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Mein Mülleimer

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Inhaltsverzeichnis

 

Ich sitze hier in meinem Zimmer, allein, und lausche der Musik von My Chemical Romance, während meine kleine Schwester im Nebenzimmer mit ihrem Freund kuschelt.

Gott, bin ich neidisch! Seit ein paar Wochen sind sie jetzt zusammen. Er kommt jeden Tag hierher und geht erst wieder, wenn der Zeitpunkt erreicht ist, den unsere Mutter als Sperrstunde eingerichtet hat. Die ganze Zeit sind sie dann im Zimmer meiner Schwester verschwunden, kuscheln, knutschen und was auch immer... und ich? Ich sehe mir das alles schweigend und vor allem still vor mich hin leidend mit an. Ist es nicht genau das, was ich mir schon immer wünsche? Ja, genau das ist es! Verdammt! Ich wünsche es mir seit ich denken kann und sie bekommt es! Sie hat jetzt genau das, wonach ich mich am meisten sehne. Gut finden kann ich das daher nicht besonders. Aber was soll ich machen? So ein Arsch, der ihr ihr Glück nicht gönnt, bin ich nämlich nicht. Ich verstehe es nur nicht. Seit Jahren kann ich machen, was ich will, mich auf den Kopf stellen, was nebenbei gesagt ziemlich weh tut, und doch scheint sich nie jemand ernsthaft für mich zu interessieren. Woran das liegt? Das wüsste ich auch gern! Aber wie das nun mal so ist, weiß ich es natürlich nicht!

Ich bin sogar schon so weit, dass ich mich bei einer Partnerbörse im Internet angemeldet habe. Aber auch da bin ich ins kalte Wasser gefallen. Die einzigen Kerle, die mich angeschrieben haben, sind ihrer Jugendzeit schon lange entwachsen. 40 und älter sind die! Ich meine, hallo? Ich bin gerade mal 19 und das steht auch deutlich lesbar in meiner Visitenkarte. Als ob ich mich mit denen einlassen würde! Deren Selbstvertrauen will ich haben!

Mein bester Freund, Lukas, ist bestimmt schon total genervt von mir, weil ich ihn ständig zujammere. Hab ihn deswegen meinen „Mülleimer“ getauft, immerhin lade ich ja alles bei ihm ab. Er ist nun mal der Einzige, dem ich alles, wirklich alles erzähle und er hat mich noch niemals enttäuscht oder verurteilt.

Selbst als ich ihm gebeichtet habe, dass es nicht Mädchen sind, denen meine Aufmerksamkeit in gewissen Bereichen meines Lebens gilt, hat er nur gelächelt und gesagt:

„Janni, du musst aber auch immer alles extravagant haben, oder? Nie kannst du dich mit etwas Normalem zufrieden geben. Du musst immer irgendwie anders sein, als alle anderen. Aber das liebe ich so an dir.“

Dass ich daraufhin knallrot angelaufen bin, hat ihn auch nicht weiter gestört. Er hat nur gelächelt, wie er es immer tut. Sein ehrliches und absolut entwaffnendes Lächeln. Jedes Mal, wenn ich es sehe, geht´s mir viel besser und ich muss immer mitschmunzeln, egal wie beschissen es mir eigentlich geht. Mein lächelnder Mülleimer! Schon eine komische Kombination, aber besser kann ich Lukas aus meiner Sicht nicht beschreiben.

Ich weiß nicht, wie es ihm geht, aber ich würde sterben, wenn ich nicht mehr in seiner Nähe sein dürfte. Zur Zeit ist er mir wichtiger als alles andere. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich niemanden kennenlerne. Es könnte ja sein, dass meine Erwartungen viel zu hoch sind, weil Lukas einfach so perfekt ist, dass ich mich mit nichts Geringerem abgeben will. Allein die Vorstellung mit jemandem zusammen zu sein, der mich nicht so fröhlich und aufbauend anlächeln kann, ist grausig.

So wie ich das sehe, habe ich also ein noch größeres Problem, als ich dachte. Mein bester Freund ist genau das, was ich suche, wird sich aber niemals in mich verlieben und ich bin schließlich auch nicht verliebt in ihn.

Wo ist das Loch? Ich springe sofort!

Aber erstmal gehe ich schlafen und warte auf eine Offenbarung in meinen Träumen. Meine Träume sind immer absolut genial. Völliger Schwachsinn, total zusammenhangslos und ich wache immer wieder heulend auf.

Warum? Weil ich natürlich immer genau das träume, was ich mir am meisten wünsche. Dann wache ich auf und merke, dass es eben nicht die Realität war und versinke sofort in einem vernichtenden Stimmungstief. In der Hinsicht bin ich halt ein Softie.

Mal sehen, was mich heute Nacht erwartet.


Am nächsten Morgen schlage ich widerwillig die Augen auf, weil eine lebensmüde Taube in dem Baum vor meinem Fenster angefangen hat lauthals zu gurren. Das Fenster kann ich wegen der warmen Sommerluft draußen leider nicht zumachen, also bleibt mir nichts anderes übrig, als dieses Geschrei zu ertragen.

Lange schaffe ich das allerdings nicht. Schon nach ein paar Minuten bin ich so geladen, dass ich kaum mehr still im Bett liegen kann. Schlafen kann ich jetzt natürlich auch nicht mehr und quäle mich daher aus den Federn. Zum Glück wurde ich in der Nacht nicht von irgendwelchen gefühlsduseligen Träumen heimgesucht, sodass ich jetzt ohne rote Augen in die Küche gehen kann, um zu frühstücken. Der Rest meiner Familie ist schon lange fertig und ausgeflogen, da sie alle entweder zur Arbeit oder in die Schule müssen. Und ich? Ich genieße meine wohlverdiente Freizeit nach dreizehn, scheinbar endlosen Schuljahren. Vor einer Woche habe ich nämlich meine letzte Abiturprüfung hinter mich gebracht. Endlich keine Schule mehr! Ein super Gefühl und ich kann jeden Tag ausschlafen. Na ja, außer heute, aber das hat auch etwas Gutes. Es ist gerade mal zehn vor neun und das bedeutet, dass das Freibad noch nicht besonders voll ist. Ich liebe es in der Woche morgens im Freibad zu schwimmen, wenn einem die ganzen Kids nicht ständig im Weg rumpaddeln. Das ist echt nervtötend, wenn man immer jemandem ausweichen und warten muss, bis die Bahn wieder frei ist. Dann lieber mit ein paar Omas und Opas allein, die sowieso nach einer halben Stunde wieder aus dem Wasser gehen.

Also angezogen und Tasche gepackt und dann auf ins nasse Vergnügen! Warm genug ist es jedenfalls schon mal

und regnen soll es auch nicht mehr.

Wow, es ist echt total leer. Kein einziges Kind. Das Wasser im Plansch- und Erlebnisbecken ist geradezu unheimlich ruhig. Mal sehen wie es im Schwimmerbereich aussieht.

Na gut, ein paar Frühaufsteher sind schon da, aber dass ich das Becken für mich allein hab, hatte ich auch nicht erwartet. Zwei Frauen mittleren Alters schwimmen nebeneinander her und quatschen, was das Zeug hält und ein Opa lehnt schnaufend am Rand. Wahrscheinlich erholt er sich von seiner halben Stunde sportlicher Aktivität.

