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Summer in Paradise - Band 1

Teil 6

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Jordan

Als ich vor Davids Elternhaus aus dem Auto steige, fühle ich mich nicht mehr wie derselbe Mensch der ich am Morgen war. Severin steigt mit aus dem Auto und umarmt mich.

„Danke“, flüstert er.

„Ich danke dir“, flüstere ich zurück.

Er fährt davon. Ich bleibe noch eine Weile draußen stehen. Denn ich muss einordnen, was heute alles passiert ist. Ein bisschen ist das Gefühl so wie nach einer guten Sitzung beim Therapeuten. Nachdem man etwas begriffen hat. Nachdem man einen Durchbruch hatte. Nachdem sich etwas gelöst hat. Aber heute ist das alles passiert und noch viel mehr. An Dylan zu denken, tut nicht mehr weh. Die Erinnerung an ihn ist wärmer, aber irgendwie weiter weg. An meine Großmutter und ein Treffen mit ihr zu denken, macht mir keine Angst mehr. Und an den Umzug hierher zu denken, bedeutet nicht mehr nur, Freunde und Familie zurücklassen. Es bedeutet auch, neue Freunde und fast so etwas wie eine neue Familie zu finden. Es ist fast sieben. David legt bestimmt gerade die Kinder schlafen. Schade, dass ich die drei heute gar nicht gesehen habe. Aber andererseits: Ich brauche einen ruhigen Abend. Mit David.

Mona steht in der Küche und dekoriert den Geburtstagskuchen für die Zwillinge.

„Hey.“

„Hallo Jordan. Na, hattest du eine gute Tour?“

„Ja, es war sehr beeindruckend.“

„David bringt grad die Kinder ins Bett. Aber er ist schon eine halbe Stunde oben. Er kommt sicher gleich.“

„Kann ich dir helfen?“

„Nein, setz dich. Willst du noch etwas Reisauflauf oder hast du gegessen?“

„Ich hätte gern was.“

Sie wischt ihre Hände an einem Küchentuch ab und legt los. Reis, Orangensaft, Salat und sogar eine Serviette legt sie mir hin.

„Oder willst du lieber Wein dazu?“

„Nein, das ist alles gut so. Danke.“

„Kann ich dir sonst noch was Gutes tun?“, fragt sie und mir fällt auf, dass ihr Englisch immer besser wird.

„Danke, ich hab alles, was ich brauche.“

Sie geht zurück zum Kuchen und bestreut ihn mit gelben und weißen Zuckerperlen. Dann nimmt sie ein Nudelholz und ein großes Brett und setzt sich zu mir an den Tisch. Sie rollt einen gelben Teig aus, der so ähnlich aussieht wie Marzipan.

„Das ist Fondant“, erklärt sie, als sie meinen fragenden Blick sieht. „Jake wünscht sich Blumen auf dem Kuchen.“

Mit geschickten Fingern formt sie kleine Kreise, legt sie aneinander und hat plötzlich eine gelbe Rose in der Hand.

„Wow, wie hast du das jetzt gemacht?“

„Ich zeig es dir langsam.“

Ich bin begeistert:

„Du bist die geborene Oma.“

Sie lächelt stolz. Dann wird sie ernst:

„David hat mir erzählt, dass heute dein Hochzeitstag wäre.“

Ich nicke.

„Falls du reden willst ...“

„Danke, aber ich hab die Bergtour genutzt, um an Dylan zu denken und um den Tag irgendwie rum zu bringen ...“

„Ich verstehe. Ich bin wirklich sehr froh, dass du und die Kinder jetzt zur Familie gehören.“

„Danke, Mona.“

„Willst du es mal versuchen?“

Unter ihrer Anleitung forme ich also meine erste Fondant-Rose. Und die sieht nicht mal schlecht aus.

David kommt erst dazu, als der Kuchen fertig dekoriert ist, und er sieht ziemlich müde aus. Ich stehe auf und umarme ihn.

„Hey.“

„Hey.“

„War es anstrengend mit den Kindern?“

„Sie haben alle drei Mittagsschlaf gemacht, deshalb wollte Cooper jetzt absolut nicht schlafen und hat die anderen wach gehalten … aber jetzt haben sie es alle drei geschafft. Ich wäre bloß fast mit eingeschlafen.“

„Ich hab nichts gegen früh ins Bett gehen, heute. Die Tour war anstrengend.“

„Okay, dann helfe ich meiner Mutter noch, die Küche aufzuräumen und komm dann hoch?“

„Gut. Gute Nacht, Mona. Und danke für den Kuchen.“

Auf dem Weg nach oben nehme ich eine Kerze vom Fensterbrett im Treppenhaus mit, und finde im Bad eine Probepackung Körperöl. Ich drehe die Heizung im Schlafzimmer an, lege eine Decke über Davids Bett und dusche kurz. Dann suche ich noch entspannte Hintergrundmusik, die ich über das Handy laufen lasse. Ich höre David die Treppe hoch und ins Bad gehen und positioniere mich nackt hinter der Zimmertür. Ein paar Minuten später kommt er in seinem alten grauen Schlafshirt und Shorts ins Zimmer. Er schaut sich um, sieht die Kerze, dann schaut er mich an.

„Was hast du denn mit mir vor?“

„Keine Sorge, ich weiß, du bist müde. Ich will dich einfach nur massieren. Darf ich?“, frage ich und zupfe an seinem Shirt.

Er hebt bereitwillig die Arme. Ich sperre die Zimmertüre ab und ziehe ihm sein Shirt aus. Dann umarme ich ihn und fahre mit den Händen über seinen Rücken. Dabei sehe ich ihm in die Augen. Er bekommt Gänsehaut.

