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Parallel Universe
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Informationen
- Story: Parallel Universe
- Autor: ID
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Kurzgeschichte
Es geht mal wieder ans Umstylen. Ich führe nämlich ein Doppelleben. Zuerst mal raus aus dem Poloshirt und der Stoffhose mit der Bügelfalte, ab unter die Dusche, das Gel aus den Haaren waschen. Die kleine Party meiner Eltern hat diesmal zum Glück nicht so lange gedauert und gleich geh ich noch auf die Piste, und zwar mit Lissa, also Melissa, meiner besten Freundin in meinem zweiten Leben. Im ersten Leben ist meine kleine Schwester sowas wie meine beste Freundin, recht uncool, ich weiß, aber wir haben viel zusammen durchgemacht, Familienkram und so.
Dann rein in möglichst neutrale Klamotten. Umstylen tu ich mich bei Lissa. Sonst bekommen meine Eltern einen Herzinfarkt. Ich hab zwar hier im zweiten Stock meine eigene Wohnung, sonst würde ich mit fast 22 nicht mehr zu Hause wohnen, aber keinen eigenen Ausgang, also muss ich an ihnen vorbei. Deshalb packe ich alles, was ich brauche, in meinen Rucksack, sag den Eltern noch Bescheid, dass ich heute nicht heimkomme, und trudle zehn Minuten später total durchgefroren bei Lissa ein. Ich hasse Winter! Ich hasse Schneematsch, ich hasse kalte Füße.
„Mach hinne, ich will endlich los.“
„Ja doch…“
Röhrenjeans, zerfetztes Shirt, Lederjacke, Ohrringe rein, Nietenbänder dran, und die Haare lässig verwuschelt. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein, um Goethe zu zitieren. Lissa sieht auch recht heiß aus, auch wenn ich mich frage, warum sie in dem kurzen Rock nicht erfriert. Sie erklärt mir immer wieder, dass die groben Maschen ihrer Strümpfe gut isolieren. Na, wenn sie meint. Vielleicht ist es auch eher der Wodka, der sie warm hält.
„Ich muss heute gefickt werden“, blökt sie, als wir das Treppenhaus verlassen haben und Richtung U-Bahn stapfen.
„Ja, könnte mir auch nicht schaden“, entgegne ich.
„Ach Leon, das wird nix. Dafür hängst du noch viel zu sehr an dem Idioten… wie war noch gleich sein Name?“
„Das weißt du ganz genau, und nur zu deiner Info: Ich hab mit ihm abgeschlossen. Ein für alle mal.“
„Weißt du, wie oft ich das schon gehört hab? Da, trink nen Schluck, du schlotterst ja.“
Ein paar Stationen mit der U-Bahn, dann noch zehn Minuten zu Fuß und wir stehen vor einer Lagerhalle. Laute Musik, abgefuckte Gestalten, Alkohol, Drogen, Exzesse, und ich, Leonhard Freiherr von Kürthen, mittendrin. Yeah, so lob ich mir das.
Schnell hat Lissa den Kerl gefunden, der ihr von dieser Veranstaltung erzählt hat. Und schon waren die zwei nicht mehr gesehen. Eine halbe Stunde lang rauch ich, sauf ich, check die Kerle aus. Keiner sieht nur annähernd so gut aus wie… Halt, Stopp, an den verschwende ich bestimmt keinen Gedanken mehr. Mein Gott, Leon, was ist bei dir bloß kaputt? Oh, was ist das denn? Bundeswehrparka, Batikshirt und orange-gelbliche Haare. Und das Gesicht ist auch noch hübsch! Ja, der wäre mein Fall.
„Wow, war das geil.“
„Was? Häh? Ich dachte du bist weg.“
Lissa ordnet ihre Klamotten.
„Ja, und jetzt bin ich wieder da. Na, was in Aussicht?“
„Da drüben.“
„Der Karottenkopf? Niedlich. Geh doch mal rüber.“
„Äh, hallo, vielleicht sollte ich doch erst mal auschecken, ob er auf Jungs steht?!“
„Ja, wie denn, wenn du dich nicht ranschmeißt? Geh endlich, du Feigling. Oder ich muss dir die Freundschaft kündigen? Ich pflege keinen Umgang mit feigen Hühnern.“
Lissa kuppelt gern. Und ich streite nicht gern, also schieb ich mich durch die Massen in seine Richtung. Was ich sagen werde? Keine Ahnung, mal sehen. Hab ja noch Zeit. Fünf Meter, vier, drei… Blickkontakt. Zwei, er lächelt, einer.
„Hey.“
„Hey.“
„Willst n Bier?“
„Sicher.“
Er zaubert eine Flasche aus seinem Parka und reicht sie mir. Ich öffne sie gekonnt mit dem Feuerzeug. Beim Anstoßen schaut er mir tief in die Augen. Alles klar.
„Also, magst du vielleicht mit zu mir kommen? Ich steh nicht so auf Toiletten-Sex.“
Beinah verschluck ich mich, kann das aber, glaub ich, ganz gut überspielen und bringe ein Lächeln auf meine Lippen.
„Gern.“
„Na dann…“
Ich winke Lissa, die peinlicherweise beide Daumen hochsteckt und dämlich grinst, und lasse mich von ihm durch die Leute Richtung Ausgang lotsen.
„Wir müssen zur U-Bahn. Is nicht weit.“
„Gut, mir is nämlich arschkalt.“
„Ich bin übrigens Nik.“
„Leon.“
„Wohnst du hier in der Gegend? Hab dich noch nie gesehen.“
„Doch, ja, nicht so weit weg.“
„Komisch, na egal… Small-Talk-Scheiß, interessiert mich eigentlich alles nicht. Du bist heiß, mehr muss ich nicht wissen.“
„Danke. Du auch…“
Er grinst mich an und zieht mich zu sich.
