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Manu und ich

Teil 12

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Informationen

Vorwort:

So, ihr Lieben … Das hier ist der letzte Teil von „Manu und ich“. Vielen, vielen Dank für die lieben Feedbacks! Ganz besonders an mein Teufelchen ;) Freut mich, dass die Story so gut ankommt. Jetzt warte ich gespannt auf die Rückmeldungen zum letzten Teil. Ich schreibe auch garantiert zurück :)

 

Inzwischen sind fast drei Wochen vergangen. Es ist ein schöner Samstagnachmittag, den Kai und ich mit unseren Freunden im Park verbringen. Ich liege an ihn gekuschelt auf dem Gras und genieße jede seiner zärtlichen Berührungen, obwohl ich davon in den letzten Wochen wirklich nicht zu wenig bekommen habe. Im Moment spielen seine Finger mit meinen Haaren, während er mit Tim über irgendwelche alten Geschichten redet. Seitdem er mir alles über Jona erzählt hat, hab ich das erste Mal richtig das Gefühl, dass er gerne mit mir zusammen ist. Er lacht viel, küsst mich bei jeder Gelegenheit und kann scheinbar nicht genug davon bekommen, mir zu sagen, dass er mich liebt. Aber es ist nicht nur das. Es fühlt sich auch anders an, wenn ich bei ihm bin. Ich muss mir nicht mehr so viele Gedanken machen, weil ich weiß, dass er mir vertraut, und dass er mir sagen würde, wenn ich etwas falsch mache. Dieses Geheimnis muss ihn viel mehr belastet haben als ich gedacht habe und als er es endlich ausgesprochen hatte, stand auch nichts mehr zwischen uns.

Nach und nach hat er mir noch kleine Details erzählt, die er beim ersten Mal vergessen oder für zu unwichtig gehalten hatte. Jetzt weiß ich zum Beispiel auch, dass Tim der erste Junge war, mit dem er geschlafen hat, und er es danach nie wieder mit einem Mädchen tun wollte. Die beiden haben also sozusagen erst durch den anderen gemerkt, dass sie schwul sind. Das hat sie so sehr zusammen geschweißt, dass sie von da an beste Freunde waren. An demselben Tag hatte Kai versucht Tim alles über seinen Cousin zu erzählen, konnte aber an einem gewissen Punkt nicht weiterreden. Er ist nur so weit gekommen, Tim zu erzählen, dass Jona bei einem Unfall gestorben ist. Von da an hat er sich eingeredet, dass er nicht richtig schwul ist, solange er sich nicht verliebt. Als er mich getroffen hat, wollte er nicht wieder den Fehler machen, sich zu verlieben und denjenigen dadurch in Gefahr zu bringen. Er dachte, dass er mich einfach ignorieren kann und als er gemerkt hat, dass das nicht funktioniert, hat er panische Angst bekommen. Die Gefühle von damals sind wieder in ihm hochgekommen und er konnte es nicht länger verhindern, an Jona zu denken. Er hat mir erzählt, dass gerade alles über ihm zusammen gebrochen ist, als ich ihn im Park hab weinen sehen, und dass meine Umarmung in dem Augenblick gleichzeitig das Beste und das Schlimmste war, das hätte passieren können. Na, wenn das mal kein Kompliment ist. Aber ich kann es ja jetzt verstehen. Und ich hab ein tierisch schlechtes Gewissen, dass ich ihn so unter Druck gesetzt habe. Kai versucht zwar immer, mir das auszureden, weil wir sonst jetzt vielleicht gar nicht zusammen wären, aber ich weiß, dass ich es ihm ziemlich schwer gemacht habe.

„Was grübelst du denn schon wieder?“, fragt er auf einmal. Tim hat sich wieder zu Lippe gesetzt und uns beide allein gelassen.

„Nichts.“

Er zieht die Augenbrauen hoch und glaubt mir offensichtlich kein Wort.

„Ich hab nur grad daran gedacht wie viel in den letzten Wochen passiert ist.“

„Das stimmt allerdings“, sagt er lächelnd und streicht jetzt mit seinen Händen über meinen Rücken. „Hat sich deine Mutter heute schon gemeldet?“

„Nein, aber ich dachte, dass wir nachher mal hinfahren könnten.“

„Aber dein Vater ist nicht da, oder?“, fragt er skeptisch.

„Nein.“

Das ist noch so eine Sache, die sich geändert hat. Meine Mutter hat nach langer Überlegung anerkannt, dass ihr Sohn schwul ist und weiß jetzt auch, dass ich mit Kai zusammen bin. Marion hat einen Tag nachdem ich abgehauen bin bei ihr angerufen und angeboten über alles zu reden. Meine Mutter war so verwirrt, dass sie eingewilligt und Kais Mutter zu einem Kaffee eingeladen hat. Sie haben stundenlang geredet, während ich bei Kai saß und vor Nervosität fast kaputt gegangen bin. Ich hätte nie gedacht, dass Marion Erfolg haben könnte, aber so war es dann tatsächlich. Meine Mutter hat sich bei mir entschuldigt und dann haben wir uns erst mal eine Ewigkeit im Arm gehalten und geheult. Mein Vater war da allerdings eher weniger begeistert und hat mich kurzerhand zuhause rausgeworfen. Jetzt wohne ich vorübergehend bei Kai, während meine Mutter sich nach etwas Neuem für uns beide umsieht. Sie hat meinem Vater nämlich erklärt, dass sie sich schon viel zu viel von ihm hat bieten lassen, und die Scheidung eingereicht. Ich war so platt, als sie mir davon erzählt hat, dass ich es noch Tage danach nicht glauben konnte. Traurig bin ich deswegen nicht. Wann hatte ich denn schon mal ein gutes Verhältnis zu meinem Vater? Eigentlich gar nicht. Aber für meine Mutter tut es mir natürlich leid. Sie muss jetzt wieder regelmäßig arbeiten, um uns beide durchzufüttern, aber sie hat gesagt, dass wir das alles hinbekommen. Kai hat sie auch schon ins Herz geschlossen, aber das war irgendwie schon immer so. Vielleicht bin ich ein bisschen befangen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass man ihn einfach lieb haben muss.

