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Märchen der anderen Art

Teil 1 - Dornröschen

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Diese Geschichten sind meiner kleinen großen Sis Nessi gewidmet.

 

Es war einmal in einem weit entfernten Königreich, in dem Monarchie noch genauso verehrt wurde, wie die neuste Technologie, als der siebente Sohn eines großen Königs das Licht der Welt erblickte. Dies war etwas ganz Besonderes, da laut den alten Legenden es dem Reich Frieden und Wohlstand bescheren sollte, sobald dieser den heiligen Bund beitrete.

Deshalb wurde ein großes Fest gegeben und alle Adligen der angrenzenden Königreiche eingeladen, um einen passenden Gemahl auszuwählen. Denn wenn der siebente Königssohn einen Mann zum Partner erwählte, wären beide Reiche den alten Schriften nach auf ewig von den Göttern gesegnet.

Dies war solch ein seltenes Ereignis, dass selbst die guten Geister der Erde zum Fest erschienen: Faun, der Beschützer der Tiere, Flora, die Hüterin der Pflanzen und Aquarl, Hüter des Wassers. Nur eine Seele war von alldem nicht begeistert. Ignes, die Herrscherin über das Feuer, traute den Menschen nicht und befürchtete, dass diese zu mächtig werden würden. Auch sie besuchte das Fest, allerdings mit viel dunkleren Gedanken.

Die kleine Wiege des neugeborenen Prinzen stand vor dem Thron des Königs und der Königin, damit alle eintreffenden Gäste zu ihm hingehen und ihn beschenken konnten. Die Geister der Erde gaben jedoch etwas ganz Besonderes.

Zuerst trat Flora hervor, gekleidet in einem Kleid aus sattem Grün, welches sich samten um ihren schmalen Körper schmiegte. „Ich schenke dir Klugheit“, sagte sie sanft, beugte sich zu ihm hinab und küsste das Kind sacht auf die Stirn. Dann ging sie beiseite.

Nun trat Faun hervor, prächtig gekleidet im wilden Leder, als wäre er selbst ein junger Prinz. „Ich schenke dir Mut“, sagte er fest, drückte einen Kuss auf seine Fingerspitzen und legte diese dann auf das Herz des Kindes.

Zuletzt sollte Aquarl seinen Segen aussprechen. Doch dieser war damit beschäftigt, einem jungen Adligen schöne Augen zu machen, so dass Ignes glaubte, alle Geister hätten ihr Geschenk gegeben. Eifersucht verdunkelte ihr Herz und vernebelte ihre Gedanken. Die Menschen hatten nicht so viel Glück verdient, mit sieben Kindern gesegnet zu sein und sie dagegen mit keinem Einzigen.

Erhaben trat sie aus der Menge hervor und schritt auf die Wiege zu. Rote Seide wand sich um ihren wohlgeformten Körper und gab mehr preis, als sie verdeckte. Es wurde eisig kalt im Königsaal und jeder spürte, dass Unheil in der Luft lag. Doch noch ehe die anderen Geister handeln konnten, hatte Ignes ihre Stimme schon erhoben.

„Wohl durchdacht sind die Geschenke. Nun höret das meine! Um eurem Hochmut ein Ende zu setzen, ist hier mein Fluch! Noch bevor die Sonne an seinem sechzehnten Geburtstag untergeht, soll er sich an Dornen einer Rose stechen … und sterben!“

Wild hallte ihr böses Lachen an den Wänden wider, als sie das Kind am Rücken der linken Hand berührte und dort ihr flammendes Mal hinterließ, um sich Sekunden später in kalter Flamme aufzulösen und im Nichts zu verschwinden.

Wie erstarrt stand ein jeder da und schaute zum König und zur Königin hinauf, die erschrocken aufgesprungen waren. Keiner der Gäste wagte es, sich zu bewegen und geschweige denn, sich dem Kind zu nähern, aus Angst, dass ihre eigenen Nachkommen vom Fluch getroffen werden könnten.

Einzig ein junger Prinz aus einem unscheinbaren Land schlich sich heimlich von seinem Wächter fort, und noch ehe ihn jemand aufhalten konnte, stand der dreijährige Junge vor der Wiege und schaute neugierig hinein. Sofort hörte das Baby auf zu weinen und sah aus großen Augen den Anderen an.

„Ich werde dich beschützen“, sagte der junge Prinz fest, löste die silberne Kette von seinem Hals und legte diese dem Kleinkind um. Gerade der Anhänger war etwas Besonderes, zeigte Kreise der Dreifaltigkeit, der einst seiner Mutter gehörte, welche bei seiner Geburt starb. Diese Kette war das Einzige, was er von ihr besaß und nun gab er sie diesem Kind weiter, damit sie fortan ihn schützen möge. Fasziniert blickte der junge Prinz tief in die Augen des Kleineren, die heller schimmerten, als jeder noch so blaue Sommerhimmel. Erst als ihn jemand leicht an der Schulter berührte, sah er auf.

Aquarl stand hinter ihm und bedeutete sanft, er solle zu seinem Wächter zurückkehren, was er nach kurzem Zögern auch tat. Trotz dass es ihm keiner vorwarf, litt Aquarl unter starken Gewissensbissen. Wäre er doch nur rechtzeitig da gewesen. Aber diesen Gedanken hegte jeder der Geister. Schwer atmete er aus und strich sich eine Strähne seines langen, silbernen Haares hinter die Ohren. Seine tiefblaue Magierrobe, welche er trug, raschelte leise, als er sich dem König und der Königin zuwandte.

„Nur selten dürfen wir die Menschen segnen oder gar einen Fluch aussprechen. Dafür sind diese dann umso stärker. Ich kann Ignes Fluch nicht aufheben. Viel zu tief geht ihre Wut und ihr Hass. Aber ich kann ihn in andere Bahnen lenken:

Wenn auch vom Fluch des Bösen,
niemand kann dich ganz erlösen,
schenke ich dir ein Hoffnungslicht.
Einst, wenn dich die Rose sticht,
soll der Fluch dich nicht verderben,
sollst nicht am Stiche sterben,
nur in tiefem Schlaf versinken.
Und ein wahrer Kuss, dir lieb gegeben,
erwecke dich zu neuem Leben!“

Auch er küsste die Finger seiner linken Hand und berührte damit den verfluchten Handrücken des Kleinkindes. Ein greller Blitz durchzuckte die Hallen und schleuderte Aquarl durch den halben Saal. Stöhnend richtete er sich wieder auf und hielt sich seinen schmerzenden Arm, dessen Fleisch leicht verbrannt war. Aber er lebte und das flammende Mal auf dem Handrücken des jungen Prinzen verblasste auch fast. Nur wenn man ganz genau hinsah, würde man es nur noch erkennen können. Jeder der drei Geister spürte, dass der Fluch von Ignes an Kraft verloren hatte. Dennoch war er nach wie vor präsent.

Der König und die Königin bedankten sich aufrichtig bei den Geistern, doch war das Gemüt der Königin so betrübt, dass sie nicht aufhören konnte zu weinen. So kam Faun eine Idee, und nachdem er diese mit den Anderen abgeklärt hatte, eröffnete er sie dem Königspaar. Lange überlegten die Herrscher des Landes hin und her, stimmten dann aber doch schweren Herzens zu.

Lange nachdem das Fest zu Ende war, huschten drei Gestallten aus dem Schloss, tief vermummt in dunklen Kleidern, mit einem Bündel auf den Armen, was fortan ihr teuerster Schatz werden würde.

Über 15 Jahre später

Die Tür zu der kleinen Waldhütte ging auf und ein alt bekannter, junger Händler trat ein. „Onkel Aquarl!“, rief Aaron freudig und sprang dem Bruder seines Ziehvaters um den Hals. Viel zu lange hatte er sich nicht mehr blicken lassen, was eigentlich bei einem reisenden Händler nichts Ungewöhnliches war. Auch Faun und Flora standen auf, um ihren teuren Gast Willkommen zu heißen.

„Du bist ja schon wieder gewachsen, Aaron. Wenn du so weitermachst, wirst du noch größer als Faun“, lachte der junge Mann und umarmte den Knaben herzlich, der über all die Jahre wie ein kleiner Bruder für ihn geworden war.

„Aaron, geh Wasser vom Brunnen holen, damit Aquarl sich etwas frisch machen kann“, meinte Faun lachend, der seinem Ziehsohn noch gut einen Kopf übertraf. Der Knabe schnappte sich sofort einen Eimer und tat wie ihm geheißen. In zwei Wochen hatte er Geburtstag und er freute sich schon jetzt über das Geschenk seines Onkels, da dieses immer etwas Außergewöhnliches war.

Als die drei allein im Hause waren, ließ sich Aquarl schwer auf einen Stuhl niedersinken und hielt sich vor Schmerzen seinen linken Arm. Sogleich holte Flora ein paar Kräuter und Faun schürte ein Feuer an, um einen warmen Verband legen zu können.

„In zwei Wochen sind 16 Jahre vergangen und je näher Aarons Geburtstag kommt, je stärker spüre ich den Fluch“, sagte Aquarl gepresst und versuchte sich zu entspannen. Seine liebste Freundin hatte ihm bisher immer den Schmerz nehmen können.

Besorgt sahen sich alle an. In jener Nacht, vor gut 16 Jahren, waren sie aus dem Schloss geflohen und hatten den jungen Königssohn mit sich genommen. Er sollte verborgen von Ignes aufwachsen, fernab des Hofes seiner Majestät, aufgezogen von den drei Geistern, als Bürgerlicher, versteckt in einem fernen Wald, weit ab der nächsten Dörfer, wo keine Rosen zu wachsen pflegten. Der König hatte damals zwar befohlen, alle Blumen zu vernichten und das keine einzige Pflanze dieser Art wieder gezüchtet werden dürfe, aber sicher war diese Maßnahme nicht.