„Erfrieren sollst du mir auch nicht. Wäre schad drum.“
Arm in Arm gehen wir weiter. Warum zittere ich denn jetzt bitteschön noch mehr als vorher?
In der U-Bahn knutschen wir auf`s Heftigste rum, gehen schnellen Schrittes die paar hundert Meter zu einem Wohnblock. Typische WG, niemand zu sehen, schnell ab in sein Zimmer. Und dann: WOW.
Erst kurz und heftig, dann Verschnaufpause, dann nochmal ganz entspannt und schön. Oh Gott, ist der gut und einfühlsam und schön. Das stellt echt so ziemlich alles Dagewesene in den Schatten. Wenn er jetzt auch noch ein nach-dem-Sex-Kuschler ist, dann mach ich ihm sofort einen Antrag. Wir entknoten langsam unsere Gliedmaßen. Erschöpft fallen wir in die Kissen zurück. Ich will festgehalten werden und gestreichelt.
„Macht es dir was aus, auf der Couch zu schlafen? Ich brauch Platz.“
„Was?!“
„Ich kann nicht schlafen, wenn wer in meinem Bett liegt. Also…“
„Du … ähm?!“
Der spinnt wohl! Ich schlaf doch nicht auf seiner Couch! Ich raffe wütend meine Sachen zusammen.
„Wiedersehen.“
„Die erste U-Bahn fährt erst in drei Stunden, also…“
Fuck!
„Fuck.“
„Mach`s dir auf der Couch bequem, gute Nacht.“
Ich bin echt total vor den Kopf gestoßen. Weil mir nichts Besseres einfällt, setze ich mich erstmal tatsächlich auf die Couch. So ein Penner! Wie demütigend ist das denn? Bin ich ne Gummipuppe, die man in den Schrank packt, wenn man mit ihr durch ist? Verdammt! Aber auf die Kälte da draußen hab ich auch keinen Bock. Wunderbar. Warum gerat immer ich an solche Idioten? Hab ich nen Zettel am Hirn, wo drauf steht, dass man mit mir alles machen kann?! Ich reg mich noch eine Weile fürchterlich auf, dann beschließe ich, ein wenig zu schlafen.
„Na hoppla, wer bist du denn?“
Jemand hat grad versucht, sich auf die Couch zu setzen und damit auf mich.
„Leon“, grummle ich.
„Hallo Leon, und was machst du auf unserer Couch?“
„Schlafen.“
„Ich seh schon… na, dann will ich dich mal nicht weiter stören.“
„Wie spät?“
„Halb zehn.“
Ui, dann fahren jetzt schon U-Bahnen. Nichts wie weg, Lissa mein Leid klagen.
„Du kannst dich also bewegen?“
Da steht ein Rasta-Mädel und schaut mir amüsiert dabei zu, wie ich meine Klamotten anziehe.
„Kaffee?“
„Ich will hier lieber schnell verschwinden, aber danke.“
„Na schön, man sieht sich.“
„Eher nicht.“
Lissa tröstet mich ganz nett und versichert mir, dass da draußen nicht nur Idioten rumlaufen. Am Nachmittag geh ich, fein angezogen, nach Hause und leg mich noch ein bisschen auf`s Ohr, bevor meine Eltern mich und Cici (meine Schwester Felicitas) auf irgendeinen blöden Ball schleppen. Kurz vor Weihnachten geht es überall nur noch um Wohltätigkeit. Cici soll mal wieder verkuppelt werden, ich bleibe diesmal verschont, muss mich aber natürlich nett mit alten, Zigarren-Rauchenden Säcken unterhalten.
Unter der Woche hab ich keine Zeit, mich noch über diesen dämlichen Nik aufzuregen. Aber am Wochenende, als ich meinen Rucksack packen will, um bei Lissa wieder ins Parallel-Universum zu schlüpfen, kommt das böse Erwachen. Mein Armband und meine Kette sind noch bei IHM. Ich hab sie, rücksichtsvoll wie ich bin, abgenommen, damit er sich daran nicht weh tut. Grandios. Auf das Armband scheiß ich, aber die Kette hat sentimentalen Wert, die war ein Geschenk, verdammt! Ich muss da wohl nochmal hin. Am Sonntag dann, erstmal wird Party gemacht.
Ich bettle Lissa an, mitzukommen, aber die will nur pennen. Der Rum ist ihr nicht bekommen. Na schön, hoffentlich finde ich überhaupt noch hin. Ja, leider. Kurz nach zwei klingle ich. Das Rasta-Mädel macht auf, puh, schon mal gut.
„Na sieh einer an, da bist du ja wieder.“
„Hab hier was vergessen. Bin gleich weder weg. Ist der Idiot da?“
„Von welchem redest du? Ich wohn hier mit dreien.“
„Nik.“
„Nö, der ist unterwegs.“
„Perfekt, dann hol ich nur schnell mein Zeug und bin wieder weg.“
„Also weißt du, der kommt bestimmt bald wieder, is nur kurz zur Tanke, was zu futtern holen. Willst nen Kaffee?“
„Ich will ihm eigentlich echt nicht begegnen.“
„Aber hey, ich kann doch nicht einfach irgendwelche Kerle in sein Zimmer spazieren lassen. Nachher klaust du was, oder so. Der wohnt noch nich lang hier, ich will keinen Stress.“
„Was auch immer, dann wart ich halt.“
„Danke. Also, Kaffee?“
„Gern.“
Wir knallen uns mit zwei dampfenden Tassen auf die verhasste Couch.
„Also, was hatte es denn mit deiner schlechten Laune neulich auf sich?“
„Ich werd halt nich so gern nach`m Ficken vor die Tür gesetzt.“
„Ah, so läuft der Hase. Der Nikki steht auf Jungs, das is ja interessant.“
Normal hätte ich jetzt ein schlechtes Gewissen, aber nicht bei dem Idioten.
„Also, was kannst du mir über den neuen Mitbewohner erzählen?“
Neugierig ist die ja gar nicht.
