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Die Sache mit der Bettkante
Teil 3
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Informationen
- Story: Die Sache mit der Bettkante
- Autor: Ike
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Lovestory
Irgendetwas kitzelt mein Gesicht und da ist noch was, das über meine Nase und meine Lippen streicht. Es fühlt sich schön an, also genieße ich noch ein bisschen, bevor ich die Augen öffne.
„Na endlich“, flüstert es über mir. Sehr nah über mir. „Ist das deine Masche? Einfach einschlafen?“
„Ich weiß gar nicht, wovon du redest“, nuschel ich und schlinge meine Arme um Maiks Nacken, um ihn zu mir runter zu ziehen. Er ist so schön kuschelig und nutzt jetzt die Gelegenheit, um meinen Hals zu küssen.
„Wie kann jemand, der so aussieht und sich so verhält wie du eigentlich so süß sein?“, frage ich.
„Willst du mich jetzt etwa auf Äußerlichkeiten reduzieren?“
„Nein, mir gefällt das ganz gut. Aber es ist schon ungewöhnlich.“
Er verschränkt seine Arme auf meiner Brust und stützt sein Kinn darauf, sodass er mich direkt ansehen kann.
„Normalerweise bin ich auch gar nicht so. Und normalerweise wäre ich jetzt schon wieder weg.“
„Normalerweise?“
„Ja, mit anderen.“
Hört sich ganz danach an als wäre ich eine Art Ausnahme für ihn. Und ich möchte gar nicht wissen, warum das so ist.
„Bei dir ist irgendwas anders“, sagt er nachdenklich.
Ich würd ja gerne sagen, dass es mir mit ihm auch anders geht, aber dann will ich es auch wieder nicht. Ich will nicht wieder so einen Ole, der mir erst das Gefühl gibt, dass ich etwas Besonderes bin und dann hinter meinem Rücken anderen genau dasselbe erzählt. Dann lieber so tun als wäre er für mich wie jeder andere auch.
„Aber…“
„Ja, ich weiß schon“, unterbricht er mich. „Du hast dein Leben und ich meins und was anderes will ich ja auch gar nicht.“
Na also, denke ich. Ich hatte recht. Er will nicht mehr und ich demnach auch nicht. Dann hätten wir das ja geklärt.
„Aber solange ich noch hier bin, kannst du mich nicht davon abhalten, dich zu küssen“, sagt er grinsend und tut ebendas dann auch. Ich verdränge das merkwürdige Gefühl, das sich da in meinem Bauch zusammenbraut einfach und vergesse vollkommen, dass ich genau das, was wir hier gerade tun eigentlich nie wieder wollte.
„Du bist so eine Dumpfbacke!“, schimpft Karin in den Telefonhörer. „Und ob du mehr von ihm willst. Denk doch mal nach. Willst du ihn wirklich immer nur mal so zwischendurch sehen und flachlegen und dann zugucken wie er gleich den Nächsten abschleppt?“
„Wir sind nicht zusammen. Er kann machen, was er will genau wie ich.“
„Darf ich dich dann bitte mal daran erinnern, was du vor Kurzem erst gesagt hast? Ganz oder gar nicht. Ich dachte du hättest aus Ole gelernt.“
„Hab ich ja auch. Ich lasse mich nicht mehr verarschen.“
„Na herzlichen Glückwunsch! Nur leider verarschst du dich gerade selber.“
„Was regst du dich so auf?“, frage ich etwas aggressiv.
„Ich rege mich auf, weil du mir einfach nicht glauben willst. Das kann nur schief gehen, weil du dir nicht eingestehen kannst, dass du mehr von ihm willst.“
„Will ich nicht!“
„Dann denk mal darüber nach wie es ist, wenn er dich küsst und warum du so versessen darauf bist. Und wie es ist, wenn er dich anlächelt oder dich berührt. Ich kenne dich gut genug und wenn du jetzt noch nicht genug von ihm hast, dann bist du verdammt noch mal verliebt in ihn.“
„Na und, dann bin ich eben gerne bei ihm, aber das ist nur jetzt so. Deshalb bin ich noch lange nicht verliebt.“
„Du hast auch für alles eine Ausrede, oder?“, schnauft sie.
„Das ist keine Ausrede. Er hat gesagt, dass er nicht mehr will, aber dass er trotzdem gerne bei mir ist. Und so geht es mir auch.“
„Aha“, sagt sie auf einmal in einem ganz anderen Ton. „Du willst unbedingt bei ihm sein, aber weil er gesagt hat, dass es nichts zu bedeuten hat, willst du dir erst gar nicht eingestehen, dass du verliebt bist. Du willst dich da gar nicht erst reinsteigern, wenn er dich sowieso irgendwann fallen lässt, aber du willst auch nicht auf ihn verzichten. Schatzi, das geht so nicht. Du läufst vor deinen Gefühlen weg.“
Ich muss zugeben, dass mich das stutzig macht. Hört sich ganz nach mir an, was sie da sagt, aber es ist nicht so. Ich laufe nicht weg. Ich bin einfach gerne mit ihm zusammen. Und er doch auch mit mir. Das hat er gesagt.
„Bist du noch da?“, fragt Karin.
