flasche mit grünlich-durchsichtigem Inhalt aus dem Regal und hält sie den Draenei hin. „Und nebenbei sehr fruchtig! Sie werden ihn wie Wasser trinken können.“ Die zwei Draenei lächeln und nicken, woraufhin die Dame sich hinter den Tresen stellt und das Geld entgegen nimmt.
Der Junge gesellt sich näher heran und tut so, als würde er dazu gehören, aber weiterhin die Weinflaschen begutachten. Aus dem Augenwinkel beobachtet er, wie eine der Draenei aus dem rechten Beutel ein paar Goldmünzen fischt und die Flasche entgegen nimmt, ehe sie mit ihrer Schwester den Laden verlässt.
„Jetzt oder nie!“, denkt er sich und folgt ihnen dicht auf. Das Messer aus dem linken Ärmel geholt, sich bei der Tür zwischen den zwei Damen durchzwängend, stolpert er und landet auf der Straße. Schnell rappelt er sich hoch und schaut entschuldigend. „Verzeiht meine Damen. War ich wohl zu schnell unterwegs.“
Sie lächeln ihm zu und schnellen Schrittes entfernt er sich, als er eine tiefe, donnernde Stimme hinter sich hört. „Verdammter Dieb! Ich erwische dich!“ Der Junge wirbelt herum und sieht Boris auf sich zukommen, die zwei Draenei dahinter schauen verwirrt. Langsam bemerken sie aber, dass einer ihrer Beutel fehlt und beginnen ebenfalls wie wild gewordene Dämonen hinter ihm her zu jagen.
Der Braunhaarige schluckt und rennt los. „Na klasse ...“, murrt er leise und rennt durch die Menschenmenge. Hier und da schubst er jemanden an und hofft in der entstehenden Verwirrung unterzutauchen. Dummerweise ist Boris für einen Menschen ein großgewachsener Hüne, bei dem die Muskeln auf den nackten Armen deutlich zu sehen sind.
Und schnell ist er auch! Der Junge rennt was er kann. Aufgrund seiner Lebenserfahrungen auf der Straße ist er agil und wendig geworden. Wenn er ihn lange genug abhält, kann er entkommen. Hinter ihm brüllt der Aufpasser des Weinladens wieder: „Haltet den Dieb!“
„Verflucht!“, geht es dem Braunhaarigen durch den Kopf, als sich ein paar Meter vor ihm zwei Stadtwachen umdrehen und ihn direkt anschauen. Links von ihm befindet sich der Kathedralenplatz und ein weiterer Wachmann auf einem Pferd kommt die Straße entlang zur Brücke gedonnert.
Der Junge hat nicht viel Zeit und muss schnell handeln. Wenn er auf der Straße eines gelernt hat, dann, dass er niemals denken soll. Immer handeln. So rennt er wieder los und sieht vor sich einen Holzstand mit festem Dach. Gleich dahinter ist der Durchgang ins Herz des Handelsdistrikts. Diese Durchgänge schauen aus wie die Steintürme an der Mauer, nur mit Durchgang unten am Boden.
So nutzt der Junge seine Chance und springt leichtfüßig auf den Stand. Ein Schritt, zweiter Schritt und Sprung in die Höhe. Die Kante ist zu hoch oben, aber ein Glück gibt es Ritzen im Mauerwerk, an denen er sich festhält und hoch hangelt. Schwer keuchend und kniend verschnauft er einen Moment an der Kante und blickt zur Straße hinunter.
Händler wie Gäste fluchen wegen dem Chaos und die Wachen brüllen, um Ordnung rufend, umher. Einzig Boris mustert ihn aus harten, blauen Augen und geht seelenruhig die Straße weiter, auf die Mauer zu. Ohne nachzudenken dreht sich der Junge um und prescht los. Rennt an der Kante entlang und springt über die Häuserdächer, bis die Geräusche hinter ihm verstummen.
Siegessicher wird er langsamer, bis er den Greifenturm vor sich erblickt. Ein Teil der Mauer dort ist mürbe und bröckelt immer weiter ab. Aber dies ist der sicherste Weg, um ins Tal der Helden und in sein Versteck zu kommen. Ein kleiner Felsvorsprung, der durch die Jahre auf natürlichem Wege in den Fels hinein geschliffen worden ist.
Gerade berührt er mit den Füßen den Boden, als ein leises, tiefes Knurren ihn zusammen zucken lässt. „Sieh an ... für einen gewöhnlichen Menschen bist du ganz schön gelenkig und flink.“ Der Braunhaarige wirbelt herum und erblickt einen grauen Worgen. Die Hose ist ihm etwas zu kurz und offenbart seine Unterschenkel.
Seine ärmellose Weste passt ihm wie angegossen, auch wenn er sie offen trägt und somit seine fellige Brust entblößt. Im Gesicht ein breites, wölfisches Grinsen, während er langsam immer näher kommt. Beim Anblick des Worgen schießt dem Jungen die Röte ins Gesicht und wutschnaubend wendet er seinen Blick ab.
Warum auch nur müssen ausgerechnet die ihm fast immer in die Quere kommen, wenn er gerade einen erfolgreichen Raubüberfall hinter sich hat? Der Worgen steht dicht vor dem Jungen und schaut auf ihn herab. Sein Atem streichelt dem Jungen durchs kurzgeschnittene Haar, während er ihn ausgiebig mustert.
„Starr mich nicht so an! Ich bemerke das! Auch wenn ich gerade nicht hinschaue.“ „Warum schaust du ja auch weg? Hast du etwa Angst?“ Breit grinsend baut sich der Worgen vor ihm auf und spannt seine Muskeln ein wenig an. Der Junge, mittlerweile knallrot, schüttelt den Kopf und erntet ein kehliges Lachen.
„Ah ich sehe schon. Bewunderer oder schlechte Erinnerungen.“ „Halts Maul!“, kommt es dem Jungen aus dem Mund und sofort dreht er den Kopf zu der großen Gestalt. Dieser entblößt nur, weiterhin grinsend, seine Fangzähne und streckt eine Hand aus.
„Komm Junge, her damit.“ „Und wovon soll ich dann bitte leben, wenn du mir meinen Fang weg nimmst Boris?“ Der Worgen zuckt mit den Schultern. „Das ist dein Los als Dieb. Jetzt gib schon her, sonst kommen die Wachen und dann hast du so oder so verloren.“
Murrend zieht der Junge das Lederband an seinem linken Handgelenk etwas auseinander und schüttelt dem Worgen den kleinen Beutel mit den Goldmünzen in die Pranke. Dieser überprüft den Inhalt und nickt. „So ist es brav.“ „Ich bin kein Hund!“, murrt der Junge, woraufhin der Worgen ihn eine Weile anschaut.
„Dann suche dir was Ordentliches und hör auf als Dieb herumzulaufen.“ „Das geht dich gar nichts an! Ausgerechnet von einem von euch hätte ich mehr erwartet! Ist doch gar nicht so lange her, da wart IHR noch die Diebe!“ Vor Wut zitternd blickt der Junge trotzig dem Verfluchten in die Augen.
Boris schweigt eine Weile und steckt dem Jungen plötzlich drei Goldmünzen zu, ehe er eindringlich knurrt: „Lass dich nicht mehr blicken. Beim nächsten Mal bist du dran.“ Verdutzt und erstarrt steht der Junge an der Mauer und schaut dem grauen Worgen hinterher.
Murrend stapft der Junge auf und steckt die Münzen ein, ehe er sich auf seinen Felsvorsprung begibt. Ein alter Mehlsack als Schlafplatz und ein Strohballen als Kissen dienen ihm als Lager. Seufzend legt er sich hin und schaut in den Himmel, während alte Erinnerungen auf ihn einströmen.
Das Eintreffen der Gilneer sorgte in ganz Sturmwind für Aufruhr. Er selber war 18 Sommer alt und bereits seit drei Jahren als Dieb auf der Straße. Schmerzlich musste er feststellen, dass diese Gilneer sich in große Worgen wandeln können, die einen Menschen um gut ein bis zwei Köpfe überragen.
Der Körper eines Wolfes, ebenso das Fell. Lange, rasiermesserscharfe Klauen an den Händen und furchteinflößende Reißzähne. Laut den Geschichten, die der Braunhaarige aufgeschnappt hat, sind es Menschen, die verflucht sind und deshalb in dieser Erscheinung herumlaufen können.
Vielen wurde Misstrauen entgegen gebracht, aber der Junge hat am Anfang mit einigen gearbeitet und sich so seinen Lebensunterhalt verdient. Nach und nach wurden sie aber in der Gesellschaft akzeptiert und begannen in ihrer normalen Menschengestalt zu arbeiten und zu leben.
In dem einen Jahr wurde der Junge von jenen Worgen, mit denen er zusammen gearbeitet hat und die er als seine Familie sah, verraten. Es ist ein halbes Jahr her und sie planten einen Einbruch ... Oliver, ein Grauer. Jasper, ein wahrer Riese mit schwarzem Fell. Und er, Martin. Doch Oliver und Jasper haben alles den Wachen preisgegeben und haben ihn ins Messer laufen lassen, während sie ihr Leben wieder anfangen konnten.
Nur mit seinem einfachen Dolch bewaffnet und mit viel Akrobatik hat Martin sich befreit, floh und tauchte unter. Seither brennt ein Hass in ihm, der ihm tagtäglich das Überleben sichert. Er fragt sich sogar durch, ob jemand die zwei Worgen irgendwo gesehen hat. Da er ihre menschliche Gestalt aber nicht kennt, konnte ihm niemand weiterhelfen.
Dennoch gibt er seine Suche nicht auf. „Ich werde sie finden ... Und dann werden sie sich wünschen, mich niemals fallen gelassen zu haben!“, denkt der Junge wütend, während er langsam in einen leeren, dunklen Traum fällt.
Der nächste Tag beginnt ruhig und strahlend. Ohne eine Wolke am Himmel und einem sanften Lüftchen, ist die Luft jetzt, in den frühen Morgenstunden, schon erstickend heiß. Wie jeden Morgen springt er kurz in den Wassergraben hinter dem Tor Sturmwinds und wäscht sich.
In den gleichen Kleidern wie gestern wandert er durch die Stadt. Manche Händler sind dabei ihre Läden zu öffnen, doch diesmal interessiert sich der Braunhaarige nicht dafür. Zielstrebig geht er ins Zwergendistrikt, in dessen Innenbereich die kurzen Bartträger an ihren Schmieden und Essen stehen.
Aber auch dorthin führt ihn sein Weg nicht. Er geht am Kanal entlang, bis links von ihm das Kathedralenviertel ist. Die gelb geziegelten Dächer leuchten hell in den ersten Sonnenstrahlen und verbreiten in der Stadt die Zuversicht und die Kraft des Lichtes. Murrend dreht sich Martin vom Viertel weg.
Als ob es dieses Licht wirklich gibt. Diese Priester sind doch alle nur schleimige Prediger die den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen und die Paladin nichts weiter als Krieger, die glauben sie seien was besseres. Seine Gedanken auf seine Aufgabe fokussierend tritt er langsam in die Taverne „Die Schattenspiele“ ein.
Der einzige Ort, den die Gilneer ihr Eigen nennen und an dem sie meist unter sich sind. Es ist nicht viel los, aber beim Eintreten fällt ihm sofort die Gestalt am Tresen auf. Eindeutig ein Kerl. Breite Schultern, kurzgeschorene Haare. Reisekleidung und einen Umhang, der sein weiteres Aussehen verdeckt.
Das merkwürdige an dieser Gestalt jedoch ist, dass sie zittert. Vor dem Mann steht ein Krug Bier, nach dem er mit seiner linken Hand greift. An der Hand ist ein blutdurchtränkter Verband sichtbar. Vorsichtig tritt Martin näher, während er den Mann zum Wirt murmeln hört: „... einfach so! Verfluchte wie wir! Hätten sie mir nicht geholfen wäre ich ...“
Der Mann bricht ab und nimmt einen weiteren Schluck aus seinem Krug. Der Wirt schaut derweil auf und mustert den Jungen eindringlich, ehe er bemüht freundlich fragt: „Was willst du hier?“ „Wieder etwas trinken.“ Der Wirt grummelt missmutig: „Verschwinde doch endlich. Du gehörst hier nicht her.“
Martin blickt den Wirt kurz hasserfüllt an. Arrogant und eingebildet, wie jeder andere Gilneer auch ... Da bemerkt er, dass der Verwundete ihn anstarrt und blickt ebenfalls zurück. So freundlich er kann beginnt er: „Hi ... Wollte Euch nicht belauschen, aber Eure Worten waren nicht zu überhören. Ihr seid auf eine Gruppe Verfluchte gestoßen?“
„Gilneer!“, knurrt der Wirt und funkelt Martin böse an. Der aber ignoriert den Mann hinter dem Tresen und blickt den Reisenden an. Dieser nickt kräftig und beginnt wieder: „Ja! Im Norden, im Vorgebirge des Hügellandes. Da war eine Gruppe Verlassener, die mich dummerweise entdeckt haben.“ Der Mann hebt seine verbundene Hand.
Erst jetzt bemerkt der Junge, dass er kein Oberteil trägt, dafür einen Verband um die Brust gewickelt hat. Deutlich sind die Blutspuren zu sehen ... an der Brust direkt zwei, am Bauch eine, an der Schulter eine ... die Verlassenen scheinen ihm schwer zugesetzt zu haben. „Sie waren zu viele für mich. Wären der Graue und der schwarze Riese nicht gekommen, wäre ich jetzt tot.“ Martins Miene wird steinhart. Hat er eben richtig gehört?
„Ein Grauer und schwarzer Riese?“, fragt er bemüht ruhig nach und der Reisende nickt. „Ja! Gilneer wie wir! Ein Grauer und ein großer Schwarzer. Haben nicht viel geredet, meinten nur, ich solle von hier besser verschwinden und mich untersuchen lassen. Machte aber den Eindruck, als ob die dort leben oder sich zumindest gut auskennen.“
Martins Augenbrauen ziehen sich zusammen und sein Herz klopft schnell in seiner Brust. Es schreit förmlich danach aufzubrechen. „Wie komme ich am schnellsten dorthin?“ Der Reisende zuckt ein wenig zusammen und Martin beißt sich auf die Zunge, hat er doch ein wenig zu hart gesprochen.