„Leg dich hin“, bitte ich. „Auf den Rücken.“

Er macht es sich auf dem Bett neben der Heizung gemütlich. Ich lege mich neben ihn und ziehe ihm die Shorts aus. Dann schaue ich ihn an. Man spürt, dass ihm das erst ein bisschen unangenehm ist. Aber als ich anfange, seinen Bauch zu küssen, entspannt er sich merklich. Dann nehmen ich das Öl, verreibe es in meinen Händen und beginne damit, Davids linken Arm einzureiben und zu streicheln. Ich nehme mir dafür viel Zeit. Dann nehme ich den anderen Arm, bis David es nicht mehr aushält und mich zu sich zieht, um mich zu küssen. Seine Beine umschlingen mich. Scheinbar hat er keine Lust mehr, langsam zu machen. Ich habe schon lange niemanden mehr so geküsst. So langsam, so bewusst. Und gleichzeitig passiert so viel auf einmal. Ich liege komplett auf David und spüre ihn vom Gesicht bis in die Zehen.

„Ich gehöre dir“, flüstere ich. „Nur dir.“

David nimmt mein Gesicht fest zwischen beide Hände und küsst mich noch intensiver. Mein restlicher Körper gerät in Vergessenheit. Alles was wichtig ist, passiert bei diesem Kuss.

David

Es ist halb sechs, als ich die Augen aufmache. Es ist warm im Zimmer. Und die große Kerze brennt immer noch. Jordan und ich liegen nackt und ineinander verknotet da. Ich schiebe ihn ein bisschen von mir runter. Er schläft friedlich weiter. Ich decke ihn zu, ziehe mich an und gehe mit dem Babyphone nach unten, um Kaffee zu machen. Ich liebe diese Tageszeit. Alles ist still, alle schlafen noch. Draußen ist es dunkel. Ich hole die Zeitung und trinke in Ruhe meinen Kaffee, überlege dabei, wie die Wege in der Gaststätte am besten laufen sollten und sinniere über einen Namen. Dann dekoriere ich den Frühstückstisch mit ein paar Ballons und Luftschlangen und stelle den Kuchen in die Mitte. Ich setze mich wieder und schaue mich um, hier, in dem Haus, in dem ich eine glückliche Kindheit verbracht habe. Hier, wo meine Kinder jetzt ihren dritten Geburtstag feiern dürfen. Frieden und Dankbarkeit durchströmen mich. Das Gefühl ist unbeschreiblich. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich gerade das erlebt habe, was die Menschen früher zu Gläubigen gemacht hat. Das Gefühl, eine Offenbarung zu haben. Zu erkennen und zu spüren, dass es etwas gibt, das größer ist als man selbst.

Jordan kommt herein.

„Oh, hey, du bist schon wach?“, wundere ich mich.

„Ja, wir sind ja doch recht früh eingeschlafen, gestern. Und du genießt Ruhe und Frieden?“

„Glaubst du, dass es sowas wie eine Offenbarung gibt? Eine Erkenntnis, ein Gefühl, das einem zeigt, dass es Dinge gibt, die nicht mit dem Kopf zu erklären sind?“, frage ich ihn.

Er setzt sich neben mich, gibt mir einen kurzen Kuss und antwortet:

„Ja, sowas hatte ich gestern mehrfach.“

„Okay, erzähl“, bitte ich gespannt.

„Bevor ich erzähle, … du wirst ein paar Sachen hören, die vielleicht missverstanden werden können, aber ich … ich hab keine Grenzen überschritten, versprochen.“

Während er erzählt, fühle ich Eifersucht. Auch wenn ich begreife, dass er mir treu war, dass er körperlich nicht fremdgegangen ist. Aber trotzdem fällt es mir nicht leicht zu akzeptieren, was da zwischen Jordan und Severin passiert ist und wie nah sie sich dabei gekommen sind.

„Deine Offenbarungen schlagen meine kleine Offenbarung definitiv“, erkläre ich, als Jordan am Ende seiner Erzählung ist.

„Es tut mir Leid, falls mein Verhalten dich verletzt. Das wollte ich nicht.“

„Ich weiß … ich muss das trotzdem erst alles sacken lassen.“

„Das verstehe ich.“

Er legt seinen Arm um mich und küsst meinen Kopf.

„Mir geht es jetzt jedenfalls wesentlich besser als vor der Tour.“

„Das freut mich ja auch ...“

„Erzählst du mir dann jetzt von deiner Offenbarung?“

„Jetzt komm ich mir blöd dabei vor … es war nichts großes. Ich saß hier nur und dachte, Gott zu spüren ...“

„Gott?! Echt jetzt?“

„Mehr so abstrakt … egal ...“

„Du liebäugelst ziemlich mit der Kirche, zur Zeit, hm? Ich hab dich mit dem Priester gesehen...“

„Ist das sehr schlimm für dich?“, frage ich.

„Nein, du bist ja kein Fanatiker. Du suchst halt nach was, so wie ich auch.“

„Und du glaubst, dass du deine Antworten bei Severin findest?“, will ich wissen.

„Ich hör da eine Spitze raus.“

„Sorry. Ich bin eifersüchtig. Aber ich komm schon klar ...“

„Okay … ich glaube jedenfalls nicht, dass Severin alle Antworten hat. Ich glaube nur, dass es mir hilft, mit ihm zusammen zu suchen ...“

„Dir ist klar, dass er kein Therapeut ist?“

„Ja, den Anspruch hat er auch nicht ...“

„Er kommt so ein bisschen Guru-mäßig rüber.“

„David ...“

„Nein, ich verstehe schon, tut mir Leid. Ich meine nur, wir beide, wir haben in den letzten Jahren viel durchgestanden. Und jetzt kommt die Zeit, das alles aufzuarbeiten und das macht uns halt auch empfänglich für manches... und verletzlich.“

„Wir passen aufeinander auf, okay?“

„Ja ...“

„David, ich weiß, es wird an der Eifersucht nicht viel ändern, aber ich hab bei Severin kein Stück an Sex gedacht. Das war es nicht, was ich von ihm wollte.“

„Ich weiß, ich bin auch nicht eifersüchtig auf eure körperliche Nähe. Ich bin eifersüchtig, weil ihr euch … spirituell so nah gekommen seid und ich da außen vor bin … Aber das ist echt nicht dein Problem. Das ist meine eigene Unsicherheit und damit muss ich klar kommen.“

Er küsst mich, und zwar auf die gleiche Art wie gestern Nacht.