„Ja.“
„Und? Ist es so? Du willst ihn nicht aufgeben, oder?“
„Nein.“
„Es wäre aber besser.“
„Das kannst du nicht wissen. Er hat gesagt, dass bei mir irgendwas anders ist. Dass er sonst nicht so lange bei jemandem bleibt. Er ist nicht abgehauen, als ich eingeschlafen bin und…“
„Schatzi, das ist ja alles schön und gut“, unterbricht sie mich. „Aber rein theoretisch kann er das jedem erzählen.“
„Und warum ignoriert er mich dann nicht einfach? Warum unterstellst du mir, dass ich verliebt bin, weil ich gerne mit ihm zusammen bin und sagst dann bei ihm, dass es alles nichts zu bedeuten hat?“
„Okay“, sagt sie und holt einmal tief Luft. „Ich bin mir nur in einem sicher. Und zwar, dass du verliebt in ihn bist. Was er will, kann ich nicht sagen, weil ich ihn nicht so gut kenne. Natürlich kann es sein, dass er genauso dämlich ist wie du und einfach nicht sagt, was er wirklich will, aber ich wüsste nicht, warum er das tun sollte. Er wird ja wohl auch gemerkt haben, dass er dir nicht so ganz egal ist, oder? Ich will dir auch gar nichts einreden. Ich will nur, dass du dir eingestehst, was du empfindest.“
Sie hat recht. Ich will mehr von ihm. Natürlich will ich mehr. Ich möchte ihn immer bei mir haben und nicht nur, wenn er gerade mal Lust dazu hat oder wir uns zufällig über den Weg laufen. Und ich will, dass ich der einzige bin, den er so anlächelt und so küsst wie er es gestern getan hat. Aber er will das nicht. Natürlich hat er gemerkt, was für eine Wirkung er auf mich hat. Er wusste, dass ich ihn küssen wollte, bevor ich es wusste. Und er hat trotzdem gesagt, dass er sein Leben so leben will wie er es bisher auch getan hat.
„Und was soll ich jetzt machen?“, frage ich etwas verzweifelt.
„Ach Schatzi, das musst du selber entscheiden. Mach es so wie es für dich am besten ist.“
Ein paar Minuten später haben wir aufgelegt, nachdem ich ihr versichern musste, dass ich nicht böse auf sie bin und sie immer noch lieb habe. Jetzt bin ich zwar ein bisschen schlauer, aber nicht unbedingt glücklicher als vor unserem Telefonat. Ich hab keine Ahnung wie es weiter gehen wird und wie ich mich Maik gegenüber verhalten soll, wenn wir uns das nächste Mal treffen. Ich könnte ihn fragen, aber dann gehe ich das Risiko ein, dass er mich gar nicht mehr sehen will. Sollte ich es dann nicht so lassen wie es jetzt ist? Dann kann ich ihn sehen und bei ihm sein, wenn auch nur eine kurze Zeit. Karin wird das nicht gefallen, aber ich weiß nicht wie ich es sonst machen soll. Ich werde jedenfalls nicht das Risiko eingehen, dass er wie Ole von meinen Gefühlen abgeschreckt wird und ich ihn so verliere.
Am Samstagabend steht Maik vollkommen unerwartet vor meiner Tür. Ich war gerade dabei das dreckige Geschirr abzuspülen, da hat es auf einmal geklingelt.
„Hey“, begrüßt er mich. „Ich hab dich im Club vermisst.“
Ich muss erst mal schlucken. „Ich bin nicht immer da.“
„Ja, hab ich gemerkt. Lässt du mich rein?“
„Oh… ja, klar.“
Er kommt rein, schlüpft lässig aus seinen Schuhen und geht zielstrebig in die Küche.
„Was ist das für Musik?“, fragt er neugierig und schaut auf den Bildschirm meines Laptops.
„Das sind die Three Days Grace. Gefällt nicht jedem.“
„I hate everything about you? Na, ich hoffe ja nicht, dass du das aus einem bestimmten Grund hörst“, sagt er lachend.
„Nee“, antworte ich, obwohl es eigentlich schon ganz gut passt.
„Eigentlich wollte ich dich ja überreden, dass du mit mir ausgehst, aber ich glaub nicht, dass ich das schaffe.“
„Wohl kaum“, entgegne ich lustlos.
„Dann bleibt nur noch eine Möglichkeit.“ Er macht sich wieder an meinem Laptop zu schaffen und kurz darauf höre ich ganz andere Musik. Ich und Ich mit „Einer von zweien“. Ein sehr krasser Unterschied. „Du musst hier mit mir tanzen.“
„Was?“, frage ich und kann mir ein Lachen nicht verkneifen.
Maik grinst allerdings herausfordernd und greift nach meiner Hand. Er zieht mich zu sich, dreht mich einmal um mich selbst und legt dann eine Hand auf meinen Rücken.
„Was soll das denn werden?“, frage ich und werfe einen etwas nervösen Blick aus dem Fenster. Nicht, dass uns dabei noch jemand beobachtet.
„Mal sehen“, sagt er mit einem Schulterzucken und hüpft dann mit mir durch meine kleine Küche. Das ist so bescheuert und verrückt, dass ich aus dem Lachen gar nicht mehr rauskomme. Es ist wohl so etwas wie eine Mischung aus Walzer, Tango und chaotischem Gezappel, das niemand mehr als tanzen bezeichnen würde, aber immerhin sind wir im Takt. Und ich muss zugeben, dass es mir Spaß macht. Zu so einer Peinlichkeit konnte mich bisher noch niemand überreden, aber bei Maik ist ja sowieso alles anderes. Ich fühle mich jedenfalls wie eine zu stark geschüttelte Colaflasche, die schon kurz vorm Platzen ist, denn in mir kribbelt es ganz schön heftig.
Mitten in unserem undefinierbaren Tanz drückt Maik dann plötzlich seine Lippen auf meine und verstärkt den Druck seiner Hand auf meinem Rücken. Ich bin nicht besonders überrascht, sondern eher froh, dass er mich küsst. Lange hätte ich es nämlich wahrscheinlich nicht mehr so nahe bei ihm ausgehalten, ohne ihn zu küssen.
Wir schnaufen beide ziemlich von der Hüpferei, lassen uns dadurch aber nicht davon abhalten, an unseren Klamotten zu zerren und so eine Kleidungsspur bis zu meinem Bett zu legen. Jetzt weiß ich auch wie wörtlich die Bezeichnung „über jemanden herfallen“ wirklich sein kann. Denn genau das passiert hier gerade. Nicht mal eine klitzekleine Sekunde können wir die Finger voneinander lassen, sondern pressen uns immer noch enger aneinander und geben uns erst gar keine Mühe, die dabei entstehenden Geräusche zu unterdrücken. Das läuft alles automatisch und vollkommen unkontrollierbar und ist genauso schnell zu Ende wie es angefangen hat. Ich liege mit meinem Kopf auf Maiks Brust und höre zu wie sich sein Herzschlag langsam wieder beruhigt. Seine Finger spielen mit meinen Haaren, während die Musik in der Küche immer noch weiter läuft. Der Akku von meinem Laptop ist bestimmt bald leer. Dann muss ich wenigstens nicht aufstehen, um ihn runterzufahren. Ich muss jetzt erst mal mich runterfahren, damit ich mir bloß nichts auf diese Situation einbilde. Aber ich bin auf einmal so müde, dass ich mich gar nicht mehr bewegen will. Da wird mir das Abschalten nicht schwer fallen. Maiks Finger werden auch schon langsamer und ich höre ihn noch irgendwas Unverständliches murmeln, bevor ich ganz eingeschlafen bin.
