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Summer in Paradise - Band 2
Teil 4
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Informationen
- Story: Summer in Paradise - Band 2
- Autor: ID
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Drama, Lovestory
Inhaltsverzeichnis
David
Max sitzt im Auto und versucht, uns Privatsphäre zu geben. Ich winke ihn heraus.
„Danke, dass du mich durch die Gegend kutschiert hast ...“
„Absolut kein Problem, David.“
„Sorry“, murmelt Jordan. „Für's blöd anmachen ...“
„Ist okay ...“
„Mein Zeug liegt immer noch drinnen ...“, sagt Jordan vorsichtig.
„Dann gehen wir es holen.“
„Aber Severin ...“
„Dem kommen wir nicht auf Dauer aus. Also klären wir das besser gleich.“
„Willst du nicht nochmal … drüber nachdenken?“, fragt Jordan vorsichtig.
„Nein, das Paradies wird unser Zuhause. Und Severin gehört dazu. Ich vertraue dir. Ich weiß, sowas passiert nicht noch einmal.“
„Es war auch nicht … heimtückisch von ihm oder so. Einfach völlig ohne nachzudenken. Er war selbst sehr erschrocken drüber. … Er … er ist noch nicht dran gewohnt, dass er nicht ...“
„Jeden ficken kann, der ihm vor die Linse springt, so wie der Rest von seinen Kumpels?“
„Genau ...“
„Ich möchte echt nicht mit Christian tauschen...“
„Ich auch nicht.“
„Bist du schon so weit?“, frage ich Jordan und rubble seine Schultern.
„Ja ...“
Wir gehen zusammen mit Max zurück zur Gruppe. Musik läuft inzwischen keine mehr und Severin ist verschwunden. Klara, Paul und Susa schauen etwas betreten drein.
„Hey, schaut nicht so … alles gut. Wir konnten das klären“, sage ich.
„Okay …?“
„Können wir die peinliche Stille bitte überspringen? Wo ist Severin?“, will ich wissen.
„Basti und er sind reingegangen. Keine Ahnung, wohin...“
„Vielleicht sollten wir einfach fahren?“, fragt Jordan.
„Nein, du brauchst deine Sachen und ich brauch das geklärt.“
„Trotzdem, vielleicht sollten wir alle erst mal eine Nacht drüber schlafen und überlegen, wie es weitergeht ...“
„Jordan, ich lass mir von der Nummer nicht meinen Traum vermiesen. Es ist ganz klar, wie es weitergeht. Nämlich genau wie geplant.“
„Kannst du das wirklich durchziehen?“, fragt meine Schwester. „Ich meine, du hast gesehen, wie es hier abgeht … Hier scheint es völlig normal zu sein, dass jeder mit jedem poppt.“
„Ach quatsch“, wirft Susa ein. „Hier poppt keiner mit keinem. Das war die alte Clique von Severin. Die sind ja sonst nicht hier. Hier leben Familien. Ich meine, glaubt ihr, ich würde mit meinem Kind hier wohnen, wenn Orgien gefeiert werden würden?“
„Ruft Severin doch einfach mal an“, schlägt Paul vor.
Er geht auch tatsächlich dran und verrät uns, dass Basti und er im Büro sitzen. Jordan und ich machen uns auf den Weg dorthin.
„David, es liegt jetzt echt ganz in deiner Hand“, sagt Jordan, bevor ich an die Tür klopfe. „Wenn du willst, dass Severin aus unserem Leben verschwindet, dann ...“
„Hey, wir schmeißen doch nicht einfach Leute aus unserem Leben, nur weil sie einen Fehler gemacht haben. Das sieht dir überhaupt nicht ähnlich.“
„Ich will nur auf keinen Fall, dass irgendwas oder irgendwer zwischen uns steht. Ich kann dich nicht verlieren. Sonst sterbe ich. Das weiß ich ganz sicher.“
„Jordan ...“ Ich nehme ihn in den Arm. „Du bist gerade nicht ganz du selbst. Du bist verletzlich und ängstlich. Aber ich geh nicht weg. Versprochen. Niemals.“
„Selbst wenn ich einen großen Fehler mache? Irgendwann?“
„Selbst dann nicht. Was jetzt kein Freifahrtschein sein soll...“
„Nein, das ist mir klar. Aber es tut trotzdem gut, das zu hören. Wenn ich mir selbst schon nicht trauen kann, dann vertraue ich auf dein Versprechen.“
Ich küsse ihn. Dann klopfe ich an.
„Kommt rein!“
Severin und Basti sitzen an einem der Schreibtische und schauen aus als wäre jemand gestorben. Severin ist fix und fertig, das sieht man ihm an.
„Ich hab so eine Riesen-Scheiße gebaut … Es tut mir so unendlich Leid, David. Und Jordan, es tut mir Leid, dass ich so ein beschissener Freund bin. Und dass ich dann nicht mal den Mund halten konnte ...“
„Severin, kannst du versprechen, dass das nie wieder vorkommt?“, frage ich.
„Hoch und heilig. Das passiert mir nie wieder. Das war die schlimmste Nacht seit langem. Neben Christian zu liegen mit diesem Geheimnis zwischen uns … ich hab mich so beschissen gefühlt. David, wir kennen uns noch nicht besonders gut. Und falls das jetzt dein Vertrauen in mich – in dieses Projekt zu stark erschüttert hat ...“
„Du bist nur ein Mensch. So wie wir alle. Du machst Fehler und du kannst nicht mehr tun, als dich für sie zu entschuldigen. Und zu versuchen, sie wieder gut zu machen.“
„Das würde ich gern versuchen. Aber ich weiß nicht, wie ...“
„Hast du schon. Du hast mir glaubhaft versichert, dass das nie mehr passiert. Ich glaub dir das. Zwischen uns ist alles in Ordnung. Allerdings möchte ich nicht in deiner Haut stecken, wenn du Christian davon erzählst ...“
„Er wird so enttäuscht sein. Zurecht. Jordan … können wir … ist zwischen uns alles gut?“
Jordan schnauft: „Ich weiß nicht, Severin. Ich kann das jetzt noch nicht sagen.“
Überrascht schaue ich Jordan an. Er meint das ernst. Er kann Severin das nicht so einfach verzeihen. Severin steht da wie ein geprügelter Hund, lässt die Schultern tief nach unten hängen:
„Verstehe... nimm dir Zeit.“
Wir verabschieden uns von Max und den anderen und laden Jordans Zeug ins Auto. Klara verabschiedet sich von ihrem Punk und fährt mit uns nach Hause.