Aaron hatte sich zu einem prächtigen jungen Mann entwickelt und Flora und Faun sehr ans Herz gewachsen. Und der Knabe liebte die beiden und das, obwohl er wusste, dass sie nicht seine leiblichen Eltern waren. Allen war vollkommen bewusst, dass der Knabe früher oder später die Wahrheit erfahren musste und es tat ihnen schon jetzt in der Seele weh, ihn so bald gehen lassen zu müssen. Aber das war nun mal der Lauf der Dinge.

Als Aaron wieder fröhlich in die Hütte hineingestürmt kam, hielt dieser kurz inne und starrte auf den verbrannten Arm seines Onkels, der gerade von seiner Ziehmutter behandelt wurde. Traurig ging er näher.

„Du hast wieder Schmerzen, nicht wahr?“, fragte er bedrückt. Aquarl lächelte milde. „Das bekommt Flora gleich wieder hin“, antwortete er locker, doch Aaron beruhigte es nicht. „Es ist meine Schuld“, flüsterte er fast. „Erzähl nicht so einen Unsinn“, schallte der Onkel liebevoll. „Aber hättest du mich nicht aus den Flammen geholt … “, brauste der Knabe auf, wurde allerdings von Faun unterbrochen. „Dann wärst du jetzt tot.“ „Und wir hätten nicht so einen wundervollen Sohn“, fügte Flora hinzu.

Gerührt gab der Junge Ruhe und schüttete ein Teil des Wassers in den Kessel, der über dem Kamin hing. Ihm wurde eine andere Geschichte erzählt, als er älter wurde. In einem großen Feuer wäre das halbe Dorf abgebrannt, in welchem Aaron damals gelebt haben sollte und nur durch Aquarls Einsatz, der ihn aus einem brennenden Haus holte, überlebte er als einer der wenigen.

Langsam beruhigten sich alle wieder und der Händler begann von seinen fantastischen Reisen zu erzählen, quer durch aller Lande. Gebannt hörte Aaron zu, bekam jedoch auch mit, dass die Kräuter, welche Flora zur Behandlung von Aquarls alter Wunde benötigte, zur Neige gingen. Sofort sprang er auf, um in den Wald zu gehen und neue Pflanzen zu suchen.

Die Älteren schmunzelten nur über den Tatendrang des Knaben und ließen ihn ziehen, nicht ohne vorher alte Warnungen auszusprechen. „Denk daran, Aaron, wenn du in den Wald gehst, sobald du Rosen siehst … “, begann Flora, doch der Junge unterbrach sie lachend. „Dann halte ich mich so weit es geht von ihnen fern, denn sie sind sehr giftig. Ich weiß, Mutter.“ Liebevoll gab er ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er sich der Tür zuwandte.

Faun hielt ihn allerdings auf. „Warte kurz Aaron. Ich weiß, dass dein Geburtstag erst in zwei Wochen ist, aber den hier könntest du vielleicht schon etwas eher gebrauchen“, sagte er und gab dem Knaben einen wunderschönen Bogen aus Leichtmetall. Mit großen Augen nahm Aaron das Geschenk entgegen und wusste seine Dankbarkeit kaum in Worten auszudrücken. „Danke“, brachte er nur ehrfürchtig heraus, worauf Faun wohlwollend nickte und ihn endlich ziehen ließ.

Draußen atmete Aaron tief durch und betrachtete voller Stolz seinen neuen Lichtbogen. Er war mit edlen Mustern verziert und benötigte keine normalen Holzpfeile. Man brauchte ihn lediglich zu spannen und schon erschien ein Pfeil aus Licht, der nicht nur effektiver, sondern auch schmerzloser für das Opfer war. Voller Elan schlug der Knabe sich ins dichte Unterholz, nutzte die verborgenen Pfade des Waldes, die er so gut kannte, und suchte nach den entsprechenden Kräutern.

Aaron war schon eine ganze Weile unterwegs und sein Bündel gut mit Pflanzen gefüllt, als er auf dem Waldboden eine Spur entdeckte. Aufgeregt folgte er dieser, wollte der Knabe doch endlich seinen neuen Bogen ausprobieren. Geduckt schlich er durch den Wald, achtete auf jeden Schritt, den er überlegt setzte, um auch das kleinste Geräusch zu vermeiden. Und dann sah er es endlich. Ein junges Reh, welches leicht hinkte.

Schon jetzt lief Aaron das Wasser im Munde zusammen, wenn er an das Abendmahl dachte, und so legte er leise sein Kräuterbündel beiseite, nahm den Bogen vom Rücken und spannte diesen ganz vorsichtig. Lautlos erschien der Pfeil, welcher sich vom Licht her sofort an die dunklere Umgebung anpasste, um, so gut es ging, verborgen zu bleiben. Ruhig atmend, so wie es ihm Faun beigebracht hatte, nahm Aaron das Reh ins Visier und versuchte so genau wie möglich zu zielen. Und erst als er sich ganz sicher war, der Bogen bis zum Zerreißen gespannt, ließ er die Sehne los.

Zischend flog der Pfeil auf sein Ziel zu, für das Auge kaum wahrnehmbar. Doch das Reh spitzte kurz zuvor die Ohren und, noch ehe es getroffen ward, sprang es davon und verschwand im dichten Unterholz. Kurz darauf hörte Aaron einen gedämpften Schmerzenslaut.

Erschrocken sprang der Knabe aus seinem Versteck und durchquerte die dichten Büsche, vor denen das Reh gegrast hatte. Nun stand er auf einer kleinen Lichtung, wo ein schmaler Bach direkt aus dem Gestein entsprang. Daneben kniete jemand. Er schien ein Edelmann zu sein und musste sich wohl gewaschen haben, denn seine Oberkleidung lag fein säuberlich auf dem Rücken eines stattlichen Pferdes. Nun jedoch hielt er sich seinen linken Oberarm, aus dem stetig Blut floss. Aaron musste ihn getroffen haben!

Schnell lief der Knabe zu dem Mann hin und wollte ihm helfen. Doch dieser zog geschwind sein Schwert und stand rasch auf. Mit einem wilden Funkeln in den Augen starrte er den Jungen an und hielt ihm die Waffe fast an die Kehle. Noch ehe der Fremde etwas sagen konnte, versuchte Aaron sich zu erklären.

„Bitte Herr, es tut mir leid. Ich war auf der Jagd und wollte ein Reh erlegen, welches vor den Büschen dort graste. Es schreckte aber auf und sprang davon. Der Pfeil galt dem Reh, nicht euch!“ Schlichtend hielt der Junge seine Hände hoch, um zu zeigen, dass er wirklich nichts Böses im Sinn hatte.

Der Edelmann musterte ihn kritisch, erkannte dann aber, dass dieser Knabe keine Gefahr für ihn darstellte und steckte das Schwert wieder in die Scheide. Erleichtert atmete Aaron auf, holte ein Tuch heraus, tränkte es mit frischem Wasser und ging dann zu dem Fremden.

„Bitte lasst mich euch helfen. Meine Mutter ist eine Kräuterkundige und Heilerin. Sie brachte mir vieles bei. Ich möchte meinen Fehler gerne wieder etwas gutmachen.“ Wieder beäugte ihn der junge Mann skeptisch, setzte sich dann aber doch mit einem Seufzer in Schneidersitz auf den Boden und ließ sich verarzten. Zum Glück war es keine tiefe Wunde, nur ein leichter Streifschuss, der nach mehr aussah, als es wirklich war.

Als der Junge fertig war, bewegte der Fremde prüfend seinen Arm und nickte dann anerkennend, was Aaron erleichtert aufatmen ließ. Erst jetzt schaute er sich den Fremden genauer an. Er war noch nicht so alt, wohl erst vor Kurzem ins Mannesalter getreten, zählte nicht mehr als 19 Winter. Längere, bis zum Kinn reichende, dunkelbraune Haare umrahmten ein ovales Gesicht, welches strenge, wie fröhliche Züge beherbergte. Und diese Augen. Sie funkelten in einem so dunklen Grün, dass sich Aaron verlegen abwand. Allerdings blickte er dann auf den breiten Oberkörper, die mit Muskeln übersäten Arme und den festen Bauch.

Was war das nur für ein warmes Gefühl, welches sich langsam in seinem Magen ausbreitete? Außerdem spürte er, wie seine Wangen heiß aufglühten. Wurde er etwa krank? Der Edelmann nahm die Musterung mit einem Schmunzeln hin, stand dann auf und zog sich wieder seine Kleidung an. Eigentlich war er wegen etwas vollkommen anderem in diesem dichten Wald unterwegs. Aber der Junge weckte sein Interesse. Er wollte mehr über ihn erfahren.

„Du bist also ein Waldläufer“, sprach er ihn an und die tief melodische Stimme des Fremden rief eine wohlige Gänsehaut bei den Knaben hervor. Irritiert schlang Aaron die Arme um seinen Leib, als würde er trotz der angenehmen Wärme frieren. „Ich möchte einer werden, genauso wie mein Vater es ist“, antwortete er etwas verspätet.

Wieder musste der Edelmann leicht lächeln. Der Junge schien noch nicht all zu vielen Fremden begegnet zu sein, so unbedarft, wie sich dieser verhielt. Aber er empfand es als angenehm, fast erfrischend. Die Knaben am Hofe, die ständig um seine Aufmerksamkeit buhlten und sich in Intrigen verstrickten, konnte er nicht ausstehen.

