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Andere Welten
Teil 4
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Informationen
- Story: Andere Welten
- Autor: Hyen
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Fantasy und Mystery
„Wie oft denn noch. Wir entscheiden alles zusammen, immer. Jeder bringt sich von uns mal mehr, mal weniger ein, je nachdem was los ist. Keiner von uns würde sich jemals als Chef aufspielen und besonders nicht ich!“
Das war doch echt nicht zu fassen! Ich, der am wenigsten was von allen drauf hatte und sich von den kleinsten Sachen ablenken ließ, sollte den Leader mimen???
„Komm schon Luci“, versuchte mich Shawn fröhlich zu beruhigen, doch ich wischte mir seine Hand aufgebracht von der Schulter.
„Weder bin ich dafür geeignet, noch habe ich Bock drauf!“, blaffte ich ihn an.
„Ruhig Blut, Lucian. Lass uns das später klären.“ Juli deutete auf ein paar Leute in unserer Nähe, die schon skeptisch zu uns rüberlinsten. Schnaubend schüttelte ich abermals den Kopf und stimmte genervt der Kriegerin zu.
„Folgt mir und genießt das Fest“, forderte Sahina uns voller Enthusiasmus auf und delegierte uns durch die Menge bis zu mehreren Tischen und Bänken, wo ihre Familie schon Platz genommen hatte. Alles war reich geschmückt und großzügig gedeckt. Es gab verschiedenes Obst, Käse, Wurst und Brot und über einem Feuer in der Nähe brutzelte ein köstlich duftendes Schwein.
Ein jeder lachte und viele tanzten auf dem freien Platz zu fröhlich wilder Musik. Diese losgelöste Heiterkeit erfasste rasch meine Klassenkameraden und recht schnell verwickelten sie sich in anregende Gespräche mit den Einheimischen. Ich tat vorerst so, als sei ich mit Essen komplett beschäftigt, damit ich mir nicht ganz so dämlich vorkam, weil ich noch immer kein einziges Wort verstand. Später fragte ich Sahina, was Arcir genau mit dem Tanz bezwecken wollte.
„Jeder, der einmal Gefangener der Noraylier war und wieder zurück zu seinem Volk gefunden hat, unterzieht sich der Prozedur. Wir versuchen uns damit von bösen Erinnerungen und schlechtem Einfluss zu lösen, um mit der Sache abschließen zu können. Nicht jeder schafft es, alles hinter sich zu lassen und neu anzufangen. Manche trieb es bis in den Wahnsinn, andere noch weiter. So kehren wir symbolisch der Vergangenheit den Rücken zu und öffnen uns der Zukunft.“
Nachdenklich schaute ich das Medium an.
„Arcir hätte es fast nicht geschafft, oder? Ich meine, alles hinter sich zu lassen.“
Sahina lächelte schmal und starrte auf den Apfel in ihren Händen.
„Nein, hätte er nicht. Aber wir Menschen wurden nicht geschaffen, um alle Wege allein zu gehen.“
Sie sah zu Arcir, der auf der Tanzfläche mit ein paar Kindern rumalberte, und blickte dann zu mir. Sofort verfärbten sich meine Wangen rot. War das wirklich so offensichtlich? Lachend gab sie mir einen Klaps auf den Arm, stand auf und nötigte ihren Mann zum Tanz, der verlegen der Bitte seiner Frau nachkam.
Ich beobachtete derweil nachdenklich meinen Laidarer. Er sah wirklich gelöster aus, regelrecht befreit, wie er lachend mit den Kleinen rumtollte. Als er aufschaute und mich direkt anblickte, begann es wohlig in mir zu kribbeln und ich genoss es durch und durch. Ich lächelte Arcir leicht an und hob kurz meine Hand zum Gruß. Verhalten, als wäre er zu schüchtern, grinste er zurück und nickte leicht.
Um ihn nicht weiter so dämlich anzustarren, zwang ich mich regelrecht dazu, meinen Blick abzuwenden und langte zur Ablenkung nach einem Stück Käse, um nicht doch noch schwärmerisch aufzuseufzen.
„Alter, das ist ja echt widerlich, was ihr beide da veranstaltet.“ Shawn hatte sich lässig mit dem Unterarm auf meine Schulter gestützt und langte nach der Wurstplatte. Fragend sah ich zu ihm auf, weswegen er die Augen verdrehte. „Na dieses aus der Ferne anschmachten. Selbst Juli und Phil haben das besser im Griff als ihr.“
Als ich immer noch nicht verstehen wollte, schlug mir der Redner dermaßen hart auf den Rücken, dass es mich fast auf den Tisch gehauen hätte.
„Mann Luci, er steht auf dich. Das sieht selbst ein Blinder. Und wenn du das nicht endlich klärst, dann hole ich Arcir an den Tisch und zwing dich dazu!“
Meine anderen beiden Klassenkameraden taten so, als ob sie uns nicht zugehört hätten und sahen übertrieben in die Ferne. Doch an dem Zucken ihrer Mundwinkel erkannte ich überdeutlich, dass sie ihre Ohren weit gespitzt hatten. Zuerst wollte ich verärgert irgendetwas erwidern, doch dann hielt ich inne. Verdammt noch mal, ich spürte es, dass sie recht hatten. Und Arcir war in bester Laune, wie mir schien.
Ich ließ meinen Blick über den Platz schweifen und fand den Laidarer am anderen Ende, wie er sich verhalten mit Tarin unterhielt. Als würde er fühlen, dass ich ihn suchte, schaute er zu mir hinüber. Man, dieses hartnäckige Kribbeln war kaum mehr auszuhalten.
Entschlossen stand ich auf und bahnte mir einen Weg durch die tanzende Menge, direkt auf ihn zu. Wie versteinert stand er da, ignorierte sein Gesprächspartner und starrte mir entgegen. Kurz bevor ich bei ihm war, versperrte mir ein lachendes Pärchen die Sicht und als ich mich endlich an denen vorbeigedrängelt hatte, war Arcir weg.
Suchend schaute ich mich um und entdeckte Tarin, der mit gerunzelter Stirn in eine Richtung guckte. Mit den Augen folgte ich dieser und entdeckte den schmalen Rücken meines Laidarers, wie er gerade um eine Häuserecke bog. So leicht gab ich nicht auf. Schnellen Schrittes folgte ich ihm, an tanzenden Menschen vorbei, um hoch züngelnde Lagerfeuer herum, zwischen Häuser hindurch in eine enge Gasse.
Ich sah noch seine Füße, wie diese auf einem Dach verschwanden und stöhnte genervt auf. Erst eine Verfolgungsjagd und dann eine Klettereinlage? Was tut man nicht alles für sein Herz. Mir fiel es leichter als gedacht, auf das schmale Gebäude zu klettern. Doch oben angekommen erwartete mich die nächste Überraschung. Arcir stand auf dem Nachbarhaus und blickte herausfordern zu mir rüber.
Skeptisch beäugte ich die Lücke dazwischen. War er etwa DA rübergesprungen? Arcir lachte leicht und hob eine Braue, als hätte er mich in einem Wettkampf geschlagen. Das stachelte mich nur noch mehr an. Soweit es mir auf dem Dach möglich war, ging ich zurück, um den größtmöglichen Anlauf zu nutzen. Dann sprintete ich los.
Als der Abgrund näher kam, betete ich inbrünstig, dass ich richtig absprang, damit ich auf die andere Seite gelangte und nicht einfach wie ein Stein zu Boden fiel. So kraftvoll wie möglich stieß ich mich vom Dach ab und flog durch die Luft. Fast glaubte ich wirklich zu knapp dran zu sein. Aber dann landete ich, schwer wie ein nasser Sack, auf Bauch und Brust, was mir schier die Luft aus der Lunge trieb.
Dazu kam, dass es mich dank der Schwerkraft nach unten zog, da ich es nur mit dem Oberkörper bis aufs Dach geschafft hatte. Meine Beine baumelten in der Luft und suchten genau wie meine Hände nach Halt. Immer schneller rutschte ich ab und wäre ganz gefallen, wenn Arcir mich nicht gepackt und raufgezogen hätte.
Belustigt grinste er mich an, wie ich so schnaufend da saß und mich nicht entscheiden konnte, ob ich ihm nun danken oder anmotzen sollte. Mein Laidarer warf mir indes ein Apfel zu und nickte in eine Richtung, in der ich ihm folgen sollte. Erst jetzt erkannte ich, dass wir auf das Dach des Tempels geklettert waren.
Arcir saß auf einem Vorsprung, die Beine lässig über den Rand hängend, und bedeutete mir, mich neben ihn zu setzen. Keine Ahnung, ob das alles so erlaubt war, doch eine schmale Esse verbarg uns vor neugierigen Blicken, weswegen ich das nicht so ernst nahm.
Von hier oben hatte man einen grandiosen Blick auf das Fest und die vielen Leute, welche diesem beiwohnten. Ihr Lachen und Gesang drang bis zu uns herauf und die vielen Fackeln und kleinen Feuer brachten alles in eine fast schon romantische Stimmung. Gemächlich ließ der Laidarer seinen Blick über den Platz schweifen und aß seinen Apfel.
Ich bekam indes keinen Bissen runter. Allein die Art, wie er seine Lippen an das Fruchtfleisch schloss, machte mich halb irre. Kurz schloss ich die Augen und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Schließlich hatte ich mir vorgenommen, mit Arcir zu reden und nicht über ihn herzufallen.
Als ich mich beruhigt hatte, setzte ich mich neben ihn hin und berührte ihn leicht am Arm, damit seine Aufmerksamkeit auf mir ruhte. Fast wollte ich einen Rückzieher machen und ihn einfach küssen. Im letzten Moment aber hielt ich ein und fuhr mir nervös durch meine neuen Rastas.
„Arcir“, begann ich wenig produktiv, worauf der Laidarer mich mit gerunzelter Stirn musterte. „Ich weiß es ist viel passiert. Ich habe so viel falsch gemacht. Zum Beispiel mit dem König geschlafen, während du im Kerker littest. Ich hatte dich einfach aufgegeben und mir jeden Tag eingeredet, dass du es irgendwie geschafft hättest. Ich… es tut mir alles so leid und ich hoffe, dass du mir irgendwann verzeihen kannst, auch wenn ich mich dafür immer selbst hassen werden.“
Arcir hatte den Kopf leicht schief gelegt und schaute mich dermaßen intensiv an, als würde er meine Worte auf Wahrheit überprüfen wollen, und dass ganz tief in mir drin.
„Oh man“, seufzte ich und fuhr mir hilflos durch die Haare. „Ich wünschte mir, du könntest mich verstehen.“
Ich versuchte mich an einem Lächeln, was kläglich scheiterte. Verloren wie ich mich fühlte, beobachtete ich teilnahmslos die Menschen, die sich in kleinen Gruppen zusammengefunden hatten. Die Musik verklang und Sahina trat auf das Podest. Ich konnte nicht erkennen, was sie in der Hand hatte, aber es musste wichtig sein, denn die Gespräche verstummten und alle Blicke ruhten auf dem Medium.
„Die bösen Geister wurden erfolgreich vertrieben und endlich kann wieder Ruhe in unsere Gemüter einkehren. Doch Veränderungen kündigen sich an, welche weit größer sind, als dass man sie mit einem Mal fassen könnte. Wie werden uns dem stellen, mit erhobenen Köpfen und allen Herausforderungen annehmen, die da kommen mögen. Lasst uns die Götter preisen, auf dass sie uns segnen und über uns wachen!“
Sahina warf irgendetwas in die Luft, worauf knisternd ein bunter Funkenregen in der Luft zerstob und alle in Jubel ausbrachen. Arcir tippte mich kurz an und reichte mir einen kleinen Lederbeutel. Mir war deutlich anzusehen, dass ich damit nichts anzufangen wusste, weswegen der Laidarer hineingriff und das Pulver in die Luft warf.
Wieder dieser bunte Funkenregen und es roch nach angezündetem Sternchenfeuer. Auch die Leute auf dem Platz ließen vor Freude rufend dieses Pulver fliegen und überall sah man helle Lichter und farbige Bilder in der Luft. Es roch seltsam nach Silvester und zum ersten Mal verspürte ich so was wie Heimweh.
Auch ich verstreute einige Male das Pulver und ließ dann alles einfach auf mich wirken. Langsam fühlte ich mich etwas leichter, als hätte mir wirklich jemand ein Teil der Last abgenommen, was wohl auch an Arcir lag, der so dicht neben mir saß, dass sich unsere Schultern berührten.
