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Andere Welten

Teil 6 - Epilog

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Ich erwachte mit höllischen Kopfschmerzen, umgeben von blinkenden Lichtern und nervendem Lärm. Verwirrt richtete ich mich auf und schaute mich ungläubig um. Ich lag auf einer Trage inmitten der Wiese vor meinem Schulgebäude. Feuerwehr und Krankenwägen standen dicht beieinander und überall hetzte entsprechendes Fachpersonal durch die Gegend. Schüler wurden aus dem Haus geführt, hustend und nach Luft schnappend.

Langsam zog ich mir die Atemmaske vom Gesicht weg und lauschte den Reportern, die von irgendeinem Gasleck erzählten, was wohl sehr lange unbemerkt geblieben war. Als wären meine Gedanken genau wie mein Körper aus Blei, wanderte mein Blick träge zu Shawn, der sich vor Wut aufbäumte und ständig schrie, dass er zurück wolle und man ihn nicht aufhalten sollte.

Vier Sicherheitsleute und ein Sani samt Spritze waren nötig, um ihn ruhig zu stellen. Juli und Phil saßen Hand in Hand dicht beieinander und schauten bedrückt zu, wie Shawn im Krankenwagen abtransportiert wurde. Mich versuchten in der Zeit mehrere Sanitäter anzusprechen, leuchteten mir in die Augen und fühlten nach meinem Puls.

Da ich kaum reagierte und wie katatonisch dasaß und in die Leere starrte, sackte man auch mich ein. Schweigend ließ ich alle Untersuchungen über mich ergehen und machte gerademal so viel mit, wie mein matter Körper es ertrug. Erst als mich am dritten Tag abermals meine hochschwangere Tante mit ihrem Mann besuchen kam und sich ihre Sorgenfalten und Augenringe arg vertieft hatten, rang ich mir ein Lächeln ab.

Sie sollte sich schließlich auf ihren kleinen Sohn freuen und sich nicht unnütze Gedanken um mich machen. Fürsorgehalber schrieb man mich eine Woche lang krank, die ich zum Großteil alleine in meinem Zimmer verbrachte. Ich kam nur zu den Mahlzeiten nach draußen geschlichen und würgte ein paar Happen runter, damit es wenigstes etwas den Anschein hatte, dass mein Zustand sich bessern würde.

Allerdings konnte ich meiner Tante nicht viel vormachen. Nach dem Tod meiner Eltern vor fünfzehn Jahren, hatten wir beide zusammen viel durchgemacht, weswegen sie mich in- und auswendig kannte. Klar baute sie sich mit ihrem neuen Mann und dem Kind ein eigenes Leben auf. Dennoch gaben mir beide nie das Gefühl, unerwünscht zu sein.

Eines Abends setzte sich meine Tante zu mir aufs Bett, auf dem ich lag und ihr Blick reichte, um meine Mauer fallen zu lassen. Es hatte sich einfach zu viel angestaut. Zwar erzählte ich lediglich von einem jungen Mann, der aus einem anderen Land kam und den ich lieben gelernt hatte. Dass ich sicher war, auch geliebt zu werden, er aber nun verschwunden sei, ohne zu wissen, ob ich ihn je wiedersehe.

Meine Tante sagte nichts dazu, legte nur mitfühlend ihre Hand auf meine Schulter und blieb so lange bei mir, bis ich mich wieder etwas beruhigt hatte. Sie gab mir den simplen Rat, alles aufzuschreiben, um das Ganze zu verarbeiten, worüber ich lange nachdachte.

Die Woche drauf verlief wie mechanisch. Ich ging stumpf zur Schule, plottete alles im Unterricht mit, egal ob brauchbar oder nicht und saß allein in den Pausen auf dem Schulgelände rum, um nicht in die Kantine zu müssen. Als sich Juliana mir gegenüber setzte, schaute ich sie müde an. Wir alle Vier hatten uns seither weder getroffen, noch miteinander telefoniert oder überhaupt geredet.

„Du siehst Scheiße aus, Lucian“, begrüßte sie mich milde lächelnd.

Ich schnaubte nur wenig belustigt. Wir saßen eine ganze Weile schweigend da, bis ich den Mut hatte, endlich eine schon lang quälende Frage auszusprechen.

