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Along the Way

Teil 4

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Informationen

 

Jordan

Nach über einer Woche kam Kev in den Laden.

"Hey."

"Und?"

"Wir wollen dich wieder dabei haben."

Ich fiel ihm erst mal um den Hals.

"Danke, Danke, Danke. Ich werde euch nicht enttäuschen. Ich mach für Joe jeden Monat einen Test. Ihr könnt ihn fragen. Und ich werde freiwillig immer aufbauen und abbauen und nüchtern bleiben zum Fahren …."

"Okay, beruhige dich. Also, hast du morgen Abend Zeit für eine Probe?"

"Klar und auch schon heute, wenn ihr wollt."

"Heute geh ich mit Becca aus. Es ist unser Jahrestag. Ich werde ihr einen Antrag machen."

"Echt? Das ist ja toll, gratuliere!"

"Naja, erstmal muss sie 'Ja' sagen."

"Das ist ja wohl nur noch eine Formalie. Wieso jetzt?"

"Es ist unser Sechsjähriges, ich bin fast 27, hab einen echt guten Job, es ist einfach der nächste Schritt."

"Cool. Dann seh ich euch morgen und kann Becca's Ring bewundern."

"Gut, ehm, soll Tobey dich hier abholen? Er hat ein Auto und wohnt nicht weit von hier."

"Das wäre toll, ich bin um Sieben hier fertig."

"Okay, ich sag's ihm."

Die Probe verlief toll, danach unterhielt ich mich mit Brian in seinem Zimmer und wir versuchten, die Zeit, die vergangen war, zu rekonstruieren.

"Du hattest, soweit ich mich erinnern kann, nur Frauen. Und bei Sean warst du mal, aber da kamst du eher verärgert zurück."

"Echt? Aber er hat mir doch Geld gegeben."

"Ja, beim ersten Mal, aber beim zweiten Mal warst du total geladen."

"Beim zweiten Mal? Wann soll das gewesen sein?"

"Das muss wohl so Ende Juli gewesen sein, du hast gesagt, dass Sean bald für den Sommer nach Hause fährt."

"Ich kann mich daran überhaupt nicht erinnern."

"Du hast nicht viel dazu sagen wollen. Wie gesagt, warst du danach ziemlich aggro."

"Oh Mann, was hab ich bloß gemacht?"

"Es gibt wohl nur einen Weg, das herauszufinden. Du musst ihn fragen."

"Ja, das werde ich wohl müssen."

"Ich war übrigens in der Wohnung, nachdem Damian und du weg wart. Das war kein

schöner Anblick. Auf der Straße könnte Mann sauberer leben."

"Ich glaub, es ist bei manchen Sachen gut, dass ich mich nicht mehr erinnern kann. Bei so mancher Eroberung zum Beispiel."

Er schaute mich recht seltsam an.

"Und du hast auch wirklich einen Hep C-Test gemacht?"

"Ja, warum? Hatten wir öfters die gleichen Frauen und du wunderst dich, warum ich mich nicht angesteckt habe?"

"So was in der Richtung."

"Hatten wir Dreier?"

"Du kannst dich echt nicht mehr erinnern, oder?"

"Nein, aber Hep C kann ja durch Sex eher schlecht übertragen werden, es war wahrscheinlich eine Nadel."

"Ja, ich weiß. Ich hatte nur trotzdem Angst, dich angesteckt zu haben."

"Wir haben uns bestimmt Nadeln geteilt, oder?"

"Nicht nur Nadeln. Verdammt Jordan, wir haben miteinander geschlafen, nicht nur einmal. Kannst du dich denn überhaupt nicht erinnern?"

"Was? Echt?"

"Ja, immer wenn die Wirkung langsam nachgelassen hat und wir kein Geld hatten, hast du gesagt, dass ich deine Ersatzdroge bin."

"Brian, das … ich kann mich nicht erinnern, tut mir leid. Waren wir … ich meine, war es nur Sex, oder …."

"Ja, nur Sex. Es ging nur um den Sex."

"Verdammt, das gibt's doch nicht, an so was muss ich mich doch erinnern können."

"Es war immer in der gleichen Phase, vielleicht kannst du dich deshalb nicht erinnern."

"Aber du kannst dich doch auch erinnern."

"Für mich war es wohl einfach gravierender. Für dich war es etwas normales, Sex mit einem Kerl zu haben."

"Und wie geht es dir dabei?"

"Es war nur wegen den Drogen, wir müssen da keine große Sache draus machen."

"Du hast gesagt, es war nicht nur einmal. Wie oft war es denn?"

"Keine Ahnung … die ganze Zeit, immer mal wieder …."

"Sag schon."

"Keine Ahnung, ein Dutzend Mal bestimmt."

"Und ich kann mich daran nicht erinnern? Das gibt's doch nicht."

"Ich hab es nicht nötig, dir was vorzulügen."

Er sah ziemlich beleidigt aus.

"Nein, so hab ich das nicht gemeint, natürlich sagst du die Wahrheit, es ist nur schwer zu glauben, dass ich mich an so was nicht erinnere. Ich hatte manchmal Träume davon, aber ich dachte, es wären eben nur Träume."

"Du hast davon geträumt, mit mir zu schlafen?"

"Vielleicht dachte ich auch nur, dass es Träume waren …. Also von April bis … wann bist du in die Klinik?"

"Ende September."

"Das sind sechs Monate. Krass."

"Ja."

"Hör mal, wenn du darüber reden willst …."

"Nein, ich komm schon klar."

"Du hast also keine … Gefühle für mich entwickelt, ich meine, wenn wir ein halbes Jahr lang …."

"Nein."

Es war ein Nein, das keine weiteren Nachfragen zuließ, also beließ ich es dabei.

Ich überlegte lang hin und her, ob ich zu Sean gehen sollte. Eigentlich kannte ich die Antwort, aber ich wollte es möglichst weit hinausschieben.

Anfang Mai nahm ich all meinen Mut zusammen und machte mich auf den Weg zu seiner Wohnung. Ich klingelte, er machte auf, schaute entsetzt und funkelte mich wütend an.


Sean

Patricia war gerade beim Einkaufen. Nichts ahnend machte ich die Tür auf.

Da stand Jordan. Er sah aus, wie damals, als wir uns kennengelernt hatten. Dünn aber gesund. Wut keimte wieder in mir auf. Er hatte mit einem Satz mein Leben versaut. Ich würde nie wissen, warum ich Patricia wirklich heiratete und mich das auf ewig fragen und das nur, weil er sich hatte gehen lassen!

"Dass du dich noch hier her traust. Brauchst du wieder Geld? Verschwinde!"

"Warte, zwei Minuten, bitte. Ich bin clean."

"Mir egal."

"Ich kann mich nicht erinnern, Sean."

"Woran?"

"An unser letztes Treffen."

Das war ja wohl echt billig. Wie sollte ich ihm jetzt noch was vorwerfen können?

"Ich würde es auch lieber vergessen."

"Bitte sag mir, was passiert ist."

Anscheinend war es sein Ernst.

"Du hast mich geoutet, vor meinen Eltern. Und jetzt verschwinde endlich. Ich will dich nie wiedersehen. Ich wünschte, ich hätte dich nie kennengelernt. Fahr zur Hölle."

Ich knallte die Tür zu und lauschte, wie seine Schritte langsam leiser wurden.


Jordan

Er knallte die Türe zu. Verdammt. Ich spürte einen Kloß in meinem Hals. Sean würde bestimmt nie wieder mit mir sprechen und das mit vollem Recht.

Ich musste wohl oder übel alle Brücken zu meiner Vergangenheit abbrechen, denn viel konnte meine Mutter nicht mehr verkraften und ich wusste selbst nicht, ob ich es in der Zukunft schaffen würde, clean zu bleiben. Ich traute mir selbst nicht mehr. Die nächsten Monate verbrachte ich jede freie Minute mit der Band. Mickey hatte noch viel zu lernen, auf dem Bass. Auch wenn Kev mit Becca die Hochzeit plante, probten wir Anderen dann eben ohne Gesang und mit mir an der Gitarre. Wir wurden immer besser und spielten bald wieder unter dem alten Namen Gigs. Die Arbeit im Laden, die Jungs, Alltag.

Im Herbst besuchte ich Josh, der mittlerweile zur Schule ging.

Die Band bekam durch Glück und gutes Timing einen Plattenvertrag und wir gingen tatsächlich als Vorband auf eine Tour durch fünf Staaten in ganz ansehnlichen Hallen. Ich hatte keinen Kontakt mehr zu alten Freunden und auch nicht zu meinen Eltern. Die Jungs waren jetzt meine Familie und das war auch gut so, denn wir mussten auf engstem Raum miteinander auskommen. Die Tour war ein ziemlicher Erfolg und ich könnte ein ganzes Buch mit all den tollen Erfahrungen füllen, die wir machten und den Leuten, die wir trafen. Als wir wieder zu Hause waren, heirateten Becca und Kev im kleinen Kreis.


Sean

Bis Anfang Dezember schob ich den Antrag hinaus, ich erzählte niemandem von meinem Vorhaben. An Patricias Geburtstag fragte ich sie endlich. Sie sagte, ohne mit der Wimper zu zucken, 'Ja'. Weihnachten verkündeten wir es unseren Familien und mein Vater klopfte mir stolz auf die Schulter. Meine Schwestern schauten mich an, als hätte ich den Verstand verloren. In dieser Nacht träumte ich von Jordan und wachte mit dem Geschmack von Fruchtpunsch im Mund auf. Den ganzen Tag stand ich irgendwie neben mir. Wo er wohl gerade war? Ob seine Eltern es wohl wussten? Carol hatte ja schon angekündigt, dass sie sich nicht mehr um ihn sorgen konnte, was ich gut verstand. Meine Schwestern versuchten, mit mir zu reden, aber Patricia war immer dabei. Am Nachmittag klopfte ich an der Tür meines Vaters.

"Dad, können wir etwas besprechen?"

"Selbstverständlich. Nächstes Jahr Weihnachten wirst du ein verheirateter Mann sein! Ich gratuliere dir noch einmal zur Verlobung."

"Danke."

"Also, worüber wolltest du sprechen?"

"Über Klaus. Ihr wart so gute Freunde und ich möchte, dass ihr das wieder seid."

"Das geht dich nun wirklich nichts an."

"Ich werde sie zur Hochzeit auf jeden Fall einladen."

"Das ist deine Entscheidung."

Das war ein Sieg. Dass das meine Entscheidung war, war alles andere als selbstverständlich.


Jordan

Nach der Tour lernte ich zufällig einige Menschen aus der Filmbranche kennen und verdiente etwas Geld mit Werbespots und Fotos. Mittlerweile konnte ich nämlich wieder in den Spiegel schauen, ohne einen alten Mann zu sehen. Mein Gewicht hatte sich normalisiert, ich trieb wieder Sport, sah gesund aus, war gesund. Brian, Tobey und ich beschlossen, bald eine WG zu gründen und wir nahmen ein Album auf, sogar ziemlich professionell.

Im April 2001 rief Vince an. Ich hatte ewig nicht mit ihm gesprochen, er arbeitete wie immer viel und hatte zudem noch diesen Collin.

"Hey! Schön von dir zu hören, wie geht's dir?"

"Klasse. Und wie läuft es bei dir?"

"Ich kann mich nicht beschweren. Mit der Band geht es stark bergauf. Ich schnuppere ein wenig ins Filmgeschäft, verdiene nicht schlecht. Ich zieh demnächst mit ein paar der Jungs zusammen. Kev hat Becca geheiratet und wir haben schon eine Tour durch fünf Staaten hinter uns. Ich denke, das war so das Wichtigste bei mir. Und was gibt's bei dir?"

"Ich werde heiraten."

"Oh …."

"Du könntest so was sagen wie 'Glückwunsch'."

"Tut mir leid."

"Schon gut. Jedenfalls möchte ich, dass du kommst."

"Vince, ich weiß nicht …."

"Du bist Familie. Ich brauch dich dabei an meiner Seite. Bitte."

"Wann denn eigentlich?"

"Am zwölften Mai. Vielleicht könntest du ja schon ein paar Tage vorher kommen, damit wir noch etwas Zeit zusammen verbringen können, denn nach der Hochzeit fahren wir schon in die Flitterwochen."

"Ich muss drüber nachdenken und ich muss im Laden fragen, ob ich frei bekomme und wegen Gigs muss ich auch schauen. Ich sag dir im Laufe der Woche Bescheid."

"Okay, dann hör ich bald von dir."

"Ja, bis dann."

Das Ganze traf mich echt unerwartet, aber ich fand einfach keinen Grund, Vince abzusagen. Joe gab mir sofort Urlaub, an dem Wochenende hatten wir keinen Auftritt, weil Brian und Kevs Mum 60 werden würde und das Ganze ein großes Spektakel werden sollte. Es passte einfach alles zusammen, also flog ich am Neunten nach New York.

Vinces Bruder Ismael holte mich vom Flughafen ab. Ihn kannte ich ja nur flüchtig, denn er war damals, vor zwei Jahren, gleich nach Weihnachten wieder abgereist.

"Hey, Ismael."

"Hallo Jordan. Hier entlang, bitte. Lass mich die Tasche tragen."

"Danke."

Ich musterte ihn, während wir so gingen. Er sah noch aus wie damals, aber irgendwas hatte sich verändert. Seine Höflichkeit war östlich. Seine Gesten waren östlich und an der Hemdstasche trug er einen goldenen Pin mit arabischer Schrift. Er fuhr einen großen BMW, in dem es irgendwie exotisch roch und ein Halbmond-Magnet prangerte auf der Armatur. Zu meiner Überraschung begann er mit Small-Talk, also erzählte ich ihm von der Band. Dann fragte ich, was es bei ihm Neues gäbe.

"Ich habe mittlerweile geheiratet."

Ich hatte das Gefühl, dass das jetzt in Mode war.

"Oh, wirklich? Schön. Wie heißt denn deine Frau?"

"Du willst wissen, ob sie Muslime ist, oder?"

"Tut mir leid, das ist natürlich eigentlich egal. Ich hab mich nur gefragt, ob sie irgendwas mit deiner Veränderung zu tun hat."

"Sie ist Amerikanerin, die zum Islam konvertiert ist. Mirijam. Mag sein, dass sie mir den Weg gezeigt hat, wie Mann den Islam und manche anderen Aspekte meines Lebens unter einen Hut bringen kann. Ich hab sie im Büro kennengelernt."

"Ah, verstehe. Das hört sich gut an."

"Und was ist mit dir? Warum hast du keinen Begleiter mitgebracht?"

"Ich hab Niemanden, zurzeit."

"Oh, das tut mir leid."

"Das muss es nicht. Manchmal ist es eine gute Sache, Niemanden zu haben."

"Wie das?"

"Mann kann zum Beispiel Niemanden enttäuschen."

"Im letzten Jahr hattest du Probleme, oder? Vince hat dich nach Weihnachten gesucht."

"Ja, er hat mich in eine Klinik gebracht. Vermutlich hat er mir damit das Leben gerettet."

"Du liebst meinen Bruder noch, oder?"

"Ismael!! So was kannst du mich doch nicht einfach so fragen! Er heiratet am Samstag."

"Ja, das tut er. Es ist sehr mutig, dass du unter diesen Umständen gekommen bist."

"Er hat mich drum gebeten."

Ismael nickte wissend. Zwanzig Minuten später stellten wir das Auto in einer Tiefgarage ab und fuhren mit dem Aufzug ins 14. Stockwerk eines schicken Wohnhauses in Manhattan. Vince öffnete die Tür.

"Jordan, endlich!"

Er küsste mich auf die Wange und umarmte mich. Ich unterdrückte die Schmetterlinge, die in meinem Bauch zu flattern begannen. Mann, die nächsten paar Tage würden bestimmt viel Stoff für einen sehr, sehr traurigen Song liefern.