„Bett?“, fragt er atemlos.

Ich schaue auf die Uhr. Mit Glück haben wir noch eine halbe Stunde, bevor die Kinder munter werden.

„Komm.“

Es ist fast acht, als die Kinder aufstehen. Jordan und ich liegen schon längst voll angezogen und bei offener Tür kuschelnd auf dem Bett. Jake ist als erster bei uns. Das ist neu, er steht normalerweise nicht selbst auf, sondern ruft so lange, bis ihn jemand holt.

„Alles Gute zum Geburtstag!“

„Ich bin jetzt groß!“

„Klaaaaar!“, bestätige ich und kitzle den großen Jake.

Kurz darauf stehen auch April und Cooper am Bett und wollen mitraufen bis alle völlig außer Atem und total überdreht sind. Mum und Dad stehen in der Tür mit zwei großen Geschenken und klopfen vorsichtig an.

„Guten Morgen, ihr zwei Geburtstagskinder...“

„Omaaa! Ich bin drei!“, behauptet April

„Nein, ich bin drei!“, schreit Jake.

„Ja, packt mal aus. Und nachher gibt es dann Kuchen.“

Jeder hat ein großes Set Lego Duplo bekommen, das die zwei mit Coopers Hilfe gleich mal im ganzen Raum verteilen, bevor sie sich über den hübsch dekorierten Kuchen hermachen und dann raus wollen, um einen Spaziergang zu machen. Wir machen also alle zusammen eine große Runde zum See und wieder zurück. Die Kinder scheinen heute Energie ohne Ende zu haben. An einen Mittagsschlaf ist nicht zu denken. Ich bin fast ein bisschen froh, dass mein Vater, meine Großeltern und ich am Nachmittag einen Notartermin haben und die Kinder dann bei Mum und Jordan die restliche Energie abbauen werden.

Ein bisschen kommt es mir vor wie ein Initiationsritus, mit all meinen Vorfahren beim Notar zu sitzen. Meine Großeltern haben alle Unterlagen dabei und halten sich betont zurück, überlassen mir die Gesprächsführung und ich kann alle meine Fragen an den Notar stellen. Nach einer knappen Stunde ist alles unter Dach und Fach. Ich bin jetzt Grundstückseigentümer. Und morgen geht es mit den Verträgen zum Architekten. Es geht was vorwärts. Ich liebe das! Ein Termin jagt den nächsten.

Am Dienstag Vormittag haben Jordan, Nikki und Oliver einen Termin beim Konsulat. Nina hat ihnen einen Ansprechpartner besorgt, der sich um die ganzen bürokratischen Hürden kümmert, wenn man als Amerikaner in Deutschland leben und arbeiten will. Ich schlendere mit den Kindern solange durch den Englischen Garten und lasse sie sich in einem Kindercafé austoben. Dann übernehmen Nikki und Oliver die drei und Jordan und ich machen uns auf den Weg in das Architekturbüro, wo wir Christian treffen werden.

Wir steigen kurz vor halb drei bei der Haltestelle Maxmonument aus, bewundern den imposanten Landtags-Bau, schauen einem Fischer zu, der in der Isar seine Angel auswirft und gehen dann ein Stück zurück in die Maximilianstraße.

„Ist das protzig“, findet Jordan.

„Ja, das ist Münchens beste Adresse. Wenn „Maximilianstraße“ auf deiner Visitenkarte steht, dann hast du es echt geschafft.“

„Aber die Architekten sind cool, meint Christian?“

„Es meinte, dass sie gut sind. Von cool hat er nichts gesagt.“

„Ich weiß nicht, ob ich wirklich mit Leuten zusammenarbeiten will, die es nötig haben, sich hier einzumieten … und wie heißen die?“

„Das Büro heißt von Tiefenbach und unser Ansprechpartner ist Leonhard, Freiherr von Kürthen.“

„Okay, ich bin raus!“

„Jordan“, rolle ich die Augen „Jetzt wart doch erstmal ab, wie die Pläne sind.“

Er macht ein seltsames Geräusch, latscht aber weiter da hin, wo ich ihn hinführe. Na das kann ja interessant werden.

Das Treppenhaus des Gebäudes ist einschüchternd protzig. Ich traue mich kaum, mich am Geländer festzuhalten, das aus weißem Leder besteht. Von den Decken hängen funkelnde Kristall-Leuchter und an den Wänden hängt abstrakte Kunst, die teuer aussieht. Ich nehme Jordans Hand, um zu verhindern, dass er flüchtet.

„Da muss es sein“, erkläre ich und drücke eine schwere weiße Tür im ersten Stock auf.

Wir stehen vor einem großen, elegant aber schlicht gearbeiteten Empfangstresen hinter dem zwei Damen und ein Herr mit Headsets sitzen.

„David Lenz. Ich habe einen Termin bei Freiherrn von Kürthen.“

„Natürlich, Herr Lenz. Bitte hier entlang.“

Wir werden in eine Art Konferenzraum geführt, mit einem großen Kirschholztisch und Bildschirmen an allen vier Wänden, auf denen Kunstwerke dargestellt sind, die alle paar Sekunden wechseln.

„Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten?“, fragt sie.

„Danke, erst mal nichts.“

„Einen Kaffee, bitte“, antwortet Jordan auf deutsch.