„Nix, kenn ihn nicht, hab nur mit ihm geschlafen und wurde danach höflich gebeten, auf der Couch zu nächtigen, das ist alles.“
„Ganz schön abgebrüht, der Kerl.“
„Idioten gibt`s überall. Sind deine anderen beiden Mitbewohner wenigstens okay?“
„Der eine, Ralf, ist voll die Couchpotato. Lässt sich nie blicken, scheint keine Freunde zu haben, geschweige denn eine Freundin. Ich glaub, der ist asexuell oder so, aber wenigstens zahlt er immer brav die Miete und macht keinen Stress. Chris is der Womanizer, obwohl er echt ne nette Freundin hat, und dass ich das sag, hat schon was zu bedeuten. Mit Mädels kann ich eigentlich nicht gut.“
„Deshalb wohnst du auch mit drei Kerlen zusammen, verstehe.“
„Vor Nik hatten wir ne Nikki. Die war vielleicht nervig. Zum Glück ist die zu ihrem Macker gezogen. Naja, und Nik is irgendwie immer unterwegs und erzählen tut er auch nie was von sich. Tja, keine Ahnung. Wäre nett mal jemanden zu haben, mit dem man sich unterhalten kann, Kaffee trinken, Kuchen backen…“
„Kuchen backen?“
„Ich hab ne Schokomuffins-Backmischung, aber keinen Bock auf allein backen.“
„Ich hätte schon Bock auf Muffins… aber ich weiß nicht… hier rumhängen is irgendwie seltsam…“
„Ach, warum denn? Komm schon, Leon, jetzt wird gebacken. Nik kann uns mal.“
„Wie heißt du eigentlich?“
„Mia. In der Schublade ist das Rührgerät. Eier, Milch und Butter hab ich im Kühlschrank.“
Sie fegt durch die Küche wie ein Wirbelwind, dreht die Musik auf und zappelnder Weise manschen wir die Zutaten zusammen.
„Was is`n hier los? Äh, und was willst du hier?“
„Hab was bei dir vergessen.“
„Ja, aber das erklärt nicht, warum du hier mit meiner Mitbewohnerin durch die Küche spackst und backst.“
„Mia ist im Gegensatz zu dir ein Mensch mit Manieren, und jetzt gib mir mein Zeug zurück.“
„Also bist du nicht hier, um mir zu sagen, dass du dich unsterblich in mich verknallt hast oder so ein Mist?“
„Fick dich, Nik, ich würd dich nicht mehr anfassen, wenn du der letzte Mann auf Erden wärst. Und es wäre nett, wenn du dich aus meinem Blickfeld schieben könntest.“
„Hallo, ich wohne hier!?“
„Und ich backe hier.“
„Dann will ich aber was davon ab.“
„Bring mir mein Zeug, dann überlegen wir uns das, oder Mia?“
„Hm, mal sehen, ob wir gnädig gestimmt sind.“
Er zieht ab. Gut, weil lange hätte ich die coole Fassade nicht mehr aufrechterhalten können. Der ist verdammt noch mal echt hübsch und ständig muss ich an die Sachen denken, die er mit mir angestellt hat. Oh Mann…
Na gut, die Dinger sind im Ofen und schauen eigentlich auch ganz professionell aus. Zwölf Stück sind`s, da kann auch der Nik einen abhaben, von mir aus. Während der 20 Minuten Backzeit gibt`s noch mehr Kaffee und Chris schleicht rein, übersäht mit Knutschflecken.
„Na, schöne Nacht gehabt? Nicht mit Tini, vermute ich.“
„Was riecht denn hier so gut?“
„Muffins. Aber du bekommst keinen.“
„Jetzt sei doch nicht so, Mia-Bia.“
Er schmeichelt sich an sie ran und ich denk, gleich knallt`s, aber Mia bleibt cool, handelt aus, dass er abspült und dafür sogar zwei von unseren Muffins bekommt. Na gut, wir würden die eh nicht alle schaffen und so müssen wir uns nicht mal mit dem Saustall auseinandersetzen, den wir hinterlassen haben. Etwas auskühlen lassen und dann bunten Zuckerguss drauf. Den für Nik bestimmten Muffin verziere ich ganz besonders liebevoll mit einem rosa ‚FUCK U’. Nicht sehr einfallsreich, aber es kommt von Herzen. Den will ich ihm doch gleich mal bringen und meinen Schmuck einkassieren.
Ich spaziere also in sein Zimmer, und, oh verdammt, heult der?
„Verpiss dich!“, zischt er und dreht sich auf dem Bett um.
Nichts lieber als das, aber irgendwie muss ich ihn doch noch eine Weile anstarren. Das spürt er wohl und springt ruckartig auf, kommt auf mich zu. Irgendwie küssen wir uns plötzlich, den Muffin rette ich auf den Schreibtisch, mich selbst kann wohl nichts mehr retten, ich liege auf dem Bett, er über mir. Verdammt, der Kerl macht mich so an. Mein Hirn hat sich ausgeknipst, ich will nur noch eines.
Als das gegessen ist, fühl ich mich klein und mies und ängstlich. Gleich schmeißt er mich wieder raus, und dabei will ich doch bloß kuscheln. Ich meine, der Kerl hat mich nicht mal mehr geküsst. Jetzt liegt er wie ein nasser Sack auf mir und ich frag mich, was wohl als nächstes passiert.
„Ich hab Bock auf was Süßes.“
Er rappelt sich auf, geht zum Schreibtisch und holt sich den Muffin. Dann grinst er nur, als er die Aufschrift sieht. Ich kann mich grad nicht bewegen. Er setzt sich auf den Sessel gegenüber dem Bett.
„Soll ich verschwinden?“, frage ich unsicher.
„Wie du willst.“
Er stopft sich das halbe Küchlein in den Mund. Ich rapple mich mal wieder ärgerlich auf und such meine Klamotten zusammen.