„Oder etwa nicht?“, frage ich ihn und schmeiße mich fast weg vor Lachen, als ich seinen irritierten Gesichtsausdruck sehe.

„Was denn?“

„Ach nichts. Ich dachte nur gerade, dass man dich einfach lieb haben muss.“

„Das will ich aber auch meinen“, sagt er grinsend. „Und dich muss man immer küssen.“ Das tut er dann auch. So lange bis sich vier Personen über uns beugen und erklären, dass sie sich auf den Weg nach Hause machen wollen. Widerwillig stehen wir auf, verabschieden uns von den anderen und machen uns auf den Weg zu mir nach Hause. Kai greift nach meiner Hand und hält sie die ganze Zeit in seiner. Er meint, dass man es ja nicht übertreiben muss, wenn man unter Leuten ist, aber er hat auch keine Lust immer auf Abstand zu gehen, nur weil uns jemand sehen könnte. Ich war anfangs etwas verwundert über diese Ansicht, freue mich jetzt aber umso mehr, dass er es so sehen kann.

Meine Mutter freut sich wie sonst was, als sie uns die Tür aufmacht und drückt uns beide einmal ganz fest an sich.

„Wie war euer Tag?“, fragt sie, als wir zusammen im Wohnzimmer sitzen.

„Entspannt“, antworte ich.

„Hast du alles, was du brauchst? Oder willst du noch irgendwas mitnehmen?“

„Nein, ich hab alles.“

„Okay. Ich hoffe, dass ich bald eine Wohnung finde, dann musst du nicht mehr hin und her laufen.“

„Hat er noch mal was gesagt?“, frage ich, ohne daran zu zweifeln, dass sie weiß, wen ich meine.

„Nein, ich hab ihn selber seit zwei Tagen nicht mehr gesehen.“

„Hm“, mach ich nur.

Danach wechseln wir das Thema. Keiner will zurzeit an meinen dämlichen Vater denken, also überlegen wir lieber wie die Wohnung sein sollte. Meine Mutter möchte auf jeden Fall einen kleinen Garten haben, wo sie sich so richtig austoben kann und ich hätte auch nichts dagegen, mich nächsten Sommer mit Kai schön draußen auf den Rasen legen zu können. Dann soll es natürlich jeweils ein Zimmer für meine Mutter und mich geben, ein Bad, ein schönes Wohnzimmer und eine große Küche. Sicher werden wir einiges von dem Komfort, den wir jetzt haben, einbüßen müssen, aber dann haben wir immerhin etwas nur für uns.

„Was willst du eigentlich morgen machen?“, fragt mich meine Mutter und wirft Kai einen merkwürdigen Blick zu.

„Nichts Besonderes“, sage ich und füge misstrauisch hinzu, „ihr habt doch nichts geplant, oder?“

„Nö, warum auch. Ist ja nur dein Geburtstag.“

Irgendwas stimmt hier nicht. Das rieche ich und ich kann es Kai ansehen.

„Spuckt’s schon aus.“

„Nein, Mo. Wir haben wirklich nichts vor. Wir haben uns nur gefragt, wo du gerne feiern möchtest. Hier wäre es wahrscheinlich ein bisschen… äh, unpassend.“

„Ja, wahrscheinlich.“

„Wir können es auch bei mir machen, meine Eltern haben nichts dagegen. Meine Mutter ist eher schon ganz aus dem Häuschen, die würde sich freuen.“

„Aber ich will nicht, dass sich deine Eltern so viel Arbeit machen.“

„Ich befürchte, das ist schon zu spät“, sagt Kai schmunzelnd. „Meine Mutter ist schon dabei Kuchen zu backen.“

„Oh nein“, stöhne ich und lasse mich gegen die Rückenlehne des Sofas fallen.

„Hey, ich hab dir gesagt, dass du da nicht so schnell wieder rauskommst.“

„Sieht so aus. Aber wir trinken nur ein bisschen Kaffee und essen Kuchen, oder? Und danach gehen wir in den Park. Unsere Freunde bringen uns um, wenn ich da morgen nicht auftauche.“

„Wieso uns?“

„Mich, weil sie mir nicht gratulieren können, und dich, weil sie davon ausgehen werden, dass du schuld bist, wenn ich nicht auftauche.“

„Dann gehen wir wohl besser hin“, sagt Kai.

Nachdem ich mich davon überzeugt habe, dass meine Mutter morgen auch zum Kuchenessen kommt, gehen Kai und ich zu ihm nach Hause. Wir sind beide nicht besonders scharf darauf, meinem Vater zu begegnen.

„Freust du dich gar nicht?“, fragt Kai.

„Ich weiß nicht… doch, eigentlich schon. Aber es ist so viel anders als letztes Jahr und ich will nicht, dass deine Eltern sich verpflichtet fühlen.“

„Das tun sie nicht. Du bist immerhin ihr Schwiegersohn“, sagt er grinsend und legt einen Arm um meine Schulter. „Und ich find’s toll, dass ich dich morgen als Erster in den Arm nehmen und abknutschen kann.“

Ich schaue ihn gespielt angeekelt an. „Als ob ich mich von dir abknutschen lassen würde.“

Kai bleibt sofort stehen und sieht mich an.

„Nein“, sage ich, als er seine Hände an mein Gesicht legt.

„Es ist dunkel“, entgegnet er und kommt noch näher.

„Es könnte aber trotzdem jemand kommen.“

„Egal.“

Er drückt seine Lippen auf meine und zieht mich ganz fest an sich. Keine Ahnung wie lange wir so da standen, aber als er sich wieder von mir trennt, weiß ich nicht mehr, wo ich bin.