„Hey, klasse! Du verstehst immer mehr, hm?“

„Wird schon.“

„Entschuldigung, wir können natürlich auch auf Englisch weiterreden. Freiherr von Kürthen wird gleich bei Ihnen sein. Der Kaffee kommt sofort.“

Ich lege die zusammengerollten Pläne, die Christian mir mitgegeben hat, auf den Tisch und will mein Handy auf lautlos schalten, da sehe ich eine Nachricht von Christian.

„Komme ein paar Minuten zu spät“, lese ich vor.

„Dann sind es wohl erst mal du, ich und der Freiherr“, grinst Jordan und tut so, als würde er ein paar Falten aus seinem Metallica-Shirt streichen.

Schon kommt die Dame mit den Getränken zurück.

„Möchten Sie sonst noch etwas?“, fragt sie auf Englisch.

„Danke, wir sind glücklich und zufrieden“, lächelt Jordan charmant.

Naja, bei diesem Lächeln vergessen die Leute wahrscheinlich schnell, wegen seines Aufzugs irritiert zu sein. Ich würde mich ohne Hemd und Kragen in dieser Umgebung jedenfalls total unwohl fühlen.

Als nach einigen Minuten dann der Freiherr den Raum betritt, wird dieses Gefühl noch verstärkt. Denn der Kerl ist etwa in Jordans Alter, extrem gutaussehend und trägt einen maßgeschneiderten, sandbraunen Anzug, der wirklich alles betont, was betonenswert ist. Die Oberarme, die schmalen Hüften...

Er begrüßt uns mit einem professionell-einnehmenden Händedruck und ich sage:

„Ich bin David Lenz, das ist mein Partner, Jordan Handerson. Können wir Englisch sprechen?“

„Natürlich, kein Problem. Bitte, setzen Sie sich wieder.“

Wir nehmen wieder Platz und er nimmt sich erstmal eine leere Tasse vom Tablett und schenkt sich Kaffee ein.

„Christian Berger hat geschrieben, dass er sich um ein paar Minuten verspätet.“

„Kein Problem, dann fangen wir schon mal ohne ihn an. Sie sind also die Nachbarn vom Paradies?“

„Genau, meine Großeltern haben mir das Grundstück überschrieben. Hier ist das Schriftstück vom Notar. Und der Flurplan müsste in dieser Rolle sein.“

„Ich hab mir das Gelände schon angeschaut. Das Grundstück ist relative problemlos bebaubar. Es ist im Flächennutzungsplan, hat keine Altlasten, ist weit genug vom Flora-Fauna-Habitat und vom Forst entfernt, Abstandsflächen sollten kein Problem sein. Das einzige ist der Emissionsschutz. Aber auch das ist hinzubekommen, da das Grundstück sehr weitläufig ist. Sie haben da ein richtiges Filet-Stück geerbt.“

„Ja, das kann man wohl sagen. Und Sie kennen schon die Entwürfe von Christian?“

„Ja, eine erste Version. Sie möchten das Grundstück teilen, vorne eine Pension, hinten eine Gaststätte mit Veranstaltungssaal und irgendwo dazwischen ein Wohnhaus?“

„Ja, allerdings sind wir inzwischen schon drauf gekommen, dass das Wohnhaus da etwas verloren stehen würde. Und wir würden uns wegen des Lärmschutzes vermutlich ins eigene Fleisch schneiden.“

„Ganz genau. Wenn da ein Wohnhaus steht, gelten für die Gaststätte ganz andere Auflagen.“

„Okay, gibt es dafür eine elegante Lösung?“

„Bestehen Sie auf ein freistehendes Wohnhaus?“

„Eigentlich schon oder Liebling?“, frage ich Jordan.

„Ach, Entschuldigung, ich dachte, Sie seien Geschäftspartner. Dann geht die Frage natürlich an Sie beide.“

„David ist der Spießige von uns beiden. Er wünscht sich das Haus. Ich brauche einfach nur ein Schlafzimmer und ein Musikzimmer, dann bin ich zufrieden.“

„Also könnten Sie sich eine integrierte Lösung vorstellen?“

„Also sowas wie eine Betriebsleiterwohnung in der Gaststätte mit drinnen?“, frage ich nach.

„Genau. Man kann das natürlich baulich trotzdem trennen. Aber die Lärmschutzvorgaben wären dann besser umzusetzen. Und Sie hätten es wahrscheinlich tatsächlich ruhiger, mit dem entsprechenden Baumaterial. Moment, ich skizziere mal was...“

Er holt sich ein großes Blatt und ein Stifte-Etui aus einem Sideboard und beginnt zu zeichnen und gleichzeitig zu erklären:

„Die Zufahrt bleibt hier, daher macht es Sinn, das Gebäude so aufzuteilen, dass hier die Gaststätte ist und dort der private Bereich. Die Gaststätte sollte schon relativ großzügig sein, da ja auch die Pensionsgäste dort bedient werden sollen. Ich würde hier also einen Frühstücksraum vorschlagen, der bis zu 60 Personen bewirten kann. Natürlich kann man den auch Abends für geschlossene Gesellschaften nutzen. Vielleicht kann man ihn sogar mit einer Abtrennung versehen, dann kann man auch kleinere Veranstaltungen da drin machen. Ich denke hier an Verglasungen, eine Art Wintergarten, damit man den Blick auf den Wald genießen kann. Hier muss natürlich der Durchgang zur Küche hin. Das wird das Zentralmodul mit Geschäftsführerbüro, Teamraum, Treppenhaus und Aufzug. Im Keller sind dann Toiletten und Technikräume untergebracht und natürlich auch jede Menge Lagerräume und Kühlräume. Hier im EG ist die Großküche. Anlieferung aus dieser Richtung. Und im nächsten Modul ist dann die Gaststätte. Großzügig, bis zu 150 Leute?“

Ich nicke.