„Du besitzt einen schönen Bogen“, versuchte er erneut ein Gespräch anzufangen. Nun glänzten die Augen des Jungen voller Stolz. Er nahm die Jagdwaffe vom Rücken und zeigte dem Edelmann das reich verzierte Metall. „Ich habe ihn erst heute von meinem Vater geschenkt bekommen, obwohl ich erst in zwei Wochen Geburtstag habe. Er liegt ganz leicht in der Hand, ist aber stabil wie eine Festung aus Mithril.“

Nun war es an dem Fremden, dem es die Sprache verschlug. Diese Augen des Knaben, welche auf einmal so hell leuchteten, heller als jeder noch so blaue Sommerhimmel. Er hatte sie irgendwo schon einmal gesehen. Aber das war unmöglich. In diesem Teil des Waldes war er zum ersten Mal.

„Reist du ab und an in die umliegenden Dörfer, um die Vorräte neu aufzufrischen?“, fragte der Edelmann vorsichtig nach und strich liebevoll über den Bogen, den ihm Aaron gereicht hatte. „Das macht meine Mutter oder Vater. Viel brauchen wir nicht, denn der Wald gibt uns alles, was wir zum Leben benötigen. Ich interessiere mich auch nicht für die Menschen da draußen. Sie sind ungestüm und laut.“

„Woher willst du das wissen, wenn du noch nie diesen Wald verlassen hast?“ „Mein Onkel ist reisender Händler. Er erzählt viel und ich glaube ihm“, antwortete Aaron fest und der junge Edelmann glaubte seinen Worten. Fast ein wenig neidisch gab er ihm seinen Bogen zurück. Der Knabe war frei, lediglich seiner kleinen Familie verpflichtet. Wie wunderbar unbeschwert musste sein Leben wohl sein.

„Hm, mal sehen. Vielleicht habe ich etwas in meinen Satteltaschen, was du eventuell noch nicht kennst“, meinte der Fremde auf einmal und wand sich seinem Pferd zu. Den Jungen stimmte dies allerdings missmutig. „Entschuldigt, Herr, wenn ich euch etwas einfach vorkommen mag. Aber nur weil ich abgeschieden lebe, bedeutet dies nicht, dass ich dumm sei. Meine Eltern brachten mir viel bei, selbst was außerhalb dieses Waldes geschieht und ich bin gut belesen!“

Überrascht sah der Edelmann sich zu ihm um. Aaron hatte zwar nicht laut losgeschimpft, stand aber sehr bestimmend da, ruhig, aber doch präsent, als wäre er selbst von adligem Geblüt. Der Fremde gluckste leicht erheitert und zog eine kleine Packung aus der Satteltasche. „Nur weil du lesen kannst, heißt das nicht, dass du dich in der Welt auskennst. Ich halte dich lediglich für unerfahren, aber bestimmt nicht für dumm. Dafür schimmern deine Augen viel zu intelligent.“

Aaron wusste nicht, ob er nun beleidigt sein sollte oder nicht. Der Fremde machte ihn nervös, ließ sein kleines Herz ungewöhnlich schnell schlagen. Von Flora kannte er zwar die Etikette, und wie er sich gegenüber einem Adligen zu verhalten hatte, aber dieser Edelmann brachte ihn total durcheinander.

Schmunzelnd betrachtete der Fremde den Zwiespalt im Gesicht des Kleineren, öffnete die schmale Verpackung und reichte ihm diese. Aarons Augen begannen zu glänzen, als er den Inhalt sah. „Schokolade!“, hauchte er ungläubig. Aquarl brachte ihm ab und an etwas Süßes von seinen Handelsreisen mit, aber das war sehr selten. Doch der Junge liebte es nur zu gern. Anstatt jedoch zuzugreifen, machte er einen Schritt zurück und betrachtete den Edelmann argwöhnisch.

„Ihr mögt zwar von adligem Geschlecht sein, trotzdem brachte man mir bei, nichts von Fremden anzunehmen“, sagte er fest. „Und du tust gut daran, auf deine Eltern zu hören“, lachte der Edelmann, brach sich ein Stück von der Tafel ab und aß es genüsslich. Dann hielt er sie wieder auffordernd zu dem Jungen hin. Doch wieder quälten Aaron Gewissensbisse.

„Ich kann euch nichts zurückgeben. Ich besitze nur das, was ich bei mir trage, also nichts von Wert, außer …“ Seine Hand fuhr hoch zu seinem Herzen, worüber die Sehne seines Bogens spannte. Schwer atmete der Adlige aus. So ein schwieriger Bursche war ihm ja noch nie untergekommen.

„Glaubst du wirklich, ich hätte es nötig, dich deines Bogens zu berauben, wenn ich mir davon Tausende leisten könnte? Und bevor du noch an viel dümmere Sachen denken magst: Lustknaben gibt es am Hofe genügend. Dafür habe ich hier nun wirklich keine Verwendung.“

Aarons Wangen glühten heiß auf. An so etwas hatte er nun wirklich nicht gedacht. Obwohl ihm der Gedanke, den Fremden zu berühren, nicht einmal Unbehagen bereitete. Und das machte ihm nur noch mehr Angst. „Aber, ich habe euch verletzt!“, begehrte er schwach auf. Irgendetwas musste er sagen, um von seiner Verwirrtheit abzulenken.

„Es war keine Absicht. Außerdem machtest du es wieder gut, indem du mich verarztet hast. Bitte, schlag mein Geschenk nicht aus.“ Um seiner Bitte Nachdruck zu verleihen, brach der junge Adlige ein Stück von der Tafel ab und hielt es auffordernd dem Knaben hin, als wolle er ihn füttern. Aaron errötete umso mehr, nahm ihm geschwind das Stück aus der Hand und biss ein wenig davon ab. „Ich bin doch kein kleines Kind mehr!“, schimpfte er verhalten. „Das stimmt wohl“, lachte der Edelmann und setzte sich wieder im Schneidersitz auf den Boden, was ihm der Junge kurze Zeit später gleich tat.

Freudig schaute der Fremde Aaron zu, wie dieser Happen um Happen das kleine Stück Schokolade genoss und es langsam auf seiner Zunge zergehen ließ. Fasziniert betrachtete er das schmale Gesicht, welches eine jugendliche Frische ausstrahlte, die fast noch kindlich wirkte. Aber doch sah man langsam den stattlichen Mann hervorbrechen, der er wohl bald werden würde. Nur seine langen, blonden Haare, die weich über seine Schultern fielen, hinterließen einen Touch, der ihn fast zart wirken ließ.

Gemächlich streckte der Fremde seinen Arm aus und ließ eine blonde Strähne von Aarons Haar durch seine Finger gleiten. „Wie Seide“, hauchte er nachdenklich. Dem Jungen war dies sichtlich peinlich, weswegen er, trotz allem Anstand, die Hand des Edelmannes wegschlug. „Meine Mutter achtet sehr auf die Reinheit des Körpers.“ Überrascht über die Geste, schaute der Adlige verwundert in die Augen des Knaben. „Wirklich sehr löblich“, meinte er nur knapp und war wieder gefangen von diesem hellen Blau, welches ihm aufmüpfig entgegenblitzte.

Schon so lange war er auf der Suche. Sollte er etwa jetzt am Ziel sein? Hier, in diesem dichten Wald, weit abseits der nächsten Dörfer? Aber diese Augen … Sie erinnerten ihn so sehr … Fast wie in Trance nahm der Fremde Aarons linke Hand und leckte über dessen Finger, die noch vollgeschmiert waren mit Schokolade. Aufmerksam suchte er auf den Handrücken nach dem Brandmal, von denen alle erzählten. Doch dort war nichts zu sehen. Mit einem Seufzen streichelte er über die Finger und blickte verwundert auf, als er merkte, wie sie leicht zitterten.

Nun begann auch sein Herz schneller zu schlagen, als er in das gerötete Gesicht des Jungen schaute, als er sah, wie dessen Brust sich vom erhöhten Atem rasch hob und senkte und er wie apathisch auf die Finger starrte. War es etwa Schicksal, dass er gerade hier, wo er mit niemandem rechnete, auf diesen Burschen stieß? Seinem inneren Gefühl konnte er sich nicht mehr erwehren und so rutschte er dem Knaben etwas näher.

„Wie ist dein Name?“, fragte er sanft, aber doch nachdrücklich. „Aar… Aaron“, antwortete der Junge stockend und schluckte trocken. Was geschah hier nur gerade? Vor lauter Herzklopfen konnte er sich kaum noch bewegen, geschweige denn klar denken. „Ich bin Phil“, sagte der Adlige, umfasste Aarons Kinn und hob es leicht an, damit der Junge aufschauen und ihn direkt anblicken musste.

„Sag ihn. Sag meinen Namen“, forderte der Fremde ihn auf. „Aber ihr seid doch …“, begehrte Aaron kraftlos auf, da es eigentlich die Etikette verbot, Edelleute ohne Titel mit dem reinen Vornamen anzusprechen. Doch der Fremde gab nicht nach. „Nenne meinen Namen!“, befahl er liebevoll, aber doch mit Nachdruck.

„Phil“, hauchte der Junge schwach und zerfloss in den Händen des Fremden, der ihn zärtlich über die Wange zu streicheln begann. Jener konnte sich nun nicht mehr zurückhalten und küsste diesen Burschen, der ihn so sehr aus seiner eigentlichen Bahn warf. Aaron wusste kaum, wie ihm geschah, ließ sich einfach fallen und seine Instinkte übernehmen.

Der Fremde zog ihn kurzerhand auf seinen Schoß und legte extra eine Hand auf dessen Gesäß, damit er nicht wieder nach hinten wegrutschen konnte. Der Junge seufzte wohlig auf, als seine Lenden hart gegen die des anderen stießen. Er war so erschrocken darüber, dass er gleich wieder flüchten wollte. Doch Phil hauchte ihm beruhigende Worte ins Ohr. „Das ist komplett normal. Lass dich einfach gehen und von mir leiten.“

Aaron hörte nur noch die süße Stimme Phils, spürte, wie jeder Herzschlag ihn zu zerreißen drohte, hörte sein Blut wild durch seine Adern rasen, fühlte die zarten Liebkosungen auf seinem nackten Oberkörper, mit denen ihn sein Edelmann verwöhnte. Jener wollte ihn beim ersten Mal nicht all zu sehr überfordern, weswegen er vorerst ihre Hosen an beließ. Denn selbst der enge Kontakt, wenn ihre Lenden aneinander rieben, brachte ihn selbst halb um den Verstand.