„Wollen wir nach Hause gehen?“, fragt er und läuft schon mal vor.

„Okay“, sage ich nur und folge ihm.

Der nächste Tag fängt an wie jeder andere in der letzten Zeit auch, und doch ist er ganz anders. Wie üblich ist das Erste, das ich wahrnehme ein warmer Körper neben mir, der sich so verführerisch anfühlt und so verführerisch duftet, dass ich gar nicht ans Aufstehen denken mag. Seit unserer ersten gemeinsamen Nacht hat Kai mich morgens nie wieder allein aufwachen lassen. Sanfte Finger malen jetzt kleine Schnörkel auf meinen Rücken und eine vertraute Stimme sagt: „Guten Morgen, Schatzi.“

Schatzi? Das hat er noch nie zu mir gesagt. Ich schlage die Augen auf und schaue direkt in seine, die mich glücklich, aber auch irgendwie verschmitzt anlächeln. Er legt seine Arme noch fester um mich und zieht mich zu sich heran.

„Alles Gute zum Geburtstag.“

„Danke … Schatzi.“

Wir müssen beide lachen und mir kommt es gerade in diesem Augenblick so vor, als ob wir schon ewig zusammen wären. Es gibt doch nichts Schöneres als an seinem Geburtstag neben dem Menschen aufzuwachen, den man liebt. Kai scheint das genauso zu genießen wie ich. Er streicht mit einem Finger ganz liebevoll über meine Wange und meine Lippen, bevor er seinen Mund auf meinen legt. Er küsst und berührt mich wie ich es überhaupt nicht beschreiben kann. Zu sagen, dass es sich weich und zart anfühlt, wäre einfach nicht genug. Und dass mein Herz wie irre schlägt, brauche ich wohl auch nicht zu erwähnen. Alles geht ganz automatisch, als ob mich jemand wie eine Marionette bewegt und meinem Körper sagt wie er sich zu verhalten hat.

„Und wie fühlst du dich?“, fragt Kai und stupst seine Nasenspitze gegen meine.

„Ähm … jetzt gerade … ich möchte dich küssen.“

„Das hast du gerade.“

Er streicht durch meine Haare, was das Bedürfnis ihn zu küssen nicht gerade verringert. Ich weiß auch nicht, was gerade mit mir los ist, aber jedes kleine Teilchen in mir will ihm nahe sein. Man sagt ja immer, dass man von demjenigen angezogen wird, den man liebt, aber ich dachte immer, dass man das halt einfach nur so sagt. Hätte man mir nicht sagen können, dass es so was tatsächlich gibt?

Ich presse meine Lippen aufeinander und versuche an etwas anderes zu denken. Es klappt nicht.

„Ich meinte auch eher wie du dich in deinem neuen Lebensjahr …“

Der Rest geht unter, weil ich den Kampf verloren hab und ihn schon wieder küsse. Meine Hände wandern über seinen Oberkörper und drücken ihn an den Schultern zurück auf die Matratze. Einmal kurz sieht Kai mich überrascht an, dann zieht er mich auf sich und richtet sich auf. Ich sitze jetzt auf seinem Schoß und schlinge sofort Arme und Beine um ihn. Meine Finger vergraben sich in seinen Haaren und ich küsse ihn so gierig, dass es mir selbst schon peinlich ist. Kais Arme sind fest hinter meinem Rücken verschränkt und lassen es nicht zu, dass ich mich auch nur ein kleines Stück von ihm entferne.

Dann lehnt er sich auf einmal weiter vor, sodass ich rücklings auf die Matratze falle, und schmiegt sich wieder an mich. Seine Hände suchen nach meinen, lösen sie von seinem Nacken und drücken sie ebenfalls neben mir aufs Bett. Von einer Sekunde auf die andere ist alles andere vergessen. Er knabbert abwechselnd an meinen Lippen und meinem Hals und gönnt uns beiden dadurch nur immer wieder mal kurze Pausen, um nach Luft zu schnappen.

Als er eine meiner Hände loslässt, um damit über meinen Körper zu streichen, nutze ich die Chance und drehe ihn wieder auf den Rücken. Ich lehne einen Augenblick schnaufend über ihm, bevor er mich frech angrinst und mit einer schnellen Bewegung wieder zur Seite schubst.

Ich weiß nicht wie lange wir uns so hin und her gewälzt haben, aber es war schlagartig vorbei, als er mich von meinen Shorts befreit und seine Küsse auf meinen ganzen Körper verteilt hat. Wer würde sich denn da noch wehren? Und als er sich dann über mich beugte und ganz langsam in mich eindrang, musste ich ihn schnell küssen, um zu verhindern, dass seine Eltern uns hören. Keine Ahnung, ob das geklappt hat, ich war etwas abgelenkt. Ich hab nur noch Kai gespürt. An mir, in mir und einfach überall.

Nachdem er die Beweise beseitigt hat, kommt er wieder zu mir unter die Decke gekrabbelt und kuschelt sich ganz dicht an mich.

„Von wegen Kuscheltier“, sagt er kichernd. „Du bist ein kleines Monster.“

„Ich? Und was ist mit dir?“ Ich deute vorwurfsvoll auf die Stelle an meinem Hals, die sich etwas merkwürdig anfühlt.

„Das ist nur ein Knutschfleck. Der darf da sein.“

„Man sieht das?“, frage ich entsetzt.

„Na klar.“

„Und wie soll ich das meiner Mutter erklären? Und … oh nein.“

„Was?“, fragt Kai etwas verunsichert.