Der Wirt blickt Martin aus zu Schlitzen geformten Augen an und knurrt: „Was interessiert dich das auf einmal!“ „Das geht dich nichts an!“, kontert der Junge. „Ich werde dort mal rauf schauen. Egal ob mit euer Information, welcher Weg der Schnellste ist, oder ohne.“ Der Verletzte schüttelt seinen Kopf und trinkt von seinem Bier, ehe er murmelt:
„Wenn du sie suchst, wirst du sie nicht finden. Sie scheinen mir wild zu leben. Wilde mit Verstand zeigen sich nur wann, wo und wem sie wollen.“ „Wir werden sehen“, meint Martin eiskalt, donnert eine Goldmünze auf den Tisch und verlässt unter erstaunten und wütenden Augenpaaren die Taverne.
Vorgebirge des Hügellandes ... Im Norden. Wo immer das auch ist... „Ich werde euch finden. ich habe eine Spur!“, denkt sich Martin grimmig und geht zielstrebig in eine Richtung. Stur in seinen Gedanken verloren und den Weg gehend achtet er nicht auf die Menschen die er anrempelt.
Einmal stößt er sogar einen Gnom zu Boden, der ihm wüste Beschimpfungen nachruft. Martin nimmt ihn aber nicht wahr. Er begeht vielleicht einen großen Fehler und es ist schade um das Gold, aber er muss es wissen. Schon steht er vor dem Geschäft des Weingutes Gallina und tritt ein.
Wie immer ist viel Betrieb, aber Boris sticht mit seiner Größe aus der Menge hervor. Martin steht dicht bei der Tür und starrt den Gilneer eindringlich an. Es dauert einen Moment bis dieser ihn erblickt und erstaunt eine Augenbraue hebt. Der Junge macht ihm mit einer Hand deutlich, dass er mit ihm reden will und verlässt das Geschäft.
Es dauert eine Weile, da kommt der Mann mit den schwarzen Haaren und fragt ehrlich erstaunt: „Was willst du hier?“ Martin zückt ein Goldstück und hält es ihm hin. „Wie komme ich auf schnellstem Wege ins Vorgebirge des Hügellandes?“ Verwirrt steht Boris da.
„Was willst du denn dort?“ „Das ist keine Antwort auf meine Frage! Freu dich lieber, dass ich von hier verschwinden will! Also?“ Eindringlich und ernst blickt Martin den Gilneer an, der nach einer Weile seufzt. Langsam greift er nach Martins Hand, schließt sie mitsamt dem Goldstück ein und drückt sie dem Jungen zurück.
„Behalte es. Der schnellste Weg ist mit der Tiefenbahn nach Eisenschmiede und von dort mit einem Greifen zum Hafen von Menethil. Dann der Straße nach Norden über den Thandolübergang und nach Westen zur Mauer, auf der anderen Seite ist das Vorgebirge.“ Martin nickt und ist dabei an Boris vorbei zu gehen, dieser aber greift sanft seine Schulter und hält ihn auf.
„Was immer du vorhast, sei vorsichtig. Und versuche diesen Wahnsinn zu beenden. Du hast ja Talent, vielleicht nimmt dich ja die SI:7?“ Martin blickt Boris nicht an, aber seine Stimme klingt eisern und bedrohlich als er sagt: „Halt dich aus meinem Leben raus.“ Schon befreit er sich von des Gilneers Hand und geht zielstrebig in Richtung Tiefenbahn.
Die Sonne scheint von einem wolkenlosen Himmel und ein salziger Wind vom Meer vertreibt den Gestank von Tod und Verwesung nach Norden. Eine Herde Wildpferde grast friedlich auf einem Hügel, als plötzlich ein Ast knackt und aus einem Gebüsch ein wolfartiges Wesen hervorprescht.
Die Herde gerät in Panik und die Tiere rennen in unterschiedliche Richtungen, aber das große Wesen lässt sich davon nicht beeinflussen. Stur und zielstrebig hat er es auf eine Stute abgesehen, die von der Seite in seine Richtung kommt. Zu spät ändert sie die Richtung, als das Wesen sie schon anspringt und seine Klauen in ihre Schulter schlägt.
Kurz darauf in die Kehle gebissen und schon liegt das Pferd tot am Boden, während die Herde die Flucht ergreift. „Guter Fang Oliver. Das Training hat sich ausgezahlt.“ Eine Worgin mit schwarzem Fell tritt aus dem Schatten einer nahen Tanne und grinst breit. Ihre Haltung ist aufrecht und stolz und ihr Fell glänzt ein wenig im Licht der Sonne.
Gekleidet in blutroten Platten die Teile ihrer Beine, Oberarme und ihres Oberkörpers bedecken. Oliver neigt den Kopf und meint: „Freut mich, dass du zufrieden bist, Julia.“ „Lass den Unsinn endlich! Jasper und du, ihr seid keine Welpen mehr. Ihr seid Mitglieder des Rudels. Und Anführerin hin oder her, wir alle sind gleich und behandeln uns auch so.“
Der graue Worgen nickt und beginnt zu grinsen. Julia muss daraufhin kichern und nimmt den Worgen kurz in den Arm. Der Graue ist immer noch ein wenig über ihre Art erstaunt. Zeigt sie doch hohes Interesse an ihm. Dabei ist er nicht mehr als jeder andere im Rudel.
Das Rudel ... während er das Pferd schultert und zu ihrem Unterschlupf trägt, verliert er sich in seinen Gedanken. Seit einem halben Jahr sind Jasper und er schon hier. Seine Ohren legen sich wehmütig an seinen Kopf an, als er an früher denken muss. Jasper und er waren Freunde seit Kindertagen in Gilneas.
Sie waren nie was besonderes, selbst nach der Infizierung und dem Verlust ihrer Stadt nicht. Wie froh sie beide waren, als sie in Sturmwind auf Martin trafen, der ihnen von Anfang an kein Misstrauen entgegenbrachte und sie ins Stadtleben und das Leben als Straßendieb einweihte.
Es war geradezu perfekt und Oliver hat den Jungen immer mehr ins Herz geschlossen, bis es zu jenem Tag kam, wo er sich entscheiden musste. Jasper hat von einem Reisenden erfahren, dass hier im Vorgebirge ein Rudel wilder Worgen lebt, die immer noch bei Verstand sind.
Frei und nur eine Einheit. Alle zusammen. Oliver hat sich für seinen Freund entschieden und wartete vor den Toren Sturmwinds, als Jasper ihm berichtete, dass er Martin den Stadtwachen preisgegeben hat. Im Austausch, um frei ziehen zu können. Er war entsetzt, doch war es schon zu spät und sie brachen auf.
Nun sind sie hier. Das Rudel hat sie mit Freude aufgenommen. Als Welpen angefangen haben sie trainiert. Gekämpft, gejagt, sich dem Leben als Wilder näher gebracht. Hin und wieder ein paar Verlassene getötet und ihre Spuren verwischt, um weiterhin verdeckt leben zu können.
Das Rudel ist nicht groß. Julia, Jasper, er, Alex, Sabrina, Stephan und Natalie. Julia die Anführerin, Sabrina die beste Jägerin. Egal ob Pferd, Bär, Hirsch oder Greif ... als ehemalige Jägerin in Gilneas kennt sie sämtliche Tricks und hat sie als Worgenin im Laufe der Zeit perfektioniert. Und Natalie ist so was wie eine Heilerin.
Sie kennt sämtliche Beschaffenheiten und Wirkungen von Beeren, Pflanzen und Wurzeln und kennt ein paar Rezepte gegen Wunden, Prellungen, Entzündungen und so weiter. Jasper ist der Größte und Stärkste im Rudel und Stephan der schnellste Läufer. Alex ist der mit Köpfchen.
Er ist Natalies Bruder und war mal Gefangener der Verlassenen. Er hat einen leichten Schaden im Gehirn, aber sein Gedächtnis und die Kenntnisse über ihren Feind hat ihnen so manche Jagd oder Späherrunde erleichtert. Oliver hat sich schon immer gern versteckt und hat ein Talent entwickelt, trotz seiner Statur zu schleichen oder unentdeckt zu bleiben.
„Oliver? Oliver! Hörst du mir überhaupt zu?“, rasch schüttelt er den Kopf und blickt Julia an. „Entschuldige bitte. Ich war grad in Gedanken. Was hast du gesagt?“ Die schwarze Worgin grinst breit und fragt: „Ich sagte, ich will heute Abend mit dir reden. Alleine. Ich werde jetzt noch eine Weile herumlaufen und warte am Abend dann am Ufer auf dich.“
Der Graue nickt und blickt seiner Anführerin hinterher, die sich auf alle Viere fallen lässt und erstaunlich gelenkig in eine Richtung rennt. Langsamen Schrittes geht er weiter. Rechts von ihm ist das Ufer mit dem unendlichen Meer. Weiter vorne ist eine Klippe, wo ein Sturz zwar nicht tödlich, aber schmerzvoll endet.
Direkt vor ihm befindet sich ein alter, verlassener Zwergenbunker, den das Rudel zu seinem Unterschlupf gemacht hat. Julia, die die erste war, meint, dass die Verlassenen den Bunker meiden. Vorsichtig müssen sie trotzdem sein. Oliver tritt ins Innere und geht einen schmalen Gang entlang zum Lager, wo er das Pferd ablegt.
„Na, wieder mal für Julia angegeben?“ Olivers Nackenfell stellt sich ein wenig auf. Wie er es hasst ... „Nein Jasper, sie hat mir den Auftrag gegeben und mir dabei zugeschaut.“ Das Schnauben seines Freundes lässt den grauen Worgen umdrehen und ernst sagen: „Wie oft noch Jasper. Ich will nichts von ihr. Gib dir halt mehr Mühe aber hör auf mich fertig zu machen.“
Der große, schwarze Worgen tritt langsam auf seinen Freund zu. Seine Augen funkeln leicht bedrohlich während er bemüht leise knurrt: „Ich mache alles was sie will und tu extra noch mehr, aber mehr außer ein 'Gut gemacht' bekomme ich nicht! Dich umarmt sie sogar bei einem einfachen Fang! Mach ihr endlich klar, dass du sie nicht willst!“
„Red nicht so über unsere Anführerin Jasper, auch wenn sie auf Gleichberechtigung besteht! Wenn sie dich nicht will, nimm es hin.“ Jasper knurrt, als schon Natalie ins Lager kommt und ruft: „Hey ihr zwei! Nicht wieder streiten!“ Jasper gibt nur ein leichtes Knurren von sich und stapft davon.
„Danke Natalie.“ „Keine Ursache. Ihr solltet das aber endlich in den Griff bekommen. Das wird ja zunehmend schlimmer zwischen euch. Ich dachte ihr seid Freunde?“ Oliver seufzt und nickt leicht. „Sind wir auch ... ihm geht nur eine Sache gegen den Strich. Aber das wird schon.“
„Na hoffentlich. Er macht allgemein einen zu wilden Eindruck. Nicht, dass seine Instinkte eines Tages zu stark werden und er die Kontrolle verliert. Behalte ihn im Auge.“ Der graue Worgen nickt und verbringt die restliche Zeit mit Stephan beim Aufräumen der oberen Ebenen, ehe er bei Mondaufgang in Richtung Ufer geht.
Der Mond scheint halbvoll und ist abnehmend. Die Sterne glitzern wie Diamanten im Wasser als er sie sieht. Langsam setzt er sich neben die schwarze Worgin, die sich sofort an ihn kuschelt. „Schön dass du da bist.“ „Du wolltest doch mit mir reden?“ Ihre Zähne glitzern auf, als sie zu grinsen beginnt.
„Genau. Und zwar geht es um das Rudel. Es kann sein, dass nach und nach immer mehr kommen werden. Nur wann wer kommt weiß ich nicht. Jedenfalls will ich darauf vorbereitet sein und ich kann ein großes Rudel nicht alleine führen.“ Der graue Worgen stellt seine Ohren auf und hört ihr gespannt zu.
„Jedenfalls habe ich entschieden, dass es an der Zeit ist, einen Stellvertreter zu ernennen. Meine erste Wahl wäre auf Natalie gefallen.“ „Natalie ist eine gute Idee. Sie hat eine ruhige, sympathische Art und jeder mag sie auf Anhieb. Aber wieso sagst du das mir?“
Eine Weile herrscht Schweigen, dann meint Julia ernst: „Stimmt. Jeder mag sie. Aber sie hat nicht die Stärke und die Kraft um zu führen oder Entscheidungen treffen zu können.“ „Hrmmm... was wäre mit Jasper?“ Deutlich spürt der Worgen das nicken seiner Anführerin.
„Er wäre die zweite Wahl gewesen. Leider hat Jasper den Nachteil, dass er impulsiv ist. Er hat keine ruhige Art und wird sich nur mit Härte durchsetzen können.“ Leicht nickt Oliver und ist sich sicher, dass sein Freund das nicht gern hören will. „Jedenfalls habe ich mich entschieden und ich will, dass du es wirst.“
Einen kurzen Moment lang sitzt Oliver erstarrt da. Er? Ist das ihr Ernst? „Ehrm...“, ist das einzige was er herausbekommt und er erntet ein belustigtes Kichern von Julia. „Warum ich?“ „Nun, du vereinst Natalies Ruhe und Jaspers Stärker in dir. Du magst vielleicht nicht so stark wie er oder nicht so offen wie sie sein, aber ich weiß, dass du es hast.“
Der graue Worgen schluckt erst mal und murmelt: „Ich ... weiß nicht was ich sagen soll ...“ „Musst du auch nicht. In den nächsten Tagen werde ich es offiziell machen. Nur dass du Bescheid weißt.“ „Ok ... danke!“ Julia lacht auf und drückt ihm einen Kuss auf die Lefze und ist dabei sich zu erheben.