Immer weiter erhöhte er den Druck zwischen ihnen, bewegte seine Hüften so weit es ging, was Aaron rein instinktiv nachahmte. Er krallte sich einfach in die nackten Oberarme des Fremden, genoss dessen männlichen Duft und warf den Kopf genießerisch zurück, wenn dieser über seine Brustwarzen leckte und leicht hineinbiss.

Und dann, als er glaubte es kaum noch aushalten zu können, explodierte ein Feuerwerk in ihm, welches funkelnde Sterne vor seinen Augen hinterließ und ein berauschendes Gefühl, das kaum in seiner Intensität zu beschreiben war. Immer wieder stürzten heftige Wellen über Aaron ein und ließen seinen ganzen Körper erbeben. Heiß wie kalt durchströmten ihn die Empfindungen, die er so noch nie gespürt hatte, bis es langsam nachließ und sich sein Atem wieder einigermaßen beruhigte. Phil, mitgerissen von dem Lustausbruch des Jungen, erging es nur wenig anders. Noch nie hatte ihn ein Akt so sehr eingenommen, dass er kaum mehr fähig war zu denken. Und dabei verlief doch alles noch so unschuldig.

Zärtlich strich Phil dem Knaben die verschwitzten Haare aus der Stirn und lächelte ihn liebevoll an. Aaron senkte nur verlegen seinen Kopf. „Du bist wunderschön, Aaron“, meinte der Edelmann, worauf der Junge schüchtern aufblickte. „Ich bin nur ich“, sagte er leise. „Und das macht dich so liebenswert“, erwiderte der Fremde darauf, was den Knaben vor aufkommendem Glück lächeln ließ.

Nun, da sich sein Herzschlag endlich beruhigte, bemerkte Aaron, dass es schon zu dämmern begann. „Schon so spät?“, rief er erschrocken und sprang auf. Doch er war noch etwas schwach auf den Beinen, weswegen er leicht taumelte. Phil war sofort bei ihm und nahm ihn schützend in seine Arme. „Langsam, mein junger Waldläufer“, sagte der Adlige und ließ ihn erst wieder los, als er sich einen süßen Kuss raubte.

„Meine Eltern. Sie mahnten mich stets, noch vor Anbruch der Nacht wieder zu Hause zu sein. Ich muss mich beeilen.“ Der Edelmann nickte verständnisvoll und bot dem Jungen an, ihn mit seinem Pferd zur Hütte zu begleiten. Doch Aaron lehnte dankend ab. Der Wald war viel zu dicht und die versteckten Wege zu verschlungen, als das dort ein Reittier durchkommen könnte. Geschwind wusch sich der Knabe sauber und zog sich wieder an. Doch noch ehe er im Unterholz verschwinden konnte, hielt ihn Phil am Handgelenk haltend auf.

„Ich würde dich gerne wiedersehen“, sagte er bittend, was erneut Aarons Herz höher schlagen ließ. „Seid ihr euch dessen wirklich sicher? Ich bin nur ein Bürgerlicher, nichts Besonderes!“, fragte der Junge darauf. Er wünschte sich zwar nichts Sehnlicheres, aber er vergaß auch nicht seinen Stand. Liebevoll zog der Edelmann den Knaben zu sich heran und gab ihm einen leichten Kuss. „Ganz sicher, mein süßer, junger Waldläufer.“

Aaron floss dahin. „Morgen, wieder hier?“, fragte der Adlige hoffnungsvoll. „Kurz nachdem die Sonne ihren höchsten Stand erreicht“, antwortete der Junge strahlend und bekam als Dank einen Kuss, der nicht leidenschaftlicher hätte sein können. Erst dann ließ ihn sein Edelmann ziehen, worauf er geschwind seinen Bogen schnappte und im dunklen Wald verschwand, ohne dass der Adlige hätte ihm folgen können.

Seine Familie wunderte sich zwar, dass er erst so spät auftauchte und dann auch noch so verschwitzt war. Aber als er erzählte, er hätte seinen neuen Bogen testen müssen und darüber hinaus die Zeit vergessen, schüttelten die Anderen nur schmunzelnd ihre Köpfe. Und als er Faun noch beteuerte, nicht sinnlos Tiere abzuschlachten, nur wegen ein paar läppischen Zielübungen, gab auch er Ruhe. Aaron meinte lediglich, dass es andere Möglichkeiten gäbe, seine Fertigkeiten zu vertiefen, was Faun sehr beruhigte und auch stolz machte. Aaron hatte sich wirklich prächtig entwickelt.

Und so vergingen fast zwei Wochen, in denen der Junge den Vormittag mit seiner Familie verbrachte, entweder im Haushalt mithalf oder Aquarls fantastischen Geschichten lauschte und dann, sobald der Mittag vorüber war, mit seinem Bogen im Wald verschwand, zu der Lichtung, wo ein jedes Mal sein Edelmann schon auf ihn wartete und ihn ungeduldig in seine Arme schloss.

Es waren zwei Tage vor seinem 16. Geburtstag, als Aaron sich langsam wieder anzog, um nach Hause zu gehen. „Ist es wirklich schon so spät?“, murrte Phil leicht. Von Tag zu Tag fiel es ihm schwerer, seinen Liebsten gehen zu lassen. „Leider. Aber in zwei Tagen werde ich mündig. Dann muss wohl mein Vater mich länger weglassen“, antwortete der Junge schlicht und freute sich schon jetzt auf seine neue Freiheit, obwohl er sich vorher nie eingeengt gefühlt hatte.

Phil hatte sich nun gleichermaßen angekleidet und zog Aaron in seine Arme. Etwas lastete noch schwer auf seinem Herzen und es wurde langsam Zeit, dass er dies seinem Liebsten mitteilte. „Was hast du?“, fragte der Junge besorgt, der seinen trüben Blick wohl bemerkt hatte. „Ich muss für ein paar Tage weg, zurück in mein eigenes Land, um zu schauen, ob dort noch alles in Ordnung ist. Eigentlich durchstreifte ich diesen Wald in der Hoffnung, denjenigen zu finden, dem ich einst ein Versprechen gab. Vielleicht hat sich etwas ergeben und mein Vater hat neue Informationen, nun da 16 Jahre fast verstrichen sind. Sobald ich mir Klarheit verschafft habe, kehre ich zu dir zurück und dann, wenn du noch willst und dich deine Eltern mir freigeben, nehm ich dich mit, auf dass du immer an meiner Seite bleiben magst.“

Sprachlos starrte Aaron den Edelmann an. Schon längst hatte er sein Herz komplett an ihn verloren. Doch nie hätte er zu wagen geglaubt, dass dessen Gefühle genauso tief gingen, wie die seinen. Eine einzelne Träne stahl sich seine Wange hinab, die Phil liebevoll wegküsste. „Behalte vorerst deine Antwort für dich und sage sie mir erst, wenn wir uns wiedersehen. Mein Land ist nicht ganz einen Tagesritt von hier entfernt. Wenn ich mich eile, bin ich an deinem Geburtstag wieder da.“ „Ich werde auf dich warten“, hauchte Aaron verliebt und gab ihm die Koordinaten der Hütte, die der Edelmann sich sofort in sein Navigationsgerät einspeicherte. Das nächste Treffen sollte ein ganz offizielles werden. Wieder küssten beide Liebenden sich, als wenn es keinen Morgen gäbe.

Dann löste sich Phil endgültig von dem Knaben und ging zu dem Baum, wo sein Schwert anlehnte. Aaron nutze die Gelegenheit und huschte zu dem stattlichen Pferd des Adligen. Er wollte ihm ein Zeichen der Liebe hinterlassen, etwas, das an ihn erinnerte. Nur traute er sich nicht, es ihm persönlich zu geben. Schnell löste er die Kette von seinem Hals und ließ diese in die Satteltasche gleiten. Gerade der Anhänger war etwas Besonderes, zeigte Kreise der Dreifaltigkeit, der einst seiner Mutter gehörte, welche bei dem Brand ums Leben kam. Diese Kette war das Einzige, was er von ihr besaß und nun gab er sie seinem Liebsten weiter, damit sie fortan ihn schützen möge.

„Suchst du etwas?“, fragte Phil, der mit einmal ganz dicht hinter ihm stand. Schnell schnappte sich Aaron das erst Beste, was er in der Satteltasche finden konnte. Hervor kam ein dunkelgrünes Tuch, welches mit silbernen Initialen versehen war. Es klebte noch etwas Schokolade daran, weil vorher die Tafel darin eingewickelt war. „Ich … ich wollte etwas zur Erinnerung“, stotterte der Junge und hielt verlegen das Tuch in der Hand. Der Edelmann schmunzelte nur und streichelte liebevoll über dessen Wange. „Behalte es als Pfand für meine Rückkehr“, sagte er sanft und küsste den Knaben ein letztes Mal, bevor er sich in den Sattel schwang.

Das Pferd tänzelte unruhig, in freudiger Erwartung, dass es endlich losgaloppieren konnte. Doch Phil hielt die Zügel straff in seinen starken Händen. „Auf bald, mein süßer, junger Waldläufer!“ „Auf bald, mein stattlicher, junger Edelmann!“, lachte Aaron ob der Spitznamen und sah dann mit traurigem Herzen, wie sein Liebster dem Pferd die Sporen gab und losstürmte, auf in sein eigenes Land und ihn zurückließ, in diesem abgelegenen Wald, der ihm nun viel dunkler erschien als vorher.