„Ich höre Tim und die anderen schon lachen und tuscheln.“

Kai entspannt sich wieder und küsst genau die Stelle, an der dieser Fleck ist. „Was meinst du, was Tim an seinem Geburtstag den ganzen Tag mit Lippe gemacht hat? Allein.“

„Trotzdem.“

„Ach Mo. Alle, die dich heute sehen werden, wissen doch, dass wir zusammen sind. Und ich hatte eigentlich nicht den Eindruck, dass es dir nicht gefallen hat, als ich den da gemacht hab.“

Ich werde ein bisschen rot. „Das hat gar nichts damit zu tun.“

„Na siehst du“, sagt er grinsend und küsst mich kurz auf den Mund. „Und jetzt gehst du duschen, damit wir heute auch irgendwann noch mal aus dem Bett kommen.“

„Und was ist, wenn ich meinen Geburtstag genauso feiern will wie Tim?“

„Das hättest du dir überlegen müssen, bevor du deine Mutter zum Kaffeetrinken eingeladen hast.“

Da hat er allerdings recht. „Und wann gehst du duschen?“

„Nachdem ich dein Geschenk eingepackt habe.“

Marion und Robert warten schon in der Küche, als Kai und ich endlich runter kommen. Ich werde von beiden einmal ganz lieb gedrückt und von Kais Mutter bekomme ich sogar ein Küsschen auf die Wange. Ich fühle mich sofort wie zuhause, obwohl ich da von meinem Vater immer nur ein Schulterklopfen oder etwas ähnlich Unpersönliches bekommen habe. Hier ist alles viel wärmer und angenehmer. Eigentlich verrückt wie viel so eine simple Umarmung jemandem bedeuten kann. Wenn meine Mutter jetzt noch hier wäre, wär‘s perfekt.

Sowohl Kai, als auch seine Eltern bestehen darauf, dass ich meine Geschenke erst am Nachmittag auspacke, wenn wir alle zusammen sind. Heißt das, dass Marion und Robert auch etwas für mich haben? Das geht doch nicht. Sie haben mich die ganze Zeit hier wohnen lassen, das ist ja wohl mehr als genug. Kai wusste ganz genau, dass ich von ihnen nichts haben will und von ihm eigentlich auch nicht, aber ich konnte ihn nicht davon abhalten. Er hat gefragt, was er denn für ein Freund wäre, wenn er mir nichts zum Geburtstag schenken würde. So ein Quatsch! Ich habe versucht ihm auf eine möglichst unkitschige Weise zu sagen, dass ich schon zufrieden bin, wenn ich ihn einfach nur bei mir habe, aber er hat mich nur angegrinst und nichts weiter dazu gesagt. Bei seinen Eltern ist mir das aber noch eine Ecke unangenehmer. Ich bin es einfach nicht gewohnt so bedingungslos angenommen und dann auch noch beschenkt zu werden. Bei mir zuhause wurde immer alles an Bedingungen und Regeln gebunden, wobei ich ja jetzt weiß, dass dafür eigentlich nur mein Vater verantwortlich war. Meine Mutter hat das alles so angenommen, weil sie ihn so sehr geliebt hat, aber sie hat mir versichert, dass sie mir nie etwas Böses wollte. Und das kann ich ihr jetzt auch glauben. Vielleicht schaffen wir es ja jetzt, eine normale Beziehung aufzubauen.

Nach dem sehr langen und ausgiebigen Frühstück entscheiden Kai und ich uns dafür, doch jetzt schon in den Park zu gehen. Bis meine Mutter und, wie ich gerade erfahren habe, auch meine Oma kommen, dauert es noch ein paar Stunden und wir haben ja nichts anderes zu tun. Kai ruft Tim an, um zu fragen, ob sie schon im Park sind, und dann machen wir uns auf den Weg.

„Sie sind auch gerade unterwegs“, sagt Kai, nachdem er wieder aufgelegt hat.

„Ich hoffe die haben nichts Komisches geplant.“

„Davon hat Tim nichts gesagt.“

Ich sehe ihn misstrauisch an.

„Ehrlich, ich hab keine Ahnung, was die vorhaben“, beteuert er.

Ich kenne unsere Freunde mittlerweile so gut, dass ich mit absoluter Sicherheit sagen kann, dass die sich irgendwas ausgedacht haben. Seit ich zu der Gruppe gestoßen bin, ist so viel passiert, da haben die sich bestimmt irgendwas raus gepickt und machen sich jetzt nachträglich noch über mich lustig. Oder es ist etwas Anstößiges. Vielleicht aber auch so eins von Annas Knutschspielen.

„Auf jeden Fall wird es wohl einiges zu lachen geben“, sagt Kai.

„Für euch vielleicht, aber nicht für mich.“

„Jetzt sei doch nicht so muffelig. Heute ist dein Tag und den wirst du jetzt gefälligst genießen.“

„Okay, ich werd’s versuchen.“

Als wir im Park ankommen, ist erst mal niemand zu sehen. Keine Spur von unseren Freunden. Also setzen Kai und ich uns einfach irgendwo hin und kuscheln uns ein bisschen aneinander. Es ist nämlich schon ziemlich kalt. Herbst eben. Wenigstens regnet es nicht. Ich fummel nervös an dem Reißverschluss meiner Jacke, bis Kai meine Hände festhält.

„Ist es so schlimm, dass sich einen Tag mal alles um dich dreht?“, fragt er.

„Ja, ist es. Ich mag es nicht, wenn mich alle anstarren und warten, dass ich irgendwas sage.“

„Aber das sind doch deine Freunde.“

„Trotzdem. Ich stehe halt nicht gerne im Mittelpunkt.“

„Ich weiß“, sagt er grinsend. „Aber ich befürchte, dass du das heute einfach mal aushalten musst.“

Ich strecke ihm die Zunge raus und er lacht „Sollte das eine Einladung sein? Allerdings glaube ich, dass die Leute dann nur umso mehr starren würden.“

„Du bist unmöglich.“

„Ich versuche nur, dich abzulenken.“

„Wir könnten doch einfach wieder gehen“, schlage ich vor.

„Nein. Außerdem würdest du Tim sowieso nicht entkommen.“

„Allerdings!“, ruft jemand hinter uns. „Mir entkommt keiner.“

Ich drehe mich um und sehe sieben bekannte Gesichter auf mich zu kommen. Jeder von ihnen scheint um einiges besser gelaunt zu sein als ich es bin.

