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Weihnachtslotterie
Weihnachtschallenge 2008
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Informationen
- Story: Weihnachtslotterie
- Autor: Icho Tolot
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Weihnachten, Challenge
Man, morgen ist schon wieder Weihnachten. Natürlich kommt auch wieder Oma, natürlich auch meine Tante mit ihren zwei kleinen Plagen, die sich noch wie Harry auf Weihnachten freuen können.
Weihnachten läuft bei uns so ab: Die ganze Familie fällt bei uns zu Hause ein, jeder versucht so lieb und nett wie möglich zu sein und dann werden die alljährlichen Rituale abgespult.
Einfach nur ätzend. Soweit ich das mit meinen fünfzehn Jahren sagen kann, ist Weihnachten absolut überflüssig. Na gut, die Ferien und die Geschenke sind ganz okay.
Wo war ich stehen geblieben? Ach, ich hatte noch gar nicht angefangen.
Wir schreiben also den 23.12. abends. Vor lauter Vorfreude gehe ich sehr früh schlafen. Mein letzter bewusster Gedanke ist der Wunsch, die ganzen Feiertage mit dem Trubel doch einfach zu verschlafen.
War wohl nix.
Als ich zu mir komme, stehe ich im Pyjama, auch so eine Sache die ich nur zu Weihnachten trage, man will ja Oma nicht mit dem Anblick eines nackten Enkels schocken, an einem bunt blinken Pult voller komischer Symbole.
"Ah, nun ist auch unser zweiter Teilnehmer der diesjährigen Weihnachtslotterie bei uns eingetroffen. Begrüßen Sie mit mir MARCEL!"
OK, das bin ich. Aber wer ist ER? Wer applaudiert hier? Er ist augenscheinlich ein Gnom oder so was in der Art. Wirklich ein laufender Meter, roter Frack, ein paar graue Haare im Gesicht, die mit viel Überzeugungsarbeit als Bart durchgehen würden, besonders auffällig ist aber diese Nase. Soweit man das ganze noch als Nase verkaufen kann. Das ist eine fleischfarben angemalte Kartoffel. Worüber mache ich mir hier eigentlich Gedanken? Was viel wichtiger ist: Wem stellt er mich vor?
Ich schaue mich um. Stehen tue ich, wie schon erwähnt, vor einem Pult, wie man sie ja von Rateshows zur Genüge kennt. Dieses Pult steht in einer Art Arena. Auf den Rängen der Arena sitzen wohl Leute, die gerade klatschen. Ich kann jedoch nichts erkennen. Es ist, als verschwimmt alles in einem grauen Nebel. Ich sehe zwar, das da jemand sein muss, kann aber nicht erkennen wer, außer, dass es viele sind.
Wunderbar! Hier stehe ich in meinem sicherlich zwei Nummern zu kleinen Pyjama vor einer unbekannten Menge mir unbekannter Massen. Toller Traum! Memo an mich: 'Artie sagen, das seine Cookies doch nicht ohne Nebenwirkungen sind!'
Was hilft um aus Träumen zu flüchten? Genau: Zwicken! Exakt das mache ich jetzt auch in meinen Oberarm. Irgendwie fühle ich das aber gar nicht. Also, ich sehe, wie ich mich zwicke, aber das kneifen kommt nicht bei meinem Gehirn an.
"Wie Marcel gerade getestet hat, ist das Tor mittlerweile geschlossen. Herzlich willkommen in der diesjährigen Weihnachtslotterie! Auch dir noch einmal, Justin."
Damit geht die Beleuchtung über einem zweiten Pult schräg neben mir an. Warum konnte ich dieses vorher gar nicht sehen? Das ist doch irreal. Hinter dem Pult steht ein Junge wie ich. Geschätzt etwas jünger als ich. Wobei das Schätzen schwer ist, da er ein Asiate ist. Die kann ich nicht sicher schätzen. Er trägt ebenfalls einen Pyjama. Gut, bin ich wenigstens nicht allein mit der Peinlichkeit. Einen zweiten Blick ist Justin, wie er wohl heißen muss, auf jeden Fall wert. Schlank, etwas kleiner als ich, verstrubbelte schwarze Haare, dunkle Augen, eine etwas breite, aber trotzdem süße Nase, schmale Lippen, das ganze mit gold-brauner, seidenweich aussehender Haut überzogen. Kurz gesagt: LECKER! Vom Verhalten her ist er total unruhig, steht nie still, hüpft immer von einem Bein auf das andere, sieht dabei irgendwie leicht tuckig aus. Bei mir denke ich 'Wenn der in der Schule genauso 'rum läuft, hat er's nich leicht.'