Die zwei Tage des Wartens waren für den Jungen wie eine Qual. Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu Stunden, Stunden zu einem ganzen Tag. Seine Eltern glaubten ihn schon als krank, weil er nur in trüben Gedanken dasaß und lediglich ab und an schwer seufzte. Doch seine Stirn war nicht wärmer als sonst. Aquarl begann etwas zu ahnen, allerdings erforderten andere Sachen seine vollste Aufmerksamkeit. Es wurde langsam Zeit, dass Aaron seinen angestammten Platz einnahm, am Hofe des Königs, als Prinz, dort, wo er all die Jahre schon hingehörte.

Entsprechende Vorbereitungen mussten getroffen werden und je näher der Tag rückte, umso nervöser wurden Faun, Flora und auch er. Nur ungern ließen sie Aaron alleine nach draußen, der sich wie immer um die gleiche Zeit aus dem Haus stehlen wollte. Jedoch mussten sie Ruhe bewahren. So kurz vor dem Ziel durften sie nicht die Nerven verlieren oder den Jungen verunsichern.

Es war gen Mittag rum an Aarons Geburtstag, als sich die Familie im Wohnraum der Hütte versammelte. Der Junge wurde von Minute zu Minute unruhiger, wartete er seit Anbeginn des Tages, um endlich wieder Phil in die Arme fallen zu können. Seine Glückwünsche hatte er doch schon am Morgen bekommen. „Was ist denn los?“, fragte er deshalb ungeduldig.

Nur schwer fiel es den Anderen, etwas zu sagen. Aber nun war es an der Zeit. Sie mussten handeln, hatten einfach keine andere Wahl. Schließlich ergriff Faun das Wort. „Aaron, wir haben dich belogen, was deine Eltern betrifft“, begann er. Mit gerunzelter Stirn schaute der Knabe zu seinem Ziehvater auf. „Wie meinst du das? Ich weiß, dass ihr nicht meine richtigen Eltern seid, aber ich liebe euch, als wäret ihr es.“

Flora presste tapfer ihre Lippen aufeinander und griff nach Aquarls Hand. Sie hatte sich doch so fest vorgenommen, nicht zu weinen. „Wir lieben dich auch, Aaron, aus tiefstem Herzen. Das solltest du immer wissen, egal was nun weiter geschieht. Aber du musst auch endlich wissen, wer du wirklich bist. Deine Eltern sind nicht tot. Sie leben und das Einzige, was ihnen fehlt und schmerzt, ist der leere Platz in ihrem Herzen, wo du eigentlich hingehörst.“

„Was … soll das heißen … Warum?“ Aaron spürte die Wahrheit in den Worten seines Vaters. Nur wollte er es noch nicht ganz glauben. „Du bist ein Prinz, Aaron“, sprach Flora sanft. „Um genauer zu sein, der siebente Sohn des Königs und du weißt, was dies bedeutet. Du bist etwas ganz Besonderes.“ Sprachlos schüttelte der Junge seinen Kopf. „Das ist unmöglich. Ich bin ein ganz normaler Bürgerlicher, ein junger Waldläufer, mehr nicht.“

Nun war es an Aquarl ihn zu überzeugen, denn auf hin hörte er bisher immer. „Ignes, der Geist des Feuers, missfiel das Glück deiner Eltern. Auf dem Fest deiner Geburt belegte sie dich mit einem Fluch, den ich nur gering verändern konnte.“ Zur Unterstreichung seiner Worte, streifte sein Onkel den Ärmel hinauf, sodass seine Brandwunde gut sichtbar war. „Doch heute, wenn der Tag zur Neige geht und die Uhr zwölf schlägt, ist der Fluch vorbei und du bist endlich wieder frei und sicher.“

„Nur ungern gaben deine Eltern dich in unsere Hände, aber sie wussten, dass dies sicherer war, als wenn du im Schloss aufgewachsen wärst. Von diesem Tage an wachten wir über dich und zogen dich auf, als wärst du unser Fleisch und Blut. Es schmerzt uns, dich hergeben zu müssen, aber deine Eltern warten auf dich. Sie wünschen sich nichts Sehnlicheres, als dich endlich wieder in ihre Arme schließen zu können, nach all der Zeit.“ Nun perlten doch einzelne Tränen Floras Wangen hinab.

Nur langsam drangen die Worte zu Aarons Innerstem vor und nach und nach begann er zu begreifen. Keine Lüge stand in ihren Augen, also musste er ihnen glauben. Auch sein Herz wurde schwer, seine Mutter so leiden zu sehen. Schnell ging er auf sie zu und nahm sie fest in seine Arme. „Ich spüre, dass es richtig war, was ihr getan habt. Aber wisset eins: Egal wer meine leiblichen Eltern sind, ihr bleibt für mich immer meine wahren Eltern.“ Flora schluchzte erleichtert auf und auch Faun legte ergriffen seine Hand auf Aarons Schulter.

„Das ist allerdings nicht alles“, sagte Aquarl nach einer kleinen Weile, in deren sich alle beruhigt hatten. „Ignes ist kein einfacher Mensch, vor der wir dich leicht hätten verbergen können. Sie ist der Geist des Feuers und nur andere Geister können ihre sehenden Augen verdunkeln.“ Mit diesen Worten ließ Aquarl seine Kraft fließen und kleidete sich endlich wieder in seiner tiefblauen Magierrobe. Faun und Flora taten es ihm wenige Augenblicke später gleich. Faun, nun prächtig gekleidet im wilden Leder, als wäre er selbst ein junger Prinz und Flora, umhüllt in einem Kleid aus sattem Grün, welches sich samten um ihren schmalen Körper schmiegte.

Aaron erkannte sie sofort aus den Büchern. „Faun, Beschützer der Tiere, Flora Hüterin der Pflanzen und Aquarl, Hüter des Wassers. Dann ist es doch kein Zufall, dass eure Namen die Gleichen sind. Ihr seid wirklich die Geister der Erde!“ Nun begriff der Junge ganz, welche Ehre ihm zuteilgeworden war, denn diese Geister zeigten sich nur sehr selten den Menschen. Und er durfte 16 Jahre unter ihnen leben. „Ich … ich danke euch“, sagte Aaron, nachdem er seine Sprachlosigkeit überwunden hatte.

„Nicht du musst uns danken, sondern wir dir. Du hast uns 16 Jahre lang große Freude bereitet, denn für Geister ist es sehr schwer, eigene Kinder zu gebären. Wir … danken dir!“, sprach Faun und nun war es an ihm, Aaron kräftig zu umarmen, der nun selbst Tränen in den Augen hatte.

„Ich möchte zwar nicht zur Eile drängen, aber deine Eltern warten, Aaron. Das tun sie schon so lange. Wir sollten endlich aufbrechen“, sagte Aquarl ruhig. „Aber wir haben doch gar keine Pferde oder Transporter. Und wo liegt dieses Königreich überhaupt?“, fragte der Junge verwundert. „Wir sind Geister der Erde, mein Sohn. Wir brauchen keine Hilfsmittel, weder tierische noch technische“, lachte Faun auf und bedeutete Aaron sich in ihre Mitte zu stellen.

„Darf ich denn zurückkehren, um euch zu besuchen?“, fragte der Knabe auf einmal. So leicht konnte er einfach nicht von seinem alten Leben loslassen. „Wann immer du willst“, antwortete Flora und streichelte ihrem Ziehsohn liebevoll über die Wange. Aaron war aufgeregt. Natürlich wollte er seine leiblichen Eltern kennenlernen, aber er dachte auch an Phil. Heute war der Tag, an dem er zurückkehren wollte.

Nun aber hatte sich so einiges geändert. Aaron war gleichsam wie er von adligem Geblüt. Wenn es Phil denn wirklich ernst war, so konnte der Junge nun offen an der Seite des Edelmannes treten, ohne dass jemand strafend auf den Klassenunterschied hinwies. Er bräuchte nicht mehr sein stiller Liebhaber zu sein, der nur im Verborgenen agiert, sondern hatte nun die Gunst, ihn zu seinem offiziellen Partner zu erwählen. Aaron freute sich schon jetzt, Phil diese Neuigkeit zu überbringen. Noch gut drei Stunden würde es dauern, bis die Sonne ihren höchsten Stand überschritt. Das wäre genug Zeit, seinen leiblichen Eltern gegenüberzutreten und dann wieder hier her zurückzukehren. Zurück zu seinem Liebsten, zu seinem Phil.

„Aaron, versuche dich zu entspannen und lass dich einfach fallen“, wies Aquarl seinen Neffen an, bevor er Fauns und Floras Hand ergriff. Alle drei standen im Kreis um den Jungen und hatten sich bei den Händen gefasst. Dann begannen sich ihre Kräfte zu verbinden. Aaron spürte einen starken Sog, der mehr und mehr an ihm zerrte und mitzureißen drohte. Der Junge schloss seine Augen und gab sich diesem Sog einfach hin, genauso, wie es Phil immer bei ihrem lieblichen Akt in sein Ohr geflüstert hatte.

Wild fegte ein starker Wind durch die Hütte und um die drei Geister und ihrem Schützling, ließ Stühle laut polternd zu Boden fallen und riss Töpfe und Gardinen von den Wänden. Dann fühlte sich Aaron nur noch schwerelos. Und wenige Sekunden später hatte er mit einem Schlag wieder festen Halt unter seinen Füßen. Fasst wäre er gefallen, wenn ihn Faun nicht festgehalten hätte.

„Das hier ist dein neues Zimmer und dein neues Heim“, verkündete Flora fast schon feierlich und sah freudig mit an, wie Aaron sich mit großen Augen umschaute. Ein riesiges Bett dominierte den gesamten Raum und überall hingen reich verzierte Teppiche an den Steinwänden oder lagen seltene Felle auf dem Boden. Euphorisch sprang er zum Fenster und riss die Läden weit auf. Staunend starrte er auf das Land hinab, welches er gut von dem Schloss aus überblicken konnte. Und das war nun seine Heimat, das Reich seines leiblichen Vaters.