„Hey Moritz, komm her und lass dich knuddeln“, sagt Tim und zieht mich vom Boden hoch. Kai kichert nur und schaut untätig dabei zu, während mir alle nacheinander gratulieren. Tim und Lippe drücken mich einmal an sich, von Anna und Susi bekomme ich ein Küsschen auf die Wange, Finn und Lasse sind etwas zurückhaltender, umarmen mich aber auch kurz und bei Jens sieht es erst so aus als wollte er mich wieder kurz auf den Mund küssen, aber dann schaut er zu Kai und entscheidet sich doch für die Wange.

Ich setze mich seufzend wieder auf den Boden und lehne mich an meinen Freund, der gleich seine Arme um mich legt und sein Kinn auf meiner Schulter abstützt. Erst in dem Moment fällt mir der riesige Karton auf, der vor Tim steht. Ich tippe mit einem Finger auf Kais Hand und starre entsetzt diese grau-braune Kiste an.

„Ich glaube das ist für dich“, sagt Kai schmunzelnd.

Wie zur Bestätigung setzt Tim den Karton direkt vor meiner Nase ab.

„Auspacken!“, ruft Anna.

„Keine Chance Moritz, da musst du jetzt durch“, sagt Tim, als er meinen verzweifelten Gesichtsausdruck sieht.

Ich hocke mich also vor mein Geschenk und klappe den Deckel auf. Erst mal sehe ich nur Zeitungsschnipsel, aber nachdem ich ein wenig gewühlt habe, stoßen meine Finger auf etwas Hartes. Fühlt sich an wie Glas. Ich greife danach und ziehe es raus. Lippe schmeißt sich weg vor Lachen, als er sieht, was ich da geangelt habe. Es ist eine Flasche von diesem blöden Fruchtwein-Cocktail, der mich damals so umgehauen hat, dass ich nicht nach Hause konnte. Was hab ich gesagt? Die machen sich über mich lustig.

„Versprich uns aber bitte, dass wir nicht in der Nähe sein müssen, wenn du die aufmachst“, fleht Anna. „Wir wissen alle schon genug von deiner Oma und dem Meerschweinchen.“

„Lasst ihn doch erst mal weiter auspacken“, sagt Susi.

Da ist noch mehr drin? Ich stöhne leise und wühle weiter. Das nächste Teil, das ich finde ist eine Wasserflasche, die zur Neutralisierung dienen soll. Danach hole ich noch eine Packung Zupftücher, Kondome und das Buch „Die perfekte Liebhaberin“ hervor. Alle um mich herum kichern, sogar Kai der Verräter. Aber ich muss zugeben, dass es schon irgendwie lustig ist. Ich weiß ja eigentlich, dass es niemand böse meint.

„Mir dieser Kiste haben wir nichts tun“, sagt Jens neben mir und zeigt auch noch auf Finn und Lasse, die beide den Kopf schütteln. „Wir haben gedacht, dass du dich bestimmt auch noch über was Richtiges freuen würdest, also haben wir noch zwei Kinogutscheine besorgt. Essen und Trinken natürlich inklusive.“

„Danke“, sage ich lächelnd und drücke ihn kurz, was ich danach auch noch mit allen meinen Freunden mache.

„Und was hat Kai dir geschenkt?“, fragt Tim.

„Gar nichts.“

„Wie gar nichts?“

„Das kommt später“, sagt Kai.

„Oh, wie gut, dass ihr jetzt die passende Ausrüstung habt“, meint Anna und alle lachen wieder.

„Was die immer denken…“, flüstert Kai, so dass nur ich es hören kann und gibt mir einen Kuss.

„Ich weiß auch nicht. Haben sie denn recht?“

„Nein. Ganz kalt.“

„Was ist es denn dann?“

„Ist da etwa jemand neugierig geworden?“, fragt er grinsend.

„Nein.“

Natürlich glaubt er mir kein Wort.

Meine Oma ist am Nachmittag so begeistert von Kai, dass sie nicht nur mir, sondern auch ihm Geld schenkt und ihm kaum von der Pelle rückt. Ein bisschen erinnert es mich an die Situation, als meine Mutter ihn das erste Mal gesehen hat, und natürlich kann ich total nachvollziehen, was die beiden an ihm finden. Einmal muss ich ihn kurz mit in die Küche schleppen und küssen, weil… na ja, darum halt. Wir sind uns alle nicht ganz sicher, ob meine Oma verstanden hat, dass ich so mit Kai zusammen bin wie sie es mit meinem Opa war, also haben wir uns darauf geeinigt sie nicht gleich zu überfordern und solche Sachen wie das Küssen auf später zu verschieben. Aber leider ist später eben manchmal schon zu spät.

Mit meiner Mutter hab ich mich so geeinigt, dass wir den Umzug mit meinem Geburtstagsgeschenk verrechnen. Sie hat gesagt, dass sie sich im Moment nicht so viel leisten kann, aber ich werde mir wohl noch was Neues für mein neues Zimmer aussuchen dürfen. Kais Eltern haben sich dem mehr oder weniger angeschlossen. Sie dachten, dass es doch praktisch wäre, wenn ich ein größeres Bett hätte, damit Kai eventuell mal bei mir übernachten kann. Als ich davon höre, klappt mir erst mal der Mund auf. Erstens ist ein Bett viel zu teuer und zweitens hätte ich nie gedacht, dass es Eltern gibt, die dem Freund ihres Sohnes ein Bett schenken, damit der Sohn auch mal darin schlafen kann. Das ist doch verrückt. Die meisten Eltern würden doch eher darauf bestehen, dass man in getrennten Betten schläft. Aber diese offensichtlich nicht. Ich will mich ja nicht beschweren, aber komisch ist das schon, oder?