Irgendwann stand er auf und zog mich mit sich. Wir kletterten vom Dach und schlenderten gemächlich über den Platz. Der Abend hatte mich wagemutig gemacht und meinen Laidarer so nahe bei mir, brachte mich noch immer halb um den Verstand. Also streckte ich vorsichtig meine Hand zur Seite und ließ sacht die Fingerspitzen über seine Handfläche gleiten.
Ich zog mich zwar gleich wieder zurück, um nicht all zu aufdringlich zu wirken, trotzdem linste ich erwartungsvoll zu ihm hinüber. Sein Blick war schwer zu deuten. In den Augen stand leichter Schock, aber die Wangen waren etwas gerötet. Was ging nur in ihm vor?
„Arcir!“
Fröhlich rufend sprang Lydi in die Arme ihres Onkels und fing an, nebensächliches Zeug zu quasseln. Meine Klassenkameraden standen nicht weit und winkten auffordernd. Also wuschelte ich der Kleinen zum Abschied durch die Haare und nickte dem Laidarer lächelnd zu, was dieser zögerlich erwiderte. Vielleicht brauchte er einfach noch etwas Zeit, um alles zu verdauen und die wollte ich ihm unbedingt geben.
Die Anderen grinsten mich dümmlich an, ersparten sich aber jeglichen Kommentar, worüber ich sehr dankbar war. Sahina ließ nach uns rufen, weswegen wir gemeinsam das Zimmer aufsuchten, in dem wir schon das erste Mal miteinander gesprochen hatten.
„Ich weiß, dass ihr eine harte Schule hinter euch habt, darum hoffe ich, dass mein Angebot euch nicht all zu sehr abschreckt“, begann das Medium verheißungsvoll.
„Weiter ist mir bekannt, dass ihr alle eigene Interessen habt und diesen nachgehen möchtet und dass ihr euch in unsere Gemeinschaft einbringen wollt. Die letzten beiden Punkte kann man sehr gut miteinander verbinden. Etiri benötigt in der Bibliothek immer Hilfe, Kandzia und Barat nehmen bei ihren empfindlichen Pflanzen jede Unterstützung an, die sie kriegen. Onur hat neue Rekruten bekommen, die nicht nur im Schwertkampf ausgebildet werden müssen und Garukt hat durch die bevorstehenden Ereignisse auch viel zu tun.“
„Es ist nett, dass ihr euch um uns so viele Gedanken macht und wir wissen, welche Hoffnungen ihr in uns seht. Aber in erster Linie wollen wir wieder nach Hause“, sagte Phil ruhig, worauf Sahina schwer ausatmete.
„Das dachte ich mir schon. Umso schwerer fällt mir euch zu erklären, dass beides eng miteinander verknüpft ist. Um in eure Welt zurückzukehren, müsst ihr in die heilige Höhle der Zusammenkunft. Dort, wo die mächtige Kette geschmiedet und besprochen wurde, können Unmengen an Energie freigesetzt werden. Und wenn ihr es wollt, bringt sie euch zurück nach Hause. Allerdings seid ihr dort am verletzlichsten. Wenn an diesem Ort einer von euch stirbt, kann er nie wieder auferstehen.“
Okay. Jetzt wussten wir auch, warum der noraylische König mit uns unbedingt dort hin wollte.
„Sprich“, nahm Juli den Faden auf. „Wenn wir dort hin gehen, um zurückzukehren, wird der noraylische König vor Ort auf uns warten, um uns zu töten. Super.“ Genervt verschränkte die Kriegerin ihre Arme vor der Brust.
„Und es gibt wirklich keinen anderen Weg?“, fragte Shawn nach.
„Ich fürchte nicht. Die alten Bücher der Bibliothek sind in dieser Hinsicht recht eindeutig“, antwortete das Medium bedauernd.
„Na dann ist ja alles klar“, meinte der Redner und fühlte sich zu einer Erklärung genötigt, da wir ihn alle fragend anschauten. „Wir trainieren hart, bereiten uns so gut es geht auf die Reise vor und pusten dann den noraylischen König von diesem Erdball. Und was danach kommt, darüber können wir uns später ganz in Ruhe einen Kopf machen.“
Jetzt sahen alle zu mir, als ob mit meinem Wort die gesamte Entscheidung fiel. Mir wurde sofort unwohl und ein leichter Brechreiz kam auf.
„Eine andere Möglichkeit haben wir ja wohl nicht. Also machen wir das, was wir am besten können. Shawn sucht nach Hintertüren in den Büchern und besorgt uns jegliche Informationen, die uns helfen könnten. Juli unterweist uns weiter im Kampf, damit wir auch andere Techniken drauf haben als die Noraylischen und Phil macht sich über die landesüblichen Pflanzen kundig.
Blut- und Schmerzstiller wären praktisch, Gifte beziehungsweise Gegengifte. Und ich sehe zu, dass ich meine Kräfte besser in den Griff bekomme, ohne dass es mich gleich umhaut. Der noraylische König wird bestimmt nicht mit dem Schwert gegen uns antreten und unter seinen Getreuen sind eine Menge mächtige Magier.“
„Gesprochen wie ein wahrer Anführer“, sagte Juli stolz und klopfte mir leicht auf die Schulter. Ich schüttelte nur genervt mit dem Kopf.
„Das bin ich nicht. Wir entscheiden immer noch alles zusammen!“
„Lucian. Wir würden nie ‚die Entscheidung der Götter‘ akzeptieren, wenn wir sie nicht nachvollziehen und gutheißen würden. Keine Ahnung warum, aber mein Gefühl sagt mir, dass das alles schon so passt.“
Verwundert schaute ich Shawn an, der zum ersten Mal meinen vollen Namen benutzt hatte. Er meinte es wohl wirklich ernst. Und die Anderen auch, so wie die aussahen.
„Ich danke euch wirklich sehr, egal aus welchen Gründen ihr auch immer uns unterstützt. Wenn es für euch okay ist, würde ich euch gerne jeden Vormittag ein mentales Training geben. Je mehr ihr euch eurem Inneren und den Kräften, die darin wohnen, bewusst werdet, desto besser könnt ihr sie auch trainieren. Besonders für dich Lucian ist das sehr wichtig.“
Schwer atmete ich aus und blickte wohl ziemlich unglücklich in die Runde, denn Sahina trat dicht neben mich und schaute aufmunternd zu mir auf.
„Lucian, ich wollte dich damit nicht kränken. Du besitzt nur eine gewaltige Kraft, die dicht unter deiner Haut brodelt, mehr und dermaßen intensiv, wie ich sie noch nie bei einem Auserwählten gespürt habe. Du fühlst es auch und das macht dir Angst. Zu Recht. Solches magisches Potenzial sollte man nicht unterschätzen. Aber du darfst dich davon auch nicht einschüchtern lassen. Und mal davon abgesehen musst du dich dem nicht allein stellen.“
Sie machte eine ausholende Geste zu meinen Klassenkameraden, die mir unterstützend zulächelten. Na toll. Das konnte ja noch was werden.
Von dem ganzen Trubel des Tages und den Enthüllungen am Abend war ich todmüde. Wie mechanisch lief ich zu meinem Zimmer und fiel regelrecht ins Bett.
Die darauffolgenden Tage waren aufreibend und interessant zugleich. Juli hatte Onur soweit gebracht, sie persönlich zu unterweisen, aber erst, nachdem sie einen richtig harten Test bestand. Keine Ahnung wie dieser genau ausschaute. Die Kriegerin kam eines Morgens aus dem Wald, zu Fuß mit zerfetzten Kleidern, verfilztem Haar und Blutergüssen so groß wie Honigmelonen. Sie zeigte dem Meister irgendeine Wildblume, worauf er große Augen machte und endlich ihrer Bitte nachkam, sie zu trainieren.
Phil kam täglich mit roter Haut oder Pusteln nach Hause, weil er ständig neue Substanzen ausprobierte und Shawn lümmelte auf der Wiese in der Sonne hinter dem Tempel rum und saugte regelrecht die Bücher in sich hinein. Nur Etiri hörte man ab und an wettern, weil sie wohl Angst um ihre kostbaren Stücke hatte. Aber nur ein bittender Blick des Redners und die Bibliothekarin verschwand mit roten Wangen zwischen den Regalen. Nur ich schlug aus der Bahn und arbeitete stur an meinem Dolch weiter, anstatt meine Kräfte zu schulen.
Die Vormittage mit Sahina und den Anderen waren nervig genug. Es wurde viel meditiert, um die innere Mitte zu finden. Und während meine Klassenkameraden darin immer besser wurden und dadurch in ihrem Fach Höchstleistungen erbrachten, zertrümmerte ich Vasen, ließ Blumen welken oder Kopfkissen zerreißen, sodass die Federn im gesamten Raum verteilt rumflogen. Es war einfach zu viel für mich, dies zu händeln. Also ließ ich es bleiben und flüchtete immer öfter zu Garukt, der mich freudestrahlend aufnahm.
Arcir glänzte die letzte Zeit durch Abwesenheit. Zwar spürte ich ab und an seine Nähe, merkte, wie er mich von Weitem beobachtete. Aber genau dann passierte der größte Blödsinn und nicht nur einmal wäre ich am liebsten vor Scham im Erdboden versunken. Deswegen genoss ich die Zeit bei dem Schmied umso mehr. Bei ihm brauchte ich mich nicht zu verstellen, sondern konnte ganz entspannt der sein, der ich bin.
Tagelang hatte ich nun an meinem Langdolch gearbeitet, den mehrblöckigen Stahl in die Länge geschmiedet, bis Garukt anerkennend nickte und mir einen speziellen Schaber in die Hand drückte, um die Klinge zu verfeinern. Ganz in meiner Arbeit vertieft, bemerkte ich erst recht spät, dass Arcir in der Schmiede stand und sich mit Garukt ‚unterhielt‘.
Er wollte wohl erst wieder gehen, mit einem seltsamen Seitenblick auf mich. Doch der ältere Mann winkte energisch ab und dirigierte den Laidarer zu einem Platz, wo Werkzeug zum feinen Schleifen lag. Wiederstrebend gab Arcir nach, setzte sich hin und holte seinen Dolch vor.
Lächelnd nickte ich ihm zur Begrüßung zu, doch der Laidarer sah mich nur an, als wäre ich ein Außerirdischer. Arcir war wirklich der seltsamste und undurchsichtigste Typ, dem ich je begegnet bin. Ich beschloss, mich weiter meiner Arbeit zuzuwenden und ließ mir von Garukt ein paar Tricks zeigen, wie ich eine schönere Form hinbekäme und setzte das Gezeigte sofort um.
Es war weit nach Dämmerung, als ich stolz mein Werk betrachtete. Jetzt musste ich die Klinge nur noch härten, nochmals überfeilen und dann schleifen. Ich konnte es kaum erwarten, das fertige Stück in den Händen zu halten. Selbst Arcir kam endlich näher und musterte anerkennend meine Arbeit. Schnaubend gab er mir die Klinge zurück und schüttelte den Kopf, als könne er nicht glauben, dass ich so etwas selbst erschaffen hatte.
„Ja, mich wundert es auch“, sagte ich laut, mehr zu mir als zu Arcir, schließlich verstand er keins meiner Worte. „In vielen Dingen bin ich der größte Tollpatsch, weil ich es einfach nicht schaffe, mich auf eine Sache zu konzentrieren. Oft lasse ich mich zu leicht ablenken. Durch dich zum Beispiel. Aber sobald ich blanken Stahl in der Hand habe, fühle ich mich komplett frei.“
Hilflos zuckte ich mit den Schultern und strich liebevoll über die Klinge. Sanft legte Arcir seine Hand auf meine Schulter und lächelte mich verstehend an. Sein Blick wirkte immer verträumter, bis er nach spürbarem Zögern den Arm hob und mit den Fingerspitzen mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Die Stelle, wo er meine Haut berührte, brannte heiß auf und ich holte hörbar Luft.
Der Laidarer wollte gerade ansetzen etwas zu sagen, doch ein lautes Schnarchen ließ uns beide vor Schreck zusammenzucken. Garukt saß auf einem bequemen Sessel und war über einer Schnitzarbeit eingeschlafen. Kichernd ging Arcir zu ihm hinüber, legte dessen Messer beiseite und breitete eine Decke über ihn aus.
Dann packte der Laidarer mich am Handgelenk und zerrte mich nach draußen zu einem Pferd, wo er schwungvoll aufstieg. Skeptisch betrachtete ich das Tier, doch Arcirs stumme Aufforderung, hinter ihm raufzuklettern, konnte ich nicht ausschlagen, egal wie weit mir das Ganze nicht geheuer war.