„Wann lerne ich sie kennen? Meine leiblichen Eltern? Und ihr sagtet, ich wäre ihr siebenter Sohn. Also habe ich noch Geschwister, ja?“ Aaron überschlug sich fast mit seinen Fragen. Faun versuchte ihn lachend zu beruhigen. „Hab nur Geduld, junger Prinz. Heute Abend gibt König Stefan ein großes Fest dir zu ehren. Dort sollst du alle wiedersehen. Außerdem wird auch gleich deine Vermählung bekannt gegeben. Wie mir ein Bote mitteilte, ist der Prinz des Nachbarlandes gestern erst zurückgekehrt und sollte nun auf dem Weg hier her sein. Er war der Einzige, der dich noch beschützen wollte, selbst nachdem der Fluch schon ausgesprochen war.“

Aaron stutzte. „Wie meinst du das, meine Vermählung?“ Flora antwortete. „Du bist der siebente Sohn des Königs. Sobald du mit dem Prinzen den heiligen Bund eingehst, sind beide Länder von den Göttern gesegnet. Seit deiner Geburt bist du ihm versprochen und er dir. Es ist eure Bestimmung.“

„Aber … aber ich will diesen Prinzen nicht heiraten. Ich will niemand anderen als Phil an meiner Seite!“, begehrte Aaron mit einem Mal auf. Zuerst lebten seine Eltern doch noch, dann war er ein Prinz und nun, nachdem er sein altes Leben aufgeben sollte, sollte er es gleichsam mit seiner Liebe machen? Niemals!

„Wer ist Phil?“, fragte Faun argwöhnisch und musterte Aaron streng. „Das ist der Mann, den ich liebe! Wir begegneten uns an der Lichtung, wo das Wasser aus dem Stein entspringt. Er versprach heute zurückzukommen, um mich mit sich zu nehmen“, sprudelte es aus dem Jungen hervor. Er war total durcheinander. Beruhigend legte Aquarl die Hand auf seine Schulter. „Aaron, du bist ein Prinz und hast eine gewisse Verantwortung zu tragen. Ich sag es nicht gern, aber du wirst diesen Mann niemals wiedersehen!“

Fassungslos starrte der Knabe von einem zum anderen und schüttelte dann leicht mit seinem Kopf. „Nein … das glaube ich nicht … Das will ich nicht glauben …“ „Aaron …“, versuchte Aquarl erneut zu erklären, doch dem Jungen wurde das zu viel. „Raus“, flüsterte er fast. „Aaron …“, begann Flora sanft, aber vergebens. Wütend schlug der Knabe die Hand von seiner Schulter. „Raus, sagte ich! Raus, raus, raus!“, schrie er hysterisch die Geister an, welche sich traurig abwanden und zur Tür gingen. „Ich will euch nie wiedersehen“, flüsterte Aaron noch, bevor sie komplett aus seinem neuen Zimmer verschwanden.

Kaum war die Tür geschlossen, fiel der Junge auf die Knie und schlug vor Wut und Trauer auf den Boden ein, bis seine Finger leicht bluteten. Und selbst das mochte ihm nicht den Schmerz nehmen, der sich tief in sein Herz gebohrt hatte.

Stunde um Stunde verging und nur ab und an traten ein paar Hofdiener in das Zimmer des Prinzen, um ihn für das Fest herzurichten. Seine langen, blonden Haare wurden gekämmt und einzelne, dünne Strähnen locker geflochten, seine Hände und Fingernägel von Rissen und Dreck befreit. Weiter kleidete man ihn nun in ein Gewand, was einem Prinzen mehr als nur würdig war. Der Junge ließ alles stumpf über sich ergehen. Weder erwiderte er ein Wort der Begrüßung, noch würdigte er jemanden eines Blickes. Stur starrte Aaron geradeaus, die Gedanken nach innen gerichtet, in Erinnerung an die letzten beiden Wochen, die so viel Liebe in sein Herz gebracht hatten. Und nun … Nun war alles vorbei.

Es begann zu dämmern, als die Fanfaren die ersten Besucher des Festes ankündigten. Aaron stand am Fenster, spürte den warmen Wind, der sanft seine Wangen streichelte. Von Kummer erfüllt, schloss er seine Augen und stellte sich vor, dass es nicht der Wind wäre, der ihn liebkoste, sondern sein stattlicher Edelmann, welcher so unglaublich stark war und doch so zärtlich sein konnte. Tränen flossen still und heimlich hinab und wieder glaubte er, sein Herz würde vor Schmerzen zerspringen.

Nur ein sanft flackerndes Licht lenkte ihn von seiner Trauer ab. Verwundert drehte er sich zu dem Kamin um, auf dessen Sims in einer schmalen Vase eine einzelne rote Rose stand, die von innen heraus dunkel zu glühen schien. Langsam ging der junge Prinz darauf zu, hob wie unter Trance seine rechte Hand und streichelte fast schon zärtlich über die dunkelroten Blütenblätter.

Diese wunderschöne Pflanze sollte also hochgiftig sein? Dabei verströmte sie doch einen so wundervollen Duft. Sacht hob er sie aus der Vase und betrachtete sie eingehender. Nur sah er nicht die Schönheit dieser Blume, sondern allein Phils Gesicht, welches sich in den Blütenblättern widerzuspiegeln schien. Nein, ohne ihn leben wollte er nicht. Ohne zu zögern hob Aaron nun seine linke Hand und schloss diese fest um den Schaft der Rose, so dass die Dornen sich tief in seine Finger bohren konnten.

Sofort spürte der Junge, wie das Gift sich in ihm ausbreitete und fiel auf den Boden hinab. Mit letzter Kraft zupfte er das Tuch aus seiner Tasche, welches er als Pfand von seinem Liebsten geschenkt bekommen hatte, hielt es an seinen Mund und atmete tief ein. Ein Hauch von Phils männlichem Duft hing noch daran. Aaron bemerkte zwar, dass die drei Geister wild an seiner Tür hämmerten und um Einlass geboten, aber das war ihm egal. Lächelnd schloss er seine Augen und schenkte seinen letzten Gedanken dem Menschen, den er in so kurzer Zeit gelernt hatte, über alles zu lieben. Dann stürzte er hinab in tiefe Dunkelheit.


Wild riss Phil an den Zügeln seines Pferdes und fasste sich an seine Brust, wo sein Herz mit einem Mal schmerzhaft aufschrie. Irgendetwas war geschehen, das spürte er genau. „Aaron“, flüsterte der Edelmann und drängte dann sein Ross zur Eile. Er war nicht mehr weit von der Hütte entfernt, die sein Liebster ihm als Treffpunkt genannt hatte, damit er dessen Eltern und auch Onkel kennenlernen möge. Es begann schon zu dämmern und Phil verfluchte die hitzige Diskussion mit seinem Vater, die ihm so viel Zeit geraubt hatte.

Es war am gestrigen Tage, als er in das Schloss, wo er geboren wurde, zurückkehrte. Im Thronsaal kam ihm sein Vater, der König, aufgeregt entgegen. „Was ist geschehen, Vater?“ Phil spürte dessen Aufgelöstheit. „Schnell, du musst dich fertigmachen! Die ersten sind schon auf dem Wege zu König Stefan. Sein Sohn! Es gibt Kunde, dass er morgen zurückkehrt. Alles ist in heller Aufruhr und bereitet ein großes Fest vor. Philippe, du brauchst nicht mehr einsam durch die Lande zu streifen!“

„Das stimmt Vater, denn ich habe ihn endlich gefunden. Den, der an meiner Seite leben soll, der mein Herz gestohlen hat.“ Freudig jubelte der König auf. „Sehr gut, sehr gut, du hast den jungen Prinzen also schon kennengelernt. Dann rasch zum Teleporter. Umso kürzer die Reise, umso schneller ist eure Vermählung, die morgen stattfinden soll.“ „Aber Vater, ich rede nicht von dem Sohn von König Stefan“, wies Phil seinen Vater ernst hin.

„Was?! Wie meinst du das? Erkläre dich!“, befahl der König verärgert. „Ich traf einen Jungen auf einer Lichtung, tief verborgen im Wald. Er ist unglaublich! So liebevoll und rein, ehrlich und mutig. Er hat mich verzaubert“, schwärmte der Prinz. Doch der König fand das alles andere als amüsant. „Im Wald? Ein … ein Bürgerlicher?“, hauchte er ungläubig. „Er ist ein Waldläufer und ich werde ihn zu meinem Gemahl nehmen!“, begehrte Phil auf.

„Er scheint dich wohl eher verhext zu haben! Seit 16 Jahren bist du dem Sohn von König Stefan versprochen. Diese Bande kann man nicht von heute auf morgen lösen! Du wirst zum Reich des Königs reisen und den Prinzen zum Mann nehmen, wie es vorbestimmt war und diesen Waldläufer vergessen!“, befahl der König streng, doch Phil dachte nicht im Geringsten daran, dem nachzugehen. „Das werde ich nicht!“

„Wie … bitte?“ So einen Ungehorsam war er von seinem Sohn nicht gewöhnt. Sicher war dieser manchmal etwas ungestüm und wild, aber nie unfolgsam. „Ich gab einst lediglich das Versprechen, den Königssohn zu beschützen, nicht ihn zu heiraten. Nun, da er wieder in sein Reich zurückkehrt, hat er ja wohl genügend Wachen, die sich um sein leibliches Wohl sorgen können. Schon einmal konnte ich mein Versprechen nicht einhalten, was daran lag, dass ich gerade mal drei Winter zählte. Das ist nun anders. Ein weiteres Mal werde ich mein Versprechen nicht brechen. Ich werde in den Wald zurückkehren und denjenigen zu meinem Gemahl nehmen, der mein Herz gestohlen hat. Und wenn ich dazu selbst zum Bürgerlichen werden muss, ist mir das gleich. Lebt wohl, Vater.“

Ohne auf das verdutzte Gesicht seines Vaters zu achten, verließ der Prinz den Saal. Nur kurz zog er sich auf sein Gemach zurück, wo er das Nötigste zusammenpackte und seine persönlichen Wertsachen zusammensuchte. Es war nicht viel, nur eine kleine Tasche, die er gut auf sein Pferd hinter dem Sattel schnallen konnte.