„Glaubst du wirklich, dass alles nur Halluzinationen waren, hervorgerufen durch das Gasleck, direkt unter der Bibliothek?“

Juli sah mich lange an, bevor sie antwortete.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass das, was ich für Philip empfinde, nur auf einer Einbildung basiert.“

Dankbar nickte ich ihr zu. Es war seltsam, aber in manchen Nächten zweifelte ich arg an meinem Verstand. Hatte ich nur schlecht geträumt? Oder war alles wirklich geschehen? Die Bestätigung meiner Klassenkameradin tat unheimlich gut.

„Wie geht es Shawn?“, fragte ich leise. Die ganze letzte Zeit hatte ich dermaßen mit mir zu tun, dass ich die Anderen komplett vergaß. Nun machte sich mein schlechtes Gewissen bemerkbar. Bedrückt sah die ehemalige Kriegerin zu Boden.

„Nicht gut. Er hat seinen Sportverein verlassen, worauf seine Eltern total ausgetickt sind. Die waren ja so schon nur in ihre Arbeit und seinen großen Bruder verliebt, der gerade eine tolle Sportlerkarriere hinlegt. Jetzt sind die nahe dran, ihn in ein Internat zu stecken. Shawn allerdings interessiert das wenig.“

Missmutig schüttelte ich den Kopf. Mein Klassenkamerad machte seelisch gerade genug durch. Musste seine Familie es wirklich noch schlimmer machen?!

„Hör mal, Lucian. Auch wenn wir nicht mehr gemeinsam gegen das Böse kämpfen, bleiben wir trotzdem Freunde. Bitte vergiss das nicht.“ Sie drückte mir einen kleinen Zettel in die Hand, auf dem ihre, Phils und Shawns Telefonnummer stand. Dankbar lächelte ich sie schwach an.

„Bekommst du keine Probleme, wenn du mit uns ‚Anderen‘ abhängst?“, fragte ich schmunzelnd und deutete auf die Cheerleader, die laut kichernd und tratschend an uns vorbei liefen. Seltsamerweise beachteten die ihre ehemalige Chefin nicht im Geringsten.

„Diese hinterf… Schnallen können mir gestohlen bleiben“, meinte Juli so laut, dass die Mädels sie auf alle Fälle hören konnten. Darauf reagierten die allerdings nicht. „In der Not erkennt man die wahren Freunde“, setzte sie zu mir gewandt nach und klopfte mir zum Abschied auf den Rücken.

Ich konnte es mir seltsamerweise nicht erklären, aber irgendwie fühlte ich mich besser. Zwar schmerzte es noch sehr, wenn ich an die vergangene Zeit und besonders an Arcir dachte, aber ich fühlte mich nicht mehr ganz so allein. Zielsicher ging ich nach Hause und schaltete dort meinen Laptop an. Dann begann ich zu schreiben.

Tagelang tippte ich mir alles von der Seele, wie es anfing, was alles passierte, wie es endete. Ich versuchte alles so detailliert wie möglich zu beschreiben, Orte wie Gefühle, auch wenn mich meine Sehnsucht nach Arcir zwischendrin schier zu zerreißen drohte. Als ich fertig war, fühlte ich mich ausgelaugt und erleichtert zugleich.

Ich druckte alles aus und ließ es professionell zu einem Buch binden. Vielleicht hatte meine Tante recht und ich sollte endlich mit allem abschließen. Nach über einen Monat betrat ich die Bibliothek der Schule und sah mich langsam um. Ein Schmunzeln schlich sich auf meine Lippen. Ich sah im Geiste Shawn auf der Treppe stehen, wie er Juli schöne Augen machte und Phil stocksteif auf dem Stuhl sitzend, mit einem dicken Buch vor der Nase.

Unsere Wandlung war wirklich immens. Der ehemalige Spitzensportler wollte nun Jura studieren, die damalige Cheerleaderin Sportwissenschaften mit Kampftechniken im Schwerpunkt, Philip interessierte sich nun für technische Medizin und Naturheilkunde und ich schrieb Bücher.

Ich setzte mich auf die Treppe und lehnte meinen Kopf gegen das Geländer. Hier hatte alles begonnen und hier sollte es enden. Tief holte ich Luft und schloss meine Augen. Ein letztes Mal projizierte ich im Geist Arcirs Antlitz, versuchte mich an seine weichen Züge zu erinnern, an das sanfte Lächeln, an die vor Lust geöffneten Lippen, an seine wild glitzernden Augen.

„Leb wohl, mein Herz“, flüsterte ich, während sich mein Magen schmerzhaft verkrampfte.