Ich liebe alte Leute, hab ich das schon mal erwähnt? Die können echt niedlich sein und sind immer so aufmerksam. Abgesehen von denen, die ich Oma und Opa nenne. Die sind nämlich alles andere als niedlich. Immer reden sie nur darüber, welche Medikamente sie nehmen müssen, wie viele Krankheiten sie schon hinter sich gebracht haben und so weiter. Ich kann das echt gut verstehen und möchte nicht sehr gerne mit ihnen tauschen, aber nachdem ich mir dieselbe Geschichte zum fünften Mal anhören musste, reichte es langsam.

Die hier Anwesenden scheinen jedenfalls umgänglicher zu sein. Solange mich keiner von denen anspricht, können die gerne hier ihre Runden schwimmen.

Ich stelle meine Tasche am Rand auf einer Liege ab, schnappe mir meine Taucherbrille – ja die, mit denen man aussieht wie ein Frosch – und mache mich auf den Weg zur nächsten Treppe.

Das Wasser ist angenehm kühl und das Becken dank der frühen Tageszeit noch relativ sauber. Noch schwimmen keine Klopapierstücke oder aufgeweichte Pflaster im Wasser, sodass ich ohne Bedenken meine Gummibrille aufsetzen und eine Bahn tauchen kann. Wenn hier alles Mögliche und Unmögliche rumschwabbert, verzichte ich lieber darauf mir alles so genau anzusehen und behalte meinen Kopf an der frischen Luft. Aber so? Herrlich! Freie Bahn, sauberes Wasser und keine nervigen Mitschwimmer.

Als ich am anderen Beckenrand wieder auftauche, verzieht sich mein inneres Grinsen jedoch ziemlich fix, denn mein Blick fällt sofort auf den Jungen, der seine Tasche gerade zwei Liegen von meiner entfernt, ablegt.

Nein, das ist jetzt nicht wahr. Seit wann geht der denn schwimmen? Und dann noch um die Uhrzeit? Ob er mich schon gesehen hat? Nee, bestimmt nicht, sonst wäre er schon angestapft gekommen. Jetzt geht er auf die Treppe zu und steigt ins Wasser. Der will echt hier schwimmen. Ich fasse es nicht! Und was soll ich jetzt machen? Wieder gehen, nach nur einer Bahn? Unbemerkt komme ich hier sowieso nicht mehr raus, also warten, bis er bei mir ankommt und ihn dann so freundlich wie möglich fragen, was zum Henker er hier zu suchen hat. Er geht sonst nie schwimmen. Ich wusste gar nicht, dass er es überhaupt kann.

Da kommt er auch schon und... bemerkt mich natürlich sofort.

„Hey Janni, was machst du denn hier?“, grinst er.

„Ich würde sagen, das gleiche wie du, obwohl ich das immer noch nicht glauben kann.“ Immer schön freundlich bleiben, immerhin bin ich hier in der Öffentlichkeit.

„Wieso?“

„Seit wann gehst du schwimmen? Das hast du sonst auch nie getan.“

„Na ja, wenn du mir sagst, dass es so toll ist, muss ich das doch auch mal ausprobieren, oder?“

Na toll, jetzt bin ich Schuld daran! Hätte ich mir auch denken können, dass er irgendwann hier auftaucht. Dennis ist nämlich mein kleiner Stalker. Egal, was ich mache, er tut es auch. Egal, wo ich hingehe, er ist auch da. Und das alles nur, weil ich einmal mit ihm geschlafen habe. Vor einem halben Jahr! Seitdem rennt er mir nach und versucht immer wieder, mich zu verführen. Dabei hab ich ihm gleich gesagt, dass ich niemals zweimal mit jemandem ins Bett gehe, den ich nicht liebe. Er war einverstanden und jetzt hab ich den Salat!

„Wie lange haben wir uns nicht gesehen?“, fragt er und kommt ein Stückchen näher.

„Eine Woche“, antworte ich knapp und muss sehr an mich halten, um ihm nicht ganz deutlich zu zeigen, dass er unerwünscht ist.

„Und wann sehen wir uns wieder?“

„Hoffentlich nicht vor der Entlassungsfeier.“ Das ist noch so eine Sache. Dennis und ich waren in der Schule in einer Stufe. Das heißt, dass er auch mit der Schule fertig ist und genauso viel Freizeit hat wie ich.

„Warum bist du immer so abweisend zu mir, Janni?“ Ich hasse es, wenn er mich so nennt! Das darf nur mein Mülleimer!

„Das weißt du ganz genau. Und mein Name ist Jan, ok? Nur Jan.“ Ich stoße mich vom Rand ab und schwimme die Bahn zurück. Natürlich kommt er mir nach, also sehe ich zu, dass ich vom Fleck komme. Als ich am anderen Rand ankomme, ist er noch ein paar Meter entfernt, was mich grinsen lässt.

„Es sieht echt toll aus, wie du schwimmst“, schnauft er strahlend und lehnt sich neben mich. Zu nah neben mich. Den wird man echt nicht los!

„Hör zu“, sage ich genervt. „Entweder du gehst oder ich, verstanden?“

Anscheinend nicht, denn er stellt sich vor mich und greift mit beiden Händen nach dem Beckenrand neben mir. Da seine Arme nicht besonders lang sind, ist der Abstand zwischen unseren Gesichtern jetzt beängstigend gering. Und nicht nur zwischen unseren Gesichtern. Ich spüre seinen Körper ganz deutlich an meinem.

„Ich will doch nur, dass du netter zu mir bist“, sagt er grinsend und ich merke wie sein Atem meine Wange streift.

„Ja, und vor allem willst du, dass ich mit dir schlafe.“

Er grinst noch breiter und drückt sich weiter an mich. „Du etwa nicht?“ Dann löst er seine rechte Hand vom Beckenrand und streicht von der Schulter abwärts über meinen Oberkörper.

„Nein! Zum hundertsten Mal!“ Ich stoße ihn grob von mir und steige die nächste Leiter hoch aus dem Wasser. „Lass mich endlich in Ruhe!“ Dann schnappe ich mir meine Tasche und verschwinde so schnell wie nur irgendwie möglich aus dem Freibad. Duschen kann ich auch zu Hause. Hauptsache weg von diesem Irren!


Jetzt hilft nur noch Lukas! Aber der kommt erst in ein paar Stunden nach Hause. Er hat es nämlich nicht so gut wie ich mit seiner Freizeit, weil er zur Zeit ein Praktikum macht. In irgendeiner Werbeagentur, die ihn von acht Uhr morgens bis halb vier nachmittags schuften lässt. Das ist echt unpraktisch, weil er dann die ganze Woche arbeitet und immer nur abends oder am Wochenende Zeit für mich hat. Ja, ich weiß, dass ich ziemlich egoistisch sein kann, aber wenn´s um Lukas geht, bin ich gnadenlos. Meine Schichtzeiten bei meinem Job in einer Videothek habe ich auch so gelegt, dass ich nur arbeiten muss, wenn Lukas dasselbe tut. Ab und zu muss ich auch am Wochenende ran, aber das ist glücklicherweise eher selten der Fall.

Jetzt sitze ich also zu Hause in meinem Zimmer, oder besser gesagt ich liege, und starre die Decke an. Warum sind eigentlich immer nur die absolut schrägsten Kerle hinter mir her? Alte, schwachmatische aus dem Internet und besessene Mitschüler. Wenn Dennis ein wenig einfühlsamer und sowieso ein ganz anderer Typ wäre, würde ich mich geschmeichelt fühlen von seinen Annäherungsversuchen, aber er ist nun mal einfach nur Dennis. Das Dumme ist, dass er ja gar nicht mal schlecht aussieht... ganz im Gegenteil. Sonst hätte ich schließlich auch nicht mit ihm geschlafen. Aber ich habe meine Grundsätze, die ich bestimmt nicht seinetwegen über den Haufen werfen werde. Obwohl es schon reizvoll ist. Wahrscheinlich merkt er ganz genau, dass er nämlich doch eine gewisse Anziehung auf mich hat. Verdammt! Es war eindeutig ein Fehler mit ihm zu schlafen! Wer kann schon jemandem widerstehen, von dem er weiß, wie gut ES mit ihm ist?!