„Was für ein Tag ...“, schnauft sie.
„Ich will jetzt einfach nur mit den Kindern Mittagsschlaf machen“, seufzt Jordan.
„Gute Idee“, gähne ich.
Meine Eltern schauen etwas seltsam, als wir mit Bierfahne und Augenringen nach Hause kommen. Vor allem Klara, die ja die Nacht nicht zu Hause verbracht hat, wird beäugt. Jordan und ich ziehen uns schnell nach oben zurück und überlassen die Arme den Eltern.
Jordan wirft seine Klamotten von sich, wäscht sein Gesicht und spült sich den Mund aus. Dann legt er sich in mein Bett und hebt die Decke für mich hoch.
„Kommst du?“
„Klar.“
Ich schmiege mich an ihn:
„Schlaf gut.“
Jordan
Ich halte den schlafenden David im Arm und versuche, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Mein Bauch kribbelt vor Angst und mein Brustkorb ist wie zugeschnürt. Das Bier hat mich eine Weile entspannt, aber diese Wirkung lässt jetzt deutlich nach. Meine Gedanken rasen. Er wird mich verlassen. Wenn nicht heute, dann morgen. Vielleicht bleibt er auch und ich mache ihn kaputt. Zermürbe ihn mit meinen Dramen und Neurosen, bis er nicht mehr glücklich ist. Bis er sich auch umbringt. Oder vielleicht wird er auch versuchen, mich umzubringen, damit das alles endlich ein Ende hat. Meinem Kopf ist klar, dass ich völlig übertreibe. Trotzdem frage ich mich ...“Aber was wenn doch?“ Mein Körper reagiert auf diese Gedanken, diese Zweifel mit immer größer werdender Angst. Ich will, dass dieses Gefühl aufhört. Aber wie? Atmen und Achtsamkeit habe ich versucht, ohne Erfolg. Ich kann nicht mehr liegen bleiben. Vorsichtig stehe ich auf, ohne David zu wecken. Unten höre ich Gert und Mona reden. Da kann ich nicht hin. Ich gehe ins Bad und schaue in den Spiegel. Meine Pupillen sind vor Angst geweitet. Ich bin aschfahl. Ich klappe den Spiegelschrank auf, ohne Ziel, ohne darüber nachzudenken, warum. Da sehe ich sie. Ersatzklingen für den altmodischen Rasierer von Gert. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich mit 15 oder 16 regelmäßig das Gefühl hatte, nichts mehr empfinden zu können. Und wenn ich doch etwas empfand, dann war es zu viel. In beiden Fällen haben die Schnitte mich geerdet. Mir geholfen, etwas zu fühlen, das normal war. Ob das heute auch noch funktionieren würde? Ich schüttle die kleine Karton-Verpackung. Da sind noch ein paar Klingen drin, ich öffne langsam die Verpackung und schaue die Metallklingen an. Erschrocken lege ich sie zurück in den Schrank und schlage die Tür zu. Ich brauche Hilfe. Deshalb hole ich mein Handy aus der Tasche und google. Erst „Angstzustände Selbsthilfe“, dann stelle ich aber fest, dass ich das alles schon erfolglos versucht habe. Also google ich „Therapeut München Eugen“ und komme auf die Homepage von Eugen Hassfurthner. Ich klicke das Bild an. Das ist also der Lover von Severins Frau. Gütige Augen, das fällt mir als erstes an ihm auf. Es gibt eine Handy-Nummer. Ich wähle, verwähle mich mit zittrigen Händen und versuche es noch einmal. Nach dem zweiten Klingeln höre ich:
„Hassfurthner.“
„Hallo … ich … ich hoffe es ist okay, dass ich anrufe. Ich hab die Nummer gegoogelt.“
„Sicher. Wie kann ich helfen?“
„Ich, … mein Name ist Jordan. Severin meinte, du bist gut in deinem Job.“
„Hallo Jordan … Gerade eben klingst du, als würde es dir nicht gut gehen …?“
„Deshalb rufe ich an. Ich krieg die Angst nicht mehr los. Normalerweise sind es nur kurze Momente, vielleicht mal drei Minuten. Aber jetzt geht das seit … Stunden. Ich weiß nicht, was ich machen soll ...“
„Nimmst du Medikamente?“
„Ja.“ Ich zähle ihm die drei verschiedenen Präparate auf und die Dosen.
„Seit wann nimmst du das alles?“
„Seit Oktober.“
„Okay. Gab es einen Auslöser für die Angst?“
„Ja, einen Streit … und seitdem hab ich Gedanken … Ängste … überzogenes Zeug, aber mit einem Funken Wahrheit.“
„Ich verstehe. Wo bist du gerade?“
„Im Bad.“
„Perfekt. Ich möchte, dass du eine Dusche nimmst. Und zwar so kalt, wie du es gerade noch aushältst. Nicht nur kurz, sondern mindestens eine Minute lang. Ich bleibe so lange am Telefon.“
Ich sperre die Tür ab, ziehe mich aus und stelle mich unter die Dusche, kann nur mit Mühe einen spitzen Schrei unterdrücken. Ist das kalt! Ich zwinge mich, unter dem kalten Strahl stehen zu bleiben und bis 30 zu zählen. Dann nochmal bis 30. Irgendwann passiert etwas merkwürdiges: Mir wird warm. Von innen heraus warm. Außen schlottere ich, aber mein Bauch und meine Brust sind von Wärme geflutet. So gut habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich wickle mich in ein warmes, flauschiges Handtuch ein und nehme das Handy wieder ans Ohr.