Maik schläft noch, als ich am nächsten Morgen aufwache. Ich denke zuerst, dass das ein ganz ganz verrückter Traum ist, aber als ich meine Hand ausstrecke und nicht ins Leere greife, wird mir klar, dass das hier wirklich passiert. Oder besser passiert ist. Er ist hier geblieben. Bei mir. Die ganze Nacht. Warum?
Ich schiebe die Bettdecke zurück und will gerade aufstehen, da packt mich etwas an der Schulter und zieht mich zurück.
„Nix da“, murmelt es an meinem Ohr und sofort schlingen sich zwei Arme um meinen Körper. Maik kuschelt seinen Kopf an meine Schulter, um im nächsten Moment auf einmal hochzuschrecken und mich erschrocken anzusehen.
„Ist es schon Morgen?“
„Äh, offensichtlich ja. Immerhin ist es hell.“
Etwas panikartig springt er auf und sucht seine Sachen zusammen. Während er durch meine Wohnung hüpft, zieht er sich an und schimpft vor sich hin.
„Shit, ich bin eingeschlafen.“
„Ja, ich auch“, sage ich und sehe ihm ziemlich verwirrt dabei zu wie er sein Shirt überzieht.
„Das war echt nicht geplant.“
Ja, reib´s mir noch unter die Nase, denke ich und greife jetzt auch nach meinem T-Shirt und meinen Shorts. Maik sieht sich noch einmal um und schlüpft dann hastig in seine Schuhe. Der hat es ja echt eilig hier weg zu kommen.
„Aber wir…“
„Ja, ich weiß. Wir sind nicht zusammen. Tut mir leid, ich wollte dir nicht so auf die Pelle rücken.“
Hä? Auf die Pelle rücken? Hat der sie noch alle? Ich wollte doch nur fragen, ob wir nicht noch einen Kaffee trinken wollen. Aber er hat wohl fürs erste genug von mir und will lieber schnell weg.
„Bis dann“, sagt er und strubbelt kurz durch meine Haare, bevor er die Tür öffnet und verschwindet.
Okay, denke ich und versuche meine Enttäuschung einfach runterzuschlucken. Er ist also nicht freiwillig die ganze Nacht hier geblieben. Wär ja auch zu schön um wahr zu sein. Warum hab ich eigentlich immer so ein Pech? Warum kann nicht mal jemand eine Nacht mit mir verbringen, weil er es will und nicht weil er ausversehen eingeschlafen ist oder es einfach bequemer ist, nicht mehr nach Hause gehen zu müssen? Ich hab es echt satt, immer der zu sein, der verletzt wird. Vielleicht sollte ich meine Entscheidung was Maik angeht doch noch mal überdenken. Ich glaub nicht, dass ich das so weiter machen kann. Dann wird es doch nur noch schlimmer.
Ich schlurfe in die Küche, schließe meinen Laptop an die Steckdose an und höre den ganzen Tag nur noch ein Lied. Zum Schreiben an meinen Hausarbeiten komme ich nicht, weil ich zu sehr damit beschäftigt bin, in Tagträumen und Selbstmitleid zu versinken. Dafür sitze ich am nächsten Tag nur am Computer und versuche mich abzulenken und meine Gefühle zu verdrängen. Beides ist nicht so toll, aber ich glaube nicht, dass ich es im Moment besser hinbekomme. Ich kann mir nicht einreden, dass Maik mir auf einmal egal ist. So sehr ich es auch versuche.
„Hallo Schatzi!“, grölt Karin, als ich ein paar Tage später total verpennt und zerknittert die Tür zu meiner Wohnung öffne.
„Was machst du denn hier?“
„Na, dich überraschen“, sagt sie schon weniger enthusiastisch. Wahrscheinlich weil ich einfach total zum Weglaufen aussehe.
„Äh… war hier gestern ne wilde Party oder warum müffelt es hier so und sieht so aus?“
Sie wirft einen Blick an mir vorbei in die Wohnung und rümpft die Nase etwas.
„Nee, keine Party. Ich bin nur länger nicht rausgekommen.“
„Ja, glaub ich sofort. Was ist denn passiert?“
„Nichts.“
„Hm.“ Sie glaubt mir nicht. „Lässt du mich denn rein?“
Das hat Maik auch gefragt.
„Ja, natürlich.“
Sie zieht ihre Schuhe aus, legt ihre Tasche ab und guckt mich dann aufmerksam an. Ich weiß, dass sie mich durchschaut hat.
„Hast du etwa vergessen, was heute für ein Tag ist?“, fragt sie.
„Ähm, welcher denn?“
„Der 14. Februar.“
„Oh.“
„Ja, oh. Es ist Valentinstag und…“ Sie sieht mich herausfordernd an.
„Und mein Geburtstag.“
„Richtig.“ Sie kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. „Alles Gute, du kleiner Idiot.“
Ich lege auch meine Arme um sie. „Danke.“ Und zu allem Überfluss kullert auch noch eine Träne über meine Wange.
„Und jetzt sagst du mir sofort, was mit dir los ist“, fordert sie und wischt die Träne weg.
„Kannst du dir das nicht denken?“
„Maik“, stellt sie fest und ich nicke nur.
„Er war am Samstag hier.“
Ich erzähle ihr die Geschichte wie er unerwartet aufgetaucht ist und mit mir in meiner Küche getanzt hat und dass ich mir dummerweise Hoffnungen gemacht habe, als er am nächsten Morgen neben mir lag. Und natürlich auch wie schnell er dann auf einmal verschwunden ist.