Erschrocken klammerte ich mich an ihm fest, als er dem Pferd die Sporen gab und es wiehernd losgaloppierte. Der Ritt dauerte keine zehn Minuten und führte ein Stück durch den Wald bis zu einer Lichtung. Der helle Mond beschien sichelförmig einen kleinen See, der zum Teil an einem steinigen Berg grenzte.
Wir stiegen ab und Arcir bedeutete mir, kurz zu warten. Dankbar setzte ich mich mit zittrigen Knien hin und lehnte mich an einen Baum. Der Schrecken von diesem wilden Ritt saß mir noch arg in den Knochen und dass ich nun den Geruch meines Laidarers in der Nase hatte, machte mich nicht standfester.
Dieser holte etwas Stroh und ein paar Steine aus der Satteltasche und entzündete damit ein kurzes Feuer. Schnell kam er zu mir und setzte sich neben mich. Er deutete auf sein Werk, was gerade erlosch. Kaum war es wieder dunkel, glühten kleine Punkte auf und kreisten um die Stelle.
Glühwürmchen? Wenn, dann eine verkorkste Abart. Immer mehr Punkte wurden hell, bis ein kleiner Schwarm sichtbar träge um das abgebrannte Heu kreiste. Ich genoss die romantische Umgebung und lachte nun meinerseits auf, als Arcir aus dem Nichts einen schmalen Weinkrug hervorzauberte.
Abwechselnd gönnten wir uns große Schlucke direkt aus der Flasche, bis die Punkte nach und nach erloschen. Der Laidarer wollte schon aufstehen, um erneut Heu zu entzünden, als ich ihn bat, sitzen zu bleiben. Feuer war schließlich meine Spezialität. Ich streckte meine Hand aus und ließ mit einem Wimpernschlag eine kleine Flamme erscheinen, die zaghaft meine Haut wärmte.
Sacht schickte ich diese auf Wanderschaft, bis sie sich einmal komplett um Arcir geschlängelt hatte. Dann machte ich sie aus und wartete ab. Mein Laidarer saß stocksteif da und wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Doch dann leuchteten abermals die Punkte auf, nur dieses Mal dicht um uns herum.
Mit einem verzückten Lächeln schaute Arcir abwechselnd zu den Glühwürmchen und zu mir und konnte es kaum fassen, dass die Tiere ihm so nahe waren. Einige landeten auf meiner Haut, kleine Dinger, wie Marienkäfer, nur ohne Punkte. Ich ließ sie auf den Arm meines Nebenmannes krabbeln, der aus dem Staunen gar nicht mehr rauskam. Irgendwann hörten auch diese auf zu leuchten und flogen weg.
Wieder ließ Arcir den Weinkrug rumgehen und gab mir in Zeichensprache zu verstehen, dass er wirklich begeistert war. Schade, dass sich diese Art von Kommunikation nur auf technische Sachen beschränkte, sonst wäre einiges leichter gewesen. Ich merkte, wie mein Laidarer anfing zu frieren und legte, vom Wein mutig geworden, meinen Arm um seine Schulter und zog ihn dicht zu mir ran.
Natürlich wollte er sich zuerst wehren, aber dann ließ er doch nach und lehnte seinen Kopf an mich. Genießerisch vergrub ich meine Nase in seine Haare und atmete tief ein. Er roch viel zu gut. Dennoch war es egal, wie viel Alkohol ich schon intus hatte, weiter als das träge Streicheln auf seinen Oberarm ging ich nicht. Wenn, dann wollte ich ihn mit klarem Verstand genießen, damit mir auch nicht die kleinste Verzückung seines Körpers entging.
An diesem Abend jedenfalls spürte ich, wie Arcir immer gleichmäßiger zu atmen begann, bis ich mir komplett sicher war, dass er im Land der Träume weilte. Seufzend wünschte ich mich in mein Zimmer, auf das viel bequemere Bett und Arcir neben mir, um ihn noch stundenlang beobachten zu können.
Ich musste wohl sehr intensiv daran gedacht haben, denn als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war ich tatsächlich in meinem Raum. Kurz presste ich fest die Lider zusammen, nicht dass ich schon halluzinierte oder selbst träumte. Doch ich war komplett wach und realisierte endlich, dass ich uns mit einem Wimpernschlag teleportiert hatte.
Mit klopfendem Herzen legte ich Arcir aufs Bett und überprüfte, ob an ihm noch alles dran war. Aber auch bei mir schien alles in Ordnung zu sein. Erstaunlich welche Kräfte dieser Laidarer in mir freisetzte. Ich zog unsere Schuhe aus und breitete die dünne Decke über Arcir aus.
Langsam, um ihn auch ja nicht zu wecken, legte ich mich neben ihm auf die Seite, damit ich mein Glück vollkommen auskosten konnte. Ich lag einfach nur da, tastete sein Gesicht mit den Augen ab und genoss die Wärme, die er ausstrahlte, bis auch ich irgendwann einschlief.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, war mein Laidarer verschwunden, was ich zwar schade fand, mich allerdings nicht weiter verwunderte. Langsam gewöhnte ich mich an sein sprunghaftes Wesen. Wohlig seufzend kuschelte ich mich tiefer in die Decke und vergrub meine Nase ins Kopfkissen. Überall klebte noch sein süßer, männlicher Duft und bestätigte mir, dass alles doch kein Traum gewesen war.
Gerade als ich wieder leicht wegdöste und mich meinen süßen Erinnerungen hingab, hörte ich Shawn von draußen rufen. Ohne auf ein ‚Herein‘ meinerseits zu warten, platzte der Redner nach dem ersten Klopfen ins Zimmer.
„Luci, aufstehen Es ist schon fast Mittag, Casanova, also raus aus… den Federn.“
Mitten in seinem Redeschwall verpasste ich ihm eine kalte Dusche mit dem Wasser aus der Waschschüssel. Die Aktion hatte mich nur einen kurzen Gedanken gekostet, was ich allerdings nicht weiter mitbekam. Stattdessen war ich viel zu genervt, da ich lieber noch etwas rumgeträumt hätte. Als Dank wurde mir die Bettdecke weggezogen und ein paar Schuhe landeten auf meinem Kopf.
„Los Alter, komm in die Pötte. Sahinas Onkel ist angereist, nur um dir Einzelunterricht zu geben.“
„Und wenn ich auf einen alten Mann mit dummen Weisheiten keine Lust habe?“, grummelte ich genervt und richtete mich wiederstreben auf.
„Ist uns das vollkommen egal. Vielleicht solltest du dir weniger lang die Nächte mit einem gewissen Laidarer um die Ohren schlagen“, erwiderte Shawn mit einem breiten Grinsen. Als ich ihn lediglich mit gerunzelter Stirn anschaute, rückte er mit der Sprache raus. „Ich habe Arcir beobachtet, wie er mit feuerrotem Kopf aus deinem Zimmer gehuscht kam.“
Mit einem feinen Lächeln ließ ich mich zurück aufs Bett fallen und blicke nach oben durchs Fenster. Dunkle Wolken zogen auf und es roch nach Regen. Nachdem der Redner mir gegen die Füße getreten hatte, hievte ich mich endlich hoch und schleppte mich zur Waschschüssel. Nachdem ich frisches Wasser aus der Kanne in die Schüssel eingegossen hatte, erledigte ich in kurzen Zügen die Morgentoilette und schaute dann meinen Klassenkameraden kritisch an.
„Bei dem Wetter solltest du lieber nicht nass durch die Gegend laufen“, meinte ich stumpf und einen knappen Wink später waren Kraft meiner Gedanken Shawns Kleider und Haare wieder trocken.
Ich merkte überhaupt nicht, wie einfach mir das fiel oder wie verdutzt mich der Redner anschaute. Dafür kreiste mir Arcir und der gestrige Abend noch viel zu sehr im Kopf herum. Also ließ ich mich wiederstrebend zu Sahina schleifen, in ihren obligatorischen Empfangsraum, der mehr und mehr zum Schulungszimmer mutiert ist.
Mir war schon klar, dass ich den Nachhilfeunterricht dringend nötig hatte, schließlich schaffte ich nicht mal mehr, simple Steine durch die Luft tanzen zu lassen, seit die volle Kraft in mir freigesetzt worden war. Aber musste es unbedingt ein Privatlehrer sein? Auf so einen Meister Yoda-Verschnitt hatte ich echt keine Lust.
Doch als ich mich in das Zimmer schleppte und Sahina nach einer kurzen Begrüßung beiseite trat, um ihren Onkel vorzustellen, fielen mir regelrecht die Augen aus dem Kopf. Von wegen Meister Yoda. Qui-Gon Jinn traf es wohl eher, mit diesen langen, glatten Haaren und dem schmalen Zopf, so dass das Pony ihm nicht vor die Augen fiel.
Trotz dass dieser Typ bestimmt Ende Dreißig war, strahlte er ein maskulines Sexappeal aus, was mich fast umhaute. Dennoch spürte ich überdeutlich, dass von ihm Gefahr ausging. Meine Nackenhaare stellten sich auf und meine Handgelenke begannen warnend zu kribbeln.
In dem Bruchteil einer Sekunde packte ich Sahina, schleuderte sie zu Shawn und baute um sie und um mich ein Schutzschild auf. Kurz darauf prallte sein Angriff wirkungslos an mir ab. Er schien etwas überrascht zu sein, was ich sofort ausnutzte. Ich wob einen simplen aber effektiven Fesselzauber und warf diesen Sahinas Onkel entgegen.
Komplett überrumpelt knallte der Typ mit dem Rücken an die nächste Wand und hing in der Luft fest, wie ein aufgehängtes Bild. Das einzige, was er noch bewegen konnte, war sein Kopf und dass lediglich unter großer Anstrengung. Wutendbrand stapfte ich auf ihn zu und hatte sichtlich Mühe, meine Faust im Zaum zu halten, die unbedingt in sein Gesicht wollte.
„Ich habe keine Ahnung, was du Freak hier gerade vorhattest. Aber niemand greift meine Freunde willkürlich an und kommt ungeschoren davon!“
Anstatt sich langsam mal zu fürchten, begann der Typ breit zu grinsen und wog seinen Kopf hin und her.
„Gut zu wissen, junger Freund. Aber eigentlich hatte ich es auch nicht auf deine Freunde abgesehen, sondern nur auf dich.“
Sprachlos starrte ich den Mann vor mir an. Bevor ich darauf etwas erwidern konnte, legte Sahina ihre Hand beruhigend auf meine Schulter.
„Ich sagte dir doch, dass er außergewöhnlich ist“, meinte das Medium und bedeutete mir, ihren Onkel wieder freizulassen.
Der Zauber verlief dermaßen automatisch und nebenher, dass ich ihn fast vergessen hatte. Verwirrt schüttelte ich mit dem Kopf, worauf die Fesseln sich lösten.
„Wirklich sehr interessant“, meinte dieser Jedi-Abklatsch, steckte die Hände in seine weiten Ärmel und verbeugte sich leicht vor mir, als wäre er ein Mönch. „Yanar Ramik. Es ist mir eine Ehre euch kennenzulernen, Führer der Auserwählten.“
Genervt verzog ich den Mund ob der Anrede, verbeugte mich dann doch, ebenfalls aus Höflichkeit.
„Dann war das also ein Test, ja?!“ Missbilligend schaute ich mein Gegenüber an, der mich amüsiert musterte.
„Du hast mich durchschaut, junger Lucian. Obwohl mir meine Nichte eher von einem freundlichen Tollpatsch erzählte, der nicht weiß, seine Emotionen in die passende Richtung zu lenken. Dass nun ein ausgereifter Krieger vor mir steht und mich noch dazu an die Wand nagelt, verwirrt mich ein wenig. Oder steckt da mehr dahinter?“
Na super. Ich wusste ja, dass ich auf meinem Gebiet nicht gerade der Begnadetste war. Aber musste Sahina das jedem auf die Nase binden? Auch dieses Mal bekam ich nicht die Gelegenheit, etwas darauf zu erwidern, denn nach seinem letzten Satz schaute Yanar an mir vorbei zur Tür, die leise klapperte.
Eigentlich brauchte ich mich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer grade das Zimmer betreten hatte. Diesen zartsüßen, männlichen Duft würde ich unter Tausenden erkennen. Als ich es doch tat und direkt in Arcirs Augen blickte, färbten sich seine Wangen leicht rot. Mein Herz vollführte einen doppelten Salto und ich begann, dümmlich zu grinsen. Schüchtern sah Arcir zu mir hinüber und fast glaube ich, seine Mundwinkel zu einem Lächeln verziehen zu sehen.