„Der ist gut.“
„Erstick dran.“
Notdürftig zieh ich mich an und verlasse den Ort des Grauens.
„Oh... oh.“
„Kein Wort.“
Mia kichert und ich bin kurz davor, sie mit Muffins zu bewerfen.
„Ich verpiss mich.“
„Stopp, gib mir deine Nummer, wir müssen mal wieder backen.“
Sie besteht drauf, dass ich meine Nummer in ihr riesiges, altes Handy eintippe.
„Ich ruf dich an“, sagt sie, als wäre es eine Drohung.
Ich glaub es nicht. Bin ich ein Masochist oder sowas? Diesmal trau ich mich nicht, mich bei Lissa auszuheulen. Die würde mich ja sowas von zur Schnecke machen. Shame on you, if you fool me once… und so weiter. Nee, das würde mir grad auch nicht weiterhelfen. Ich kauf mir beim nächsten Bäcker erstmal nen Muffin, hab ja keinen abbekommen, bloß der dämliche Nik hat einen verspeist. Ob er wohl dran erstickt ist? Warum hab ich nicht dran gedacht, irgendwas rein zu tun? Eine Murmel oder so. Ständig ersticken Kinder an Murmeln. Oder irgendwas Ekliges. Haare oder so. Ganz viele. Wenigstens reinspucken hätte ich können, ich Trottel.
Verdrängen, verdrängen, verdrängen. Ich träum von Nik, und zwar schöne Sachen. Scheiße, ich will das nicht. Ich hasse den Kerl. Vorlesungen hasse ich auch, aber trotzdem geh ich da immer wieder hin. Na gut, der Vergleich hinkt. Jedenfalls kann ich mich überhaupt gar nicht konzentrieren. Zum Glück ist bald Weihnachten. Zwei Wochen Ruhe und Frieden. Nun ja, nicht wirklich. Meine Eltern werden mich schon zu beschäftigen wissen. Aber immerhin keine Vorlesungen mehr. Mein Handy klingelt, also… vibriert. Ich sitze ja schließlich in ner Vorlesung und brauch echt nicht die Peinlichkeit eines klingelnden Handys. Ich geh raus und dran.
„Leon?“
„Ja?“
„Mia.“
„Oh, hey.“
„Bock auf Weihnachtseinkäufe?“
Hm, naja, eigentlich bräuchte ich noch was für Lissa…
„Schon.“
„Um fünf vorm Kaufhof? Also nicht dass ich da was kaufen will, nur als Treffpunkt. Das Zeug da überschreitet mein Budget.“
Da hatte ich die Geschenke für meine Familie gekauft…
„Logo, dann bis nachher.“
Mia kennt ein paar echt coole Läden und ich finde für Lissa Kirschohrringe und schöne warme Stülpen, weil ich nicht glauben kann, dass sie in ihren Röcken nicht friert. Außerdem decke ich mich mit Buttons und Schnick-Schnack ein, achte aber drauf, nicht zu dick die Kohle hinzublättern. Ja, ich schäm mich dafür, reich zu sein. Jeder hat seine dunklen Geheimnisse, oder? Geht doch niemanden was an.
„Magst noch auf nen Kaffee mit zu mir kommen?“
„Lieber nicht.“
„Hey, ich hab nicht vor, mir von Nik den nettesten Menschen vergraulen zu lassen, den ich in letzter Zeit kennengelernt hab. Außerdem ist der unter der Woche meistens nur zum Schlafen da, wenn überhaupt, also komm schon.“
Bei solch einem Kompliment kann ich doch bloß mitdackeln.
Wir entscheiden uns, Pancakes zu machen, aus so einer Rüttel-Flasche. Ich rüttle da also rum, bis mir fast der Arm abfällt, da steht natürlich der Idiot vor mir.
„Wichsmuskel trainieren?“
„Pancakes mixen.“
„Isst du nur zuckriges Zeug?“
„Über den Muffin hast du dich nicht beschwert.“
„Ja, der war echt sehr süß, vor allem deine kleine Botschaft. Hab mich wohl aus Versehen verlesen und gedacht da steht ‚fuck me’ drauf.“
Kurzschlussreaktion.
Nik steht da, ist ganz baff und der Pancake-Teig läuft langsam über seinen Kopf, den Hals runter. Mia lacht sich kaputt. Ich bin über mich selbst erschrocken, steh da wie erstarrt. Dann fängt er an zu lachen. Okay, das hatte ich jetzt nicht erwartet. Er zieht mich zu sich, ich bin zu überrascht, um mich zu wehren. Zwischen uns verteilt sich der Teig, bah, eklig. Nik umarmt mich einfach so, was geht denn hier? Dann reibt er sich an mir. Häh? Okay, jetzt wird`s mir klar. Er verteilt die klebrige Masse zwischen uns. Bääääh. Ich versuch mich loszureißen, aber er hält mich fest. Dann lässt er mich plötzlich los und grinst.
„Na, gehen wir jetzt duschen?“
„Hättest du wohl gerne. Ich brauch bloß ein neues Shirt.“
„Von mir bekommst du keins.“
„Hier wohnen ja zum Glück auch noch andere Leute.“
„Ja Mia, gib ihm eins von deinen Baumwoll-Sack-Dingern.“
„Kannst du dich eigentlich selber ausstehen?“, zischt sie.
Er zieht sein Hemd über den Kopf und wischt damit den meisten Teig weg. Mh, diese harte Brust, der flache Bauch.
„Willst du vielleicht doch mit duschen kommen?“
Ich hab ihn angegafft. Wie dämlich kann man eigentlich sein?