Dann verdrängte ich das Bild und riss die Lider auf. Gerade als ich mit einem Ruck aufstehen und flüchten wollte, hörte ich ein metallisches Klirren, wie etwas auf den Boden rollte, umfiel und sanft scheppernd zum Liegen kam. Mit gerunzelter Stirn erhob ich mich und sah mich neugierig um.

Genau unter jenem Tisch, unter dem wir damals die magische Kette gefunden hatten, lag nun ein Ring, der mir arg bekannt vorkam. Ich kniete mich also nieder, krabbelte unter den Tisch und holte das Schmuckstück hervor. Zitternd hielt ich es ins Licht und las mit angehaltenem Atem die eingravierte Innenschrift.

„Auf immer Dein. Arcir.“

Es war der gleiche Ring, den ich einst dem Laidarer schenkte, mit demselben Spruch. Nur das bei ihm mein Name drinnen stand.

Gerade noch so schaffte ich es aufs Jungsklo, wo ich mich geräuschvoll übergab. Ein paar Mundspülungen und einen knappen Liter Wasser später suchte ich entschlossen das Schulgelände nach Shawn ab, der meist in irgendein Buch vertieft auf einer Wiese saß. Als ich ihn endlich fand, lief ich euphorisch auf ihn zu und drückte ihm den Ring in die Hand, auch auf Nummer sicher zu gehen, dass ich mir es nicht einbildete.

„Eine Nachbildung?“, fragte er stirnrunzelnd, als er das Schmuckstück erkannte, schließlich hatte er mir damals geholfen, den kreisrunden Stein zu beschaffen. Energisch schüttelte ich den Kopf.

„Er lag in der Bibliothek, unter DEM Tisch“, sagte ich bedeutungsvoll, worauf der Andere große Augen bekam. Ich sah die gleichen Zweifel in seinem Blick, die ich vorher hatte. Also nahm ich den Ring und warf diesen einer Mitschülerin zu, die unweit neben uns auf der Wiese saß.

„Arcir … ungewöhnlicher Name“, meinte sie knapp, als ich sie bat, vorzulesen.

Nun wurde auch Shawn blass. Beide sprangen wir auf und suchten nach Juli und Phil. Ihre Lerngruppe war gerade zu Ende, als wir Beide beim Verlassen des Raumes abfingen und in die Bibliothek schleiften. Zum Glück war es schon recht spät und kaum einer noch im Schulgebäude.

„Meine Güte, jetzt erzählt endlich, was los ist. Ihr Zwei seht aus, als wärt ihr einem Geist begegnet“, maulte Juliana, wurde aber bei dem Anblick des Ringes ganz still. „Wie?“, fragte sie lediglich.

Hilflos zuckte ich die Schulter. „Keine Ahnung. Ich wollte von Arcir Abschied nehmen, um mit allem abzuschließen. Und als ich die Augen aufmachte, klimperte der Ring zu Boden.“

„Wir müssen es probieren“, forderte Shawn gleich darauf. Schwer seufzte Phil auf.

„Wie oft willst du es noch versuchen? Hier funktioniert kein Zauber mehr.“

Ich runzelte die Stirn. „Sagt mal, habt ihr Beide euch mal wieder getestet? Also ob eure Fähigkeiten noch funktionieren?“ Fragend sah ich das Paar an, die betröppelt zu Boden schauten.

„Das ist jetzt nicht euer Ernst!“, polterte Shawn drauf los, der genauso fassungslos war, wie ich.

„Hört mal“, setzte Juli zu einer Erklärung an. „Ihr Beide habt so viel durchgemacht, gerade was die Trennung von euren Liebsten betrifft. Es kam alles viel zu abrupt. Ihr seid wochenlang wie Zombies durch die Gegend gelaufen und jeder magische Versuch, den ihr startetet, ging komplett daneben. Es passierte einfach nichts. Wie hättet ihr euch dann gefühlt, wenn wir angekommen wären und euch unsere Erfolge unter die Nase gerieben hätten.“

Okay, da musste ich ihr widerwillig recht geben.

„Wie habt ihr denn rausbekommen, dass ihr eure Talente noch habt?“, fragte ich neugierig.