"So Jungs, die Vorstellung von euch übernehme noch ich, danach dürft ihr Zwei aber auch mal etwas sagen.", damit wandte sich unser Showgnom wieder an das graue Publikum.
"Rechts sehen sie Justin. Er ist 14 Jahre alt, kommt von den Philippinen, lebt seit fünf Jahren in Deutschland und liebt Weihnachten." Applaus aus dem Publikum.
"Links steht Marcel. Er kommt aus Deutschland, ist 15 Jahre alt und würde Weihnachten am liebsten aus dem Kalender streichen!" Ein paar höfliche Klatscher im Publikum. Also ist wohl klar, wer hier die Sympathien hat.
Damit wandte sich der Gnom wieder uns zu.
"Jetzt zu den Regeln: Es geht darum, dass ihr Zwei euch auf EIN Weihnachtsfest einigen sollt. Das heißt, wir gehen alle Punkte, die so bei der Planung wichtig sind, durch und ihr Zwei müsst euch jeweils einig werden, was Realität wird. Soweit klar? - Gut!" Ohne mir auch nur die Möglichkeit einer Zwischenfrage zu geben, macht er weiter. "Die Reihenfolge bestimmt unser Computer. Jeder von euch beschreibt den jeweiligen Punkt erst unabhängig, danach wird verglichen und bei den Unterschieden müsst Ihr euch einig werden. Ja, du hast eine Frage?"
Oh, Mr. Showman gibt sich die Ehre, mich doch noch zur Kenntnis zu nehmen. "Wer gewinnt das Spiel?" Einige Lacher aus dem Publikum.
"Gute Frage! Geht es immer darum zu siegen? Aber gut wir sind hier in einer Spielshow, also geht es wohl darum. Gewonnen hat Derjenige, der als erster den Sinn von Weihnachten erkennt."
"OK, das ist einfach. Weihnachten dient der Konsumförderung. Darf ich jetzt gehen?"
Meine lose Schnauze wieder. Irgendwie hat mein Gegner in dieser bescheuerten Show wohl gerade auf eine Zitrone gebissen. Zumindest sieht sein Gesicht so aus. Der Blick, den mir der Gnom zuwarf, fällt wohl auch eher unter die Kategorie 'Mörderisch'.
"Ganz so einfach, wie es sich unser Weihnachtsmuffel macht, ist es zum Glück doch nicht. Fangen wir am besten einfach an. Computer – das erste Thema bitte.", versucht der Gnom das unangenehme Schweigen zu überspielen.
Vor unseren Pulten entstand aus dem Nichts eine Schneekugel in Übergröße. Also diese Teile, die man schüttelt und dann fällt der Schnee auf so romantische Landschaften und ähnliches. Bei dieser war aber nur ein Schneewirbel zu erkennen. Ich schaue zum anderen Pult und bin von weißen Zähnen geblendet. Justin mag wohl solchen Kitsch, so glücklich wie er grinst. Na dann gute Nacht. Das wird die 'Show' nicht unbedingt verkürzen und ich will eigentlich noch etwas schlafen, um das Familiendrama morgen einigermaßen zu überstehen.
Langsam lichtet sich der Wirbel in der Schneekugel und sichtbar wird ein großer Tisch an dem Fragezeichen sitzen.
"Oh, unser Computer will dieses Jahr gleich mit einem Hammerthema einsteigen! Wer soll zu Weihnachten da sein?" meldet sich der Showmaster wieder zu Wort, während die Schneekugel langsam verblasst.
"Und Computer, wer unserer beiden Kandidaten soll mit seiner Beschreibung anfangen?" - Damit ging bei meinem Pult das Licht aus. Das war wohl eindeutig.
Gleich darauf geht das Licht wieder an. Dafür das bei Justin aus. Wie jetzt?
"Ah Marcel, du schaust verwirrt. Manchmal ist es von Vorteil, nicht in der Realität zu sein. Die Kandidaten müssen nicht in irgendwelche Warteräume oder so gehen. Für den Wartenden vergeht einfach keine Zeit. Das hat zusätzlich den Vorteil, dass jeder von euch genau gleich lange Zeit zum überlegen hat. Also Marcel, wen möchtest du bei eurem Weihnachtsfest dabei haben?"
"Meine Eltern, sonst niemanden!" Spontane Frage – Spontane Antwort. Dem Publikum schien Sie wohl nicht zu gefallen. In der Mitte erscheint jetzt wieder diese Schneekugel – diesmal ist darin unser Esszimmer zu sehen. Meine Eltern sitzen am Tisch.
Der komische Zwerg schaut mich irgendwie erwartungsvoll an.