„Eugen?“
„Ich bin dran.“
„Das hat geholfen. Danke.“
„Das freut mich. Hör zu, ich hab grad mal meinen Kalender gecheckt. Mein nächster Patient kommt erst um 18 Uhr. Ich würde dich gern sehen ...“
„Mach dir keine Umstände, ich ...“
„Das macht keine Umstände. Ich staube bei Severin dafür ein Abendessen ab. Wäre es okay, wenn wir uns in einer Stunde im Paradies treffen?“
„Ja, das passt gut. Danke, Eugen.“
„Gern. Ach und: Bringst du bitte deine Medikamente inklusive Packungsbeilage mit?“
„Okay ...“
Ich trockne mich ab, ziehe mich an und lege mich wieder zu David. Er nimmt mich in den Arm und lächelt im Halbschlaf. Ich habe solche Angst, ihn zu verlieren. Es macht mich ganz irre.
Nach einer halben Stunde stupse ich ihn an.
„David?“
„Hm?“
„Ich muss los. Ich hab einen Termin im Paradies.“
„Hm? Warum weiß ich davon nichts?“
„Hat sich eben erst ergeben. Ich treffe Eugen.“
„Den Lover von Severins Frau?“
„Ja...“
„Warum?“
„Er ist Therapeut. Und ich brauch grad einen Therapeuten.“
David setzt sich auf:
„So schlimm?“
Ich nicke: „Ich muss was tun.“
Er nimmt mich in den Arm.
„Soll ich mitkommen?“
„Mir wäre es lieber, wenn ich das allein tun könnte. Außer es ist für dich ein Problem, wegen Severin …?“
„Nein. Tu, was du tun musst.“
„Ich liebe dich so sehr, David.“
„Ich liebe dich mehr“, grinst er.
Mona leiht mir ihr Auto, so dass ich kurz vor vier im Paradies ankomme. Eugen steigt gerade aus einem alten Volvo. Ich erkenne ihn sofort von seinem Foto. Mitte 40, gütige Augen, hellbraunes Jackett.
„Hey, ich bin Jordan.“
„Eugen. Schön, dich kennenzulernen.“
Er schüttelt mir herzlich die Hand.
„Ich hab vorhin mit Severin telefoniert, um uns einen Raum zu reservieren. Dabei hat er mir von gestern erzählt.“
„Okay ...“
„Jordan, ich schlafe mit Severin. Ich kann auf keinen Fall dein Therapeut werden.“
„Ja, das war mir klar. Ich brauch nur kurzfristig jemanden... ab September such ich mir jemand anderen.“
„Nein, ich kann auch heute nicht als Therapeut mit dir reden. Das verbietet meine Berufsethik. Ich hab nicht den nötigen Abstand … aber ich kann dir trotzdem helfen. Ich hab mit einem Psychiater Rücksprache gehalten. Und er teilt meine Einschätzung. Wenn du trotz deiner Medikamente so starke Symptome hast, dann wirken sie nicht, wie sie sollen. Er empfiehlt, auf das hier umzusteigen und als Ergänzung Tavor.“
Er reicht mir einen Zettel mit einem komplizierten Namen drauf.
„Okay. Aber Tavor geht nicht. Ich nehme keine Beruhigungsmittel. Ich neige dazu, schnell abhängig zu werden.“
„Hast du eine Vergangenheit damit?“
„Opioide.“
„Dann gibt es für dich wohl keine schnelle Hilfe gegen die Angst...“
„Bier hilft ein bisschen...“
Er schaut mich besorgt an:
„Du trinkst Alkohol?“
„Ja. Schon immer, auch gleich nach den Entzügen. Alkohol war bisher nicht mein Problem und hat auch nicht dazu geführt, dass ich Scheiß baue ...“
„Aber jetzt hört es sich nach Selbst-Medikation an.“
„Ist mir bewusst. Aber ich hab keine Alternative ...“
„Doch. Du hast viele Möglichkeiten, dir selbst zu helfen. Angefangen bei den Sachen, die dich schnell aus der Angst-Spirale holen können: Kalt Duschen, rennen, Sex. Und Dinge, die dein vegetatives Nervensystem beruhigen. Entspannungsübungen, Sport, viel Schlaf. Du kommst da auch ohne beruhigende Medikamente wieder raus. Es ist nur anstrengender.“
„Ich muss reden. Ich muss durchsteigen, was genau mich triggert. Ich muss den Grund rausfinden, warum mich das gerade jetzt trifft.“
„Meistens gibt es zwei Gründe. Das eine sind die Dinge, die passieren. Das andere ist die Verfassung, in der du gerade bist. Deine Grenze des Ertragbaren ist nicht immer gleich. An den Dingen kannst du nichts ändern. Aber du kannst dich stärken.“
„Es ist ja nicht so, dass ich das nicht versuche … ich geh Zuhause zwei Mal die Woche in Therapie, genau so oft in eine Suchtgruppe, ich mache jeden Tag Sport ...“
„Zuhause, okay. Aber jetzt bist du hier. Hast du hier auf dich geachtet?“
„Nein, hier stand zu viel an ...“
Er nickt verständnisvoll, aber auch ein wenig vorwurfsvoll.
„Ich weiß, ich hab mich übernommen ...“, gebe ich zu.