„Hier können Sie innen planen wie Sie möchten, mit Trockenbaulösungen oder wie auch immer. Direkt darüber wird der Veranstaltungssaal sein. Mit separatem Zugang hier hinten und natürlich einem zweitem Rettungsweg durch das Treppenhaus. Mit dem Lift barrierefrei erreichbar. Und über dem Zentralmodul gibt es einen Lastenaufzug und eine Essensausgabe. Und natürlich einen Technikraum. Soweit, so gut?“

„Ja, hört sich nach einem sehr durchdachten, funktionalen Entwurf an. Ich hab nur Sorge, dass die Module von außen zu zusammengewürfelt aussehen ...“

„Der Frühstücksraum wäre ein Glasquader, der in das Gebäude reingeschoben wird. Der Rest des Gebäudes wäre gleich hoch. Außer der Wohntrakt. Der wird niedriger. Aber man kann das gut integrieren. Zum Beispiel indem man die Dachneigung überall gleich macht.“

„Ja, machen Sie mal beim Wohntrakt weiter“, bittet Jordan.

„Wie viel Fläche brauchen Sie?“

„Wir haben bis zu vier Kinder bei uns, und ein Gästezimmer brauchen wir auch.“

„Also sechs Schlafzimmer und zwei Bäder“, stöhnt er.

„Ja...“

„Und mein Musikzimmer nicht vergessen“, grinst Jordan.

„Dann gehen wir da doch in das dritte Vollgeschoss plus Keller“, erklärt er und zeichnet ein Haus mit Spitzdach von der Seite.

„Keller: Musikzimmer, Wäscheraum, Abstellraum. Heizung brauchen wir nicht, das kommt von drüben. EG: Eingang hier, Terrasse hier, offene Küche mit Essbereich und Wohnzimmer. Ein WC und eine großzügige Garderobe hier. Im 1. Stock ein Bad und die vier Kinderzimmer.“

„Kann man da nicht drei drauß machen und dafür Gwen im Keller unterbringen?“, fragt Jordan. „Sie will ja doch immer öfter ihre Ruhe und da finde ich das ganz sinnvoll.“

„Sicher, da ist noch Platz. Und im Dachgeschoss dann Ihr Schlafzimmer mit großem Bad und hier ein Gästezimmer.“

„Ja, das ist ideal.“

„Und wenn wir irgendwann noch ein Baby wollen?“, fragt Jordan.

Ich schaue ihn überrascht an.

„Das ist eine Option für dich?“

„Gerade eigentlich nicht, aber ich will es auch nicht komplett ausschließen ...“

Ich greife nach seiner Hand und kann nicht aufhören zu lächeln, bei der Vorstellung, vielleicht irgendwann ein Neugeborenes zu haben. Zu sehen, wie ein Kind aussieht, das meine Gene hat …

„Man könnte dann schon zwei Kinderzimmer im Keller planen und dafür eine Speisekammer von der Küche abzwacken. Das geht auch nachträglich.“

„Also schicken wir notfalls Cooper auch in den Keller?“, grinst Jordan.

„Naja, wer weiß, wie oft er tatsächlich bei uns ist. Und dann kann er eigentlich auch bei Jake mit ins Zimmer … Letztendlich haben wir hier jetzt aber ein Haus, das einfach nur an die Gaststätte drangebaut ist.“

„Architektonisch: ja. Juristisch: nein.“

„Und wie wird der Lärmschutz da gewährleistet?“

„Spezialziegel und Isolierungen. Das ist hinzukriegen.“

Es klopft und Christian steckt seinen Kopf zur Tür herein.

„Entschuldigt, wir sind zu spät losgekommen ...“

Der Freiherr steht auf und gibt Christian die Hand. Dann kommt Severin herein.

„Sevi!“ macht der Freiherr ehrlich überrascht.

„Leon!“, freut sich Severin und die zwei fallen sich in die Arme.

„Warum sagst du denn nicht, dass du mit kommst?! Oh Mann, wir haben uns bestimmt ...“

„Sechs Jahre nicht mehr gesehen“, hilft ihm Severin aus.

„So lange? Man, ist das schön, dass du da bist!“, sagt der Freiherr und küsst Severin links und rechte überschwänglich auf die Wangen.

Danach ist die Stimmung im Raum eine ganz andere. Leon hat sein Jackett über die Stuhllehne gehangen und sitzt lässig da. Er starrt Severin immer noch ungläubig an.

„Leon und ich kennen uns schon ewig“, erklärt Severin. „Seine Eltern hatten auf unserem Hof Pferde untergestellt. Deshalb waren er und seine Schwester jedes Wochenende auf dem Hof. Da warst du 12 oder so, oder?“

„Ja, und unglaublich in dich verschossen“, grinst er.

„Dann bin ich mit 16 auf ein Internat, danach ins Ausland. Aber irgendwann haben wir uns beim Feiern in München wieder getroffen. Damals warst du mit diesem Kerl mit den orangen Haaren zusammen.“

„Nik.“

„Genau. Und dann hast du mich immer in Prag besucht. Ich weiß noch, das Jahr, in dem du so schlimm Liebeskummer hattest, weil dein Nik nach Australien gegangen ist.“

„Und irgendwann hast du mir Basti vorgestellt. Und dann war es um mich geschehen.“

„Sebastian von Tiefenbach, dem dieses Architekturbüro gehört. Ich hab die zwei damals verkuppelt“, grinst Severin. „Ist Basti heute da?“

„Nein, er ist ein paar Tage in Hessen, wir haben da ein großes Projekt laufen. Jetzt, wo ich wieder da bin, darf er auch mal raus.“

„Leon war das letzte Jahr über in Dänemark, deshalb hat er beim Paradies nicht mitgemischt.“

„Naja, das haben Basti und Christian ja auch allein ganz gut hinbekommen, was man hört.“