"Willst du noch jemanden einladen?"
Menno das nervt! "Von mir aus noch den Weihnachtsmann!"
OK, den Lachern nach ist das Publikum jetzt glücklicher. Der Gnom schaut im Gegensatz nicht sehr glücklich drein.
"Der Chef wird mich hassen, aber so sei es." Damit sitzt an unserem Esstisch plötzlich noch ein Weihnachtsmann wie aus dem Kaufhaus. Ähnlich freundlicher Blick wie die dort an- und ausgestellten Studenten. Allerdings schaut der Rauschebart deutlich echter aus, als der aller Kaufhausstudenten.
"Sonst noch jemand?"
"Nein!"
"Gut, dann wollen wir doch mal vergleichen." Damit geht das Licht über Justin's Pult wieder an. Die Schneekugel mit meinen Eltern plus Weihnachtsmann verschiebt sich zu mir, um einer weiteren Kugel Platz zu geben.
In dieser ist vor lauter Leuten kaum noch Platz. Wen hat der Kleine den alles zu Weihnachten eingeladen?
"So, Ihr Beide bekommt erstmal eine Rüge. Jeder hat vergessen den Anderen einzuladen, obwohl wir ja nur EIN Weihnachtsfest haben!" Man die Tröte geht fast als Schiffshorn durch. Unsere verzogenen Gesichter scheinen aber dem Publikum zu gefallen. Na toll!
"Da wir dies nun geklärt hätten, kommen wir zu den Gemeinsamkeiten. Beide habt ihr eure Eltern eingeladen." Damit erscheinen weiter hinten auf der Bühne meine Eltern und zwei weitere Personen, die wohl der Logik und Ähnlichkeit nach seine Eltern sein müssen.
"Justin hat auch seine Geschwister eingeladen. Da du keine hast Marcel, gehe ich mal davon aus, dass du eventuelle Geschwister auch eingeladen hättest?"
Komplizierter geht's nicht? Aber Geschwister sind wohl auch enge Familie – also nicke ich. Darauf erscheinen gleich fünf Jungen und Mädchen wie die Orgelpfeifen aufgestellt bei seinen Eltern. Also Karnickelalarm!
"So, damit haben sich die Gemeinsamkeiten zwischen euch auch schon erschöpft. Kommen wir zum spannenden Teil. Wir gehen jetzt jeweils durch, wer noch alles eingeladen ist. Fangen wir mit Marcel an, das geht schneller!" So wie das Publikum lacht, ist die Liste von Justin wohl noch sehr lang.
"Marcel hat noch den Weihnachtsmann auf eure Weihnachtsfeier eingeladen. Hast du da etwas dagegen Justin?"
Der Angesprochene schaut erst verwirrt, macht dann einen Luftsprung. Jauchzt und grinst wie ein Honigkuchenpferd. Da hab ich wohl jemandem eine Freude gemacht und dabei mir selber auch, der Kleine schaut zum anbeißen aus, wenn er sich freut. Ups, keine unkeuschen Gedanken in einer Weihnachtsshow.
"Klar, süße Idee! Keine Einwände! Und du bist wirklich ein Weihnachtsmuffel?" spricht er mich das erste mal direkt an.
"Wen hast du noch alles eingeladen?"
"Niemanden!" meldet sich unser Showmaster mit frostiger Stimme wieder zu Wort.
"Oh!", rutscht Justin raus.
"Nachdem es gegen den Weihnachtsmann keine Einwände gab, erscheint dieser auch bei eurer Feier." Damit erscheint hinten bei unseren Familien der Weihnachtsmann und verbeugt sich. Das Publikum klatscht wie irre. Justin zwinkert er noch zu und tritt dann in den Hintergrund.
"Gehen wir nun weiter Justin's Liste durch. Als nächstes hat er seine Großeltern eingeladen. Hast du etwas dagegen?"
Und ob, nur wie sage ich das, ohne dass mich alle hassen? Obwohl eigentlich kann es mir ja egal sein.
"Ja habe ich." OK, die gute Laune von Justin ist weg.
"Aber …", versucht er etwas zu sagen, wird aber von Mr. Gnom unterbrochen.
"Was hast du gegen die Großeltern, Marcel?" - Jetzt ist es eh schon egal.
"Sie sind alt. Möchten immer irgendwelche uralten Rituale eingehalten haben. Kneifen einem in die Wange, um einem wie jedes Jahr zu sagen, das man groß geworden ist. Einfach nur lästig!"
"Ist das dein letztes Wort?", fragt mich unser Showgnom ganz wie Günther Jauch.
"Ja!"