„Vielleicht solltest du Zuhause überlegen, dir ein paar Wochen zu nehmen, um runterzukommen.“
„In einer Klinik?“
„Hier in Deutschland würde ich dir eine Kur verordnen. Aber ich hab keine Ahnung, ob das amerikanische Gesundheitssystem das hergibt... Jedenfalls solltest du versuchen, dein Nervensystem wieder zu beruhigen. Dann wird es dir bedeutend besser gehen.“
„Das wird aber nichts an dieser Scheiß Angst vor dem Verlassenwerden ändern.“
„Nein, aber du wirst besser mit ihr umgehen können. Versprochen. Für den Rest braucht es eine Psychoanalyse...“
„Ich seh mich eher so als Verhaltenstherapie-Typ.“
„Ja“, nickt er. „Und wie lange machst du das jetzt schon?“
„Seit ich 17 bin, immer mal wieder.“
„Vielleicht ist es mal Zeit für was Neues?“, grinst er.
„Aber die Couch...?“
„Das ist nur eine von vielen Methoden. In der modernen Psychoanlayse hat sich einiges getan. Es ist auch nicht mehr immer die Mutter schuld“, grinst er.
Er ist mir sehr sympathisch, mit dem verwegenen Lächeln, den sanften Augen und den grauen Schläfen. Deshalb frage ich:
„Na gut, kannst du mir da ab September jemanden empfehlen?“
„Ich ruf mal zwei, drei Kolleginnen an.“
„Danke. … Also dann werd ich mal wieder ...“
„Willst du mit mir Abendessen? In der Gaststätte, nicht im Paradies. Du kannst also Severin meiden, wenn du es drauf anlegst ...“
„Ich will ihn auf Dauer nicht meiden. Nur vorerst … und ist es für Abendessen nicht noch etwas früh?“
„Ich nutze die Sitzungspausen um auf Vorrat zu essen“, grinst er. „Und ich würde mich über Gesellschaft freuen.“
„Okay, dann ist das wohl das Mindeste, wenn ich dich schon extra von München hier rauskommen lasse.“
„Ich bin sowieso viel zu selten hier. Severin und du steht euch nahe, ich nehme also an, du kennst unsere Beziehung?“
„Ich weiß, dass du mit Severins Frau zusammen bist. Zumindest wann auch immer sie hier ist. Und nachdem du gesagt hast, dass du auch mit ihm schläfst, nehm ich an, dass ihr da irgendwie zu dritt im Bett seid. Allerdings war mir das neu … Aber das ist jetzt vielleicht nicht das richtige Gesprächsthema für den Parkplatz.“
„Die meisten meiner Gesprächsthemen sind nicht grad Parkplatz-tauglich. Ich bin kein Fan von Small-Talk.“
„Dann würd ich sagen, gehen wir Essen, hm?“, schlage ich vor.
Wir setzen uns in die Gaststube, in der nur ein paar vereinzelte Leute über einem Getränk sitzen und sich unterhalten. In einer Ecke sitzt eine Gruppe junger Mütter mit Kinderwägen. Eine ältere Bedienung kommt gleich zu uns.
„Eugen, griaß di!“
Er antwortet auf deutsch und bestellt wohl was für uns beide.
„Ich hab uns die gemischte Vorspeisenplatte bestellt. Da ist sicher für jeden was dabei.“
„Okay...“
„Hätte ich dich fragen sollen? Entschuldige.“
„Ist gut“, lache ich. „Du bist es wohl gewohnt, den Ton anzugeben.“
„Überhaupt nicht. Kennst du Milla schon?“
„Nein, wir sind uns noch nicht begegnet.“
„Sie ist jedenfalls eine Frau, die weiß was sie will und wenig Kompromisse eingeht.“
„Hört sich leicht verbittert an.“
„Vielleicht ein Bisschen. Aber im Wesentlichen überwiegt die Begeisterung für sie. Wenn das nicht so wäre, wäre ich nicht mehr mit ihr zusammen.“
„So leicht ist das aber meistens nicht, oder?“
„Doch, für mich schon. Weil ich in der Praxis jeden Tag sehe, welches Unglück entsteht, wenn zwei Menschen aus den falschen Gründen zusammenbleiben.“
„Okay, also um es jetzt mal auf die Reihe zu kriegen: Milla und Severin sind seit Ewigkeiten verheiratet, aber immer offen für andere gewesen. Irgendwann kamst du dann dazu … und seitdem seid ihr zu dritt in der Beziehung?“
„Hm, etwas komplizierter ist es schon. Ich hab Milla im Studium kennengelernt. Wir hatten zwei Jahre lang eine Beziehung. Dann ist sie nach dem Abschluss auf Weltreise gegangen und hat in Indien Severin kennengelernt. Er ist wesentlich jünger als wir. Damals war er gerade 18 geworden. Sie haben die restliche Reise zusammen gemacht. Ich bin in der Zeit nach München gezogen um meine Therapeuten-Ausbildung zu beginnen. Milla hat sich für eine Ausbildung in Prag entschieden.“
„Ach, dich gab es zuerst! Das war mir nicht bewusst.“
„Ja, ... Severin ist ihr nach Prag gefolgt, ich nicht. Das war der entscheidende Punkt. Die beiden haben sehr schnell Kassandra bekommen und haben dann auch geheiratet. Ich hab mir das aus der Ferne angeschaut, war schon bereit, mir ohne Milla was aufzubauen. Da kam sie für eine Fortbildung nach München und hat gefragt, ob sie in der Zeit bei mir schlafen kann. Es war, als wären wir nie getrennt gewesen und uns war beiden klar, dass wir uns nie wieder trennen wollen. Severin hatte damit kein Problem. Ich hab noch nie einen Menschen getroffen, der so sehr liebt ohne Besitzansprüche zu entwickeln. Und das schon in so jungen Jahren. Wir waren uns vom ersten Moment an sympathisch. Obwohl ich versucht hatte, ihn unsympathisch zu finden. Aber wir waren sofort irgendwie verbunden. Auch mit Kassandra, ich hab mich sofort gefühlt, als wäre ich Teil der Familie. Und so ist es dann geblieben. Es gab immer mal wieder andere, die uns ein Stück begleitet haben. Vor allem Severin, aber auch Milla haben immer wieder Männer toll gefunden, keiner von ihnen hat es aber geschafft, wirklich zur Familie zu gehören. Bis Christian letztes Jahr kam... Oh ...“
„Was?“
„Da kommt Severin ...“
„Oh …“
„Soll ich ihm sagen, dass er auf Abstand gehen soll?“
„Nein, das … das ist okay.“
Severin steht etwas verloren neben unserem Tisch.