Kurz packt Oliver ihre Hand und blickt aus seinen grau-blauen Augen in ihre Smaragdgrüne. „Muss ich mich auf irgendwas vorbereiten oder wird sich dann irgendwas ändern?“ Julias Lächeln ist deutlich zu sehen, als sie meint: „Nein, sei ganz du selbst. Verändern wird sich nicht viel, außer dass du mehr Rechte haben wirst. Aber das werde ich dir dann alles genauer erklären.“
Oliver nickt und lässt sie langsam los. Immer noch erstaunt schaut er ihr hinterher, ehe er seinen Blick zum Meer wirft. Er und Stellvertreter ... Jasper und er haben es hier wirklich weit gebracht in dem halben Jahr. Wie es Martin wohl geht?
Es versetzt dem Gilneer einen Stich im Herzen zu wissen, ihn im Stich gelassen zu haben und dass er vermutlich sein Dasein im Kerker fristet. Schnell schüttelt er den Kopf. Es ist so wie es ist. Er muss Martin vergessen, aber sein Herz weigert sich.
Der Hafen von Menethil ... früher eine beachtliche Hafenstadt. Jetzt eine Kaserne, vier verbliebene Häuser und alles überschwemmt. Sandsäcke wurden aufgelegt, um das Wasser zurück zu halten, nass wird man aber trotzdem. Egal wo man hingeht.
Martin zählt den Beutel mit den Silbermünzen. Von ehemals zwei Gold hat er sich die Reise und eine Menge Proviant gekauft. Normalerweise würde er sich das ja zusammen stehlen, aber die Aussicht auf Rache lässt ihn schnell handeln.
Vor ihm die Kaserne und rechter Hand scheinbar das Gasthaus. Leise murrend schultert er den Sack mit dem Proviant und nähert sich dem Haus. Die Reise war lang und anstrengend. Erst mit der Tiefenbahn eine Ewigkeit lang unter der Erde in Richtung Eisenschmiede und von dort mit einem Greifen durch die eisige Luft der Schneeberge bis ins schwüle Klima des Sumpflandes.
Er war die ganze Nacht unterwegs und die Sonne ist bereits auf dem Weg zum Zenit, aber an Schlaf denkt der Junge nicht. Seine Kleidung klebt an seinem Körper und der Schweiß rinnt ihm nur so den Nacken und Hals herunter. Neben dem Eingang sind ein paar Reittiere angebunden.
Zwei Pferde und vier Widder und die Verlockung einen zu stehlen ist zu groß. Vorsichtig schaut sich der Braunhaarige um und nähert sich langsam den Reittieren. Es ist einiges los, aber nicht so viel wie in Sturmwind. Die meisten sind beschäftigt, gegen das Wasser zu kämpfen.
Arbeiter kommen vom Eingang und tragen geschlagenes Holz oder Steine auf eine Anhöhe, wo sämtliche Ressourcen gelagert sind. Die Tiere sind zwar angebunden, aber keiner scheint ein genaues Auge darauf zu haben. Schnell den Dolch aus dem linken Ärmel gezogen und die Seile durchschnitten, mit denen die Tiere angebunden sind.
Schnell den Sack am Sattel eines braunen Widders angebracht und die anderen Tiere mit Geräuschen und Klappsern auf die Flanke zum Bewegen gebracht. Schon rennen die Tiere herum und der Junge prescht auf dem Rücken des braunen Widders aus der Stadt.
„Eeeeey, verschammde Vischer!“, brüllt ein betrunkener Zwerg, aber Martin ist mit seinem Widder schon außer Reichweite und treibt den Widder zur Höchstleistung an. Das Tier donnert über die Brücke in den Sumpf hinaus und nimmt keine Rücksicht auf die Leute, die schreiend ausweichen müssen.
Die Luft wird zunehmend erdrückender und heißer, Nebelschwaden steigen aus dem brackigen Wasser empor und dämmen die Sicht ein wenig ein. Der Hafen von Menethil ist schon lange nur noch als grobe Silhouette zu sehen, bis die Hafenstadt gänzlich im Nebel verschwindet.
Der Weg zieht sich ewig, bis der Widder zu einer Gabelung kommt. Links führt der Weg gerade einen Hügel hinauf, gerade aus macht er eine große Biegung nach rechts. Martin lässt den Widder kurz verschnaufen und angelt sich ein Stück Brot aus dem Beutel, als er Hufgetrappel hört. „Verdammt! Hab ich denn überhaupt kein Glück mehr?!“, flucht der Braunhaarige und treibt den Widder an.
Dieser donnert wieder los und rennt den linken Weg den Hügel hinauf. Der Junge dreht sich nach hinten und sieht zwei Zwerge auf zwei der Widder hinter sich. „Wie haben die ihre Widder so schnell einfangen können?!“, denkt sich der Braunhaarige und treibt sein Tier wieder zur Höchstleistung an.
Es scheinen zwei Gebirgsjäger zu sein. Standard-Merkmale sind der grüne Umhang mit Kapuze und das Scharfschützengewehr und beides tragen seine Verfolger. An der Spitze des Hügels steht ein breiter Baum und ein Pass wird sichtbar. Links und rechts schießen die Berge nur so in die Höhe und weiter hinten sieht Martin ein paar weitere.
Nach und nach wird eine Brücke aus Stein sichtbar - der Thandolübergang. Durch einen raschen Blick nach hinten stellt Martin erschreckt fest, dass seine Verfolger aufholen und einer brüllt sogar kaum verständlich: „Bleib stehen und gib den Widder her, du Dieb!“ Aber Martin denkt nicht daran und spornt seinen Widder an.
Dieser schnauft und wird deutlich langsamer, als er auch schon die Brücke erreicht und rüber reitet. Auf der anderen Seite das Arathihochland in saftigem Grün. Kaum hat er die Hälfte hinter sich, erreichen die zwei Zwerge die Brücke und holen brüllend auf. „Verdammt... das wird sich nicht ausgehen!“, denkt Martin und blickt sich schnell um.
Die andere Seite nähert sich immer schneller und der Weg biegt nach links ab und gleich darauf wieder nach rechts. Linker Hand ist einer der Stützpfeiler der ziemlich dick ist. Er muss jetzt handeln! Schon lässt der Junge den Widder um die Kurve rennen, stemmt die Füße gegen den Sattel und springt auf den Stützpfeiler.
Schnell gegen die Wand gedrückt, als die zwei anderen Widder schon um die Ecke kommen und dem nun reiterlosen Widder nachrennen. Mit Klatschen und Pfeifen bringen sie das Tier zum stehen und schauen sich nach dem Dieb um. Dieser aber hat sich am Pfeiler entlang geschlichen und versteckt sich auf der anderen Seite.
Unter ihm geht es steil in die Schlucht. Das Meer zieht sich durch die Kluft und ein paar Trümmerteile der teilweise zerstörten Brücke ragen aus dem Wasser heraus. Er muss nur einen falschen Schritt machen oder abrutschen und er fliegt. Stur geradeaus schauend verhält er sich so ruhig er kann.
Ärgerlich stellt er fest, dass der Sack mit dem Proviant noch am Widder ist, aber mit holen wird es jetzt nichts mehr. Schon hört er Hufgetrappel und schleicht die Mauer entlang, um nicht gesehen zu werden. Die Zwerge führen die drei Widder über die Brücke zurück und dabei hört er sie reden:
„Verdammter Bengel ... eindeutig noch ein Junge.“ „Was treibt der hier oben? Noch dazu unbewaffnet?“ „Keine Ahnung. Ist nicht unser Problem. Entweder erwischen ihn die Verlassenen oder eines der Wildtiere.“ Nach und nach werden sie leiser und scheinen verschwunden zu sein.
Martin geht aber kein Risiko ein und wartet noch einen Moment, ehe er das letzte Stück weiter schleicht und wieder sicheren Boden unter den Füßen hat. Gut ... das Positive, er hat es fast geschafft. Nur noch den Weg entlang nach Westen zur Mauer, dann ist er im Vorgebirge.
Das Negative, er hat weder Reittier noch Proviant und er kennt sich hier oben nicht aus. Er weiß nicht ob und wo es Lager oder Dörfer der Allianz gibt, wo er stehlen oder kaufen kann im schlimmsten Fall. Schnell schüttelt er den Kopf und geht los. „Nicht denken Martin, handeln. Hast du immer schon gemacht“, redet er mit sich selbst.
Der Weg durch das Arathihochland ist erstaunlicherweise nicht so lang. Schnell gabelt sich der Weg nach links und rechts und linker Hand sieht er in der Ferne die große Mauer. Die Sonne scheint dem Jungen ins Gesicht und ist dabei zu versinken, als er nahe genug ist und einen Durchgang erkennt.
Dummerweise wird der von den Verlassenen bewacht. Martin hat den Geschichten nie geglaubt. Wandelnde Tote. Ehemalige Menschen, die ihre Intelligenz und ihr Können im Gebrauch von Waffen, Zaubern und anderen Dingen nicht verlernt haben. Und jetzt stehen sie da. Ein Lager voller Leichen direkt neben dem Durchgang, der zusätzlich von einer handvoll Verlassener bewacht wird.
So kurz vorm Ziel und dann das hier! Aus einem Versteck in einem Busch heraus mustert der Junge die Mauer. Der Verletzte in der Taverne „Die Schattenspiele“ ist hier auch durchgekommen und alleine hat er sicher nicht gegen solche Macht bestanden. Nichtmal mit Hilfe von zwei Gleichgesinnten.
Links ist eine Burg und dahinter ist das Meer. Er könnte den einzelnen Berg umschwimmen oder die Mauer hinauf klettern. Aber weder auf das eine noch auf das andere hat der Junge im Moment Lust. Rechts schließt die Mauer bis zu einer Bergkette an.
„Verdammt!“, flucht Martin auf, als ihm da rechts an der Mauer was auffällt. Sie scheint zerbröckelt zu sein. Schnell und vorsichtig schleicht er der Stelle näher und tatsächlich! Da ist ein enger Durchgang in die Mauer gesprengt worden. Völlig unbewacht!
Erleichtert geht der Junge auf die andere Seite und hat sein Ziel erreicht. Das Vorgebirge des Hügellandes. Er hat es geschafft! Jetzt heißt es erst mal einen Schlafplatz und was zum Essen suchen und morgen beginnt die Suche nach Jasper und Oliver. Vor ihm, auf einer Anhöhe, sind Ruinen einer Burg zu sehen.
Vorsichtig schleicht er sich in Richtung Hauptstraße zurück und geht den Weg in die Ruine hinein. Sie wirkt leer und ist komplett zerstört. In dem Ort, der früher mal eine Arena gewesen sein mag, sind Karren und Schreibtruhen, aus denen Martin ein provisorisches Bett baut. Es ist sicherlich nicht bequem und er wird Federn und Moos finden müssen, aber erst mal wird es reichen.
Schon ist er wieder im Wald draußen, sammelt hier und da ein paar Äste und Rindenstücke von Bäumen und schafft es mit gut Glück einen Hasen zu erjagen. Gemütlich ein kleines Feuer entfacht und den Hasen gegrillt, ehe der Junge mit einem vollen Magen und einem schon fast glücklichen Lächeln in den Schlaf versinkt.
„Ich rufe eine Versammlung ein! Kommt alle mal vorbei!“ Julias Stimme hallt laut durch den Bunker und binnen weniger Momente haben sich sämtliche Mitglieder im größten Raum im Bunker versammelt - unten im Versammlungsraum. Die Worgin mit dem schwarzen Fell steht vor einem eisernen Kamin mit brennendem Feuer und schaut jeden einzelnen eine Weile an.
„Ich habe euch versammelt, weil ich eine Entscheidung getroffen habe. Waren wir vorher noch fünf, sind wir nun sieben und der Tag kann kommen, wo wir immer weiter wachsen werden. Aus diesem Grund will ich vorbereitet sein und hier und jetzt einen Stellvertreter bestimmen. Eine rechte Hand, die, bei meiner Abwesenheit, das Sagen hat.“
Die anwesenden Worgen schauen sich erstaunt an und blicken dann gebannt ihre Anführerin an. Jasper hat sich stolz zur vollen Größe aufgebaut und rechnet wohl damit, dass er derjenige sein wird. „Nach Absprache und Einverständnis wird Oliver diese Ehre zuteil kommen.“
Der graue Worgen schluckt und nickt leicht, bringt aber murmelnd hervor: „Natürlich ... nur wenn alle einverstanden sind ...?“ Stephan und Sabrina zucken mit den Schultern, während Alex und Natalie ihm schon gratulieren. Jaspers Augen haben ein wütendes Funkeln angenommen und fixieren seinen Freund eindringlich.
Oliver tritt unsicher neben Julia, die ihn anlächelt und dann feierlich verkündet: „Dann sei es so! Oliver, von nun an bist du mein Stellvertreter! Sollte ich nicht da sein, hast du das Sagen. Wenn es aber ernste oder schwere Entscheidungen zu treffen gibt, wartest du auf mich oder schickst nach mir.“
„Verstanden“, stimmt der graue Worgen nickend zu und wird feierlich von Julia umarmt, anschließend von Natalie. „Gratuliere Oliver! Ich bin sicher du schaffst das!“ Der graue Worgen lächelt sie an und wird dann von den anderen mittels Umarmung oder Schulterklopfen beglückwünscht.
Einzig Jasper hat sich nicht von Ort und Stelle bewegt. Für Oliver deutlich sichtbar schnaubt er auf und stapft davon. „Wieso nur muss er so stur sein?“, denkt sich Oliver traurig und wartet das Spektakel ab, ehe er nach ihm sucht. Er findet den schwarzen Riesen draußen in den abnehmenden Mond blickend.