Die Wohnung war fantastisch und einige Möbel erkannte ich wieder. Und dann war da Collin, Anwalt, Anfang 30, gut aussehend, freundlich und witzig, ich mochte ihn vom ersten Moment an und das ärgerte mich. Nach dem Essen seilte Vince sich mit mir ab. Ismael und Collin verstanden sich erstaunlich gut, so dass er wohl keine Bedenken hatte, die Beiden allein zu lassen. Zu Fuß zeigte er mir die Gegend.

"Der Washington Square ist nicht weit und dann können wir noch in meiner Galerie vorbeischauen, wenn du willst. Und die Christopher Street natürlich."

"Hört sich gut an."

Wir gingen so nebeneinander her ohne zu reden. Nach einer Weile sprach Vince das aus, was ich dachte.

"Es ist seltsam, neben dir zu gehen, ohne deine Hand zu halten."

"Ja, das stimmt."

Eine kurze Stille trat ein.

"Ich bin wirklich froh, dass du da bist."

"Hier ist es schön. Du passt hier her."

"Faszinierend, oder? Früher hab ich immer von L.A. geträumt, nur um dann festzustellen, dass ich mich um ein paar tausend Meilen verschätzt habe."

"Und du passt zu Collin."

"Es tut mir leid, wie alles gelaufen ist, Jordan. Ich hab ein schlechtes Gewissen. Ich hätte merken müssen, dass etwas nicht stimmt …."

"Das war nicht deine Aufgabe. Ich hätte mir schon einen Plan für solche Situationen überlegen müssen und ich hätte mir in L.A. gleich eine Gruppe suchen sollen. Ich hätte mich besser kennen müssen. Aber jetzt ist das ja eh vorbei. Wenn du mich nicht gesucht hättest …."

"Darüber will ich gar nicht nachdenken."

"Ja, genug davon. Vince, du heiratest. Kaum zu glauben, oder?"

"Ich weiß. Ich muss mich selbst immer noch an den Gedanken gewöhnen."

"Und ich erst …."

"Aber ich bin mir sicher, dass ich das Richtige tue. Weißt du, ich liebe ihn wirklich. Und wir haben dieselben Vorstellungen von unserer Zukunft."

"Ich freue mich für dich, wirklich."

"Jordan, wie soll es mit dir weitergehen? Hast du Jemanden?"

"Nein, nicht mehr seit ich aus der Klinik kam."

"Aber das ist ein Jahr her."

"Ich hab die Musik."

"Aber es geht doch auch um die menschliche Nähe."

"Ich hab die Band. Wir sind mittlerweile wie eine Familie."

"Trotzdem, krass … Ah, da vorne, in dem Café an der Ecke, da hab ich Collin kennengelernt."

"In einem Schwulen-Laden? Ernsthaft?"

"Wo würdest du denn hingehen, um andere schwule Männer kennenzulernen?"

"Keine Ahnung, bisher habt ihr immer mich gefunden."

"Hm. Naja, jedenfalls ist das eigentlich ein normales Café und ich saß da und hab mir Entwürfe durchgeschaut, es war relativ voll. Und dann hat Collin gefragt, ob er sich mit seinem Laptop zu mir setzen darf."

"Wirklich romantisch, wenn zwei Workaholics sich treffen, hm?"

"Ganz genau. Wie auch immer. Hast du Nick schon kennengelernt?"

"Wen?"

"Na Nick, Summers Freund."

"Ach so … nein, ich hab seit fast einem Jahr nicht mehr mit ihr geredet."

"Was?! Warum nicht?"

"Keine Ahnung. Wir haben uns eben auseinander gelebt, oder so."

"Naja, vielleicht könnt ihr das dieses Wochenende ändern."

"Summer kommt?"

"Ja natürlich. Sie ist sogar Brautjungfer."

"Summer?! Heißt das, sie wird ein Kleid tragen?"

"Klar, ein fliederfarbenes, genau wie die Anderen."

"Oh-Mein-Gott."

Nach zwei Stunden machten wir uns wieder auf den Rückweg. Mittlerweile waren noch Freunde von Collin eingetroffen und Ismael hatte sich verabschiedet. Scheinbar kannte Vince diese Freunde auch noch nicht, denn Collin stellte Scott, Dennis und Lucy uns Beiden vor. Lucy musterte mich nach der Vorstellung etwas seltsam.

"Entschuldige, es ist nur … irgendwie kommst du mir bekannt vor."

"Seltsam. Ich bin nicht aus der Gegend."

"Ich auch nicht, ich lebe in San Francisco."

"Das letzte Mal, dass ich in San Francisco war, war im Dezember. Aber nur für einen Abend. Wir haben als Vorband für …."

"Ja klar, du bist der Sänger von Summerskin! Ich hab euch gesehen, ihr seid gut!"

"Dank dir. Und was machst du in San Francisco?"

"Ich bin in einer Kanzlei für Wirtschaftsrecht. Nicht wirklich spannend, aber Mann verdient gut. Und wir können ja nicht alle Rockstars sein."

"Naja, bis dahin ist es noch ein weiter Weg, aber wir haben ein Album aufgenommen, das bald in die Läden kommt."

"Toll! Also seid ihr auf jeden Fall schon Teil der Maschinerie."

"Ja, das kann Mann sagen."

"Also, ich bin eine von den Brautjungfern und Dennis ist Collins Trauzeuge. Deshalb müssen wir auf die Probe, aber wenn wir wiederkommen, dann musst du mir noch mehr davon erzählen."

Es schien, als würden alle, außer Scott und mir, für die nächsten paar Stunden auf dieser Hochzeitsprobe sein. Beim rausgehen nahm Vince mich noch kurz zur Seite.

"Ich hätte dich als Trauzeugen nehmen sollen, du bist der, der mich am Besten kennt, aber die Vorstellung, neben dir zu stehen, während ich Collin ewige Treue schwöre …."

"Vince, das ist okay, geh schon."

Ich schob ihn zur Tür raus und ging zurück ins Wohnzimmer, wo Scott gerade seine Koffer zusammensuchte.

"Jordan, richtig?"

"Ja. Und du bist Scott."

"Genau. Also, weißt du etwas über die Zimmerverteilung?"

"Nicht wirklich. Es gibt zwei Gästezimmer."

"Eins davon werden sich vermutlich Lucy und Dennis teilen wollen."

"Ach, die Beiden sind zusammen?"

"Ich hab schon gesehen, dass du das nicht wusstest, so wie du Lucy angegraben hast."

"War es echt so offensichtlich?"

"Hm. Aber ich glaub, Dennis kann ein wenig Konkurrenz schon verkraften. Während dem Studium durfte er auch oft dabei zusehen, wie sie was mit Anderen hatte. Natürlich waren sie damals noch nicht zusammen, aber er stand schon immer auf sie."

"Also habt ihr alle Vier zusammen studiert?"

"Ja, Harvard."

"Beeindruckend."

"Und du bist also der neue Mick Jagger?"

"Naja, mit etwas Glück kann ich bald von der Musik leben."

"Nicht schlecht. Vielleicht könntest du mir ein paar Hemden signieren und so meine Altersvorsorge sichern."

"Ich kritzle gern was auf deine Hemden, aber die sehen teuer aus. Ich glaub nicht, dass meine Unterschrift jemals so viel wert sein wird."

"Hm, vielleicht warten wir ab, bis dein Album einschlägt, dann ist das Risiko geringer."

"Gut, dann will ich aber Gewinnbeteiligung."

"Du sprichst wie ein Jurist. Wer ist dein Agent?"

"So was hab ich nicht."

"Und wer macht deine Verträge und so?"

"Unser Gitarrist kümmert sich um solche Dinge."

"Also bald wird der das aber nicht mehr packen. In welcher Stadt wohnt ihr denn? Vielleicht kann ich dir jemanden empfehlen."

"L.A."

"Ach klar, daher kennst du vermutlich Vince."

"Nein, wir haben uns schon in Phoenix kennengelernt. Daher kommen wir Beide ursprünglich."

"Ach so. Jedenfalls kenn ich in L.A. genügend Juristen die sich auf Vertragsrecht spezialisiert haben und Künstler vertreten. Mich selbst zum Beispiel."

"Oh, so ein Zufall."

"Allerdings. Naja, du kannst ja zu Hause einfach mal mit deinen Leuten bei mir vorbeischauen. Und jetzt reicht's wieder mit Geschäftlichem. Was machen wir bis die Anderen zurückkommen? Willst du rausgehen, oder es dir hier gemütlich machen?"

"Also ich könnte ein bisschen Ruhe vertragen. Zu Hause komm ich kaum zum ausspannen."

"Das kenn ich. Also, was hältst du von Bier und DVD?"

"Perfekt."

"Dann schaun wir mal, was die Beiden so da haben."

Wir entschieden uns für X-Men.

"Collin war schon immer ein Sammler. Sieh dir mal das Regal an. Ich wette, die Hälfte der Filme hat er noch nicht mal angeschaut."

"Du kennst ihn recht gut, oder?"

"Er war vier Jahre lang mein Mitbewohner. Ich kenn also alle seine Macken."

Vom Film bekamen wir nur die Hälfte mit, weil uns so gut wie nie das Gesprächsthema ausging.

"Wie alt bist du eigentlich?"

"23. Du?"

"Wir alle Vier sind 31 und haben sogar alle innerhalb von drei Wochen Geburtstag. Und was hast du seit der High School so gemacht?""

"Ich bin erst seit drei Jahren fertig."

"Mit 20 hast du erst den Abschluss gemacht? Wie das?"

"Ich war eben nicht grad ein Musterschüler. Ich hatte mit Drogen zu tun und so."

"Oh. Hast du das gut überstanden?"

"Ja, zum Glück. Naja und dann bin ich nach L.A., ein Jahr war ich auf dem College, hab die Band aufgebaut und so. Seit einem Jahr konzentriere ich mich voll auf Summerskin und verdiene nebenbei noch Geld in einem Plattenladen in Venice."

"Aber was ist denn dein Plan B?"

"Momentan hab ich keinen. Und falls alle Stricke reißen, kann Mann ja mit Musik nicht nur auf der Bühne Geld verdienen, sondern auch als Songwriter oder so. Und ich mach manchmal Werbespots und Fotos und so. Das bringt nebenbei auch Geld. Vielleicht kann ich mir dann irgendwann wieder ein Studium leisten."

"Und was ist mit deinen Eltern? Könnten die dich unterstützen?"

"Wir haben keinen Kontakt mehr."

"Du hast keinen Kontakt zu deinen Eltern?"

"Das hört sich schlimmer an, als es ist. Ich komm auch allein klar."

"Aber deine Eltern! Wie das für sie sein muss! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ich keinen Kontakt mehr zu meiner Tochter hätte, schrecklich."

"Du hast eine Tochter?

"Jenna. Sie ist 11. Ihre Mutter und ich hatten einen One Night Stand auf dem College. Wir teilen uns das Sorgerecht. So hat es mich auch nach Kalifornien verschlagen. Jennas Mum schreibt seit zwei Jahren fürs Fernsehen. Um Jenna sehen zu können, bin ich von Boston nach L.A. gezogen."

"Ich kenn so was. Meine Ex-Freundin Nikki ist mit ihrem Sohn von Phoenix nach L.A. um clean zu werden. Ich konnte nicht mit, das war vor meinem Schulabschluss. Sie hat es nicht gepackt. Jetzt lebt der Kleine bei seinen Großeltern in San Francisco. Er ist mittlerweile 8 und ich hab ihn seit 3 Jahren nicht mehr gesehen."

"So was ist Scheiße. Du solltest ihn echt mal besuchen."

"Ja, ich weiß. Aber ich bin bei seinen Großeltern auch nicht wirklich willkommen."

"Sie können dich nicht davon abhalten, deinen Sohn zu besuchen."

"Er ist nicht mein leiblicher Sohn, sonst würden die Dinge natürlich anders liegen. Ich hab ihn und Nikki erst kurz vor seinem ersten Geburtstag kennengelernt. Aber sein leiblicher Vater hat sich schon lang vor der Geburt aus dem Staub gemacht."

"Mist, echt."

"Ja. Ich hätte ihn echt gern bei mir, aber ich könnte mich zurzeit nicht um ihn kümmern. Und bei seinen Großeltern geht's ihm gut."

"Klar. Du hast Recht. Hauptsache, ihr verliert den Kontakt nicht."

"Wir telefonieren regelmäßig. Ich weiß genau Bescheid, wer in seiner Klasse wen mag und wen nicht."

"Darüber kann Jenna auch stundenlang reden. Besser als jede Soap, oder?"

"Auf jeden Fall. Geschichten, die das Leben schreibt."

Als der Film aus war, beschäftigten wir uns wieder mit der Schlafzimmer-Frage. Scott brachte es auf den Punkt.

"Es wird wohl drauf hinauslaufen, dass wir Beide uns eins teilen, wenn das für dich okay ist."

"Klar. Dann lass uns mal auspacken."

Gegen Sechs meinte er:

"Naja, wenn die nicht bald kommen, dann verhungere ich."

"Wir können doch einfach was essen gehen. Hier gibt's genug Bistros und was weiß ich alles."

"Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest. Dann lass uns gleich los."

Als wir unsere Sachen zusammensuchten, musterte ich ihn. Er sah gar nicht aus wie ein Anwalt. Auch wenn er ein Hemd trug, seine Jeans lockerte das ganze auf und sie saß echt gut …. Er sah gut aus, wenn auch nicht im klassischen Sinne. Er war ein Stück kleiner als ich, vielleicht 1,76 oder so. Seine Haare waren mittelblond und kurz. Er drehte sich um und fragte, ob ich fertig sei.

"Ja, ich hab alles."

Wir fuhren nach unten und brauchten nicht lange zu suchen, um ein nettes, kleines Restaurant zu finden, wo es alle möglichen Pasta-Variationen gab.

"Die Preise sind aber saftig."

"Ich lad dich natürlich ein. Keine Widerrede, wenn du erst mal ein großer Star bist, kannst du es mir ja mit Autogrammen zurückzahlen."

"Na gut, Danke."

"Also, was hättest du denn gern?"

"Sind Spaghetti Bolognese unter dem Niveau des Ladens, was meinst du?"

"Lass uns fragen. … Entschuldigung, wäre es möglich, hier Bolognese zu bekommen?"

"Natürlich, das lässt sich einrichten."

"Gut, dann bitte zwei Mal und die Weinkarte."

Neben uns nahm ein Paar platz. Zwei Männer. Ich schaute mich um und entdeckte erstaunlich wenige Frauen im Raum. Hinter der Bar hing dezent eine Regenbogen-Fahne. Scott bemerkte meinen Blick.

"Das hier ist eben 'The Village'. Das ist doch okay, oder?"

"Klar, ich hab es nur gerade erst bemerkt."

Auf der Weinkarte suchte er irgendeinen Rotwein aus, ich war in der Weinauswahl noch nie versiert. Für mich schmeckten die meistens ähnlich.

Nach dem Essen machten wir uns auf den Rückweg.

"Die Nudeln waren gut, aber dennoch zu teuer."

"Wie müssten Nudeln für das Geld denn schmecken? Die müssten schon mir Blattgold verziert sein."

Ich lachte.

"Wahrscheinlich. Danke nochmal für die Einladung. Der Wein war echt gut."

"Ja, wir haben die zwei Flaschen gut runter gebracht."

"Oh Mann, ich bin echt angetrunken."

"Solange wir nur wieder nach Hause finden, ist das gar nicht schlimm. Das war jetzt das achte schwule Paar das an uns vorbei gelaufen ist, zwei Lesbenpaare und drei gemischte. Collin und Vince haben sich schon die richtige Gegend für sich ausgesucht. Mir wären es definitiv zu viele Paare, egal welchen Geschlechts."

"Ich weiß was du meinst, aber ich nehme an, das ist nur unser Neid. Manchmal wäre ich auch gern wieder die Hälfte von einem Paar." gestand ich.

"Ja, ich auch."

"Da müssen wir rein, oder?"

"Ja, stimmt."

"Es ist halb Neun, die Anderen fragen sich bestimmt schon, wo wir sind."

"Am Ende sind sie noch gar nicht da."