„Hey … ich … ich wollte kurz … ich wollte nicht ...“
Eugen steht auf und umarmt ihn, gibt ihm einen kurzen Kuss auf den Mund. Fast noch freundschaftlich, aber trotzdem innig.
„Schön, dich zu sehen. Setz dich doch zu uns.“
Severin schaut mich prüfend an. Ich sage:
„Ist okay, ich glaube, je eher wir das tun, umso besser.“
Er nickt und setzt sich neben Eugen. Der legt einladend seinen Arm auf die Lehne der Bank. Severin rutsch zu ihm. Eugen sieht ihn mitfühlend an:
„Dir geht es nicht gut, hm?“
„Ich hab wahnsinnige Schuldgefühle.“
„Warum?“
„Weil ich Jordans Vertrauen missbraucht habe. Ich … ich wusste, wie es ihm gerade geht. Ich hab versucht, ihm zu helfen und gleichzeitig bin ich ihm viel zu nah gekommen. Ich hab zwei Rollen vermischt, die man auf keinen Fall vermischen darf. Und das, obwohl ich es besser weiß. Und obwohl ich es kommen sah … sowas ist mir noch nie passiert. Es tut mir wirklich sehr Leid, Jordan.“
Severin da sitzen zu sehen, der sonst so ruhige und ausgeglichene Severin, der jetzt ganz klein und verloren wirkt. Und warum? Wegen mir. Ich hab das in ihm ausgelöst. Ich habe wieder jemanden kaputt gemacht.
„Jordan, hör auf“, sagt Eugen plötzlich.
Erst da bemerke ich, dass ich an meinen Nägeln kaue. Ich betrachte meinen Daumen, der schon blutig ist.
„Was geht in dir vor?“, fragt Eugen.
„Das ist meine Schuld. Ich hab es schon wieder getan.“
„Was hast du getan?“
„Ich hab jemanden kaputt gemacht, ich … alle die mir zu nah kommen, gehen kaputt. Ich wollte das nicht, ich ...“
„Jordan“, sagt Severin und greift nach meiner Hand. „Schau mich bitte an.“
Ich bemühe mich, das zu tun, auch wenn ich mich so sehr schäme, dass ich mich am liebsten unter dem Tisch verstecken möchte.
„Jordan, ich bin nicht kaputt. Und du bist nicht für das was passiert ist, verantwortlich.“
„Doch, ich hätte mich nicht vor dir umziehen sollen. Ich hätte überhaupt nicht auftreten sollen, ich ...“
„Jordan, nein!“
Severin setzt sich neben mich und schaut mich fest an:
„Du hast nichts falsch gemacht. Ich hab den Fehler gemacht. Es war nicht deine Schuld ...“
„Doch. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich weiß doch, dass sowas immer passiert. Ich hätte dich nie so nah an mich ran lassen dürfen. Alles was ich anfasse, verdirbt.“
„Wer hat dir das gesagt?“, fragt Eugen.
Überrascht schaue ich ihn an.
„Niemand, glaub ich, das ist einfach so.“ Ich denke darüber nach und da fällt es mir ein:
„Meine Großmutter hat das oft gesagt. Im Streit. Sie … sie hatte dabei so viel Abscheu in den Augen ...“
„Wie alt warst du da?“
„Vielleicht 12. Ich weiß nicht genau.“
„Hast du ihr geglaubt?“
Ich nicke.
„Jordan, du bist nicht allmächtig. Du kannst nichts durch Berührung zum Verderben bringen.“
„Das weiß ich doch ...“
„Du kannst auch nicht durch einen Blowjob ein Leben zerstören“, sagt Severin leise.
„Hab ich aber wahrscheinlich.“
„Jordan, du bist nicht übermächtig. Du kannst auch nicht durch einen Blowjob ein ganzes Leben zerstören“, versichert Eugen.
„Du kennst die Hintergründe doch gar nicht.“
„Nein, das weiß ich trotzdem sicher.“
„Und du kannst mich auch nicht zerstören, weil du dich nicht gegen einen Kuss gewehrt hast.“
„Aber ich ...“
„Nein, Jordan. Mein Konflikt kommt nicht daher, dass du so heiß bist oder wir uns nah stehen. Mein Konflikt ist ein anderer. Der nichts mit dir zu tun hat. Du warst nur die Leinwand, auf der ich gemalt habe. Aber das Kunstwerk ist in meinem Kopf entstanden. Verstehst du?“
„Irgendwie schon. Trotzdem ist es doch kein Zufall, dass mir das immer wieder passiert, oder?“
„Was genau passiert dir immer wieder?“, fragt Eugen.