„Na ja“, meinte Phil verlegen. „Ich kann dir aus jeder Pflanze, die hier in unmittelbarer Nähe wächst, eine Salbe zaubern, oder nen Trank und dass, obwohl ich ein Naturkundebuch lediglich durchgeblättert habe. Und Juli hatte sich in einem Free-Fight-Club beim Probetraining angemeldet. Dort gab es so eine Großklappe von Mädel, die austesten sollte, was unsere Kriegerin so drauf hat. Na ja … Juli ist im großen Bogen rausgeflogen, als die Kleine mit gebrochener Nase aufm Boden lag.“

Die Wangen der einstigen Cheerleaderin verfärbten sich leicht rot.

„Die Tussi hatte echt null Respekt und der Trainer erst war total arrogant! Außerdem war ich selbst überrascht. Irgendwie funktionierte alles wie von allein“, versuchte sie sich zu rechtfertigen.

„Ein Grund mehr, es zu versuchen, gemeinsam“, sagte ich euphorisch. „Vielleicht funktionierte unsere Magie nur nicht, weil sie hier schwächer ist. Durch die Kette sind wir aber noch immer verbunden. Also müssen wir unsere Kräfte nur bündeln und bekommen dann so eventuell ein Portal auf.“

Phil und Juli sahen mich skeptisch an, während Shawn schon Tische und Stühle beiseite räumte, um uns Platz zu schaffen. Trotzdem taten sie uns den Gefallen und machten mit. Kurz darauf saßen wir auf dem Boden in einem Kreis und fassten uns an den Händen, als gehörten wir zu einer komischen Sekte.

Wir alle schlossen die Augen und während ich mich auf meine Gefühle konzentrierte, versuchten die Anderen ihre Kraft auf mich umzulenken. Keine Ahnung wie lange wir so dasaßen, aber bis auf einen kurzen Lufthauch, spürte ich nichts. Irgendwann hatte Juli die Nase voll, durchbrach den Kreis und stand auf.

„Das hat doch alles keinen Sinn!“, schimpfte sie und fuhr sich fahrig durch die Haare.

„Komm schon. Wir haben noch gar nicht richtig angefangen!“, bat Shawn. Doch die junge Frau schüttelte ihren Kopf.

„Leute, wie oft wollt ihr euch noch selber quälen? Hier wird nichts richtig anfangen, weil es einfach nicht funktioniert!“

Der Redner sprang auf und wollte ihr etwas wütend entgegnen, als ein Fünfter im Raum ihn unterbrach.

„Sie hat Recht. SO wird das nie was werden.“

Erschrocken kam ich auf die Beine und drehte mich um.

„Yanar?“ Ungläubig musterte ich den großen Mann in dem modernen Anzug, mit silbernem Hemd, welches oben etwas offen war. Mit dem zurückgebundenen Haar und den schwarzen Rangers ging er glatt als eleganter Goth durch.

„Dann war Josis Vermutung also richtig. Du bist ein Weltenspringer“, hauchte Shawn, worauf Yanar etwas lächelte und nickte.

„Da hat jemand die laidarischen Bücher genauestens studiert. Meine Kleine hatte schon immer einen guten Riecher.“

Fassungslos ging ich auf den Anderen zu und konnte mich dann nicht mehr zurückhalten. Wild versuchte ich auf ihn einzuschlagen, was dieser mit einem einzigen Zauber abblockte. Erst als mir Juli derb die Arme auf dem Rücken verrenkte, beruhigte ich mich wieder.

„Warum? Warum erst jetzt, verdammt? Nach über einem Monat?!“

Mit Tränen in den Augen, die ich kaum mehr zurückhalten konnte, sah ich Yanar wütend an. Der holte einen kreisrunden, handtellergroßen Anhänger hervor, den er an einer Kette unter dem Hemd trug.

„Weil mein Medaillon noch nicht aufgeladen war. Ich verfüge nicht über unbegrenzte Kraft, im Gegensatz zu dir.“

Bei dieser Aussage schnaubte ich bloß.

„Du bist gerade in der falschen Welt. Hier verfüge ich über gar nichts“, sagte ich bitter.

Gelangweilt lehnte sich Yanar zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ist denn wirklich überhaupt nichts von meinen Lektionen hängengeblieben?“, fragte er seufzend.

Verwirrt blickte ich zu ihm auf.

„In Bagkar erklärte ich dir, durch was Magie fließt. Erinnere dich an den genauen Wortlaut“, wurde ich aufgefordert.

Grübelnd runzelte ich die Stirn.

„Gefühle … durch Gefühle.“

„Der genaue Wortlaut!“

Hilflos zuckte ich mit den Schultern. Was wollte Yanar nur von mir hören? Tief atmete ich durch und überlegte nochmal genau. Dann fiel mir etwas auf.