„Komm schon, so schüchtern kenn ich dich ja gar nicht. Du darfst nachher auch mein Batikshirt haben, das hat dir doch so gut gefallen.“
Gott verdammt, warum ist der plötzlich so süß? Willenlos lasse ich mich ins Bad zerren, wo er mich fachmännisch entkleidet und mir erstmal einen bläst. Jetzt ist alles aus. Der kann mit mir machen, was er will. Aber das tut er nicht, sondern wir duschen ganz artig und er gibt mir freundlich ein großes Handtuch. Dann verziehen wir uns, an einer grinsenden Mia vorbei, in sein Zimmer. Statt mir an die Wäsche zu gehen, gibt er mir sein tolles Batikshirt und wir ziehen uns beide wieder an.
„Also, ehm, Leon… vielleicht hast du ja Lust am Wochenende was mit mir zu unternehmen?“
Was ist los?
„Äh… was denn?“
„Keine Ahnung… wir könnten Essen gehen, oder ins Kino, oder so…“
„Ehm, du hattest mich schon im Bett, du brauchst mir nicht mehr den Hof machen.“
Er scheint echt verlegen zu werden. Bin ich hier im falschen Film, oder was?
„Naja, ich dachte… das ist es, was du willst…“
„Ich will überhaupt nix von dir, zumindest nix, was du zu geben hast.“
„Was soll denn das jetzt heißen?“
„Du bist halt ein verkorkster Freak und von euch hab ich grad ziemlich die Schnauze voll. Ich will eine stinknormale Beziehung, und wenn du mir jetzt mit spießig oder sonst was kommst, dann töte ich dich.“
„Ich… vielleicht kannst du mich dieses Wochenende mal besuchen kommen. Ich würd auch gern mit dir backen oder so…“
„Du willst mich doch bloß ficken.“
„Nein, ich, verdammt, Leon, mach`s mir doch nicht so schwer. Ich schenk dir mein Lieblingsshirt, glaubst du, das hast nix zu bedeuten?“
„Verdammt, was kommt denn jetzt?“, frage ich total entgeistert.
„Ach, vergiss es. Ich wäre jetzt echt gern allein und Mia vermisst dich bestimmt auch schon.“
„Arschloch“, entkommt es mir.
Ich bin schneller aus der Wohnung draußen, als irgendwer schauen kann. Und ich hab nicht vor, da nochmal hinzugehen. Der Kerl ist doch komplett irre. Multiple Persönlichkeit, oder was? Nee danke, damit will ich nix zu schaffen haben. Ab zu Lissa, sie mal auf den neuesten Stand bringen. Die wird mir den Kopf waschen, aber irgendwann muss ich das ja hinter mich bringen. Und mich umziehen, weil inzwischen dürften Mami und Papi zu Hause sein.
Lissa blickt nicht so ganz durch, hab jetzt auch keine Zeit für die ganze Geschichte, muss morgen früh zur Uni, zum letzten Mal in diesem Jahr.
Warum kuschle ich nachts mit dem blöden Batik-Shirt? Ist Irrsinn ansteckend? Verdrängen, verdrängen, verdrängen. Und plötzlich ist Weihnachten. Ich bekomm ne SMS von Mia.
„Fröhliche Weihnachten und so. Auch vom Idioten. Der is seltsam drauf und seit ein paar Stunden verschollen. Gefallen deiner Freundin die Geschenke?“
Lissa war begeistert, als ich ihr das Zeug vorhin gegeben hab. Jetzt sitz ich hier und warte mit Cici, dass die Verwandtschaft zum Weihnachtgansessen auftaucht. Ich mag keine Hemdskrägen. Morgen Abend kommt ein Haufen Geschäftspartner von Papi. Der hat ne Autoteile-Zuliefer-Firma. Aber keine Sorge, er macht sich dabei nicht die Hände schmutzig. Der managt bloß. Jedenfalls ist er schon mächtig nervös, geht um nen großen Auftrag. Naja, wir werden uns schon von unserer besten Seite zeigen.
Das Ehepaar Sommer ist eigentlich ganz okay. Trotzdem verstehen sie sich mit meinen Eltern, komisch. Jedenfalls sitzt er in der Chefetage des hiesigen Automobil-Giganten. Also so ein richtig großes Tier, trotzdem nicht halb so aufgeblasen wie die meisten anderen hier. Ich fange fast an, die zu mögen, da fängt Herr Sommer an, von seinen Kindern zu faseln. Drei Stück, der Älteste 21, die Tochter 19 und dann noch ein zwölfjähriger Nachzügler. Ob Cici und ich nicht mal Lust hätten, was mit den beiden Großen zu unternehmen. Seine Frau stößt ihn in die Rippen, aber meine Eltern springen sofort drauf an. Sie haben wieder diesen ‚bald gibt’s eine Hochzeit’-Blick drauf. Und überhaupt, das ist ein wichtiger Kerl, das seh sogar ich ein. Wenn ich dem auf den Schlips trete, dann werde ich meines Lebens nicht mehr froh. Ich nicke also höflich und hoffe, dass es sich ganz einfach nicht ergibt, aber unsere Väter sind Macher. Deshalb machen sie sofort einen Termin fest. Der 29. Und den Ort. Vor einem Szene-Schuppen, wo der Eintritt schon zwanzig Euro kostet. Um neun. Gebongt. Kotz. Aber hey, eigentlich hab ich eh nix anderes vor und vielleicht bekomm ich dafür Silvester ‚frei’. Mit Cici kann man eigentlich auch ganz gut Spaß haben, und nachdem sie erst kürzlich 18 geworden ist, hat sie auch noch Spaß an so Club-Sachen.