„Freust du dich denn gar nicht?“, fragt Oliver leise und tritt an die Seite seines Freundes, der jedoch nicht antwortet. Nach einer Weile drehen sie die Köpfe und schauen sich an. Jaspers blutrote Augen funkeln eisern und hart, während er bedrohlich spricht: „So ist das also ... nach all unserer Freundschaft fällst du mir also so in den Rücken. Machst dich immer weiter bei Julia beliebt und wirst dann sogar ihr Stellvertreter, obwohl ich es hätte werden müssen.“
„Sie kam zu mir und hat mit mir gesprochen. Du bist zu impulsiv, zu aggressiv. Dir fehlt die ruhige, freundliche Art wie Natalie sie hat.“ „Natalie ist unsere Heilerin, die muss so sein! Ich jage und beschütze das Rudel! Wenn ich nicht aggressiv bin, bin ich falsch hier! Wir sind wild!“
„Aber trotzdem immer noch bei Verstand, Jasper. Was ist nur los mit dir? So wütend warst du sonst nie. Bist du so versessen darauf, ein Wilder zu werden? Hast du deswegen Martin auch verraten? War er dir zu schwach?“ Jaspers Körper spannt sich an und brutal packt seine Hand Olivers linke Schulter. „Das geht dich nichts an! Hättest ja bei ihm bleiben können und weiter in den Straßen von Sturmwind vergammeln, während wir hier frei und WIR sein können!“
„Du bist aber nicht DU. Sonst würdest du mich nicht so anknurren und so reden!“ Jasper knurrt bedrohlich auf und stößt Oliver nach hinten. Langsam dreht er sich um und murmelt bedrohlich: „Martin hat dich schwach gemacht. Sonst wärst du auf meiner Seite und würdest es verstehen ...“
„Und jetzt? Soll jeder seinen Weg gehen und die alten Zeiten lassen wir bleiben wo sie sind? Wo ist mein Freund geblieben?“ Jasper bleibt stehen und zum ersten Mal ist keine Bedrohung in seiner Stimme, sondern einfach nur eiserne Entschlossenheit. „Zeiten ändern sich ... und mein Freund wurde mit Martin in Sturmwinds Kerker eingeschlossen.“
Erschrocken über diese Aussage bleibt Oliver wie erstarrt stehen, während Jasper den Bunker betritt. Das war es also ...? Als Belohnung, dass er seinem Freund gefolgt ist, hat er eben jenen verloren. Auch wenn sein Leben im Rudel kaum besser laufen kann, war Jasper doch so was wie ein großer Bruder.
Mit angelegten Ohren und hängenden Kopfes trottet er wie ein geschlagener Hund zum Ufer und lässt sich in den Sand fallen. Die graue Lederhose sowie die offen getragene, graue Weste spannen sich ein wenig, aber dies interessiert den grauen Worgen kaum. Als Andenken für Martin hat er sich geweigert, seine Straßenkleidung abzulegen.
Er spürt eine Hand über seine Schulter streicheln und hört, wie sich jemand neben ihn setzt. Julias Duft steigt in seine Nase und leise fragt sie: „Worum ging es?“ Eine Weile schweigt der Graue, ehe er ebenso leise beginnt: „In Sturmwind wurden wir von einem Jungen aufgenommen. Er half uns, uns zurecht zu finden und zu überleben. Als Jasper hiervon erfuhr hat er ihn verraten und dem Kerker überlassen.“
Julia streichelt ihm den Arm und schaut ihn mitfühlend von der Seite an. „Er hat Interesse an dir. Will deine Aufmerksamkeit, wie du sie mir gibst. Dass du mich zu deinem Stellvertreter gemacht hast, hat die letzte Verbindung durchtrennt ...“ „Das tut mir leid ... aber damit muss er leben.“
Langsam dreht er den Kopf und blickt sie an. „Ich weiß nicht, ob ich dir das geben kann was du willst.“ Julias Zunge leckt sanft über seine Nase und mit warmer Stimme spricht sie: „Denk darüber nach und mache dir nicht so einen Kopf. Wenn Jasper zu stark übertreibt werde ich schon mit ihm reden.“
Die schwarze Worgin erhebt sich und dreht sich um, bevor sie aber geht murmelt sie noch: „Und beginne diesen Martin zu vergessen. Du wirst ihn vermutlich nie wieder sehen.“ Olivers Herz wehrt sich gegen diese Worte. Als würde jemand ein Schwert durch seine Brust bohren und langsam herumdrehen.
Er kann Martin nicht vergessen ... er will ihn nicht vergessen. Der Junge ist ihm wichtig. Er braucht ihn doch. In einem Anflug von Selbstmitleid, wieso er nicht bei ihm in Sturmwind geblieben ist, entsteht ein Funke Zuneigung und Sehnsucht in seinem Herzen. Ein Funke, der vermutlich nie zur Flamme aufsteigen wird.
Noch bevor die Sonne richtig aufgegangen ist, geht Oliver aus dem Bunker. Er will alleine sein und wandert ziellos durch die Gegend, kommt der Burgruine im Norden aber immer näher. Vermutlich weil sie so leer und verlassen ist wie er selber?
Aber kaum hat er die Ruine betreten, strömt ihm ein leichter Duft in die Nase. Schwach und kaum wahrnehmbar, aber auf eine gewisse Art vertraut. Vorsichtig und leise schleicht er herum, doch der Duft scheint überall zu sein. Die ersten Sonnenstrahlen beleuchten den Stein und erwärmen diesen.
Bei der Arena-Grube bleibt er plötzlich stehen und drückt sich in den Schutz eines Steinblockes vor ihm. Steht dort doch glatt ein Karren, der zu einem provisorischem Bett umfunktioniert wurde. Nur schläft dort keiner. Vorsichtig schleicht der graue Worgen näher und der Duft wird stärker. Je stärker er wird, desto vertrauter kommt er ihm vor. „Ist das etwa ...?“
Ehe er den Gedanken zu Ende führen kann, hört er das Sausen von Stahl durch die Luft. Schnell dreht er sich um und hebt die Arme, als ein brennender Schmerz seinen linken Unterarm durchfährt. Schon hört er die Klinge erneut, doch schnell reagiert er und streckt die rechte Faust aus.
Oliver hört ein Stöhnen und kann seinen Angreifer endlich betrachten und es ist Tatsache ... „Martin?“ „Hab ich dich endlich gefunden! Endlich werde ich meine Rache bekommen!“ Schon holt der Junge erneut aus und Oliver kann nur mit Mühe ausweichen. Er führt seinerseits einen Schlag mit der Faust aus, doch der Braunhaarige rollt sich weg und kommt ein paar Schritte weiter wieder auf die Beine.
„Du hast dazu gelernt“, stellt Oliver fest und Martins braune Augen funkeln ihn hasserfüllt an. Ein Blick der sein Herz zerreißt. „Spar dir die Worte! Pech für Jasper und dich, dass ich nicht im Kerker gelandet bin!“ „Wie bist du entkommen?“ Der Junge erhebt sich langsam und dreht den Dolch in seiner Hand.
„Kurz nachdem ich die Tore durchquert habe, sind die meisten Wachen verschwunden. Zwei waren noch da und der Kerkermeister. Einer der Wachen wollte mir grad den Dolch abnehmen ... und mit einem Schnitt an der Kehle lag er. Der Zweite wurde auf den Kerkermeister gestoßen und dann hab ich mich wie eine Katze über die Dächer davon gemacht.“
Wow ... Martin hatte immer schon ein Talent für Akrobatik. Ein wahrer Meister, wenn er sogar dem Kerker entkommen konnte. „Und jetzt nehme ich an bist du hier, weil du Jasper und mich töten möchtest?“ „Richtig erkannt!“, knurrt der Junge und springt nach vorne. Mit einer schnellen Bewegung drückt er dem grauen Worgen den Dolch in die Schulter, doch dieser regt sich kaum.
„Ich kann verstehen, dass du sauer bist ... dass du wütend bist. Aber bitte gib mir eine Chance alles zu erklären.“ Martin zögert. Olivers ruhige, wehrlose Art verwirrt ihn. Er hat mit Gegenwehr gerechnet. „Es war nicht meine Absicht, dich in den Kerker zu bringen. Das musst du mir glauben!“
„Ach ja?! Warum soll ich dir oder Jasper jetzt noch vertrauen?!“, brüllt Martin und zieht den Dolch heraus, nur um erneut auszuholen. Oliver aber packt Martins Arm, zieht ihn dicht an sich ran und meint eindringlich: „Es ist Jaspers Schuld! Seit er von dem Rudel erfuhr, ist er dem Wahnsinn anheim gefallen!“
Martins Mauer scheint zu bröckeln. Oliver wieder so nah zu sein dämmt den Zorn in seinem Herzen und lässt es aufhorchen. „Ich werde nicht wieder versagen!“, denkt sich der Junge wütend und reißt sich von dem grauen Worgen los. Olivers Arm und Schulter brennen und bluten ein wenig, im Vergleich zum Training sind die Wunden aber harmlos.
Der Junge dreht dem Worgen den Rücken zu und geht ein paar Schritte. Er ist angespannt und hat eine Hand zur Faust geballt, die andere fest um den Griff des Dolches geschlungen. Mit gepresster Stimme murrt er: „Erkläre dich. Welches Rudel?“ Oliver atmet erleichtert aus und holt dann tief Luft, ehe er anfängt:
„Jasper traf einen Reisenden, der von einer Gruppe wilder Worgen hier im Vorgebirge sprach. Er stellte mich vor die Entscheidung, ob ich bei dir bleibe oder mit ihm gehe. Ich folgte meinem besten Freund ... und ohne es vorher mit mir abzusprechen, hat er dich den Wachen verraten. Damit wir eine sichere Reise haben.“
Martin zieht die Schultern ein wenig hoch und Oliver kann den Zorn förmlich riechen. Vorsichtig tritt er näher und legt beide Hände auf Martins Schulter und murmelt: „Bitte Martin ... du musst mir glauben.“ Der Junge reißt sich los, wirbelt herum und fährt mit dem Dolch über Olivers linke Handfläche.
Martins Blick lodert nur so vor Zorn, aber Oliver kann auch den Schmerz erkennen. Ihn selbst zerreißt es förmlich, jedoch ist seine Stimme erstaunlich ruhig. „Seit wir hier sind, vergisst Jasper sich nach und nach. Gestern hat er sogar unsere Freundschaft beendet.“ Martins Zorn schwindet langsam aus seinen Augen.
Sie schauen sich gegenseitig in die Augen und Oliver kann den Kampf in Martin spüren, als wäre es sein Eigener. Worauf soll er hören - sein Herz oder seinen Kopf? Oliver hat vor einem halben Jahr auf seinen Kopf gehört. Just in dem Moment dreht sich Martin wieder um.
Mühsam kann er das Zittern unterdrücken und spricht monoton: „Geh ... lass mich allein. Sei aber gewarnt, dass Jasper eines Tages tot sein wird.“ Oliver nickt und stapft langsam davon. Die Nachricht, dass Martin Jasper töten will, erschreckt ihn nicht. Er hat schon einmal den Fehler gemacht und auf seinen Kopf gehört.
Jetzt hört er auf sein Herz und dieses schlägt für einen braunhaarigen Jungen, dessen Vertrauen er wieder bekommen will. Die Sonne ist vollends aufgegangen und der Bunker ist schon wach geworden. Heimlich schleicht er sich in den Raum, wo Natalie ihr Zubehör aufbewahrt.
In die Wände wurden Nischen gehauen, die als Abstellplätze dienen. Hier stehen Schüsseln, Phiolen, Bücher, Schatullen und Glasbehälter in denen Pflanzen oder Beeren enthalten sind. An der gegenüberliegenden Wand stehen größere Kisten und eine kleine Feuerstelle mit einem Kessel, indem gerade eine grünliche Flüssigkeit brodelt.
In der Mitte ist ein kleiner, quadratischer Tisch mit einem Sessel, auf dem die braune Worgin sitzt und gerade in einem Buch liest. „Morgen Natalie.“ „Hm? Oh, morgen Oliver! Wie schaust du denn aus?“ Sofort legt die Worgin das Buch zur Seite und tritt auf den grauen Worgen zu.
„Kleine Unachtsamkeit.“ Natalie hebt eine Augenbraue und deutet auf die Stichwunde in der Schulter und die zwei Schnittwunden an Arm und Handfläche. „Klein ...“ „War unterwegs und bin einem Verlassenen begegnet. Hab falsch ausgeholt und dabei die an der Hand und am Arm kassiert. Die Schulter war sein finaler Stoß, als ich ihm das Genick brach.“
Die braune Worgin schaut ihn eindringlich an, als glaube sie ihm nicht. Oliver bemüht sich, so ruhig zurück zu schauen wie möglich, die Nervosität kriecht trotzdem langsam seinen Rücken hoch. „Nun gut ... setzt dich da her und bleib still.“ Schon dreht sich Natalie um und geht zu einer der Nischen.
Der graue Worgen setzt sich auf den Stuhl, während Natalie eine Schüssel mit Beeren und Pflanzen füllt, ein wenig von der grünen Flüssigkeit aus dem Kessel dazu gibt und das Gemisch mit einem Mörser zerstampft und zu einem dickflüssigen Saft macht.
Diesen schmiert sie dann sorgfältig über die drei Wunden. Es brennt und bei der Wunde an der Schulter ballt Oliver die Rechte zu einer Faust und unterdrückt das Knurren. „Stell dich nicht so an. Diese Verletzungen sind nichts.“ „Ich weiß ... brennen tuts trotzdem.“
„Das ist gut! Das zeigt, dass es angenommen wird und der Heilungsprozess beginnt.“ Schlussendlich nimmt sie ein großes Blatt und beißt in den Rand ein paar Löcher. Eine Seite beschmiert sie mit dem dicken Saft und klebt das Blatt dann sprichwörtlich über die Wunde an der Schulter.
„Das bleibt oben bis es selber runter fällt. Verstanden?“ „Verstanden.“, stimmt Oliver zu und erntet von Natalie einen sanften Stupser auf die Nase. „Und jetzt pass auf dich auf.“ Der graue Worgen grinst leicht und bedankt sich, ehe er mit Alex die Verlassenen ausspäht.
„Verdammter! Verfluchter! Eingebildeter! ...“ Je mehr Martin schlecht über Oliver denkt, desto unsicherer wird er. Er ist hier und hat ihn gefunden, also ist Jasper nicht weit. Er hatte heute die Chance Oliver zu töten ... und tat es nicht. „Verdammter! Verfluchter! ...“
Hat sein Herz erst nach Rache verlangt, ist er sich jetzt nicht mehr so sicher. Sein Herz ist leer. Als er vorhin in Olivers grau-blaue Augen blickte, fühlte er wieder diese Zuversicht, diese Geborgenheit. „Verdammter! ...“ VERDAMMT! Wütend stapft Martin mit dem Fuß auf und sinkt auf die Knie.