Doch dann entdeckte der Laidarer Sahinas Onkel und sofort gefror seine Mimik zu Stein. Er verbeugte sich steif und murmelte eine höfliche Begrüßung, die mit einem Kopfnicken beantwortet wurde. Dann drehte sich Arcir um und flüchtete regelrecht aus dem Raum. Die Beliebtheit dieses Qui-Gon Jinn-Typen sank bei mir über Null ins Minus.
Ich musterte ihn abwertend und verschwand aus der Tür ins Freie. Zum einen brauchte ich dringend frische Luft und zum Anderen wollte ich meinem Laidarer hinterher. Doch kaum bog ich um die nächste Ecke, stieß ich mit Yanar zusammen, der mich gleich fest am Arm packte.
„Nicht so hastig, junger Freund. Soweit ich weiß, hatten wir eine Verabredung.“
Wie, verdammt nochmal, war dieser Kerl so schnell hierher gekommen?! Entweder besaß er die Reflexe eines Vampirs oder er beherrschte den Beamzauber besser als ich. Angepisst machte ich mich von ihm los.
„Danke, aber ich stehe nicht auf Rentner. Und soweit ich weiß, habt ihr Arcir ganz schön aus der Bahn geworfen und ich will wissen warum!“
Amüsiert über meinen Wutausbruch, hob er lediglich eine Braue.
„Ich? Wohl kaum. Komm, lass uns ein Stück zusammen gehen. Wenn du brav bist, erhältst du vielleicht auch ein paar Antworten auf ungestellte Fragen.“
Machte er sich etwa über mich lustig? Leider war mir schwerlich bewusst, dass ich diesen Typen wohl nicht so leicht loswerden würde. Also stapfte ich missmutig neben Yanar her, hinaus in die Stadt. Ab und an schaute ich zu dem Älteren hinüber und musterte ihn mehr oder weniger verstohlen.
Für einen Laidarer war er recht groß, vielleicht um die 1,85 Meter. Für diese Welt war das schon riesig, da die meisten die 1,70 Meter-Grenze nicht überschritten. Hinter den weichen Zügen erkannte ich kleine Lachfalten und überhaupt schien er ein heiteres Gemüt zu haben. Breite Schultern und – so weit man das unter den weiten Sachen erkennen konnte – ein durchtrainierter Körper, rundete alles ab. Lange hielt ich es nicht schweigend aus.
„Und was sind, eurer Meinung nach, meine so hoch wichtigen Fragen?“ Den bissigen Unterton bekam ich leider nicht ganz weg. Yanars Mundwinkel zuckten, sonst reagierte er überhaupt nicht. Erst bei dem Trainingsplatz der Ritter hielt er ein und setzte sich ächzend ins Gras, was ich ihm ungeduldig nachtat.
„In dir brodeln so einige Fragen. Warum bin ich hier? Warum gerade diese Gabe? Warum funktioniert sie nicht so, wie es sein soll? Stelle ich mich nur blöd an oder bin ich wirklich so dämlich? Kann mich bitte jemand aufwecken?!“ Als Sahinas Onkel mein entgeistertes Gesicht sah, lachte er laut auf. „Du bist nicht der erste Auserwählte, dem ich begegne, junger Lucian. Jedoch hoffe ich, dass du zur letzten Gruppe gehörst.
Ich bin nicht hier, um dich vorzuführen oder mit dir ein besonders Spezialtraining zu absolvieren. Vaskir und der noraylische König haben in dieser Hinsicht ganze Arbeit geleistet. Das Einzige, was ich möchte ist, dir einige Dinge klar zu machen. Und wie du diese dann nutzt, ist ganz deine Sache.“
Skeptisch schaute ich ihn an. Ich dachte ich bekäme einen privaten Lehrer im magischen Kampf. Stattdessen setzte man mir einen Psychologen vor die Nase!
„Und wie soll das Ganze ablaufen?“, fragte ich genervt.
„Ab jetzt werde ich dich jeden Tag nach dem Unterricht meiner Nichte abholen. Wir gehen spazieren und reden ein wenig. Wenn ich den Eindruck habe, dass es für den Tag reicht, beende ich den Unterricht und du kannst zu Garukt oder Arcir verschwinden, je nachdem wo dir gerade der Sinn steht.“
Die letzte Spitze überhörte ich geflissentlich und schüttelte entnervt den Kopf. Ich wollte lieber an meinem Dolch weiterarbeiten, als mit diesem Jedi-Verschnitt weiter abzuhängen. Mal davon abgesehen, dass ihn mein Privatleben absolut nichts anging.
„Und über was wollt ihr reden?“, gab ich mich geschlagen. Yanar wog den Kopf hin und her und schien zu überlegen.
„Wie wäre es, wenn wir die grundlegendsten Fragen nacheinander durchgehen? Die erste ist leicht beantwortet: Warum bist du hier? Eine göttliche Macht aus einer anderen Welt hat dich hierher geholt, um die unterdrückten Menschen zu befreien und der Tyrannei ein Ende zu setzen.
Warum gerade du und nicht der Typ von nebenan? Weil die besagte Macht tief in dein Innerstes geschaut und irgendetwas entdeckt hat, was dich zu etwas Besonderem macht. Was genau das ist, kriegen wir schon noch raus.
Warum gerade diese Gabe? Weil der noraylische König einen total an der Klatsche hat und irgendein Ritual erfinden ließ, um euch zu verwirren. Mit Magie warf er einen oberflächlichen Blick auf eure Fertigkeiten und wählte die, die am wenigsten ausgeprägt war. Eigentlich wollte er so eure natürliche Gabe unterdrücken und euch verunsichern. Stattdessen hat er euch besser trainiert, als es uns je möglich gewesen wäre und euch zu seinem schlimmsten Gegner geformt.“
„Moment“, unterbrach ich ihn matt. Von so vielen Informationen schwirrte mir schon jetzt der Kopf. „Sahina meinte, dass alle Auserwählten jede Gabe beherrschen und nur eine lediglich mehr ausgeprägt ist.“
„Stimmt“, pflichtete Yanar mir bei. „Aber bei vier Sachen wird es immer eine geben, die einem weniger Spaß macht, als die Anderen. Ein Beispiel: Jemand kann gut mit Zahlen umgehen, rechnet schnell und führt gerne Buchhaltung. Ein Anderer kann dafür gut mit Wörtern umgehen, schreibt Bücher oder Gedichte, dass einem das Herz aufgeht. Aber das einer beides gleich kann, ist selten. Das ist auch ganz natürlich. Niemand kann in Allem perfekt sein.“
Gut. Soweit hatte ich verstanden. Aber wirklich weiter brachte es mich nicht. Als von mir nichts weiter kam, setzte Yanar seine Ausführungen fort.
„Überspringen wir die nächste Frage und kommen gleich zu den beiden Letzten. Bist du blöd oder stellst du dich dämlich an? Weder noch, sonst wärst du nie in der Lage gewesen, mich an die Wand zu fesseln. Und: Kann mich bitte jemand aufwecken?“ Sahinas Onkel beugte sich vor und kniff mir kräftig in den Oberarm. „Nein, denn du bist schon wach.“
Das laute ‚AUA‘ wollte mir nicht von den Lippen, dafür wiedermal meine Faust in sein Gesicht. Doch der Typ redete einfach weiter, als sei nichts geschehen.
„Bleibt nur noch die alles entscheidende Fragen offen: Warum funktioniert deine Gabe nicht so wie sie sollte?“ Auffordernd schaute er mich an, also mühte ich mir eine lahme Antwort ab.
„Weil ich eigentlich Krieger und nicht Magier werden sollte?“
„Falsch. Du kannst alles werden, was du möchtest und somit würde sich jede Gabe gleichstark bei dir ausprägen. Eine jedoch mehr als die drei Anderen. Dir hingegen verschließt sich eine komplett beziehungsweise tritt so willkürlich auf, dass du davon selbst überrascht bist oder es gar nicht merkst. Nur warum?“
Wieder dieser auffordernde Blick, worauf ich nichts zu erwidern hatte.
„Fangen wir ganz von vorne an. Wann funktionierten bisher deine Zauber?“
Okay, da musste ich nicht lange überlegen.
„Wenn ich Angst hatte“, antworte ich deshalb. Dieses Mal war es Yanar, der mich verblüfft anschaute.
„In was für Situationen?“, fragte er weiter. Ich zuckte hilflos mit den Schultern.
„Als meine Freunde in Gefahr waren oder ich. Oder jemand, der mir etwas bedeutet.“
Die Augen meines Gegenübers verengten sich.
„Arcir“, murmelte er und musterte mich intensiv.
Ich reckte trotzig mein Kinn. Was in mir vorging, würde ich ihm bestimmt nicht auf dem Silbertablett servieren. Dann entspannte er sich wieder und begann erneut zu erklären.
„In dieser Welt basiert Magie auf Emotionen. Es ist sehr gut, dass du meine Frage von vorhin passend beantworten konntest. Die meisten gestehen sich diese Gefühlsregung nicht ein und sagen lieber, dass sie jemand beschützen wollten oder wenn sie angegriffen werden.
Aber kein Beschützerinstinkt lässt Magie fließen, sondern die Angst, jemanden zu verlieren. Allerdings gibt es noch mehr Emotionen beziehungsweise Gefühle. Freude, glücklich sein, sich wohl und geborgen fühlen, Zuneigung, Liebe. Und natürlich die passenden Gegenteile: Hass, Einsamkeit, Wut. Zusammen betrachtet ist kein Gefühl davon schlecht. Man braucht nur eine für sich ausgewogene Mischung. Diese dann in die richtige Bahn zu lenken, ist nicht mehr weiter schwer.“
Super, toller Tipp.
„Und wie soll ich das bitteschön anstellen? Muss ich mich jeden Tag mit Jemandem prügeln, um richtige Magie wirken lassen zu können?“
Yanar lachte laut auf.
„Du könntest auch ständig mit jemandem schlafen. Das käme aufs Gleiche, wäre aber um einiges angenehmer.“
Sahinas Onkel zwinkerte mir keck zu, worauf ich glatt etwas rot wurde. Klar sah er gut aus und besaß auch dieses gewisse Etwas, was näher erforscht werden wollte. Trotzdem hatte ich absolut kein Interesse. Mein Herz war längst an einen jungen Laidarer vergeben, der launischer als das Meer war.
„Du solltest dir nur über einige Dinge klarer werden, besonders was Arcir und dein Herz betrifft.“
Verwirrt über diese Dreistigkeit, starrte ich Yanar an, doch der schaute in eine andere Richtung. Schnaubend folgte ich seinem Blick und erkannte meinen Laidarer, wie er mit Juli in einen schnellen Kampf verwickelt war. Sofort setzte das altbekannte Kribbeln ein und so merkte ich erst nicht, wie Sahinas Onkel näher rückte.
Erst als er mir seitlich leicht über die Halsbeuge streichelte, wandte ich mich abrupt um und sah ihn entsetzt an. Keine Ahnung was genau er davon falsch deutete, aber auf einmal stieß er mich um und presste seine Hände schwer auf meine Schulter. Ich fühlte mich komplett überrumpelt und wie festgenagelt. Yanars Haare kitzelten meine Wange und er kam mir so nahe, dass sich fast unsere Nasen berührten.
„Lerne dich selbst zu verstehen und akzeptiere, was in dir vorgeht. Dann fließt die Magie von ganz allein“, hauchte er verführerisch und kam mir mit seinen Lippen immer näher.
Was für eine scheiß Lektion. Das einzige, was gerade in mir hochkam, war Abneigung und leichte Panik. Und das Mittagessen von gestern. Kaum hatte ich das festgestellt, begann meine Kraft zu wirken. Mit einem heftigen Windstoß stieß ich den Aufdringling von mir runter und warf kleine Feuerbälle nach, die seinen Umhang in Brand setzten. Fluchend warf er diesen zu Boden und trat die Flamen aus.
„Ganz schön heißspornig, junger Lucian“, lachte der Ältere und betrachtete dann Zunge schnalzend seinen Umhang. „Für den Anfang wirklich nicht schlecht. Jetzt muss es nur noch ohne äußerliche Stimulationen klappen und du wirst unbesiegbar. Die heutige Stunde ist beendet. Lauf lieber deinem Freund hinterher. Nicht dass ich hinter der nächsten Häuserecke einen Dolch im Rücken habe.“
Sahinas Onkel war ja schlimmer als ihr Schwager. Bei beiden blickte ich absolut nicht durch. Ich schaute zum Trainingsplatz hinüber, aber von Arcir war keine Spur. Juliana kam mir entgegen, drum ging ich auf sie zu.