"Hey, wir sollten so was wie heute in L.A. mal wiederholen." schlug ich vor.

"Ja, find ich auch." meinte er lächelnd.

Vince, Collin, Lucy und Dennis saßen im Wohnzimmer.

"Ja wo wart ihr denn so lange?"

"Scott wäre fast verhungert, also haben wir Nudeln gegessen."

"Und durstig war er scheinbar auch, hm?" grinste Vince.

"Australischer Wein. Da werde ich schwach. X-Men ist gut oder was meinst du Collin?"

"Den haben wir noch gar nicht angeschaut."

Scott und ich prusteten los. Die Andern verdrehten nur die Augen und widmeten sich wieder anderen Themen.

Nach einer Weile meinte Collin:

"Summer und Nick kommen morgen. Dann wird es hier etwas eng. Aber bis dahin wäre es toll, wenn du und Jordan …."

"Ist schon gebongt." unterbrach ich ihn.

Vince schaute mich seltsam an, aber wollte wohl vor den Anderen nicht weiter nachfragen. Bald wurde ich schläfrig.

"Ich glaub, ich geh ins Bett."

"Ich komm auch gleich mit, sonst weck ich dich nachher nur auf."

Scott ging zuerst ins Bad, dann ich. Als ich nur in Shorts heraus kam, meinte er grinsend.

"Ja, du siehst echt aus wie ein Rockstar. Sonnen, hm?"

"Ja, drei. Ich hatte mir schon überlegt, einen meiner Songs auf meinem Rücken zu verewigen, aber das würde ganz schön groß werden."

Ich schlug die Decke zurück und legte mich neben ihn.

"Um was geht es in dem Song?"

"Darum, wie es ist, nicht zeigen zu dürfen, wer Mann ist und wie es sich am Anfang noch gut anfühlt, weil Mann sich jede Menge Ärger erspart, aber irgendwann frisst dich das innerlich auf, du hast das Gefühl, schmutzig zu sein. Allein schon dadurch, dass alles, was du tust und nicht tust, eine Lüge ist. Am Ende hast du nur noch die Möglichkeiten, entweder endlich jedem deine wahre Natur zu zeigen oder daran zu Grunde zu gehen. Und dann endlich tust du es."

Scott hatte sich auf einen Ellbogen gestützt und schaute mich gebannt an, dann nach ein paar Sekunden fragte er:

"Der Song handelt davon, sich zu outen, oder? Bist du schwul?"

Ich nickte nur.

"Das wusste ich nicht."

"Ich war mir nicht sicher, ob du weißt, dass Vince und ich zusammen waren."

"Du bist der Ex-Freund, wegen dem er letztes Jahr im Januar nicht mit zum Ski laufen kam?"

Ich nickte wieder.

"Du warst in ziemlich schlechter Verfassung."

"Ich war auf Heroin, ja."

"Ah, in so eine Klinik hat er dich also gebracht."

"Ja."

"Typisch Rockstar, hm?"

Ich grinste, aber merkte gleich, dass er nicht zu Scherzen aufgelegt war.

"Und jetzt? Bist du immer noch auf irgendwas?"

"Nein, ich bin, seit ich letztes Jahr im April aus der Klinik kam, clean geblieben. Es sind also keine illegalen Substanzen im Raum, die dich deine Lizenz kosten könnten."

"Darum geht es mir doch nicht."

"Worum geht es dir dann?"

"Wir hatten einen tollen Abend. Du bist ein netter Kerl. Ich will eben wissen, wie es dir geht."

"Wie toll war unser Abend denn? Du musst nachsichtig mit mir sein. Ich bin in solchen Dingen recht unerfahren. Also hätte ich zwei Fragen an dich."

"Schieß los."

"Also die erste wäre wohl, ob du schwul bist."

"Nein, bin ich nicht."

"Oh, okay, dann hat sich die zweite Frage wohl erledigt."

"Stell sie trotzdem."

Ich zögerte kurz.

"Darf … ich dich küssen?"

Er nickte kaum merklich, also küsste ich ihn vorsichtig auf die Wange. Er schmeckte gut. Ich küsste seinen Hals. Er bekam Gänsehaut. Ich legte meine Arme um ihn. Er drückte seinen Körper fest gegen meinen. Ich konnte deutlich spüren, dass er mehr wollte, also wanderten meine Hände unter sein Shirt.

"Warte. Kannst du die Tür absperren?"

"Klar."

"Hast du Gummis."

"Ja, ich hol sie."

"Hast du dich testen lassen?"

"Vor einem Jahr. Seither hab ich mit niemandem geschlafen und keine Drogen genommen."

"Du hast seit einem Jahr mit niemandem geschlafen?"

"Nicht so typisch Rockstar, hm?"

Ich zog ihm sein Shirt über den Kopf und wanderte mit meinem Mund vom Hals ab, immer tiefer. Bevor ich ihm die Shorts auszog, fragte ich:

"Und hast du dich testen lassen?"

"Seit Jahren nicht mehr, aber mein Sex-Leben ist nicht wirklich aufregend."

"War nicht aufregend." Fügte ich hinzu und brachte ihn dazu, sich ein Kissen vors Gesicht zu halten, um die Lautstärke zu dämpfen. Bald zog er mich aus und nahm ein Kondom. Er küsste mich innig und drang vorsichtig ein.

In der Dämmerung wachte ich auf. Scott lag dicht hinter mir. Auch er regte sich und lächelte mich an.

"Guten Morgen."

"Ja, das ist definitiv ein guter Morgen."

"Ich fand es wirklich schön. Danke, Jordan."

"Ja, ich fand's auch sehr schön."

Er küsste meinen Nacken.

"Wir haben noch Zeit, bevor die Anderen aufstehen …."

"Das Gleiche hab ich auch gerade gedacht."

Beim Frühstück saßen wir uns gegenüber. Er ließ sich nichts anmerken, also tat ich es ihm gleich. Collin und Vince turtelten vor sich hin, aber das machte mir an so einem Morgen nichts aus.

"Also, was steht heute so an?"

"Dennis und ich werden Summer und Nick vom Flughafen abholen und dann gleich weiter zur Kleideranprobe fahren." erklärte Lucy.

"Ich treffe mich mit einem wichtigen Klienten, könnte eine Weile dauern." meinte Collin.

"Und ich muss zu ein paar Presseterminen und so weiter. Vermutlich komm ich erst zum Abendessen zurück, hat sich kurzfristig so ergeben, tut mir leid, Jordan, ich würde gern noch ein bisschen mehr Zeit mit dir verbringen."

"Schon okay. Das hier ist New York. Mir wird bestimmt nicht langweilig."

"Und was machst du, Scott?"

"Hm, vielleicht erkunde ich auch ein wenig die Stadt."

Unsere Blicke trafen sich für einen Augenblick.

Nach und nach verließen alle die Wohnung.

"Also, was machen wir heute?"

"Ich würde gern erst nochmal ins Bett …."

Gegen Mittag verließen wir die Wohnung Richtung Washington Square. Als mal wieder ein eng umschlungenes Paar an uns vorbei ging, meinte ich:

"Wie stehst du dazu?"

Statt zu antworten hakte er sich bei mir unter.

"Du wunderst dich wahrscheinlich darüber, dass ich gestern auf deine erste Frage mit nein geantwortet habe."

"Ja, etwas schon."

"Naja, ich schlafe hauptsächlich mit Frauen."

"Ich auch."

"Aber ab und an kommt es vor, dass ich einen Mann toll finde. Das sind dann aber nur One Night Stands."

"Oh …."

"Also, das ergibt sich eben so, nicht dass ich es drauf anlegen würde. Ich würde dich auch gern in L.A. weiter treffen. Wenn du das auch willst …."

"Klar, warum nicht?"

"Schön. Oh, so ein Zufall, da drüben ist Collin. Vielleicht sollten wir … also nicht dass ich verheimlichen wollte, das wir uns näher gekommen sind, aber …."

"Aber wir sollten erst mal abwarten, was sich entwickelt."

"Genau. Danke, dass du das verstehst."

"Schon gut. Ah, das ist dann wohl Collins Klient."

Quer über die Straße, gerade noch in Sichtweite, kam er mit einem athletischen, jungen Kerl in Muskelshirt aus einer Tür. Er drehte sich um und zog ihn an sich, um ihn zu küssen. Scott und ich gingen reflexartig in Deckung.

"Verdammt, was macht dein Freund da?!"

"Ich … keine Ahnung, das überrascht mich doch auch total. Normalerweise ist er total monogam, echt."

"Tja, zwei Tage vor der Hochzeit dürfte Mann das schon erwarten."

"Verdammt, warum mussten wir das sehen?"

"Wenn wir es nicht gesehen hätten, wäre es trotzdem passiert. Nur dann wäre er mit so was durchgekommen."

"Moment, was willst du damit sagen? Du willst das doch nicht etwa Vince erzählen?"

"Würdest du es nicht wissen wollen, wenn dein Verlobter zwei Tage vor der Hochzeit noch mit Anderen rummacht?"

"Vielleicht weiß Vince ja Bescheid."

"Das glaub ich zwar nicht, aber wenn dem wirklich so ist, dann macht es ja nichts, wenn wir es ihm erzählen."

"Das geht uns doch wirklich nichts an."

"Klar, dass du Collin decken willst."

"Klar, dass du Vince alles erzählen willst, um ihn zurückzubekommen."

"So ein Schwachsinn. Du kannst ja machen was du willst, aber ich werde Vince nicht anlügen."

"Ich geh und rede mit Collin. Er kann das bestimmt erklären."

Wir stürmten in unterschiedliche Richtungen davon. Ich lief ein paar Stunden rum, weil ich ohne Schlüssel eh nicht in die Wohnung kam. Gegen Vier klingelte ich und tatsächlich machte Scott auf. Wunderbar.

"Jordan. Komm rein."

"Oh, Danke, das ist aber gnädig. Wo ist denn unser Held?"

"Er hatte noch einen Termin."

"Was, zwei 'Termine' an einem Tag?"

"Nein, einen echten Termin. Er weiß, dass er Scheiße gebaut hat und er hat diesem Kerl heute auch gesagt, dass es vorbei ist."

"Ja, so hat es ausgesehen."

"Also ich glaub ihm."

"Und ich finde, Vince sollte selbst entscheiden, ob er das glaubt."

"Willst du ihm wirklich den schönsten Tag in seinem Leben versauen?"

"Wenn darauf sonst die schlimmsten Jahre seines Lebens folgen würden, schon."

"Jetzt dramatisiere das mal nicht."

"Du kennst Vince nicht. Er hat schon so viel durchgestanden, ich werd ihm so etwas nicht verschweigen."

Wir wurden langsam laut.

"Verdammt, Jordan! Sieh doch ein, dass uns das nichts angeht!"

Jemand sperrte die Haustüre auf und wir verstummten. Vince kam herein.

"Was ist denn hier los? Warum brüllt ihr so rum?"

"Vince, was machst du denn schon zu Hause?"

"Ich konnte mich eben früher losreißen. Also, was ist los?"

"Wir sollten uns setzen."

Scott funkelte mich böse an. Ich ignorierte ihn. Als wir alle saßen, fragte ich:

"Also, rein hypothetisch. Wenn jemand etwas weiß, das den Anderen verletzt, sollte er es ihm dann trotzdem sagen?"

"Kommt drauf an, denk ich. Warum muss es der Andere denn wissen?"

"Weil das für sein weiteres Leben Konsequenzen haben könnte."

"Dann kommt es früher oder später eh raus, dann besser früher. Also, was ist los?"

"Scott und ich, wir haben heute ganz zufällig Collin gesehen. Mit einem anderen Mann."

"Das wird wohl sein Klient gewesen sein."

"Küsst er alle seine Klienten zum Abschied?"

"Wie küssen? Auf die Wange?"

"Nein, auf den Mund. Mit Zunge."

"Das glaub ich jetzt nicht. Das denkst du dir doch aus, oder? Scott?"

"Ich halte mich da raus."

"Jordan, das ist doch nur ein Versuch, mich zurückzubekommen, oder?"

"Nein, ich wünschte, es wäre nicht so, aber das ist wirklich passiert."

"Ich glaub dir das nicht. Du bist wahrscheinlich wieder auf Drogen und hast dir das eingebildet."

Das tat weh.

"Vince, ich …."

"Es stimmt, ich hab es auch gesehen."

Endlich hatte Scott auch mal den Mund aufgemacht. Vince wurde blass.

"Und jetzt? Alles ist vorbereitet. Morgen kommen meine Eltern. Wie kann er so was denn tun? Wo ist er jetzt?"

"Er kommt sicher bald nach Hause."

Wie auf Kommando sperrte Collin die Tür auf.

"Hallo zusammen."

Er wusste gleich Bescheid, als er uns so dasitzen sah.

"Danke Scott, du bist ein wahrer Freund."

"Es tut mir leid. Komm Jordan, lass uns ein wenig spazieren gehen."

Es behagte mir nicht gerade, Vince in so einer Situation allein zu lassen, aber natürlich musste ich das. Scott legte seinen Arm um mich.

"Du hast das Richtige getan. Tut mir leid, ich wollte Collin wohl einfach schützen."

"Lass uns nicht zu weit weggehen, okay?"

"Okay. Ist zwischen uns alles okay?"

"Ich bin froh, dass du doch noch die Wahrheit gesagt hast. Vince hätte mir nicht geglaubt."

"Er hat die Drogen bloß vorgeschoben, weil er es nicht glaube wollte. Er meinte es nicht so."

"Doch, das hat er und aus gutem Grund. Ich scheine auf Dauer von dem Zeug einfach nicht loszukommen."

"Woran liegt das, denkst du?"

"Wenn du einen Schalter hättest, den du nur umzulegen brauchst und schon bist du glücklich, egal was um dich herum geschieht, würdest du ihn nicht von Zeit zu Zeit benutzen?"

"Aber das hat Konsequenzen."

"Das weiß ich nur zu gut, ich hab schon zwei Heroin-Entzüge hinter mir. Aber in Momenten wie diesen …."

"Jordan, komm her. Setz dich."

Wir setzten uns auf die Stufen zum Eingang des Hauses. Scott knetete meinen Nacken.

"Vince ist der Letzte, den ich noch habe. Wenn er mir jetzt die Schuld dafür gibt, dass er nicht seine verdammte Traumhochzeit bekommt …."

"Das wird er nicht tun, das wäre nicht richtig."

"Ich hab alle vergrault. Ich hab nur noch die Band, den Laden und Vince."

Er zog mich zu sich und küsste mich, dann saßen wir eine Weile schweigend nebeneinander.

Ein Taxi fuhr vor und Dennis und Lucy stiegen aus, gefolgt von einem großen, sommerblonden Typen und Summer! Sie stürmte auf mich zu und umarmte mich, bevor ich dazu kam, aufzustehen.

"Jordan, endlich! Du siehst anders aus. Wo sind deine Piercings? Und was ist aus dem Iro geworden?"

"Und wo sind deine lila Strähnen?"

"Naja, ich bin ja auch eine seriöse Studentin, aber du bist Musiker!"

"Ich mach nebenbei Werbespots und so Kleinkram, da macht sich das hier besser."

"Verstehe. Also, endlich lernt ihr euch kennen. Nick – Jordan, Jordan – Nick."

"Hey Mann, schön dich mal kennenzulernen. Summer redet ständig von dir."

"Echt? Alles was sie sagt, ist vermutlich wahr."

"Und du bist ….?

"Scott. Ich bin ein Freund von Collin."

"Ah, der Anwalt aus L.A."

"Ja, genau der."

"Wollen wir hochgehen?"

"Klar."

Scott drückte unten auf die Klingel, er wollte die Beiden wohl warnen, dass wir kamen.

"Ich hab doch den Schlüssel", meinte Lucy.

"Oh, hab ich vergessen."

Vince und Collin taten, als sei nichts gewesen und begrüßten die Anderen freudig, aber Vince wich meinem Blick aus.