„Du sagtest ‚in dieser Welt‘… in dieser Welt entsteht Magie durch Gefühle.“

Volltreffer. Yanar begann breit zu lächeln und stieß sich von der Wand ab. Er kam zu mir und deutete auf den Ring, den ich am Finger trug.

„Was passierte, kurz bevor das Schmuckstück hier auftauchte?“

Beschämt sah ich zu Boden.

„Ich wollte mich von Arcir verabschieden, um mit allem abzuschließen. Es war ein seltsamer Moment der kompletten Ruhe. Ich habe mir ein letztes Mal vorgestellt, wie er vor mir steht.“

„Genau das ist es“, meinte Yanar begeistert und klatschte in die Hände. „Jede Welt besitzt ihre eigene, kosmische Zusammenstellung. Dementsprechend fließt auch die Magie anders. Nicht immer, aber öfters. Eure Welt ist dermaßen vom Fortschritt geprägt, dass die Fantasie fast komplett untergegangen ist. Selbst wenn es bei euch einen Magiebegabten geben würde, würde er es nicht mal mitkriegen, ohne die entsprechende Leitung.

Sprich, wenn du unbedingt ein Portal nach Laidaron öffnen möchtest, dann must du deine Gefühle komplett ausblenden und dir es einfach im Geist vorstellen. Benutze deine Fantasie und die Kraft wird wieder fließen. Denn ein Auserwählter bleibt seiner Lebtage immer ein Auserwählter.“

Yanars Ansprache war fast schon feierlich. Ich brauchte einen Moment, um alles zu verarbeiten. Aber noch ehe ich mich entschließen konnte, trat Phil an meine Seite.

„Na los, lass es uns noch einmal versuchen!“

Yanar lachte laut auf. „Ich glaube nicht, dass er eure Hilfe braucht. Lucian besitzt das Herz der Kette, das Zentrum eurer gemeinsamen Macht. Mal davon abgesehen bin ich mir nicht sicher, ob ihr dann alle zusammen nach Laidaron gezogen werdet.“

Unsicher sah ich zu meinen Klassenkameraden, die mich aufmunternd anschauten.

„Du schaffst das, schließlich bist du unser unerschrockener Anführer!“, grinste Juli und nahm mich dann fest in den Arm. „Ich werde euch wahnsinnig vermissen!“

Die entstehende Verabschiedungsorgie wurde fast rührselig, in der jeder jeden drückte. Ein letztes Mal wandte ich mich an Yanar.

„Bei mir zu Hause auf dem Schreibtisch liegt ein Buch. Unsere Geschichte. Kannst du die letzten Seiten hinzufügen und meiner Tante geben, damit sie sich keine Sorgen macht?“

Er nickte lächelnd und sah Shawn fragend an. Dieser grinste nur fies.

„Von mir aus können meine Eltern den gesamten Kontinent absuchen, bis sie schwarz werden.“

Dann machten uns alle Platz und ich reichte meinem Klassenkameraden die Hände.

„Konzentrier dich gefälligst. Noch so ne schwule Nummer mach ich bestimmt nicht mit“, maulte der Redner, ohne sich das schelmische Lächeln ganz verkneifen zu können.

Grinsend schloss ich meine Augen und atmete tief durch. Eigentlich sollte es kein Problem darstellen, schließlich war es auch nur ein simpler Teleportationszauber. Und den weiten Platz direkt vor dem Tempel in Bagkar hatte ich im Geist auch schnell manifestiert. Das einzige Hindernis bestand in meinen Gefühlen.

Aufregung vermischte sich mit Unsicherheit und Angst. Würde es wirklich funktionieren? Was erwartete mich auf der anderen Seite? Hatten die Götter mir Arcir zurückgegeben? Oder wer hatte sonst den anderen Ring geschmiedet?

‚Konzentrier dich! Blende alles aus! Nur das Bild von dem Bestimmungsort zählt und sollte in dir widerhallen. Nichts anderes!‘

Dankbar über Yanars letzte Anweisung, atmete ich erleichtert aus. Ich war nicht allein und werde es auch nie wieder sein. Egal wie viele Welten uns trennen mögen, ich hatte Freunde fürs Leben.

Mein Puls wurde ruhiger und auch mein Herzschlag verlangsamte sich. Wieder sah ich den Platz vor meinem inneren Auge auftauchen, hielt das Bild fest, bis es klar und deutlich in allen Einzelheiten zu sehen war. Und als ich den höchsten Ruhepunkt erreicht hatte, spürte ich die Magie in mir fließen.