„Ach, Christian! Sorry, ich hab dich gar nicht richtig vorgestellt vor lauter Wiedersehensfreude.“

„Schon gut“, grinst Christian. „Seid ihr mit den Plänen gut vorangekommen?“

„Ja, schau gern mal drüber. Hier sind die ersten Skizzen.“

Wir diskutieren noch ein bisschen über die Details, sind uns aber alle recht bald einig, dass es so Sinn macht und gut ist. Der Veranstaltungssaal wird bis zu 200 Leute fassen können und eine Bühne drinnen haben. Das ganze unter einem Spitzdach mit offenen Balken und viel Holz. Und mit Fenstern, die komplett abgedunkelt werden können, für Konzerte und Partys. Jordan ist sehr zufrieden. Nach einer Stunde sind wir also fertig, Leon verspricht, zügig die Pläne für den Bauantrag auszuarbeiten und Severin und er verabschieden sich wieder herzlich. Beim Gehen meint Severin noch zu Jordan:

„Musstest du eigentlich Autogramme geben?“

„Hm?“

„Hat Leon dich erkannt?“

„Äh, nein. Sollte er denn? Ist ja doch ne Weile her …“

„Okay, stopp. Er hat dich echt nicht erkannt? Komm, wir müssen nochmal zurück.“

Christian und ich gehen schon mal nach unten und fachsimpeln über die Erschließungsmöglichkeiten.

„Du hast echt Sachverstand. Du solltest nächstes Jahr für den Gemeinderat kandidieren“, findet er.

Jordan

Severin und ich gehen die Treppe wieder nach oben.

„Zwischen euch sind aber ganz schön die Funken geflogen“, bemerke ich.

Severin bleibt stehen.

„War das so offensichtlich?“

„Ihr hattet was miteinander, oder?“

„Immer mal wieder. Nichts wirklich Ernstes, aber schau dir den Kerl an. Da ist es doch wirklich schwer, nicht sofort dran zu denken, ihm den Designeranzug abzustreifen und dem Freiherrn zu zeigen, wie das gemeine Volk sich vergnügt.“

„Oh, Severin!“, lache ich.

Er grinst zwar auch, wird dann aber ernst:

„Ich musste noch nie im Leben treu sein. Und es fällt mir schwerer als ich dachte.“

„Ich kenn das Gefühl ...“

„Ihr seid exklusiv, oder?“, will er wissen.

„Ja, David ist nicht der Typ für eine offene Beziehung. Er war nicht mal der Typ für bedeutungslosen Sex, selbst als er noch Single war. Aber genau das lieb ich an ihm ja so. Er weiß was er will und er ist zufrieden mit dem, was er hat.“

„Ich bin auch sehr zufrieden mit dem, was ich habe. Aber Leon …“

„Ja, der ist schon echt heiß ...“, grinse ich.

Er steht gerade am Empfangstresen und checkt die weiteren Termine.

„Leon ...“

„Hm? Oh hey, noch mal“, freut er sich. „Habt ihr was vergessen?“

„Ich dachte, ich kann nicht gehen, ohne ein Foto gemacht zu haben.“

„Hä?“

„Von dir und Jordan BONNANO.“

Leons Gesichtszüge entgleisen merklich.

„Fuck!“, macht er, hält sich aber gleich darauf den Mund zu und schaut sich nach allen Seiten um, um sicherzustellen, dass keine Kunden in Hörweite sind.

„D-d-du …“, er lacht: „Ich hab das echt nicht gecheckt.“

Wir reden kurz über die Musik von Summerskin, und darüber, dass ich gerne wieder mehr musikalisches tun würde, aber jetzt erst mal mit Umzug, Kindern und Doktorarbeit beschäftigt bin. Er verspricht, bei seinen Connections in der Münchner Musikbrache zu verbreiten, dass ich ab September hier bin und Aufträge annehme. Und zum Schluss macht Severin noch ein Foto von uns.

„Bist du bei Facebook?“

„Nur mit einem privaten Account.“

„Du solltest dir dringend eine Seite erstellen. Das wird immer wichtiger.“

„Kommt auf die To-Do-Liste.“

Severin und ich stehen wieder im Treppenhaus. Ich schau mich um und rümpfe die Nase.

„Hässlich, nicht? Das Gebäude gehört Bastis Familie. Eine schrullige Tante hat das in den 80ern hergerichtet.“

„Hätte jetzt auch eine alte Tucke gewesen sein können“, lache ich.

„Sollen wir euch eigentlich mit nach Hause nehmen?“

„Wir fahren mit dem Zug. Die Kinder werden von Nikki dort abgeliefert und David will mir noch ein bisschen die Stadt zeigen. Seine alte Nachbarschaft und so. Aber ihr könnt die ganzen Pläne und Mappen mitnehmen, dann müssen wir die nicht durch die ganze Stadt schleppen.

David und Christian stehen vor dem Haus und merken erst mal gar nicht, dass wir kommen, weil sie mal wieder tief in der Planung stecken. So Sachen, die keinen normalen Menschen interessieren, wie zum Beispiel, wo Kanal und Strom verlegt werden soll, finden die beiden offensichtlich höchst unterhaltsam.

Als wir uns verabschiedet haben, machen wir uns per Tram auf den Weg zu Davids alter Wohnung.

„Du, Schatz?“, fragt David und legt seinen Kopf an meine Schulter.

„Ja?“, frage ich.