Und nachdem er in der Küche auch etwas Proviant geholt hatte, lief er eiligst zu den Stallungen, um sein Pferd zu holen. Dort erwartete ihn allerdings schon sein Vater und wieder entbrannte eine hitzige Diskussion. Fasst wollte ihn der König schon einsperren lassen, doch das wilde Funkeln in den Augen seines Sohnes hielt ihn davon ab. Schweren Herzens ließ er Prinz Philippe ziehen und fand schon jetzt keine Worte, wie er dies König Stefan beibringen sollte.


Im Wald wurde es stetig dunkler und Phil immer nervöser. Irgendetwas schien ihm sein Instinkt zu flüstern, doch die Stimme war noch zu leise, als dass er hätte etwas verstehen können. Und da, endlich sah er die kleine Waldhütte, von der Aaron gesprochen hatte. Doch es brannte kein Licht. Eilig ließ er das Navigationsgerät in eine der Satteltaschen gleiten und stieg ab.

Als er auf die Tür zuging, bemerkte er, dass diese einen Spalt breit offen stand. Ohne anzuklopfen stieß er diese auf und betätigte den Lichtschalter. Erschrocken blickte er sich um. Der Tisch war komplett an die Wand verrückt, Stühle lagen umgestoßen auf dem Boden neben zerbeulten Töpfen und zerrissenen Gardinen.

„Aaron!“ Nach seinem Liebsten rufend durchsuchte Phil alle drei Räume, doch finden tat er niemanden. Wieder legte sich diese eiskalte Klaue um sein Herz und zerdrückte es fast. Erneut hatte er es nicht geschafft, sein Versprechen zu halten. Nein! Er durfte dieses hilflose Gefühl nicht die überhand gewinnen lassen. Noch war es nicht zu spät.

Geschwind stürmte er nach draußen und suchte die Gegend nach Spuren ab. Doch auch das blieb erfolglos. Mit fest aufeinander gepressten Lippen stampfte er auf sein Pferd zu, um einen Blick auf das Navigationsgerät zu werfen. Er könnte sich die Umgebung in allen Einzelheiten anzeigen lassen und überprüfen, welche Wege noch bis zur Hütte führten. Das Holz im Kamin glomm noch schwach vom erloschenen Feuer. Lange waren sie also noch nicht weg.

Als Phil wild in der Satteltasche wühlte, um das Navigationsgerät herauszuholen, hielt er mit einmal nicht nur die digitale Karte in der Hand. Verwundert entwirrte er die Kette, die sich um das Gerät gewickelt hatte, und betrachtete den silbernen Anhänger. Er zeigte Kreise der Dreifaltigkeit und mit einmal hatte der Prinz das Bild von Aaron im Kopf, wie dieser vor seinem Pferd stand und sich an der Satteltasche zu schaffen machte.

Wild schlug sein Herz gegen die Brust, als Phil den Anhänger erkannte. Damals, vor 16 Jahren, hatte er sie von seinem Hals gelöst und diesem Kleinkind umgelegt. Einst gehörte die Kette seiner Mutter, welche bei seiner Geburt starb. Sie war das Einzige, was er von ihr besaß und damals gab er sie diesem Kind weiter, damit sie fortan ihn schützen möge. Aaron war also nicht nur ein junger Waldläufer, sondern der Sohn von König Stefan, den, den er seit 16 Jahren unentwegt suchte. Dann war das, was er hier vorfand noch viel beunruhigender. Er musste sofort zum Reich des Königs!

Gerade als er sich auf sein Pferd schwingen wollte, hörte er jedoch ein amüsantes Kichern. Kleine Feen im feurigen Rot schwirrten mit einmal um seinen Kopf, zerrten an seinen Haaren und Kleidern und ließen ihn einfach nicht in Ruhe. Wild schlug er um sich, um diese lästigen Biester loszuwerden, bis diese ganz plötzlich an ihm vorbeifegten, auf einen Punkt in den Büschen zu, wo eine junge Frau hervortrat. Trotz der vorherrschenden Dunkelheit erkannte Phil sie sofort.

„Ignes“, hauchte er ehrfürchtig und machte einen Schritt zurück. „Prinz Philippe, was für eine Ehre“, sagte sie mit leichtem Spott in ihrer zarten Stimme. Anmutig ging sie auf ihn zu, wobei rote Seide sich um ihren wohlgeformten Körper wand und mehr preisgab, als sie verdeckte. Der Geist des Feuers war genauso schön wie vor 16 Jahren, als wäre sie um keinen Tag gealtert. Die kleinen Feen tanzten um Ignes Kopf und kicherten schadenfroh, als wüssten sie, was nun gleich geschehen würde.

„Wo ist Aaron?“, fragte Phil scharf und legte drohend seine Hand auf den Schwertknauf. „Zu Hause natürlich, wo sollte er sonst sein“, antwortete Ignes verführerisch und schmiegte ihren zarten, warmen Körper leicht an den des Prinzen. Vorerst blieb dieser ganz ruhig stehen, da er wusste, dass man mit dem Geist des Feuers nicht spaßte. „Dann werde ich zu ihm gehen!“, sagte der Edelmann bestimmend.

Doch kaum hatte er sich von Ignes gelöst, warf sie sich an seine Brust und umklammerte ihn regelrecht, so dass er ihre prallen Brüste durch sein Hemd und Weste spüren konnte. Ignes Haut schimmerte zart orange und ihre Augen sprühten vor Feuer. Fast verlor sich Phil in deren Schein, spürte das Verlangen in sich wachsen, diese Frau hier und jetzt in andere Sphären des Glücks zu entführen. Doch plötzlich sah er wieder diese blauen Augen vor sich, die heller schimmerten, als jeder noch so schönste Sommerhimmel. ‚Aaron‘, schallte es durch seinen Kopf.

Der Bann war gebrochen. Angeekelt stieß Phil Ignes von sich, die ihn daraufhin wütend anfunkelte. „Dass du mich, den Geist des Feuers, verschmähst, ist eine Beleidigung, die ich nicht durchgehen lassen kann. Dafür wirst du teuer bezahlen müssen!“ Nur leicht hob Ignes ihren Arm und sofort schoss kaltes Feuer aus ihrer Hand direkt auf Phil zu, welches sich wie eine Schlange um seinen Körper zu winden begann und bis zu seinem Kopf hinaufkroch. Dem Prinzen schnürte es die Luft ab und nur noch das wilde, hysterische Lachen des Geistes hallte in seinem Kopf nach, bevor ihm schwarz vor Augen wurde und er dann zusammenbrach.


Endlich hatten es die drei Geister geschafft, die mit Magie versiegelte Tür zu Aarons Gemach aufzubrechen. Doch außer eine freche, feuerrote Fee wegzuscheuchen, die an des Prinzen Kleider zupfte, konnten sie nichts mehr tun. Der Junge lag mit blassem Gesicht auf dem Boden, versunken in einem tiefen Schlaf, der nur durch den Kuss der wahren Liebe durchbrochen werden konnte. „Wir hätten ihn nie allein lassen dürfen“, sagte Flora mit bebender Stimme.

16 Jahre lang beschützten sie den Jungen und nun, kurz vor dessen Erlösung, hatten sie versagt. Sanft hob Faun seinen Ziehsohn auf und legte ihn auf dessen Bett ab. Dabei fiel das dunkelgrüne Tuch hinab, welches Aaron bis zum Schluss in der Hand behalten hatte. Verwundert hob es Aquarl auf und betrachtete die silbernen Initialen, die darauf eingestickt waren. Als er sie jedoch erkannte, sog er zischend die Luft ein. Alarmiert sahen die beiden anderen Geister zu ihm hinüber.

„Der junge Mann, den Aaron traf, auf der Lichtung, wo das Wasser aus dem Stein entspringt. Der, der ihm versprach heute zurückzukommen, um ihn mit sich zu nehmen, ist niemand anderes als Prinz Philippe!“ Zur Unterstreichung seiner Worte zeigte Aquarl den Anderen das Tuch und die Initialen. „Er nannte ihn Phil. Das war bloß die Abkürzung von Philippe!“

„Wenn er heute wirklich auf dem Weg zu unserer Hütte ist, dann schwebt Prinz Philippe in größter Gefahr! Diese kleine, rote Fee war Ignes Lakai. Sie weiß nun, wer als einziger Aaron erlösen kann und da wir heute zum ersten Mal seit langer Zeit Magie angewandt haben, kann sie unsere Spuren ganz leicht zurückverfolgen!“, sprudelte es aus Faun heraus. „Wir müssen sofort zur Waldhütte!“

„Wartet! Was wird aus dem König und der Königin? Das ganze Reich wartet auf die Rückkehr des Prinzen schon 16 Jahre. Wir können sie doch nicht alle auf später vertrösten“, sprach Flora ihre Bedenken aus. Doch Aquarl hatte eine Idee. „Ihr beiden geht vor zur Hütte und beschützt Prinz Philippe. Ich bleibe derweil hier und versenke das ganze Schloss in einen tiefen Schlaf, bis Aaron wiedererwacht. Sobald ich damit fertig bin, werde ich euch folgen, und wenn es bis zur Ignes dunkler Burg sein muss!“

Und so geschah es auch. Während sich Faun und Flora zur verborgenen Waldhütte aufmachten, begab sich Aquarl auf den höchsten Turm des Schlosses und ließ dort seine Magie fließen. Wie ein sanfter Nebel schwebten seine Kräfte durch die Hallen und brachte alles zum Erliegen. Beginnend mit den Wachen auf den Zinnen, die sich klappernd auf dem Boden niederließen, das Volk am Hofe und die Adligen im Festsaal, welche gähnend zur Ruhe kamen, selbst das Wasser im verzierten Springbrunnen wurde still und das Feuer der Fackeln erlosch. Als nun seine Arbeit hier getan war, begab er sich zu einem der Teleporter. Zwar könnte er sich auch Kraft seiner Magie durch die Lande bewegen, aber er spürte, dass er all seine Macht noch für später brauchen würde.