Das einzige Geschenk, das ich jetzt noch nicht bekommen habe, ist Kais. Und so langsam werde ich etwas nervös. Warum macht er so ein Geheimnis daraus? Ich hoffe er hat es nicht übertrieben.

„Ich glaube wir brechen jetzt mal auf“, sagt meine Mutter. „Oder Mama?“

„Wie bitte?“, fragt meine Oma, die gerade den letzten Schluck ihres Tees getrunken hat.

„Ich hab gefragt, ob wir uns auf den Weg machen wollen.“

„Oh ja, ich glaube das wäre das Beste.“

Kai und ich bringen die beiden noch zur Tür und müssen meiner Oma versprechen, dass sie uns mal wieder besuchen darf. Sie strahlt uns daraufhin glücklich an und winkt zum Abschied aus dem Autofenster.

„Ich mag sie“, sagt Kai und zieht mich an der Hand wieder zurück ins Haus.

„Sie hat dir ja auch nicht gerade wenig Geld geschenkt.“

„Das meinte ich nicht und das weißt du auch. Ich mag deine Oma, weil sie ein lieber Mensch ist.“

„Ja, ich weiß. Und ich liebe dich, weil du ein lieber Mensch bist.“

„Willst du dich einschleimen, damit du endlich dein Geschenk bekommst?“, fragt er grinsend.

„Nein, ich wollte damit sagen, dass ich gar kein Geschenk brauche.“

Er sieht mich eine Weile prüfend an und sagt dann: „Und genau deshalb bekommst du jetzt dein Geschenk.“

Er nimmt wieder meine Hand, geht noch kurz ins Wohnzimmer, um seinen Eltern eine gute Nacht zu wünschen, und zieht mich dann die Treppe hoch in sein Zimmer. Er setzt mich auf dem Bett ab und wühlt dann in seinem Kleiderschrank rum bis er ein kleines Päckchen gefunden hat.

„Das ist aber kein besonders gutes Versteck“, bemerke ich.

„Vielleicht bin ich ja einfach davon ausgegangen, dass du dir die Überraschung nicht vermasseln und deshalb nicht danach suchen würdest.“

„Da könntest du recht haben.“

Er lächelt etwas schüchtern und setzt sich neben mich. „Ich weiß nicht, ob es dir gefällt, aber ich wollte dir nicht einfach irgendwas schenken.“

„Darf ich es auspacken?“

„Ja, klar.“

Er reicht mir das Päckchen und ich sehe sofort, dass es ein Buch ist. Ich frage mich, was daran so besonders sein könnte und öffne gespannt die Hülle aus Geschenkpapier. Als das Cover des Buches sichtbar wird, muss ich erst mal nach Luft schnappen. Ganz oben steht mein Name und darunter der Titel „Manu und ich“. Das Bild, das als Hintergrund verwendet wurde, zeigt die erste Seite meines Schreibblocks. Ich öffne das Buch und finde auf der ersten Seite einen einzelnen Satz, den offensichtlich Kai geschrieben hat. Da steht einfach nur: Ich liebe dich!

Ich sehe Kai an, weiß aber nicht, was ich sagen soll. Ich bin total sprachlos. Das Buch ist nicht besonders dick, aber es sind alle Geschichten drin, die ich bisher geschrieben habe. Mit der Geschichte von Manu und Benni bin ich erst vor Kurzem fertig geworden.

„Das ist die einzige Ausgabe“, sagt Kai. „Es kann also niemand kaufen. Ich hab das einfach nur einmal binden lassen.“

„Hast du das alles abgetippt?“

„Ja, ich hoffe du bist mir nicht böse deswegen. Ich musste immerhin alles lesen, um es abzuschreiben.“

„Nein, Quatsch. Ich hab doch gesagt, dass du es lesen darfst.“

Ich lege das Buch beiseite und schlinge meine Arme um Kai. „Danke.“

„Also gefällt es dir?“

„Natürlich.“

Er streicht zufrieden lächelnd durch meine Haare und ich lege meine Hände in seinen Nacken. „Ich liebe dich auch“, flüstere ich und küsse ihn.

Am Abend ruft Martin an, um vom Ausgang des Prozesses zu berichten. Er klingt nicht besonders glücklich, also lasse ich ihn erst mal ausreden.

„Sie haben den Fall in die Kategorie ‚hinterlistiger Überfall‘ eingeordnet, aber in einem minder schweren Fall. Für eine schwere Körperverletzung hätte ich bleibende Schäden davon tragen müssen, zum Beispiel, dass ich nicht mehr richtig laufen kann oder so. Aber so war es nur einfache Körperverletzung und der Kerl ist mit einem halben Jahr auf Bewährung davon gekommen.“

„Und was sagt dein Anwalt dazu?“

„Dass ich noch einigermaßen froh über das Urteil sein kann. Hätten sie es als Schlägerei ausgelegt, wären Dominik und ich wahrscheinlich auch noch dran gewesen und die hinterlistige Absicht von diesem Arschloch wäre nicht erkannt worden. Glücklicherweise gab es aber genug Zeugen, die bestätigt haben, dass er ohne Grund auf mich losgegangen ist.“

„Immerhin hast du es jetzt hinter dir“, versuche ich ihn aufzubauen.

„Ich hätte aber auch sehr gut auf diesen ganzen Scheiß verzichten können. Das hat mich total viel Zeit gekostet, die ich eigentlich gebraucht hätte. Ausgerechnet jetzt musste das passieren.“

„Klar ist das blöd, aber versuch dich nicht zu sehr davon runter ziehen zu lassen, okay?“

„Ja, sicher. Was ist denn jetzt eigentlich mit dem Artikel? Schreibst du noch mal was darüber?“

„Ja, am Donnerstag muss es fertig sein. Meinst du dein Anwalt kann mir noch ein paar Infos geben? Ich kenne mich da so gar nicht aus und bevor ich was Falsches schreibe …“

„Ja, bestimmt“, sagt Martin und hört sich schon gleich ein bisschen glücklicher an. „Ich hab ihm schon von dir erzählt.“

„Okay, super. Dann fahr ich morgen mal bei ihm vorbei.“

„Brauchst du von mir auch noch ein offizielles Interview?“

„Nein, wenn ich noch ne Frage hab, ruf ich dich an.“

„Okay. Wir hören von einander, oder?“

„Ja, sicher.“

„Bis dann“, sagt er und legt auf.