„War das mit dem Baby dein Ernst?“

Ich seufze und nehme seine Hand in meine:

„Mein Hirn fragt mich, ob ich verrückt geworden bin. Aber wenn ich Carolina und Leo sehe, dann hab ich nicht das Gefühl, dass ich schon total mit dem Thema durch bin … Wie geht es dir dabei?“

„Ich liebe Jake und April. Und ich fühle mich als ihr Vater, wirklich, total. Aber ...“

„Aber die Gene.“

„Ja, die Gene. Eigentlich sollte mir das egal sein. So wie es dir bei Josh und den Zwillingen egal ist, aber ...“

„Aber du willst rausfinden, wie ein Kind so ist, das zur Hälfte deines ist ...“

„Ist das total fies gegenüber den anderen Kindern?“

„Nein, ich versteh das, und sie würden das sicher auch verstehen.“

„Aber noch ist das für mich eigentlich keine dringende Frage“, meint David. „Außer, du sagst, für dich ist es dringend?“, fragt er vorsichtig.

„Nein, ich bin noch nicht weit über den ersten Gedanken hinaus. Kann auch sein, dass ich in zwei Jahren ganz anders darüber denke und mir das überhaupt nicht mehr vorstellen kann ...“

„Und kompliziert wird das außerdem. In Deutschland ist Leihmutterschaft illegal. Kalifornien tickt da ganz anders.“

„Oh, echt? Das war mir nicht bewusst.“

„Ja, ich hab das damals nach dem Abi schon recherchiert … so generell, für die Lebensplanung. Leider hat sich an der Rechtslage nichts geändert...“

„Du und Max, ihr wart euch bei dem Thema nicht einig, oder?“

„Nein. Er hat behauptet, Kinder zu wollen, aber er eher so für die langfristige Planung. Ich wollte am liebsten gleich und sofort ein Kind.“

„Können wir uns einfach versprechen, dass wir uns offen und ehrlich sagen, wenn sich an der Dringlichkeit war ändert? Momentan sehen wir das ja scheinbar beide recht gelassen.“

„Ja, wenn sich daran was ändert, sag ich es dir. Die nächste müssen wir raus.“

Wir schlendern an einer breiten, lauten Straße entlang.

„Das da vorne ist es. Hier haben Max und ich gewohnt. Da im Dachgeschoss. Man sieht unser Schlafzimmerfenster. Mein Vater hat eins tiefer gewohnt und der Herr Kolber, dem das Haus gehört, wohnt im Erdgeschoss. Das gibt’s doch nicht! Da kommt er gerade.“

Ein Stück die Straße runter trägt ein Mann zwei schwere Tüten.

„Herr Kolber!“, ruft David und joggt auf ihn zu, um ihm eine Tüte abzunehmen.

„David Lenz!“, freut er sich und erzählt irgendwas auf Deutsch.

David stellt mich vor, allerdings kann der Kolber wohl nicht viel mehr als „Hello, nice to meet you“ auf Englisch. Wir tragen ihm die Einkäufe rein. Die zwei tauschen wohl aus, was in den letzten Jahren passiert ist. Viel verstehe ich nicht, weil sie sehr bayerisch reden. Nach ein paar Minuten verabschieden wir uns wieder.

Draußen übersetzt David:

„Er wollte wissen, wie es meinem Dad geht und er hat erzählt, dass seine Neffen jetzt oben in der Wohnung leben. Das ist eigentlich schon immer der Plan gewesen. Aber der Ältere der beiden hatte mal eine schwere Kopfverletzung. Scheinbar hat die Familie ihn mit privat finanzierten Rehas und so inzwischen so weit aufgepeppelt, dass er mit seinem Bruder hier selbstständig wohnen kann. Der Kolber hat sich noch ein bisschen über das deutsche Gesundheitssystem aufgeregt. Bevor er sich da reinsteigern konnte, hab ich behauptet, dass wir noch einen Termin haben und los müssen.“

„Okay...“

„Alles gut?“

„Ja, … das hätte bloß auch ich sein können. Der Kerl, der nach einer schweren Kopfverletzung und ewigen Rehas nicht mehr ohne fremde Hilfe leben kann. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich Max überzeugen wollte, seine Mutter im Paradies unterzubringen. Wenn es mir damals so gegangen wäre, dann hätte ich mir auch so ein Zuhause gewünscht, und kein Pflegeheim ...“

David umarmt mich:

„Jetzt versteh ich das. Und du hast Recht. Isa hat es verdient, in einem Zuhause zu leben und nicht in einem Heim. Ich sollte Max da noch mal drauf ansetzen. … Auch wenn das irgendwie schräg ist ...“

„Die besten Sachen sind irgendwie schräg. Schau mich an“, grinse ich.

Er kneift mir in die Wange und grinst:

„Ja, du bist wirklich das Beste und das Schrägste, was mir je passiert ist. Sollen wir dann noch ins Flags zum Abendessen? Noah freut sich sicher, wenn wir ihm vom Architektentermin berichten.“

„Das machen wir.“

David sitzt mir in der Straßenbahn gegenüber und holt eine Mandarine aus seiner Manteltasche. Seit wir hier sind, hat er ständig welche dabei. In Kalifornien, wo die Dinger wachsen, hab ich ihn nie eine essen sehen. Er schält sie ausgiebig, so dass nichts Weißes mehr übrig ist, entsorgt die Schale und beißt genüsslich die Hälfte eines Stücks ab. Dann holt er das Fruchtfleisch mit der Zunge heraus und nuckelt und saugt. Ich sehe ihm dabei zu und kann nicht verhindern mir vorzustellen, wie er das mit mir macht. Er scheint total vertieft und nimmt sich das nächste Stück vor. Wieder das gleiche. Ein Biss, dann die Zunge, dann ganz viel Nuckeln und Saugen. Er bemerkt meinen Blick.

„Was?“

„Darüber kann ich in einer voll besetzen Trambahn nicht reden“ grinse ich.

Er grinst und leckt sich die Finger ab, bevor er das nächste Stück abreißt und noch ein klein wenig intensiver nuckelt und leckt. Ich überlege ernsthaft, wo wir jetzt sofort hingehen können, damit er das mit mir machen kann, statt mit der Mandarine. Er zieht eine Augenbraue nach oben und lächelt fies. Die letzten zwei Stücke steckt er sich einfach in den Mund und sagt:

„Hier müssen wir raus.“

Ich trotte gefügig hinter ihm her. Die Tram hält fast direkt vor dem Flags.