Ist er wirklich so verweichlicht worden? Hätte er sie damals abweisen sollen? Ein Sturm aus Fragen überflutet seinen Kopf und bringen den Jungen zum zittern. Seine Augen brennen und der Boden verschwimmt vor seinen Augen. Eine ungewohnte Wärme rinnt seine Wangen hinab und landet als salziger Tropfen in seinem Mund.
Eine Weile kniet er leise weinend in sich gesunken und wiegt sich hin und her. Wieso muss es so weit kommen ... Oliver ... Der Name lässt Martins Herz aufschreien. Diesmal nicht nach Rache, sondern nach Verlangen. Er will den grauen Worgen wieder an seiner Seite haben.
Ein leises Schluchzen verlässt seine Kehle, als alte Erinnerungen wieder auf ihn einströmen. In der Winterzeit, wo die Luft eisig ist und der Schnee vom Himmel fällt. Mit einer Selbstverständlichkeit hat Oliver ihn an sich gedrückt und ihn gewärmt.
Erst nur, um die Nacht nicht zu erfrieren ... später kuschelte sich Martin jede Nacht an den Worgen ran. Dieser freute sich und schien es zu begrüßen ... „Verdammt Oliver! Wieso hast du mich nur verlassen!?“, brüllt der Braunhaarige seine Sehnsucht in den heller werdenden Himmel und zwingt sich schließlich zur Ruhe.
Um sich abzulenken versucht er zu jagen und Moos oder Federn für den Holzkarren zu finden. Mehr als einmal stand er kurz davor, von einer Patrouille der Verlassenen entdeckt zu werden und ebenso oft hat er seine Beute verfehlt. Mit ausreichend Moos kehrt er am Nachmittag zurück zu der Burgruine, als er wie erstarrt stehen bleibt.
Ein grauer Worgen sitzt neben seinem Karren und starrt auf einen toten Bären vor ihm. Martins Kopf schreit ihm zu umzukehren. Aber sein Herz brüllt ihn an hinzugehen. Eigentlich arbeitet der Junge immer mit dem Kopf ... doch diesmal entscheidet er anders.
Vorsichtig und leise kommt er näher. Oliver hebt den Kopf und blickt ihn ruhig an. Sich beherrschend und langsam legt der Braunhaarige den Wagen mit dem Moos aus und wird von dem grauen Worgen durchgehend beobachtet. „Was willst du hier?“, fragt der Junge leise, als er seine Arbeit beendet hat und blickt den Worgen an.
„Ich dachte mir, du hast vielleicht Hunger.“, meint Oliver ruhig und deutet auf den Bären. Einen Moment lang schauen sich die zwei nur in die Augen, ehe Martin seinen Blick abwendet und murmelt: „Ein wenig ... danke.“
Oliver erhebt sich und meint: „Du solltest vorsichtig sein. Die Verlassenen sind hier weit verbreitet und wir sind hier auch im Schatten versteckt. Nicht, dass dich jemand findet und dir was tut.“ Martin wird ein wenig rot und dreht dem Worgen den Rücken zu. „Danke für deine Fürsorge, aber ich kann schon aufpassen.“
Der graue Worgen nickt und ist dabei zu gehen, als der Junge sich umdreht und fragt: „Wie ist dein Rudel so?“ Oliver bleibt stehen und dreht sich langsam um. Schmerz leuchtet in seinen Augen während er meint: „Wir sind eine Einheit, eine Gruppe. Sieben Mitglieder mit einer Anführerin und ich ihr Stellvertreter.“
„Cool ... gratuliere. Aber stolz klingst du nicht gerade.“ „Jasper hat mir, wie du weißt, den Rücken zugedreht und ich breche gerade sämtliche Regeln, indem ich dir das hier erzähle.“ Martin hebt eine Augenbraue und neigt den Kopf ein wenig schief. „Wieso erzählst du mir dann was?“
Oliver tritt langsam näher an Martin, bis ihre Körper sich fast berühren. Unsicher blickt der Junge zu dem grauen Worgen hoch, der ihn traurig anlächelt und murmelt: „Es gibt Dinge die sind mir wichtiger als jede Regel dieser Welt ... Ich will dich nicht noch einmal verlieren.“
Die Röte steigt Martin nur so ins Gesicht und verlegen blickt er weg. Oliver legt vorsichtig eine Hand auf seinen Rücken und drückt ihn sanft an sich. Wie ein Verzweifelter schlingt Martin die Arme um den Worgen und hält ihn eisern fest. „Du verfluchter Gilneer ... wieso nur musst du mein Herz wieder erweichen.“
Oliver beginnt zu lächeln und meint: „Weil ich den Martin haben will, der mich aufgenommen hat. Mich respektiert, wie ich bin und mich behandelt hat, wie es Freunde oder Brüder tun.“ Eine Weile umarmen sich die Zwei, ehe der Worgen seinen Freund loslässt und in Richtung Meer geht.
Martin mit einem leichten, glücklichen Lächeln im Gesicht und einem Funken Zuneigung im Herzen, der bei Olivers Gegenwart immer größer wird. So beginnt er den Bären auzulösen, sich ein Lagerfeuer zu machen und genüsslich das anschließend gebratene Fleisch zu verspeisen. Nicht wissend, dass zwei gelbe Augen Oliver und ihn beobachtet haben.
Oliver fühlt sich frei. Beflügelt. Martin akzeptiert ihn wieder. Sie können sich wieder nahe sein. Der Funke in seinem Herzen ist zu einer Flamme geworden. Eine Flamme der Freude, der Zuversicht und der Zuneigung. Eine Zuneigung wie sie Mann und Frau eigentlich für einander empfinden.
Unsicher fragt sich Oliver, ob er als Wilder oder generell als Worgen überhaupt das Recht dazu hat, Zuneigung zu einem anderen Kerl zu empfinden. Das Verlangen Martin nahe zu sein, seine Wärme zu spüren und seinen Duft zu riechen.
Mit einem plötzlichen Schlag in die Kniekehle wird er zu Boden gedrückt und unsanft aus seinen Gedanken gerissen. Ehe er sich wehren kann, liegt er bäuchlings da und seine Arme werden auf dem Rücken festgehalten. „Sieh an ... Erst von einem Verlassenen angegriffen und dann auch noch verletzt jagen.“
Oliver schnauft und versucht sich zu befreien, in seiner Lage jedoch vergeblich. „Was willst du Alex?“, knurrt er und zu seinem Erstaunen lässt der eher kleinere, braune Worgen ihn los und hilft ihm auf. „Pass auf, dass niemand davon erfährt. Sonst würde ich an deiner Stelle täglich um seine Gunst werben.“
Ertappt legt Oliver die Ohren an und Alex' gelbe Augen grinsen schelmisch. „Jeder der Augen hat sieht doch, dass ihr zwei zusammen passt. Umgarne ihn, mach ihm schöne Augen, keine Ahnung was andere Kerle so wollen. Küss ihn sonst halt einfach.“
Alex fuchtelt dabei ein wenig mit den Händen in der Luft herum und ist dabei, in Richtung Bunker zu gehen, ehe er meint: „Ich werde es Nati sagen. Und sag deinem Freund er soll von der Ruine verschwinden. Die Leichen kommen dort oft vorbei.“ Schon stapft der braune Worgen weiter.
Erwischt ... „Hoffentlich sagt er es wirklich nur Natalie ...“, murmelt Oliver leise zu sich, ehe er ihm folgt. Im Bunker kommt ihm Natalie entgegen, die ihm breit grinsend und wissend zuzwinkert. Als sich ihre Wege kreuzen, flüstert sie ihm zu: „Keine Sorge. Alex und ich schweigen.“ Dankbar lächelt der graue Worgen sie an, ehe er sich schlafen legt und in einen warmen Traum fällt.
Der nächste Tag beginnt grau. Dicke Wolken ziehen über den Himmel und ein leichter Regen fällt auf das Land. Das Blatt an Olivers Schulter ist über Nacht von alleine abgefallen und zeigt einen kleinen, haarlosen Fleck auf seiner Haut.
Natalie und Alex haben ihn unter dem Vorwand entführt, dass er helfen soll ein paar Blumen zu pflücken und Wurzeln auszugraben. Außer Reichweite des Bunkers beginnt Natalie breit zu grinsen und fragt wie aus der Pistole geschossen: „Wie heißt er?“
Verwirrt und unsicher legt Oliver die Ohren an und braucht einen Moment, ehe er murmelt: „Martin ...“ „Und wie schaut er aus?“ „Seid doch nicht so neugierig ...“ „Hey! Ich bin eine Frau und außerdem hast du mich bei deinen Wunden angelogen uuuund zusätzlich hüten mein Bruder und ich dein Geheimnis. Aaaalso?“
Nichtsdestotrotz beginnt der graue Worgen zu grinsen. „Für einen Menschen eher klein gebaut. 4 Sommer jünger als ich. Kurze, braune Haare. Dunkelbraune Augen. Und ein Talent was Akrobatik und stehlen betrifft.“ „Na da hast du dir ja den Richtigen ausgesucht“, meint Alex breit grinsend und stupst dann seine Schwester an.
„Klein und braun. Wehe du verwechselst mich dann.“ Natalie kichert belustigt und knufft ihren Bruder zurück. „Er ist ja ein normaler Mensch und kein Worgen wie wir.“ Einen Moment lang schaut Alex verwirrt, nickt dann aber und sagt: „Mein ich ja.“ Natalie lacht und ihr Grinsen wechselt zu einer ernsten Miene, während sie Oliver anstarrt.
„Hast du eigentlich mal darüber nachgedacht, ihn zu einem von uns zu machen?“ Oliver nickt leicht und meint: „Hab ich ... Doch halte ich das für zu riskant. Uns hatten damals ja die Elfen geholfen mit ihrem Mondritual. Wenn ich Martin diese Bürde auferlege, verliert er vielleicht schneller den Verstand als Jasper in dem halben Jahr.“
Die braune Worgin wiegt den Kopf hin und her und meint: „So würde ich das nicht sagen. Es gibt mehr Wege als ein Ritual. Ich bilde mir ein, in einem meiner schlauen Bücher etwas über den Fluch gelesen zu haben. Und wenn er dich auch liebt, ist ein großer Schritt mal getan.“
Bei dem Worte „Liebe“ wird Oliver warm ums Herz und sofort taucht ein lächelnder Martin in seinem Kopf auf. Doch plötzlich werden Natalie und Oliver von Alex zu Boden gedrückt. „Ruhe!“, zischt er und hebt vorsichtig den Kopf. Die zwei machen es ihm nach und ihnen stockt der Atem.
Vor ihnen ist die Burgruine und sowohl davor, als auch in ihr, gehen Soldaten der Verlassenen herum. Der Regen dämmt die Sicht ein wenig, ist aber auch ein guter Schutz. Die umherwandernden Fackeln sind deutlich zu sehen und der Gestank nach Tod dringt in die Nasen der drei Worgen.
Alex gibt abwechselnd ein ängstliches Winseln und ein bedrohliches Knurren von sich, während Natalie murmelt: „Mir scheint, sie suchen etwas?“ „Dann haben sie ihn noch nicht gefunden ...“ „Oliver nein! Das ist zu gefährlich!“ „Ich kann ihn doch nicht wieder im Stich lassen?“, klagt der graue Worgen und blickt Natalie aus traurigen Augen an.
Diese ist sichtlich hin und her gerissen, nickt aber schließlich. „Gut ... aber wir bleiben zusammen!“ Schon erheben sich die drei Worgen und schleichen in Richtung Mauer. Von dort huschen sie einzeln über die Straße in den Schutz der Bäume und kommen schließlich zu einer kaputten Stelle in der Mauer.
Oliver schaut um die Ecke, während Natalie über die Überreste in die Ruine schaut. Die Verlassenen stehen um einen mit Moos ausgelegten Karren und schauen sich um. Hin und wieder sind die nachhallenden Stimmen der Toten zu hören. „Hier ist niemand.“ „Hier war aber jemand, das Moos ist frisch.“
Oliver schüttelt den Kopf und murmelt. „Da hinten ist er nirg...“ Ein plötzlicher Schlag eines Tannenzapfens auf den Kopf lässt den grauen Worgen herumwirbeln. Alex beginnt trotz der gefährlichen Situation zu grinsen und flüstert: „Die Eichhörnchen wehren sich gegen die Verlassenen.“
Schon wird Oliver von einem zweiten Tannenzapfen erwischt und er dreht sich in die Richtung, aus der der Wurf kam. Dort hinten steht eine große dichte Tanne. Er sieht dort niemanden, trotzdem bekommt er diesmal an seiner Brust einen dritten Wurf ab. „Also entweder kann das Eichhörnchen gut werfen, oder es ist Martin.“
Schon schleicht der graue Worgen näher zum Baum und wird dabei von den zwei anderen begleitet. Unter dem Schutz des Blätterdaches klettert ein äußerst gelenkiger Junge in Richtung Boden und umarmt den Worgen dann. „Na endlich. Dachte schon ich muss einen Stein nach dir werfen.“
Oliver drückt Martin sanft an sich und beginnt erleichtert zu grinsen. „Dachte erst es wäre ein Eichhörnchen. Aber spätestens nach dem dritten Treffer war ich überzeugt.“ Martin grinst breit, als er die anderen zwei Worgen entdeckt und sofort von Oliver wegspringt. „Wer ist denn das?!“
„Ehrm... Martin, das sind Natalie und Alex. Alex hat uns gestern gesehen und es dann seiner Schwester gesagt. Keine Sorge, die zwei sind für uns und werden uns nicht verraten.“ Alex grinst den Jungen schief an und flüstert in Olivers Ohr: „Los! Küss ihn endlich!“ Aber Oliver knufft ihm nur den Ellbogen in die Brust.