Meine Schwester ist total hibbelig und aufgedonnert. Das hat ihre beste Freundin verbrochen. Ich hab nen Pulli, Jeans und nen dicken Anorak an. Mir ist mal wieder sehr kalt. Geld für den Eintritt haben wir bekommen, und für ein Taxi. Wir beschließen mit der U-Bahn hinzufahren und den Rest zu versaufen. Vor dem Laden hat sich eine Schlange gebildet und der Türsteher schickt so gut wie jeden weg, aber natürlich stehen wir auf der Gästeliste. Hm, aber erstmal müssen wir die Sommers finden. Cici hat eine Handynummer, die wählt sie jetzt und hat auch schon das Mädel dran. Lucy. Cici und Lucy, haha. Jedenfalls sind die grad auf dem Weg. Und Cici meint, Lucy hört sich eigentlich ganz nett an. An zwei Sätzen lässt sich das wohl kaum festmachen. Sie hofft, der Kerl ist schnucklig. ,Ich auch’, will ich fast sagen. Ups. Meine Schwester geht wohl eher nicht davon aus, dass ich ihr bei dem Kerl Konkurrenz machen werde. Sie winkt spastisch in der Gegend rum. Da kommen die wohl, na gut, werd ich mich mal lässig umwenden und gucken, was uns blüht.
Nein. Das geht nicht. Das kann nicht sein, das ist ne optische Täuschung. Der Kerl im Filzmantel sieht aus wie Nik in spießig. Und der guckt so geschockt. Oje. So aus der Nähe gibt es keinen Zweifel mehr. Ich sehe karottenfarbiges Haar unter seiner Mütze. Und jetzt? „Hey, du musst Cici sein. Ich bin Lucy und das ist Niklas.“
„Und der mit dem Starrsinn ist Leonhard. Also, wollen wir rein gehen?“
„Eigentlich dachten wir, wir suchen uns was weiniger Versnobtes. Habt ihr da Lust drauf? Kann dein Bruder reden?“, fragt Lucy.
„Hm, was? Ja… ehm… ich glaub ich hab was vergessen, muss weg.“
„Warte, jetzt renn nicht weg.“ Nik klingt geschockt und verzweifelt.
„Lasst uns irgendwo hingehen, wo man sich unterhalten kann oder so…“
„Häh? Was is`n jetzt kaputt, ich dachte wir wollten die zwei ins Grouchy schleppen?“, fragt Lucy.
Das is ein Indie-Laden, wo ich auch öfter hin geh, aber Cici da hinschleppen? Hatten die das ernsthaft vor? In der Aufmachung?
„Kennt ihr das Grouchy?“, fragt Lucy.
Ich nicke, Cici nicht. Lucy schaut mich überrascht an.
„Dann ab zur U-Bahn?“, fragt sie immer noch leicht verwirrt.
Wir setzen uns in Bewegung. Nik und ich lassen uns ein Stück zurückfallen.
„Leonhart Freiherr von Kürthy?“
„Nikolas Sommer?“, frage ich genauso blöd zurück.
„Warum hast du denn nix gesagt?“
„Was denn zum Beispiel?“
„Dass du Kohle hast und so.“
„Warum hast du denn nix gesagt?“
„Weiß deine Schwester Bescheid?“
„Worüber? Dass ich gern mal mit Punks abhänge oder dass ich schwul bin?“
„Beides.“
„Nein“, natürlich nicht, füg ich in Gedanken hinzu.
„Beides nicht?“
„Beides nicht. Deine?“
„Beides schon. Heißt das, ich darf dich den ganzen Abend nicht anmachen?“
Der hat Nerven.
„Willst du das denn?“
„Ja, verdammt. Du machst mich total heiß, sogar in den schrecklichen Klamotten.“
„Danke, das Kompliment geb ich gerne zurück.“
Ups, das war doppeldeutig, oder? Er grinst mich an. Verdammt.
„Und ihr wollt echt ins Grouchy? Ich weiß nicht, ob meine Schwester das überlebt…“
„Ich hab keinen Bock auf High Society. Du etwa?“
„Nee.“
„Also, das Grouchy ist doch harmlos. Erinnere dich mal an die Party, auf der wir uns kennengelernt haben….“ Er grinst anzüglich. „Faszinierend, dass wir uns da gefunden haben, oder?“
„Wirst du jetzt sentimental, Nik? Der Zug ist abgefahren. Ich lass mich doch nicht wie Dreck behandeln und dann nach ein bisschen Süßholzraspeln wieder weich klopfen.“
„Verdammt, das war doch bloß, weil…“
„Ja?“
„Ich brauch erstmal was zu saufen.“
Wir schließen wieder zu den Mädels auf und ich töte meine Schwester kurz darauf mit Blicken, als sie sich an Nik ranschmeißt. Lucy schmeißt sich zum Glück nicht auch noch an mich ran, das wäre jetzt einfach zuviel. Wir unterhalten uns nett, bis wir vor dem Grouchy stehen.
„Ähm, okay… was ist DAS denn für ein Laden?“
„Mach dich locker, kleine Schwester. Ich pass schon auf dich auf“, flüstere ich ihr zu.
„Wir sollten noch ein bisschen was an eurem Erscheinungsbild ändern, meint ihr nicht?“, fragt Nik und entledigt sich seines Filzmantels. Darunter trägt er einen an Kragen und Ärmeln abgeschnittenen Mickey-Mouse-Pullover. Süß! Mütze runter und schon steht wieder mein punkiger Nik vor mir. Mein Nik? Ich schnappe langsam über. Mir fällt da was ein. Ich hab sein Batikshirt drunter. Oh Mann, das wird mir ein hämisches Grinsen von ihm einbringen. Na gut, Augen zu und durch. Anorak und Pulli aus, und voilà, da ist das blöde Grinsen auch schon. Lucy, die sich ebenfalls ihres Mantels entledigt hat, schaut mich begeistert an.
„Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“
Sie trägt ein Kringel-Top und einen Plüsch Rock über der Röhrenhose. Cici schaut uns total entgeistert an.
„Keine Sorge, Cici, wir verschwinden gleich im Klo und zaubern dir ein gruftiges Make-up. Das wird schon.“
Schon schleppt Lucy sie weg und im nächsten Moment hab ich Nik’s Zunge im Mund.