"Justin?" geht der Ball wieder zum anderen Pult
"Aber ich sehe sie doch so gut wie nie. Jetzt hätte ich eine Chance sie wiederzusehen. Bitte, bitte, bitte!" Mist, damit bin ich wieder der Böse.
"OK, OK, von mir aus, aber dann kommt meine Großmutter aber auch noch dazu." - Dann darf er sich wenigstens auch die Weihnachtslieder-Langspiel-Platte meiner Oma antun.
"Das ist zwar nicht ganz den Regeln nach, aber da es unser erster Punkt heute ist, will ich mal nicht so sein. Etwas dagegen Justin?"
"Nein!" Oh – der ist ja kurz davor, mir um den Hals zu fallen. Im Hintergrund erscheinen seine Großeltern und meine Oma, mit Ihrer LP im Arm.
"Machen wir weiter in der Liste."
Wie, noch mehr Leute?
"Als nächstes hat Justin seine Onkel und Tanten mit Familie eingeladen. Hast du etwas dagegen Marcel?" Okay, das erklärt, warum es in der Schneekugel so voll war.
"Ja, das wird viel zu viel. Da wird man ja arm beim schenken. Dieser ganze Lärm. Das wird einfach nur unübersichtlich und furchtbar." Dem Raunen im Publikum nach arbeite ich mich aus der Minus-Skala gut nach oben.
"Ist das dein letztes Wort?"
"JA!", sage ich diesmal deutlich fester. In dem Punkt lasse ich mich auch nicht von dem süßen Boy weichklopfen.
"Aber, das ist doch meine Familie. Ich sehe sie sonst nie. Bitte!" - OK, dem Bettelblick kann ich nicht lange widerstehen. Also schnell den Showmaster anschauen.
"NEIN! Die Großeltern reichen, dabei bleibt es!" - Oh ich höre da vereinzelte Buh-Rufe aus dem Publikum?
"Akzeptierst du diese Entscheidung, Justin?"
Der Angesprochene schluckt, schaut traurig und sagt "Ja!" Irgendwie tut mir das weh, aber ich bin meine Tante mit ihren zwei Plagen los!
"So, damit haben wir den ersten Punkt geklärt. Die Show geht nach einer kurzen Werbeunterbrechung weiter! Bleiben sie dran!"
Damit gehen die Lichter über den Pulten aus.
Ein gefühltes Blinzeln später gehen die Scheinwerfer wieder an.
"Werbeunterbrechung?" rutscht mir die Frage raus.
"Klar, was ist eine gute Spielshow den ohne Werbeunterbrechung?" - da kommt wohl ein schlechter amerikanischer Einfluss durch.
"Computer sag uns was die nächste Kategorie sein wird!"
Damit erscheint wieder die Schneekugel. Als der Schnee langsam zu Boden sinkt, erkenne ich einige Bäume und davor stapelweise Kisten.
"Ah nun geht es um den optischen Punkt des Festes: Weihnachtsdekoration!" Ach du meine Güte. Kitsch und Krempel ist dran.
"Diesmal fängt Marcel an." Damit geht das Licht von Justin's Pult aus und dieses verschwindet.
"So jetzt fangen wir langsam an Marcel. Wie magst du das Haus dekoriert haben?" In der Schneekugel erscheint ein Bild unseres Hauses.
"Gar nicht! Den ganzen Lichterkram, den meine Mom immer in die Fenster stellt, tue ich mir nicht an." Das traue ich mich aber auch nur zu sagen, weil der Bereich der Bühne, wo vorher die Familie Aufstellung genommen hat, genauso verschwunden ist wie Justin. Das jährliche Theater mit der Deko, bei deren Installation ich natürlich helfen muss, habe ich ja schon hinter mir.
"Wirklich gar nichts?" fragt mich der Showgnom sehr enttäuscht klingend.
"Na gut, der kleine Tannenbaum vor dem Haus sieht mit der Lichterkette schon sehr schön aus." Während ich das sage bekommt der Baum seine Lichterkette. Geht viel bequemer als die manuelle Installation vor vier Wochen.
"Gut, dann kommen wir zur Dekoration des Festraumes." Damit gibt es in der Kugel eine Kamerafahrt in unser Wohnzimmer.
"Fangen wir mit dem Baum an. Was willst du für einen Weihnachtsbaum!"
Das ich gar keinen will, traue ich mich nicht zu sagen.
"Nordmanntanne!"
"Groß oder Klein?" wechselt auch der Showmaster in den Stenostil.
"So ungefähr 1,80m groß."