„Menschen geht es gut, bis ich in ihr Leben komme. Und dann geht es ihnen schlecht.“
„An wen denkst du dabei?“
„An meinen Mann. An meinen Ex-Freund Xander. An den Priester damals. An meine Eltern ...“
„Deine Eltern?“
„Ja, wenn ich damals nicht gekommen wäre, dann wäre meine Mum sicher auf's College gegangen. Wahrscheinlich hätten die Beiden sogar geheiratet. Vielleicht hätten sie irgendwann eine glückliche Familie zusammen gegründet. Mum wäre nicht an so viele schlechte Typen geraten, hätte sich nicht mit ihren Eltern gestritten … mein Vater hätte sich seiner Familie nicht beweisen müssen, wäre vielleicht nie in die Firma eingestiegen, hätte nie ins Gefängnis müssen …“
„Und das alles nur, weil ein kleines Baby auf die Welt gekommen ist?“
„Mein Großvater hat gesagt, ich sei die Strafe Gottes für die Sünden meiner Eltern.“
„Wie alt waren deine Eltern bei deiner Geburt?“, fragt Eugen.
„Beide 15.“
Severin schnauft:
„Praktisch noch Kinder. Zwei Teenager bekommen ein Baby. Und für alles was danach passiert, gibt man dem Baby die Schuld? Glaubst du nicht, dass davor schon was nicht gestimmt hat? Ich meine, wir hatten vermutlich alle mit 15 schon Sex. Aber wir haben es doch auch geschafft, dabei keine Babys zu zeugen...“, erklärt Severin.
„Ja, weil wir wussten, dass es Verhütung gibt. Mit meinen Eltern hatte niemand darüber gesprochen ...“
„Was ist mit den Optionen, die jede schwangere Frau hat. Wurde darüber gesprochen?“, will Eugen wissen.
„Natürlich nicht. Beide kommen aus sehr religiösen Familien. Abtreibung ist da absolut keine Option. Adoption im Übrigen auch nicht.“
„Das heißt, diese Kinder wurden nicht aufgeklärt, ihnen wurde keine Wahl gelassen und am Ende war das Baby an allem weiteren Unheil schuld? Jordan, ganz ehrlich. DU bist nicht das Problem in dieser Familie“, findet Severin.
„Aber mich wundert überhaupt nicht, dass du dich schuldig fühlst und dir Verantwortung zuschreibst, wo du keine hast. Das wurde dir sehr früh schon so eingeimpft. Du warst quasi durch deine Geburt schon sündig. Ich kenne viele Kinder aus religiösen Familien, die unehelich geboren wurden und diese vermeintliche Sünde ihr Leben lang mit sich herumtragen. Du bist nicht allein. Und ich bin jetzt noch mehr davon überzeugt, dass du von einer Psychoanalyse profitieren würdest“, meint Eugen.
„Okay … ich glaube, du hast Recht. Kannst du mir für September jemanden besorgen?“
„Ja, ich kümmer mich drum.“
„Danke … Irgendwie war das jetzt ganz schön … anstrengend“, schnaufe ich.
„Ja, weil sich in dir viel bewegt hat“, meint Severin.
„Ja, das trifft es.“
„Ich sollte euch wieder allein lassen … Ich muss jetzt eh weiterarbeiten.“
Er steht auf. Eugen steht sofort neben ihm:
„Warte, ich … ich hab das Gefühl, du bist gerade nicht ganz … orientiert.“
„Schön gesagt“, grinst Severin. „Ich hab keinen Schimmer, wer ich bin, wenn ich nur
Christians Freund bin. Und nicht mehr …. du weißt schon, der ganze Rest...“
„Ich kann meine Abend-Termine absagen und bei dir bleiben ...“
„Und dann? Wo willst du schlafen? Bei Christian und mir? Das geht nicht.“
„Wo schläft Milla, wenn sie hier ist?“
„Bei dir in München. Sie hat noch nicht einmal im Paradies übernachtet.“
„Okay, aber wo … wo schlaft ihr dann miteinander?“
„Wir haben nicht mehr miteinander geschlafen, seit das Paradies steht. Hat sie das nicht erzählt?“
Eugen schüttelt den Kopf:
„Nein. Aber was bedeutet das dann für eure Ehe, ich meine ...“
„Hey, woher soll ich das wissen?“, fragt Severin aggressiver als ich ihn je erlebt habe.
Eugen schaut ihn erstaunt an, dann überlegt er kurz:
„Ich sag meine Termine ab und bleibe hier. Notfalls schlafe ich auf einer der Matten im Meditationszimmer. Aber ich bleibe.“
„Eugen, du machst damit nur alles komplizierter ...“
„Severin, du brauchst grad deine Familie. Milla ist irgendwo in Kanada unterwegs, Kassandra macht ihr Studium. Aber ich bin hier. Ich bin für dich da.“
„Aber Christian ...“
„Christian wusste, worauf er sich einlässt.“
„Aber ...“
„Severin, willst du etwas an unserer Beziehung ändern? Möchtest du ab jetzt monogam leben?“
„Ihr solltet euch erst mal setzen und etwas leiser sprechen“, schlage ich vor.
Die beiden setzen sich wieder mir gegenüber auf die Bank.
„Ich liebe unsere Familie“, seufzt Severin. „Aber ich sehe auch, dass Christian nicht raus kann aus seiner Haut. Ich sehe, dass er sich nicht vorstellen kann, mich mit anderen schlafen zu lassen.“
„Dich mit anderen schlafen zu lassen? Du meinst, du wartest auf seine Erlaubnis?“
„Wenn du das sagst, klingt es anders als wenn er es sagt ...“
„Severin, es geht nur um eine einzige Frage: Was willst du? Triff eine Entscheidung und leb mit den Konsequenzen.“
„Ich will niemanden von euch verletzen ...“
„Natürlich nicht. Aber wenn die Ausgangslage eben die ist, die sie gerade ist, wird es nicht ohne verletzte Herzen gehen.“
„Ich liebe Christian so sehr ...“
„Genug, um für ihn aufzugeben, was wir haben? Was du mit Milla hast?“
„Gerade jetzt vielleicht schon. Aber spricht da nicht die Verliebtheit aus mir? Was, wenn es in ein paar Monaten anders ist? Was, wenn ich meine Familie verliere ...“
„Severin, du wirst uns niemals verlieren. Auch, wenn du nicht mehr mit Milla und mir schläfst. Wir gehören seit fast 20 Jahren zusammen ...“
„Aber Christian, den könnte ich verlieren, wenn ich nichts ändere ...“
„Das ist nicht der richtige Ansatz. Du darfst dich nicht erpressen lassen von der Angst, jemanden zu verlieren. Du musst tun, was DU willst. Willst du weiter mit Milla verheiratet sein?“
„Ja, natürlich, das steht außer Frage. Das haben wir uns geschworen.“
„Aber zu einer Ehe gehört Sex.“
„Unbedingt?“, fragt Severin.