Es war der Abend des Jungesellenabschieds, den sie seltsamerweise zusammen feiern wollten. Wir gingen in eine Bar in der Gegend, wo wir auf diverse Kollegen der Beiden trafen.

Der Abend war wirklich nett, ich unterhielt mich viel mit Summer. Nick war auch sehr bemüht, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Es wurden massig Cocktails getrunken und gegen Zwölf hatte jemand Pillen in Umlauf gebracht. Ich war nicht mehr nüchtern und diese Kombination gefiel mir nicht. Scott hatte sich die meiste Zeit mit anderen Anwälten unterhalten und eine davon machte ihm offensichtlich Avancen. Vorsichtig tippte ich ihn an.

"Hey, ich will dich nicht lange stören, ich wollte nur sagen, dass ich zurück geh."

"Schon? Warum?"

"Ach, es ist eigentlich blöd, mir gefällt es hier zu gut, aber jemand hat Pillen dabei. Ich will nur vorsichtig sein, verstehst du?"

"Klar, sehr gut, Jordan. Ich komm mit."

"Das musst du nicht, ich sehe, dass du hier beschäftigt bist."

"Ich will aber viel lieber von dir beschäftigt werden. Ich besorg einen Wohnungsschlüssel."

"Ich sag Vince Bescheid."

"Vince …."

"Oh, Jordan, lass uns tanzen, ja? Collin tanzt nicht mit mir."

"Ein anderes Mal, ich pack es jetzt."

"Aber warum denn? Wenn das etwas mit heute Nachmittag zu tun hat …."

"Nein, das musst du mir morgen mal erzählen, aber momentan geht es mir um den Pillenkonsum hier. Ich will mich von so was lieber fernhalten."

"Oh, klar, verstehe. Soll dich jemand heimbringen?"

"Scott kommt mit."

"Okay, dann sehen wir uns morgen früh."

Er drückte mir einen Schmatz auf die Lippen. Ich schmeckte Alkohol.

"Vince, du hast getrunken."

"Das ist mein Junggesellenabschied. Ich vögle nicht in der Gegend rum, also lass mich wenigstens so meinen Spaß haben."

"Hast du hier eine Gruppe? Oder einen Paten oder so?"

"Warum, damit du die anrufen kannst?"

"Ganz genau."

"Dann nicht."

"Vince, lass mich dir helfen."

"Jordan, kommst du?"

"Ich glaub, ich bleib doch noch."

Scott schaute irritiert zwischen uns Beiden hin und her.

"Okay, wie du meinst, dann geh ich mal wieder zu der Steuerrechtlerin."

"Oh, ich glaub dein neuer Freund ist beleidigt."

"Das ist nicht lustig. Wie viel hast du getrunken?"

"Ein paar Cocktails. Und es können ruhig noch ein paar mehr werden."

"Du solltest nach Hause gehen."

"Ich denk nicht dran. Ich tanze jetzt erst mal."

Er schlug sich Richtung Tanzfläche durch und gab mir ein Zeichen, mitzukommen.

Wir bewegten uns im Rhythmus der Musik. Er zog mich dicht an sich und ich machte einfach die Augen zu. Die Menschen um uns herum waren vergessen. Er hielt meine Hand. Ich spürte seinen Atem in meinem Gesicht, seine Lippen auf meinen. Ich wollte die Augen nicht aufmachen, das hätte den Augenblick ruiniert.

Jemand riss mich an der Schulter herum und schon hatte ich Collins Faust im Gesicht.

"Lass deine Finger von ihm, du dämlicher Junkie."

"Jemand muss doch auf ihn aufpassen. Er hat getrunken, riechst du das nicht?"

"Hast du das beim Küssen bemerkt?"

"Nein, schon davor."

"Also hast du ihn geküsst, obwohl du wusstest, dass er was getrunken hat?"

"Und, warst du heute Nachmittag betrunken, als du dem Blondschopf die Zunge in den Hals gesteckt hast?"

"Du dachtest wohl, du könntest dadurch unser Glück zerstören, aber da hast du dich geschnitten."

"Klar, deshalb ist Vince jetzt auch besoffen."

Ich hatte mittlerweile festgestellt, dass meine Nase blutete.

"Du kannst dir heute jedenfalls was anderes zum schlafen suchen und auf der Hochzeit will ich dich auch nicht sehen."

"Das hast nicht allein du zu entscheiden."

Vince trat zwischen uns.

"Jordan, vielleicht ist es wirklich besser, wenn du dir für die Nacht was anderes suchst. Mit Summer und Nick wird der Platz eh knapp."

"Wunderbar. Na schön. Aber bitte trink nichts mehr, okay?"

"Okay. Ich bin wieder bei Verstand, keine Sorge."

"Ich lass dich wissen, wo ich bleibe."

Auf dem Weg zum Ausgang holte mich Scott ein.

"Jordan, wo gehst du hin?"

"Ich such mir ein billiges Zimmer."

"Warte doch."

"Was willst du denn noch?"

"Ich will dich nicht allein lassen."

"Keine Sorge, ich wüsste hier eh nicht, wo ich an guten Stoff komme, also …."

"Ich will trotzdem mitkommen."

"Ich hab gerade Vince geküsst."

"Ja, das hab ich gesehen."

"Deine Steuerrechtlerin wartet."

"Ich hab ihr gesagt, dass ich mit dir hier bin."

"Ich brauch keinen Babysitter."

"Ich will dich kennenlernen. Mach es mir nicht so schwer, okay?"

"Was auch immer …."

"Hier, für deine Nase."

Er gab mir ein Taschentuch.

"Danke."

"Ich weiß, wo wir hingehen. Komm."

Nach einer kurzen Fahrt in einem stinkenden Taxi standen wir vor einem namhaften Hotel.

"Das sieht zu teuer aus."

"Um mir auch mal so was leisten zu können, hab ich Jura studiert, also mach dir darum keine Gedanken."

"Ich hab langsam das Gefühl, dass es sich einbürgert, dass du alles bezahlst."

"Nur bis du eine Million Alben verkauft hast."

Am nächsten Morgen wachte ich um Elf auf. Scott saß schon an dem kleinen Tisch am Fenster und trank Kaffee.

"Guten Morgen."

"Guten Morgen, ich dachte schon, du wachst gar nicht mehr auf."

"In diesen teuren Laken schläft es sich eben ganz exquisit."

"Allerdings. Willst du was essen?"

"Ich könnte schon was vertragen."

"Willst du raus gehen oder den Zimmerservice?"

"Ich bin für Frühstück im Bett."

Am Nachmittag holten wir unsere Sachen aus der Wohnung, Lucy ließ uns rein. Vince und Collin waren mit Summer und Nick unterwegs. Als ich zusammenpackte, hörte ich Lucy und Dennis auf Scott einreden.

"Hoffentlich weißt du, worauf du dich da einlässt. Nach allem was Mann hört, hing er vor kurzem noch an der Nadel."

"Gib ihm auf keinen Fall Geld."

"Und schütz dich, du weißt nicht, was er sich alles eingefangen hat."

"Er hat versucht, Collin und Vince auseinander zubringen, mit irgendwelchen Lügengeschichten. Überleg es dir gut, ob du dich auf so Einen einlassen willst."

Leider konnte ich Scotts Antwort nicht hören, denn er flüsterte.

Die restliche Zeit bis zur Hochzeit verbrachten wir in unserem Zimmer, mit allen Vorzügen, die das Hotel zu bieten hatte. Dann war es soweit. Wir hatten uns in Schale geschmissen und machten uns kurz vor Vier per Taxi auf den Weg zu dem Saal, der gemietet worden war.

In Reih und Glied waren etwa 100 weiße Stühle aufgestellt, die mich unwillkürlich an weiße Gartenzäune erinnerten. Und da standen auch schon Will und Todd und plauderten fröhlich mit Nick. Vince war nirgendwo zu sehen. Wir suchten uns, wie alle Anderen auch, Plätze. In den ersten beiden Reihen erspähte ich Vinces Familie, inklusive seines Vaters.

"Alles okay, Jordan?"

"Ja, ich hab nur gerade den alten Yadis entdeckt. Irgendwie find ich ihn schaurig. Er hat diese Fähigkeit, durch Menschen durchzuschauen. Also nicht im Sinne von durchschauen, sondern um sie zu ignorieren."

"Ja, Collin hat so was ähnliches gesagt. Seltsam."

"Ich dachte, sein Harvard-Abschluss würde ihn vielleicht doch bemerkenswert machen."

"Scheinbar nicht."

Musik ertönte. Echt kitschige Musik. Und dann kamen die Brautjungfern. Allen voran Summer und Lucy, in identischen fliederfarbenen Tüll-Kleidern. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Die Summer, die ich vor drei Jahren kannte …. Nein, ich würde jetzt nicht nostalgisch werden. Dann stolzierten noch einige Menschen herein und ganz am Ende Collin und Vince, je mit ihrer Mutter am Arm. In diesem Moment beschloss ich, niemals im Leben zu heiraten. Dieses Prozedere war einfach lächerlich. Ich war froh, als die Zeremonie nach 45 Minuten vorbei war. Liebesschwüre, Schmuckaustausch, der Kuss, bla bla.

Dann gab es Sekt. Ich schaute extra zu Vince. Er trank auch. Während sich die Hochzeitsgesellschaft in einer Schlange formierte, um dem ach so strahlenden Paar zu gratulieren, räumten Angestellte die Stühle zur Seite und rollte fertig gedeckte Tische herbei.

"Wollen wir uns anstellen?"

"Geh nur, ich wünsche Vince später viel Glück."

"Wie du willst."

Ich setzte mich an einen Tisch, zu dem Schild, das einem gewissen Dr. Baddingfield seinen Platz zuwies. Eine festgelegte Sitzordnung. Wo sie mich wohl hin verfrachtet hatten? Vermutlich zu den schwulen Singles oder so. Summer setzte sich zu mir.

"Hey, alles klar?"

"Alles Bestens."

"Das hier muss ganz schön seltsam für dich sein."

"Nein, warum? Der einzige Ort, wo ich jetzt lieber wäre, ist Seans Hochzeit mit Patricia."

"Oh, also hast du davon gehört?"

Mein Herz blieb stehen.

"Wovon redest du?"

"Äh, na von der Verlobung …? Bitte sag mir, dass du davon wusstest."

Oh fuck. Haltung bewahren.

"Oh, ja klar, ich hatte dich nur akustisch nicht verstanden."

"Puh, ich dachte schon. Naja, ich schau mal wieder zu Nick."

"Ja, mach das."

Sean hatte sich also verlobt. Mit dieser dämlichen Patricia. Aber warum nur? Das stank doch zum Himmel. Die Frau erinnerte mich dermaßen an Sarah. Am Ende war das seine Art, seinen Eltern zu zeigen, dass er doch ein ganzer Mann war. Ich wünschte, ich wüsste, was genau ich zu seinen Eltern gesagt hatte.

"Du schaust aber düster. Hier, ich hab dir Champagner mitgebracht."

"Danke, Scott."

"Ist irgendwas? Ich meine, außer dass dein Ex-Freund gerade geheiratet hat."

"Ich hab gerade erfahren, dass mein anderer Ex-Freund sich verlobt hat."

"Ernsthaft? Heute ist echt nicht dein Tag, hm? Komm, schauen wir mal, ob wir unsere Platzkarten entdecken."

Wir saßen zusammen, offensichtlich am Single-Tisch. Zwei Frauen, ein sehr tuntiger Kerl und ein offensichtlicher Hetero, der sich gleich mal geschickt zwischen die beiden Frauen platziert hatte. Nach der Vorstellungsrunde kam das Gespräch relativ schnell zum erliegen.

Das Buffet wurde eröffnet, danach fing die Band an zu spielen. Es war eine typische Hochzeitsband, alle Mitte 40, in hellblauen Jacketts. Ihr Repertoire umfasste alles, von Elvis und den Beatles, über Pink Floyd zu aktuellen Schnulzen. Der Sänger erinnerte an einen winselnden Hund. Sie stimmten 'Love' von Nat King Cole an. Der Supergau war aber Billy Joel's 'Just the way you are'. Ich hätte mir am liebsten die Ohren zugehalten.

"Sag mal, geht's nur mir so, oder singt der total schief?”

"Naja, er zeigt eben viel Gefühl.” grinste Scott.

Die Frau neben mir hatte meinen Kommentar wohl gehört und meinte:

"Mach es besser, dann darfst du über ihn da oben herziehen.”

Vince kam rüber.

"Na, habt ihr euch schon alle kennengelernt?"

Scott fiel ihm fast ins Wort.

"Ja, natürlich. Sag mal, habt ihr euch die Band vorher angehört?"

"Collin hat das gemacht. Er meint, der Sänger hätte an dem Tag eine Erkältung gehabt, naja … jetzt wissen wir, dass er sich immer so anhört. Sehr … gefühlvoll, findet ihr nicht?"

Die Frau meinte schnippisch:

"Also, der Nörgler hier würde es gern besser machen."

"Tatsächlich, Jordan? Also wenn du willst, können wir mal zur Band schauen. Meine Ohren würden sich freuen."

"Von mir aus."

Die Band machte nach vier Songs schon die erste Pause.

"Hey Leute."

"Ja, ich weiß selbst, wie ich mich anhöre. Meine Kehlkopfentzündung ist wohl doch noch nicht ausgeheilt."

"Oh, das tut mir leid. Jedenfalls … das hier ist mein Freund Jordan. Er würde gern was für uns singen."

"Oh, klar. Wo ist denn unsere Songliste? Ah, hier. Such dir was aus."

"Ah, da ist ja doch einiges drauf. Geh schon, Vince. Lass dich überraschen."

Ich schob ihn weg.

"Na, findest du was?"

"Da kann ich mich ja gar nicht entscheiden …."

"Du bist also ein Freund des einen Bräutigams, hm? Also thematisch, was über alte Zeiten, oder so …."

"Wir waren zusammen. Oh, wie wäre es mit Queen? 'You're my Best Friend'. Das ist schön doppeldeutig."

"Aber auch nicht die einfachste Nummer. Kriegst du das hin?"

"Klar, ich kenn den Song recht gut. Spielt ihr das in der Originaltonart? Eher tiefer, oder?"

"Ja, warte, ich geb dir mal den Ton. Wir machen den Background, wie halt im Original. Na gut, dann ab auf die Bühne."

"Okay, Leute, bitte einen Applaus für Jordan, der uns bei dieser Nummer von Queen unterstützen wird."

"Dankeschön, 'You're my best Friend' für meinen besten Freund, Vince."

"Ooh, you make me live

Whatever this world can give to me

It's you, you're all I see

Ooh, you make me live now honey

Ooh, you make me live

Oh, you're the best friend

That I ever had

I've been with you such a long time

You're my sunshine

And I want you to know

That my feelings are true

I really love you

(Ooh) Oh, you're my best friend

[ … ]”

Den Leuten schien es gefallen zu haben, ich verbeugte mich und überließ die Bühne wieder denen, die dafür bezahlt wurden. Vince nickte mir nur von seinem Platz neben Collin aus zu und formte mit seinen Lippen ein "Danke". Scott gab mir die Umarmung, die ich mir von Vince gewünscht hätte.

"Das war großartig. Deine Stimme ist toll. Und die Songauswahl, hehe. Hast du's gut überstanden?"

"Klar, ich hätte mir nur gewünscht, dass Vince … ach egal. So, ich brauch was zu trinken."

"Am Tisch stehen ein paar Flaschen Wein."

"Na dann."

Die Frau war eher kleinlaut geworden.

"Du hättest ruhig sagen können, dass du Profi bist."

"Mann muss kein Profi sein, um zu hören, dass der Sänger nicht in Höchstform ist."

"Na schön, lass uns auf seine Genesung anstoßen."

"Ja, hoffentlich in den nächsten beiden Stunden."

"Und woher kennst du Vince?"

"Wir stammen Beide aus Phoenix, sind dort zusammengekommen und nach L.A. gezogen. Da hab ich meine Band aufgebaut und er ist nach einen halben Jahr hier her umgezogen."