Inzwischen sitzen wir mit einer Tasse Kaffee in der Hand auf meinem Sofa, das ich erst mal von einem Berg dreckiger Klamotten befreien musste.
„Ich finde, dass er es dir aber auch besonders schwer macht. Okay, er weiß ja nicht, was du dabei empfindest, aber merkwürdig ist es doch schon, oder?“
„Das dachte ich auch, aber er hat mir auch deutlich zu verstehen gegeben, dass das nicht so geplant war.“
„So ein Arschloch.“
„Er kann doch nichts dafür.“
„Trotzdem.“
Wir schweigen uns eine Weile an.
„Ich finde, das ist ein Grund mehr, dass wir heute mal so richtig auf die Kacke hauen“, sagt sie und versucht sich an einem aufmunternden Lächeln.
„Nee, das macht zu viel Dreck.“
Sie lacht und boxt mir auf die Schulter. „Musst du immer alles so wörtlich nehmen? Aber apropos Dreck… vorher werden wir erst mal deine Wohnung aufräumen und putzen. Wenn du heute jemanden abschleppen willst, kippt der rückwärts aus der Tür, bevor er einen Schritt hier reinsetzen kann.“
„Ich will aber niemanden abschleppen.“
„Ach, ich dachte das ist deine Art, deinen Liebeskummer zu betäuben.“
„Nicht mehr. Bin auf exzessives Arbeiten umgestiegen.“
„Und das bringt´s?“
„Nein.“
„Okay, dann schwing mal den Putzlappen. Dabei kannst du auch so exzessiv sein wie du willst. Ich fang in der Küche an und du vielleicht im Bad, damit ich da auch mal aufs Klo gehen kann.“
Ich merke schon, dass ich keine Chance habe, mich rauszureden und hier muss wirklich dringend was getan werden. Also schnappe ich mir einen Lappen und die Scheuermilch und mache mich ans Werk. Karin singt in der Küche vor sich hin, während sie das Geschirr abwäscht und hebt meine Laune damit ziemlich. Alleine putzen ist langweilig und nervig, aber zu zweit macht es sogar fast ein bisschen Spaß. Als die Küche und das Bad soweit fertig sind, räumen wir allgemein noch auf und saugen einmal durch die ganze Wohnung.
„Puh“, schnauft Karin und lässt sich neben mich auf mein Bett fallen. „Jetzt nur noch duschen und dann kann´s losgehen.“
„Aber mach bloß nicht wieder alles dreckig“, warne ich sie grinsend und bekomme zur Antwort nur die Zunge rausgestreckt.
Nachdem wir beide frisch geduscht und ausgehtechnisch aufgestylt sind, gehen wir zu dem Club, den ich eigentlich nicht so schnell wieder betreten wollte. Vor dem Eingang stehen Lara, Kim, Heiko und Stephan und warten scheinbar auf uns. Sie strahlen alle, als sie mich sehen und brüllen mir ein „Happy Birthday“ entgegen.
„Also, wir haben uns das folgendermaßen überlegt“, erklärt Heiko. „Kim und Lara übernehmen für dich den Eintritt und die Garderobe und wir drei sind für die Getränke zuständig. Du musst heute nichts bezahlen.“
„Habt ihr denn so viel Geld mit?“
„Übertreib´s nicht“, meint Karin. „Ich schlepp dich nachher nicht nach Hause, wenn du nicht mehr geradeaus laufen kannst.“
Im Club ist es schon ungewöhnlich voll für diese Uhrzeit, aber wir haben Glück und vor uns wird gerade einer der Tische frei. Heiko und Karin holen heute die Getränke und dann kann der Spaß losgehen. Ich sehe mich ein paar Mal prüfend um, kann Maik aber nicht entdecken. Gut. Den will ich heute auch nicht sehen. Wir unterhalten uns ein bisschen, so gut es bei der lauten Musik eben möglich ist, und trinken ziemlich viel und schnell hintereinander. Bald ist an unserem Tisch eigentlich nur noch lautes Lachen zu hören und als der DJ Beggin‘ auflegt, stürmen wir alle auf die Tanzfläche. Es stört mich nicht, dass Stephan direkt neben mir tanzt und wir ab und zu aneinander stoßen. Ich glaube, dass er nach unserer Aussprache auch kapiert hat, dass er sich keine Hoffnungen machen muss. Außerdem macht das alles hier ja auch keinen Spaß, wenn man niemanden zum Antanzen und Anfassen hat. Die Mädchen machen das schließlich auch so. Allerdings hält sich das bei Stephan und mir noch in Grenzen. Nichts, weshalb man auf falsche Gedanken kommen müsste.
Die Mädels verziehen sich nach zwei Songs wieder an unseren Tisch und Heiko verschwindet aufs Klo.
„Willst du noch was trinken?“, fragt Stephan und deutet zur Bar. Ich nicke und folge ihm.
Unterwegs hält mich plötzlich jemand an den Schultern fest und ich höre ein „Alles Gute zum Geburtstag“ neben meinem Ohr. So schnell wie möglich drehe ich mich um, aber da ist niemand. Nur eine tanzende Menge, die mich nicht weiter beachtet. Hab ich mir das eingebildet?
An der Bar bestellt Stephan für uns beide irgendwas Hochprozentiges und dann noch was und noch was… Ich weiß nicht mehr wie viel es letztendlich war und ich weiß auch nicht mehr wie ich zurück zu unserem Tisch gekommen bin. Ich weiß nur, dass ich jetzt auf einem weichen Sofa sitze und Stephan an meinen Lippen hängt. Erschrocken stoße ich ihn weg. Wie ist das denn bitte passiert?!