"In Ordnung, hier hast du deine Tanne." Ein Zoomeffekt auf den Baum, welcher an der üblichen Stelle bei uns im Wohnzimmer steht. Dieses Theater steht mir ja nach dem Aufwachen auch ins Haus: Baum schmücken mit Papa. Immerhin haben wir ihn gestern schon gerade in den Ständer montiert. Das ist einer der Vorteile, wenn man das nicht mehr heimlich machen muss, meint mein Dad.
"Wie möchtest du sie denn geschmückt haben?" kommt auch die nächste naheliegende Frage des Gnoms.
"Keine Kugeln!", ist das Erste was mir raus rutscht. Bei uns gibt es drei Sätze von Kugeln. Rot, Blau und Lila die immer abwechselnd dran sind. Das finde ich einfach nur langweilig. "Bei einem Schulfreund habe ich vor Jahren einen Weihnachtsbaum mit lauter unterschiedlichen kleinen Holzfiguren gesehen. So einen will ich haben!"
"Also doch etwas was den Herren an Weihnachten gefällt!", stichelt der Zwerg auch gleich.
Mist, ertappt.
"Aber das lässt sich machen!" In der Kugel wird auf Fast-Forward gestellt und im Nu hängt der Baum voller kleiner Figuren.
"Magst du elektrische oder echte Kerzen?"
"Am liebsten beide. Weiter innen die elektrischen, außen die echten." So hat Papa das immer gemacht, fand ich schon immer clever und schön.
"In Ordnung, das lässt sich machen. Müssen die echten Kerzen eine bestimmte Farbe haben?"
Man kann es ja auch übertreiben mit der Detailverliebtheit.
"Nein."
"Dann wird jetzt weiß genommen." Schon hatte der Weihnachtsbaum weiße Kerzen an den Spitzen der Zweige.
"Kommen wir nun zur Spitze!" Kann der Gedanken lesen? "Was willst du dort haben? Glaskugel, Strohstern oder Folienstern?"
"Auf keinen Fall die Glaskugel. Ich glaube, ich nehme den Strohstern, der passt am besten dazu!"
"Dein Wunsch ist unserer Dekoabteilung Befehl! Damit ist der Baum komplett! Kommen wir zur Tischdekoration."
In der Schneekugel gibt es einen Zoom-out und Zoom-in mit anderem Winkel. Die Kameratechnik hat wohl den Auftrag irgendwie Abwechslung reinzubringen.
"Wie willst du den Weihnachtstisch gedeckt haben, also jetzt nur von der Dekoration her! Platzdecken? Kerzenständer?"
"Ohne viel Aufwand. Nur einen Adventskranz bitte." Ich will ja die Dekoabteilung nicht quälen und diese Platzdecken finde ich einfach nur schrecklich.
"In Ordnung. Bist du mit dem Ergebnis zufrieden?"
"Ja!"
"Gut, dann wechseln wir jetzt zu Justin. Bis gleich Marcel. Weihnachten scheint ja doch nicht so furchtbar für dich zu sein."
Damit geht der Scheinwerfer über mir aus …
… und gleich wieder an.
"So, nun wollen wir die Dekoration doch mal nebeneinander stellen!" begrüßt mich der Gnom nach der Auszeit wieder.
'Meine' Kugel schaut eher harmlos aus gegen die von Justin. Für den Betrieb von dieser braucht man ein Atomkraftwerk, das auf Volllast arbeitet. Da steht wohl jemand auf Lichterkitsch.
"Bei der Außendekoration sind die Unterschiede wohl nicht zu übersehen!" Auf wessen Kosten die Lacher im Publikum gehen, ist jetzt nicht ganz klar.
"Justin, könntest du mit etwas weniger Licht leben?" Der Angesprochene grinst etwas unsicher und bestätigt durch ein Nicken.
"Liebe Leute von der Deko, darf ich bitten!"
Im Hintergrund, wo vorher die Familie aufgestellt wurde, erscheint nun ein Haus. Als erstes wird die Tanne beleuchtet. Dann kommen ein paar Lichterketten an den Giebeln und einige Elektro-Kerzenständer in die Fenster. An den Hausecken erscheinen aus Lichterketten geformte Weihnachtsfiguren. Wie kitschig!
"Was sagt Ihr Beiden dazu?"
"Für mich in Ordnung!" kommt es von Justin.
"Auch so!"
"Gut, das geht ja schon deutlich unkritischer. Kommen wir zum Baum."
Oh nein, seiner hat Kugeln.
"Was hast du gegen die Kugeln?" Oh, ihm ist aufgefallen, dass ich das Gesicht verziehe. "Besser als der lieblos mit Lametta behängte Baum, den wir sonst haben."
"Ich habe sonst immer Kugeln. Schau dir mal den Baum von mir an. Auch kein Lametta drauf."