"Oh, du warst also sein letzter Freund, vor Collin?"

"Soweit ich weiß, ja."

"Es stimmt tatsächlich, die besten Männer sind schwul."

"Danke. Aber ich weiß auch Frauen zu schätzen."

"Oh, tatsächlich?"

Scott räusperte sich.

"Der Spruch geht noch weiter. Die besten Männer sind schwul, oder vergeben."

"Oh. Und warum sitzt ihr dann hier am Single-Tisch?"

"Tja, die Sitzordnung wurde in den letzten drei Tagen wohl nicht mehr aktualisiert. Willst du tanzen, Jordan?"

"Klar, aber wenn die gleich irgendwas von Dirty Dancing spielen, dann bin ich weg."

Nach zwei Songs machte die Band schon wieder Pause und ließ eine CD laufen. 'I will survive'. Scott zerrte mich von der Tanzfläche.

"Was ist los? Stehst du nicht auf Disco?"

"Das ist nicht einfach Disco, das ist eine Schwulenhymne. Gleich rennen alle auf die Tanzfläche und machen einen auf Diva."

"Oh mein Gott, du kannst hellsehen!"

"Ich hab auf dem College vier Jahre lang mit Collin alle möglichen Subkultur-Parties besucht, da hab ich Überlebensstrategien entwickeln müssen."

"Verstehe."

Jemand tippte mir auf die Schulter. Der Sänger in seinem hellblauen Jackett.

"Entschuldigt, ich wollte euch nicht unterbrechen. Sag mal Jordan, hast du vielleicht Lust, im Laufe des Abends noch ein paar Nummern zu singen? Ich wäre dir echt dankbar, meine Stimme wird mit jedem Song schlechter."

"Oh, ja klar, ich hab eh schon Entzugserscheinungen. Ich dachte schon, ich käme dieses Wochenende gar nicht auf die Bühne."

"Hast du eine Band oder so?"

"Ja, in L.A. Wir heißen Summerskin. In ein paar Wochen bringen wir unsere erstes Album raus."

"Cool, das kauf ich bestimmt."

"Schön, das macht 50 Cent für mich. Ich komm gleich rüber und schau mir die Liste nochmal an."

"Okay, bis gleich, dann."

"Du bekommst nur 50 Cent pro verkaufte CD? Wer hat denn den Deal ausgehandelt?"

"Wir sind immerhin zu fünft. Aber du hast mich ja schon davon überzeugt, dass wir dich brauchen. Jetzt konzentriere ich mich erst mal auf den künstlerischen Teil des Business. Wir sehen uns nachher."

"Also, irgendwas Fetziges zum Einstieg. Hier ist die Liste."

"Wie wär's, wenn wir erst mal bei Queen bleiben? 'Another one bites the Dust!'?”

"Klar. Gute Wahl.”

"So Leute, wir haben Jordan nochmal dazu geholt."

Die Leute klatschten. Ja, ich war in meinem Element.

"Another one bites the Dust!”

Die Tanzfläche war voll, die Leute gingen ab. Ja, so musste das sein.

"Danke, Jordan! Wir sehen dich heute sicher nochmal wieder auf der Bühne, so und jetzt: 'Thank you, for Loving me!'”

Die Leute klopften mir auf die Schulter, während ich mich zum Tisch zurück durchschlug. Scott kam lächelnd auf mich zu.

"Du warst wunderbar."

Die Zeit bis zum nächsten Block verbrachten wir, knutschend wie Teenager, in einer Nische auf dem Flur und verpassten so, wie der Kuchen angeschnitten wurde. Dann ging wieder eine CD an.

"Ich muss wieder rein."

"Noch nicht, einen Song noch."

"Okay …."

Die ersten Töne von Chers 'Strong enough' erklangen.

"Kannst du dir vorstellen, was da drin gerade los ist?"

"Lieber nicht."

Zum dritten Mal stand ich an diesem Abend auf der Bühne.

"Scott, ich weiß, wir haben uns gerade erst kennengelernt, aber das ist für dich."

"Wise men say only fools rush in

But I can't help falling in love with you

Shall I stay

Would it be a sin

If I can't help falling in love with you

Like a river flows surely to the sea

Darling so it goes

Some things are meant to be

Take my hand, take my whole life too

For I can't help falling in love with you

[ … ]”

Um die Leute wieder in Bewegung zu bekommen, hängten wir gleich noch 'Summer of 69' dran.

Mittlerweile war es fast Zehn und die Band verabschiedete sich. Der Raum verwandelte sich nun vollends in eine Disco.

Vince stand an der Bühne.

"Können wir kurz raus gehen?"

Ich sah, dass Scott weiter hinten stand und deutete ihm an, dass ich gleich wieder bei ihm wäre.

"Okay, dann gehen wir also raus."

"Du bist noch besser geworden. Ich hab sogar Leute gehört, die dich mit dem jungen Bono verglichen haben."

"Naja, ich tu den ganzen Tag nichts anderes, als Musik machen. Warum sind wir hier draußen, Vince?"

"Collin und ich werden uns jetzt dann gleich offiziell verabschieden. Und davor wollte ich dir nochmal danken."

"Wofür denn?"

"Für alles, Jordan. Für deine Freundschaft in der Klinik, für die Zeit in L.A., dafür, dass du jetzt hier bist, dafür, dass du vorgestern auf mich aufgepasst hast … und dass du ehrlich zu mir warst."

"Aber du hast ihn dennoch geheiratet. Dafür wirst du deine Gründe haben und ich wünsche dir wirklich alles Glück dieser Erde. Ich muss dir danken. Ohne dich wäre ich heute nicht der, der ich bin und ich brauch dich auch weiterhin. Als Freund, als besten Freund."

Ich reichte ihm die Hand und er schüttelte sie.

"Ja, sehr gern."

"Gut, dann lass uns wieder rein gehen, wir werden Beide erwartet."

Zurück in L.A. wartete ich zwei Tage lang neben dem Telefon darauf, dass Scott sich meldete. Ich hatte mir sogar endlich ein Handy zugelegt und ihm die Nummer zukommen lassen. Die Jungs und ich besprachen gerade die Koordination der Promoauftritte fürs Album und ich hatte ihnen auch schon davon erzählt, dass ich einen Anwalt kennengelernt hatte, der sich um die Verträge kümmern könnte. Kev war zwar misstrauisch, wollte ihn sich aber gern mal anschauen. Zwischen drin klingelte mein Handy und zwar das erste Mal überhaupt.

"Ja, Hallo?"

"Hey, ich bin's, Scott."

"Oh, Hallo! Ich hab gerade von dir erzählt. Wann hast du denn mal Zeit, die Band kennenzulernen?"

"Also unter der Woche hat sich einiges angesammelt, aber wenn ihr am Freitagabend einen Auftritt habt, könnte ich da hinkommen und mir einen Eindruck vom Rest der Band machen."

"Klar, hast du was zu schreiben, dann geb ich dir die Adresse."

Ich fieberte dem Freitag entgegen, ließ mir aber vor den Jungs nichts anmerken. Ich hatte ja schon ewig niemanden mehr gehabt und war mir gar nicht sicher, ob Mickey und Tobey überhaupt wussten, dass für mich auch Kerle eine Option waren. Wahrscheinlich hatten sie mit Kev und Brian darüber gesprochen. Ja und Brian, wie würde der reagieren?

Als wir unser Zeug ins Auto packten, brachte ich das Thema auf.

"Hört mal, wegen Scott … habt ihr Beide mit den Beiden schon mal über Vince gesprochen?"

"Keine Ahnung … ach so, du meinst ob die Beiden wissen …?"

"Ja."

"Was wissen wir? Dass du mal mit dem Kerl zusammen warst, auf dessen Hochzeit du warst? Ja, das haben wir mitbekommen." meinte Tobey salopp.

"Ah, gut. Naja, Scott und ich, wir haben uns dort kennengelernt. Es könnte sein, dass sich etwas zwischen uns ergibt."

"Oh, okay. Aber kann er trotzdem für uns Verträge machen und so? Oder verstößt das gegen die Berufsethik?"

"Nö … oder? Keine Ahnung. Jedenfalls verzichte ich lieber auf ein paar Prozente, als auf die Nächte mit ihm. Ich sag's euch, der Kerl …."

"Schon gut, behalt's für dich!" brummte Mickey.

Nach der Show stand er plötzlich neben der Bühne.

"Hey, da bist du ja. Ich dachte schon, du hättest es nicht geschafft."

"Ich kam gerade noch rechtzeitig. Blödes Meeting, ich konnte mich nicht mal mehr umziehen."

"Der Anzug steht dir und du bist ja schließlich auch geschäftlich hier."

"Heißt das, ich darf dich zur Begrüßung nicht küssen?"

"Doch, das ist sogar die Voraussetzung dafür, dass ich dich überhaupt als Rechtsvertreter in Erwägung ziehe."

"Na wenn das so ist …."

"Dann stell ich dich mal den Jungs vor. Die sind mittlerweile bestimmt an der Bar. Vielleicht solltest du mir noch deinen Nachnamen sagen, sonst wird es etwas peinlich."

"Douglas."

"Jungs, das ist Scott Douglas, der Anwalt, von dem ich euch erzählt habe. Das sind Brian und Kev McCormack, Mickey Grey und Tobey Sandman."

Kev und Scott unterhielten sich ewig und auch auf die Anderen machte er scheinbar Eindruck. Er gab vor, etwas aus seinem Auto zu holen, damit wir uns beratschlagen konnten.

"Na gut, also ich denke, wir sollten ihm eine Chance geben. Wir haben ja nichts zu verlieren. Er verdient ja nur an dem, was er uns einbringt. Hört sich auch alles ganz gut an. Und er hat wirklich mehr Ahnung als ich von so was. Und bestimmt einige Kontakte. Was meint ihr?"

"Ja, er ist ein ehrlicher Kerl, glaub ich."

"Ich finde auch, dass es einen Versuch wert ist."

Nur Brian meinte dazu:

"Müssen wir den Beiden dann ständig beim rummachen zuschauen?"

"Jetzt hab dich mal nicht so, wir haben Jordan auch mit Vince gesehen, da hast du dich nicht beschwert."

"Okay, dann haben wir wohl ab jetzt einen Anwalt, der sich um unsere Verträge kümmert."

"Sieht so aus."

"Schön, ich geh ihn mal holen."

Als wir Arm in Arm wieder hereinkamen, trat der Veranstalter des Konzerts auf mich zu.

"Hör mal, Jordan, was du privat machst, geht mich ja nichts an, aber weißt du, ich buche euch, weil ihr eine Fangemeinde mitbringt und die ist hauptsächlich weiblich. Wenn du also nicht ganz so offen zur Schau stellen würdest, dass du … anderweitig orientiert bist, dann könnte ich euch auch weiter buchen."

"Du sagst also, du buchst keine offen Schwulen? Ist das nicht verfassungswidrig oder so? Vielleicht sollte ich euch mal vorstellen. Das ist Scott Douglas. Mein Anwalt."

"Hör mal, ich will echt keinen Stress, du musst auch meine Seite verstehen. Ich muss den Laden schließlich voll bekommen."

"Wir verstehen das. Komm schon Jordan, es ist okay."

Er zog mich am Arm weiter.

"Spinnst du? Das ist überhaupt nicht okay!"

"Du musst zugeben, dass es stimmt was er sagt. Die Mädels kommen nicht nur wegen der Musik."

"Vielleicht. Aber was ist mit Kev? Der ist verheiratet."

"Du darfst ja auch gern schlafen mit wem du willst. Nur sollst du das nicht zur Schau stellen"

"Verdammt, ich will dich aber küssen."

"Dann komm mit zu mir."

"Okay, aber erst müssen wir nochmal zu den Jungs."

Kev verkündete, dass Summerskin gern Scotts Dienste in Anspruch nehmen würde. Er schlug ein und wir machten einen Termin in seinem Büro aus, um die Details zu besprechen.

Schon zwei Monate später hatte Scott für uns Radio-Interviews und einen kleinen Artikel über das Album in einem national erscheinenden Musikmagazin besorgt. Unsere Gagen wurden höher, wir machten nicht mehr nur Musik, sondern hatten auch Pressetermine und ließen T-Shirts und Buttons drucken. Ganz nebenbei hatte Scott mir über seine Kontakte auch noch eine kleine Nebenrolle in einer Soap besorgt. Ich hatte sogar Text und bekam eine dreistellige Gage. Und er stand in Verhandlung mit Konzertveranstaltern im ganzen Westen. Das Album verkaufte sich, für unsere Erwartungen, echt gut, aber Scott wollte mehr. Er organisierte eine Signierstunde in Joes Laden, wo ich mittlerweile nicht mehr wirklich oft arbeiten konnte. Die Campuspresse schrieb einen tollen Artikel darüber und daraufhin auch größere Blätter. Etwas war ins Rollen gekommen und entwickelte eine eigene Dynamik.

Und auch zwischen Scott und mir lief es toll. Ich schlief öfter bei ihm als zu Hause und liebte es, einfach nur den Alltag mit ihm zu teilen. Er arbeitete viel, aber Abends machten wir es uns gemütlich. Wein, gutes Essen, oft auch mit interessanten Leuten, die viele Kontakte hatten und schwer im Geschäft waren. Ich bekam Einblicke hinter die Kulissen des Showgeschäfts, wovon ich noch oft profitieren sollte.

Im August flogen wir nach San Francisco, um dort Lucy, Dennis, Collin und Vince zu treffen und Vierfach-Geburtstag zu feiern. Zwischendurch fuhr ich zu Josh und erfuhr von seinen Großeltern, dass Nikki eine Karte geschickt hatte, allerdings ohne Absender und ohne zu sagen, ob sie wiederkam. Schweren Herzens verabschiedete ich mich am Abend wieder von Josh, der sich zum ersten Mal beschwerte, dass seine Großeltern zu alt waren und nicht mit ihm rumtoben könnten, so wie ich. Ich versprach, er könne ein Konzert von mir sehen, wenn ich mal wieder in San Francisco wäre und er könne mich mal in L.A. besuchen und seine ehemalige Nachbarin und das alte Haus wiedersehen.

Zurück bei Lucy und Dennis fiel mir ein, dass ich meiner Mutter Bescheid geben könnte, dass sie mich am nächsten Tag im Fernsehen bewundern können würde. Ich hatte sowieso seit Monaten nicht mehr durch geklingelt, um einem kurz angebundenen Klaus zu sagen, dass ich noch lebte.

"Kamsky."

Das war mein Mutter selbst, zum ersten Mal seit … Jahren.

"Mum, ich bin's."

STILLE

"Ich wollte dir nur sagen, dass du morgen um zwei WB anschauen sollst."

"Da bin ich auf einer Hochzeit."

"Oh, okay. Jemand den ich kenne?"

"Ja."

"Wer denn?"

"Sean."

STILLE

"Jordan?"

"Ja, ich … ich lege jetzt auf. Bis dann."

"Warte. Bist du allein?"

"Nein, mein Freund ist bei mir. Und Vince auch."

"Gut. Mach's gut, Jordan."

"Ja, du auch."

Ich brauchte noch ein paar Minuten, bis ich wieder zu den Anderen gehen konnte.


Sean

Wir planten eine Sommer-Hochzeit mit anschließenden Flitterwochen auf Hawaii. Bis dahin würden die Abschlussprüfungen vorbei sein und im Herbst würden wir zusammen auf die Med-School gehen.

Am 18.8.2001 heirateten wir. Es war ein schöner Tag und Patricia sah so glücklich aus. Unsere sämtlichen Verwandten waren da und ich lud auch Carol und Klaus ein. Dad unterhielt sich sogar kurz mit ihnen, danach ignorierte er sie aber wieder. Beth beobachtete mich die ganze Zeit, das entging mir nicht. Ich setzte ein extra-breites Lächeln für sie auf.


Jordan

"Alles in Ordnung?"

Vince schaute mich besorgt an.

"Ja, naja …."

"Hast du mit Klaus gesprochen?"

"Nein, mit meiner Mum."