Okay, ich brauche jetzt unbedingt ne kalte Dusche! Wozu hab ich denn diese Regel eingeführt? Bestimmt nicht, um sie bei der erstbesten Gelegenheit zu übergehen. Ich wollte einfach meinen Spaß und mir gleichzeitig bewusst sein, dass es rein gar nichts mit Liebe zu tun hat. So nach dem Motto: Einmal ist keinmal und hat daher überhaupt nichts zu bedeuten.

Ich muss unbedingt mit Lukas reden, damit er mir meine hirnrissigen Gedanken schnellstens aus dem Kopf schlägt. Vielleicht schafft er es ja, mich von dieser ganzen Sache abzulenken.

Was muss dieser Dennis auch so an mir rumfummeln? Na ja, er hat ja jetzt genau das erreicht, was er wollte. Ich bin verwirrt! Und wenn sich das bis zu unserem nächsten Zusammentreffen nicht ändert, tue ich vielleicht etwas, das mir nachher sehr leid tun wird.


„Sag mir bitte sofort, was ich jetzt machen soll!“

„Dich zusammenreißen und an die Regeln halten“, antwortet mein Mülleimer, der die letzte Stunde ordentlich was zu futtern bekommen hat.

„Aber wenn der wieder sowas macht, bin ich erledigt. Was muss denn unbedingt er so ein Charakterschwein sein?“

„Ich hab keine Ahnung. Ich weiß nur, dass diese Regel eine sehr gute Sache war. Wenn du zweimal mit jemandem ins Bett steigst, wird es vielleicht zur Gewohnheit und wenn du dann jemanden kennen lernst, in den du dich verliebst und mit dem du eine Beziehung führen willst, wird es brenzlig. Meinst du, dass du dann einfach so von deiner Bettgeschichte wegkommst?“

Er hat recht! Und ich möchte ihm spontan um den Hals fallen! Nur käme das wahrscheinlich eher weniger gut an. Stattdessen bedanke ich mich artig bei ihm und genieße anschließend sein Lächeln.

„Hey, hast du morgen was vor?“, fragt er plötzlich.

„Ähm... nein. Warum?“

„Dann bleib doch heute Nacht hier. Morgen ist doch Wochenende. Haben wir ewig nicht mehr gemacht. “

Ja, allerdings, und warum nicht? Weil ich zwischenzeitig schwul geworden bin. Er hat mich seitdem nie wieder gefragt und jetzt kommt es einfach so? Mir klappt der Mund auf!

„Hast du was dagegen?“, fragt Lukas.

„Ich nicht und was ist mit dir?“

„Warum sollte ich... ach so, versteh schon. Nein, das stört mich nicht. Würde ich sonst fragen?“

„Wohl nicht.“

„Eben. Und du wirst wohl kaum über mich herfallen.“ Er lacht sich halb kaputt bei dem Gedanken, wogegen mir leicht schlecht wird. Ich lächle vorsichtshalber mal mit, fühle mich aber grad nicht wirklich wohl in meiner Haut.

„Ach komm schon, Janni. Wenn hier jemand so verklemmt grinsen sollte, wäre ich das doch wohl eher, oder?“

Da wär ich mir nicht so sicher, mein Lieber! Immerhin bin ich derjenige, der neben dem perfekten Mann schlafen soll, ohne ihn zu berühren. Verliebt sind wir zwar nicht, aber das muss ja nichts heißen. Gerade haben wir noch über das Thema gesprochen und jetzt lädt er mich ein, bei ihm zu übernachten? Das muss man nicht verstehen, oder? Vielleicht denkt er ja tatsächlich, dass ich mich wegen unserer langjährigen Freundschaft niemals an ihn ranmachen würde, und das würde ich auch nicht einfach so, aber ehrlich gesagt, sehe ich ihn gerade zum ersten Mal nicht nur als meinen besten Freund. Ich meine, immerhin ist er ein Mann, oder nicht? Und nicht gerade hässlich! Ich würde ihn eher als umwerfend bezeichnen.

Oh Gott, wie komme ich hier bloß wieder raus?

Während Lukas im Bad verschwunden ist, ziehe ich mir schnell meine Sachen aus und verschwinde unter der Bettdecke. Er hat nämlich weder ne zweite Matratze, noch sonst irgendetwas, worauf ich schlafen könnte, also werden wir uns, wie früher auch, sein Bett teilen. Das ist es ja, was mich an seiner Einladung so stutzig gemacht hat.

Auf einmal geht das Licht aus und kurze Zeit später merke ich wie die Bettdecke angehoben wird und die Matzratze sich leicht nach unten senkt. Dann spüre ich eindeutig einen anderen Körper neben mir liegen und muss schlucken. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, sehe ich Lukas` lächelndes Gesicht direkt vor meinem.

„Gute Nacht, Janni“, flüstert er, was mir einen kalten Schauer über den Rücken jagt.

„Hey, ist dir kalt?“

„Ein bisschen“, antworte ich wahrheitsgemäß und er zieht die Decke über meine Schultern.

„Schlaf gut“, sagt er, dreht sich auf den Rücken und schließt die Augen.

„Du auch.“

Mir ist schlecht, denke ich auch noch nach einer halben Stunde, die ich mit weit geöffneten Augen dagelegen habe. Ich kann nicht anders, als ihn immer wieder von der Seite anzustarren. Vor ein paar Minuten hat sich sein Mund leicht geöffnet und sein Kopf ist zur Seite gefallen. Er schläft. Und ich? Ich werde langsam verrückt. So schön es auch ist, dass er mir vertraut, zur Zeit hab ich nicht viel davon.

Wenn er nicht mein bester Freund wäre, könnte ich... Nein, das darf ich nicht mal denken! Wie soll ich sonst jemals hier einschlafen?

Aber andererseits... er schläft. Ob er es merken würde, wenn ich mich an ihn kuschel? Ja, ganz sicher. Der wacht bei der kleinsten Bewegung sofort auf. Wahrscheinlich ist es das Beste, wenn ich mich einfach umdrehe und versuche zu schlafen. Dann muss ich ihn immerhin nicht sehen und riechen. Na gut, ein Versuch schadet ja nicht. Ich drehe mich also auf die Seite und kehre ihm den Rücken zu.


Am nächsten Morgen wache ich auf und merke sofort, dass etwas nicht so ist wie sonst. Irgendwas klebt mir hinten am Rücken und es ist warm. Ich öffne die Augen und sehe an eine weiße Wand. Als nächstes fällt mir die Hand auf, die ganz sanft über meinen rechten Arm streichelt. Eine Gänsehaut macht sich auf meinem ganzen Körper breit und das scheint auch Lukas bemerkt zu haben.

„Na du Schlafmütze. Ich dachte schon, du willst gar nicht mehr aufwachen.“

„Hmm“, grummel ich nur, um mir nicht anmerken zu lassen, dass ich bereits hellwach bin.