„Ja, unbedingt“, nickt Eugen. „Zumindest zu einer Ehe, die nicht nur eine Zweckgemeinschaft ist, sondern echte Verbundenheit. … Willst du weiterhin unsere Beziehung aufrechterhalten?“, fragt Eugen und man merkt ihm an, dass er Angst vor der Antwort hat.
„Milla gibt es nur im Doppelpack mit dir. Das hat sie klar gemacht ...“
„Nein, das ist nicht ihre Entscheidung. Das ist meine Entscheidung. Und ich frage dich, was du willst.“
Severin atmet hörbar ein. Dann legt er seine Hand auf Eugens. Eugen weicht seinem Blick aus.
„Es würde Christian sehr viel leichter fallen, die offene Ehe zu akzeptieren, wenn es nur um Milla ginge und kein anderer Mann im Spiel wäre ...“
„Das ist sehr nachvollziehbar ...“, findet Eugen und schluckt schwer.
„Und unsere Beziehung war von Anfang an kompliziert … und nicht selbst gewählt.“
Eugen nickt „Ja, wir wurden beide von Milla da rein geworfen.“
„Eugen? Was willst du eigentlich?“, fragt Severin.
Er überlegt:
„Für mich ist mein Leben - so wie es gerade ist – perfekt. Ich will nicht, dass sich etwas ändert ...“
„Aber was willst du … von mir?“
„Severin, ich bin nicht die Art Mensch, der andere vorschreibt, wie sie leben sollen und wie sie entscheiden sollen. Ich will von dir nur, dass du auf dein Herz hörst ...“
„Ich liebe es, dich in meinem Leben zu haben ...“
„Du wirst mich immer in deinem Leben haben, Severin.“
„Scheiße, Eugen. Ich weiß, ich hab dir das noch nie so direkt gesagt, aber … ich liebe dich.“
Eugen ist sichtlich gerührt davon. Er umarmt Severin und hält ihn fest.
„Ich liebe dich“, flüstert er.
„Darf ich dich küssen?“, fragt Severin.
Überrascht schiebt Eugen ihn ein Stück zurück:
„Wir ...das haben wir noch nie getan wenn Milla nicht dabei ist.“
„Ja, aber vielleicht wird es nach 20 Jahren Zeit …?“
Eugen lächelt und zieht Severin zu sich. Die beiden küssen sich so innig und so intensiv, dass ich überlege, mich wegzuschleichen. Dann, nach einer Weile sehen sie sich wieder lächelnd an. Eugen wischt Severin eine Träne von der Wange.
„Wir bleiben zusammen, hm?“, grinst Eugen.
„Wir bleiben zusammen“, nickt Severin.
„Ich will heute Nach bei dir bleiben. Ob mit oder ohne Christian.“
„Ich hab Angst vor diesem Gespräch mit ihm, auch das mit Jordan muss ich ihm heute sagen ...“
„Ich kann dabei sein oder danach für dich da sein.“
Severin nickt:
„Ja, dann … dann muss Christian da heute durch … Wir haben das schon zu lange aufgeschoben. Je länger man es aufschiebt, desto schwieriger wird es.“
„Du wirst die richtigen Worte finden um es ihm zu erklären ...“
„Ich hoffe es … ich muss jetzt wirklich weiterarbeiten. Aber ich freu mich auf die Nacht mit dir.“
„Ich freu mich auch ...“, grinst Eugen.
„Jordan … entschuldige, dass … dass wir das Gespräch gekapert haben … und ich hoffe, wir beide ...“
„Wir kriegen das hin“, verspreche ich.
Überrascht und freudig verabschiedet Severin sich.
Eugen sitzt mir gegenüber und atmet schwer. Mit der linken Hand streicht er sich über die Lippen. Er hängt dem Kuss noch merklich hinterher.
„Alles gut?“, grinse ich.