Doch es war anders als jemals zuvor. Keine Handgelenke, die kribbelten, keine Haut, die heiß juckte, keine Kraft, die mich in eine bestimmte Richtung lenkte. Es fühlte sich viel natürlicher an, urichst, als hätte sie schon ewig in mir geschlummert und die Perlen der Kette waren nur ein Anreiz der Erweckung gewesen.

Dann erfasste uns ein Sog, der an jedem Zipfel unseres Körpers zerrte. Es war als würde man uns im Klo runterspülen und auf der anderen Seite wieder ausspucken. Als ich wieder festen Boden unter den Füßen spürte und frische Luft roch, traute ich mich kaum, die Augen zu öffnen.

Zögerlich tat ich es doch und wäre vor Erleichterung fast zusammengebrochen, als ich den Tempel von Bagkar erkannte. Shawn riss sich sofort von mir los und rannte auf Rayka zu, die wie versteinert da stand und den Redner anschaute. Erst als er sie fest in den Arm nahm und beteuerte, dass es wirklich kein Traum war, brach sie in Freudentränen aus.

„Für den Anführer der Auserwählten hast du dir ganz schön viel Zeit gelassen“, schimpfte jemand hinter mir, worauf sich mein Magen sofort verkrampfte.

Nur langsam drehte ich mich um, aus Angst ich könnte mir es nur eingebildet haben und alles würde gleich wieder verschwinden. Scharf holte ich Luft und hielt den Atem unbewusst an, als Arcir leibhaftig vor mir stand. Ich spürte jeden Herzschlag einzeln in meiner Brust, schwerfällig wie ein gemächlicher Glockenschlag. Dann wurde mir schwarz vor Augen und ich kniete mich nieder.

„Dummkopf“, schallte mich mein Laidarer sanft und strich mir zärtlich einen Rastazopf aus dem Gesicht. Er war sofort bei mir und hatte mich halb aufgefangen. Nun kniete er vor mir und schaute mich aus leuchtenden Augen an.

„Ich dachte ich hätte dich verloren“, brachte ich mit zittriger Stimme hervor.

„Das dachte ich auch“, seufzte Arcir und hörte gar nicht auf, mir verträumt übers Gesicht zu streichen. „Als meine Aufgabe erfüllt war, riefen mich die Götter wieder zu sich zurück. Aber sie ertrugen wohl nicht den Schmerz und die Sehnsucht, die ich mitbrachte. Also gaben sie mir eine neue Aufgabe und schickten mich zurück. Allerdings warst du nicht mehr da.“

Ich nahm seine Hände in meine und küsste sie ausgiebig.

„Ob es die Götter waren oder die Kette weiß ich nicht, aber dass ich in meine Welt zurückgeschickt wurde, geschah gegen meinen Willen. Es tut mir so leid, dass ich dich so lange hab warten lassen.“

„Das ist jetzt egal. Mir ist gleich, welche Prüfungen uns die Götter noch auferlegen, wenn wir nur zusammen sind. Die Kette wird uns auf jeden Fall nicht daran hindern.“

Arcir deutete auf das Schmuckstück, welches um seinen Hals hing. Es war tatsächlich die magische Kette, komplett mit allen Kugeln samt Anhänger. Also war der Laidarer ihr neuer Wächter. Ich lachte nur erleichtert auf. Intensiv musterte ich meinen Liebsten, als sei ich noch immer nicht sicher, ob sich alles um einen Traum handelte.

„Du trägt noch deine Rüstung?“, fragte ich stirnrunzelnd aus Angst, die Noraylier doch nicht ganz besiegt zu haben. Doch anstatt ernst zu werden, lief mein Kleiner nur rot an.

„Du sagtest doch, ich solle es beim ‚nächsten Mal‘ tragen“, antwortete er kleinlaut und ich verstand sofort. Ein lüsternes Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Sanft nahm ich sein Gesicht in beide Hände und zog ihn zu mir.

„Du bist wirklich einmalig. Mein Herz.“

„Auf immer Dein“, flüsterte er noch, bis sich unsere Lippen endlich vereinten. Es war das unglaublichste, schönste und erfüllteste Gefühl, welches sich seit der Schlacht in mir breitmachte. Und ich hatte nicht vor, es so leicht wieder aufzugeben, von meinem Laidarer mal komplett abgesehen.

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