Ich sehe mich um. Niemand sieht zu uns rüber. Unsere Freunde sind wieder auf der Tanzfläche und scheinbar vollkommen mit sich selbst beschäftigt. Keiner scheint diesen Kuss bemerkt zu haben. Keiner außer Maik. Seine Augen funkeln mich von der Bar aus an und wirken bei dem Lichtspiel hier besonders dunkel und auch etwas bedrohlich. Ich überlege nicht lange, greife an den Ausschnitt von Stephans T-Shirt und küsse ihn wieder. Er wehrt sich nicht, sondern verzieht seinen Mund zu einem Grinsen. Das kann ich fühlen. Maik kann heute sehen, wo er bleibt, denke ich und schließe die Augen. Stephans Zunge findet ihren Weg in meinen Mund und seine Hand streicht über meinen Oberkörper. Doch plötzlich werden wir grob auseinander gerissen. Ich öffne meine Augen wieder und rechne schon damit, dass Maik vor mir steht, aber ich sehe nur Karin. Die sieht allerdings sehr wütend aus und zieht mich vom Sofa hoch.
„Bist du bescheuert?“, schreit sie gegen die Musik an. „Wir gehen jetzt. Tut mir leid, aber ich denke nicht, dass er es wirklich so gemeint hat“, fügt sie an Stephan gewandt hinzu.
Ich kann nicht mehr sehen wie er darauf reagiert, weil ich schon Richtung Ausgang geschoben werde.
Auf dem Weg nach Hause spricht sie nicht mit mir, was mir nur recht ist, weil mir mit jedem Schritt schlechter wird. Alkohol, Maik, Stephan und noch mehr Alkohol vertragen sich scheinbar nicht so gut. Karin kramt in meiner Hosentasche nach dem Wohnungsschlüssel, schließt auf und schiebt mich durch die Tür. Ich renne erst mal geradewegs auf das frisch geputzte Bad zu und hänge mich über die Kloschüssel.
„Na toll“, höre ich es hinter mir murmeln, bevor mir ein Stück Toilettenpapier vor die Nase gehalten wird. „Mach hier sauber, putz dir die Zähne und dann gehst du ins Bett.“
„Ich weiß.“
„Na umso besser.“
Als ich ins Schlaf- und Wohnzimmer schlurfe, liegt Karin schon im Bett, hebt die Bettdecke an und klopft neben sich auf die Matratze. Ich lege mich zu ihr.
„Du musst wissen, dass ich dir dieses Verhalten nur verzeihe, weil du heute Geburtstag hast, und weil ich weiß wie dreckig es dir im Moment geht.“
Ich nicke.
„Stephan so auszunutzen ist echt nicht fair. Du solltest ihm das erklären. Wie ist es überhaupt dazu gekommen?“
„Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich Maik gesehen habe und… ich wollte…“ Weiter komme ich nicht, weil sich meine Kehle zusammenschnürt und meine Augen zu brennen anfangen.
„Ach Schatzi“, flüstert Karin und rutscht näher zu mir, um mich in den Arm zu nehmen. „Du wolltest ihn eifersüchtig machen. Das kann ich verstehen, aber du hast dir definitiv den Falschen dafür ausgesucht.“
Ich versuche mir schnell die Tränen wegzuwischen, allerdings hat der Alkohol in meinem Blut wohl Spaß daran meine Gefühle zu manipulieren und noch mehr Tränen zu produzieren. Karin streicht mir beruhigend über den Rücken, aber so sehr ich sie auch liebe, mir wären andere Hände lieber.
Während ich das denke, merke ich wie ich müde werde und meine Augen nicht mehr aufhalten kann.
„Du solltest jetzt erst mal deinen Rausch ausschlafen“, meint Karin und ich glaube, dass sie mir kurz über die Wange streicht.
„Hm“, ist alles, was ich noch von mir geben kann.
„Einer von zweien
liebt immer etwas mehr
Einer von zweien
schaut immer hinterher.
Der andere kann gar nichts dafür
für ihn öffnet sich jede Tür
Der andere hängt an niemand
so wie ich an dir.“
(Ich und Ich – Einer von zweien)*
So. Ich bin mir jetzt endgültig sicher, dass Maik mich nicht will. Und auch dass das, was dennoch mal zwischen uns war, jetzt auch vorbei ist. Es sind zwei Wochen vergangen, seit ich ihn mit Stephan eifersüchtig machen wollte und er hat sich seitdem nicht einmal bei mir blicken lassen oder mit mir gesprochen, wenn wir uns zufällig über den Weg gelaufen sind. Er zeigt mir nur die kalte Schulter und tut so als wären wir uns noch niemals zuvor begegnet. Vielleicht hat er rausgefunden, dass ich mehr von ihm will als nur mal ne schnelle Nummer und befürchtet jetzt, dass ich ihm das auch unter die Nase reiben will, wenn er sich mal auf ein Gespräch einlässt. Weiß der Teufel…
Ich weiß jedenfalls, dass es mir sehr sehr schwer fällt, ihn nur anzusehen. Manchmal würde ich einfach gerne zu ihm gehen und sagen, dass ich nicht mehr will als das, was wir hatten. Nur damit er wieder bei mir sein kann. Ist das verrückt? Ich will mir doch nur einreden können, dass er mich auch liebt. Und wenn seine Hände über meine Haut streichen oder seine Lippen meine berühren, ist das nicht schwer.
Diese Vorstellung verschwindet allerdings ganz schnell wieder, wenn ich ihn irgendwo sehe und merke, dass ich keine Chance habe. Sein Blick ist immer so eisig und hält mich davon ab, auf ihn zuzugehen. Neulich bin ich ihm in der Stadt begegnet. Er kam direkt auf mich zu, hat mich aber nicht beachtet und ist einfach vorbei gegangen. Das war das erste Mal, dass er mal wieder in meiner Nähe war, wenn auch nur kurz. Der Wind, den seine Bewegung im Vorbeigehen verursacht hat, hat mich frösteln lassen. Es war fast als hätte er mich berührt, aber dann auch wieder ganz anders. So kalt und gleichgültig. Ich hab einen Moment lang überlegt, ihm nachzulaufen, konnte meine Beine aber nicht überreden, ihm zu folgen. Stattdessen bin ich gefrustet nach Hause gelaufen und übers Wochenende zu Karin gefahren. Sie hat sich gefreut, mich zu sehen und mich sofort auf eine Party mit ein paar Leuten aus ihrem Abiturjahrgang eingeladen.