"OK, gekauft!" - Boah, wenn der so frech grinst, sieht er richtig scharf aus. Gut, dass ich hinter dem Pult stehe. Meine Hose fängt an eine Beule zu bekommen.
"Wow, nach einem zähen Anfang versucht ihr wohl schnell weiter zu kommen. Dann wird die Tischdekoration wohl auch nicht so tragisch sein."
Interessant, bei ihm gibt es gar keine Deko auf dem Tisch.
"Warum hast du keinerlei Dekoration auf dem Tisch?"
"Damit mehr zu Essen drauf passt!" Also so verfressen sieht er eigentlich nicht aus. Aber richtig, er hat ja viel Familie.
"In Ordnung!"
"Obwohl der Adventskranz ganz schön aussieht. Dürfen wir den noch übernehmen?"
"Von meiner Seite gerne. Regie?" Womit wieder geklärt wäre, dass wir uns in einer schlechten Gameshow bewegen.
"Geht klar!", kommt die Stimme aus dem Lautsprecher auch gleich.
"So, nachdem dieser Teil erstaunlich schnell erledigt ist, müssen wir etwas improvisieren. Das nächste Thema ist ganz ohne Computer das Weihnachtsessen. Justin du fängst an!" Bei mir geht mal wieder der Scheinwerfer aus und gleich darauf wieder an. Auf alle Fälle besser als warten.
"Marcel, was hättest du gerne auf dem Weihnachtstisch zu essen?"
"Eine Gans. Sonst gibt es immer nur Würstchen, damit Mama nicht so viel Arbeit hat, aber wenn wir schon bei 'Wünsch dir was!' sind."
"Bist du mal auf die Idee gekommen, beim Kochen zu helfen?" Ah, der Gnom kann auch zickig sein und hat leider mit der Frage ins Schwarze getroffen.
"Nein!", antworte ich deshalb auch etwas Kleinlaut.
"Aber das ist jetzt hier nicht Thema. Die Gans ist gebucht!" In der Schneekugel erscheint auch prompt das Bild einer im Ofen lecker brutzelnden Gans.
"An Naschereien die üblichen Plätzchen?"
"Ja!"
"Also manchmal seit Ihr Kandidaten echt einfallslos. Aber gut. Holen wir Justin wieder dazu!"
Damit geht auch das Licht neben mir wieder an und die zweite Kugel tauchte auch wieder auf. In der von Justin biegt sich der Tisch fast unter den Mengen an unterschiedlichen Speisen.
"Du bist wohl hungrig schlafen gegangen", versuchte ich ihn zu necken.
"Das nicht, aber Weihnachten gibt es immer alles mögliche, damit es für jeden etwas gibt, das er sehr gerne mag."
"Klingt gut. Können wir die Gans einfach dazu stellen? Ich weiß nicht, ob Oma asiatisches Essen mag."
"Wow, ihr seit ja richtig kompromissfähig. Erstaunlich! So sei es." Im Hintergrund taucht wieder der Tisch auf. Der Adventskranz sieht jetzt allerdings zwischen dem ganzen Essen sehr verloren aus.
"Bevor wir zu dem letzten Punkt kommen, der zu klären ist, nochmal eine kleine Werbeunterbrechung!"
"So, da sind wir wieder bei der Weihnachtslotterie. Bisher konnte keiner der Kandidaten das Rennen für sich entscheiden. Alles was wir bisher erreicht haben, ist ein schönes Weihnachtsfest für Großfamilien, bei dem der Kommerz fast alle Schranken bricht." Effektvolle Pause. Ich für meinen Teil bin mit dem Verlauf des Traums gar nicht so unglücklich.
"Kommen wir nun zur letzten noch zu klärenden Frage: Dem Austragungsort. Diese Frage erläutern wir doch gleich gemeinsam. Marcel, wo willst du deine Weihnachtsfeier haben?"
"Ganz klar. Zu Hause, am liebsten, wenn alles voll frisch gefallenem Schnee ist." War ich es, der sich vorher über den Kitsch von Justin lustig machte?
"Ich will auf den Philippinen feiern. Da können meine Großeltern auch wirklich kommen und es macht allen Spaß. Wir könnten am Strand feiern."
Also bisher hielt ich ihn ja für ganz süß. Das ist er immer noch, vor allem mit den strahlenden Augen. Aber Weihnachten am Strand? NEIN, das geht gar nicht!
"Nein, das geht gar nicht. Weihnachten am Strand. Das passt doch überhaupt nicht zusammen. Vor allem geht da auch kein Tannenbaum und eine Weihnachtspalme sähe ja richtig schlecht aus!"