„Mehr als gut.“
„Warum hast du ihm nicht gleich gesagt, wie sehr du dir wünscht, dass ihr zusammenbleibt?“
„Weil ich keinen Druck auf ihn ausüben wollte. Ich wollte, dass er sich frei entscheiden kann.“
„Wie schaffst du es, nach 20 Jahren noch so verliebt in ihn zu sein?“
„Das ist kompliziert. Vor 20 Jahren war ich nicht in ihn verliebt. Ich bin nicht schwul.“
„Das sah grad aber anders aus.“
„Ja, ist mir klar. Aber es ist halt Fakt. Ich glaub schon, dass Sexualität nicht schwarz oder weiß ist, sondern fließend. Aber mich machen Frauen an. Und Männer nicht. Am Anfang war es schwer für mich, mit Milla und Severin im Bett zu sein. Aber Severin … du kennst ihn ja. Er hat mich geleitet. Er hat mir seinen Körper erklärt und er hat mir meinen Körper erklärt. Er hat mich dazu gebracht, Dinge zu empfinden, von denen ich nicht mal wusste, dass es sie gibt. Körperlich und seelisch. Und über die Jahre hab ich mich dann mehr und mehr in ihn verliebt. Er ist ein sehr besonderer Mensch. Er begeistert mich bei jedem Treffen auf's Neue von sich, von seiner Art mit Menschen verbunden zu sein, und von seiner Art, die Welt zu sehen und zu verändern. Wir sehen uns selten. Aber wenn wir uns sehen, dann ist das sehr intensiv und liebevoll.“
„Hört sich an, als hättet ihr das Rezept für die perfekte Beziehung gefunden, ihr drei ...“
„Ja, aber jetzt sind wir vier... und Christian … mit ihm wird es nicht so leicht sein, die Normen über Bord zu schmeißen und unser Leben selbst zu gestalten ...“
„Du machst dir Sorgen, oder?“
„Jetzt schon weniger als vor einer halben Stunde, weil ich jetzt weiß, wo Severin steht und was er will. Aber ja: Die Familie wird noch durch ein paar stürmische Gewässer schippern müssen ...“
„Familien ...“
„Du hattest heute einen Durchbruch ...“
„Ja, ich hab wieder ein Stück mehr verstanden, was mich bewegt und warum ...“
„Das wolltest du, oder? Wissen, was dich triggert.“
„Ja...“
„Wie geht es deinem Daumen?“
„Hat aufgehört zu bluten.“
„Neigst du dazu, dich selbst zu verletzen?“
„Ja.“
„Hast du schon mal darüber nachgedacht, dich selbst zu töten?“, fragt er und ist plötzlich doch voll und ganz Therapeut.
„Ja, schon oft in meinem Leben.“
„Wann zum letzten Mal?“
„Als mein Mann gestorben ist.“
„Denkst du zur Zeit auch darüber nach, dir selbst wehzutun?“
„Nein … also … nicht ernsthaft. Cutten war früher mein Ding. Und letztens kam mir der Gedanke wieder. Aber eher wie so ein alter Reflex. Nicht ernsthaft ...“
„Wann kam dir dieser Gedanke?“
„Ehrlich gesagt war das vorhin, bevor ich dich angerufen habe. Das war der Moment, in dem ich wusste, dass ich schnell Hilfe brauche.“
„Hattest du schon überlegt, womit du dich schneiden willst?“
„Ich hatte Rasierklingen gefunden.“
„Du hattest sie schon in der Hand?“
Die Bedienung unterbricht uns, indem sie uns eine Antipasti-Platte und viel Weißbrot hinstellt.
„Vielen Dank“, sagen wir beide.
Als sie weg ist, fragt Eugen noch einmal:
„Du hattest Rasierklingen in der Hand?“
„Ja.“
„Jordan … wie viel hat gefehlt?“, fragt er ernst.
Ich bemerke, dass meine Hände zittern.
„Ich möchte nicht mehr darüber reden.“
„Jordan, ich will dir keinen Ärger machen. Ich will dir nur helfen.“
„Ich habe dich angerufen, statt die Klingen zu benutzen. Das ist doch alles was du wissen musst, oder?“
„Konnte ich dir helfen?“
„Ja. Natürlich! Die kalte Dusche, das ist genau das richtige Mittel, um mich aus der Angst zu schleudern. Und der Durchbruch im Gespräch mit dir, das hat alles geholfen.“
„Jordan, du kannst mich jederzeit anrufen, tags oder nachts, wenn du wieder drüber nachdenkst, dich zu verletzen ...“
„Das weiß ich zu schätzen ...“
„Ich kenne dich nicht genug, um einschätzen zu können ...“
„Ob ich losziehe und mir was antue? Ich kenn mich selbst aber gut genug. Ich weiß, dass ich mir immer rechtzeitig Hilfe holen werde. Ich bin auch nie allein. Mein Freund ist da und er würde nicht davor zurückschrecken, notfalls auch den Notruf zu wählen. Tatsächlich hat er das schon mal getan.“
„Warum?“
Ich erzähle ihm von der Zeit, nachdem Dylan gestorben ist, während wir essen.
„Mir war nicht klar, dass der Tod deines Mannes erst letztes Jahr war. Und mir war auch nicht klar, dass du erst so kurz aus einer so schweren Depression raus bist ...“
„Ich seh wieder ein Ziel vor Augen, seit wir uns entschieden haben, hierher zu ziehen. Es geht jeden Tag bergauf, das ist anstrengend, aber gleichzeitig genieße ich es auch.“
„Ich verstehe. Du bist noch ziemlich tief drin, aber die Prognose ist gut ...“
„Genau. Der Tiefpunkt liegt schon lange hinter mir … und wenn ich das überlebt habe, dann schaffe ich den Rest jetzt auch noch.“
„Trotzdem, du versprichst mir, mich anzurufen, ja?“
„Ich verspreche es. Und vielen Dank, dass du dir sofort Zeit genommen hast. Es war wirklich gut und wichtig, dass ich reden konnte. Und auch, dass ich Severin begegnen konnte ...“
„Severin … ich merke gerade, dass ich doch etwas nervös werde ...“
„Weil es dir passieren könnte, dass du armer Hetero heute mit zwei Männern im Bett landest ?“, grinse ich.
„Lach du nur ...“
„Sorry, aber im Ernst: Du und Severin, ihr bekommt das hin... Christian wird begreifen, dass er euch nicht trennen kann, nach so langer Zeit. Und er wird sehen, dass man sein Glück nicht davon abhängig machen sollte, was normal ist ...“
„Weise Worte ...“
„Ich sollte langsam zurück nach Hause … Ich lad dich natürlich ein.“
„Danke“, lächelt er. „Und nicht vergessen:“
„Ja-ha, ich ruf dich an, wenn irgendwas ist. Ich wünsch dir eine erfolgreiche Nacht.“
„Danke“, rollt er die Augen.
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