„Jetzt steh schon auf! Frühstück ist fertig.“

Wie jetzt? Der hat schon Frühstück gemacht und sich dann wieder zu mir gelegt? Tatsächlich! Er ist schon vollkommen angezogen und gestylt. Irgendwie ist mir das alles zuviel auf einmal. Was will er von mir? Das ist doch nicht mehr normal!

Absolut überfordert tapse ich in die Küche und setze mich auf meinen Stammplatz. Lukas stellt mir eine Tasse Kaffee vor die Nase und setzt sich ebenfalls.

„Ob du gut geschlafen hast, brauche ich wohl gar nicht erst zu fragen.“

„Nee“, sage ich nur und zwinge mich zu einem Lächeln. „Danke für das Frühstück.“

„Kein Problem. Ist schön mal wieder jemanden hier zu haben. Jeden Tag allein zu frühstücken ist auf Dauer echt öde.“

„Das glaube ich.“

Komm schon, sage ich mir, nimm das nicht zu ernst. Er wollte dir einen Gefallen tun und dich ein bisschen verwöhnen. Lass ihm doch den Spaß! Er freut sich einfach nur, dass du da bist.

Ja, wahrscheinlich hat die Stimme in meinem Kopf recht und ich mache mir zu viele Gedanken. Lukas steht auf Mädchen und ich auf Jungs. Das passt einfach nicht! Und daran wird sich auch nichts ändern!

Nach dem Frühstück haben wir noch ein bisschen beieinander gesessen, bis ich schließlich meine Sachen genommen und mich mit der Ausrede, ich wolle noch schwimmen gehen, verabschiedet habe.

Jetzt bin ich auf dem Weg nach Hause und denke angespannt nach. In was für eine ätzende Situation ich doch wieder geraten bin! Normalerweise bespreche ich alle meine Probleme immer mit Lukas, aber das wäre jetzt wohl genau das Falsche. Was nützt mir mein Mülleimer, wenn ich ihn nicht vollmüllen kann?

Nein, mal ganz im Ernst: Ich bin es echt nicht gewohnt, dass ich mit irgendeinem Problem allein dastehe. Immer war Lukas da, hat mir zugehört, mir seinen Rat gegeben und wenn es ganz schlimm war, hat er mich immer in den Arm genommen und getröstet. Ich war nie allein und hab mich auch nie so gefühlt... bis jetzt. Jetzt gerade fühle ich mich völlig alleingelassen. Natürlich habe ich auch noch andere Freunde aus der Schule, aber denen würde ich nie etwas wirklich Wichtiges anvertrauen. In der Schule sind wir immer prima miteinander ausgekommen, aber privat hatten wir nicht viel gemeinsam. Die wissen noch nicht mal, dass ich schwul bin und das soll nach Möglichkeit auch so bleiben. Dennis, ja, der weiß es. Natürlich weiß er es! Wie auch nicht?! Aber der war nie ein Freund für mich. Nicht mal ein Bekannter. Einfach nur ein Mitschüler. Unser One-Night-Stand kam daher auch ziemlich überraschend. Eigentlich wusste keiner vom anderen, dass er schwul ist, und trotzdem sind wir eines Tages ohne Vorwarnung übereinander hergefallen. Einfach so. Vorher war nichts und danach sollte auch nichts sein. Tja!

Es fängt gerade an zu regnen, als ich die Haustür aufschließe. Eigentlich hätte ich gar nicht besonders viel dagegen gehabt, ein bisschen nass zu werden. Schwimmen gehen kann oder besser will ich nicht, weil es da bestimmt tierisch voll ist und so ein paar Regentropfen können schließlich auch ganz angenehm sein. Also Tasche abgelegt und wieder raus vor die Tür. Ja, ich bin total irre, ich weiß!

Ziellos laufe ich in der Gegend rum, mal nach links, mal nach rechts und dann wieder ein ganzes Stück geradeaus. Es ist hoffnungslos! Alleine kann ich einfach nicht nachdenken, ohne dass nur Schrott dabei rauskommt.

Nach einer Weile setze ich mich auf eine Bank, lege meinen Kopf in den Nacken und schließe die Augen. Die kleinen Tropfen auf meinem Gesicht sind wirklich sehr angenehm. Wie ganz, ganz viele Küsse. Plötzlich taucht Lukas` Gesicht vor mir auf und verschwindet wieder. Dann sehe Dennis, aber auch dieser Anblick verblasst nach kurzer Zeit. Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich gerade denke, so konfus schwirrt alles durcheinander, bis ich auf einmal merke, wie sich jemand neben mich setzt.

„Hey, Janni! Was soll das denn werden?“

Oh nein, nicht jetzt! Nicht, wenn ich so verwirrt bin!

„Ich versuche, mich zu ertränken, aber das klappt nicht so ganz.“

„Wieso das denn?“

„Soll ich dir jetzt ernsthaft erklären, warum man sich mit ein paar Regentropfen nicht ertränken kann?“

„Nein, ich meine, warum willst du dich ertränken?“

„Das geht dich nichts an!“

„Dann ist es ein Kerl, stimmt´s?“

„Ja, stimmt! Und zwar du!“

Dennis antwortet nicht. Ist er jetzt echt beleidigt, wegen dieser Bemerkung? Ich hab ihm doch schon viel Schlimmeres an den Kopf geworfen. Ich öffne die Augen und richte mich wieder auf. Er sitzt links neben mir und... grinst mich blöde an.

„Na“, sagt er nur und bevor ich mich irgendwie wehren kann, sitzt er schon auf meinem Schoß und küsst mich. Ich fasse es nicht! Der kommt hier angekrochen, versucht sich in mein Privatleben einzumischen und jetzt küsst er mich? Er weiß ganz genau, dass das nicht nochmal laufen wird! Aber ich anscheinend nicht, denn ohne zu überlegen, küsse ich ihn zurück.

Nein, das geht nicht, denke ich immer wieder, aber im Moment bin ich nicht besonders willensstark. Dieses ganze Zeug mit Lukas, ist mir dermaßen auf den Magen geschlagen, dass ich zur Zeit wohl alles machen würde, um das zu vergessen. Ablenkung ist doch immer noch die beste Medizin!

Wir sitzen also im Regen auf einer Bank und küssen uns fast ohnmächtig! Ich wusste schon damals ganz genau, was mich an Dennis so fasziniert hat, und das hat sich bis heute nicht geändert. Sein Körper ist echt der Hammer und küssen kann der...!

Ich werde schwach! Das merke ich schon, während er mich von der Bank zieht, nach meiner Hand greift und mich hinter sich her schleift. Warum eigentlich nicht? Ich habe niemanden, den ich dabei betrüge. Höchstens mich selbst und meine Grundsätze. Aber die sind eh schon im Eimer, also was soll´s?!

Bei ihm zu Hause angekommen, meldet sich mein schlechtes Gewissen jedoch sehr schnell wieder. Was würde Lukas wohl dazu sagen? Immerhin hatte ich meine Gründe diese eine Regel einzuführen. Ich sollte.... Oh je, zu spät! Dennis hat sich soeben sein Shirt über den Kopf gezogen und kommt jetzt grinsend auf mich zu. Klar, dass das hier sein Selbstbewusstsein nicht gerade einschränkt!

Seine Finger greifen in meinen Ausschnitt und ziehen mich zu ihm heran. Wieder küsst er mich fordernd und entledigt mich schließlich auch meines Oberteils. Ich kann mich jetzt endgültig nicht mehr zurückhalten und dränge ihn zu seinem Bett. Meine Finger öffnen die Knöpfe und den Reißverschluss seiner Hose, während er dasselbe bei mir tut. Nur noch mit Shorts bekleidet werfen wir uns in die Kissen und wälzen uns eine Weile in dem weichen Stoff, bis wir schließlich miteinander schlafen.