"Aber dann können meine Großeltern doch nicht dabei sein. Wenn du unbedingt einen Weihnachtsbaum willst, können wir ja auch einen Plastikbaum nehmen." Womit sich auch der Lamettabaum erklärt. In der Schneekugel kommt die Dekoabteilung in Stress, weil sie für jedes unserer Argumente versucht das Bild anzupassen.
"Glaubst du wirklich, dass es jemals ein solches Weihnachten geben wird? Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte: Wir sind hier in irgendeinem Traum, den sich ein Verrückter hat einfallen lassen und streiten uns darüber, wie wir ein gemeinsames Weihnachtsfest gestalten sollen. Das ist doch irre! Was gäbe es für einen Grund, das wir gemeinsam Weihnachten feiern sollten? Was soll das Ganze überhaupt?"
Oh, da ist es wohl mit mir durchgegangen. Justin steht kurz davor zu heulen.
"Aber es ist ein schöner Traum! Das letzte gemeinsame Weihnachten ist fünf Jahre her." Fünf, fünf, da war doch was. Ah richtig, der Kleine wohnt seit fünf Jahren in Deutschland. Wohl auch nicht alles Gold was glänzt. Er scheint Heimweh zu haben. Aber trotzdem, Weihnachten irgendwo an nem Strand. Nein, das passt einfach nicht. Man, blickt der traurig aus der Wäsche. Am liebsten würde ich rüber gehen und ihn in den Arm nehmen.
"Na gut. Um dir eine Freude zu machen lassen wir Weihnachten im Süden stattfinden!" Was sage ich hier? Weihnachten am Strand geht gar nicht. Das ist nicht Weihnachten.
Hey, warum stürzt sich der Kleine auf mich zu und fällt mir um den Hals?
"Danke!" schnieft er an meine Schulter.
"So, nachdem wir nun auch den letzten Punkt geklärt hätten, kommen wir nun zur Kür des …" versucht sich unser Showmaster wieder in den Mittelpunkt zu reden, als ihn eine Stimme aus dem Hintergrund unterbricht.
"Halt, so geht das nicht. Ihr könnt mich doch nicht einfach mit diesem Aufzug auf die Philippinen zu 34°C im Schatten schicken. DAS geht nicht!" kommt es vom Weihnachtsmann.
Richtig, den müssen wir ja Aufgrund meiner Schnapsidee auch mitnehmen.
"Aber die Beiden …" versucht es der Showmaster.
"Nichts aber, ICH gehe nicht mit in den Süden! Die Show kannst du in Zukunft vergessen!"
"Aber …", kam es von Knollnase ganz kleinlaut.
"Zieh dir doch etwas anderes an. Ein Weihnachtsmann in Badehose ist wenigstens mal was neues. Und etwas schwimmen schadet deiner Figur sicher nicht!" versuche ich unseren Showmaster zu retten.
"Du bist hier Derjenige, der sagt, Weihnachten im Süden geht gar nicht. Wieso fällst du mir jetzt in den Rücken?"
Mein Blick auf den noch immer an meine Schulter gekuschelten Justin macht eine Antwort überflüssig. Irgendwie wird der Blick des Weihnachtsmannes plötzlich milde.
"Wehe, einer von euch lacht, wenn ich in Badehose auftauche!" Der Einzige, der zu lachen anfing, war der Showgnom.
"Du kommst mit!" ist der einzige Kommentar vom Chef.
"So und jetzt lasst uns Weihnachten feiern."
"Moment!" meldet sich Mr. Showbizz wieder zu Wort. "Es fehlt noch die Kür des Siegers!"
"Wohl wahr. Dann walte mal deines Amtes!" damit räumt der Weihnachtsmann das Feld.
"Und der Sieger ist …" *piep* *piep* *piep* mein Wecker!
Was war das für ein durchgeknallter Traum. Na, was soll's. Heute ist Weihnachten, das wird stressig genug. Da mache ich mir lieber nicht zu viele Gedanken über den Traum. Vor allem nicht über Justin, sonst erwischt mich Oma noch bei unkeuschen Handlungen.
"MARCEL, komm frühstücken!" OK, wirklich keine Zeit für ein klein wenig Spaß.
"Ich komme gleich!" Pfui, was ich schon wieder denke.
Das Frühstück läuft so wie ungefähr überall. Essen, Kaffee und möglichst keinen anschauen, um auch ja kein Gespräch abzubekommen.
Nach dem Frühstück geht es mit Papa ans Baum schmücken. Irgendwie holt mich der Satz aus dem Traum wieder ein. "Keine Kugeln!"
"Du Papa, haben wir auch etwas anderes als die drei Sorten Kugeln?"