„Wo geht es denn hier lang?“, will ich wissen und deute auf eine schmale Gasse zwischen zwei Gebäuden.

„Zum Hintereingang“, grinst er und denkt offensichtlich, was ich denke.

Wir verschwinden zwischen den Häusern und sind ziemlich schnell in einer Nische von allen Blicken verborgen. Ich küsse David und schmecke diese verfluchte Mandarine, mit der er mich dermaßen um den Verstand gebracht hat. Ich nuckle an seiner Zunge, er drückt mich gegen die Wand hinter mir und drängt sich gegen mich. Mit einer Hand macht er meine Hose auf, die andere schiebt er unter meine Jacke und berührt meine Brustwarzen. Er schiebt das Shirt so weit nach oben, dass er sie sehen kann. Dass er sie küssen kann. Er saugt und nuckelt und umkreist sie und macht mich total irre damit.

„Willst du, dass ich dir einen blase?“, japst er.

„Ja“, keuche ich. „Dringend.“

„Zeig mir, wie du es willst“, raunt er mir zu und steckt mir zwei Finger in den Mund, die nach Mandarine schmecken.

Ich mag diese neue Seite an ihm. Er gibt den Ton an. Ich lecke und sauge und nuckle und nehme seine Finger bis zum Anschlag in den Mund. Er tut das alles gleichzeitig mit meinem Schwanz. Irgendwann lecke ich nicht mehr, sondern er hält mir mit der flachen Hand den Mund zu, ich kann nicht mehr still bleiben, egal wer mich hört. Ich spüre, dass ihn das anmacht. David hält mich fest. Er hat mich tief im Mund. Ich muss jetzt schreien, ich muss jetzt kommen. Sonst zerreißt es mich. Ich denke an Severins Tipp und unterdrücke den Schrei und aus versehen auch das Kommen. Irgendwie zumindest. Jeder einzelne meiner Muskeln spannt sich an, mein Körper bebt. Ich hab noch nie im Leben was vergleichbares gefühlt. Ich vibriere, werde ganz still, spüre die Wellen durch meinen Körper gehen, pures Vergnügen durchströmt mich. Es hört nicht auf, das Gefühl bleibt unglaublich lange. Bis sich alle Muskeln gleichzeitig entspannen und die gesamte Oberfläche meiner Haut kribbelt. Meine Beine geben nach, ich muss mich hinsetzen.

„Jordan....?“

„Nicht anfassen, ich ...“

Ich kann nicht weiterreden. Muss atmen, muss das Kribbeln genießen.

„Oh Fuck“, mache ich, als ich wieder reden kann. „Das war … das war wie ein Schuss. Das war wie das Paradies auf Erden. Das war total unglaublich.“

„Also geht’s dir gut?“, will David wissen.

„Mir ging es noch nie besser, glaub ich“, sage ich und schmiege mich an ihn.

„Was war das?“

„Ich hab keinen Schimmer. Meine Hände zittern immer noch. Und meine Beine sind wie Pudding.“

David küsst mich vorsichtig. Ich schmecke Mandarinen und ich schmecke mich.

„Ich liebe dich“, wispere ich.

„Und ich liebe es, dich um den Verstand zu bringen“, sagt er und schaut mir dabei fest in die Augen: „Ich entdecke gerade, dass es ziemlich cool ist, der zu sein, der sagt wo es lang geht, ohne falsche Scham.“

„Ich mag das“, grinse ich.

„Ja, das war unschwer zu erkennen“, lacht er.

„Ich glaub, ich kann ab sofort keine Mandarinen mehr riechen, ohne einen Ständer zu kriegen“, grinse ich. „Und jetzt hab ich Hunger.“

„Machen deine Beine wieder mit?“

„Ja, geht wieder.“

David erzählt Noah alles, was es neues über die Pläne zu erzählen gibt, während ich nicht ein, sondern zwei Pizzabaguettes verschlinge und währenddessen Davids Hand auf meinem Oberschenkel spüre. Noah räumt kurz den Tisch ab. Davids Hand rutscht höher und höher. Er beugt sich zu mir:

„Heute Abend revanchierst du dich, ja?“

„Ich kann es kaum erwarten“, antworte ich und ziehe seine zweite Hand, die auf dem Tisch gelegen hat, an meinen Mund. Ich beiße ihm kurz in die Fingerspitze und küsse dann galant seinen Handrücken.

Die Hand unter dem Tisch umfasst kurz meinen Schritt, zieht sich dann aber zurück. Ich ziehe David zu mir und küsse ihn. Ein bisschen will ich nämlich schon auch noch sagen, wo es lang geht.

Die Rückfahrt im Zug verbringen wir händchenhaltend und uns tief in die Augen schauend. Mein Herz pocht die ganze Zeit über bis zum Hals. Davids Hand in meiner ist warm und weich. Unsere Finger sind ineinander verspreizt, so als würden sie sich nie wieder loslassen wollen. Er legt seinen Kopf an meine Schulter und ich stecke mein Gesicht in seine Locken, sauge den Geruch ein. Ich genieße die Verliebtheit. Gleichzeitig bin ich etwas wehmütig, weil ich weiß, dass es das letzte Mal sein wird, dass ich mich frisch verliebe. Ich weiß, dass ich nie wieder einen ersten Kuss mit jemandem erleben werde. Dass ich nie wieder ein erstes Mal mit einem Menschen teilen werde. David wird der Einzige und der Letzte sein, den ich küsse. Er wird der Einzige und der Letzte sein, mit dem ich schlafe.

Was auch immer kommen wird. Das ist sicher.

Weiter geht es mit Summer in Paradise - Band 2

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