Die braune Worgin fragt schließlich: „Wie bist du den Verlassenen entkommen?“ „Es gibt da auf der Seite der Mauer einen Weg aus der Ruine hinaus. Als ich das Licht der Fackeln gesehen und ihre Rüstungen scheppern gehört habe, bin ich abgehauen und hab mich hier oben versteckt.“
„Kluger Junge. Du solltest dir ein neues Versteck suchen und weiterhin vorsichtig sein.“ Der Junge nickt und gemeinsam schleichen sie wieder auf die andere Seite der Straße. Nicht weit vom Bunker, den sie vor Martin geheim halten, ist ein altes Haus mit einem ausgedörrten, kleinen Feld.
Dort bringen sie ihn unter und laufen dann zu ihrem Unterschlupf zurück. „Du hast ihn nicht geküsst!“, murrt Alex und Oliver schüttelt lächelnd den Kopf. „Das kommt schon noch, keine Sorge. Ich will ihm jetzt erst mal Zeit geben. Schließlich ist er hergekommen, weil er mich erst töten wollte.“
Ein paar Tage ziehen ins Land und Oliver hat Martin täglich besucht. Der Junge blüht regelrecht jedes Mal auf wenn er da ist und gemeinsam genießen sie die Zweisamkeit. Sie liegen nebeneinander und halten sich in den Armen, wie in alten Zeiten. Mehr traut sich Oliver jedoch nicht.
Jedes Mal wenn er meint, jetzt ist der richtige Moment, ist er zu schüchtern um Martin mehr zu zeigen. Am heutigen Tage scheint die Sonne von einem wolkenbedeckten Himmel. Die Luft legt sich erdrückend auf den Jungen und lässt den nahen Gestank der Verlassenen in seine Nase kriechen.
Hinter dem Haus ist ein Hügel mit einer Klippe zum Strand und zum Meer. An der Klippe stehen ein paar hohe Tannen, an denen der Junge klettern und balancieren trainiert. Es ist wie in der Stadt, nur dass er diesmal das Gewicht ein wenig verlagern muss. Am Abend und mit sich zufrieden, sowie erschöpft, geht Martin gerade zum Haus zurück, als er in seiner Bewegung erstarrt.
Mitten am Feld steht ein großer, schwarzer Worgen. Er trägt nur eine dunkelbraune Hose, sonst nichts. Schnaubend und knurrend stemmt er ein paar Fässer, die seinen Armen nach zu urteilen, schwer befüllt sind. Martin schluckt ein wenig, als er Jasper kaum wiedererkennt.
Der große Worgen hat deutlich an Muskeln zugelegt und er scheint mehr haben zu wollen. Ein Anflug des alten Hasses kommt in Martin auf und leise zückt er seinen Dolch aus seinem Ärmel. Wenn er jetzt schnell genug ist, könnte er Jasper erledigen. Er könnte den Worgen büßen lassen, ihn verraten zu haben.
Dennoch zögert der Junge und als wäre das nicht genug, lässt Jasper die Fässer fallen und wirbelt zähnefletschend zu ihm um. Grimmig tritt Martin aufs Feld und spricht laut: „Hey Jasper. Lange nicht gesehen.“ Die blutroten Augen des schwarzen Riesen nehmen Staunen an.
„Martin? Was zum Henker treibst du hier?! Du solltest doch im Kerker sitzen!“ Der Hass nimmt zu, Jasper hat sich eindeutig verändert. „Ich freu mich auch dich zu sehen. Freust du dich denn gar nicht, dass ich entkommen bin? Schließlich hast du mich ja verraten“, meint der Braunhaarige sarkastisch und erntet ein böses Knurren.
„Ein Leben als Straßendieb war nie meine Bestimmung! Du hast mich aufgehalten, in der Gesellschaft Fuß zu fassen!“ „Ich habe Oliver und dich aufgenommen und euch gezeigt wie ihr überlebt! Ohne mich wärt ihr in den Straßen verreckt!“ Jasper jault wütend auf und springt auf Martin zu.
Dieser duckt sich unter dem Schlag hinweg und rollt sich zur Seite. „Wieso habt ihr mir nicht gesagt, dass ihr hier rauf zu diesem Rudel wollt?!“ „Du weißt davon? Hat Oliver dir davon erzählt?! Dieser Narr, endlich kann ich seinen Platz einnehmen! Und du warst so oder so nur im Weg!“
Erneut springt Jasper den Jungen an. Dieser aber rollt diesmal auf die andere Seite und sprintet dann los. Er mag für einen Worgen zu langsam sein, aber ist sich sicher, Jasper mit Hakensprüngen auszutricksen. Der schwarze Worgen stößt ein Heulen aus und folgt ihm auf allen Vieren.
Tatsächlich schafft der Braunhaarige es, den Worgen mit diversen Manövern auszutricksen und wieder Abstand zu gewinnen. Zu spät bemerkt er, dass Jasper ihn direkt auf die Hauptstraße jagt, wo eine Patrouille der Verlassenen gerade ihre Wege macht und zusätzlich ein paar Wachen in einem nahen Turm stationiert sind.
Martin rennt weiter und rammt dabei die Patrouille aus vier Soldaten an. Zwei stoßen zusammen, einer fällt zu Boden, der dritte springt weit zur Seite und brüllt um Verstärkung. Mit einem schnellen Blick nach hinten sieht er Jaspers böses Grinsen, ehe der Junge um sein Leben rennt.
„Julia! Oliver hat uns verraten!“ Laut donnert Jaspers Brüllen durch den Bunker. Oliver, Julia und Alex sitzen gerade beisammen, als der große Worgen in den großen Raum stürmt und den Grauen hasserfüllt anstarrt. „Oliver hat das Rudel verraten!“, brüllt er nochmal und Julia hebt fragend eine Augenbraue.
„Beruhige dich Jasper und sag mir, was du damit meinst.“ Knurrend stapft der Worgen näher, und baut sich vor Oliver auf. „Dieser Narr hat gesprochen! Ein Mensch geistert draußen vor unserem Bunker herum und weiß von dem Rudel! Ich habe ihn in Richtung der Verlassenen verjagt.“
Jasper grinst Oliver böse an. Ein Schauer fährt dessen Rücken hoch und deutlich spürt er Alex' und Julias Blick auf sich. Ehe die schwarze Worgin aber zu einer Frage starten kann, schubst Oliver den Großen weg und prescht nach draußen. Alex dicht auf den Fersen.
Gemeinsam stürmen sie in Richtung Hof, wo deutlich Jaspers und Martins Duftspur in der Luft hängt. Dieser folgen sie zur Straße und weiter Richtung Westen, näher ins Reich der Verlassenen. Oliver vergisst jegliche Vorsicht. Er muss Martin finden, koste es was es wolle. Er hat sein Urteil schon unterzeichnet, indem er losgestürmt ist.
Aber dies ist ihm egal. Martin ist ihm wichtiger. Linker Hand ein Dorf, welches die Verlassenen mit ihrer Seuche komplett vergiftet haben. Weder Pflanzen, noch Tiere streifen dort noch umher. Rechter Hand ist das Hauptlager der Verlassenen im Vorgebirge. Eine alte Mühle, wo nun Leichen und Monstrositäten herum laufen.
Monstrositäten sind große, schwerfällige Monster, die aus mehreren Leichen zusammengeflickt sind und mittels Nekromantie zum Leben erweckt wurden. Oliver befürchtet schon, dass sie Martin zu der Mühle gebracht haben, als er seinen Duft wahr nimmt.
In etwas Abstand neben der Mühle fließt ein Fluss, von dort der Geruch in seine Nase strömt. Sofort biegt er scharf nach rechts in Richtung Norden und da sieht er ihn. Rücklings am Boden liegend und die rechte Seite im Wasser des Flusses liegend.
Erschreckend ist die rote Farbe, die der Fluss annimmt, wenn er Martin umspült. Olivers Herz rast, doch zwingt er sich zur Ruhe. Es sind vier Verlassene um ihn und zwei scheinen etwas Abseits in eine Diskussion verwickelt zu sein. Einer bewacht den Jungen und der andere steht als einziger ohne Waffe nur herum.
Erst jetzt bemerkt der graue Worgen die Waffe, die in Martins Schulter steckt. Er scheint noch zu leben, aber hat sichtbare Schmerzen. Alex stößt ihm den Ellbogen in die Rippen und deutet auf Martin. Kurz darauf prescht er los.
Mit einem bösen Knurren stürzt er auf die zwei Diskutierenden, die völlig verwirrt aufschauen und binnen Sekunden am Boden liegen. Oliver ist dem braunen Worgen gefolgt und hat sich auf den Bewachenden gestürzt. Dieser wehrt sich, aber gegen die Kraft eines Worgen hat ein Verlassener alleine keine Chance.
Während des Kampfes hat sich Alex um den Letzten gekümmert und knurrt dann: „Ich halte Ausschau. Beeil dich!“ Martins Augen leuchten glasig und zeigen den Schmerz, den er empfindet. Stolz stellt der graue Worgen jedoch fest, wie verbissen sein Freund dagegen ankämpft und den Schmerz unterdrückt.
„Oliver ... Ich ... das wird schon ...“, presst Martin hervor und bäumt sich schmerzvoll stöhnend auf, als Oliver das Schwert vorsichtig aus seiner Schulter zieht. Die Wunde wirkt nicht tief und der Knochen scheint noch ganz zu sein, trotzdem blutet sie immer weiter. „Ich werde dich tragen, du brauchst Hilfe. Natalie wird dir helfen.“
Martin nickt tapfer, als Alex schon herangestürmt kommt. „Los! Die Dicken kommen!“ Aus der Ferne sind zwei Monstrositäten mit zwei Soldaten zu sehen, die immer näher kommen. Sofort hebt Oliver den Verletzten hoch und rennt los. Martin ist leicht in seinen Armen, trotzdem rennt er nicht so schnell, um ihm unnötigen Schmerz zu sparen.
Die Verlassenen kommen immer näher und Alex stapft unruhig von einer Pfote auf die andere. „Das wird nichts ... wir werden alle in Gefahr bringen.“ „Ich werde ihn auf keinen Fall zurück lassen Alex! Lieber sterbe ich mit ihm!“ „Nur dass du tot und er zu einem Verlassenen wird ... Du läufst weiter. Ich lenk sie ab.“
Ohne dagegen anreden zu können, stürmt der braune Worgen schon auf die Gruppe zu. Oliver schaut ihm besorgt zu, Martins Stöhnen lässt ihn dann aber weiter rennen. Immer wieder blickt er nach hinten und sieht, wie Alex einen Verlassenen getötet hat und die anderen in eine andere Richtung lockt.
Traurig senkt er den Kopf, als der Bunker in Sicht kommt. Alle haben sich versammelt und warten scheinbar auf Alex und ihn. Als er nahe genug ist, kommt Natalie herangestürmt und fragt besorgt: „Wo ist er?“ „Die Verlassenen holten auf ... er sagte, ich soll alleine weiter. Dann rannte er los und lockte die Verlassenen in ihr Revier zurück.“
Die Augen der braunen Worgin nehmen Entsetzen an und sie wollte gerade loslaufen, als Julia sanft eine Hand auf ihre Schulter legt und murmelt: „Bitte nicht Natalie. Ich will nicht noch jemanden verlieren.“ Die braune Worgin nickt und beginnt zu weinen, als Julia den grauen Worgen scharf anschaut und ernst spricht: „Und du erkläre dich!“
„Ich habe dir von Martin erzählt. Das ist er. Er sitzt nicht im Kerker wie Jasper es wollte, sondern ist hier. Weil er Jasper und mich töten wollte. Ich habe mich vorsichtig angetastet, wir kamen ins Reden und er hat seinen Hass beendet.“ „Mich wollte er töten!“, brüllt Jasper dazwischen.
„Bestimmt weil du ihn angegriffen hast!“ „ES REICHT!“, ruft Julias eisige Stimme dazwischen und selbst Jasper legt dieses Mal die Ohren an. Mit ernstem Blick und harter Stimme spricht sie: „Es ist gleich dunkel. Auf zur Klippe. Lagerfeuer anzünden und Urteil abwarten.“
Zitternd und voller Schmerz sinkt Martin auf die Knie. Der Boden ist trocken und rau, kein einziger Grashalm ist zu spüren. Der Mond ist fast vollkommen leer, einzig die Sterne spenden ein trostloses Licht vom Himmel, aber dunkle Wolken ziehen sich über dem Wesen zusammen und das bedrohliche Grollen des Donners ist zu hören.
Hinter ihm ist ein steiler Abhang und darunter eine kleine Sanddüne mit dem abschließenden, weiten Meer. Das Wasser rauscht ruhig und gleichmäßig gegen die Ufer. Eine frische Brise kommt die Klippe hoch und kühlt die ohnehin schon kalte Luft weiter ab. Der salzige Geruch nach Meer dringt dem Jungen in die Nase.
Die linke Hand fest auf eine grobe Wunde an der rechten Schulter gepresst, stöhnt er schmerzvoll auf und krümmt sich zusammen. Aus glasigen Augen starrt er in die Flammen des Lagerfeuers, welches vor ihm entzündet wurde. Die Flammen vertreiben einen Teil der Dunkelheit und spenden dem Jungen einen schwachen Trost.
Aber der Himmel hat andere Pläne. Es blitzt und binnen Sekunden beginnt es zu regnen. Der Donner knurrt bedrohlich über dem Menschen und ängstlich kauert er sich zusammen, ohne den Blick von den Flammen abzuwenden. Das Feuer kämpft erbittert gegen den stetigen Regen und hält sich im Moment noch tapfer.
Im schwachen Schein der Flammen nimmt die verletzte Gestalt die anderen Anwesenden wahr. Die großen Wesen, deren Größe von zwei Metern aufwärts reicht. Das Aussehen eines Wolfes, nur aufrecht gehend und imposanter. Der Körper mit Fell bedeckt und bei den Kerlen der Oberkörper deutlich mit Muskeln versehen.
Worgen ... Vor ein paar Monaten kannte der Junge nur die aus Sturmwind. Dort leben sie zurückgezogen, unter sich und meist in ihrer menschlichen Gestalt. Zivilisiert und gesittet, aber doch eigen und teilweise arrogant. Jedoch hat sich sein Leben in den letzten Wochen auf den Kopf gestellt.