„Was war denn das für eine schräge Nummer?“, fragte sie gleich und deutete auf Yanar, der gemächlich davonschlednerte. Schnaubend verdrehte ich die Augen und winkte ab.
„Hör mir bloß auf. Ich sollte mir meiner Gefühle klarer werden… Und um mich zu unterstützen, fängt der Freak an, mich zu begrabschen.“
Nachdenklich zog die Kriegerin die Stirn kraus.
„Arcir schien das genauso wenig gefallen zu haben wie dir. Als du zu Boden gedrückt wurdest, zitterte er vor angestauter Wut.“
„Aber ich habe den Typen doch weggestoßen und abgefackelt!“, sagte ich aufgebracht zu meiner Verteidigung.
„Keine Ahnung, ob er das noch mitgekriegt hat. Als das Spektakel vorbei war und ich mich umdrehte, war der Kleine schon weg.“
Entschuldigend sah Juli mich an und verabschiedete sich dann von mir. Schließlich musste sie sich einen neuen Trainingspartner suchen, denn die Anforderungen ihres neuen Meisters waren enorm hoch, weswegen sie alle Hände voll zu tun hatte, beim Unterricht mitzukommen.
Wie bestellt und nicht abgeholt stand ich da und schlang die Arme fröstelnd um meinen Körper. Es begann zu nieseln und das entfernte Donnergrollen kündigte noch schlechteres Wetter an. Trotzdem musste ich Arcir finden. Ich wollte nicht, dass er wegen eines Missverständnisses auf mich sauer ist.
Als es zum Abend dämmerte, gab ich fast auf. So groß war die Stadt nun auch wieder nicht, dass er sich komplett verkriechen könnte. Aber nirgendwo spürte ich seine Anwesenheit. Mittlerweile goss es wie aus Eimern und die dunklen Wolken ließen es früher Nacht werden. Ein jeder verschloss Fenster und Türen und machte seinen Hof so gut es ging wetterfest.
Selbst Sahina machte sich langsam Sorgen und Kalen wollte nach seinem Bruder einen Suchtrupp ausschicken. Da fiel mir etwas ein. Schnell versicherte ich dem Medium und ihrem Gatten, dass ich wüsste, wo Arcir steckte und ich mich sofort auf den Weg zu ihm mache. Da alle Anderen durch das Unwetter gebunden waren, gab mir Kalen eine ruhige Stute und ließ mich ohne Weiteres ziehen.
Ich würde meine Klassenkameraden per Telepathie auf dem Laufenden halten, was dem Krieger zwar nicht beruhigte, aber etwas milder stimmte. Also ritt ich im strömenden Regen zu der Lichtung, die Arcir mir letzte Nacht gezeigt hatte. Im Wald wurde ich immer langsamer, da im Dunkeln alles gleich aussah.
Frierend beugte ich mich nach vorn und streichelte dem Pferd über dessen Hals, als es nervös zu tänzeln begann. Die Angst des Tieres konnte ich gut nachvollziehen. Der Sturm war direkt über uns und schüttelte das Geäst durch, dass es gefährlich knirschte. Mich würde es nicht wundern, wenn jeden Augenblick ein Baum umstürzte. Verdammter Mist, Arcir! Wo steckst du nur?!
Auf einmal kamen mir Yanars Worte in den Sinn. Durch Gefühle konnte ich Magie beschwören und momentan platzte ich vor Sorge um meinen Laidarer. Ich hatte definitiv Angst, Angst ihn nicht zu finden, Angst nicht rechtzeitig da zu sein, Angst ihn zu verlieren. Okay, der erste Schritt war getan, ich war mir der Gefühle bewusst.
Mit klopfendem Herzen beschwor ich eine wallnussgroße Kugel, die hell in meiner ausgestreckten Hand leuchtete.
„Bitte - bitte!!! – führe mich zu Arcir“, flehte ich sie an, worauf diese sofort davonstob.
Verdutzt blickte ich ihr hinterher, bevor ich mich wieder fasste und dem Pferd die Sporen gab. Und tatsächlich. Nach wenigen Minuten stand ich auf der Lichtung und die Kugel schwirrte um Arcirs Kopf, als würde sie einen Freudentanz aufführen. Dann schnellte sie auf mich zu und hielt vor mir inne, bis sie erlosch.
Deutlich erkannte ich den verwunderten Blick meines Laidarers, als er mich erkannte. Doch dann verzog sich sein Gesicht, als er mir ein Wort aus Leibeskräften entgegen brüllte:
„Verschwinde!!!“
Entsetzt stand ich wie angewurzelt da und starrte ihn an. Hatte ihn die Situation wirklich so gekränkt? Aber als sich meine Nackenhaare aufstellten und von Gefahr kündigten, schaute ich zur Seite und entdeckte den riesigen Waran, der vom Blitz hell erleuchtet, langsam auf uns zutrottete.
Das war das beschissenste Déjà-vu seit Monaten. Wieder flogen Stöcke und Steine. Wie verrückt geworden schrie Arcir das Vieh an und lockte es somit zu sich, von mir weg. Doch der Laidarer vergaß, was seither aus mir geworden war. Denselben Fehler wie damals würde ich bestimmt kein zweites Mal machen.
Mit erschreckender Leichtigkeit beschwor ich zwei fußballgroße Feuerbälle und schleuderte sie dem Drachen entgegen. Aber außer dass er, von der Wucht getroffen, zwei Schritte beiseite machte und der nebenstehende Baum in Flammen aufging, passierte nichts.
Wenigstens konnte ich nun die Lichtung besser überblicken. Wenn dieses Vieh wirklich eine Art Drache war, dann machte ihm Feuer nicht viel aus. Also beschwor ich Luftwirbel, die ihn ordentlich durchschütteln sollten. Aber das Tier zerbiss sie, als hätte er nach lästigen Fliegen geschnappt.
Arcir versuchte indes, an dem See vorbei zu mir hinüber zu gelangen, musste dazu allerdings zu nahe an dem riesigen Waran vorbei. Der witterte sofort seine Chance und schnappte nach meinen Laidarer. Nur ganz knapp schaffte der Kleinere es, unter dem länglichen Maul abzutauchen und den scharfen Zähnen zu entkommen.
Ich beschwor derweil eine Wasserfontäne und warf diese dem Untier entgegen. Dann rannte ich zu Arcir und half ihm auf. Wir mussten hier endlich weg, und zwar schnell. Suchend schaute ich mich um und entdeckte ein schwaches Licht oberhalb der Felswand über dem See. Eine Höhle! Da hatte sich Arcir also versteckt.
„Los! Da rauf! Sofort!“, brüllte ich dem Laidarer entgegen und deutete in die Richtung.
Dieser nickte verstehend und gemeinsam rannten wir zum Felsen. Der Drache hatte sich von meinem letzten Angriff schnell erholt und stapfte schnaufend hinter uns her. Der Weg nach oben war so schmal, dass das Tier ständig am Hang abrutschte und so hoffte ich auf meine Chance.
Die drei anderen Elemente hatten nicht viel bewirkt, weswegen ich meine ganzen Hoffnungen in das übrig gebliebene setzte. Als das Vieh uns zu nahe kam, nahm ich lediglich eine Handvoll Dreck vom Boden und warf es dem Waran direkt in die Augen und Nüstern. Brüllend blieb das Tier stehen und versuchte sich unter Niesen den Staub mit seinen kurzen Vorderpfoten aus den Augen zu wischen. Das verschaffte uns so viel Zeit, bis zu der Höhle zu gelangen.
Während Arcir hineinrannte und in eine Richtung deutete, in der ich ihm folgen sollte, blieb ich draußen stehen und sprach einen Zauber. Gestein wuchs aus dem Boden bis zur Decke und bildete so ein dickes Gitter, damit weder Arcir hinaus, noch der Drache hineingelangen konnte.
Irgendwie würde ich dieses Vieh schon besiegen. Aber mir war lieber, wenn mein Laidarer in Sicherheit war und ich mich nicht um ihn sorgen musste. Dieser blieb abrupt stehen und starrte auf die steinernen Gitterstäbe.
„Nein… NEIN! Lucian! LUCIAN!!!“
Brüllend warf er sich dagegen oder versuchte, sich zwischen den Stäben durchzuquetschen, ohne Erfolg. Kurz ging ich zu ihm hin und nahm beruhigend seine Hand in meine.
„Bitte Arcir, vertrau mir“, sagte ich sanft und küsste seine Finger.
Traurig schaute er mich an und schüttelte ungläubig seinen Kopf. Dann wich er ein paar Schritte zurück. Und als ich den warmen Atem im Nacken spürte, wusste ich auch warum. Langsam drehte ich mich um, nur zu gut wissend, dass das Vieh direkt hinter mir stand.
Meine Gedanken überschlugen sich regelrecht bei der Suche nach einem passenden Zauber. Zwar wusste ich nun, dass es Erde nicht mochte, aber den halben Berg zerstören wollte ich auch nicht. Zumal Arcir darin Schutz suchte. Doch als ich mich umwandte und direkt den Drachen ansah, runzelte ich die Stirn.
Schaute der etwa belustigt auf mich hinab? Nun, da mein Blick geschärft war, nahm ich die kupferfarbene Aura wahr, die träge um das Wesen waberte. Weder erkannte ich darin etwas böses, noch einen fremden Zauber. Eher schlug mir Wohlwollen und Anerkennung entgegen.
War das etwa wieder ein Test, nur dieses Mal von höherer Ebene? Wenn ja, um was ging es dabei? Wie ich am schlechtesten Zauber gebrauchte? Seufzend streckte ich die Hand nach dem Drachen aus und streichelte ihm über die Nüstern, was er mit einem genüsslichen Grunzen quittierte.
„Was wollt ihr mir bloß sagen?“, murmele ich gedankenverloren.
Als hätte das Tier mich verstanden, schüttelte es seinen gesamten Körper, dass das Wasser um ihn herum nur so spritzte. Dann stupste er mich mit seinem Maul an und züngelte kurz über mein Gesicht, als wolle er mich beruhigen. Und mit dem nächsten Blinzeln war er einfach weg. Verwirrt wischte ich mir den Regen aus den Augen und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Aber der Drache blieb weiterhin verschwunden.
Kopfschüttelnd ließ ich die steinernen Gitterstäbe verschwinden und betrat die Höhle. Langsam fiel die Anspannung von mir ab und somit spürte ich jeden Knochen, inklusive der kalten Nässe, die sich längst durch meine dünne Kleidung gefressen hatte. Aber anstatt Erholung, erwartete mich eine Faust, die mich hart im Gesicht traf. Ich taumelte zur Seite, stolperte über meine eigenen Füße und landete unsanft auf meinen Po.
Eigentlich wollte ich zu einem bösen Fluch ansetzen, doch als ich zu Arcir aufschaute, blieb mir jedes einzelne Wort im Hals stecken. Die Hände fest zu Fäusten geballt, starrte er wütend auf mich hinab und zitterte am ganzen Körper. Fast glaube ich, es in seinen Augen verräterisch glitzern zu sehen.
Sofort war ich wieder auf den Beinen und zog Arcir in meine Arme. Zwar wehrte er sich vehement, doch ein harmloser Kuss ließ jegliche Gegenwehr ersterben. Seine süßen Lippen auf meine, sein warmer Körper so nah, sein Duft… Alles berauschte mich wie eine neumodische Droge. Ich zwang mich regelrecht, etwas von ihm abzurücken und schaute ihn liebevoll an.
„Tut mir leid“, meinte ich sanft und strich ihm zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn.
Kurz senkte der Laidarer die Lider und fast glaubte ich, dass er seine Wange in meine Hand schmiegen wollte. Doch dann schien er sich an etwas zu erinnern, riss die Augen wieder auf und scheuerte mir eine, dass es laut klatschte. So etwas wie ‚Idiot‘ murmelnd, stapfte er tiefer in die Höhle, um eine Biegung, wo ein kleines Feuer munter vor sich her knisterte.
Mit trockenem Moos und Blättern samt zwei Decken, hatte er sich ein kleines Nachtlager gerichtet, auf das er sich nun niederließ. Schmunzelnd gesellte ich mich zu ihm ans Feuer und streckte wärmesuchend meine Hände aus. Nun, da die ganze Anspannung vorbei war, merkte ich, wie mir schnell kalt wurde.