„Ich weiß nicht. Ich kann doch nicht einfach mitgehen“, habe ich gesagt, doch sie wollte mich unbedingt dabei haben.
„Der Micha ist ein ganz Netter. Der könnte dir gefallen.“
„Karin“, seufzte ich. „Willst du mich etwa verkuppeln?“
„Nein, ich will dich nur auf andere Gedanken bringen.“
Das hat auch funktioniert. Micha war wirklich sehr süß und hat mich den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen. Vielleicht ein bisschen aufdringlich, aber es war auf jeden Fall gut für mein Selbstbewusstsein. Wir haben uns lange unterhalten und ziemlich viel über andere Jungs gelästert, aber zu mehr war ich wirklich nicht in der Stimmung. Okay, wir haben ein bisschen rumgeknutscht und uns am Lagerfeuer etwas aneinander gekuschelt, aber das war mehr ein gegenseitiges Trösten als wirklich was Sexuelles. Er hat sich gerade von seinem Freund getrennt, mit dem er sehr lange zusammen war und wollte daher auch noch nichts Neues anfangen. Wir haben trotzdem unsere Handynummern ausgetauscht und abgemacht, uns irgendwann mal wieder zu sehen. Keine Ahnung, ob es tatsächlich dazu kommen wird.
Am Sonntag haben Karin und ich es uns auf ihrem Sofa bequem gemacht und ein paar DVDs angeschaut. Das Thema Maik kam überhaupt nicht mehr zur Sprache und ich hab es sogar geschafft, ihn ein bisschen zu vergessen. Das Wochenende war wirklich sehr erholsam.
Wieder zuhause habe ich mich mit Stephan ausgesprochen und er hat mir verziehen, obwohl er gar nicht genau weiß, warum ich ihn geküsst habe. Vielleicht wäre er sonst ernsthaft sauer gewesen. Aber er meinte, dass es sowieso seine Schuld war, weil er mich erst abgefüllt hat und der erste Kuss dann schließlich von ihm ausging. Ich finde auch, dass ich mir nicht ganz allein den Schuh anziehen muss, aber ich weiß auch, dass das nicht noch mal passieren darf. Das nächste Mal suche ich mir ein anderes Opfer. Haha. Ich bezweifle nur, dass das jemals etwas bringen wird. Bei Maik löst das ja offenbar nichts aus. Also werde ich mich jetzt mal auf die Suche nach jemandem begeben, der auch wirklich was von mir will, und dessen Name meinem nicht so ähnlich ist. Das muss doch möglich sein. So schrecklich bin ich doch nicht. Leider hört sich Micha auch sehr wie Mika an, also kommt er schon mal nicht in Frage. Bescheuert, ich weiß.
In gut zwei Wochen fängt das zweite Semester an der Uni an und ich muss immer noch eine dämliche Hausarbeit fertig schreiben. Das ist ein echter Teufelskreis. Da hast du mal eine fertig und dann kommt schon die nächste und ruft „Und was ist mit mir?!“. Aber das schaffe ich jetzt auch noch. Es ist eine gute Ablenkung und ich komme ja sowieso nicht drum rum.
Ein paar Tage später ruft Stephan mich an und fragt, ob ich nicht am Abend mit ihm ausgehen will. Nicht in den üblichen Club, sondern in einen reinen Schwulenclub. Er sagt, dass Heiko sich nicht hat überreden lassen und er dann natürlich sofort an mich gedacht hat. Ich weiß nicht wirklich wie ich darauf reagieren soll, ich will ihm ja schließlich nicht schon wieder irgendwelche falschen Hoffnungen machen, aber er blockt das sofort ab.
„Ich meine das nicht als Date oder so. Ich brauche nur jemanden, der mich begleitet und du bist nun mal einer meiner besten Freunde.“
„Du willst dich ja nur einschleimen“, sage ich und bin mir immer noch nicht sicher, ob das das Richtige wäre.
„Nein“, sagt er ganz nüchtern und ehrlich. „Ich möchte einfach gerne hingehen und ich dachte, dass es dir bestimmt auch Spaß machen würde. Ich schwöre, dass ich keine Hintergedanken habe und du musst auch keine Rücksicht auf mich nehmen. Wenn du jemanden findest, der dir gefällt, dann ist das gut so, und vielleicht finde ich ja auch jemanden.“
„Also bist du jetzt endgültig am anderen Ufer angekommen?“
„Sieht ganz so aus. Im Moment zumindest schon.“
„Ich weiß nicht, Stephan. Eigentlich ist mir zurzeit sowieso nicht so danach.“
„Seit wann das denn? Du lässt doch sonst keine Gelegenheit sausen und die werden sich da bestimmt um dich reißen.“
„Wie war das mit dem Einschleimen?“, frage ich und verdrehe die Augen.
„Okay, erwischt“, lacht er. „Das heißt aber nicht, dass ich es nicht wirklich so meine. Bitte bitte bitte, komm mit.“
„Na gut“, gebe ich nach. Keine Ahnung, ob das eine gute Entscheidung war.
„Ui, toll! Ich hol dich um zehn ab.“
Und das tut er dann auch. Ich hab mir heute beim Aufstylen nicht so viel Mühe gegeben, weil ich Stephan nicht auf falsche Gedanken bringen will und die anderen sollen mir schließlich auch nicht auf die Pelle rücken. Allerdings scheine ich damit nicht so viel Erfolg gehabt zu haben, weil Stephan mich etwas verlegen lächelnd ansieht, als ich ihm die Tür öffne.
„So wirst du es schwer haben, dir alle Kerle vom Leib zu halten“, meint er.
„Wieso?“, frage ich verwirrt und sehe an mir runter. Ich hab doch nur ne alte Jeans an, die ein bisschen eingerissen ist, ein schlichtes weißes T-Shirt und um den Hals eine locker gebundene, schwarze Lederkrawatte. Meine Haare haben auch keine richtige Form, sondern stehen einfach nur verstrubbelt in alle Richtungen ab.