„Wollen wir auch kurz auf’m Klo verschwinden?“
„Bist du irre? Natürlich bist du irre, das hab ich ja schon festgestellt. Jedenfalls: Nein danke.“
„Tanzen?“
„Hör mal, ich würd meiner Schwester meine sexuelle Orientierung gern schonend beibringen.“
„Na gut, dann füll sie ab und sag`s ihr. Dann setzen wir sie in ein Taxi und gehen zu mir. Du machst mich so unglaublich scharf.“
„Jetzt halt mal die Finger still. Sei heute ausnahmsweise mal kein Arschloch, okay? Das hier ist wichtig.“
„Okay.“
„Echt?“
„Ich bin gar nicht so ein Arschloch, weißt du? Es ist bloß… du bringst mich total durcheinander, weißt du?“
„Lass uns mal nach den Mädels schauen.“
Wir warten vor der Tür und bald drauf kommen die beiden mit massig buntem Make-up raus. Ich erkenne sie fast nicht wieder. Cici fühlt sich sichtlich unwohl. Deshalb mache ich ihr ein paar Komplimente, das ist nie verkehrt. Okay, erst mal Drinks zur Auflockerung. Die Sommers tuscheln miteinander, dann zieht Lucy mich hinter sich her auf die Tanzfläche.
„So, du bist also der Leon. Dachte ich mir doch, dass ich das Shirt kenne. Du hast meinem Bruder ganz schön den Kopf verdreht.“
„Häh?“
„Naja, das wird er dir schon noch sagen. Übrigens: Als kleine Schwester rat ich dir, sag deiner bald, was los ist. Sehr bald.“
„Jaja…“
Die anderen beiden kommen ebenfalls auf die Tanzfläche. Gott, Nik zieht mich mit den Augen ja förmlich aus. Und ich will ihn jetzt sofort küssen. Aber Cici. Okay, Angriff.
„Cici, kommst du mit, frische Luft schnappen?“
„Hm… sicher.“
Vor dem Laden zünd ich mir erstmal eine an, meine Schwester ist, gelinde gesagt, erstaunt darüber.
„Seit wann rauchst du?“
„Seit sechs Jahren, gelegentlich.“
„Sonst noch was, das ich über dich wissen sollte?“
„Wo du gerade fragst… Ich denke, ich werd heute nicht mit heimkommen. Hab da ein Angebot…“
„Häh? Von Lucy? Die geht ja ran. Und das geht dir nicht zu schnell?“
„Okay… also, ich würd ja sagen dass du dich setzen sollst, aber hier gibt`s irgendwie keine Sitzgelegenheiten…Jedenfalls… Ich werd wohl mit Nik heimgehen. Ich find ihn ziemlich toll, und…“
„Was?! Okay… aber ihr seid beides Jungs… okay, das klang jetzt echt naiv. Warum hast du denn nie was gesagt?“
„Keine Ahnung, tu ich doch jetzt.“
„Naja, wenigstens bekommen die Eltern einen Schwiegersohn aus gutem Hause. Versau bloß nicht Dad`s Großauftrag.“
„Hab ich nicht vor. Also hast du damit kein Problem?“
„Klar nicht! Schnapp ihn dir… oder so.“
Die Sommers sitzen in einer Nische und schlürfen irgendwas Fruchtiges. Oh, seine Lippen werden sicher ganz süß schmecken…
„Tanzen?“
Galant halte ich ihm die Hand hin. Es läuft grad irgendeine HIM-Schnulze. Erstaunt steht er auf und folgt mir auf die Tanzfläche. Da schlinge ich meine Arme um ihn und zieh ihn ganz nah an mich.
„Ich will keine Fickbeziehung.“
„Ich auch nicht, zumindest nicht nur.“
„Ich will nach dem Sex mit dir kuscheln und mit dir Händchen haltend durchs Leben wandeln und so.“
„Könnte mir gefallen…Aber ich hab auch ein paar Bedingungen.“
„Die wären?“
„Meine Eltern wissen Bescheid und ich hab keinen Bock auf Versteckspiele. Gegen schonend beibringen hab ich nix, aber bald.“
Ich muss erstmal schlucken.
„Aber… ich mein, wir kennen uns doch noch gar nicht so gut… alles was wir bisher gemacht haben, war ficken und streiten.“
„Und beides können wir verdammt gut. Ich will echt mit dir zusammen sein, Leon.“
Fuck, das kribbelt. Ich will ihn auch, glaub ich.
„Lässt du mir noch ein bisschen Zeit damit?“
„Am fünften geben meine Eltern ne Party. Deine kommen bestimmt auch. Und bis dahin hab ich dich mit Sicherheit davon überzeugt, dass das zwischen uns den Stress wert ist.“
Um das zu beweisen, küsst er mich gleich mal innig und ich heb voll ab. Das sind doch unfaire Methoden. Jedenfalls geh ich mit ihm nach Hause in die WG. Lucy will bei Cici pennen, weil die zwei viel zu besprechen haben. Da waren nämlich diese zwei Typen, na egal.
Jedenfalls staunt Mia nicht schlecht, als ich morgens aus Nik`s Zimmer trapse. Ich musste nämlich nicht auf der Couch schlafen, sondern durfte die ganze Nacht in seinem Arm liegen. Jetzt hab ich ein fettes Grinsen im Gesicht, das einfach nicht mehr weggehen will. Ich bin verliiiiebt.
Silvester verbringen Lissa und ich auf der WG-Party. Lucy und Cici tummeln sich mit ihren Kerlen im Nachtleben und ich bin einfach nur verliebt. Gott, Nik ist so toll. Mit ihm unter dem Feuerwerk knutschen ist das Größte. Und er ist plötzlich so anhänglich und weich und lieb. Wahnsinn. Wahrscheinlich hat jetzt die nettere seiner beiden Persönlichkeiten die Oberhand gewonnen. Ich hoffe, das bleibt auch so. Lissa und Mia können sich nicht riechen, aber das hab ich schon befürchtet. Dafür mag Lissa den seltsamen Ralf umso lieber. Die hat doch echt ein Rad ab. Meinen Eltern hab ich wahrheitsgemäß gesagt, dass ich die Party vom Herrn Sommer Junior besuche, und sie waren begeistert. Ob die am fünften immer noch begeistert sind? Man wird sehen.