"Aber wir machen das doch immer so!"
"Warum?"
"Ist halt Tradition!"
"Haben wir sonst gar nichts? Können wir wenigstens mal die Farben der Kugeln mischen?"
"Hm. Einverstanden, das wäre mal etwas Neues. Warte ich hole je eine Kiste."
Das ging doch mal ganz gut. Die Kugel an der Spitze platziere ich diesmal ohne Murren. Da will Papa immer, dass ich als ältester (da einziger) Sohn das mache. Hat er wohl von seinem Dad so gelernt. Der Baum mit gemischten Kugeln sieht gar nicht so schlecht aus.
Am Abend sind auch Alle von unserem bunten Weihnachtsbaum angetan. Vor allem die zwei Kleinen meiner Tante. Die fangen auch gleich an, mit dem neuen Buntstifte-Set den Baum abzumalen. Manchmal wäre ich gern noch einmal Kind.
Oma hatte natürlich ihre obligatorische LP mit Weihnachtsliedern dabei.
"Oma, warum hören wir jedes Jahr die gleiche Platte zu Weihnachten?"
"Marcel …", versucht mich Dad zu bremsen.
"Lass nur, die Frage muss ja irgendwann kommen. Mich wundert sowieso, dass du das bis jetzt immer brav geschluckt hast. Hast deiner alten senilen Oma einfach ihren Willen gelassen." Dabei lacht sie auf, wirkt um Jahre jünger. Seltsam wie ein Lachen einen Menschen verändern kann.
"Die Platte ist das letzte Weihnachtsgeschenk deines Opas an mich."
"Oh, das wusste ich nicht."
"Schon in Ordnung, du kanntest ihn ja nicht mehr."
Irgendwie hörte ich die Platte diesmal mit anderen Ohren an. Es ist noch immer Chorgesang und nicht meine Musik, aber nichts gegen das man sich wehren muss.
Irgendwie gefiel mir dieses Weihnachten besser als viele zuvor. Nur etwas fehlte mir, oder besser gesagt jemand – Justin!
Weihnachten, Silvester und der Rest der Ferien gingen leider viel zu schnell vorbei. Die Schule hatte wohl Sehnsucht nach mir.
Die Schule ist wie immer. In der Pause muss mal wieder jemand die Aggressionen unseres Klassenrambos aushalten. Da er sich bei mir dank grünem Gurt in Karate eine blutige Nase geholt hatte, waren ich und mein Freundeskreis aus dem Schneider.
Heute war jemand aus der Klasse unter uns fällig. Er hatte Mr. Universum wohl nicht mehr ausweichen können. Im Sprachgebrauch 'hat ihn angerempelt', obwohl es genau umgekehrt war.
Aber das geht mich ja zum Glück nichts an, bin ja nicht Mutter Theresa.
Obwohl, das Gesicht kenne ich. Schwarze wirre Haare, dunkle Haut, hübsche Augen – Justin!
"Na du schwuler Reisfresser willst du Probleme machen?"
"N…n…nein!" So verschüchtert wie Justin klang, hat er wohl schon öfter solche Begegnungen hinter sich.
Da stelle ich mich doch mal in die Schussbahn. Rambo schaut nicht sehr begeistert. Ich glaube er ahnt, dass ich ihm den Spaß verderben will.
"Such dir nen anderen Spielkameraden! Der gehört zu meinem Freundeskreis!"
"Marcel!" Da ist jemand sehr erleichtert.
Mein Ruf ist noch immer gut genug. Rambo und Anhang machen sich wirklich vom Acker. Jetzt kommt der kritische Teil.
"Da du meinen Namen kennst, hast du wohl auch diesen irren Traum gehabt?"
"J…ja!" Und wieder auf schüchtern umgeschaltet.
"Na und, ist der Traum wahr geworden?"
"Nein, leider nicht. Wir haben nicht das Geld, um Weihnachten heim fliegen zu können!"
"Lass den Kopf nicht hängen. Es wird schon mal klappen …."
… genau ein Jahr später nämlich. Ich habe meine Eltern so lange bequatscht, bis sie für mich und Justin ein Ticket nach Cebu als Weihnachtsgeschenk kauften.
Weihnachten am Strand ist seltsam. Riesige Familie inklusive! Gefühlt ist hier Jeder mit Jedem verwandt und alle sind sie hier.
Besonders irritierend ist aber der ältere Herr mit dem knallroten Badeanzug aus den Fünfziger Jahren, der Gitarre spielend ein paar Meter weiter sitzt.
Aber weder Justin noch ich lachen den Weihnachtsmann aus!
Versprochen ist Versprochen!
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