„Na ja“, sagt Stephan und greift nach der Krawatte. „Da kann man schon was mit anfangen.“
Oh Gott! Da hab ich nicht dran gedacht. Wenn Maik da ist, wird ihn diese Krawatte wieder nur anstacheln, oder? Und das will ich nicht. Oder doch? Nein. Trotzdem werd ich lieber noch schnell was anderes anziehen.
„Nein, zu spät“, sagt Stephan, als er merkt, was ich vor habe und stellt sich mir in den Weg. „Du gehst jetzt so wie du bist.“
„Aber…“
„Was ist denn los mit dir? Warum willst du nicht, dass sich irgendjemand für dich interessiert? Man könnte ja glatt denken, dass du Liebeskummer hast.“ Er lacht, hört allerdings schnell auf, als er sieht, dass ich verlegen auf den Boden schaue.
„Nein“, sagt er etwas ungläubig. „Echt jetzt? Und wer ist es?“
„Ich hab nie behauptet…“
„Nein, aber du hast dich gerade selber verraten. Also, kenne ich ihn?“
„Ähm…“
„Scheiße“, murmelt er und sieht mich mit großen Augen an. „Es ist dieser Maik, oder?“
Ich sehe ihn jetzt genauso geschockt an und verrate mich damit wahrscheinlich schon wieder ungewollt.
„Hätte ich mir eigentlich denken können. Aber wo ist denn das Problem? So wie er dich angesehen hat, könnte man denken, dass er dir überall hin folgen würde.“
„Nein, er will nichts von mir.“
„Bist du sicher?“
„Ja.“
„Und ich dachte die ganze Zeit, dass es an dir liegt, dass ihr nicht zusammen seid.“
„Das ist ja auch so“, sage ich zerknirscht.
„Nein, so meinte ich das nicht. Ich dachte nur, dass eher du derjenige von euch beiden bist, der keine feste Beziehung will.“
„Das dachte ich auch.“
„Ist ja Wahnsinn. Mika ist verliebt.“
„Haha.“
„Tja, dann ist es ja umso besser, dass wir heute ausgehen“, meint er und drückt mir meine Jacke in die Hand. „Also los.“
Ich lasse mich aus der Tür schieben und habe ein bisschen Angst vor dem, was mich heute Abend noch erwarten wird. Hoffentlich ist Maik nicht da. Hoffentlich hält Stephan sein Versprechen. Und hoffentlich geht das alles schnell vorbei.
„Weiß du was?“, sagt Stephan, als wir den Club betreten und die Musik uns umfängt. „Wir werden heute Spaß haben. So richtig. Und wir werden genau das tun, wonach uns gerade ist, okay? Denk nicht so viel nach, sondern mach es wie sonst auch immer.“ Er nimmt meine Hand und zieht mich sofort auf die Tanzfläche. Sein fröhliches Lachen ist ziemlich ansteckend und mir wird wieder ein bisschen warm im Bauch. So eine angenehme Wärme, die mich etwas entspannter werden lässt und mir ebenfalls ein Lächeln entlockt. Stephan bewegt sich im Takt der Musik und wirft den anderen Jungs um uns herum immer mal wieder ein paar flirtende Blicke zu. Er tanzt allerdings nur mit mir, bis wir uns an die Bar zurück ziehen und uns ein Bier bestellen. Danach wird er meistens von einem niedlichen, blonden Jungen vereinnahmt, der ihn offenbar sehr anziehend findet und gibt mir zu verstehen, dass ich mich amüsieren soll. Ich drehe mich um, um mich wieder an die Bar zu setzen und stoße fast mit jemandem zusammen, der direkt hinter mir steht. Ich sehe nur noch dunkle Augen, die mich vollkommen bewegungsunfähig machen und ihre übliche Wirkung auf mich offensichtlich nicht verloren haben. Im Gegenteil. Ich war ihnen lange nicht mehr so nahe und hatte fast vergessen wie fesselnd sie sein können und wie gerne ich mich in ihnen verliere. Fast wäre es auch so weit gewesen, doch dann reiße ich mich los und will an ihrem Besitzer einfach vorbei gehen. Eine Hand hält mich allerdings davon ab und zieht mich stattdessen von der Tanzfläche runter in eine ruhigere und dunklere Ecke des Clubs und drückt mich dort gegen eine Wand. Ohne etwas zu sagen lehnt Maik seine Stirn gegen meine und sein Atem streift in schnellen Abständen mein Gesicht. Seine Augen sind jetzt geschlossen und er macht den Eindruck als würde er sehr angestrengt über etwas nachdenken. Mich macht diese Situation so kribbelig, dass ich Angst habe, mich nicht mehr auf den Beinen halten zu können. Ich kann mich nur mit all meiner Kraft davon abhalten, seinen Körper zu berühren, ob mit meinen Händen oder Lippen. Es ist als würde ich dabei gegen eine unsichtbare Kraft kämpfen, aber ich weiß, dass ich nicht nachgeben darf. Also balle ich meine Hände zu Fäusten zusammen und drücke sie an die Wand hinter mir. Meine Lippen presse ich so stark aufeinander, dass es schon weh tut. Es wäre so viel einfacher, mich nicht zu wehren und ihn einfach zu küssen. Das will ich nämlich. Aber stattdessen verhalte ich mich wie ein Verdurstender, der eine Flasche kaltes Wasser abweist. Ich wünsche mir nur, dass er seine Entscheidung endlich trifft und mich dann wieder in Ruhe lässt. Ich schließe jetzt auch meine Augen und versuche zu vergessen, in welcher Situation ich mich gerade befinde, aber genau in dem Moment streichen zwei Hände von meinen Schultern abwärts über meinen Oberkörper und finden die Krawatte. Eine Hand schließt ihre Finger darum und als ob das der Knopf gewesen wäre, den Maik hatte drücken müssen, schlinge ich meine Arme um seinen Nacken und küsse ihn. Seine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen und sein ganzer Körper lehnt sich jetzt gegen meinen. Ich hab den ersten Schluck von dem Wasser getrunken und kann nicht mehr aufhören. Ich küsse ihn so gierig, dass ich vergesse, warum ich mich gewehrt habe und vergrabe meine Finger in seinen Haaren. Stolpernd bewegen wir uns auf die nächste Tür zu, auf der ein kleines Strichmännchen aufgemalt ist und stoßen sie auf. Ein Junge verlässt kichernd den Raum und lässt uns allein zurück. Wir schließen uns in einer der Kabinen ein und drängen uns wieder aneinander. Ich hätte nie gedacht, dass ich zu so etwas fähig bin. Dass ich mich in der Öffentlich so verhalte und es mir sogar egal ist, ob mich jemand dabei sieht.