Ich lege die Notizen, die ich gemacht habe auf den Küchentisch, damit ich sie morgen früh nicht vergesse und kuschel mich dann mit Benni aufs Sofa, um den Abend noch ein bisschen zu genießen. Ich bin froh, dass ich wieder etwas zu tun habe und nicht immer den ganzen Tag in der Redaktion hängen muss. Kopierer, Kaffeemaschinen und nervige Kollegen sind doch nichts verglichen mit einem netten Interview. Ich hoffe mal, dass mir bei Martins Anwalt nicht wieder so ein lebensgefährlicher Ventilator auflauert.

Als ich ins Bett gehe, spukt mir noch mal durch den Kopf, was Patrick gesagt hat. Ich kann nicht erklären warum, aber ich glaube ihm. Und das finde ich sehr beunruhigend, denn wer sonst könnte einen Grund haben, Benni und mir zu drohen? Okay, wir sind schwul und leben zusammen, aber wer weiß das denn schon? Und einen anderen Grund kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

„Grübel nicht so viel“, murmelt Benni und schmiegt sich an mich.

„Woher…?“

„Ich höre es in deinem Kopf rattern.“

„Du spinnst doch.“

„Egal. Schlaf endlich.“

Und das tue ich dann auch.

Den ganzen nächsten Tag bin ich mit meiner Arbeit beschäftigt und habe deshalb gar nicht die Möglichkeit weiter über Patrick nachzudenken. Zuerst steht das Interview mit Martins Anwalt an, der mir freundlicherweise sofort alle nützlichen Informationen zur Gerichtsverhandlung gibt und danach bin ich nur noch am Schreiben. Der Artikel zu der Schlägerei muss morgen fertig sein und über das Fitness-Studio muss ich schließlich auch noch berichten. Ich hätte mir damit wohl nicht so viel Zeit lassen sollen, aber immerhin hatte ich auch andere wichtige Dinge im Kopf.

Jedenfalls bin ich am Abend ziemlich geschafft und komme am Donnerstagmorgen daher kaum aus dem Bett. Benni ist so nett und hat schon mal einen extra starken Kaffee aufgesetzt, aber selbst der kann mich nicht munter machen. Ich schleppe mich mühselig in die Redaktion und lege meinem Chef beide Artikel auf den Schreibtisch. Er liest sie kurz durch und lächelt mich dann freundlich an.

„Aus Ihnen wird bestimmt mal ein guter Journalist.“

„Danke, das ist auch mein Ziel.“

„Wollen Sie studieren, wenn Sie Ihr Volontariat bei uns abgeschlossen haben?“, fragt er mit echtem Interesse und ich wundere mich, warum er jetzt darauf zu sprechen kommt.

„Ja, das hatte ich vor.“

„Würden Sie auch in Betracht ziehen, hier einen festen Job anzunehmen? Ich würde mich freuen, wenn sie uns erhalten blieben.“

„Ohne Berufsausbildung?“ Das kann doch nichts sein. Wahrscheinlich wäre das total schlecht bezahlt und wenn ich jemals entlassen werde, kann ich nirgendwo sonst anfangen.

„Ich würde Sie auch so einstellen, ja. Sie können in den nächsten Monaten ja noch einige Artikel zur Übung schreiben und wenn Sie Fragen haben, helfen Ihnen die Kollegen bestimmt gerne weiter. Es ist Ihre Entscheidung.“

„Ehrlich gesag, weiß ich nicht, ob das so sinnvoll wäre.“

„Sie können ja mal darüber nachdenken.“

„Okay. Danke.“

Etwas verwirrt setze ich mich an meinen Schreibtisch und fange an die langweiligen Aufgaben, die mir hier leider auch zugeteilt werden, zu erledigen. Das würde dann natürlich wegfallen, wenn ich ein offizieller Mitarbeiter dieser Redaktion wäre, aber ich kann mich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass mir jederzeit der Boden unter den Füßen weggerissen werden könnte. Reizvoll ist das Angebot natürlich schon, aber ich weiß nicht, ob ich das Risiko eingehen möchte. Außerdem hört man doch meistens, dass das Studium die schönste Zeit des Lebens ist, oder nicht? Was Benni sagen wird, ist mir schon klar. Er wird mir auf jeden Fall davon abraten diesen Job anzunehmen. Aber vielleicht können wir ja zusammen noch mal darüber nachdenken.

Nachdem ich gefühlte fünf Stunden damit beschäftigt war irgendwelche Unterlagen zu ordnen, beschließe ich erst mal mir einen Kaffee zu holen. Von dem vielen Lesen hab ich tierische Kopfschmerzen bekommen und da soll Kaffee ja ganz gut helfen, zumindest vorübergehend. Während die Kaffeemaschine läuft, kommt Jochen ins Zimmer und bleibt sofort in der Tür stehen, als er mich sieht. Sein Blick ist ganz merkwürdig, fast ein bisschen zornig. Er nimmt sich eine Tasse aus dem Schrank und wartet offensichtlich ebenfalls darauf, dass der Kaffee fertig wird.

„Und? Wirst du das Angebot annehmen?“, fragt er nach einer Weile.

„Was?“

Er antwortet nicht, sondern funkelt mich nur böse an. Irgendwas an diesem Blick lässt mich unsicher werden. Warum fragt er danach? Er tut ja gerade so als würde ich ihm den Job wegnehmen, falls ich zusage.

„Woher weißt du das?“, frage ich.

„Der Chef hat‘s mir gesagt.“

„Hast du was dagegen?“

„Allerdings.“

Wie bitte?