"Wirklich? Das war ja dann das erste Mal seit …"

"Seit über zwei Jahren."

"Und, schaut sie sich's morgen an?"

"Sie kann nicht. Sie ist auf Seans Hochzeit."

"Oh. Du wusstest, dass er sich verlobt hat, oder?"

"Ja, aber dass er tatsächlich so schnell heiratet, das haut mich schon irgendwie um."

Vince blickte unbeholfen drein, Scott stand auf und nahm mich in den Arm.

"Ich glaube, er macht einen Fehler. Ich glaube, er macht das nur, weil ich seinen Eltern gesagt habe, dass er schwul sei."

"Was? Warum hast du das gemacht?"

"Keine Ahnung, ich kann mich ja nicht mal mehr dran erinnern. Das war vor zwei Jahren, im Sommer."

"Was war denn damals?" fragte Lucy.

Ich schaute Vince hilfesuchend an, aber er zuckte nur die Schultern.

"Damals war ich nicht ich selbst …. Ich weiß nicht, was genau passiert ist, aber ich vermute, ich wollte ihn damit erpressen und als er mir kein Geld geben wollte, hab ich meine Drohung wahr gemacht. Seitdem redet er natürlich nicht mehr mit mir, deshalb weiß ich nicht sicher, ob es so gelaufen ist."

"Was?! Das hast du doch auf keinen Fall gemacht, so was würdest du doch nie tun!" meinte Scott sehr überzeugt.

Lucy stand auf und trat neben Scott.

"Doch, natürlich. Für den nächsten Schuss, hab ich Recht? Dafür würde er über Leichen gehen. Wir haben ja versucht, dich zu warnen."

Vince stand auch auf.

"Jetzt mal langsam. Wie gesagt ist das zwei Jahre her und außerdem wissen wir nicht, ob es tatsächlich so war."

"Als Strafverteidigerin damals hab ich gelernt, dass Junkies sich nie ändern."

"Doch, sie können clean werden und jetzt ist es genug. Ihr müsst endlich akzeptieren, dass ich mit Jordan zusammen bin, okay? Ich hab euch auch nie reingeredet, in eure, größtenteils sehr fragwürdige, Partnerwahl."

Collin beteiligte sich aus der Ecke am Gespräch.

"Naja, ganz so stimmt das zwar nicht, aber jetzt setzt euch erst mal wieder hin. Jordan muss wohl ganz okay sein, sonst wären nicht Zwei von euch mit ihm zusammen gekommen. Und jetzt sollten wir aufhören, über ihn zu reden, als wäre er nicht im Raum."

Ich war froh, als wir wieder zu Hause waren und uns auf die anstehende Tour vorbereiten konnten. Wir waren kurzfristig für eine andere Band als Vorgruppe eingesprungen, da bei einem Autounfall Drei von ihnen verletzt worden waren. Scott hatte uns ins Gespräch gebracht. Die Hallen umfassten teilweise über 1000 Menschen. Wir würden 25 Staaten abklappern, in zwei Monaten. Über Sean sprachen wir nicht mehr. Ich hatte zwar nicht wirklich das Gefühl, dass Scott eifersüchtig auf ihn war, aber es gab ja eigentlich nicht mehr viel zu reden. Sean hatte eben geheiratet, ging mich ja eigentlich nichts mehr an ….

Die ersten drei Konzerte waren der Hammer. Dann kam der 11. September. Panisch versuchte ich Vince zu erreichen, aber das Telefon- und Handynetz schien zusammengebrochen zu sein. Ich telefonierte ständig mit Scott in L.A., der Collin ebenfalls nicht erreichen konnte. Die Show an dem Abend fiel natürlich aus.

Um Mitternacht klingelte mein Handy und ich hörte Vinces Stimme.

"Gott sei Dank, ich hab mir solche Sorgen gemacht. Geht es dir gut?"

"Ja, ich war gar nicht in Manhattan."

"Collin?"

"Ihm ist nichts passiert. Ich komme nur nicht zu unserer Wohnung. Hier ist alles ziemlich chaotisch."

"Dein Bruder, wo war er?"

"Zu Hause, in Queens, er war heute zum Glück krank. Er war in 10 Jahren nicht krank, aber heute. Sein Büro war in einem Haus direkt neben dem WTC. Er wäre vermutlich tot oder schwer verletzt. Ich muss meine Mutter wieder anrufen. Kannst du Scott Bescheid geben? Und Lucy und Dennis?"

"Klar. Vince, pass auf dich auf, ja?"

"Ja, jetzt passiert schon nichts mehr."

Aber da hatte er sich vertan. Für seine Familie ging es in den nächsten Monaten erst los. Seine Neffen und Nichten wurden von Mitschülern verprügelt, Ismael wurde 3 Tage lang verhört, weil vermutet wurde, seine Krankmeldung sei kein Zufall gewesen. Sein Vater wurde in Pension geschickt. Tamima wurde beim Einkaufen von einer Vorstadthausfrau der Schleier weggerissen. Irgendwelche Irren boykottierten Vinces Vernissage, weil sein Bruder angeblich Taliban sei und verbreiteten überall seinen 'echten' Vornamen Madjid, den er ja zur besseren Tarnung abgelegt hatte, um seine wahren Ziele zu verschleiern.


Sean

Die Flitterwochen waren grandios und ich freute mich auf die David Geffen School of Medicine im Herbst. Davor besuchte ich noch mal Josie in San Diego, während Patricia Zeit mit ihrer Familie verbrachte. Ich traf Milo. Sein Bruder hatte seit Jahren nichts mehr von Jordan gehört, die Familie hatte ihn quasi aufgegeben. Ich konnte ihm auch nichts erzählen, was er nicht schon wusste. Wir kamen überein, nicht mehr über Jordan zu sprechen. Er fragte mich, wie es so war, verheiratet zu sein. Er hatte eine Freundin und überlegte, ihr einen Antrag zu machen.


Jordan

Die Tour wurde schließlich fortgesetzt, das Album verkaufte sich immer besser, wir traten in kleineren TV-Shows auf und brachten schließlich unsere erste Single raus, zu der wir sogar ein Video drehten. Weihnachten hatten wir eine Woche frei. Ich war davon ausgegangen, dass ich die Zeit mit Scott verbringen würde. Nach dem Essen bei ihm redeten wir darüber.

"Wie stellst du dir das vor? Weihnachten bin ich natürlich bei meiner Tochter und ihrer Mutter im Valley. Meine Eltern kommen auch dort hin."

"Und weiter? Wird es nicht langsam Zeit, dass ich deine Familie kennenlerne?"

"Äh, nein! Ich kann doch keinen Kerl mit Heim bringen."

Ich war so überrascht, dass ich mich erst mal sammeln musste.

"Du meinst, sie wissen gar nichts von mir?"

"Nein, natürlich nicht!"

Hörte dieser Scheiß denn nie auf?

"Scott, wie stellst du dir das denn in Zukunft vor?"

"Wo ist denn dabei das Problem?"

"Was ist zum Beispiel nächstes Jahr Weihnachten?"

"Soweit plane ich nicht voraus. Hör mal, Jordan, wir können doch im Frühjahr ein paar Wochen zusammen in Urlaub fahren …."

"Darum geht es doch nicht."

"Worum geht es dann? Wie soll ich meiner zwölfjährigen Tochter erklären, dass Papa jetzt auf Rockstars steht?"

"Ist das alles, was ich für dich bin? Ein Typ auf den du stehst?"

"Was willst du denn hören? Ich bin gern mit dir zusammen, aber deshalb muss ich dich doch nicht meiner Familie vorstellen, das sind zwei verschiedene Welten."

"Für mich nicht. Ich hab keine andere Familie. Ich will Weihnachten nicht allein verbringen."

"Dann feiere doch mit der Band, so wie letztes Jahr."

"Da waren wir auch auf Tour. Dieses Jahr feiern alle bei ihren Familien."

"Jordan, ich kann dich einfach nicht mitnehmen. Am 27. bin ich ja wieder hier, wir können nachfeiern oder so …."

"Was auch immer, ich geh jetzt schlafen."

Ich packte meine Sachen und ging zur Wohnungstür.

"Und zwar in meinem eigenen Bett."

Ich fuhr über die Feiertage nach San Francisco. Josh freute sich riesig und auch seine Großeltern schienen froh zu sein, dass ich sie ein wenig entlastete. Ned hatte gerade eine Knie-Operation hinter sich und Elly hatte mit all dem Weihnachtstrubel genug zu tun.

Sie luden mich ein, auch über Silvester zu bleiben, was ich gerne annahm. Josh und ich spielten Tischtennis oder Federball, ich zeigte ihm ein paar Griffe auf der Gitarre, er mir auf der Flöte.

Als ich am Ersten wieder meine Sachen zusammen packte, nahm Ned mich zur Seite.

"Du und Josh, ihr versteht euch gut, nicht wahr?"

"Ja, natürlich. Das weißt du doch."

"Hör mal, Elly und ich, wir haben uns etwas überlegt. Eigentlich hat das Ganze nichts mit dir zu tun …."

"Sag schon."

"Ich werde ja bald pensioniert und wir haben uns überlegt, ob es dann nicht mal Zeit für einen Tapetenwechsel wäre. Wir würden gerne nach Los Angeles ziehen. Josh hat es dort sehr gut gefallen und die Karten, die Nikki schickt, sind dort gestempelt. Wir wollen sie wiederfinden."

"Das ist ein großer Schritt. Also ich fände es toll, dann könnte ich Josh öfter sehen."

"Ja, das wäre ein guter Nebeneffekt. Wir wissen, dass du viel zu tun hast und erwarten natürlich nicht von dir, dass du ständig auf den Kleinen aufpasst, aber ihr könntet euch einfach regelmäßig sehen, das fänden wir gut."

Als ich mein Handy zu Hause wieder einschaltete, fand ich auf der Mailbox Neujahrsgrüße von Vince und ein Dutzend Nachrichten von Scott.

Am Vierten stand er nach dem Auftritt da und entschuldigte sich. Er habe die Feiertage über so ein schlechtes Gewissen gehabt und würde sich etwas einfallen lassen, wie er es wieder gutmachen konnte. Er überraschte mich zum Geburtstag mit selbstgebackenem Kuchen und legte sich auch sonst mächtig ins Zeug. Auf die Geburtstagsfeier seines Vaters zwei Wochen später ging er allerdings wieder allein.

Immerhin lief geschäftlich alles glatt. Meine Songs waren gefragt und es kamen sogar immer mal wieder Anfragen, ob ich nicht auch Songs für andere Leute schreiben wollte. Das tat ich dann auch und verdiente nicht schlecht daran. Becca wurde schwanger. Eine Tour kam für Kev natürlich nicht mehr in Frage. Wir spielten eben auf Festivals und Contests in der Stadt. Ich nahm immer mal wieder im Tonstudio Demos meiner eigenen Songs auf, um sie zu verkaufen. Die Arbeit dort machte echt Spaß.

Zum ersten März hatten sich Ned und Elly ein kleines Häuschen im Valley gemietet, ab da verbrachte ich meine Freizeit hauptsächlich bei ihnen. Einmal fragte Scott, ob er dann wenigstens mitkommen könne.

"Natürlich, aber nur wenn wir auch Jenna besuchen."

Damit war das Thema vom Tisch.

Als ich mal wieder zu Josh kam, erwartete mich eine Überraschung.

"Sie hat angerufen und will vorbeischauen. Im Laufe des Nachmittags."

"Nikki?"

"Ja, kaum zu glauben, oder?"

"Allerdings."

Ich war plötzlich total nervös, aber Josh ging es noch viel schlimmer, der konnte kaum ruhig sitzen.

Um Vier klingelte es. Da stand sie. Ihre Haare waren schulterlang und braun, sie trug schicke Klamotten und strahlte geradezu. Josh fiel ihr um den Hals. Auch ihre Eltern hatten Tränen in den Augen. Dann war ich dran.

"Jordan, was für eine Überraschung! Ich hab dich im Fernsehen gesehen, konnte es kaum glauben, bis ich deinen Namen im Abspann gelesen habe. Was machst du hier?"

"Ich besuche Josh. Ich wusste nicht, dass du kommst."

"Ich bin froh, dass du hier bist."

Sie erzählte nicht viel aus den letzten vier Jahren und niemand fragte viel. Gegen Zehn machten wir uns Beide auf den Weg. Am Auto hielt sie mich noch an.

"Hör mal, ich weiß irgendwie nicht, wo ich heute Nacht bleiben soll …."

"Kein Problem, fahr einfach hinter mir her. Ich wohne in einer WG."

Wir standen etwas unbeholfen im Flur.

"Du kannst mein Bett haben, ich nehm die Couch."

"Mach dich nicht lächerlich, ich schlaf bei dir."

Sie zog ein T-Shirt von mir an, das ihr viel zu groß war, wir legten uns ins Bett und redeten.

"Mir ging's echt dreckig. Ich bin nochmal so richtig abgestürzt. Du willst gar nicht wissen, wie ich mein Geld verdient hab."

"Ich war 99 auch wieder auf Heroin. Wenn Vince mich nicht gefunden hätte …."

"Vince?"

"Mein Ex."

"Und Sean?"

"Es hat damals nicht mehr hingehauen. Er ist mittlerweile verheiratet."

"Alles klar. Ich hab wohl einiges verpasst. Wie ist es meinem Baby ergangen?"

"Ihm ging's gut. Ich hab oft mit ihm telefoniert und letztes Weihnachten war ich bei ihnen. Aber in letzter Zeit hat er sich oft darüber beschwert, dass seine Großeltern einfach zu alt sind."

"Das fand ich als Kind ja schon. Danke, dass du dich um ihn gekümmert hast."

"Ich hätte gern mehr Zeit für ihn. Aber die Band hat bisher viel Zeit in Anspruch genommen."

"Ich hab oft an unsere so genannte Band damals denken müssen. Du warst der Einzige, der wirklich was drauf hatte. Ich hab in den letzten Jahren auch ein bisschen als Sängerin verdient. Oben ohne, allerdings."

"Dafür singst du aber echt zu gut."

"Vielleicht können wir ja mal was zusammen singen. Wir haben echt gerockt."

"Allerdings und nicht nur musikalisch."

Die Luft knisterte.

"Bist du mit Jemandem zusammen?"

"Nichts Ernstes. Er stellt mich nicht mal seinen Eltern vor."

"Das darfst du dir nicht bieten lassen."

"Ich überlege, das Ganze zu beenden. Das Problem ist, dass er auch für die Band arbeitet. Er ist Anwalt und so eine Art Agent."

"Oh, schwierig. Also hast du dich jetzt komplett auf Kerle verlegt?"

"Find es doch raus."

Sie verschwand unter der Decke. Als sie wieder auftauchte, fragte sie mich nochmal. Als Antwort zog ich ihr mein T-Shirt aus und küsste ihre Brüste. Neben dem Bauchnabel war ihr Mond-Tattoo, das sie sich damals zusammen mit meiner dritten Sonne stechen hatte lassen.

Wir schliefen in dieser Nacht so gut wie überhaupt nicht. Wir hatten Sex, redeten über die letzten vier Jahre und hatten wieder Sex und redeten wieder und so weiter. Gegen Mittag bekamen wir Hunger und ich ging in die Küche, wo Brian, Tobey und Mickey gerade aßen.

"Guten Morgen. Wow, du siehst aus als hättest du eine wilde Nacht gehabt."

"Die hatte ich auch, ich sag's euch."

"Nachher kommt Kev vorbei, er wollte eh noch mit Scott reden, sagst du's ihm?"

"Klar, ich ruf ihn nachher an."

"Nein, ich mein ob du … oh"

Nikki kam in ihrem improvisierten Nachthemd heraus.

"Guten Morgen, Jungs. Jordan, wollen wir duschen?"

"Sehr gern, lass schon mal das Wasser warm werden, ich komm gleich nach."

Den Dreien fiel die Kinnlade runter.

"Also, ich ruf Scott dann nachher an, jetzt geh ich erst mal duschen. Lasst uns was zu essen übrig."