Keine Ahnung, warum Maik das mit mir macht. Seine Hände sind wirklich überall und ich bin mir auch nicht mehr sicher, wo meine sich gerade befinden. Aber das ist auch egal. Vielleicht hat er ja heute noch keinen Blöden gefunden, der sich ihm immer dann hingibt, wenn er es gerade braucht. Aber das Kribbeln in mir verschwindet einfach nicht und daher hab ich keine Chance, meinen Verstand wieder einzuschalten und das zu tun, was vielleicht klüger wäre. Stattdessen genieße ich seine Nähe, seine perfekten Küsse und die fordernden Berührungen seiner Hände. In diesem Moment ist es wieder so einfach sich einzubilden, dass wir dasselbe empfinden.
„Es ist unmöglich dich nicht küssen zu wollen, wenn man dir beim Tanzen zusieht“, nuschelt er und knabbert gleichzeitig an meiner Lippe.
„Und es ist unmöglich, dir aus dem Weg zu gehen. Du bist überall.“
Er grinst wieder und lässt seine Lippen über meine Wange zu meinem Ohr und weiter zu meinem Hals wandern. Währenddessen stielt sich eine seiner Hände unter den Bund meiner Hose und lässt mich einmal kurz aufstöhnen. Ich finde meine Hände wieder und lasse sie in die Hosentaschen an seinem Hintern gleiten.
Doch gerade, als er Knopf und Reißverschluss meiner Hose öffnen will, merke ich wie mein Handy in meiner Tasche leicht vibriert. Das kann doch nicht wahr sein.
„Was ist das?“, fragt Maik.
„Mein Handy“, gebe ich zerknirscht zu und schon ist die ganze Stimmung im Arsch. Auf einmal ist da nämlich was, das mich zum Nachdenken bringt. Auch wenn es nur die Entscheidung zwischen rangehen und nicht rangehen ist. Mein Gehirn ist aktiviert. Dann kann ich auch ans Telefon gehen.
„Hallo?“, melde ich mich.
„Hier ist Stephan. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich… ähm… jetzt schon gehe. Und ich hab dich mit Maik gesehen. Mach bloß nichts Blödes.“
„Und was genau wäre das?“
„Ich glaube die Frage kannst du dir selber beantworten. Überleg mal, was du gerade machst, und ob es wirklich das ist, was du willst. Wenn ja, dann lass dich nicht stören.“
„Sehr witzig. Das kommt ein bisschen spät“, schnaufe ich genervt ins Handy.
„Ach… na ja, dann… noch viel Spaß. Wobei auch immer.“
„Ja, dir auch. Tschüss.“
Maik lehnt an der gegenüber liegenden Wand der kleinen Kabine und sieht mich aufmerksam an. „War das dein Freund?“, fragt er.
„Nein, das war nur EIN Freund. Er wollte mir nur sagen, dass er jetzt geht.“
„Der, mit dem du hierher gekommen bist?“
„Ja, und?“
„Und er ist nicht dein Freund? Du hast ihn geküsst.“
„Dich hab ich auch geküsst. Macht dich das zu meinem Freund?“, frage ich verwirrt. „Ich war betrunken.“
„Scheint ja öfter vorzukommen.“
Hääää?
„Kann ich nicht küssen, wen ich will?“, frage ich herausfordernd und mit der lächerlichen Hoffnung, dass er die Frage verneint.
„Doch, klar. Ich wäre nur gerne sicher, dass du auch mich meinst, wenn du mich küsst.“
„Wen soll ich denn sonst meinen?“ So langsam komme ich echt nicht mehr mit. Vielleicht ist er hier eher derjenige, der zu tief ins Glas geguckt hat.
„Na ja, du scheinst ja ziemlich freizügig damit umzugehen. Mal küsst du mich, mal nicht. Dann zwischendurch diesen Lockenkopf und neulich diesen Freund, der dich gerade angerufen hat und wer weiß wie viele noch.“
„Du bist doch derjenige, der ständig die Flucht ergreift“, versuche ich zu kontern.
„Hast du mich mal mit jemandem rumknutschen sehen?“
„Nein, aber selbst wenn. Was für einen Unterschied macht das? Ich verstehe echt nicht, was du mir sagen willst. Möchtest du vielleicht, dass ich nur noch dich küsse? Hört sich nämlich fast so an.“ Mein Herz überschlägt sich fast bei dem Gedanken und auch aus Angst vor seiner Antwort.
„Das ist ja Quatsch!“
„Sondern?“, frage ich und versuche meine Enttäuschung zu verbergen.
„Ach, nichts. Vergiss es einfach, okay?“
Er öffnet die Kabinentür und stürmt aus dem Toilettenraum, bevor ich noch etwas sagen kann. Ich folge ihm nach ein paar Minuten, in denen ich versucht habe, meine Gedanken zu ordnen. Zu einem Ergebnis bin ich nicht gekommen, aber irgendetwas sagt mir, dass ich Maik möglicherweise ganz falsch eingeschätzt habe. Ich habe ihn tatsächlich nie mit jemand anderem gesehen. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass er ständig einen anderen Jungen abschleppt, einfach weil ich mir nicht vorstellen kann, dass es jemanden gibt, der ihm wiederstehen könnte. Aber wie passt das alles zusammen? Ich verstehe gar nichts mehr.
*
Ich und Ich – Einer von zweien
Annette Humpe, Adel Tawil
Polydor, Universal Music Entertainment GmbH
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