„Du hast was?“, fragt Lukas entgeistert, als ich mich fünf Tage später endlich getraut habe, ihm unter die Augen zu treten. „Das glaub ich jetzt nicht!“

„Es war eben ein ungünstiger Zeitpunkt. Ich war verwirrt und dann war er auf einmal da.“

„Du musst mir nichts erklären. Ist schließlich dein Ding. Ich find´s nur echt krass.“

Ja, ich auch! Was ich mir nachher für Vorwürfe gemacht habe! Dennis hat nur total entrückt gelächelt und ständig „Ich wusste es“ gemurmelt. In dem Augenblick war mir klar, dass es ein Fehler war. Ausgerechnet mit Dennis! Das ist doch alles nicht wahr!

„Ich bin so ein Idiot!“, fluche ich und schlage mir mit der Handfläche gegen die Stirn.

„Hey, hör auf. Du bist halt auch nur ein Mann.“

„Ach, dann hättest du dasselbe getan?“

„Okay, gut. Du bist eben auch nur ein SCHWULER Mann.“

„Na warte, du...“, schnaufe ich und stürze mich auf ihn.

So jemanden wie Lukas will ich! Ganz sicher! Er ist einfach der Beste! Man kann mit ihm rumalbern, so wie jetzt, aber man kann sich auch immer auf ihn verlassen.

Erschöpft liegen wir beide am Boden. Ich auf dem Rücken und er halb auf meinem Oberkörper. Ich kann seinen Herzschlag spüren und seine Wärme, so nahe ist er bei mir. Am liebsten würde ich ewig so liegen bleiben, aber ihm ist das sicher unangenehm. Er sieht kurz auf und lächelt mich an, dann kuschelt er sich zurück in meine Arme.

„Ich hab dich lieb, Janni“, höre ich ihn sagen und laufe schon wieder rot an.

„Ich... dich auch“, stammel ich und weiß mal wieder nicht wohin mit meinen Gedanken. Der ist doch nicht normal in letzter Zeit! Sonst hat er mir nie sowas gesagt. Und schon gar nicht, seitdem er weiß, dass ich schwul bin. Was also soll ich davon halten?

Bevor ich eine Antwort gefunden habe, steht er auf und zupft seine Kleidung zurecht. „Willst du was trinken?“, fragt er völlig normal.

„Äh, ja... danke.“

Himmel Herrgott! Wer holt mich aus dieser Achterbahn, bevor ich kotze? Aber bitte schnell, es steht mir schon bis zum Hals!


Was ich die nächsten Tage gemacht habe? Ich hab mich in mein Schneckenhaus, sprich in mein Zimmer, zurückgezogen und intensive Nachforschungen angestellt, sprich ich hab mich halbtot gegrübelt. Mit Dennis hab ich auch gesprochen, weil ich ihm mal wieder klar machen wollte, dass ich nie wieder mit ihm schlafen werde. Er hat das eigentlich ganz lässig hingenommen und meinte nur, dass es ihm sowieso nur um das zweite Mal gegangen sei. Ich sag´s ja! Ein echtes Charakterschwein! Das war ausschließlich für sein Ego! Wenigstens bin ich den jetzt los und hab somit ein Problem weniger.

Lukas ist allerdings immer noch da. Oder vielmehr sein neues Ich. Der dreht jetzt echt total am Rad! Ruft mich ständig an, auch wenn ich gerade erst wieder zu Hause bin, nachdem ich stundenlang bei ihm war. Und dann lässt er neuerdings keine Gelegenheit aus, mich irgendwie zu berühren. Zur Begrüßung und zum Abschied umarmt er mich immer und auch zwischendurch legt er mir ständig den Arm um die Schultern oder irgendwas in der Art. Allerdings scheint er das auch immer recht schnell zu bemerken und zieht sich wieder ein Stück zurück.

Was soll ich da denn denken? Und vor allem: was verlangt er von mir? Soll das irgendeinen Sinn ergeben, wie er sich verhält? Das tut es für mich jedenfalls nicht!

Ich weiß nur, dass nichts mehr so ist, wie es vor kurzem noch war! Ich vermisse unser entspanntes Zusammensein! Jetzt ist alles so verkrampft oder übertrieben lässig. Entweder schweigen wir uns ewig lang an oder wir quatschen über absolut belanglosen Kram, der uns gerade einfällt, um unsere Unsicherheit zu verstecken. Das geht so nicht! Irgendwas muss sich grundlegend ändern! Aber was? Und wie? Soll ich Lukas darauf ansprechen? Ja, klar und ihn damit bloßstellen, oder was? Es ist schließlich ziemlich offensichtlich, dass es ihm genauso unheimlich ist, wie er sich verhält. Am besten warte ich noch eine Weile ab und hoffe, dass er sich entweder wieder fängt, oder endlich mit mir spricht. Von sich aus.

Ja, das ist gut! Und ich kann es gleich ausprobieren, denn ich bin schließlich schon auf dem Weg zu ihm. Nein, verabredet sind wir eigentlich nicht, aber ich bin der Meinung, dass ich keinen Termin brauche, um ihn zu besuchen.

Ich klingel also an seiner Tür und warte.

„Was willst du denn hier?“

„Äh... hä? Dich besuchen?“

„Und wozu?“, fragt er zickig.

Was ist denn jetzt verkehrt? Hab ich ihm vielleicht irgendwas getan? Nicht, dass ich wüsste! Na, das ist ja ganz toll! Jetzt blubbern wir also schon ohne Grund einfach so drauf los?!

„Entschuldige bitte, wenn ich dich gestört habe. Ich geh dann wieder.“ Ohne, dass er noch was sagen kann, nehme ich die Türklinke und ziehe die Tür zu. Also normalerweise schlage ich jemandem die Tür von innen vor die Nase, aber das ist auch mal interessant! Na ja, bin es halt gewohnt jemandem auf diese Art zu zeigen, dass ich sauer bin und das bin ich jetzt ganz eindeutig! Ich lass mich doch nicht blöd anmachen, nur weil der Herr nicht ganz beisammen ist! Der spinnt doch! Was ist denn so schlimm daran, dass ich einfach so vorbei gekommen bin? Er ruft mich doch ständig an! Den Kerl muss man nicht ernsthaft verstehen, oder?

Ich könnte jetzt grad alles um mich herum kaputt machen, aber zum Glück hänge ich an meinem Besitz. Und leider hänge ich auch an Lukas, weshalb ich nur unterschwellig das Bedürfnis habe, ihn auseinander zu nehmen. Stattdessen krame ich in den Fitnesssachen von meinem Vater. Der hatte doch mal dieses... Ah, da ist es! Perfekt! In der Hand halte ich so ein komisches Gerät, das nur aus zwei Griffen besteht, die mit einer nicht sehr elastischen Feder verbunden sind. Man soll das in eine Hand nehmen und versuchen die beiden Griffe zusammenzudrücken. Gar nicht so leicht, aber es lenkt ab und ist kraftaufwendig genug, um meinen Zerstörungsdrang zu besänftigen. Also schön drücken! Am besten gleich alle beide! Schon besser! Dann klingelt auf einmal das Telefon.

„Ja?“, schnaufe ich in den Hörer.

„Oha! Du hörst dich echt sauer an!“

Oh, Lukas! Automatisch drücke ich dieses Ding noch fester zusammen.