Es dauerte nicht lange und ich saß zähneklappernd da, mit knurrendem Magen. Arcir schüttelte missbilligend den Kopf und warf mir kurz darauf etwas getrocknetes Obst und eine seiner Decken hinüber. Dann schälte er sich aus seinen nassen Sachen und hängte diese zum Trocknen auf, was ich ihm gleich nachtat. Eingewickelt in grober Wolle, saßen wir beide da, nur noch mit Lendenschurz bekleidet und starrten in die Flammen. Irgendwann wurde der Drang, mich dem Laidarer zu erklären, überwältigend.
„Arcir ich ...“, seufzend sah ich ihn an, wohl wissend, dass er kein einziges Wort verstand.
Also nahm ich zwei Stöcke, benannte beide mit Namen und kickte den Yanar-Stock ins Feuer. Arcir musterte mich mit gerunzelter Stirn, als sei ich nicht ganz dicht. Grummelnd warf ich den anderen Stock hinterher und versuchte nach ein paar Minuten erneut mein Glück. Klar wusste ich, dass der Laidarer nicht meine Sprache sprach, aber trotzdem musste ich einige Dinge loswerden, die mich innerlich immer mehr belasteten.
„Hör mal“, begann ich also. „Ich wollte dich mit dem Einsperren nicht kränken. Glaub mir, mir ist überdeutlich bewusst, dass du dich selbst sehr gut wehren kannst“, meinte ich schmunzelnd und strich sacht über meinen warm pulsierenden Wangenknochen. Wenn das mal nicht blau wird.
Arcir stand daraufhin auf, nahm ein handtellergroßes Stück Moos und befeuchtete es mit Regenwasser. Dann kniete er sich vor mir nieder und legte es vorsichtig auf die wunde Stelle im Gesicht. Mit klopfendem Herzen suchte ich nach seinem Blick und als dieser mich endlich traf, scheuchte er einen ganzen Schwarm Schmetterlinge in meinem Bauch auf. Sanft legte ich meine Hand auf seine und hielt so lange wie möglich den Kontakt aufrecht, bis er ihn mit rötlich gefärbten Wangen unterbrach.
„Aber bitte“, setzte ich meinen Monolog fort. „Lauf nie wieder vor mir weg. Dann lieber schrei mich an, wenn dir irgendwas nicht passt oder geh auf mich los, wie vorhin. Somit weiß ich wenigstens was Sache ist und woran ich bin. Nicht zu wissen, wo du steckst und ob es dir gut geht, war die Hölle.“ Langsam, um ihn nicht zu verschrecken, nahm ich seinen Kopf in beide Hände und lehnte meine Stirn an seine.
„Du bedeutest mir viel, Arcir. Mehr als mir selbst bewusst war“, hauchte ich und ließ ihn nach ein paar Sekunden los, damit ich ihm nicht all zu sehr bedrängte.
Der Laidarer schien verwirrt zu sein und vermied es, mir in die Augen zu schauen. Er drückte mir das Stück Moos in die Hand und bedeutete mir, es auf meine Wange zu legen. Dann setzte er sich wieder auf seinen Platz mir gegenüber, das Feuer zwischen uns, und raffte die Decke enger um seine Schulter. Ich war mir ziemlich sicher, dass Arcir mindestens ein Teil meiner Ambitionen verstanden hatte. Aber ob ihm dies gefiel, das wusste ich nicht.
Es verging eine ganze Weile, die ich leer in die Flammen blickend verbrachte. Der Laidarer hatte sich längst hingelegt und schlief. Ich hingegen bekam kein Auge zu. Zwar war mein Körper schlapp und müde, aber meine Gedanken liefen auf Hochtouren. Erst die Sache mit dem Drachen, dann Arcir und zum Schluss dieser Yanar. Letzteren konnte ich absolut nicht ab. Dummerweise behielt er mit allem, was er sagte, Recht. Musste denn immer alles so verworren und kompliziert sein?
Ein leises Geräusch holte mich aus meinen Grübeleien. Ruhig lauschte ich über das Knistern des Feuers hinweg in die Nacht. Das hörte sich doch an wie… Ungläubig musterte ich Arcir, der zähneklappernd auf seinem Lager lag und schon blaue Lippen bekam. Ja spinn ich?!
Fluchend stand ich auf, ging um das Feuer herum und legte mich neben ihn wieder hin. Noch eher er etwas sagen konnte, breitete ich meine Decke über uns aus, krabbelte unter seine und zog ihn so dicht wie nur möglich an mich heran, sodass sich Arcirs Rücken an meine Brust presste.
„Still!“, schnauzte ich ihn an, als er einen Protest abgeben wollte.
Wie konnte ein einzelner Mensch nur so dickköpfig sein? Lieber erfror er heimlich, als einmal den Mund aufzumachen. Die Haut des Laidarers war so eiskalt, dass es mir selbst eine Gänsehaut bescherte. Wärmend schlang ich meinen Arm um seine Brust und legte meine Hand auf seinen Oberarm ab. Ich verkniff es mir sogar, meine Nase in seine Haare zu vergraben, um ihn nicht all zu sehr zu überrumpeln.
„Schlaf!“, befahl ich sanft und merkte, wie Arcir sich nach und nach entspannte und dessen Atem immer regelmäßiger wurde. Erst dann konnte ich loslassen, sandte ein knappes Bild an meine Klassenkameraden, das alles in Ordnung sei, und triftete ab in einen tiefen, erholsamen Schlaf.
Der nächste Morgen begann für mich mit einem zufriedenen Grinsen und einem überwarmen Körper neben mir. Mit dem Kopf hatte er sich so dicht an mich rangekuschelt, dass sein heißer Atem meine Brust kitzelte. Könnte ich ab jetzt bitte jedes Mal so wach werden?
Am liebsten wäre ich noch länger so liegen geblieben und hätte Arcir beim Schlafen beobachtet. Doch mein Arm begann unangenehm zu kribbeln und dank des anderen Mannes neben mir erwachten noch ganz andere Regionen aus ihrem Tiefschlaf. Also stand ich widerwillig auf. Ich wollte nicht, dass sich mein Laidarer bedrängt fühlt, schließlich hatte ich letzte Nacht genug Signale ausgesandt. Jetzt war es an ihm, diese zu erwidern, oder halt nicht.
Mich genüsslich streckend, tapste ich nach draußen und atmete tief die kühle Morgenluft ein. Das nächtliche Unwetter hatte sich gänzlich verzogen und der nun wieder blaue Himmel kündigte einen warmen Tag an. Die letzten Anstrengungen lagen mir noch tief in den Knochen, weswegen ich beschloss, mir ein erfrischendes Bad im See zu gönnen.
So glasklar wie das Wasser ausschaute, so kalt war es auch. Nach guten fünf Minuten war ich putzmunter und auch die letzte Müdigkeit vertrieben. Mit Hilfe von Magie angelte ich zwei Fische zum Frühstück und ging zurück zur Höhle. Arcir richtete sich gerade vom Lager auf und fuhr sich verschlafen durch die Haare. Wusste er eigentlich, wie sexy er dabei ausschaute?
„Hunger?“, fragte ich grinsend und präsentierte ihm meinen Fang, während seine Augen immer größer wurden.
Grob trocknete ich mich ab und schlüpfte in meine Sachen, die zum Glück mittlerweile trocken waren. Die bohrenden Blicke meines Laidarers spürte ich überdeutlich in meinem Rücken und ließen mich etwas verunsichern. Traute er mir immer noch so wenig zu, dass er jetzt so überrascht war wegen des Essens?
Oder konnte ich der leisen Stimme glauben, die mir schmeichelnd ins Ohr flüsterte, dass der Andere von meinem halbnackten Körper geplättet war? Mein Verstand verpasste mir eine kräftige Kopfnuss und rief mich zur Räson. Nur nichts voreilig hineininterpretieren und geduldig abwarten.
Wie ein Mantra betete ich das vor mir her und gesellte mich zu Arcir, der angekleidet vor dem neu entfachten Feuer saß und unser Frühstück zubereitete. Es war zwar kein Drei-Gänge-Menü, trotzdem schmeckte es köstlich, was wohl auch an meinem Laidarer lag, der mir ständig verstohlene Blicke zuwarf. Mir war fast so, als würde er auf irgendetwas warten.
Seine Anspannung war deutlich zu sehen und jedes Mal, wenn sich unsere Augen trafen, war es so, als würden Funken sprühen. Bildete ich mir dieses Knistern zwischen uns wirklich nur ein? Als wir begannen zusammenzupacken, wirkte Arcir immer gehetzter und kaute nervös auf der unteren Lippe. Irgendwann wurde es mir zu bunt. Im vorbeigehen schnappte ich ihn und drehte ihn an den Schultern haltend zu mir. Sanft umfasste ich sein Kinn und zwang ihn, mich anzuschauen.
„Hör auf damit!“, mahnte ich liebevoll und strich mit dem Daumen über seine Lippe.
Der Laidarer holte hörbar Luft und sah mich dermaßen verlangend an, dass ich mich kaum zurückhalten konnte. Dieser Kerl trieb mich noch echt in den Wahnsinn. Zögerlich nahm er meine Hand in seine und kam mir langsam immer näher. Sein intensiver Blick brachte mich komplett um den Verstand und die Gier, endlich seine Lippen zu kosten, war übermächtig.
Doch noch bevor sich unsere Münder berührten, drang ein Wiehern von der Lichtung zu uns hoch und ich hörte Juli nach uns rufen. Kichernd legte Arcir seine Stirn an meine und atmete dann tief durch. Was für ein beschissenes Timing. Verständnisvoll lächelnd schnappte er sich meine Hand und zog mich hinaus ins Freie.
Mit einem hohen Pfiff machte er die kleine Gruppe auf uns aufmerksam, die aus Phil, Juli, Kalen und Yanar bestand. Als mein Laidarer Letzteren entdeckte, versteifte er sich sofort und ließ mich los. Bevor Arcir missmutig zu den Anderen hinunter stapfte, hielt ich ihn kurz auf und schaute ihn fragend an.
Das Knistern von vorhin lag noch überdeutlich in der Luft, war nun allerdings von Unsicherheit überschattetet. Hilflos ließ ich ihn ziehen und nahm mir fest vor, Sahinas Onkel zur Rede zu stellen. Es musste schließlich irgendeinen Grund geben, warum der Laidarer so heftig auf die Nähe des Anderen reagierte.
Der Rückweg gestaltete sich still und angespannt. Als meine Klassenkameraden meine düstere Miene sahen, ersparten sie sich jeglichen Kommentar, wofür ich sehr dankbar war. Kalen versuchte mit Arcir zu reden, der aber schwieg verbissen. Bei den Stallungen in Bagkar angekommen, stiegen wir von den Pferden ab. Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich Yanars Annäherung zuerst nicht registrierte, bis er von hinten die Arme um mich schlang.
„Du hast mir ganz schön Sorgen bereitet“, säuselte er mir ins Ohr.
Erschrocken und angeekelt zugleich, rammte ich ihm den Ellenbogen in den Magen und konnte gerade noch so meine Faust ablenken, dass sie nicht Yanars Gesicht traf, sondern nur dessen Schulter.
„Komm mir noch einmal zu nahe und ich werd mich nicht mehr zurückhalten“, fauchte ich wütend, worauf lediglich die Augen des Älteren belustigt aufblitzten.
„Na das will ich doch hoffen“, gab er zweideutig zurück und verschwand augenzwinkernd nach draußen.
„Freak“, murmelte ich kopfschüttelnd und suchte Arcir, der wieder einmal verschwunden war.
Aufmunternd legte Juli mir ihre Hand auf die Schulter und bedeutete mir dann ihr zu folgen. Gemeinsam mit Phil betraten wir Sahinas Empfangszimmer, wo das Medium mit Shawn und Tarin über einer Landkarte brüteten.
„Ah, gut dass ihr zurück seid. Ein Späher berichtete von noraylischen Eindringlingen. Sie verfolgen einen unserer Spione, der enttarnt wurde, über diese Straße.“ Sie winkte uns sofort näher und deutete auf ein paar Punkte auf dem Pergament. „Es scheint, als würde die Gruppe direkt auf Bagkar zuhalten. Hätte uns dieser Spion nicht geholfen, wären die noraylischen Soldaten vor sieben Jahren über uns hergefallen wie Heuschrecken, trotz Yanars… ‚Unterstützung‘.“
Nicht nur ich bemerkte das Stolpern bei Sahinas Ausführungen. Was hatte es nur mit diesem Typen auf sich?