Hier kniet er nun. Inmitten dieser Meute aus wilden Worgen. Schmerzvoll stöhnt er wieder auf und blickt auf seine linke Hand. Dunkles Blut klebt an ihr und seine Schulter brennt höllisch. Er kann seinen rechten Arm nicht bewegen und wiegt sich ein wenig hin und her.
„Julia! Lass endlich gut sein! Martin trifft keine Schuld! Versorgt ihn und lasst ihn dann gehen!“ Der Mensch mit den kurzen, braunen Harren blickt zu einem grauen Worgen auf, der von einem anderen eisern festgehalten wird. Die grau-blauen Augen leuchten besorgt zum Jungen, doch sein Gesicht und seine Stimme sind vor Wut zu einem bedrohlichen Fletschen verzerrt.
Eine Worgin mit schwarzem Fell tritt vor und blickt den Grauen ausdruckslos an. „Zügel dich, Oliver! Du hast unsere Regeln gebrochen. Alex ist tot wegen dir! Du kennst die Antwort auf dein Vergehen ... Jasper!“ Die Worgin hat sich zu dem Menschen umgedreht. Ein weiterer schwarzer Worgen, der die Anderen mehr als deutlich überragt, tritt, mit einem bösen Grinsen im Gesicht, neben die Anführerin.
Martin schluckt schwer und senkt den Kopf. Jasper ist der größte Worgen hier und ein wahres Muskelpaket. Keiner ist stärker als er. Die Worgin öffnet das Maul, doch da knurrt eine Stimme dazwischen: „Ich fordere mein Recht ein, um für Martin zu kämpfen!“
Erstauntes Gemurmel geht durch die Menge und die schwarze Worgin dreht sich zu Oliver um. „Was soll das Oliver? Wieso bist du so stark dafür, dass der am Leben bleibt?“ „Weil ich ihn liebe!“ Das Gemurmel wird leiser und hört schließlich ganz auf. Sämtliche Blicke sind auf Oliver gerichtet. Selbst Martins, der trotz der Schmerzen ein schwaches Lächeln zustande bringt.
„Ich sagte doch, er hat dich schwach und weich gemacht!“, knurrt Jasper, wird aber von einer Handbewegung Julias zum Schweigen gebracht.Oliver schaut seine Anführerin eindringlich an. „Julia es tut mir leid. Ich weiß, dass du für mich was empfindest, aber ich kann es dir nicht zurück geben. Konnte ich nie. Mein Herz hat schon immer jemand anderem gehört.“
Julias Miene ist ausdruckslos und eisern. Einzig Martin sieht die kleine Träne aus ihrem Auge entweichen, die sich schnell in ihrem Fell verliert. „Julia bitte ... tut Martin nichts. Anderenfalls will ich mit ihm sterben.“ Martins Körper zittert. Vor Angst, vor Kälte und wegen dem Schmerz in der Schulter.
Julia nickt leicht und öffnet das Maul. „Natalie ...“ Aber just in dem Moment jault Jasper wütend auf und funkelt sie an. „Das kann nicht dein Ernst sein?! Bist du auch schon verweichlicht worden?! Es ist an der Zeit deine Herrschaft zu beenden!“ Schon schubst Jasper die Worgin in Richtung Oliver und dreht sich dann mit erhobener Pranke zu Martin um.
Stephan lässt instinktiv Oliver los und fängt Julia ab. Der graue Worgen nutzt den Moment und springt am Lagerfeuer vorbei nach vorne. Bevor Jasper Martin erwischen kann, erwischt Oliver Jasper und stürzt mit ihm die Klippe hinunter. Julia flüstert Natalie und Stephan etwas zu und die zwei verschwinden mit Martin, während sie den Abstieg nach unten beginnt.
Jasper und Oliver haben sich unten gegenüber aufgestellt und knurren sich an. „Weichei. Du wirst mich nicht besiegen können!“ „Du magst Muskeln und Größe haben Jasper ... was dir aber fehlt ist ein Gehirn!“, kontert Oliver und stürzt sich auf seinen ehemaligen, besten Freund.
Raufend und beißend liegen die zwei im Sand und rollen herum. Jasper drückt Oliver öfters zu Boden, dafür entschwindet der immer wieder seinem Griff und fährt mit den Krallen über seine Seite. Jaspers Augen leuchten bedrohlich rot und jeglicher Verstand ist aus seinen Augen gewichen.
Plötzlich hebt Jasper den grauen Worgen hoch und schleudert ihn gegen die Wand, wo er stöhnend aufprallt und zu Boden rutscht. Zu langsam kommt er auf die Pfoten, aber da steht Jasper schon über ihm und drückt ihm die Kehle zu. „Ich habe dich gewarnt!“, knurrt der große Worgen bedrohlich, als er schmerzvoll aufbrüllt und Oliver loslässt.
Eine sanfte, weibliche Hand hilft dem grauen Worgen auf und Julia drückt ihm einen Kuss auf die Nase, ehe sie auf Jasper los geht. Dieser hat drei gewaltige Krallenspuren quer über dem linken Auge und blickt Julia und Oliver nur noch aus einem an. „Närrin!“ „Ich habe dich viel zu lange frei herumlaufen lassen Jasper.“
Schon stürzt sie sich auf ihn, aber der schwarze Worgen wehrt sich noch verbissen. Einen Moment der Abgelenktheit nutzend, fährt Oliver mit seinen Klauen tief durch Jaspers Bauch. Dieser keucht auf und sinkt auf die Knie, die Augen weit aufgerissen und Oliver anstarrend.
„Wieso ... tust du deinem Freund das an?“ Der graue Worgen schluckt und eisern meint er: „Mein Freund starb vor einem halben Jahr im Kerker von Sturmwind.“ Jaspers Augen nehmen einen entsetzten Ausdruck an, als Oliver ihm in den Hals beißt. Blut durchflutet sein Maul und Jasper gurgelt auf, ehe sein Körper erschlafft und Oliver ihn in den Sand fallen lässt.
Dieser färbt sich rot um Jaspers Hals und der graue Worgen blickt ausdruckslos auf den Leichnam herab. Der Regen prasselt nur so vom Himmel und wäscht das Blut in Zeitlupentempo in den Sand. Eine Hand legt sich auf seine linke Schulter und Julias Stimme klingt traurig und gebrochen als sie spricht:
„Es tut mir leid Oliver ...“ „Mir auch ...“ Langsam dreht er den Kopf und schaut in zwei mitfühlende, grüne Augen. „Wirst du mich nun verbannen?“ „Ich ... ich weiß es nicht. Du hast die Regeln gebrochen. Auch wenn du das getan hast was ich von dir wollte. Nämlich dass du auf dein Herz hörst.“
Eine Weile schweigen sie sich an und schauen sich in die Augen. Der Himmel weint bittere Tränen aufgrund des heutigen Tages und das Donnern knurrt laut über ihre Köpfe hinweg. „Du bist immer noch der Beste. Auch wenn ich dich nie erreichen werde ... Wir warten ab bis er gesund gepflegt ist.“
Langsam dreht sie sich um, aber eine Hand des grauen Worgen hält sie auf und dreht sie zu sich zurück. Seine Schnauze nähert sich der ihren und leise murmelt er: „Sieh es als danke und Abschluss.“ Ehe Julia darauf reagieren kann, küsst er sie. Zu kurz, um es als Liebeskuss durchgehen zu lassen. Aber lang genug, sodass sie den Moment genießen konnten.
Die Anführerin lächelt ihn traurig an und streichelt ihm über den Rücken, während sie sich von ihm löst und in Richtung Bunker geht. „Vergrab ihn bitte. Diese letzte Ehre hat er noch verdient.“ Oliver nickt und kniet sich vor seinen alten, besten Freund in den Sand.
Die Augen immer noch vor Erstaunen weit aufgerissen, als hätte er im letzten Moment den Wahnsinn aufhalten können. Als hätte er sich erinnert, wer er war ... aber jetzt ist es zu spät. „Ich seh dich auf der anderen Seite. Als den Jasper, den ich als Kind kennen gelernt habe“, murmelt der graue Worgen und schließt dem Toten die Augen.
Trotz strömenden Regens und Schlamm ohne Ende, gräbt Oliver verbissen ein Grab. Stur an diese Aufgabe denkend arbeitet er die ganze Nacht durch. Der Regen hat schon lange aufgehört, doch sein Fell und seine Kleidung ist vom Regen und vom Schlamm ganz durchweicht und dreckig.
Lange sitzt er im Meer und wäscht sich sauber. Schlamm, Dreck, Blutspuren ... alles muss weg. Schwerfällig und erschöpft trottet er in den Bunker zurück. Sein Kopf verlangt nach Schlaf, aber diesen will sich der graue Worgen nicht gönnen. Er hat wichtigeres zu tun.
Im oberen Bereich sind Betten angelegt und auf einem davon liegt Martin. Einen großen Verband um die rechte Schulter gewickelt scheint er friedlich zu schlafen. Ein Blick in sein Gesicht zeigt aber den Schmerz und die Qual die er jetzt noch im Schlaf wahr nimmt. „Keine Sorge Oliver ... die Wunde wird er überleben.“
Beim Klang von Natalies Stimme wirbelt der Worgen erschrocken herum. Die Worgin lächelt schwach, müde, als hätte sie selber kaum geschlafen. „Tut mir leid.“ „Schon ok ... aber du klingst nicht ganz zuversichtlich und geschlafen hast du auch nicht. Was bedrückt dich?“
Die Worgin tritt an das Bett des Jungen und streichelt ihm sanft durchs Haar. „Von Alex weiß ich, dass die Verlassenen ihre Waffen mit Gift versehen haben. Diese Seuche, mit der sie das Dorf auf der anderen Seite des Flusses ausgerottet haben.“ Diese Nachricht trifft Oliver wie ein Schlag und taumelnd sinkt er zu Boden.
„Ich hab getan was ich konnte ... aber gegen die Seuche kann keines meiner Heilmittel ankämpfen.“ So viel riskiert ... so viel getan ... und das soll es gewesen sein? Alles umsonst? Oliver schluchzt auf und Tränen rinnen aus seinen Augen. Sanft legt Natalie eine Hand auf seine Schulter, während sie nun eindringlicher spricht:
„Es gibt einen Weg, wie er gerettet werden kann.“ Langsam hebt der Worgen den Kopf und blickt in ihre Augen. „Er muss infiziert werden. Er muss einer von uns werden. Ich bin die ganze Nacht über meinen Büchern gesessen und habe die Stelle gefunden. Wenn man von einem Worgen gebissen wird, dem man wohlgesonnen ist, ist die Wirkung effektiver.“
„Aber ... dann wird er ja so wie Jasper.“ Natalie schüttelt den Kopf. „Nein. Wenn es nämlich ein starkes Gefühl gibt, Liebe zum Beispiel, hilft ihm das von sich aus dagegen anzukämpfen. Und es verstärkt die Wirkung eines Trankes, den er immer nach einem vollen Mond nach der Infizierung trinken muss. Ich habe die Zutaten alle beisammen ... tu es, wenn du ihn retten willst.“
Oliver nickt und legt sich vorsichtig neben Martin ins Bett. Schon fast automatisch kuschelt sich dieser schwach an ihn und der Worgen murmelt leise: „Halte durch Martin ... Ich will dich nicht wieder verlieren.“ Eine Ewigkeit lang bleibt Oliver noch wach, ehe er langsam in einen finsteren Schlaf fällt.
Ein Stöhnen und leichte Bewegungen reißen ihn aus seinem Schlaf und er sieht Martin, der schwach die Augen geöffnet hat. „Hey ...“, krächzt dieser schwach und Oliver bringt ein trauriges Lächeln zustande. „Hey Martin ... wie geht’s dir?“ „Besser ... du bist ja da.“
Martin streckt den Hals ein wenig um und drückt Oliver einen Kuss auf die Nase, der murmelt: „Es tut mir leid, dass du es so erfahren musstest ...“ „Anders ... hätte ich es ja nie erfahren ...“, meint der Junge lächelnd und zieht dann scharf die Luft ein.
Der graue Worgen mustert seinen Freund besorgt. Eine leichte, gelbliche Farbe hat sich in sein Gesicht gemischt und Martins braune Augen wirken schon tot und leer. „Verfluchte Leichensäcke ... hätte ich vorher nicht trainiert den ganzen Tag ...“
Schon bricht der Braunhaarige ab und krümmt sich ein wenig zusammen. „Es ... ist schlimmer Martin. Die Waffe des Verlassenen war mit der Seuche vergiftet ...“, murmelt Oliver und blickt die Decke an. Der Junge regt sich in seinem Arm kaum und der Worgen befürchtet schon, er ist gestorben.
Aber als er den Kopf dreht, leuchten Martins Augen ihm krampfhaft entschlossen entgegen. „Ich will keiner von denen werden ...“ „Ich auch nicht. Es gäbe einen Weg ... aber dafür müsste ich dich mit dem Fluch infizieren.“
Martin stöhnt schmerzvoll auf und krümmt sich wieder zusammen. Vorsichtig murmelt Oliver wieder: „Du müsstest nur einen Trank trinken wann immer Natalie es dir sagt. Sonst läufst du Gefahr, wie Jasper, in deinem Wahnsinn zu enden.“ Der Junge nickt kaum wahrnehmbar und lässt sich erschöpft ins Kissen sinken.
Schweiß zeichnet seine Haut und die Seuche scheint schneller zu wirken als gedacht. Martins Atem geht flach und die Augenlider flackern. Eine Träne löst sich aus seinen Augen und flehend blickt er zum Worgen hoch. Kaum wahrnehmbar flüstert er: „Bitte ... verlass mich nicht ...“
Langsam legt er den Kopf in den Nacken und entblößt Oliver den Hals. Der graue Worgen schreit innerlich qualvoll auf. Was, wenn es schon zu spät ist? Langsam beugt er sich runter und leckt dem Jungen kurz über den Hals, ehe er murmelt: „Denk daran, ich liebe dich.“
„Ich dich auch ...“, kommt es schwach von Martin, als Oliver schon das Maul aufreißt und seine Zähne vorsichtig in das weiche Fleisch gräbt. Martin reißt die Hände hoch und krallt sich in Olivers Mähne, während ein langgezogenes, leicht gurgelndes Stöhnen seine Kehle verlässt.