„Kann man so sagen. Was willst du?“

„Es tut mir leid!“

„Und weiter?“

„Ich weiß auch nicht, was mit mir los war. Kannst... willst du... ich meine, kannst du vorbei kommen?“

„Nee, lass mal. Einmal reicht!“

„Bitte, Janni! Diesmal darfst du die Tür auch von innen zuschlagen.“

Dieser Schleicher! Der weiß ganz genau, dass ich ihm nicht lange böse sein kann, wenn der sich so traurig anhört.

„Okay, bin gleich da“, höre ich mich seufzend sagen und lege auf. Warum lass ich mich eigentlich immer so schnell breitschlagen? Na ja, eigentlich klappt das nur bei Lukas. Jemand anderes könnte so lange jammern, wie er will oder kann.

Ich mache mich also zum zweiten Mal heute auf den Weg zu meinem Mülleimer und hoffe inständig, dass er jetzt besser gelaunt ist. Oh, er sitzt schon vor der Tür und wartet. Sehr merkwürdig! Das hat er ebenfalls noch nie getan. Ich bekomme sofort Schweißausbrüche, als ich ihn so sehe. Er sieht echt beschissen aus!

„Du siehst beschissen aus“, sage ich, als ich neben ihm angekommen bin.

„So fühle ich mich auch.“

Na ja, immerhin!

„Und was willst du mir sagen?“

„Dass es mir leid tut!“

„Das hast du schon.“

„Ich hatte einfach einen beknackten Arbeitstag und als du dann aufgetaucht bist, war ich etwas überfordert.“

Überfordert? Meinetwegen? Welch Kompliment!

„Ich weiß, das war blöd. Ich hätte mich freuen sollen dich zu sehen“ Allerdings! „Aber das tue ich jetzt.“

„Das hört sich schon besser an, aber glaub nicht, dass es damit erledigt ist!“

„Ok, aber kommst du trotzdem mit rein? Ich hab Eistee da!“ Er grinst schelmisch.

Eistee?! Das ist fies! Der weiß genau, wie sehr ich dieses Zeug liebe! Natürlich sage ich da nicht nein und stolpere hinter ihm her in die Küche.

„Du bist echt das Letzte!“, sage ich und greife nach dem Glas.

„Deine Schwächen sind einfach zu leicht auszunutzen.“ Er schüttelt sich geradezu vor Lachen, während ich beleidigt nach der Tüte greife und mir ein zweites Glas einschenke. Das macht der immer! Sich auf meine Kosten zu amüsieren ist scheinbar sein Lieblingshobby. In diesem Augenblick ist es mir allerdings reichlich egal, weil er endlich mal wieder so ist wie früher. Keine verschämten Blicke mehr oder verkrampfte Gespräche. Alles ganz normal. Hoffentlich macht der nie wieder so eine Phase durch! Ich wusste ja schon selbst nicht mehr, was ich denken oder fühlen sollte. Beinahe hätte ich vermutet, dass er sich verliebt hat. In mich! Ich meine, der hat sich doch echt so aufgeführt! Immer nervös und total aufmerksam und dann dieses Gekuschel neulich. Gut, dass das jetzt vorbei ist!


Ich krieg eine Krise nach der anderen! Da ist Lukas endlich wieder der Alte und was mache ich? Ich komme von dem Gedanken einfach nicht los, was gewesen wäre, wenn sich Lukas tatsächlich in mich verliebt hätte! Was natürlich total schwachsinnig ist, weil er nun mal nicht auf Kerle steht! Aber wenn man einmal darüber nachdenkt, klebt sich das sofort fest! Ich fühl mich echt schon wie ne Fliege an so einem gelben Klebestreifen. Und der Klebestreifen ist Lukas! Ständig sehe ich ihn vor mir, wie er mich umarmt oder mich total niedlich anlächelt. Manchmal stelle ich mir sogar vor, wie es wohl wäre ihn zu küssen, verwerfe den Gedanken aber auch ganz schnell wieder. Echt merkwürdig wie das alles auf einmal zusammenkommt! In den vier Jahren, seit ich ihm gesagt habe, dass ich schwul bin, hat sich keiner von uns beiden irgendwie anders verhalten. Ich habe in Lukas immer nur meinen besten Freund gesehen, meinen Mülleimer, meinen Vertrauten, wenn man´s so will. Und jetzt? Er benimmt sich komisch, ich bin verwirrt, dann ist bei ihm wieder alles normal, aber ich benehme mich plötzlich komisch. Ein Teufelskreis, aber echt!

Warum musste sich Lukas denn nur so niedlich aufführen? Ich bekomme jetzt noch ne Gänsehaut, wenn ich an seine Finger denke, die über meinen Arm streicheln. Ich kann das nicht aus meinen Kopf verbannen! Geht nicht! Je öfter wir uns sehen, desto enttäuschter bin ich, dass er sowas nicht mehr macht. Er ist wieder völlig normal. Genau das, was ich wollte. Aber jetzt will ich wieder von ihm im Arm gehalten werden und all das, was mir vorher überhaupt nicht recht war. Dass ich das nicht bekommen werde, ist mir klar und auch, dass ich das so schnell wie möglich vergessen sollte. Es hat ja schließlich überhaupt keinen Sinn, sich an ihn zu hängen und immer nur an das zu denken, was er in einer kurzzeitigen Verwirrung getan hat. Meine Güte, ich rede ja, als hätte ich den schlimmsten Liebeskummer! Was hat Lukas nur mit mir gemacht? Das alles wäre nicht passiert, wenn er den Mindestabstand zwischen uns eingehalten hätte. Warum musste er mich denn berühren und mir damit zeigen wie es wäre, von ihm geliebt zu werden? Warum musste gerade er das tun, was ich mir schon immer wünsche? Er weiß doch davon. Ich hab ihm oft genug davon erzählt. Aber jetzt ist es zu spät. Er hat es bereits getan! Und egal, wie es auch gemeint war, er wird immer der Erste sein, der mich so berührt hat.

Das Klingeln des Telefons reißt mich abrupt aus meinen Gedanken.

„Ja?“

„Hey, hier ist dein leerer Mülleimer.“

„Hi.“

„Ich vermisse dich. Du kommst gar nicht mehr her.“

Ja, reib noch Salz in die Wunde! Wie soll ich es denn auch in deiner Nähe aushalten?

„Hallo? Bist du noch da?“

„Äh... ja.“

„Und? Kommst du nachher mal wieder vorbei?“

Irgendwann muss ich ins kalte Wasser springen, warum also nicht heute?

„Ja, klar.“

„Schön, dann bis... dann“, kichert er und legt auf. Der scheint sich echt zu freuen. Ich weniger. Aber wie lange soll das denn noch so weitergehen? Unsere Freundschaft möchte ich jedenfalls nicht auf dem Gewissen haben! Okay, er will nichts von mir. Deshalb muss ich mich ja nicht gleich total von ihm abkapseln. Solange er mich nicht wieder einlädt bei ihm zu schlafen...

„Bleib doch hier“, sagt er, als ich gerade dabei bin, meine Sachen zusammen zu suchen und mir eine, wie ich finde, brilliante Ausrede hab einfallen lassen.

Ich lach mich tot! Der ist echt lustig! Was denke ich auch vorher noch drüber nach? War ja klar, dass das dann erst recht passiert.