„Mal davon abgesehen, dass wir es ihm einfach schuldig sind, trägt er wichtige Informationen bei sich, die wir dringend für unser weiteres Vorgehen benötigen.“
„Außerdem wäre es für uns ein super Probedurchlauf“, sagte Shawn und glühte regelrecht vor Tatendrang. „Besser wir überprüfen jetzt, wie weit wir wirklich sind, als wenn es dann zu spät ist.“
Mit einem mulmigen Gefühl musterte ich meine Klassenkameraden, die mich erwartend ansahen. Ich hasste diese Anführernummer. Trotzdem war mir schon nach den ersten Worten Sahinas klar, was zu tun war. Der Spion brauchte dringend Hilfe, genauso wie wir Übung. Und besser wir testeten uns an einer kleinen Gruppe, als gleich an einer ganzen Armee.
„Also gut“, nickte ich und studierte die Karte eingehender.
Die Anderen rückten näher und schauten gebannt auf das Pergament. Wie Tarin erklärte und Shawn übersetzte, war der feindliche Trupp bis in den Wald kurz vor Bagkar vorgedrungen und dem Spion dermaßen dicht auf den Fersen, dass dieser sein Pferd im Galopp über die Straße jagte. Jede Minute war also kostbar.
Der Grenzführer hatte längst passende Pferde satteln lassen und ich bat ihn lediglich um zwei weitere seiner Soldaten, die sich gleichsam gut im Gelände auskannten, wie er. Als wir kurz darauf aus der Stadt ritten, verwunderte es mich kaum, dass es Kalen und Arcir waren, die sich uns anschlossen. So schnell es uns möglich war, eilten wir über die Freifläche bis in den Wald, wo wir uns kurz darauf in zwei Gruppen aufteilten.
Es gab zwei Wege, die von dieser Richtung aus nach Bagkar führten und so ritt mindestens eine Gruppe dem Spion entgegen, während die Andere flankierend dazustoßen würde. So stoben Juli mit Shawn, Tarin und Kalen davon, während Phil und ich Arcir hinterhergaloppierten. Keine Ahnung ob es clever war, sich von meinen Klassenkameraden zu trennen, aber so standen wir wenigsten via „MMS“ in Verbindung und konnten die Verteidigung besser koordinieren.
Mit jedem Meter, den wir dem Feind entgegen kamen, desto stärker wurde dieses komische Gefühl, das sich immer mehr in mir ausbreitete. Vorfreude dem Gegner eins auswischen zu können, vermischte sich mit Lampenfieber und Angst, dass jemand verletzt werden könnte. Es war seltsam, aber zu wissen, dass Arcir dicht an meiner Seite war, beruhigte mich trotz allem ungemein.
Wir ritten eine ganze Weile in einem halsbrecherischen Tempo hinter dem Laidarer her, bis er uns bedeutete langsamer zu werden und nach rechts in einen schmalen Waldweg einbog, wo wir nur knapp hintereinander Platz hatten. Mir taten schon jetzt alle Knochen weh und vollkommen außer Atem war ich auch. Wie sollte es erst ausschauen, wenn es hart auf hart kam?
Auf einen Wink von Arcir hin, saßen wir ab und lauschten. Ich versuchte mentalen Kontakt zu Shawn herzustellen, aber irgendwie bekam ich kein richtiges Bild zustande, als würde jemand ein Störsignal senden. Die plötzlich auftauchende Gefahr erfasste ich jedoch sofort.
Mit einem Hechtsprung warf ich mich nach vorn, direkt gegen Arcir, der mit mir schnaubend zu Boden ging. In dem Baum, vor dem der Laidarer vor einigen Sekunden noch gestanden hatte, ragte ein fingerdicker Pfeil, den mein Kleiner mit riesigen Augen anstarrte. Zur selben Zeit registrierten wir die Kampfgeräusche. Philip war sofort bei uns und gemeinsam rannten wir zum Geschehen.
Dort schaffte ich mir schnell einen Überblick über die Lage. Eine vermummte Gestalt erwehrte sich gegen gleich zwei Soldaten, während Shawn und Juli krampfhaft versuchten, zu ihr vorzudringen. Doch immer wieder stellten sich ihnen neue Gegner in den Weg, die sie überwältigen mussten.
Die zwei Typen, die meine Klassenkamerden hinterrücks angreifen wollten, wischte ich mit einem Windstoß beiseite. Arcir lief brüllen zu seinem Bruder, der Rücken an Rücken mit Tarin gegen eine kleine Übermacht anging. Das war verdammt nochmal kein Trupp, sondern eine halbe Armee! Und immer wieder flogen uns Pfeile um die Ohren, feige aus dem Schatten abgeschossen, die allerdings um Meilen ihr Ziel verfehlten.
Tief atmete ich durch. Ich hatte meine Gefühle im Griff und konnte sie eindeutig benennen. Also los ging‘s! Da ich noch immer keine Lust auf Tote hatte, egal von welcher Seite, sammelte ich die Macht der Luft in mir und schleuderte einen Großteil der noraylischen Angreifer kraftvoll gegen den nächsten Baum, sodass diese bewusstlos liegen blieben. Als keine feindlichen Soldaten mehr aus dem Wald stürmten, zückte ich mein Schwert, um meine Freunde zu unterstützen.
Mit Magie bei einem Zweikampf dazwischen zu funken, traute ich mir einfach noch nicht zu, da ich zu sehr Angst hatte, gleichsam einen von meinen Leuten zu verletzen. Ich rannte zu Phil, da dieser arg mit seinem Gegner zu tun hatte und die vermummte Gestalt hinter ihm langsam an Kraft verlor.
Gerade noch rechtzeitig gelangte ich an seine Seite und wehrte einen Schlag ab, der dem Heiler den Kopf von den Schultern getrennt hätte. Dankbar nickte er mir zu, doch die Gestalt hinter uns hatte weniger Glück. Wir hörten nur noch ein gurgelndes Röcheln und sahen die Schwertspitze des Gegners aus ihrem Rücken, bevor sie tot zusammenbrach.
„Aaaaaaaahhhhh!!!!!“
Der markerschütternde Schrei von Shawn donnerte über den Weg und ließ alle für eine Sekunde innehalten. Dann wütete er wie ein Berserker. Durch diese seltsame Verbindung, die zwischen uns herrschte, übermannte mich ein innerer Schmerz, der mich kurz taumeln ließ.
Und trotzdem spürte ich deutlich, dass diese Empfindung durch den unbekannten Störsender erheblich gedämpft wurde. Warum nahm der Tod des Spions Shawn nur so mit? Er musste ihn kennen, aber woher?
Selbst unsere Freunde sprangen überrascht beiseite, damit der Redner sie nicht verletzte. Noch bevor dieser bei uns war, hatte sich Phil zu der Gestalt hinab gebeugt und knapp untersucht. Aber sein starres Gesicht und das mitleidige Kopfschütteln sagte alles. Selbst wir als Auserwählte konnten keine Toten wiedererwecken.
Als Shawn dies registrierte, fiel er kraftlos auf die Knie und selbst Tränen erkannte ich in seinen Augen. Was war hier nur los? Wimmernd nahm er den Oberkörper des Spions in seine Arme und schlug dessen weite Kapuze zurück.
„Was zum Henker…?“, murmelte der Redner und betrachtete die tote Zofe der noraylischen Königin. Anscheinend hatte er nicht dieses Gesicht unter dem teuren Umhang erwartet.
„Sie tat es für ihr Land und dessen Unterdrückung durch einen Tyrannen.“
In schlichter Waldkleidung trat Rayka aus dem Schatten der Bäume und musterte uns abschätzend. Trotz dass sie einen Bogen samt Pfeil auf der Sehne in den Händen hielt, spürte ich keine weitere Gefahr von ihr ausgehend. Langsam stand Shawn auf und starrte die Königin an, als wäre sie ein Geist. Dann hielt ihn nichts mehr an Ort und Stelle. Hastig sprang er auf und war mit wenigen Sätzen bei der jungen Frau. Fast schon grob riss er sie in seine Arme und presste sie fest an sich.
„Tu das nie wieder!“, rügte er sanft und überhäufte ihr Gesicht mit etlichen Küssen. Ich war nicht der Einzige, dem der Mund offen stehen blieb.
„So neugierig wie wir alle auch auf eure Geschichte sind, aber wir sollten hier schnellst möglich verschwinden. Ein frischer Trupp Soldaten hält direkt auf uns zu und ich weiß nicht, ob uns das Glück ein weiteres Mal hold ist.“
Juli richtete sich wieder auf und klopfte den Dreck von ihren Händen. Ich schob meine wirren Gedanken beiseite und versuchte mich zu konzentrieren.
„Ist jemand verletzt?“, fragte ich nach kurzem Zögern.
„Jetzt nicht mehr“, grinste Phil schief. Man sah ihm an, dass ihm der Tod des Mädchens wurmte, aber wie schon die Kriegerin sagte, hatten wir wenig Zeit.
„Gut. Dann lasst uns aufsetzen. Tarin, Kalen, ihr kennt die Wege am besten, ihr reitet also voraus. Dann Phil und gleich darauf Shawn mit ihrer Hoheit. Arcir folgt und Juli und ich bilden das Schlusslicht. Ich denke so sind wir alle gut verteilt“, ordnete ich an und die Anderen wollten dem auch nachkommen, als Rayka sich einmischte.
„Ich wüsste nicht, warum ich von jemand wie dir Befehle annehmen sollte. Zum Wohle meines Volkes würde ich mich der Ausnahme halber beugen – wenn Dahilias Leichnam mitgenommen wird.“
Ich glaubte echt, mich verhört zu haben. Was bildete die sich eigentlich ein, wo sie gerade stand?! Noch bevor ich zu irgendetwas ansetzen konnte, sprang Shawn dazwischen.
„Dahilias Körper würden sie genauso schänden, wie damals Zohra ihren. Außerdem glaubt der Gegner, die Königin getötet zu haben. Besser wir belassen es vorerst dabei.“
Okay, das waren für mich nachvollziehbare Argumente. So schnell es ging, banden wir den Leichnam auf ein Pferd, setzten selber auf und galoppierten Richtung Bagkar, bevor uns die noraylischen Soldaten doch noch einholten. Zum Glück kamen wir ohne weitere Probleme ans Ziel und fanden uns ohne Umwege bei Sahina ein.
Die beiden Frauen verbeugten sich respektvoll voreinander, dann wurde der noraylischen Überläuferin ein Platz dargeboten. Alle setzten sich auf die großen, bequemen Kissen in eine Art Kreis. Nur ich blieb stehen und musterte die Königin nachdenklich. Auf ihren Bericht war ich wirklich sehr gespannt. Und auf Shawns Erklärungsversuche.
„Es ist gut zu sehen, dass ihr wohlbehalten in Bagkar angekommen seid, trotz des hohen Verlustes auf eurer Seite“, begann Sahina höflich das Gespräch. Anscheinend wusste sie schon vorher, wer der Spion gewesen war.
„Und ich danke für euren Begleitschutz. Ohne sie hätte ich es bestimmt nicht geschafft“, antwortete Rayka und lächelte den Redner liebevoll an, der sanft ihre Hand drückte. „Umso betrübter bin ich, schlechte Botschaft übermitteln zu müssen.“
Sie überreichte dem Medium einen rechteckigen, ledernen Beutel, in dem etliche Papiere und Karten verstaut waren. Je länger Sahina den Inhalt durchschaute, umso größer wurden ihre Augen.
„Das ist…“ Erstaunt und erschrocken zugleich, blickte sie zu der Königin, die stolz ihr Kinn reckte.
„Das sind alle Aufzeichnungen, die ich zusammentragen konnte, bis man mir auf die Schliche kam. Stärke und Ausbildung der Soldaten, Kräfteschwerpunkte der Magier, geplante Taktiken und Vorgehensweisen bei der Einnahme der heiligen Stätte.“
Wow, da hatte die Spionin ganze Arbeit geleistet. Zuerst überlegte ich noch, warum das schlechte Nachrichten sein sollten, als Tarin und Kalen beim Überfliegen der Zahlen ganz blass wurden. Im Gegensatz zur letzten Schlacht, hatte sich die Größe der Armee verdoppelt. Das Shawn noch immer für mich übersetzen musste, schien Rayka überhaupt nicht zu passen.
„Zu Beginn der Aufrüstung, kurz nach Auftauchen der Auserwählten, war es ganz leicht die Aufzeichnungen zu kopieren, schließlich war der König mit andern … Dingen … beschäftigt“, erklärte sie viel zu arrogant, als dass es nebensächlich klang, und schaute direkt zu mir.