Am Nachmittag fuhr Nikki wieder zu Josh und ich bat Scott, vorbeizukommen. Die Jungs saßen immer noch in der Küche rum und hörten aufmerksam zu. Als ich aufgelegt hatte, fuhr Tobey mich an.

"Du willst mit ihm Schluss machen, oder?"

"Ganz Recht."

"Das kannst du nicht machen, wir brauchen ihn. Weißt du, wie viel er uns eingebracht hat? Jeder von uns könnte sich mittlerweile ne schicke eigene Wohnung leisten." meinte Mickey.

"Ich soll also wegen dem Geld mit ihm zusammen bleiben?"

"Jedenfalls sollst du nicht wegen einem Ausrutscher mit ihm Schluss machen."

"Nikki? Nein, sie ist nicht der Grund. Der Kerl schämt sich, mich seiner Familie vorzustellen. Ich hab in dem ganzen Jahr weder seine Eltern, noch seine Tochter kennengelernt. Die wissen nicht mal von mir und er hat auch nicht vor, daran etwas zu ändern. Auf so eine Beziehung kann ich gerne verzichten."

"Oh …."

"Aber wenn es euch beruhigt, ich glaube nicht, dass er deshalb nicht mehr für uns arbeiten wird. Er hat schließlich auch recht gut daran verdient."

Als es klingelte, verzogen die Drei sich in ein Zimmer.

"Wo sind denn alle? Ich dachte es ginge um was Geschäftliches."

"Kev ist noch nicht da. Aber während wir warten, hätte ich auch noch was mit dir zu besprechen. Willst du Kaffee?"

"Klar. Also, was hast du auf dem Herzen?"

Ich setzte mich zu ihm an den wackligen Küchentisch.

"Scott, ich denke, wir haben keine Zukunft zusammen. Wir wollen einfach zu unterschiedliche Dinge."

"Oh …."

"Ich meine, ich mag dich sehr. Wir hatten eine tolle Zeit zusammen, aber ich will einfach mit Jemandem zusammen sein, der alles mit mir teilen will, auch die Familie."

"Verstehe." meinte er nüchtern.

"Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?"

"Nein, ich bin nur überrascht. Wir hatten doch Spaß zusammen. Ich dachte ein Kerl würde nicht Alles unnötig kompliziert machen."

"Entschuldige mal, aber ich glaube, kein Kerl wäre gern dein schmutziges kleines Geheimnis."

"So war es doch überhaupt nicht."

"Wie auch immer, ich will nicht mehr mit dir zusammen sein. Punkt."

"Hast du einen Neuen?"

"Nein."

"Und was ist mit der Band?"

"Ich hoffe, dass wir einen Weg finden, trotzdem weiter zusammenzuarbeiten. Davon würden wir alle profitieren."

"Ich muss mir das überlegen." sagt er patzig.

"Klar."

Es klingelte wieder und Kev und Becca standen vor der Tür.

"Oh, hey Scott, du bist schon da."

"Sorry, ich muss los."

"Was, aber …."

Weg war er.

"Jordan? Was ist denn los?"

"Ich hab gerade mit ihm Schluss gemacht."

"Oh. Bist du okay?"

Becca tätschelte mir den Rücken.

"Ja, glaub ich. Ich hab noch nie mit Jemandem Schluss gemacht, bisher wurde ich immer verlassen."

Gegen Zehn kam Nikki wieder zum Übernachten und diesmal mussten wir Beide dringend schlafen. Am nächsten Tag räumten wir erst mal ihre Sachen aus dem Auto in mein Zimmer.

"So kann das doch nicht weitergehen. Was hältst du von einer eigenen Wohnung? Zwei Schlafzimmer natürlich."

"Ich bin grad nicht so flüssig."

"Ich schon. Die Tour, das Album, die Songs, die ich verkaufe. Ich könnte mir vermutlich sogar eine Wohnung kaufen. Wenn alles gut läuft, könnte Josh zu uns ziehen."

"Ist das dein Ernst? Das wäre ja perfekt!"

"Wir sollten es natürlich erst mal langsam angehen lassen, aber ich könnte mich mal umhören."

"Auf jeden Fall. Aber wenn du so viel Kohle hast, warum wohnst du dann in einer WG?"

"Die Alternative wäre alleine leben und das ist nichts für mich. Aber jetzt bist du ja da."

"Das wird wie früher, nur ohne die verdammten Drogen. Ich freu mich so."

Sie umschlang mich mit ihren Beinen und küsste mich. Nikki würde wieder meine Familie sein, genau wie damals.

Ich rief die Maklerin von damals an und sie wollte sich umhören. Dann kam mir die Idee, im Laden vorbeizuschauen. Hinter dem Tresen stand ein Mädchen, das ich nicht kannte.

"Kann ich helfen?"

"Ja, ich suche Janet."

"Sie macht grad Pause, du kannst hier warten, wenn du willst."

Ich schaute mich um und kaufte natürlich mal wieder einen Stapel CDs. Beim Bezahlen meinte sie:

"Du kommst mir bekannt vor."

"Ich hab mal hier gearbeitet."

"Na klar, Mann, wie peinlich, dass ich dich nicht gleich erkannt habe. Die Fotos von der Album-Signierstunde hängen ja überall rum. Du bist Jordan. Ich bin Kim. Ich hab auch eine Band, wir spielen am Freitag im Zeppelin. Hast du Bock, vorbeizuschauen?"

"Schon, aber wir haben auch einen Gig, im Caesars."

"Uh, na da kann ich nicht mithalten. Imposant."

Irgendwie erinnerte mich das Mädchen an meine alte Summer. Da kam auch schon Janet.

"Jordan! Was führt dich hier her?"

"Ich suche eine Wohnung und da dachte ich gleich an das alte Haus. Ich wollte dich fragen, ob du weißt, ob was frei wird."

"Wow, das ist scary. Ich hab gerade einen Aushang gesehen, dass die Leute in eurer alten Wohnung einen Nachmieter suchen, ohne Makler."

"Ernsthaft? Hm, das wäre natürlich toll, aber da gibt's ja nur ein Schlafzimmer."

"Für wen suchst du denn einen Wohnung?"

"Für Josh, seine Mum und mich."

"Jordan! Hat das weibliche Geschlecht wieder Chancen bei dir?"

"Scheint so."

"Was ist mit diesem Anwalt?"

"Geschichte."

"Also zwei Schlafzimmer?"

"Eher drei."

"Mann kann das Atelier umbauen. Eigentlich muss Mann nur Wände einziehen, groß genug ist es ja. Das ist in den meisten anderen Wohnungen auch schon gemacht worden. Du solltest einfach mal anrufen und fragen ob du dich mal umschauen kannst und so. Interesse bekunden, du weißt schon."

"Gehört sie noch dem alten Scottsman?"

"Ja, klar."

Ich rief vom Laden aus an und eine schnell sprechende junge Frau meinte, ich könne von ihr aus sofort vorbeikommen, also ging ich nach zehn Minuten rüber, da sie wahrscheinlich nicht damit rechnete, dass ich nebenan war.

Ich ging die mir wohl vertrauten Stufen hoch, es roch noch wie früher. An der Wohnungstür hingen getrocknete Sonnenblumen. Ich klingelte. Ein paar Sekunden später wurde die Tür aufgerissen und eine blonde Frau in meinem Alter, gehüllt in orientalisch Tücher stand vor mir.

"Das ging ja schnell! Rose al Sheik."

"Jordan Bonanno."

Sie wuselte gleich mal los.

"Also das hier ist das Wohnzimmer."

Mein Blick blieb sofort an der Meerjungfrau über der Couch hängen. Sie war nicht überstrichen worden!

"Schön, nicht wahr? Unser Vor-Vormieter war wohl Künstler. Es gibt noch mehr davon, im Schlafzimmer ist eine Sonne. Leider konnten mir die Vormieter keine Auskunft geben, wie der Maler hieß."

"Vince Yadis."

"Ja, sieht nach ihm aus, nicht wahr? Ich bin an der Kunsthochschule hier und hatte mal einen Kurs bei ihm. Als ich hier eingezogen bin, hab ich sofort an seine Bilder denken müssen. Zum Glück wurde nichts überstrichen."

Sie ließ mich kaum zu Wort kommen.

"Ja, zum Glück. Sie hatten Recht, die Bilder sind von Vince. Er hat hier bis Anfang 99 gewohnt."

"Tatsächlich? Sind sie sicher?"

"Ja, wir haben hier zusammen gelebt."

"Nein! Das müssen sie beweisen!"

Sie war total aufgedreht. Ich zeigte ihr die Sonne auf meiner Schulter, die Vince über dem Bett nachgemalt hatte. Das überzeugte sie.

"Okay, sie müssen zum Kaffee bleiben."

"Gern."

Nachdem ich ihr von unserer Zeit in der Wohnung erzählt hatte, betrachtete sie es als Schicksal, dass ich gerade jetzt wieder eine Wohnung suchte. Wir riefen gleich Scottsman an und er war immer noch bereit, zu verkaufen, also holte ich Nikki ab und zeigte ihr die Wohnung. Sie war erwartungsgemäß begeistert.

Innerhalb von einer Woche war der Kaufvertrag unter Dach und Fach. Rose und ihr Mann zogen zum ersten April aus. Als es darum ging, eine Firma zu finden, die eine Wand durchs Atelier zog, meinte Nikki plötzlich:

"Glaubst du wirklich, dass das nötig ist? Wir können doch einfach zwei Betten reinstellen und dein Musikzeug. Dann hätten wir einen schönen großen Raum für uns. Und Josh kann das untere Schlafzimmer haben."

So machten wir es dann, wobei wir erst mal nur mein Bett hatten und uns auch nicht mit dem Kauf eines zweiten Bettes beeilten. Wir lebten uns erst mal ein, bevor wir Josh zu uns holten. Er hatte in dem Schuljahr ja schon einmal die Klasse wechseln müssen und wir wollten bis zu den Sommerferien warten. Nikki fing wieder an, als Fahrerin zu arbeiten, ich schrieb Songs ohne Ende und machte Katalogfotos für Adventure-Reisen. Freitag und Samstag spielten wir Gigs in der Gegend. Alles lief toll, Josh verbrachte die Wochenenden bei uns und fand die Sonne in seinem Zimmer so toll, dass er unbedingt den Künstler anrufen wollte, um sich zu bedanken, also taten wir das.

"Madjid Yadis."

"Äh, Vince? Seit wann meldest du dich denn so?”

"Das ist eine Trotzreaktion. Was gibt's?"

"Hast du grad Zeit?"

"Klar."

"Also, du hast sicher schon von Scott gehört."

"Ja, ich wollte dich anrufen, aber du weißt ja, wie es ist."

"Klar, jedenfalls bin ich mittlerweile wieder mit Nikki zusammen."

"Deine verschwundene Ex ist wieder aufgetaucht?"

"Genau. Wir haben uns eine Wohnung gesucht und Ende Juli zieht Josh zu uns."

"Wow, das sind ja große Neuigkeiten."

"Schon. Aber der Hammer kommt erst noch. Ich hab Janet gefragt, ob was in unserem alten Haus frei wird und zufällig zogen unserer Nach-Nachmieter aus. Um es kurz zu machen: Ich hab unsere alte Wohnung gekauft."

"Das gibt's doch nicht!"

"Doch. Und das Beste: deine Wandbilder sind noch da. Und das führt mich zum eigentlichen Grund des Anruft. Josh will gern mit dir sprechen."

"Okay, dann gib ihn mir."

"Hallo?"

"Hallo."

"Du hast die Sonne in meinem Zimmer gemalt, deshalb wollte ich Danke sagen."

"Gern geschehen. Jordan hat mich damals auf die Idee gebracht."

"Ja, er hat die gleiche Sonne auf seinem Arm. Kommst du uns mal besuchen? Dann kannst du noch mehr auf die Wände malen."

"Klar, vielleicht im Sommer."

"Cool. Dann geb ich dir jetzt wieder Jordan."

"Okay, Tschüss."

"So, ich bin's wieder."

"Der Kleine redet ja schon wie ein Großer."

"Kein Wunder, er wird nächste Woche auch schon Neun."

"Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Jordan, ich glaub du hast jetzt eine Familie."

"Sieht so aus. Und wie ist es bei euch?"

"Wir haben Kontakt zu Agenturen, aber das dauert alles ewig."

"Naja, halt mich auf dem Laufenden. Josh will zum Strand. Ich meld mich."

"Okay, bis bald."

Josh wollte seinen Geburtstag in den Universal-Studios feiern und so mischten wir uns unter die Touristen. Laut eigener Aussage war es Joshs bester Geburtstag jemals. Nikki knipste etwa 100 Bilder und fing ein Fotoalbum an.

Wir gingen sogar zusammen zum Elternabend, was für uns Beide das erste Mal war. Die anderen Eltern waren ungefähr so alt wie Mum. Das war seltsam. Josh machte sich offensichtlich gut in der Schule.

Das Leben ging seine geregelten Bahnen und zu Beginn der Sommerferien zog Josh zu uns. Ich nahm ihn mit auf Bandproben, manchmal fuhr er mit Nikki durch die Gegend und manchmal blieb er bei Janet und Kim im Laden.

Wir spielten am Strand Frisbee, gingen ins Kino, kochten, waren eine Familie. Ich hatte viel Zeit, denn Becca bekam Ende August das Baby und Kev nahm sich sozusagen bis Oktober frei. Vince schaffte es leider nicht zu Besuch, aber er rief oft an und redete auch gern mal mit Josh. Er schickte ihm jede Menge Zeug, unter anderem wandtaugliche Farben, was natürlich die Wände in Joshs Zimmer sehr viel bunter werden ließ.


Sean

Patricia und ich gingen total im Studium auf und das erste Semester verging wie im Flug. Bevor ich mich versah war es 2002. In den Ferien absolvierten wir Beide unsere Pflichtpraktika in verschiedenen Kliniken. Patricia holte sich dort eine nervige Infektion, die sie ewig herumschleppte, bis sie endlich Antibiotika nahm. Während der Sommer-Prüfungen blieben ihre Tage aus, was bei so viel Stress schon mal vorkommen konnte. Vorsichtshalber besorgten wir trotzdem einen Schwangerschaftstest und der war positiv. Wir waren geschockt, da wir wirklich alle möglichen Vorkehrungen getroffen hatten, damit so was noch nicht passierte. Wir hatten noch zwei Wochen Zeit, um uns für eine Abtreibung zu entscheiden. Der Geburtstermin war Ende Februar 2003, Patricia könnte also das dritte Semester noch abschließen und danach waren erst Mal zwei Monate Ferien. Das betrachteten wir als Glück in Unglück. Wir waren schließlich verheiratet und hatten eine Wohnung, die erst mal reichen würde. Also beschlossen wir, das Kind zu bekommen. An unserem ersten Hochzeitstag war uns nicht so recht zum Feiern zu Mute.


Jordan

Als Josh Anfang September mal wieder im Laden war, setzte sich Nikki zu mir auf die Couch.

"Können wir reden?"

"Klar. Alles okay?"

"Ich bin schwanger. …

… Sag was!"

"Ich … das … bist du sicher?"

"Ja, ich war beim Arzt. Ich bin schon in der 13. Woche. Ich hab gar nicht damit gerechnet, deshalb hab ich es nicht früher bemerkt."

"Aber … die Pille …."

"Ende Mai hatte ich doch diese Halsentzündung. Ich hab Antibiotika genommen. Wir haben Gummis benutzt, aber scheinbar nicht lange genug. Ich erwarte nichts von dir, ich bekomme das auch allein hin …."

"Was? Nein, ich freu mich, glaub ich. Ich bin nur einfach total … geschockt."

"Ich auch."

"Ein Baby. Jetzt müssen wir doch noch eine Wand einziehen lassen, hm?"