„Ich weiß nicht. Ich sollte...“

„Ach komm schon. Du verhältst dich echt merkwürdig in letzter Zeit. Wir sehen uns kaum noch und wenn ich dich dann mal anrufe, wimmelst du mich immer irgendwie ab.“

War das so offensichtlich? Aber warum erzählt er mir das? Ich hab ihm seine leicht verrückten Anwandlungen schließlich auch nicht unter die Nase gerieben.

„Hey, sind wir noch Freunde?“

„Natürlich!“, schreie ich etwas zu hysterisch und fange sofort an zu schwitzen.

„Dann bleib hier! Für mich. Ich vermisse dich echt.“

Was soll man da tun? „Nein, danke“ sagen und gehen. Ich bin geblieben und habe mich schon mal auf eine schlaflose Nacht eingestellt. Lukas hat gegrinst wie ein Honigkuchenpferd, als er meine Einwilligung hatte und ist sofort ins Schlafzimmer getrabt, um seine kleine Bettdecke gegen eine größere einzutauschen. „Ich will ja nicht, dass du frierst“, hat er gesagt und mich ins Bad geschoben.

„Na fertig? Dann kann ich ja jetzt. Fühl dich wie zu Hause.“

Ich hab mich also wie beim letzten Mal unter die Decke gelegt und darauf gewartet, dass das Licht ausgeht und sich jemand neben mich legt. Nur ist es mir dieses Mal noch viel unangenehmer, dass es Lukas ist.

„Gute Nacht“, flüstert er wieder und – ich werd bekloppt – streicht mir durch die Haare. Mein Herz rast wie wild, und obwohl ich mich gerade nicht sonderlich wohl fühle, genieße ich seine Berührung. Sie ist genauso wie die auf meinem Arm damals. Ich kann mich gerade noch davon abhalten die Augen zu schließen. Was würde Lukas dann wohl denken? Ich sehe ihn also lieber an und schlucke ungefähr dreimal in der Sekunde.

Nach einer Ewigkeit zieht er seine Hand zurück, kuschelt sich in die Decke und macht seine Augen zu. Ich bleibe einfach so liegen, weil ich mich nicht einmal mehr traue, mich irgendwie zu bewegen. Sein Gesicht ist so nah bei meinem und es guckt mich an, obwohl seine Augen geschlossen sind. Völlig paralysiert liege ich da, bis auch mir irgendwann die Augen zufallen. Ich schlafe zwar nicht ein, aber es ist mir einfach zu anstrengend geworden, Lukas anzustarren.

Der darf doch so was nicht mit mir machen. Ich gehe noch kaputt! Nahe dran bin ich jedenfalls schon, während der Auslöser neben mir schläft und manchmal ein leises Schmatzen von sich gibt. Am liebsten würde ich ihm alles sagen, mich an ihn klammern und ihn nie wieder loslassen.

Die Gelegenheit dazu bekomme ich, als er mich wenig später mit beiden Armen umschlingt und an sich zieht. Ich reiße entsetzt die Augen auf und sehe direkt auf den Kragen seines T-Shirts. Sein Schmatzen sagt mir, dass er immer noch schläft. Dann sieht er wenigstens nicht, wie mir die Tränen aus den Augen laufen, auch wenn ich versuche das zu verhindern. Ein leises Schluchzen kann ich ebenfalls nicht unterdrücken und bin, dank meiner Starre, nicht in der Lage mich aus seiner Umarmung zu befreien.

„Janni?“ Oh nein, er wacht auf. Ich versuche so zu tun, als ob ich schlafe, kann mein Schluchzen aber nicht so einfach abstellen. „Hey, was ist denn?“, fragt er und streichelt über meinen Rücken. Bei mir brechen sofort alle Dämme und ich klammere mich so fest es nur geht an ihn. Ich weiß, dass ich mit meinem Zusammenbruch nicht gerade an der richtigen Adresse bin, aber bisher habe ich mich auch immer bei meinem Mülleimer ausgeweint. Ich bin es einfach gewohnt meine Probleme mit ihm zu teilen, und dass ich das die ganze letzte Zeit nicht konnte, zeigt sich jetzt.

Lukas ist spürbar überfordert mit der Situation, weil er nicht weiß, worum es geht. Er hält mich nur weiterhin in seinen Armen und wartet, bis ich mich beruhigt habe.

„Was ist denn?“

„Das... kann ich dir nicht... sagen“, schluchze ich, als sich mein Körper von den Krampfschüben erholt hat.

„Warum nicht? Da kannst mir alles erzählen.“

Ich schweige.

„Ist es wegen eines Kerls?“

Ich nicke. Was soll ich machen? Ihn anlügen?

„Ach so. Dann hast du dich verliebt?“

Ich nicke wieder. Meine Güte, ja, ich liebe ihn!

„Deshalb wolltest du eigentlich gar nicht hier bleiben. Tut mir leid, Janni. Ich hätte dich nicht überreden sollen.“ Bilde ich mir das nur ein, oder sieht er enttäuscht aus? Nein, Janni, das ist reines Wunschdenken!

„Weiß er es?“

Ich schüttel den Kopf.

„Ist er denn auch... du weißt schon?“

Ich schüttel wieder den Kopf. Er streicht mir beruhigend durch die Haare und diesmal schließe ich die Augen und genieße. Eigentlich gar nicht schlecht! Jetzt kann ich mich so nahe zu ihm legen wie ich will, ohne dass er Bescheid weiß. Was würde er wohl tun, wenn er es wüsste? Bestimmt könnte ich ihn dann nie wieder berühren. Er würde mich nie wieder so nah an sich ran lassen. Besser er erfährt es nicht! So kann ich wenigstens mit ihm befreundet sein. Ja, es ist besser so! Und mit der Entscheidung schlafe ich in seinen Armen ein.


Am folgenden Morgen werde ich von meinem eigenen Niesen geweckt. Lukas liegt immer noch dicht bei mir, weshalb seine Haarspitzen ihren Weg in meine Nase gefunden haben. Auch er streckt sich jetzt und sieht mich verschlafen an. Ich sag´s ja! Der hört alles, selbst im Schlaf! Okay, das war auch nicht wirklich leise, aber die meisten Menschen wären davon nicht gleich aufgewacht. Ich zumindest schon mal nicht!

„Na, wie geht´s dir?“

„Besser.“

„Gut. Versprich mir, dass es dir nie wieder so beschissen geht wie letzte Nacht.“

„So was kann man doch nicht versprechen!“

„Sag´s einfach.“

„Okay, ich versprech´s.“

„Ich hab schon gedacht, du hörst überhaupt nicht mehr auf zu zittern. Echt! Du warst total verkrampft. War bestimmt nicht schön, was?“

„Nein.“ Blöde Frage! Ich hab mich ganz toll gefühlt dabei! Es ist wirklich ein irres Gefühl, wenn der ganze Körper sich zusammenzieht und du kaum mehr Luft bekommst, weil du deine ganze Energie ins Heulen und Schluchzen steckst!

„Soll... äh... kann ich irgendwas für dich tun?“

„Im Moment nicht, danke.“ Wenn er wüsste, was es mir alleine schon bedeutet, dass ich die ganze Nacht in seinen Armen schlafen durfte!

„Bist du sauer, wenn ich gleich schon wieder abhaue.“

„Nein, hab dich schließlich schon viel zu lange gegen deinen Willen hier festgehalten.“ Er lächelt. Gott sei Dank lächelt er mich immer noch so an. Letzte Nacht dachte ich schon, dass alles auffliegt. Dass ich ihn verliere und nie wieder bei ihm sein darf.