Oliver schmeckt Blut und dieses ist durchtränkt von der Seuche, aber er lässt nicht locker. Er wartet einen kurzen Moment, dann lässt er seinen Freund los, der bewusstlos auf dem Bett liegt. „Natalie!“, brüllt der graue Worgen und binnen Sekunden ist die Worgin bei ihm. Ein Blick auf des Jungen Hals sagt ihr schon alles und schnell ist sie wieder verschwunden und kommt mit Verband und einigen Phiolen wieder.
„Hau ab! Ich brauch Ruhe!“, spricht sie den grauen Worgen eindringlich an und macht sich gleich ans Werk. Oliver tritt aus dem Raum und geht unruhig vor der Tür auf und ab. Weder Julias noch Stephans beruhigende Worte dringen zu ihm durch. Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit, da kommt Natalie wieder heraus und fährt den grauen Worgen an.
„Musstest du ihn denn ausgerechnet am Hals beißen?! Falsch gezielt hättest du die Hauptschlagader erwischt! Du warst eh nur Millimeter davon entfernt ...“ Die braune Worgin holt erst mal tief Luft und lässt den Kopf dann fallen. „Die Seuche war schon weit voran geschritten. Scheint eine schwache, dafür schnelle Mischung zu sein. Aber jetzt scheint sie eingedämmt zu sein ... es liegt an ihm. In den nächsten Stunden erfahren wir es.“
Oliver geht wieder vorsichtig in den Raum und da liegt Martin. Friedlich und ruhig wie ein Toter, einzig das leichte Heben und Senken seiner Brust zeigt, dass er noch lebt. Ohne Zeitgefühl sitzt der Worgen vor dem Bett und beobachtet seinen Freund. Es könnte erst fünf Minuten oder auch fünf Stunden gewesen sein, da regt sich Martin.
Aber anstatt sich zu bewegen, verändert sich sein Körper. Wie der Wind prescht Oliver zu den anderen in die Versammlungshalle und ruft: „Es geht los!“ Rasch sammeln sich alle und folgen ihm nach oben. Einzig Natalie macht einen Zwischenstopp in ihrem Labor und holt eine Phiole. Im Raum mit den Betten angekommen stockt ihnen der Atem.
Martins Körper wandelt sich vor ihren Augen in die Gestalt eines Worgen mit braunem Fell. Der Prozess an sich ist ziemlich schnell vorbei, dauert aber lang genug, um die Veränderungen deutlich mitansehen zu können. An seiner linken Schulter ist der Verband gerissen und eine grobe Wunde ist zu sehen, aus der der Eiter und das Blut nur so rinnen.
Sofort ist Natalie bei ihm und untersucht ihn. Reinigt die Wunde, verbindet sie neu und nickt leicht. „Die Seuche ist aus ihm draußen ... jetzt heißt es abwarten und hoffen. Solang er nicht aufwacht, ist noch nichts gewonnen.“ Die braune Worgin tritt an Oliver heran und legt ihm eine kleine Phiole in die Hand.
„Wenn er aufwacht, soll er das trinken. Sofort! Ohne Widerrede.“ Der graue Worgen nickt und setzt sich ans Bett. Vorsichtig streichelt er Martin über den Bauch. Ungewohnt ihn so zu sehen. So... erwachsen und kräftiger. Stundenlang beobachtet er seinen Freund... Martin wird wohl immer der kleine Junge für ihn bleiben.
Vorsichtig kommt Julia herein und legt ihm eine Hand auf die Schulter. „Komm Oliver, leg dich schlafen. Der Mond ist schon lange aufgegangen. Ich werde Wache halten.“ Widerwillig und mit Nachdruck lässt sich der Worgen bewegen.
Seufzend will er der schwarzen Worgin gerade die Phiole geben, als Martin tief Luft holt und die Augen aufreißt. Zwei dunkelbraune Augen mustern die Umgebung und scheinen etwas zu suchen. Als Olivers und Martins Blick sich treffen, beginnt der braune Worgen zu weinen.
Sofort ist der Graue bei ihm und legt sanft einen Arm um seinen Körper. „Hey Martin ... alles gut. Ich bin ja da.“ Der Junge nickt und beruhigt sich langsam, als sich Julia auf die andere Seite setzt und leise fragt: „Wie fühlst du dich?“ „Schwer ... alles tut mir weh.“, murmelt der Verletzte und die Anführerin nickt.
„Hier ...“ Vorsichtig öffnet sie die Phiole und hält sie Martin hin. „Natalie meint, du sollst das trinken. Wird dir helfen.“ Zaghaft öffnet der junge Worgen das Maul und versucht das Gefäß auszutrinken. Mehr mit Glück als mit Können schafft er es und verzieht das Gesicht ein wenig.
„So ist es gut!“, lobt Julia lächelnd wie eine fürsorgliche Mutter und Oliver schaut sie einfach nur dankbar an. Kurz berühren sie ihre Nasen, ehe die Worgin den Raum verlässt. Martin hebt langsam die Hand und streichelt Oliver sanft den Arm. „Tut der Hals noch weh?“, fragt der graue Worgen besorgt und erntet ein leichtes Lächeln.
„Hab schon schlimmeres erlebt“, antwortet Martin murmelnd und schaut Oliver erst mal einfach nur an. „Nie hätte ich gedacht, je auch so einer zu werden ...“ „Es wird dir gefallen. Du wirst sehen!“ Martin nickt und hebt ein wenig den Kopf. Oliver senkt den Seinen um seinen Freund zu küssen.
Lange und liebevoll hält er an, während sie sich gegenseitig berühren und sanft streicheln. Oliver muss sich zurück halten. Seine Freude und sein Glück, Martin endlich bei sich zu haben und noch dazu in derselben Form wie er, lässt sein Herz höher schlagen. Auf den braunen Worgen aber Rücksicht nehmend, verhält er sich ruhig und erkundet mit der Hand jedes von Martins Körperteilen.
Die Sonne strahlt von einem blauen Himmel, ist aber dabei am Horizont zu verschwinden. Ein paar Wolken schweben vorbei und ein frischer Wind bringt kühle Luft vom Meer. Eine Worgin mit weißem Fell schleicht sich im Schatten der Ruinenmauer an ihre Beute heran. Der Greif steht am Boden und pickt in der Erde herum.
Mit einem Jaulen springt sie auf das Tier zu, welches blitzschnell den Kopf hebt und sich aufbäumt. Die Worgin duckt sich unter den Schlägen hinweg und da hebt der Greif langsam ab. Plötzlich springt ein brauner Worgen auf die Mauer und von da auf des Greifen Rücken.
Fest krallt er sich in der Schulter des Tieres fest, welches überrascht zu Boden fällt, wo die weiße Worgin den Kopf packt und mit einer schnellen Drehung ein lautes Knacken zustande bringt. Grinsend hebt sie den Kopf und meint: „Endlich hast du dein Gewicht gefunden. Aber übertreib nicht. Sonst kommst du nicht mehr die Mauer hoch!“
Der braune Worgen erhebt sich und schaut sie empört an. „Hey! Das ist nicht lustig Sabrina! Schließlich will ich ja Schritt halten können mit dir.“ Die weiße Worgin reagiert nicht drauf. Sie grinst ihn einfach weiter an, woraufhin der Worgen leise knurrend vom Tier runter springt und die rechte Schulter ein paar Mal dreht.
„Wie geht’s der Schulter Martin?“ „Spüre ich nur noch in meinen Träumen!“, meint der Junge stolz, doch Sabrinas Grinsen verheißt nichts Gutes. „Oder wenn Oliver zu wild ist, was.“ Verlegen legt Martin die Ohren an und dreht den Kopf weg.
Sabrina kann nun gar nicht mehr an sich halten und lacht lautstark los. „Mensch Martin bist du niedlich wenn du verlegen bist! Hahaha... Hast du ernsthaft gedacht man hört euch zwei nicht? Wenn ihr weiterhin so laut seid, hören euch die Verlassenen an der Mühle noch!“
Noch verlegener wendet sich der junge Worgen gänzlich ab und verschränkt die Arme. Sabrina kichert noch eine Weile, ehe sie ihn von hinten umarmt und grinsend meint: „Jetzt schmoll doch nicht rum. Ich kann ja kaum noch die Finger von dir lassen!“ Dies lockt dem Worgen ein Grinsen ins Gesicht und langsam dreht er sich wieder um.
„Für dich bin ich wohl nur süß und niedlich, was?“ „So wie du dich benimmst, ja.“, meint die weiße Worgin breit grinsend und zwinkert ihm dann zu. „Sei froh, dass Julia den Sex nicht verboten hat. Sonst müsstet ihr wirklich jede Nacht wo anders schlafen. Aber mach dir nichts draus. Stephan scheint euer Tun anzuregen ... seine letzte, kalte Nacht hat er auch schon ewig hinter sich.“
Verschmitzt zwinkert die Worgin dem braunen Worgen zu und gemeinsam beginnen sie das Tier zum Bunker zu tragen. Martin trägt die Hinterläufe und meint frech: „Pass nur auf, dass du nicht eines Tages in einem Meer aus Welpen aufwachst!“ Sabrina dreht grinsend den Kopf nach hinten, aber ihre Augen leuchten ein wenig wehleidig.
„Ich hätte schon gern Kinder ... das wäre doch mal was. Ein Lebewesen das ich mein Eigen nennen kann. Für das ich sorgen und aufpassen muss. Leider sind wir in dieser Gestalt nicht in der Lage, Kinder zu zeugen. Ich habe Natalie schon mehrmals gefragt, aber selbst sie kennt keinen Weg ... und in unsere menschliche Gestalt können wir uns schon lange nicht mehr wandeln. Dafür leben wir zu wild.“
Martin nickt und sein Gesichtsausdruck wird monoton. Daran hat er gar nicht gedacht. Warum sollte er auch? Er hat schließlich Oliver und mit ihm ist er glücklich. Aber dass es den anderen so nicht möglich ist, sich fortzupflanzen ... Was wird aus dem Rudel, wenn keine neuen Mitglieder kommen?
Irgendwie erfüllt dieser Gedanke Martin mit Trauer und sein Verlangen nach Oliver wird größer. Schnell schimpft er sich einen Narren. Oliver ist kein Draufgänger der sich jeden Moment in Gefahr stürzt. Da hat er selber eher das Talent dazu. Und dennoch ist es da. Das Verlangen nach mehr, als wäre jede Zweisamkeit die letzte.
Im Bunker verstauen sie den Greifen im Lager und nehmen ein Teil der Beute. Zwinkernd verlässt Sabrina den braunen Worgen, der nur die Augen verdreht und erst mal die Fleischflanke verspeist. „Ah Martin! Gut dass du da bist, nach dir hab ich gesucht.“ Erschrocken wirbelt der braune Worgen herum und blickt in das grinsende Gesicht einer braunen Worgin.
„Immer noch schreckhaft? Hihi ... keine Sorge, das geht vorbei.“ „Bin ja erst seit einem Mond so ...“, murmelt der braune Worgen und schaut an sich herab. Natalie nickt und kommt mit einer kleinen Phiole auf ihn zu. „Darum bin ich hier. Deine Dosis ist wieder soweit.“
„Du meinst das bittere Zeug, was ich als erstes zu mir genommen habe?“ „Ganz genau! Du weißt, dass du das immer nach einem ganzen Mond nehmen musst. Heute ist Neumond, die Zeit deines Erwachens.“ „So dramatisch gleich ...“, murmelt Martin und geht leicht grinsend auf Natalie zu.
Lächelnd nickt sie und hält ihm die Phiole hin, deren Inhalt der Junge brav austrinkt. Angewidert verzieht er das Gesicht und schüttelt den Kopf. „Braver Junge!“, grinst Natalie. „Und jetzt ab zu Oliver. Der wartet sicher schon auf dich.“
Die Mehrdeutigkeit war nicht zu überhören und verlegen legt Martin wieder die Ohren an. Bloß weil Oliver und er des Nachts ihren Spaß haben und sich einander hingeben ... Trotzdem trottet er los und findet seinen Freund im oberen Bereich in ihrem Schlafraum.
Der graue Worgen liegt im Bett und scheint zu schlafen, aber bei seinem Eintreten hebt er lächelnd den Kopf. Seine Augen wirken müde und der Blick währt auch nicht ewig. „Na Großer, müde schaust du aus.“ „Julia ist mit mir heute gerannt. So eine Erkundungstour hinter die Mauer, weiter in dieses Land zwischen den Bergen, dann über einen Pass wieder hierher.“
Martin grinst ein wenig und tritt ans Bett. Langsam beginnt er dem grauen Worgen über ein Bein zu streicheln und meint: „Na dann war das ja ein langer Tag.“ „Hrrr... ja. Und was hast du heute so getrieben?“ „Sabrina und ich waren an der Grenze. Haben aufgepasst und dann gejagt.“
Oliver hat seine Sachen irgendwo am Boden hingelegt, was es Martin leichter macht sein Bein hoch zu streicheln und um seine Mitte zu streicheln, was den grauen Worgen leise, wohlig knurren lässt. Ohne zu antworten packt er den braunen Worgen und zieht ihn zu sich aufs Bett, wo sie erstmals wild miteinander herum küssen.
Martin ist Jaspers Angewohnheit gefolgt, nur mit einer Hose herum zu laufen. Das einzig Positive, was der Riese zustande gebracht hat ... Schnell ist Martins Hose ausgezogen und ihre Körper pressen sich aneinander. Die Sehnsucht und das Verlangen in Martin nimmt zu. Gierig saugt er sich an Olivers Hals fest und leckt ihn dort, was den Grauen wohlig knurren lässt.
„Na du bist heute gierig unterwegs ...“ „Für dich nur das Beste“, meint Martin kichernd und legt sich auf Oliver drauf. Tief schauen sie sich in die Augen, während der braune Worgen langsam tiefer rutscht und sich diese Nacht holt, was er sonst immer nur bekommen hat.
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