Wir brauchten erst mal etwas Zeit, um uns an den Gedanken zu gewöhnen und alles zu planen. Ein Baby! Das war eine große Verantwortung, aber ganz neu war sie uns ja nicht. Diesmal sollte alles perfekt werden, denn jetzt waren wir erwachsen, hatten Kohle und auch Zeit, da Nikki ja eigentlich nicht arbeiten musste, weil ich für alles aufkam. Die Band lies es gerade eh ruhiger angehen, warum also nicht jetzt?

Eine Woche später sagten wir es Josh. Er war begeistert, wollte aber auf jeden Fall einen Bruder. Wir sagten es auch der Band, Becca und Kev waren ebenfalls begeistert und schmiedeten schon Pläne für ihren kleinen Davie und unser Baby. Aber Tobey, Mickey und Brian kündigten an, sich nach einem neuen Gitarristen umzusehen und auch einem neuen Sänger, zumindest übergangsweise, was ich gut verstehen konnte. Scott tat so, als ginge ihn das ganz nichts an und begann bei unseren Vertragspartnern anzukündigen, dass es "Personalwechsel" geben würde.

Wir suchten Namen aus, bauten um, kauften Babysachen. Ich freute mich mittlerweile wirklich und wollte am liebsten gar nicht mehr von Nikkis Bauch weg. Vince rief ich erst etwas später an, weil ich wusste, dass er sich das wünschte, was ich hatte und es nicht so einfach bekommen konnte, aber er konnte sich trotzdem für mich freuen. Ich wollte auch meine Mum anrufen und ihr erzählen, dass sie mit Anfang 40 Großmutter werden würde, aber Nikki meinte, sie wolle sie lieber überraschen, wenn das Baby da sei. Nikkis Eltern freuten sich sehr für uns, auch wenn sie sich Sorgen machten, ob Nikki dazu wirklich schon wieder stabil genug war. Ich wusste es auch nicht, aber ich kannte mich selbst. Mit einem kleinen Wesen, das so sehr auf mich angewiesen war, würde ich nie wieder irgendwelche Drogen anrühren.

Ab Oktober spielte Summerskin mit neuem Gitarristen. Im November ging ich noch mit auf Tour und die nächste Single promoten.


Sean

Zu Weihnachten teilten wir es unseren Familien mit, wobei wir angesichts Patricias riesigem Bauch nicht mehr viel sagen mussten. Mein Vater war ja ach so Stolz, zum zweiten Mal Großvater zu werden und Beth durfte sich mal wieder anhören, dass sie endlich auch eine Familie gründen sollte, bevor es für sie zu spät sei. Sie verkündete, eine Runde spazieren zu gehen und schleppte mich mit.

Kaum waren wir außer Hörweite des Hauses, fuhr sie mich an.

"Bist du jetzt total irre? Ich hab mir jetzt lange genug angeschaut, wie du dir selbst und Patricia, aber vor allem Dad etwas vorlügst. Aber ein Kind in die Welt zu setzen, was hast du dir denn dabei gedacht?"

"Meinst du das war Absicht? Es ist nun mal passiert!"

"Sean, von einer Frau kann Mann sich scheiden lassen, aber von einem Kind nicht."

"Was hätte ich denn tun sollen? Sie zu einer Abtreibung überreden?"

"Wenn du endlich ehrlich zu ihr wärst, dann wäre sie da von selbst drauf gekommen. Sean, du bist schwul. Ich seh doch, wie dein Blick manchmal an anderen Kerlen haften bleibt …."

"Schwachsinn! Das mit Jordan war eine Phase die vorbei ist. Ich liebe Patricia."

"Also träumst du nie davon, oder stellst dir vor, Sex mit einem Kerl zu haben?"

"Das geht dich wirklich nichts an!"

"Nein, aber Patricia geht es was an, vor allem jetzt, wo sie ein Kind von dir bekommt. Sean, du hast es echt versaut!"

Ich wusste, dass sie Recht hatte, aber der Zeitpunkt, an dem ich noch eine Wahl gehabt hatte, war schon lange vorbei.


Jordan

Zu Weihnachten kam die Band nach Hause. Ich merkte, dass etwas nicht stimmte, Nikki schlief viel und war gleichgültig, aber sie schob es auf die Schwangerschaft. Ich wollte den Rest der Konzerte absagen, aber sie bestand drauf, dass ich die zwei Wochen Programm noch mitmachte. Ich rief jeden Tag an und telefonierte mit Josh. Mein letztes Konzert war sehr emotional. Ich würde die Bühne sicher vermissen. Die Jungs trösteten mich damit, dass ich ja immer noch auf Hochzeiten auftreten konnte und in ein paar Monaten würde ich ja wieder zurück sein.

Als ich nach Hause kam, war Janet da. Josh hatte sie geholt, Nikki war zugedröhnt. Sie lag mit ihrem dicken Bauch auf dem Bett und erzählte wirres Zeug. Ich rief sofort den Krankenwagen. Anscheinend hatte sie irgendwelche Pillen eingeschmissen. Es waren noch acht Wochen bis zum Geburtstermin und die verbrachte sie auf einer geschlossenen Station die sich auf Schwangere spezialisiert hatte. Dass es so was tatsächlich gab, fand ich ziemlich krass. Die Ärzte wollten mich beruhigen und sagten immer wieder, dass es keine Hinweise gäbe, dass dem Baby was passiert sei, aber für mich war es so ungeheuerlich, was Nikki getan hatte, dass ich sie nicht mal besuchen konnte. Egal wie schwer so eine Schwangerschaft sein mochte, sie hätte sich Hilfe suchen müssen. Es ging ja nicht nur um ihr Leben, sondern um das unseres Babys.

Josh war natürlich total aufgelöst und hatte Angst, schon wieder umziehen zu müssen und die Schule zu wechseln.

"Josh, ich verspreche dir, dass wir Beide und das Baby zusammen bleiben. Wir bleiben hier wohnen, zusammen."

Ich hoffte inständig, dass ich dieses Versprechen auch halten konnte. Ich fuhr mit ihm zu Ned und Elly und erzählte ihnen, was passiert war. Sie schienen nicht überrascht, aber waren sehr mitgenommen.

"Unsere Tochter schafft es immer wieder. Kaum denkt Mann, jetzt habe sie endlich die Kurve bekommen, stürzt sie wieder ab. Jordan, du darfst die Kinder nicht auch noch hängen lassen. Du musst uns sofort sagen, wenn du Hilfe brauchst."

"Das mache ich. Ich bin so wütend auf Nikki."

"Tja, willkommen auf der anderen Seite. So fühlt sich deine Mutter."

Ich erzählte den Jungs was passiert war und dass sie sich doch für länger einen neuen Sänger suchen mussten, was mir sehr schwer fiel.

Josh wollte seine Mutter auf keinen Fall besuchen, aber nach vier Wochen musste ich einfach mit ihr sprechen. Sie lag in ihrem Bett und sah aus, als würde sie jeden Moment platzen.

"Jordan, du musst mich hier raus holen! Die geben mir ständig irgendwelche Spritzen."

"Das sind Beruhigungsspritzen."

"Die sind bestimmt nicht gut für das Baby."

"Sie geben dir die Spritzen nur, weil du drohst, dir was anzutun."

"Ich will hier raus."

"Wenn das Baby da ist."

"Dann soll das verdammte Ding endlich aus mir raus."

Sie drückte mit den Händen gegen ihren Bauch.

"Hör auf damit. Du kannst nichts anderes tun als warten."

"Es muss doch was geben."

"Das wäre nicht gut für das Baby. Es soll möglichst lange im Bauch bleiben."

"Das ist mir egal. Ich geb es eh weg. Ich hab schon mit Adoptiveltern gesprochen."

"Du hast was?!"

Ohne nachzudenken, sprang ich auf und stürmte auf den Gang. Da traf ich auf eine ahnungslose Krankenschwester.

"Ich will sofort mit einem Arzt reden!"

"Beruhigen sie sich erst Mal."

In meinem Kopf lief ein Film ab, der damit begann, dass ich mich nicht beruhigte und damit endete, dass mir das Baby weggenommen wurde. Ich atmete erst mal tief durch.

"Tut mir leid, ich wollte sie nicht erschrecken. Ich bin Jordan Bonanno. Der Vater von Nikki Coopers Kind."

"Oh, ich hab sie hier noch nie gesehen."

"Ich war bei der Einlieferung dabei."

"Das ist vier Wochen her. Mrs. Cooper hat gesagt, sie hätten kein Interesse an ihr und dem Kind."

"Das war gelogen. Sie weiß, dass ich das Kind will."

"Oh. Sie hat schon mit Adoptiveltern gesprochen."

"Das hat sie nicht allein zu entscheiden."

"Nein, aber sie waren nicht da."

"Jetzt bin ich da."

"Ich hole den Oberarzt."

"Danke."

Der Arzt kam und bat mich in sein Zimmer.

"Ich bin Dr. Snow. Sie sind also der Vater des Babys?"

"Genau. Jordan Bonanno."

"Und sie hatten nie vor, das Baby zur Adoption freizugeben?"

"Nein, darüber haben wir nie gesprochen. Ich war beruflich unterwegs und als ich nach Hause kam, war Nikki high. So kam sie hier her."

"Was machen sie beruflich?"

"Ich bin Musiker."

"Verstehe. Und wie alt sind sie?"

"25."

"Haben sie Familie?"

"Wozu sollen diese ganzen Fragen dienen?"

"Ich will herausfinden, ob sie mit dem Baby zurechtkommen."

"Und sie meinen das hier und jetzt durch ein paar Fragen herausfinden zu können? Hören sie, ich bin der Vater. Sie kann das Kind nicht ohne meine Einwilligung zur Adoption freigeben. Ich weiß ihre Sorge wirklich zu schätzen und wenn sie sich dann besser fühlen, beantworte ich auch gerne all ihre Fragen, aber erst nach Rücksprache mit meinem Anwalt."

Ich rief gleich Scott an, denn bevor er wegen Jenna nach L.A. kam, war er schließlich am Jugendgericht. Er machte sich sofort auf den Weg.

Auf dem Parkplatz schilderte ich ihm, was geschehen war.

"Du hast genau richtig gehandelt. Mann darf das nicht unterschätzen. Wenn er das Jugendamt einschaltet, wird es unangenehm. Aber bevor ich irgendwas mache, muss ich dich das fragen: Bist du dir wirklich sicher? Willst du das und schaffst du das?"

"Ich will das Baby wirklich. Und ich denke, ich schaffe es. Ich weiß mittlerweile, wann ich um Hilfe bitten muss. Nikkis Eltern unterstützen mich, finanziell bin ich abgesichert. Ich hab die besten Voraussetzungen und will das wirklich."

"Gut, dann lass uns reingehen."

Dr. Snow sah erstaunt auf.

"Das ging ja schnell."

"Mr. Bonanno ist ein besonderer Klient, wie sie sich denken können, da schickt die Kanzlei schnell Jemanden."

Wahnsinn, diese Anwälte. Snow schaute irritiert drein.

"Das müssen sie mir, glaub ich, erklären."

"Oh, sie haben ihn nicht erkannt? Nun gut, das sollte hier auch nichts zur Sache tun. Es gibt also Unklarheiten bezüglich dem Baby?"

"Mrs. Cooper möchte das Kind gerne zur Adoption freigeben."

"Dann ist der Fall doch klar. Mrs. Cooper will offensichtlich alle Rechte und Pflichten abtreten, Mr. Bonanno möchte das alleinige Sorgerecht. Damit ist der Fall zur Zufriedenheit aller Beteiligten geregelt."

"Sie werden verstehen, dass ich sichergehen will, dass diese Entscheidung richtig ist, bevor ich die Adoptiveltern davon in Kenntnis setze."

"Die Adoptiveltern? Natürlich muss der Vater eine Verzichtserklärung unterschreiben, bevor Mann von Adoptiveltern sprechen kann und das war hier sicher nicht der Fall. Streng genommen hätte das sogar passieren müssen, bevor konkrete Eltern ausgesucht wurden."

"Wissen sie, in der Praxis …." meinte der Arzt recht kleinlaut, aber Scott ließ ihn gar nicht erst ausreden.

"Hören sie, hier ist scheinbar einiges aneinander vorbei gelaufen. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken, wenn sie das dem glücklichen Paar mitteilen müssen, dass sich schon auf das Kind freut, das sie zu früh vermitteln wollten. Aber das ist zum Glück nicht unser Problem. Kann mein Mandant ihnen noch irgendwie weiterhelfen?"

"Nein, ich denke das war alles."

"Sehr schön. Dann wünschen wir ihnen noch einen schönen Tag."

Ich war selbst noch total geplättet als wir wieder auf dem Parkplatz standen.

"Das war echt … lehrreich."

"Mann muss nur resolut auftreten, dann kann Mann erzählen, was Mann will. Er wird dir keine Probleme mehr machen."

"Danke. Ich weiß zu schätzen, dass du gekommen bist."

"Schon gut. Ich bin froh, dich mal wieder zu sehen. Früher haben wir uns wenigstens noch beruflich gesehen und jetzt seit vor Weihnachten nicht mehr. Ich würde gern in Kontakt bleiben."

"Gern. Du bist ja doch recht nützlich. Wie läuft's bei Summerskin?"

"Der neue Sänger kann dir nicht das Wasser reichen. Er hat nicht deine Bühnenpräsenz."

"Ich hab ihn mir noch nicht angeschaut, das ist, als wäre er der Neue von einer alten Flamme. Er singt jetzt mit meiner Band."

"Ja, ich kenn das Gefühl. Also, wenn du es dir anders überlegst, ich bin dieses Wochenende bei beiden Gigs dabei."

"Mal schauen. Danke nochmal."

Und schon brauste er in seinem Sportwagen davon.

Zu Hause schrieb ich an drei Songs gleichzeitig und baute Kindermöbel auf. Ich suchte einen Kinderarzt, kaufte Milchpulver und was Mann sonst noch so braucht. Ich konnte es kaum abwarten, dass endlich ein Anruf aus der Klinik käme und das Baby nicht mehr Nikkis Launen ausgeliefert sein würde.


Sean

Zu Hause mussten wir uns auf die Prüfungen konzentrieren und nebenbei noch viel Babyzeug besorgen. Unsere Eltern schenkten uns einiges, aber wir mussten auch einige Zeit drauf verwenden, den Rest zu finden. Mindestens eine Prüfung hatte ich versaut, das wusste ich. Verdammt, bisher war mein Durchschnitt so gut gewesen. Und umziehen wollte Patricia plötzlich nun doch, mein Dad hatte ihr angeboten, uns etwas zu finanzieren, mit besserer Anbindung zur Uni, damit sie zwischendurch nach dem Baby schauen konnte, das eine ebenfalls von meinem Dad finanzierte Nanny bei uns zu Hause betreuen würde. So könnten wir Beide weiter studieren. Sie hatte schon etwas Passendes gefunden. Eine Wohnung mit drei Schlafzimmern fast direkt am Santa Monica Freeway. Mit dem Auto brauchte Mann keine 15 Minuten mehr zum Campus. Gleich nach den Prüfungen ging der Umzugsstress los, wobei Patricia natürlich nur Farben aussuchen konnte und dann wieder die Beine hochlegte. Ich fragte mich ernsthaft, wie das Ganze funktionieren sollte, wenn das Baby da und die Ferien vorbei waren. Tagsüber würde eine Fremde unser Kind hüten, aber was war nachts, wenn das Baby alle paar Stunden wach wurde? Unseren Freundeskreis konnten wir uns abschminken, dafür blieb schon jetzt zu wenig Zeit und dann erst mit einem Baby. Ich fragte mich wirklich, was wir uns dabei gedacht hatten, das Baby zu bekommen. Wir würden bestimmt keine guten Eltern abgeben.


Songtexte:

Interpret: Queen

Titel: You're my best Friend

Komponist und Textdichter: John Richard Deacon

Originalverleger: EMI Music Publishing LTD

Sub-Verleger: EMI Music Publishing Germany GmbH Co KG

Interpret: Elvis

Titel: Can't Help Falling In Love

Komponisten: Eddy Ouvens, Dick Bakker und Dunhills

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