„Und warum? Ich ersetze doch niemanden und ich kenne mich hier schon aus. Jeder andere müsste doch erst wieder neu eingearbeitet werden.“

„Wir wollen aber keine Schwuchtel im Team.“

Darauf fällt mir erst mal nichts mehr ein. Ich bin geschockt. Sein eisiger Blick trifft mich wieder und ich fröstel tatsächlich ein bisschen. Allerdings weniger, weil er mich ansieht, sondern viel mehr, weil ich so langsam ein bisschen Angst bekomme. Mir hat das noch nie jemand so offen ins Gesicht gesagt. Ich dachte immer, dass ich damit umgehen könnte und dass mir bestimmt ein guter Spruch einfallen würde, aber jetzt ist mein Kopf vollkommen leer.

„Was heißt ‚wir‘?“, frage ich.

„Na alle hier. Außer vielleicht der Chef, denn den hast du ja schön um den Finger gewickelt.“

Der Kaffee ist mittlerweile fertig, also gießt Jochen sich die heiße Flüssigkeit in seine Tasse. Ich bin immer noch sprachlos, aber so langsam fügt sich in meinem Kopf ein Bild zusammen. Und auf einmal ist auch die Verbindung zu dem eingeworfenen Fenster und der Schmiererei an der Haustür da. Wenn Patrick es nicht war, dann muss es ja jemand anderes gewesen sein, der weiß, dass ich schwul bin und damit nicht umgehen kann.

„Du warst das?“, frage ich jetzt auch ziemlich aufgebracht.

„Was?“

„Hast du Benni und mich bedroht?“

„Wenn du es so bezeichnen willst …“

„Wie würdest du es nennen?“

„Freie Meinungsäußerung. Das ist in diesem Land erlaubt, falls du das noch nicht wusstest.“ Er grinst mich frech an.

„Ich würd das eher Sachbeschädigung und Drohung nennen. Bist du nicht mehr ganz dicht? Das ist doch krank!“

„Krank bist ja wohl nur du! Ich steige nicht mit irgendwelchen Typen ins Bett.“

„Ich auch nicht.“

„Willst du jetzt abstreiten, dass du schwul bist?“, fragt er schnaufend.

„Nein, aber ich schlafe nur mit Benni, wenn du es unbedingt wissen willst. Wahrscheinlich hast du das Wort Liebe noch nie gehört, oder?“

Jochen verzieht angeekelt das Gesicht.“Es ist mir vollkommen egal wie du es nennst. Es ist abartig. Und ich will damit nichts zu tun haben. Außerdem, was ist denn mit diesem Martin? Den vögelst du doch auch.“

„Hast du noch alle Tassen im Schrank?!“

„Klar, an deiner Stelle würde ich es auch nicht zugeben.“

„Du tust mir leid, echt. Jedenfalls kann ich der Polizei jetzt etwas Interessantes erzählen.“

„Und wie willst du das beweisen?“, fragt er mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht.

„Na ja“, sagt eine andere Stimme vor der Tür und kurz darauf kommt mein Chef ins Zimmer. „Ich hab da eine Menge gehört und das könnte ich auch wiedergeben.“

Auf einmal wird Jochen ganz blass und schaut zwischen mir und dem Redaktionsleiter hin und her.

„Halten Sie etwa tatsächlich zu ihm?“

„Ja, ich sehe nicht, dass er etwas Unrechtes getan hat. Im Gegensatz zu Ihnen.“

„Das kann doch nicht wahr sein!“, brüllt Jochen und hat es plötzlich sehr eilig wegzukommen. Er stürmt aus dem Zimmer und verlässt auch gleich die Redaktion.

Ich bedanke mich überschwänglich bei meinem Chef, nachdem ich meine Sprache wiedergefunden habe und er versichert mir, dass er so bald wie möglich eine Aussage bei der Polizei machen wird. Natürlich muss er mir auch versprechen, dass nichts davon in der Zeitung erscheinen wird. Ich kann es gar nicht erwarten das Benni zu erzählen.

„Nee, oder?“, ist das erste, das Benni sagt. „Dann war es nicht Patrick?“

„Nein, er hat tatsächlich mal die Wahrheit gesagt.“

„Warst du schon bei der Polizei oder sollen wir das jetzt machen?“

„Ich war schon da. Ich durfte früher gehen, dann hab ich das gleich auf dem Rückweg erledigt. Die werden Jochen mal einen Besuch abstatten und mein Chef will in den nächsten Tagen seine Aussage machen.“

Benni setzt sich neben mich aufs Sofa und zieht mich an sich. „Und geht’s dir jetzt besser?“

Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter. „Ja.“

Das erste Mal können wir wieder entspannt hier sitzen, ohne uns zu fragen wer uns da draußen etwas Böses will. Ich bin mir sicher, dass es noch andere wie Jochen gibt, aber wo würden wir denn hinkommen, wenn wir nur noch darüber nachdenken würden, was als nächstes passieren könnte? Schlimm genug, dass wir ab und zu dazu gezwungen werden, aber ich will nicht auf Dauer so leben. Dafür bin ich mir zu schade. Ich will etwas von meinem Leben haben und dazu gehört auch, ein Teil der Gesellschaft zu sein und sich nicht immerzu zu verstecken. Ich will zu Benni, zu mir, zu uns stehen können und das werde ich auch. Egal, was andere sagen.

Mir huscht ein kurzes Lächeln übers Gesicht, als ich das Buch, mein Buch, zuklappe und neben dem Bett auf den Boden lege. Niemand kann das sehen, weil es schon dunkel im Zimmer ist und Kai bereits seit einer Weile schläft, aber ich bin gerade so glücklich und irgendwie stolz auf mich, dass ich einfach grinsen muss.

Ich kuschel mich an meinen Freund, ohne dass er etwas davon merkt und schlafe kurz darauf ebenfalls ein.

ENDE

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