Kaum erschien Aquarl an der Hütte, kamen schon seine Freunde auf ihn zu. „Prinz Philippe war schon hier … und Ignes auch“, sagte Flora gleich. „Uns bleibt nichts anderes übrig, als ihnen bis zur dunklen Burg zu folgen“, sprach Faun weiter, worauf alle nickten. Dort gab es keine Teleporter, weswegen alle drei Geister erneut ihre Kräfte miteinander verbanden und sich in die entlegenste Ecke der Burg transportierten.

Sie mussten arg aufpassen, da sie nicht zu viel Energie aufbringen durften, sonst würde sie Ignes sofort aufspüren. Rasch verwandelten sie sich selbst in kleine Feen, welche unbemerkt durch das Schloss flogen, auf der Suche nach dem jungen Prinzen. Erst tief unter der Burg, im dunkelsten Kerker, entdeckten sie Philippe. Das Türschloss war dank Magie kein großes Hindernis, aber trotzdem mussten sie sich sputen. Jeden Augenblick würde die Wache erneut auf ihrer Runde hier vorbei kommen und dann wüsste das ganze Schloss, das sie hier waren, einschließlich Ignes.

Überrascht sah der Prinz auf und starrte die drei Geister mit großen Augen an, als diese im Kerker wieder ihre eigentliche Größe annahmen. „Still! Nichts sagen, nichts fragen!“, befahl Faun leise, während er die Handfesseln und Flora die Fußfesseln lösten. Aquarl bewachte in der Zeit die Tür.

Schwungvoll stand Phil auf, als er endlich von den Ketten befreit war, doch bevor er hinausstürmen konnte, hielt ihn Faun auf. „Ihr wisst nun, wem ihr euer Herz geschenkt habt, junger Prinz“, stellte er fest und streichelte über den silbernen Anhänger, den der Edelmann an einer Kette um den Hals trug. „Doch der Weg wahrer Liebe ist oft durch Gefahren versperrt und ihr müsst sie alle allein bestehen. Wappnet euch deshalb mit diesem Schild der Tugend. Und das Schwert der Wahrheit gibt euch Kraft. Mit diesen Waffen der Gerechtigkeit sollt ihr das Böse überwinden können.“

Dankend nickte der Prinz dem Beschützer der Tiere zu, bevor er hinter Aquarl aus dem Kerker trat. Sie mussten nur noch an die Oberfläche hinauf, denn so weit unter der dunklen Erde schwanden durch den Einfluss des Bösen die Kräfte der drei Geister zusehends. Doch kaum bogen sie um die nächste Ecke, stießen sie auf eine kleine, rote Fee, die sofort zischend davon flog, um ihrer Herrin Bescheid zu geben.

„Eilt euch!“, rief Aquarl aus und lief geschwind voran. Nun war es egal, ob sie noch auf jemand anderes trafen. Sie mussten sofort unter freien Himmel kommen! Flora hatte sich gut den Weg gemerkt und so standen sie wenige Augenblicke später auf einer Terrasse, wo sie sich rasch an den Händen nahmen und einen Kreis um den Prinzen bildeten. Ihre letzten Kraftreserven schlossen die drei Geister zu einer großen Macht zusammen und stoben dann hinfort, weit weg von diesem dunklen Ort, auf, Richtung des Reiches von König Stefan.

Doch anstatt in der Mitte des Hofes anzukommen, standen alle vier ein Stück weit abseits des Schlosses. Verwundert sah der Prinz sich um und merkte dann, wie Aquarl zusammenbrach. Faun und Flora fingen ihn sofort auf und ließen ihn sanft zu Boden gleiten. „Den restlichen Weg müsst ihr allein beschreiten, Prinz Philippe. 16 Jahre lang haben wir unsere Magie nicht gebraucht und nun hat der mit dunkler Aura behaftete Ort unsere restlichen Reserven aufgebraucht. Geht! Und seid gewiss, dass wir in Gedanken bei euch sind!“, sprach Flora auffordernd. Der Edelmann wartete nicht lange und lief dann Richtung Schloss.

Kurz bevor er jedoch das Tor zum Hof durchqueren konnte, erschienen mit einmal tausende der kleinen, feuerroten Feen, die erneut begannen, ihn an Haaren und Kleidung zu zerren. „Hinfort mit euch!“, ertönte Aquarls Stimme und ein Schwall eiskaltes Wasser schwappte über den Prinzen, der nur durch Aquarls Segen vom kalten Nass verschont blieb.

„Nein! So leicht entkommst du mir nicht!“, ertönte Inges wütende Stimme.

„Ein Wald von Dornen wird dein Grab!
Aus Nebel sinke Finsternis hinab!
Ein Ring des Unheils lege sich um des Königs Schloss
und Tod und Verderben drohe dem Reiter und sein Tross!“

Kaum hatte sie die Worte ausgespien, sprossen dichte Dornenranken aus dem Boden, die keinen Weg mehr ins Innere des Schlosses freigaben. Doch Phil dachte nicht im Traum daran, aufzugeben. Wild schwang er sein Schwert und zerstückelte nach und nach jede einzelne Ranke, was Ignes nur umso wütender machte.

Kaum dass er sich einen Weg durch das Gestrüpp zum Tor gebahnt hatte, entbrannte vor ihm ein kaltes Feuer, welches wie eine Fontäne in den Himmel stob und sich langsam zu einem riesigen Drachen materialisierte. „Nun werden wir ja sehen, wie rein dein Herz wirklich ist, junger Prinz. Denn nun kämpfst du gegen mich!“, höhnte der Geist des Feuers und schnappte mit dem kantigen Maul nach Philippe. Dieser sprang jedoch rechtzeitig beiseite, rollte sich galant ab, drehte sich sogleich um und hieb mit seinem Schwert nach dem Kopf des Drachen.

Wild brüllte Ignes auf, öffnete ihr Maul und spuckte kalte Flammen, welche ätzend auf den Boden trafen. Die Dornenbüsche fingen sofort Feuer und in kürzester Zeit stand die gesamte Umgebung in Brand. Der dichte Rauch reizte Lunge und Augen, doch das verdrängte der Edelmann. Er musste zu Aaron, seinem Liebsten, seinem süßen, kleinen Waldläufer und nur das zählte für ihn.

Hustend rettete er sich auf einen kleinen Felsen, wodurch er etwas den kalten Flammen entkam. Nur war er nun auch ein perfektes Angriffsziel für Ignes. Diese nutzte sofort die Gelegenheit und spuckte erneut ätzendes Feuer, welches der Prinz mit seinem verzauberten Schild gerade noch so abhalten konnte. Trotz dass Philippe nur wenig Freiraum zum Ausweichen hatte, schlug er ein jedes Mal den Drachen beiseite und erwehrte sich erfolgreich gegen dessen Angriffe.

Ignes hingegen wurde dies alles zu bunt. Weit holte sie mit ihrer Pranke aus und schlug das Schild aus Phils Hand. „Nun hast du nichts mehr, was dich vor mir schützen könnte!“, prahlte der Drache siegessicher und lachte höhnisch auf. Als Ignes jedoch ihren langen, schlanken Hals zurückwarf, hörte der Prinz die Stimmen der drei guten Geister in seinem Kopf.

„Schwert der Wahrheit schick Verderben,
lass Gutes siegen und Böses sterben!“

Hell leuchtete die Waffe in seiner Hand auf und er verstand sofort. Mit ganzer Kraft schleuderte er das Schwert diesem Ungetüm entgegen und durchbohrte dessen Hals.

Grell kreischte der Geist des Feuers auf und wand sich am Boden wie eine Schlange im Todeskampf. Dann starb Ignes nach einem letzten Röcheln. Kaum hatte sie der letzte Lebenshauch verlassen, verschwanden neben ihrem leblosen Körper die dichte Dornenhecke und das Feuer und die Umgebung erfreute sich an frischer Blüte. Nun hielt den Prinzen nichts mehr auf. Geschwind durchquerte er den Innenhof und stieg die vielen Treppen hinauf, lief die weiten Gänge entlang, bis er endlich vor dem Gemach seines Liebsten stand.

Mit klopfendem Herzen öffnete er die Tür und ging bedächtig auf das Bett zu, auf den sein kleiner Waldläufer schlief. Wahrlich, so fein hergerichtet und edel gekleidet, sah er wirklich wie ein Prinz aus. Ihn allerdings interessierte dies nicht. Er wollte lediglich seinen süßen, ein wenig naiven, frechen und ebenso mutigen Jungen zurück, in den er sich vor kurzer Zeit so sehr verliebt hatte. Langsam beugte er sich über den Knaben, um ihn dann endlich zu küssen.

Als Aaron erwachte, glaubte er zu träumen. Tränen flossen unaufhaltsam seine Wangen hinab, als er gewahrte, dass es real war und sein Liebster wirklich vor ihm saß. Dieser nahm ihn lediglich in seine Arme, presste ihn fest an seine Brust und wollte ihn nie mehr loslassen. Somit lebten beide junge Prinzen fortan gemeinsam als Gefährten, bis die Tage andere würden, in Frieden.

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