Meinen Kater schlaf ich bei Nik aus und er gibt mir endlich meine Halskette zurück. Das Armband schenk ich ihm. Erst am zweiten trennen wir uns widerwillig. Soziale Verpflichtungen.
Aber am dritten steh ich mittags schon wieder auf der Matte. Mit Lissa, die Ralf besuchen will. Mich schüttelt`s. Nik liegt noch im Bett und wird zärtlich geweckt. Und dann frühstücken wir im Bett und gehen da bis abends nicht mehr raus. Nik setzt plötzlich so eine ernste Miene auf. Was ist denn jetzt los?
„Ich will dich morgen meinen Eltern vorstellen. Keine Widerrede.“
„Aber die kennen mich doch schon.“
„Das ist was anderes. Außerdem sollten wir einen Schlachtplan entwerfen, wie wir es deinen Eltern übermorgen am besten beibringen.“
Hilfe, ich hab Angst. Was ist mit meinem Doppelleben? Kollabiert nicht alles, wenn zwei Paralleluniversen sich berühren?
„Keine Sorge, das wird halb so schlimm. Dein Vater will meinem Vater doch nicht auf den Schlips treten. Der braucht ihn noch. Wenn wir ihn also mit ins Boot holen, dann wird das schon.“
„Und du denkst, das schaffen wir?“
„Warum nicht? Meine Eltern wissen, dass ich schwul bin, und haben kein Problem damit. Und ich glaub, sie werden dich auch für einen guten Fang halten, Freiherr von Kürthen.“
Und da sollte er Recht behalten. Am nächsten Abend sitzen wir mit seiner versammelten Familie inklusive Großmutter am Esstisch und schmieden Pläne. Niemand hat ein Problem mit mir, im Gegenteil.
Am fünften machen wir es wie abgemacht. Meine Eltern werden gebeten, früher als die anderen Gäste aufzutauchen, so haben wir Ruhe. Cici und ich haben uns in Schale geschmissen und murren mal nicht rum. Meine Eltern scheinen sich sehr auf den Abend zu freuen. Tja, wenn die wüssten. Sie freuen sich auch, zum ruhigen Aperitif geladen zu sein und mein Vater überlegt, ob die Entscheidung bezüglich des Großauftrags wohl schon gefallen sein kann. Gott, bin ich nervös. Aber zur Not kann ich ja in der WG einziehen. Kein Grund zur Panik also. Waaaah!
Freundliche Begrüßung. Die Sommer-Kinder stehen auch aufgereiht da und Nik ist ganz brav angezogen und gibt meinen Eltern freundlich die Hand. Eigentlich ist er doch echt ein Traum-Schwiegersohn, oder? Wir werden ins Wohnzimmer gebeten, Drinks stehen bereit, der kleine Bruder Johannes verzieht sich. Leichte Konversation. Nik sitzt neben mir, in gebührlichem Abstand. Er ist nervös, da kann er mir nichts vormachen. Ständig reibt er seine Hände.
„Unsere Kinder scheinen sich ja gut zu verstehen“, liefert Frau Sommer die Vorlage.
„Ja, das ist schön. Da wissen wir wenigstens, mit wem sie sich rumtreiben.“
Treiben? Wer hat was von treiben gesagt? Ach nee, falscher Alarm.
„Ja, wir sind auch sehr froh, dass ihr euch alle angefreundet habt. Vor allem ihr beide, nicht war Nik? Leon?“
Auffordernde Blicke von Herrn Sommer. Okay, jetzt ist es an mir. Sind ja schließlich meine Eltern. So haben wir`s abgemacht.
„Ja, ehm, Mama, Papa… also, Nik und ich, wir verstehen uns wirklich sehr gut. Wir haben in den letzten Wochen viel Zeit miteinander verbracht. Und wir haben festgestellt, dass wir uns wirklich sehr mögen. Also so richtig. Also, wir sind zusammen.“
Um Missverständnissen vorzubeugen, nehme ich Nik`s Hand. Papa schaut irritiert durch den Raum. Mama schaut nur Papa an. Herr Sommer durchbricht das Schweigen.
„Na, dann sind wohl Gratulationen angebracht, nicht wahr, Herbert? Henriette?“
Dass er meine Eltern beim Vornamen nennt, ist ein geschickt geplanter Schachzug und nicht etwa Zufall. Komm schon, Papa, red ihm nach dem Mund, so wie sonst auch.
„Ich bin doch etwas überrascht. Ich meine, wir hatten so einen Verdacht, aber…“
Bitte, was hatten die?
Meine Mutter in versöhnlichem Tonfall:
„Naja, Schatz, du hättest eine schlechtere Wahl treffen können.“.
„Wir werden uns wohl noch an den Gedanken gewöhnen müssen, Sohn.“
„Ist klar.“
„Naja, gut… dann auf gute Zusammenarbeit, nicht wahr?“, schlägt mein Vater vor.
Back to Business.
Zwei Wochen später bekommt mein Dad den Zuschlag. Meine Eltern mucken nie, wenn ich bei Nik schlafe. Im März zieht Chris aus, zu seiner Freundin. Wenn das mal gut geht. Ich zieh jedenfalls ein. Getrennte Zimmer, damit wir uns auch mal aus dem Weg gehen können, was wir aber eigentlich nie tun. Wir sind ganz schöne Langweiler geworden, gehen am Wochenende kaum noch weg, höchstens mit Ralf (der eigentlich echt okay ist) und Lissa ins Kino oder so. Ansonsten sind wir einfach nur verliebt. Und Schluss mit den parallelen Universen.
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