Wie oft musste ich mich dafür eigentlich noch entschuldigen und warum blieb der Redner verschont? Er hatte schließlich genau den gleichen Mist gebaut wie ich! Natürlich beließ sie es nicht bei der kleinen Stichelei und wurde direkter.
„Es ist eine Schande, dass so etwas wie du zum Anführer der Auserwählten benannt wird, der es noch nicht einmal schafft, den Sprachenzauber der Götter auf sich wirken zu lassen!“
Bitte was??? Wütend funkelte ich die junge Frau an.
„Ja, ich habe Mist gebaut und diesen schon tausend Mal bereut. Aber ich kann nichts mehr rückgängig machen, nicht dass es euch etwas angehen würde. Und davon mal abgesehen, bemerkte ich meinen Fehler nach knapp vierzehn Tagen. Ehm … Wie lange sagtet ihr, seid ihr vermählt?“
Auch ich konnte bissig sein, wie die letzte Anspielung bewies. Vor Empörung schnappte Rayka nach Luft und sprang auf die Beine.
„Als ob ein Grünschnabel wie du davon Ahnung hätte, was ich alles durchmachen musste!“
„Nein, dass habe ich nicht und auch nie behauptet. Nur wisst ihr im Gegenzug nicht, warum ich was tat und wie ich mich dabei beziehungsweise danach fühlte. Bei allem nötigen Respekt, eure Hoheit“ Ich spie das Wort regelrecht aus. „Aber auch ihr solltet euch im Zaum halten!“
Die Königin wurde erst blass, dann rot vor Zorn. Sie wollte schon mit einer weiteren Hasstirade anfangen, als sie sich vor Schmerz verkrampfte und die Arme um ihren Körper schlang. Shawn half ihr sofort, sich wieder hinzusetzen, und noch ehe die Noraylierin protestieren konnte, checkte Phil sie magisch durch. Daraufhin blickte sie erschrocken den Heiler an, der ungläubig zurückstarrte.
„Der Aufbruch der feindlichen Arme scheint nicht der einzige Grund für eure Flucht zu sein“, meinte Phil auffordernd und gab der jungen Frau die Möglichkeit, sich selbst zu erklären. Ängstlich blickte sie zu Shawn, der immer nervöser wurde. Dann holte sie tief Luft und warf die Antwort einfach so in den Raum.
„Ich bin schwanger.“
Drückende Stille herrschte für ein paar Minuten, in denen die Königin ihren Liebsten mit angehaltenem Atem anschaute. Dieser nahm von seiner Freundin beide Hände in seine und küsste sie.
„Dafür, dass dieser Widerling dich angefasst hat, werde ich ihn töten. Nicht für dein unterdrücktes Volk und auch für keinen Laidarer, sondern aus purer Rache.“ Es war beängstigend, wie ruhig und überzeugt das mein Klassenkamerad sagte. „Doch was das Kind betrifft“, fuhr er fort. „Es wächst in dir, in deinem anbetungswürdigen Laib. Also werde ich es genauso lieben, wie ich dich liebe.“
„Sie“, hüstelte Phil dazwischen, weshalb beide ihn fragend anschauten. „Ein Mädchen … es wird ein Mädchen.“
Rayka fühlte sich dadurch nur noch mehr verunsichert, während Shawn wie ein Honigkuchenpferd grinste.
„Ein … Mädchen!“ Überschwänglich wirbelte er die Königin durch die Luft und drückte ihr unverblümt einen Kuss auf die Lippen. „Wir nennen sie Akyra, so schön wie ihre Mutter und ich bringe ihr Fußball bei.“
Von so viel Freude überrumpelt, fiel Rayka schwach auf die Kissen, ohne die Kraft zu haben, weiter ihre Tränen zurückhalten zu können.
„Du … du würdest ein fremdes Kind als dein eigenes großziehen?“, fragte sie ungläubig.
„Das hatte ich nicht vor“, entgegnete der Redner ernst und kniete sich vor ihr ab. „Heirate mich!“
„WAS?!“
„Wenn alles vorbei ist, die große Schlacht überstanden und du darüber gründlich nachgedacht hast, heirate mich! Werde zu meiner Gemahlin UND meiner Gefährtin! Dann gehört mir alles, was dir gehört. Also werde ich automatisch der legitime Vater unseres Kindes.“
Rayka konnte ihre Fassungslosigkeit kaum noch kompensieren und schniefte immer mehr. Vor allem, als Phil sich abermals einmischte.
„Bist du auch so, Shawn.“
„Sprich klarer!“, mahnte der Redner, genervt von dem Rumgedruckse des Heilers.
„Na ja.“ Verlegen kratzte sich mein Klassenkamerad im Nacken, bevor er endgültig die Bombe platzen ließ. „Es ist dein Kind, Shawn. Du bist der Vater, nicht der noraylische König.“
Dem Redner entglitten jegliche Gesichtszüge und Rayka brach komplett in Tränen aus. Er brauchte eine ganze Weile, um sich wieder zu fassen. Dann drückte er seine Freundin einfach nur fest an sich.
„Nur die Götter wissen, wie sehr ich dich liebe!“, murmelte er und setzte etwas scherzhafter nach. „Jetzt musst du mich wohl oder übel heiraten, ob du willst oder nicht.“
„Idiot“, antwortete die Königin schwach und löste sich langsam von ihrem Liebsten.
Toll, mir machte man die Hölle heiß, weil ich ein paar Mal mit dem König vögelte und Shawn gratulierten allen bei gleicher Leistung beziehungsweise noch bei deren Toppung. Irgendwie fand dich das nicht gerecht, besonders wegen so einer verwöhnten Ziege. Aber mein Klassenkamerad schien glücklicher als je zuvor, also gönnte ich ihm alles, auch wenn etwas Neid mitschwang. So ging ich schwerfällig zu dem Redner hinüber und zog ihn nach einem kurzen Handshake einfach in meine Arme.
„Glückwunsch du alter Casanova. Falls du in ein paar Monaten mal ein Kindermädchen brauchst, weist du ja, wo du mich findest.“
Shawn lachte laut auf, doch Rayka stieß mich empört von ihrem Zukünftigen weg.
„Als ob ich dir jemals mein eigen Fleisch und Blut anvertrauen würde. So wenig Verständnis für deine Gabe in dir existiert, so wenig Anstand besitzt du. Nicht nur dass du dich mehrmals mit Laib und Seele dem noraylischen König freiwillig hingegeben hast, warst du dir nicht zu wider, anderen schöne Augen zu machen. Dem Kammerdiener, Stallburschen… Nur um sie eiskalt fallen zu lassen, sobald du alles hattest, was du wolltest. Menschen wie dich, die sich alles ohne Rücksicht einverleiben, ekeln mich an!“
Dass sie mir nicht vor die Füße spuckte, war wohl nur der Anstand Sahina und ihren Räumlichkeiten gegenüber. Meine Hände zitterten vor unterdrücktem Zorn und nur mühsam rang ich mir ruhige Worte ab.
„Du hast überhaupt keine Ahnung!“
Dann verließ ich fluchtartig das Zimmer, bevor ich mich komplett vergaß. Draußen angekommen, atmete ich tief die frische Luft ein und entdeckte gerade noch so Arcir, wie dieser mir einen wütenden Blick zuwarf und um die nächste Häuserecke verschwand. Glaubte er etwa wirklich den wilden Fantasien der noraylischen Königin? Wie oft musste ich mich ihm gegenüber eigentlich noch erklären?
Genervt stapfte ich hinter ihm her und folgte dem Laidarer bis zu den Stallungen. Egal wie groß die Sprachbarriere zwischen uns war, Raykas Worte hatte er wohl oder übel verstanden und war auf seltsame Art verletzt. Und ich wollte verdammt noch mal wissen warum! Suchend lief ich an den Pferdeboxen vorbei und entdeckte Arcir bei seiner Stute, die man vor dem Unwetter von Garukt seiner kleinen Koppel hierher gebracht hatte.
Verbissen striegelte er die dicke Dame, welche mich wie immer seltsam zu mustern schien. Mit gerunzelter Stirn betrat ich die Box, aber noch bevor ich einen weiteren Schritt machen konnte, wieherte das Tier warnend auf und schüttelte energisch die Mähne, als ob es mir nicht erlauben würde, näher zu kommen. Erschrocken machte ich einen Satz zurück und blickte wütend zu dem Laidarer, der sich gehässig grinsend hinter seinem Pferd versteckte.
„Arcir bitte! Weich mir nicht ständig aus!“
„Ach und warum?“, platzte ihm der Kragen. „Damit du mich gleich durchvögeln und schneller fallen lassen kannst?!“
Wie vor dem Kopf gestoßen stand ich da.
„Schätzt du mich wirklich so ein?“, fragte ich ungläubig und strich abwesend über die Nüstern des Tieres.
„Wie sollte ich es sonst tun? Zum einen spielst du den selbstbewussten Krieger, der vor Magie nur so strotzt, nur um in der nächsten Minute tollpatschig wie ein kleines Kind über die eigenen Füße zu stolpern. Du veranstaltest die seltsamsten Dinge und keiner weiß warum.
Schwörst mir eine sichere Heimreise, stellst dich einer halben Armee und wildgewordenen Guhlas entgegen, nur um mich zu schützen. Und dann bekommst du nicht mal eine einzige, magische Aufgabe von Sahina hin, sodass Yanar anreisen muss. Außerdem verletzt du dich ständig selbst, wegen total dämlichen Sachen. Starrst verträumt in die Gegend, bekommst kein vernünftiges Wort raus, machst komische Andeutungen, nur um einen hinterher zu ignorieren.
Die Anführer der Auserwählten waren stark, bestimmend und wussten genau, welcher Weg zu gehen war. Du jedoch bist komplett anders. So wechselhaft wie der Frühling, blicke ich bei dir überhaupt nicht durch!“
Arcir hatte sich total in Rage geredet. Zum Schluss schnaufte er, als wäre er einen Sprint gelaufen.
„Ich weiß, dass ich anders bin, auch ohne dass man es mir ständig auf die Nase bindet“, antwortete ich ruhig und schob mich an dem Pferd vorbei in die Box. Arcir bekam große Augen, weil er wohl nicht damit gerechnet hätte, dass das Tier mich gewähren lässt.
Aber vielleicht spürte die Stute genau wie ich, dass eine Aussprache zwischen uns bitter nötig war. Fast schon ängstlich verkroch sich der Laidarer rückwärtslaufend in die hinterste Ecke. Doch dieses Mal würde ich nicht nachgeben. Wenige Meter blieb ich vor ihm stehen und setzte zu einer Erklärung an.
„Weiter weiß ich, dass ich nicht besonders klug, noch stark, noch entscheidungsfreudig bin. Nur müsstest du wissen, warum ich von den Göttern zu einem Anführer erwählt wurde, denn ich verstehe das nicht. Dennoch versuche ich, meiner Aufgabe so gerecht wie nur möglich zu werden.
Aber ich bin nicht perfekt. Ich mache Fehler wie jeder andere Mensch auch und versuche daraus zu lernen. In mir steckt genauso wenig ein Philosoph oder Denker, wie in mir ein Träumer steckt. Ich handle aus dem Bauch heraus und versuche auf das zu hören, was Herz und Verstand mir sagen.
So bin ich nun einmal und so solltest du mich auch akzeptieren. Genau so, wie ich deine Macken und Launen akzeptiert und mögen gelernt habe. Bitte tu uns allen den Gefallen und vergleiche mich nicht mit der Vergangenheit. Denn so lässt sich nur schwer in die Zukunft blicken.“
Der Laidarer schaute mich aus großen Augen an und wusste nichts zu erwidern. Ich hatte ihm wohl ganz schön viel Stoff zum Nachdenken gegeben, genau wie er mir. Allerdings wollte ich Arcir nicht mit offen stehendem Mund zurücklassen, weswegen ich mit einem lockeren Spruch versuchte, alles etwas zu entspannen.
„Um auf deinen Vorwurf vom Anfang zurückzukommen. Seit dem verhängnisvollen Tag habe ich niemandem mehr schöne Augen gemacht, außer vielleicht dir.“
Langsam hob ich meine Hand und streichelte sacht über die Wange des Laidarers, worauf dieser komplett rot anlief und genießerisch die Lider senkte. Doch als ich an sein Kinn ankam, hielt ich inne und musterte ihn mit gerunzelter Stirn.
„Seid wann verstehst du meine Sprache?“
Ertappt zuckte Arcir zusammen und wurde ganz blass um die Nase.
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