„Ruf mich an, wenn du magst“, sagt er mir, als wir vor der Haustür stehen. Dann nimmt er mich noch mal in den Arm. „Und pass auf dich auf.“

Oh Gott! Ich hab mich in Lukas verliebt! Wie konnte das passieren? Es ging die letzten vier Jahre doch auch immer gut! Mein Mülleimer! Nein! Das geht nicht! Ich muss das vergessen und nicht mehr an ihn denken. Ich darf ihn nicht so sehen. Er ist mein bester Freund. Wir kennen uns schon immer! Er wird kein Verständnis dafür haben. Aber wenn ich mich von ihm zurückziehe, merkt er es auch. Wird er nicht irgendwann wissen wollen, in wen ich mich verliebt habe? Ich kann ihn doch nicht anlügen. Und ich will es eigentlich auch nicht. Was mache ich nur? Auf jeden Fall darf ich mich bei ihm nicht mehr so gehen lassen. Vor ihm anfangen zu heulen! Nein, schlimmer! Während ich in seinen Armen liege! Das darf nicht noch mal passieren! Er wird sicher mit mir darüber reden wollen... wie immer. Ich werde ihm einfach sagen, dass ich nicht darüber reden will. Ob er das akzeptiert?

Ich schleiche nach Hause. Die Sonne scheint. Wie passend!, denke ich ironisch.

Meine Mutter steht in der Küche und quetscht mich erstmal aus, von wegen „Wie geht´s denn Lukas?“ und so. Meine Schwester ist in ihrem Zimmer... natürlich nicht alleine und mein Vater hat sich in seiner „Werkstatt“ vergraben. Alle sind wie immer. Jeder ist mit seinem Kram beschäftigt. Ich torkel wie ein Zombie nach oben in mein Zimmer, aber bemerkt das vielleicht jemand? Nein. Ach, soll mir auch egal sein. Das Mittagessen lasse ich jedenfalls schon mal ausfallen. Mir ist überhaupt nicht danach irgendwas in mich reinzustopfen. Und dieser Small-Talk währenddessen... danke, aber nein. Ja, klar, ich erfülle das Klischee eines Liebeskranken hundertpro, aber so fühle ich mich nun mal auch!

Ich werfe mich erst mal auf mein Bett. Hoffentlich spricht mich in den nächsten Tagen keiner an. Vielleicht vergessen die einfach spontan, dass es mich gibt und lassen mich in Ruhe?

Bei Lukas scheint es wenigsten schon mal zu klappen. Seit vier Tagen hat der nichts von sich hören lassen. Das ist mir nur recht, aber gleichzeitig gehe ich völlig ein dabei. Immerhin hat er ja gesagt, dass ich mich melden soll, wenn mir danach ist. Ist mir jetzt danach? Ja, unbedingt! Aber was sollte ich ihm sagen? „Schön mal wieder mit dir zu sprechen, aber ich will dich erstmal nicht sehen“? Dann lieber nicht mit ihm sprechen. Der will doch bestimmt, dass ich zu ihm komme und das ist mir zu gefährlich.

Gott, wie kompliziert das alles ist! Ich hab´s mir anders überlegt. Ich will doch nicht mehr verliebt sein. Und schon gar nicht in Lukas. Mit jemandem einfach nur ins Bett zu gehen, ist viel einfacher. Sogar wenn es Dennis ist! Vielleicht sollte ich das auch wieder tun? Nein, nicht mit Dennis, aber mit irgendeinem anderen Kerl. Ich könnte heute Abend einfach mal wieder ausgehen und mich ein bisschen ablenken. Was besseres fällt mir zur Zeit nicht ein.

Ich rappel mich also hoch und mache mich auf den Weg. Auf halber Strecke drehe ich allerdings wieder um, weil ich mir sehr schäbig vorkomme. Das ist einfach nicht meine Art mit Problemen umzugehen. Aber was soll ich dann machen? Zu Lukas kann ich nicht, weil er schließlich das Problem ist. Scheiße! Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich machen soll! Und zu regnen fängt es auch schon wieder an. Verärgert sehe ich zum Himmel und wische mir die Tropfen vom Gesicht.

„Hey, du weinst doch nicht schon wieder, oder?“

Lukas.

„Nee, das ist nur der Regen.“ Ich schmelze. Sieht der gut aus, wenn er nass geregnet wird! Mein Puls dröhnt mir in den Ohren so laut schlägt mein Herz.

„Ich... du hast dich lange nicht gemeldet. Ich war gerade auf dem Weg zu dir, weil ich sehen wollte, wie´s dir geht.“

Wie süß von ihm! Aber nein, das ist gar nicht gut! Was mache ich denn, wenn er auf einmal vor mir steht? Ach ja, das tut er ja schon. Hab ich´s nicht gesagt? Ich werde noch verrückt!

„Das ist... echt nett von dir“, sage ich mit dem besten Lächeln, das ich aufbringen kann.

Wir schweigen. Er ist irgendwie komisch. Schon wieder. Normalerweise würde er mich mit Fragen löchern, aber er steht nur da und sieht mich nicht mal an. Ich möchte ihn mir sofort schnappen und...

„Ich muss dir was sagen, Janni.“

Er kommt näher, zieht seine Jacke von den Schultern und... hält sie uns beiden über den Kopf. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass er jetzt gezwungenermaßen sehr dicht bei mir steht.

„Du wirst noch krank, wenn du so lange im Regen stehst.“

Wenn der noch mehr von diesen Niedlichkeiten auf Lager hat, muss ich über ihn herfallen, ob es ihm gefällt oder nicht.

„Ich hab mich auch verliebt.“

Mir klappt der Mund auf. Und, wenn ich mich nicht bald wieder fange, vergesse ich noch zu atmen. Freiwillig. Das er kann er doch nicht ernst meinen! ICH liebe ihn doch! Wenn ich mir von jetzt an immer seine Liebesschwärmereien anhören muss, reiße ich mir eigenständig das Herz raus, wie in Fluch der Karibik, und warte bis jemand ein Messer reinstößt. Wenn es überhaupt noch so lange schlägt. Das tut es jetzt nämlich nur sehr bedingt.

„Ich weiß nicht genau wann und warum schon mal gar nicht, aber, Janni, ich...“ Dann kommt er noch näher und berührt meinen Mund mit seinen Lippen. Nur ganz kurz und sehr vorsichtig, aber er tut es. Schnell sieht er wieder zu Boden, während ich mit den Fingern meine Lippen berühre.

„Ich liebe dich, Janni! Tut mir leid, dass ich dich damit so überfalle.“

„Mir tut es auch leid“, kriege ich gerade noch so heraus, bevor ich meine Hand in seinen Nacken lege und ihn an mich ziehe. Wieder spüre ich seine Lippen auf meinen und kurz darauf auch den Regen, weil Lukas die Jacke hat fallen lassen, um mich mit seinen Armen zu umschlingen. Ein Leben lang kennen wir uns schon, waren uns aber nie so nahe. Es ist ein komisches Gefühl hier mit ihm im Regen zu stehen und seinen Körper und seine Zärtlichkeiten so deutlich zu spüren. Ich habe ihn schon oft berührt, aber jedes Mal mehr oder weniger ohne Bedeutung. Es wird wohl ein bisschen dauern, bis wir uns an die neue Situation gewöhnt haben. Aber erstmal bekomme ich nicht genug davon, ihn zu küssen und über seinen ganzen Körper zu streichen. Mein Lukas, ich fasse es nicht. Er ist immer noch mein bester Freund, mein Mülleimer, aber vor allem der Mensch, den ich liebe!

ENDE

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